15.01.2014 Aufrufe

Uwe Johnson - KLG

Uwe Johnson - KLG

Uwe Johnson - KLG

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Bedingungen exemplarisch zusammengefaßt. Zugleich enthält dieser Erzählversuch wesentliche<br />

Hinweise auf <strong>Johnson</strong>s poetologische Orientierungen.<br />

Der Erzählband mit dem Titel: „Karsch und andere Prosa“ (1964) erschien zum Zeitpunkt seiner<br />

Veröffentlichung manchem Kritiker als eine Verlegenheitslösung, die besser unterblieben wäre.<br />

Inzwischen hat sich gezeigt, daß die darin versammelten Texte mehr sind als bloße Nebenprodukte<br />

der vorausgegangenen Arbeiten. Interessant ist vor allem die Erzählung „Eine Reise<br />

wegwohin“ (1960), denn sie stellt eine bewußte Kontrafaktur zu „Das dritte Buch über Achim“ dar;<br />

diesmal als Nachtrag zur Person Karschs, vor allem jedoch als Bericht über Anstände mit der<br />

Wahrheit in der bundesrepublikanischen Landschaft zur Zeit des ‚Kalten Krieges‘. Viel zu wenig<br />

beachtet wurde bisher der im Werkzusammenhang auf den ersten Blick isoliert dastehende Text<br />

„Jonas zum Beispiel“ (1957). Zum einen ergibt ein Vergleich mit der von <strong>Johnson</strong> in sehr typischer<br />

Weise paraphrasierten Vorlage aus dem Alten Testament (Jona 1–4) wichtige Anhaltspunkte für die<br />

Art, wie er seine Erzählstrategie anlegt; zum andern haben wir es zu tun mit der ironisch<br />

verfremdeten Wiedergabe des „Falles“ eines „Ideologen“, direkt zu beziehen auf Vorkommnisse im<br />

Sächsischen (vgl.: „Begleitumstände“, S.121). Insgesamt erweist sich der kleine Sammelband in der<br />

Rückschau geradezu als ein Gelenkstück zwischen den ersten Romanen und dem Großprojekt der<br />

„Jahrestage“. Das gilt hinsichtlich des Beibehaltens bestimmter Personen (in erster Linie Gesine<br />

Cresspahl) ebenso wie für die Fortführung des Erzählprogramms. Allerdings ändert das nichts an<br />

dem grundsätzlich tastenden und begleitenden Charakter dieser Auswahl. Ähnliches ist zu sagen zur<br />

Einordnung der nachfolgenden längeren Erzählung: „Zwei Ansichten“ (1956). <strong>Johnson</strong> unternahm<br />

hier den weitestgehenden Versuch, die west-östliche Konfrontation in der deutschen Wirklichkeit<br />

unmittelbar am Einzelfall aufzurollen. Er berichtet von der Begegnung zwischen der<br />

Krankenschwester D. aus Potsdam und dem Pressephotographen B. aus Holstein „in den Städten<br />

Berlin“. Die Reduktion auf die Initialen hängt zusammen mit der offenkundigen Absicht des<br />

Autors, die Hereinnahme jeglichen Kommentars geflissentlich zu vermeiden, also den Text in strikt<br />

eingehaltener Zweisträngigkeit ablaufen zu lassen. Deshalb die verknappende und vereinfachende<br />

Tendenz. Hinzu kommt ein weiteres. <strong>Johnson</strong> hat es so formuliert: „Ich bin überzeugt, dass die<br />

‚einfachen‘ Leute das erheblichere Beispiel abgeben für Lebensverhältnisse in unserer Zeit“. D. und<br />

B. sind solche Menschen aus der Anonymität der Überzahl. Infolge der so veränderten Struktur<br />

wirkt <strong>Johnson</strong>s verfremdende, dialektisch angelegte Prosa in den „Zwei Ansichten“ zugänglicher.<br />

Fast könnte der Eindruck entstehen, mit der Preisgabe des ‚schwierigen‘ Bauprinzips sei auch der<br />

insistierende Reflexionsimpuls weggefallen. Doch wäre das ein Irrtum. Der Erzähler hat lediglich<br />

die zugehörige reflektorische Dimension diesmal ganz auf den Leser übertragen. Zwei Ansichten<br />

bleiben am Ende der nicht sonderlich belastbaren Liebesbeziehung. Sie stehen für zwei<br />

Lebensformen, die uns die ebenso harte wie unliebsame Einsicht vermitteln, wie viele Menschen<br />

durch den anonymen Zugriff manipulierender Vorstellungen um ihre Individualität betrogen<br />

werden.Andererseits ist da aber auch die produktive Reaktion, durch welche D. zu sich kommt und,<br />

frei von Meinungen, ihren Weg geht.<br />

Für die erste Produktionsphase kann zusammenfassend festgehalten werden: <strong>Johnson</strong> hat ein<br />

„gelassenes Programm“ (Reinhard Baumgart) extrem zu nutzen gewußt. In der Art seines<br />

Schreibens liegt eine herausfordernde Kraft, die dazu imstande ist, unser Verhältnis zum Kontext, in<br />

dem wir leben, sorgfältiger und bewußter zu machen.<br />

Unstreitig sind die von anderen zeitgenössischen Schriftstellern vorgestellten Modelle in der Regel<br />

leichter zugänglich und damit eher ‚lesbar‘. Um eben diesen Preis ist die erzählerische Konsequenz<br />

<strong>Johnson</strong>s erkauft. Zwar ist der Ertrag dieser Unbeirrbarkeit zunehmende Unschärfe in der<br />

Wiedergabe des vermeintlich Gesicherten. Paradoxerweise bedeutet das einen Gewinn. Ein solches<br />

Verfahren erlaubt es nämlich, der für unsere Wirklichkeit charakteristischen Unbestimmtheit besser<br />

auf die Spur zu kommen. Romantechnik und Sprachstil <strong>Johnson</strong>s bezeugen einen extremen<br />

6

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!