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Eric Voegelins Politische Religionen. Kontexte und Kontinuitäten

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Mitteln wirkungslos <strong>und</strong> fragwürdig, wenn er keinen tieferen Gr<strong>und</strong><br />

findet als einen sittlichen Kodex. Ich will, um ganz deutlich zu sein,<br />

auf einen bestimmten Fall verweisen: den Mord Horschel<br />

Grynszpans an dem deutschen Botschaftsrat in Paris. Der Fall hätte<br />

den ethisch-humanitären Kämpfer Gelegenheit gegeben, die Fragen<br />

der rechtlichen <strong>und</strong> sittlichen Beziehungen zwischen Nationalsozialisten<br />

<strong>und</strong> Juden, aber auch anderen Gruppen in ähnlicher Lage,<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich zu erörtern, um die rechtlich-sittliche Fragestellung bis<br />

zur religiösen zu erweitern. Die Analyse hätte etwa die folgenden<br />

Punkte berühren müssen:<br />

Was die rechtlichen Beziehungen angeht, so wäre zu sagen gewesen:<br />

die Juden stehen im deutschen Reich als Gruppe ausserhalb der<br />

Rechtsgemeinschaft; der Ausschluss aus der Rechtsgemeinschaft<br />

kann begriffswesentlich nicht einseitig sein, sondern ist wechselseitig;<br />

wer ausserhalb der Rechtsgemeinschaft steht, hat keine Rechtspflicht<br />

gegen den, der ihn hinausgestellt hat; er kann nach Naturrechtsgr<strong>und</strong>sätzen<br />

nicht verurteilt werden, was immer er gegen den<br />

tut, der die Rechtsgemeinschaft mit ihm ablehnt.<br />

Wer diese juristischen Argumente als richtig anerkennen sollte,<br />

könnte sich auf die ethische Position zurückziehen, dass ein Mord in<br />

dieser Lage nach Naturrecht zwar nicht rechtswidrig sei, dass aber<br />

auf jeden Fall die absichtliche Vernichtung eines Menschenlebens<br />

unsittlich <strong>und</strong> der Mörder darum nach Moralprinzipien zu verurteilen<br />

sei. Die Entscheidung in dieser Frage hängt von den Axiomen des<br />

ethischen Systems ab, innerhalb dessen sie gefällt werden soll. Wenn<br />

wir ein System der personalistischen Ethik voraussetzen, wie es unter<br />

den Völkern der westlichen Zivilisation heute noch vorwiegend<br />

angenommen wird, hätten die ethisch-humanitären Kämpfer sagen<br />

müssen: die Juden werden heute vom nationalsozialistischen Regime<br />

nicht als Personen, sondern als Sachen behandelt. Die Richtigkeit<br />

dieser Behauptung ist durch ein erdrückendes Material von Einzelakten<br />

der Vernichtung von Leben, Freiheit, Würde <strong>und</strong> Besitz von<br />

Juden belegt; ich verweise nur, um einen Fall weitester Öffentlichkeit<br />

herauszugreifen, auf den Versuch, Leben <strong>und</strong> Freiheit von Juden<br />

gegen Exportdevisen zu verkaufen, also mit Juden Menschenhandel<br />

zu treiben. Im System einer personalistischen Ethik steht der Wert<br />

der Personalität höher als der Wert des Lebens, <strong>und</strong> eine Person, die<br />

geplündert, bespuckt <strong>und</strong> verkauft wird, ist sittlich verpflichtet, diese<br />

Handlung unmöglich zu machen, wenn nötig durch Mord. Nach den

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