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Matrix3000 Europas Absturz (Ausgabe 65) (Vorschau)

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Politik<br />

Rußland<br />

- Schein und Sein<br />

20 Jahre nach dem Kollaps der Sowjetunion<br />

Marco Meng<br />

Rußland hat so manche Wandlungen<br />

durchgemacht, seit vor 20 Jahren die<br />

Sowjetunion aufgelöst wurde. Drei Präsidenten<br />

hat das noch immer größte<br />

Land der Erde seitdem erlebt: Boris<br />

Jelzin, Wladimir Putin und Dmitrij Medwedew<br />

- Persönlichkeiten, die unterschiedlichere<br />

Charaktere kaum sein<br />

könnten. Was wurde aus dem einstigen<br />

schreckeinflößenden, supermächtigen<br />

Sowjetimperium? Kann man Rußland<br />

einen modernen Staat nennen? Eine Demokratie<br />

gar oder einen Rechtsstaat?<br />

Das vergangene Jahr war hier bemerkenswert:<br />

zum einen brach<br />

Rußland mit seiner imperialen<br />

Vergangenheit und seinem unbedingten<br />

Status als Weltmacht; zum anderen<br />

wurden Meinungs- und Pressefreiheit<br />

weiter beschnitten und der einstige<br />

Oligarch Chodorkowskij bekam Ende<br />

Dezember zu seiner Strafe noch eins<br />

drauf. Es steht zwar außer Frage, daß<br />

Michail<br />

Chodorkowskij<br />

wie alle anderen von Rußlands Superreichen<br />

auch Chodorkowskij seinen<br />

immensen Reichtum sich mit fragwürdigen<br />

Mitteln erwarb. Allerdings sollten<br />

diejenigen, die in Ministerpräsident<br />

Putin den „Rächer des bestohlenen<br />

Volkes“ sehen wollen, auch erkennen,<br />

daß andere, die mit denselben Mitteln<br />

wie Chodorkowskij reich wurden, vom<br />

Kreml nicht angefaßt werden – weil sie<br />

auf Putins Seite stehen oder sich ganz<br />

aus politischen Dingen heraushalten.<br />

Potemkinsche Dörfer<br />

Tatsächlich bedeutet die zweite Verurteilung<br />

Chodorkowskijs einen Rückschlag<br />

für ein nach Direktinvestitionen<br />

hungerndes Land, das sich modernisieren<br />

will und muß. Warum es sich<br />

modernisieren muß, zeigten 2010 die<br />

verheerenden Wald- und Torfbrände,<br />

die einen Schaden von geschätzten 11,5<br />

Milliarden Euro verursachten: ganze<br />

4 Löschflugzeuge hat das riesige Rußland.<br />

Zum Vergleich: die USA haben<br />

150! Vieles, was Rußland in den letzten<br />

20 Jahren als „Modernisierung“<br />

erreichte, ist nichts anderes als eine<br />

Potemkinsche Kulisse. Vor diesen Kulissen<br />

zu spielen versteht Ex-Präsident<br />

und amtierender Regierungschef Putin<br />

allerdings gut; doch die russische Regierung<br />

sollte am besten wissen, wie<br />

gefährlich ein solches Spiel ist. Denn<br />

wenn eine Regierung anfängt, ihre eigenen<br />

Lügen zu glauben, so wie sie das<br />

unter Breschnew tat, ist das Ende nicht<br />

fern. Ein bekannter Witz von damals<br />

lautete übrigens: „Wir tun so, als ob wir<br />

arbeiten würden, und die tun so, als ob<br />

sie uns bezahlen würden.“<br />

Bis 1998 sank das russische Bruttoinlandsprodukt<br />

(BIP) auf 55 % des Wertes<br />

von 1989, der Anteil Rußlands am Welthandel,<br />

gemessen am Weltbruttosozialprodukt,<br />

lag 1998 bei nur 1,5 %. Waren<br />

die 1990er Jahre gekennzeichnet durch<br />

einen alkoholkranken Präsidenten nebst<br />

vielen Kriminellen, die sich die Reichtümer<br />

des Landes zum Teil mit Waffengewalt<br />

untereinander aufteilten, so kam<br />

ein makroökonomischer Boom, der ausschließlich<br />

durch den ungewöhnlichen<br />

Anstieg der Weltrohstoffpreise genährt<br />

wurde, bei Putins Machtantritt im Jahr<br />

2000 der neuen russischen Regierung<br />

zu Hilfe. Bis zum Ausbruch der globalen<br />

Finanzkrise verdoppelte sich das<br />

Bruttoinlandsprodukt Rußlands dann<br />

unter Putin, und die Marktkapitalisierung<br />

verzehnfachte sich. Die heftigen<br />

Auseinandersetzungen zwischen dem<br />

Präsidenten und dem kommunistischen<br />

konservativen Parlament sind seit Putin<br />

vergessen, die kommunistische Partei<br />

als einst stärkste Opposition fast mundtot<br />

und entmachtet. Der glaubwürdige<br />

und überaus beliebte General Alexander<br />

Lebed, der Putin hätte zum Konkurrenten<br />

werden können und seinen Tschetschenienkrieg<br />

kritisierte, kam 2002 bei<br />

einem Hubschrauberabsturz ums Leben.<br />

1998 war Lebed zum Gouverneur der Region<br />

Krasnojarsk gewählt worden: kein<br />

Wunder, daß Putin später die Gouverneurswahlen<br />

abschaffte und seitdem die<br />

Gouverneure vom Präsidenten persönlich<br />

ernannt werden. Die heutigen Oppositionellen<br />

sind bei den meisten Russen<br />

nicht sonderlich beliebt, außerdem<br />

fürchtet man auch einen Rückfall in die<br />

chaotischen Zustände der 1990er Jahre.<br />

14<br />

MATRIX 3000 Band <strong>65</strong> / September/Oktober 2011

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