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Spiritualität<br />
Tolstoi Lenin Solowjew<br />
Objektivität im Wollen, im Tun. Ob kalte<br />
unterpersönliche Objektivität einer<br />
Schraube in einer ungeheuren Maschine,<br />
ob warme überpersönliche Schicksalsversöhnlichkeit<br />
der Weisheit - die<br />
Wahl hat ein jeder, aber das Persönliche<br />
ausschließen lernen muß der Mensch<br />
der Gegenwart. Das ist die Forderung<br />
der Zeit.<br />
Mechanisierung oder<br />
Verpersönlichung<br />
Diese Eigenschaft der Gegenwart wird<br />
auf andere Art ausgedrückt durch den<br />
schwerwiegenden Satz: „wir leben im<br />
Zeitalter der Bewußtseinsseele". Die<br />
Entwicklung der Bewußtseinsseele<br />
kann aber in zweierlei Richtungen geschehen.<br />
- Nachdem die Entwicklung<br />
der Verstandes- oder Gemütsseele bis<br />
zu einem gewissen Abschluß gekommen<br />
ist, ist der Mensch Erdenbürger<br />
geworden. Er hat in seinem Abstieg aus<br />
dem Geistesschoß der Welt die Erde erreicht.<br />
Er ist Persönlichkeit geworden.<br />
Nun aber stellt die beginnende Entwicklung<br />
der Bewußtseinsseele an den Menschen<br />
die Forderung, aus dem Persönlichen<br />
herauszuwachsen. Das kann er<br />
auf zweierlei Art tun: entweder indem er<br />
auch das Objektive, das Unpersönliche<br />
verpersönlicht, d.h. immer mehr Persönlichkeit<br />
wird, oder indem er immer<br />
weniger Persönlichkeit wird, d.h. sein<br />
Innenleben mechanisiert.<br />
Format b 172 x 32<br />
Am Beispiel Rußlands<br />
-Tolstoi – Lenin - Solowjew<br />
Tolstoi hat sich von dem Einfluß der<br />
Überlieferung befreit; frei konnte er<br />
nun, als Persönlichkeit, Selbsterrungenes<br />
pflegen. Zwei Richtungen konnte<br />
er nun einschlagen - entweder die kritische<br />
Einstellung weiterführen oder zu<br />
einer neuen schöpferischen übergehen.<br />
Indem Tolstoi das Christentum durch<br />
das Sieb des Rationalismus durchgelassen<br />
hat, blieb ihm ein Christentum übrig,<br />
das im Wesentlichen ein System der<br />
Moral darstellte. Ein System der Moral<br />
hat aber nur insofern Wert, insofern es<br />
praktisch verwirklicht wird. Darum gab<br />
sich Tolstoi, nachdem er ein unmystisches<br />
und unkosmisches Christentum<br />
sich zu eigen gemacht hatte, vollständig<br />
der Verwirklichung der Maxime<br />
der christlichen Moral im praktischen<br />
Leben hin. Dadurch begründete er ein<br />
„diesseitiges" Christentum, das die kosmische<br />
Bedeutung des Mysteriums von<br />
Golgatha nicht kennt, das das Walten<br />
und Schalten der geistigen Hierarchien<br />
nicht kennt, das im Christus Jesus bloß<br />
einen musterhaften Menschen sieht.<br />
Statt des Kosmischen, statt des Mystischen,<br />
statt des Kultischen des Christentums<br />
trat für ihn - und durch ihn<br />
für seine Nachfolger - die praktische<br />
Einrichtung des menschlichen Zusammenlebens<br />
an die erste Stelle.<br />
Somit schlug Tolstoi die eine Richtung<br />
ein, nämlich die Richtung<br />
zur weltanschauungslosen, praktischen<br />
Moralität. Und indem der Christusgott<br />
bei Tolstoi zum Menschen<br />
Jesus wurde, der eine neue Moral begründete,<br />
konnte Wladimir Lenin eine<br />
Lehre verkünden, die auch den Menschen<br />
Jesus abschaffte. Denn die weltanschauungslose<br />
Moral Tolstois ist bloß<br />
ein Übergangsstadium zu dem Impuls<br />
zur diesseitigen glücklichen sozialen<br />
Lebenseinrichtung, der Lenin beseelte.<br />
Doch könnte die innere Situation<br />
Tolstois, d.h. das Durchdringenwollen<br />
des Christentums mit dem Denken, zu<br />
einem anderen Impuls ein Übergang<br />
sein. Sie könnte ein Übergang sein zu<br />
dem Impuls im Christentum, das Walten<br />
kosmischer Absichten zu lesen. Hätte er<br />
diese Richtung eingeschlagen, so wäre<br />
es ein Übergang zum Lebenswerk Wladimir<br />
Solowjews gewesen.<br />
Wladimir Solowjew hat das Heil der<br />
Menschheit darin gesehen, daß ein Verständnis<br />
des Christus, als historischer<br />
Gestalt, menschheitlichen Impulses<br />
und kosmischer Wesenheit, daß eine<br />
Christosophie das soziale Leben der<br />
Menschheit durchdringe. Und dem Erarbeiten<br />
eines solchen Verständnisses,<br />
einer solchen Christosophie, hat er gelebt.<br />
Es gibt, wie Rudolf Steiner sagt,<br />
neben dem geisteswissenschaftlichen,<br />
keinen fortgeschritteneren Begriff des<br />
Christus in der Gegenwart, als denjenigen<br />
bei Wladimir Solowjew. Denn nicht<br />
nur glaubt er an den Christus, verehrt<br />
ihn, sondern er versteht ihn. Und um<br />
dieses Verständnis der Menschheit mitzuteilen,<br />
hat er, bewaffnet mit der gesamten<br />
Begrifflichkeit der Philosophie<br />
des neunzehnten Jahrhunderts, danach<br />
gerungen, neue, christuswürdige Begriffe<br />
zu schaffen, mit deren Hilfe die<br />
verlorenzugehen drohende Beziehung<br />
zu Christus wieder hergestellt werden<br />
könnte. Dann sollte das Verständnis des<br />
Christus allmählich das soziale Leben<br />
durchdringen. Dadurch sollte jene wunderbare<br />
und mutige Hoffnung Solowjews<br />
in Erfüllung gehen - es sollte einstmals<br />
der christliche Staat entstehen. ■<br />
Aus: Valentin Tomberg:<br />
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