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impuls - Soziale Arbeit - Berner Fachhochschule

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<strong>Soziale</strong> <strong>Arbeit</strong> sind dabei vielfältig und auf<br />

verschiedenen Ebenen zu ver orten:<br />

1. Integration ist zunächst immer eine<br />

Herausforderung für bestehende Strukturen<br />

einer Gesellschaft. Dies gilt in<br />

erster Linie für den <strong>Arbeit</strong>smarkt, aber<br />

auch für die Schule und die Berufsbildung.<br />

So führen oft strukturelle Gründe<br />

dazu, dass die berufliche Integration<br />

erschwert ist oder ganz scheitert. Der<br />

<strong>Arbeit</strong>smarkt hat nicht auf diese Menschen<br />

gewartet und stellt entsprechend<br />

keinen Platz für diese zur Verfügung.<br />

2. Integration wird auch als Anpassung an<br />

die bestehende Ordnung, an Gesetze<br />

und an soziale Normen verstanden.<br />

Voraussetzung für eine erfolgreiche<br />

Integration ist somit eine Gesellschaft,<br />

die offen und gewillt ist, «die zu Integrierenden»<br />

aufzunehmen. Wenn die Gesellschaft<br />

zum Beispiel einzelnen Gruppen<br />

wesentliche Rechte vorenthält, dann<br />

sinkt die Bereitschaft, sich integrieren zu<br />

wollen. Damit wird deutlich, dass eine<br />

notwendige Voraussetzung für eine<br />

Integration darin besteht, dass die Menschen,<br />

welche «draussen» sind, auch<br />

«reinkommen» wollen, respektive die<br />

geforderte Anpassungsleistung überhaupt<br />

erbringen können.<br />

3. Integration führt – wie erwähnt – dazu,<br />

dass Menschen von «draussen» nach<br />

«drinnen» kommen. Aufgrund der Individualisierung<br />

in unserer Gesellschaft<br />

ist längst nicht mehr klar, in welche<br />

Richtung die Integration des Einzelnen<br />

zu erfolgen hat. Was ist «drinnen», was<br />

ist «draussen»? Oder anders gefragt:<br />

Auf welches Ziel hin soll integriert<br />

werden?<br />

4. Integration ist in der Sozialhilfe eng mit<br />

dem Konzept der Aktivierung verknüpft.<br />

Das heisst, Leistungen des Staates<br />

müssen durch so genannte Gegenleistungen<br />

abgegolten werden. Leistungsbeziehende<br />

müssen unter Beweis stellen,<br />

dass sie sich aktiv um ihre «(Re-)<br />

Integration» bemühen. Und: Wer das<br />

nicht tut oder schafft, kann sanktioniert<br />

werden. Ist das eine erfolgreiche (professionelle)<br />

Praktik, um Integration zu<br />

fördern?<br />

Die Praxis der <strong>Soziale</strong>n <strong>Arbeit</strong> hat sich in<br />

diesem – hier verkürzt dargestellten – Kontext<br />

zu behaupten und darin zu handeln.<br />

Was ist Integration?<br />

Annäherungsversuche<br />

der <strong>Soziale</strong>n <strong>Arbeit</strong><br />

Silvia Staub-Bernasconi verwendet den<br />

Begriff Integration in ihrem Konzept wie<br />

folgt: «Gegenstand <strong>Soziale</strong>r <strong>Arbeit</strong> ist das<br />

