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5/43-2 - Landtag Brandenburg - Land Brandenburg

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<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2<br />

5. Wahlperiode<br />

Ausschuss für Inneres<br />

Protokoll - Teil 2<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich)<br />

23. Mai 2013<br />

Potsdam - Haus des <strong><strong>Land</strong>tag</strong>es<br />

9.05 Uhr bis 16.15 Uhr<br />

Vorsitz:<br />

Henryk Wichmann (CDU)<br />

Protokoll:<br />

Stenografischer Dienst/Solveig Herrmannsen<br />

Anwesende Ausschussmitglieder:<br />

stellvertretend Ludwig Burkardt (CDU)<br />

Bettina Fortunato (DIE LINKE)<br />

Hans-Peter Goetz (FDP)<br />

Björn Lakenmacher (CDU)<br />

stellvertretend Sylvia Lehmann (SPD)<br />

Stefan Ludwig (DIE LINKE)<br />

Ursula Nonnemacher (GRÜNE/B90)<br />

stellvertretend Manfred Richter (SPD)<br />

Holger Rupprecht (SPD)<br />

Dr. Hans-Jürgen Scharfenberg (DIE LINKE)<br />

Datum der Ausgabe: 19.08.2013


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 2<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Tagesordnung:<br />

Teil 1:<br />

1. Gespräch mit der Vorsitzenden des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus<br />

und Fremdenfeindlichkeit, Frau Asmus<br />

in Verbindung mit<br />

Bericht des Ministeriums des Innern zur Beobachtung des Aktionsbündnisses<br />

gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit durch den Verfassungsschutz<br />

(Bezug: Beitrag in der Sendung des rbb - <strong>Brandenburg</strong> aktuell -<br />

vom 25. Februar 2013)<br />

Teil 2:<br />

10.00 Uhr<br />

2. Formulierungshilfe des Ministeriums des Innern zur Regelung einer zeitlichen<br />

Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />

Anhörung<br />

ab 13.30 Uhr<br />

3. Sechstes Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes für das<br />

<strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> (KAG), Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, Drucksache<br />

5/7128<br />

Anhörung<br />

Teil 3:<br />

4. Aktuelles<br />

5. Berichterstattung in den Medien, dass die Entscheidungsfindung des Ministers<br />

des Innern a.D., Alwin Ziel, zum Einsatz des V-Mann „Piato“ entscheidend vom<br />

Meinungsbild des zu Rate gezogenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden,<br />

Ignatz Bubis, beeinflusst gewesen sein soll<br />

Bericht des Ministeriums des Innern


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

6. Vorgehen bzw. Nichteinschreiten der Polizei bei der Konfrontation von Weiße-<br />

Flotte-Mitarbeitern und Gegnern des Flottenneubaus im Rahmen einer Demonstration<br />

am 29. April 2013<br />

Bericht des Ministeriums des Innern<br />

7. Verschiedenes<br />

Aus der Beratung:<br />

Zu TOP 2:<br />

Formulierungshilfe des Ministeriums des Innern zur Regelung einer<br />

zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />

Anhörung<br />

(Fortsetzung der Sitzung: 10.03 Uhr)<br />

Vorsitzender:<br />

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen, damit wir<br />

unsere Arbeit im Ausschuss des Innern fortsetzen können. Wir steigen in Tagesordnungspunkt<br />

2 ein: die beantragte Anhörung zur weiteren gesetzgeberischen Bearbeitung<br />

unseres Kommunalabgabenrechts in <strong>Brandenburg</strong>. Zu dieser Expertenanhörung<br />

haben sich so viele Besucher angemeldet, dass nicht alle Gäste hier im Raum<br />

Platz gefunden haben. Diese Gäste befinden sich in Raum 127 und ich möchte sie<br />

via Ton recht herzlich begrüßen. Leider können Sie dieser Sitzung nur durch Ton,<br />

nicht durch ein Bild folgen, wofür ich mich entschuldige; im neuen <strong><strong>Land</strong>tag</strong> werden<br />

wir hoffentlich so gute technische Voraussetzungen haben, dass wir in solchen Fällen<br />

nicht nur eine Audioübertragung, sondern auch eine Videoübertragung hinbekommen.<br />

