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Uwe Johnson - KLG

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von konkreten Befunden wie dem „Bewußtsein schuldnaher Anwesenheit“ aus oder – indirekt<br />

programmatisch – vom Prager Manifest der „Zweitausend Worte“. Mittels solcher Signale markiert<br />

er die einzuschlagende Richtung und vermittelt dadurch eine Vorstellung seines gesellschaftlichen<br />

Zielbilds.<br />

Einzelne Lebensskizzen geben dem Romangeschehen Genauigkeit, Substanz und damit<br />

Überzeugungskraft. Beispielhaft in dieser Hinsicht ist die lakonisch vorgestellte Geschichte des<br />

Schülers Dieter Lockenvitz, dessen Widerstand gegen ideologische (Un-)Rechtspraxis <strong>Johnson</strong> ein<br />

unpathetisches Denkmal setzt und dadurch das Prinzip humaner Verläßlichkeit eindringlicher<br />

herausstellt als durch jede Proklamation. – Erhellend umreißt der Text des Romanendes auch die<br />

Person Dietrich Erichsons (D.E.). Gesine schreibt einer Freundin über ihn und ihre Beziehung zu<br />

ihm: „Als hätten wir, jeder an seinem Platz, ein Stück für den anderen gelebt, aufbewahrt und<br />

mitgebracht, dem gegenseitigen Wohlgefallen zuliebe. – Du wirst sagen, so gehe es zu nur unter<br />

Leuten, die… . Ja.“ Die so andeutend umschriebene partnerschaftliche (und soziale) Produktivität<br />

kommt nicht zum Tragen.D.E. stürzt mit dem Flugzeug ab, bevor die beabsichtigte Ehe mit Gesine<br />

verwirklicht werden kann. Deren Situation danach wird, abermals in einem Brief, folgendermaßen<br />

zusammengefaßt: „(Gesine zu Anita:) ‚Was tut eine doppelte Witwe, die von ihren Beerdigungen<br />

beide verpaßt? Ich höre Musik‘“. Das ist Andeutungsstil par excellence. Eine derartige<br />

Schreibweise setzt ein geradezu meditatives Eindringen des Lesers voraus. In jedem Detail verrät<br />

der <strong>Johnson</strong>sche Erzählgestus Identität und Distanz zugleich.<br />

Kunst- und beziehungsvoll sind die Erzählschichten gegeneinander gesetzt. Etwa die ironisch<br />

eingebrachte auktoriale Präsenz im Zusammenhang eines kleinen ‚Streits‘ zwischen Schriftsteller<br />

und Hauptfigur. Es geht dabei um einen für Gesine wichtigen Landschaftseindruck, und das liest<br />

sich so:<br />

„Schlittenbahn, auch dem Auge freien Weg öffnend über die Insel im See und das hinter dem<br />

Wasser sanft ansteigende Land, besetzt mit sparsamen Kulissen aus Bäumen und Dächern,<br />

leuchtend, da die Sonne gerade düstere Regenwolken hat verdrängen können: welch Anblick mir<br />

möge gegenwärtig sein in der Stunde meines<br />

Es ist uns schnuppe, ob dir das zu deftig beladen ist, Genosse Schriftsteller! Du schreibst das hin!<br />

Wir können auch heute noch aufhören mit deinem Buch. Dir sollte erfindlich sein, wie wir uns<br />

etwas vorgenommen haben für den Tod.<br />

Sterbens“.<br />

Selten kommt Essentielles so unaufwendig und doch mit so großer Tiefe zum Leser.<br />

Alle Register aber zieht <strong>Johnson</strong> noch einmal mit dem denk-würdigen Schlußsatz. Gegenstand ist<br />

der Abschiedsgang Gesines und Maries mit Kliefoth, dem Lehrer Gesines „für Englisch und<br />

Anstand“, an einem Strand in Dänemark. Das wird folgendermaßen umgesetzt: „Beim Gehen an der<br />

See gerieten wir ins Wasser. Rasselnde Kiesel um die Knöchel. Wir hielten einander an den<br />

Händen: ein Kind; ein Mann unterwegs an den Ort wo die Toten sind; und sie, das Kind das ich<br />

war“.<br />

Eine vielstellige Textpartie liegt vor. Die ganz einfache, natürliche, fast instinktive, aber in<br />

Wahrheit auf langem Vertrauen beruhende Geste menschlicher Solidarität bildet den<br />

Ausgangspunkt. Es ist zugleich eine Solidarität über die Stufen des Lebens hinweg, ja über den Tod<br />

hinaus. Hinzu kommt – im Leitmotiv („sie, das Kind das ich war“) – Erinnerung an wesentliches<br />

Leben; ferner ein komplexes Spiel der personalen Zuordnungen: Dem verbindenden Erlebnis<br />

(„wir“) folgt eine einordnende Reflexion über die drei Beteiligten, die wiederum abgefangen wird<br />

in der Rückwendung zur Innenperspektive der Zentralfigur, aus deren Leben erzählt wurde („ich“).<br />

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