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Dokumentation der Tagung (PDF, 1,4 MB) - Kinderkrebsstiftung

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Vom drüber Reden stirbt man nicht –<br />

über die stärkende Kraft des offenen Umgangs miteinan<strong>der</strong><br />

Mechthild Ritter<br />

Universitäts-Kin<strong>der</strong>klinik Würzburg<br />

Dass Kin<strong>der</strong> und Jugendliche an Krebs erkranken, ist schon eine Zumutung an sich. Gerne würden Eltern, wenn es sie<br />

betrifft, ihre Kin<strong>der</strong> vor schlechten Nachrichten bewahren. Sie wollen ihre Kin<strong>der</strong> nicht schockieren, nicht ängstigen,<br />

nicht entmutigen. Sie bemühen sich selber, gute Miene zu bösem Spiel zu machen und sich ihre eigenen Ängste, Sorgen<br />

und Not nicht anmerken zu lassen. Zu oft haben sie schon gehört, dass positives Denken und entschlossener<br />

Kampfgeist dem guten Verlauf <strong>der</strong> Krankheit und Therapie dienlich sind.<br />

Doch was ist <strong>der</strong> Preis?<br />

Die in dieser Situation zwangsläufig vorhandenen Ängste müssen verdrängt werden und dürfen nicht zur Sprache<br />

kommen, we<strong>der</strong> bei den Kin<strong>der</strong>n noch bei den Eltern. Oft respektieren die Kin<strong>der</strong> das Tabu <strong>der</strong> Eltern und versuchen<br />

sie zu schonen. Die Nähe, die aus dem sich Anvertrauen entstehen könnte, bleibt aus. Dabei ist es gerade das, was<br />

Eltern ihren Kin<strong>der</strong>n bieten wollen und können: Vertrauen, Trost und geteiltes Leid. Und wenn Kin<strong>der</strong> nicht gesund<br />

werden, müssten sie sich in <strong>der</strong> Logik des positiven Denkens als Versager vorkommen.<br />

Dieser Haltung möchte ich eine Ermutigung zum offenen Umgang mit <strong>der</strong> Wahrheit entgegensetzen. Unabhängig davon,<br />

ob jemand 90 o<strong>der</strong> 10 % Heilungschancen hat, können wir davon ausgehen, dass Betroffene in jedem Fall 100 %<br />

Angst haben. Wenn wir diese Angst verdrängen und unterdrücken, wird sie uns bedrücken. Was wir hingegen aussprechen,<br />

kann geteilt werden, kann sich klären, kann Trost finden. Als erstes gilt es für die Eltern, sich selber an<strong>der</strong>en<br />

Erwachsenen anzuvertrauen, damit ihre Fragen und Sorgen gehört werden. In <strong>der</strong> Klinik sind Ärzte, Schwestern,<br />

Psychologen, Seelsorgerinnen und an<strong>der</strong>e dafür da. (Auch hier kommt es seitens <strong>der</strong> Klinik darauf an, einen offenen<br />

Umgang miteinan<strong>der</strong> zu praktizieren.) Und wenn Eltern Kraft geschöpft und gute Erfahrungen mit dem Aussprechen<br />

ihrer Ängste gemacht haben, dann können sie gleiches ihren Kin<strong>der</strong>n erlauben. Ein Prinzip in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>begleitung<br />

ist: Willst du Kin<strong>der</strong> stärken, stärke zuerst die Eltern. Denn sie sind die wichtigsten Bezugspersonen. Kin<strong>der</strong> fühlen<br />

sich entlastet, wenn sie erleben, dass ihre Eltern unterstützt werden.<br />

Ein zweites werden wir erleben, wenn wir das ehrliche Gespräch mit Kin<strong>der</strong>n nicht scheuen: Wir erfahren viel über<br />

ihre eigenen Vorstellungen, über ihre Lösungswege, über ihre Deutungen, über ihre Wünsche. Damit können sie den<br />

Erwachsenen, sowohl den Eltern als auch den Behandelnden, wichtige Orientierung über das weitere Vorgehen geben.<br />

Das mag sogar bei Therapie entscheidungen hilfreich sein.<br />

Ich weiß von niemandem, <strong>der</strong> es im Rückblick bedauert hätte, offen mit seinem Kind gesprochen zu haben. Für die,<br />

die gesund werden, mag dies eine wertvolle Erfahrung sein, die <strong>der</strong> persönlichen Reifung zuträglich ist. Die Dankbarkeit,<br />

wie<strong>der</strong> gesund geworden zu sein, trotz lebens bedrohlicher Erkrankung, kann zu einer neuen Quelle <strong>der</strong> Lebensfreude<br />

werden. Umgekehrt ist das Bedauern und die Trauer vieler verwaister Eltern groß, wenn sie mit ihrem Kind<br />

nicht über seine Gefühle, seine Ängste, die gegenseitige Liebe gesprochen haben. Wenn sie sich nicht gegenseitig erzählt<br />

haben, was sie vom Leben noch erwarten, was sie brauchen, um in Frieden zu sterben und wie sie sich vielleicht<br />

den „Himmel“ vorstellen.<br />

Wenn wir die Wahrheit Patientenkin<strong>der</strong>n nicht vorenthalten, son<strong>der</strong>n in dem von ihnen selbst gefor<strong>der</strong>ten Maß und<br />

zu dem von ihnen gewählten Zeitpunkt zur Verfügung stehen, brauchen wir keine Angst zu haben, ihnen die Hoffnung<br />

zu nehmen. Die Hoffnung ist im Gegensatz zur Illusion, die die Realität aktiv und anhaltend ausblendet und sich auf<br />

falsche Versprechungen einlässt, eine unschlagbare Kraft.<br />

Literatur:<br />

“Wenn ein Kind stirbt. Hilfe und Orientierung für Eltern, Geschwister und Begleitende”. Gütersloher Verlagshaus 2011<br />

Kontaktdaten:<br />

Mechthild Ritter<br />

Universitäts-Kin<strong>der</strong>klinik Würzburg<br />

Tel.: 0931/201-27757<br />

ritter_m@klinik.uni-wuerzburg.de<br />

<strong>Tagung</strong> des bundesweiten Behandlungsnetzwerks HIT, 23./24. März 2012, Hamburg<br />

Inhaltsangaben zu Vorträgen und Workshops<br />

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