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Uwe Johnson - KLG

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Wir sollten uns daran halten, daß er sein Ziel als Künstler erreicht hat. Wie sagte doch Heinrich<br />

Böll: „Spätere Zeiten erst werden seine Größe wahrnehmen.“<br />

Ein Jahr nach dem Tode des fast Fünfzigjährigen ist endlich sein drei Jahrzehnte zuvor<br />

geschriebener erster Roman „Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953“ erschienen. Der <strong>Johnson</strong>-<br />

Leser kannte bisher nur wenige Auszüge davon („Eine Abiturklasse“, 1968; „Begleitumstände“,<br />

1980). <strong>Johnson</strong> schrieb an seinem Erstling in der Rostocker und Leipziger Zeit (1953 bis 1956).<br />

Vier Fassungen wurden erarbeitet; gedruckt wurde jetzt die – vermutlich – letzte Fassung.<br />

Die Geschehnisse um Ingrid Babendererde spielen sich in der mecklenburgischen Heimat <strong>Johnson</strong>s<br />

ab. Hinter der fiktiven Örtlichkeit Wendisch Burg sind unschwer die klaren Umrisse der Stadt<br />

auszumachen, in welcher der Autor selbst seine Reifeprüfung ablegte: Güstrow an der Nebel. Wir<br />

stoßen auf wohlvertraute Koordinaten des Werkzusammenhangs. Das mecklenburger Platt steht von<br />

Anfang an für die Detailgenauigkeit und Authentizität der sprachlichen Gestaltung des<br />

eingefleischten Norddeutschen. Auch zeitlich ist die Romanhandlung unmittelbar dem<br />

Erfahrungsbereich des damals 19- bis 22jährigen Autors entnommen. Er beschreibt Vorgänge der<br />

Woche nach Pfingsten im Jahre 1953, genauer: Vorgänge der Woche vor und nach dem Abitur der<br />

Klasse 12A der Gustav-Adolf-Oberschule. Weltgeschichtliches dringt in die abgelegene Kleinstadt.<br />

Wir befinden uns in der Phase des Stalinismus. Zwar war der Diktator zum Zeitpunkt der Handlung<br />

bereits seit zwei Monaten tot, doch durchzieht der Verweis auf den „Ersten Vorsitzenden der<br />

Kommunistischen Partei der Sowjetunion“ nicht von ungefähr leitmotivartig die ganze<br />

Erzählkonstruktion. Einen Monat nach den von <strong>Johnson</strong> geschilderten fiktiven Begebenheiten kam<br />

es in der DDR zum Aufstand des 17. Juni. Von solchen Konstellationen her gewinnt die<br />

Romanhandlung ihre politische Schärfe und Brisanz.<br />

Gegenstand ist, <strong>Johnson</strong> zufolge, ein erzählerischer Bericht von „Abiturienten des Jahres 1953, die<br />

mitten in der Reifeprüfung sich abmühten mit Sorgen darüber, wie ihre Regierung umging mit der<br />

Verfassung ihrer Republik“. Wie stark dabei eigene Erfahrungen des Autors eingeflossen sind, ist<br />

den Hinweisen in den „Begleitumständen“ eindeutig abzulesen. Wesentlich erscheint freilich, daß<br />

<strong>Johnson</strong> seine scharfe politische Kritik aus der konkret beschriebenen Alltagswelt einer kleinen<br />

Stadt heraus entwickelt. Gerade weil er das ungemein idyllische Umfeld einer Gruppe von<br />

Oberprimanern detailliert vor uns erstehen läßt – mit Segelpartien und Pennälerliebe(n), Schulleidund<br />

-freud, einem allseits beliebten Englischlehrer (Dr. Ernst Kollmorgen, genannt „Sir Ernest“)<br />

sowie einem veritablen Milchmann namens Theodor Dümpelfeld, schließlich der Großen Straße<br />

(„bei aller Zweistockigkeit schlichte Häuser mit Zurückhaltung und Verlässlichkeit“) –, werden<br />

dem Leser die Brüche dieser nur scheinbar ‚heilen Welt‘ um so deutlicher bewußt. Da sind die<br />

dunklen Nachwirkungen der faschistischen Vergangenheit, vor allem aber die widersprüchlichen<br />

Erfahrungen der dadurch schmerzlich sensibilisierten und verunsicherten Jugendlichen mit dem<br />

verordneten Aufbau des Sozialismus. Wer die Realität jener fünfziger Jahre in der DDR als Lebensund<br />

Bewußtseinsquerschnitt nachvollziehen will, kann sich getrost an <strong>Johnson</strong>s Roman halten.<br />

Auslösendes Moment der vorgeführten Konfliktlage ist die Verfolgung der protestantischen<br />

„Jungen Gemeinde“ durch die Partei. Angesichts dieser Erfahrung kommen Ingrid Babendererde<br />

und Klaus Niebuhr zu der Erkenntnis: „Ich möchte mit solchen Leuten nichts mehr zu tun haben.“<br />

Gemeint sind Leute vom Schlage des erfolgssüchtig-angepaßten, parteitreuen Direktors der<br />

Oberschule (Dr. Robert Siebmann, genannt „Pius“). Ingrid und Klaus entscheiden sich für die<br />

Flucht nach Westberlin und weiter nach Hannover. Der beiläufig im Text auftauchende<br />

Schlagertitel „Goen Outside“ gewinnt somit die tiefe Bedeutung einer lebensentscheidenden<br />

Richtung.<br />

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