Für unsere heutige Anhörung haben die Fraktionen Experten benannt. Ich freue<br />

mich, dass Sie gekommen sind; einige von Ihnen haben einen sehr weiten Weg auf<br />

sich genommen. Ich danke Ihnen, dass Sie uns mit Ihrem Sachverstand und Expertenrat<br />

zur Verfügung stehen. Die Materie ist komplex und sehr aktuell: Durch Beschluss<br />

des Bundesverfassungsgerichts müssen sich <strong>Brandenburg</strong> und einige andere<br />

Bundesländer Gedanken über die Regelung im Kommunalabgabenrecht zur Frage<br />

der Verjährung der Beiträge machen und neue gesetzgeberische Formulierungen auf<br />

den Weg bringen.


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Für die heutige Anhörung liegt uns - wie wir es in der letzten Sitzung des Innenausschusses<br />

verabredet haben - ein entsprechender Formulierungsvorschlag des Ministeriums<br />

des Innern vom 25. April 2013 vor, der durch einen zweiten Vorschlag vom<br />

8. Mai 2013 überarbeitet und ergänzt wurde, der uns ebenfalls vorliegt und eine etwas<br />

andere Formulierung für die Frage der Verjährung vorschlägt. Die Experten hatten<br />

nicht viel, aber hoffentlich genug Zeit, sich mit beiden Vorschlägen so intensiv<br />

auseinanderzusetzen, dass sie uns heute profunde Erkenntnisse und Überlegungen<br />

mit auf den Weg geben können.<br />

Die CDU-Fraktion hat Herrn Ludwig Burkardt als Vertreter nach § 79 Absatz 1 Geschäftsordnung<br />

des <strong><strong>Land</strong>tag</strong>es (GOLT) benannt. Er nimmt an beiden Tagesordnungspunkten<br />

zum Kommunalabgabengesetz (KAG) an der Sitzung des Innenausschusses<br />

teil.<br />

Weiterhin darf ich den Städte- und Gemeindebund - vertreten durch Herrn Sebastian<br />

Kunze - sowie Herrn Dr. Steffen Iwers begrüßen; er folgt der Beratung für den <strong>Land</strong>kreistag.<br />

Wir haben eine Absage von Herrn Werber von der KOWAB <strong>Brandenburg</strong>-<br />

Ost bekommen. Die KOWAB <strong>Brandenburg</strong>-Ost hat angekündigt, dass Herr Haferkorn<br />

hier auch für die KOWAB <strong>Brandenburg</strong>-Ost prechen wird. Herzlichen Dank auch<br />

Ihnen dafür.<br />

Für unsere Anhörung schlage ich den Ablauf vor, den wir im Innenausschuss gewohnt<br />

sind: Wir werden bei den Anzuhörenden Blöcke bilden - der erste und dritte<br />

Block mit je vier Anzuhörenden; und ein zweiter Block mit drei Anzuhörenden. Alle<br />

Anzuhörenden tragen nacheinander vor und können sich zehn Minuten lang mündlich<br />

einbringen und dabei auch Dinge vortragen, die nicht Eingang in den schriftlichen<br />

Vortrag finden konnten. Wir haben dann jeweils 20 Minuten für einen Frageblock eingeplant.<br />

Wenn Sie mit dieser Vorgehensweise einverstanden sind, können wir so<br />

verfahren. - Ich sehe keinen Widerspruch.<br />

Ich würde in der Reihenfolge, die Ihnen in der schriftlichen Einladung mit der Liste<br />

der Anzuhörenden zugegangen ist, beginnen. Als Erster spricht Prof. Dr. Heinrich<br />

Amadeus Wolff von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Er hat dort<br />

den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht und Verfassungsgeschichte<br />

inne. - Herr Prof. Wolff, bitte.<br />

Herr Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff (Europa-Universität Viadrina Frankfurt<br />

[Oder], Lehrstuhl für Öffentliches Recht):<br />

Ich konnte Ihnen wegen meiner Arbeitsbelastung erst gestern die schriftliche Beantwortung<br />

meiner Fragen übersenden (Anlage 1). Ich würde gerne darauf hinweisen,<br />

dass ich vor ungefähr vier Wochen in einer ähnlich gelagerten, aber nicht völlig identischen<br />