Lösen, Lindern oder Verhindern praktischer<br />

sozialer Probleme, die sich aus einer<br />

Integriert oder nicht?<br />

Das türkische Ehepaar C. wohnt seit<br />

zwei Jahren in einer rollstuhlgängigen<br />

Wohnung. Herr C. arbeitete über 25 Jahre<br />

beim städtischen Abfuhrwesen und ist<br />

seit einem <strong>Arbeit</strong>sunfall auf den Rollstuhl<br />

angewiesen. Frau C. war in der Schweiz<br />

nie erwerbstätig; sie kümmerte sich um<br />

die vier Kinder. Beide sprechen kaum<br />

Deutsch. All ihre Kinder sind verheiratet,<br />

haben selbst Nachwuchs und haben sich<br />

einbürgern lassen, die Eltern jedoch nicht.<br />

Das Ehepaar hat mit den anderen Mietern<br />

kaum Kontakt, hingegen sind die Beziehungen<br />

zu den Kindern und Enkeln sehr<br />

eng. Jedes Wochenende kommen diese<br />

auf Besuch, manchmal halten sich mehr<br />

als zehn Personen in der grossen Dreizimmerwohnung<br />

auf. Die älteren Enkelkinder<br />

besuchen die Grosseltern auch<br />

unter der Woche, erledigen Einkäufe und<br />

helfen der Grossmutter im Haushalt.<br />

Einige Nachbarn beklagen sich über die<br />

häufigen Besuche. Das stört Herrn und<br />

Frau C. nicht, sie suchen keinen Kontakt<br />

zu ihnen. Sie fühlen sich in der Schweiz<br />

aber sehr wohl und gut aufgehoben.<br />

Herr E. ist gebürtiger Schweizer, Anfang<br />

zwanzig und hat einen grossen Traum:<br />

eines Tages von der Musik leben zu können.<br />

Er hat zwar eine Lehre im Detailhandel<br />

abgeschlossen, aber nie in seinem<br />

Beruf gearbeitet. Nach der Lehre ist er<br />

von zu Hause ausgezogen und lebt seither<br />

mit Kolleginnen und Kollegen entweder<br />

in billigen Wohnungen in Abbruchliegenschaften<br />

oder – wie gerade jetzt – in<br />

einem besetzten Haus. Dort sind sie zu<br />

sechst im letzten Frühling eingezogen. Im<br />

grossen Schopf neben dem Wohnhaus,<br />

der ihm und seiner Band auch als Probelokal<br />

dient, haben sie den ganzen Sommer<br />

über Konzerte veranstaltet, was<br />

anfangs nicht ohne Konflikte mit der<br />

Nachbarschaft ablief. Doch inzwischen<br />

haben sie sich mit diesen verständigt, an<br />

einem Tag der offenen Türe haben sie alle<br />

Nachbarn zu einem Brunch eingeladen.<br />

Seinen Lebensunterhalt verdient sich Herr<br />

E. mit Gelegenheitsjobs; da er keine oder<br />

nur eine geringe Miete bezahlen muss,<br />

braucht er wenig Geld. Krankenversichert<br />

ist er nicht, da er sich an seinem letzten<br />

Wohnort nicht ab- und am neuen Wohnort<br />

nicht angemeldet hat.<br />

Frau A. ist in einer kleineren Gemeinde im<br />

Oberland aufgewachsen. Sie ist Mitte<br />

zwanzig und alleinerziehende Mutter einer<br />

zweijährigen Tochter. Kurz nach ihrer Volljährigkeit<br />

ist sie zu Hause ausgezogen<br />

und hat die Lehre abgebrochen. Sie zog<br />

in die Stadt und hat sich mit Temporärjobs<br />

ihren Lebensunterhalt mehr schlecht<br />

als recht gesichert. Vor drei Jahren wurde<br />

sie fest angestellt; der Lohn ist zwar niedrig,<br />

reicht aber gerade zum Leben. Als<br />

sie schwanger wurde, fürchtete sie den<br />

Job zu verlieren. Doch sie hatte Glück:<br />

Nach dem Mutterschaftsurlaub konnte sie<br />

ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Für die<br />

Tochter hat sie einen Platz in einer öffentlichen<br />

Krippe gefunden. Sie wohnt in<br />

einer günstigen Wohnung und so reichen<br />

ihr Lohn und die bevorschussten Kinderalimente<br />

knapp für den Lebensunterhalt.<br />

Ihre Tage sind lang: Vor der <strong>Arbeit</strong> das<br />

Kind in die Krippe bringen, dann eine<br />

halbe Stunde bis zur <strong>Arbeit</strong>sstelle fahren,<br />

und das gleiche am Abend. Am Wochenende<br />

muss sie sich um den Haushalt<br />

kümmern, Einkäufe tätigen (immer auf<br />

dem Sprung, wo es Aktionen gibt, bei<br />

verschiedenen Second-Hand-Läden vorbeischauen<br />

für Kleider für sich und ihre<br />

Tochter und für notwendige Anschaffungen<br />

für den Haushalt). Seit ihre Tochter<br />

auf der Welt ist, sind die wenigen freundschaftlichen<br />

Kontakte, die sie vorher<br />

hatte, mehr oder weniger eingeschlafen,<br />

aus Geld- und Zeitmangel. Sie kann nicht<br />

mehr wie früher mit den <strong>Arbeit</strong>skolleginnen<br />

nach der <strong>Arbeit</strong> etwas unternehmen.<br />

Kontakt zu den Eltern, die relativ weit weg<br />

wohnen, hat sie wenig. Die wenige freie<br />

Zeit, die ihr verbleibt, verbringt sie mit<br />

ihrer Tochter da, wo es nichts kostet: am<br />

Fluss, im Wald. Sie kann sich nicht erinnern,<br />

wann sie das letzte Mal ausgegangen<br />

ist, denn: Einen Babysitter kann sie<br />

sich ebenso wenig leisten wie auswärts<br />

Essen oder den Besuch eines Konzertes.<br />

Sie hat noch nie abgestimmt oder<br />

gewählt, Politik interessiert sie nicht.<br />

BFH <strong>impuls</strong> Januar 2013<br />

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