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Uwe Johnson - KLG

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Damit nicht genug: die personale Identifikation wird ihrerseits abgefangen durch die Tatsache, daß<br />

untergründig immer auch die auktoriale Beteiligung mitschwingt. An dieser Gelenkstelle zwischen<br />

Text und Rezeption des Textes signalisiert <strong>Johnson</strong> indirekt, was er dem Leser anheimgibt.<br />

Alles deutet darauf hin, daß die Nachgeborenen in dieser Romantetralogie einmal unsere Zeit<br />

erkennen werden. Die Gründe hierfür sind schnell genannt: <strong>Johnson</strong> hatte die ungemein tragfähige<br />

Idee, seine Epochenbilanz auf ein entscheidendes Jahr unserer Gegenwart hinzuordnen (1967/68 als<br />

Schlüsseljahr in beiden deutschen Staaten und auch international: Vietnam-Krieg, Liquidierung des<br />

‚Prager Frühlings‘). Überdies hat er bei der Umsetzung seiner Idee einen künstlerischen<br />

Erzählkosmos geschaffen, der in der deutschsprachigen Literatur nach 1945 seinesgleichen nicht<br />

hat.<br />

Nebenbei sei angemerkt: Der Erzählkosmos der „Jahrestage“ ist so vielschichtig und kompliziert,<br />

daß der sich wirklich darauf einlassende Leser immer wieder gerne zu dem von Rolf Michaelis<br />

überaus sorgfältig und kenntnisreich zusammengestellten ‚Finde-Buch‘ greifen wird („Kleines<br />

Adreßbuch für Jerichow und New York. Ein Register zu <strong>Uwe</strong> <strong>Johnson</strong>s Roman ‚Jahrestage‘“).<br />

Zwischendurch unternahm <strong>Johnson</strong> verschiedene Versuche, das Hauptgeschäft der ‚Cresspahl-<br />

Saga‘ durch komplementäre Arbeiten zu ergänzen (nach 1975 wohl vor allem, um einer alles in<br />

Frage stellenden „Schreibhemmung“ zu begegnen). So ist von den Recherchen um Ingeborg<br />

Bachmann („Eine Reise nach Klagenfurt“, 1974) bis zu den Frankfurter Vorlesungen<br />

(„Begleitumstände“, 1980) – meist bedingt durch Anlässe oder ‚Aufträge‘ – eine ganze Reihe von<br />

Texten entstanden. Im Rahmen des bisherigen Werkes sind sie hauptsächlich deshalb von Interesse,<br />

weil hier ein Thema zum Vorschein kommt, das zuvor nicht so unmittelbar kenntlich war (und auch<br />

eng zur Welt der „Jahrestage“ gehört): das Thema des Todes und der Todesangst. Im Falle <strong>Johnson</strong>s<br />

entspringt daraus letztlich Selbstreflexion und das Bemühen, die eigene Spur zu sichern – mehr<br />

oder weniger indirekte Autobiographie.<br />

Ob das in gleicher Weise für die Max Frisch gewidmete Erzählung: „Skizze eines<br />

Verunglückten“ (1981) gilt, ist nicht so evident wie manche Deuter meinen. Wenn Rolf Becker in<br />

der Geschichte von Joachim de Catt (alias Joe Hinterhand) kurzerhand „ein auffällig ähnliches<br />

Schriftstellerschicksal“ sieht und Fritz J. Raddatz gar von einem „grausigen Gerichtstag“ im Bezug<br />

auf des Autors eigenen „Biographiebruch“ spricht, so übersehen beide Rezensenten, daß es sich bei<br />

dieser „Skizze“ in erster Linie um ein virtuoses „Spiel für Max Frisch“ (so <strong>Johnson</strong> mündlich)<br />

handelt. Sie übersehen insbesondere, daß <strong>Johnson</strong> nicht der Mann ist, der sich mit ‚existentiellen‘<br />

Bekenntnissen einer Leserschaft andient. Es dürfte im übrigen auch kein Zufall sein, daß die<br />

„Skizze“ durchweg im Konjunktiv gehalten ist. Für das daraus resultierende Denk- und Sprachspiel<br />

bleibt das Privatleben des Autors sekundär. Wesentlich aufschlußreicher als derartige<br />

‚Mutmaßungen über <strong>Johnson</strong>‘ dürfte etwas anderes sein: Der Autor will die von ihm beigebrachten<br />

„Begleitumstände einer Schriftsteller-Existenz als Warnung verstanden“ wissen: als Warnung<br />

davor, ein Leben „auf das so genannte Schreiben“ auszurichten. Weil er das weiß, haben seine<br />

Beschreibungen unserer Wirklichkeit Zukunft.<br />

Jetzt ist er selbst „an den Ort“ gelangt, „wo die Toten sind“. Gewiß, der letale Abgang war<br />

vorauszusehen. Zu offenkundig waren die verschiedenen „Begleitumstände“, die sein Leben seit<br />

1975 bedrohlich veränderten. Einige Überkluge unseres Literaturbetriebs wußten es schon lange.<br />

Überlassen wir sie ihren Spekulationen über die Zahl der neben der Leiche gefundenen Flaschen,<br />

über „Selbstzerstörung“ und „Selbstgericht“. Beim letzten Gespräch am 18.5.1983 in Aachen, nach<br />

der Lesung, fand ich ihn nicht anders als immer: gelassen, humorvoll, bisweilen ironisch,<br />

freundlich, sichtlich erleichtert, die „Jahrestage“ endlich hinter sich gebracht zu haben. Zweifellos<br />

hatte er – ohne davon Aufhebens zu machen – mit seinem Leben innerlich längst abgeschlossen.<br />

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