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Bedenkliches<br />
Haben Sie schon mal „konzeptfrei“<br />
gegessen? Ich noch<br />
nicht, weil ich nicht weiß, was<br />
das bedeutet, aber ich hatte das Vergnügen,<br />
von jemandem zu erfahren,<br />
der das angeblich tut, seit er sich<br />
einem seltsamen „21-Tage-Prozeß“<br />
unterworfen hat. Ein Mythos, der<br />
schon seit über zehn Jahren durch<br />
die Esoterik-Szene geistert und sich<br />
als ungeheuer langlebig erwiesen<br />
hat. Angeblich sollen Menschen nach<br />
diesem „Prozeß“ ohne Nahrung auskommen<br />
und sich ausschließlich von<br />
„Lichtnahrung“ ernähren.<br />
Angefangen hatte alles mit der australischen<br />
Autorin Ellen Greve, Künstlername<br />
Jasmuheen, die in ihrem Buch<br />
behauptet hatte, diesen Prozeß selbst<br />
vollzogen zu haben. Über diese Autorin<br />
braucht man eigentlich nicht viele<br />
Worte zu verlieren. Ihre absurden Hypothesen,<br />
die sich um die Mithilfe „galaktischer<br />
Ingenieure“, um die „große<br />
weiße Bruderschaft“ und den Grafen<br />
von Saint-Germain ranken, disqualifizieren sich von selbst.<br />
Und während Jasmuheen in Presseinterviews einräumen<br />
mußte, durchaus hin und wieder zu essen, ist es unter ihren<br />
Anhängern zu tragischen Todesfällen gekommen.<br />
Doch damit war das Thema nicht durch. Ein neu veröffentlichter<br />
Film des österreichischen Regisseurs P. A. Staudinger mit<br />
dem Titel „Am Anfang war das Licht“ versucht nun, die „Lichtnahrung“<br />
auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen. Es werden<br />
klinische Versuche zitiert, die aber<br />
seltsamerweise immer nach zehn Tagen<br />
beendet wurden (nach denen wohl noch<br />
keiner verhungert wäre – insofern sind<br />
die Ergebnisse irrelevant). Die Quantenphysik<br />
wird bemüht und die Theorie<br />
der morphogenetischen Felder. Selbst<br />
der Large Hadron Collider, der gigantische<br />
Teilchenbeschleuniger am CERN<br />
in Genf, muß als Kronzeuge herhalten.<br />
Es bleibt unerfindlich, was das alles mit<br />
„Lichtnahrung“ zu tun haben soll, außer,<br />
daß es seriös und bedeutend klingt. Es<br />
ist auch irritierend, Wissenschaftler im<br />
Im Kühlschrank<br />
brennt noch<br />
Licht<br />
Film zu Wort kommen zu lassen, ohne<br />
daß der Zuschauer die Fragen hören<br />
kann, die ihnen gestellt wurden. Wußten<br />
sie überhaupt, zu welchem Thema<br />
sie sich äußerten?<br />
Ich, Franz Bludorf, erkläre, daß es<br />
mir vollkommen egal ist, ob sich<br />
jemand von Feststoffen, Flüssigkeiten,<br />
Gasen oder ionisiertem Plasma<br />
ernährt. Es ist auch nicht verboten,<br />
nach Antworten auf ungelöste<br />
Fragen zu suchen. Es ist verständlich,<br />
daß Menschen in der heutigen<br />
Zeit Sehnsüchte nach dem Mystischen<br />
haben, die die offiziellen Religionen<br />
nicht mehr ausreichend erfüllen<br />
können. Nur ist es unzulässig,<br />
hierfür wissenschaftliche Konzepte<br />
als „Beweise“ heranzuziehen, deren<br />
„Beweiskraft“ sich in Luft auflöst,<br />
sobald man weiß, was sie eigentlich<br />
bedeuten.<br />
Niemand wäre glücklicher als ich,<br />
wenn es tatsächlich einen Weg gäbe,<br />
ohne Essen auszukommen. Wie viel Zeit und Geld könnte<br />
man sparen! Doch weder beeindruckende Aufnahmen von<br />
wissenschaftlicher Hochtechnologie und seriös wirkenden<br />
Forschungslabors noch die eingestreuten, betörend<br />
schönen Landschaftsaufnahmen können darüber hinwegtäuschen,<br />
daß auch in dem Film niemand überzeugende<br />
Argumente liefert, daß „Lichtnahrung“ funktionieren<br />
könnte. Das ehrliche Bemühen des Regisseurs, unvoreingenommen<br />
nach Beweisen zu suchen<br />
und die Antworten offen zu halten, ist<br />
anzuerkennen. Dennoch empfehle ich<br />
jedem, der nach dem Anschauen des<br />
90minütigen Films Hunger bekommen<br />
hat, sich zu seinem Kühlschrank<br />
zu begeben und dort nach Futter zu<br />
suchen. Das Licht im Kühlschrank<br />
bekommt man dann sogar noch gratis<br />
dazu.<br />
Franz Bludorf<br />
Quelle: P. A. Staudinger, Am Anfang war<br />
das Licht. DVD. Alive Vertrieb und Marketing<br />
2009. ASIN B004HHCCR6. € 16,99.<br />
6<br />
MATRIX 3000 Band <strong>65</strong> / September/Oktober 2011