Das Kurzwort zwischen 'Langue' - Universität Koblenz · Landau

144 Sascha Michel
Gelegentlich wird Synonymie zwar postuliert, gleichzeitig aber auch die
Möglichkeit der Verselbstständigung des Kurzwortes thematisiert:
Abkürzung und Vollform besitzen im Prinzip die gleiche begriffliche Bedeutung. Die
Kurzformen können ihre semantische Funktion im Stadium ihrer Genese nur über die
entsprechenden Vollformen realisieren; unter bestimmten Voraussetzungen können die
Abkürzungen einen Verselbständigungsprozess durchlaufen und im Ausnahmefall sogar
ihre Vollformen verdrängen. Hofrichter (1977: 154).
Auch Kreidler (2000: 962), der eine übereinzelsprachliche Perspektive einnimmt,
äußert sich in dieser Hinsicht:
On the one hand, the reflex may become totally separated from its source. The separation
may be due to the fact that the source is forgotten, as in the case of taxi(meter),
which referred originally to the device that computes the distance travelled hence the
fare. Or it may be that the reflex comes to have a meaning distinct from that of the
source.
Die von Kreidler skizzierte Verselbstständigung bezieht den bereits erwähnten
Aspekt mit ein, dass Kurzwörter im Gebrauch eine metonymische Verschiebung
und somit eine Erweiterung der Extension aufweisen können.
Eine explizite Berücksichtigung konnotativer Aspekte und des Sprachgebrauchs
bei der Beschreibung der Kurzwortsemantik lässt sich nur vereinzelt
finden. Bellmann (1977: 149) beispielsweise geht ausführlich auf die Möglichkeit
der Entstehung von Konnotationen und die sprachgebrauchsbezogene Differenzierung
ein:
So darf angenommen werden, dass durch Kurzwortbildung unkonnotierte oder schwächer
oder anders konnotierte lexikalische Varianten geschaffen werden. […] Aufhebung
von Konnotationen findet sich nur bei einem Teil der Kurzwörter. In anderen Fällen
sind es umgekehrt die Kurzwörter, die die konnotierten Varianten liefern. […] Im übrigen
bestehen konnotierende Merkmale von Kurzwort und Original in der Zuweisung zu
jeweils bestimmten Textsorten, Redekonstellationen, Gruppensprachen, Stilen.
Fleischer (1982: 233) legt ebenso bereits die diasystematische Abhängigkeit des
Kurzwortgebrauches dar, ohne jedoch die zugrunde liegenden Faktoren näher zu
bestimmen:
Aus dem Gesagten erhellt, daß Kürzungen nicht in jeder Situation und in jedem Textzusammenhang
beliebig verwendbar sind. So sollten etwa in feierlichen Ansprachen Initialwörter
wie DDR, DSF […], FDJ u. a. ebenso vermieden werden wie in einer sachlichen
Darstellung die Kürzungen Bock für Bockbier, Stip für Stipendium.