Frage - der Ihnen sehr bekannten Frage der Verfassungsgemäßheit der<br />

Rückwirkung von § 8 Absatz 7 Satz 2 KAG - für eine Reihe von kommunalen Wohnbauunternehmen<br />

ein Gutachten fertiggestellt habe. Ich weiß nicht, ob Ihnen dieses<br />

Gutachten bekannt ist; meine Position beziehe ich teilweise aus diesem in Auftrag<br />

gegebenen Gutachten.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

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Ich bin relativ sorgenfrei, was mein Gutachten und eine - weil man Geld bekommen<br />

hat - eventuelle Befangenheit angeht: Die tragenden Gedanken des Gutachtens wurden<br />

durch das später kommende Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt. Der<br />

Sache nach geht es um eine Fortführung des Gutachtens von Herrn Steiner und die<br />

Frage, ob der Vertrauensschutz angemessen berücksichtigt wurde.<br />

Nun zum Anlass der heutigen Anhörung, dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom März 2013. Dieses Urteil ist eine Sensation, erstens, weil es ein Beschluss ist -<br />

kein Urteil. Entscheidungen dieser Tragweite in Beschlussform zu fällen - das heißt<br />

ohne mündliche Verhandlung ein <strong>Land</strong>esgesetz aufzuheben - ist beim Bundesverfassungsgericht<br />

nicht üblich.<br />

Zweitens ist es ausgesprochen knapp und es gab keinen Widerspruch: Die Richter<br />

des Senats waren sich einig. Sie stützten sich auf einen tragenden Gedanken, alles<br />

andere war ihnen egal; das ist in dieser Form sehr selten.<br />

Drittens räumt das Urteil mit einem technischen Gesichtspunkt im Kommunalabgabengesetz<br />

auf, nämlich bei der Frage, inwieweit der Normgeber bei der Anknüpfung<br />

des Vertrauensgesichtspunktes flexibel ist. Die Entscheidung sagt ganz klar: Entscheidend<br />

für den rechtlichen Anknüpfungspunkt des Vertrauensgesichtspunktes ist<br />

der Zeitpunkt der Vorteilsgewährung. Damit meinen die Richter nicht die Fertigstellung<br />

der Anlage etc., sondern den Anschluss des Grundstücks an das Abwassersystem,<br />

also den Zeitpunkt, wo der Grundstückseigentümer ans System kommt. Sie äußern<br />

sich nicht zur Frage, ob der tatsächliche Anschluss oder die Anschlussmöglichkeit<br />

das Entscheidende ist - das wäre für sie Kleinkrämerei. Aber es ist ganz klar: Das<br />

ist in den Augen des Bundesverfassungsgerichts der entscheidende Zeitpunkt.<br />

Das ist übrigens auch der entscheidende Gesichtspunkt meines eigenen Gutachtens<br />

- wenn Sie es nachlesen wollen, es ist 120 Seiten dick. Der Gedanke ist einfach: Bei<br />

der Abgabenpflicht ersetzen Sie den Zeitpunkt des normalen Vertragsschlusses für<br />

eine vertraglich begründete Abwasserschuld durch Hoheitsgewalt - also Gewalt, die<br />

den anderen auch gegen seinen Willen rechtlich verpflichten und diese Pflicht notfalls<br />

mit Gewalt durchsetzen kann. Und dieser Zeitpunkt ist der des Anschlusses; deswegen<br />

muss an ihn alles geknüpft werden. Wenn Sie einen Vertrag schließen würden,<br />

geschähe das, wenn Sie mit Ihrem Grundstück an die Abwasserversorgung kommen;<br />

nicht 20 Jahre später. Deswegen müssen die Rechtsverhältnisse zu diesem Zeitpunkt<br />

klar sein. Man kann das vielleicht durch ein Gesetz strecken etc., aber all das ist begründungsbedürftig.<br />

Der tragende Gesichtspunkt aller anders lautenden Entscheidungen und wissenschaftlichen<br />

Äußerungen ist immer, der Vertrauensschutz könne gestreckt werden,<br />

weil der Betroffene, der am Abwassersystem angeschlossen sei, wisse, dass er einen<br />

Vorteil bekomme und deswegen damit rechnen müsse, dass er dafür bezahlen könne;<br />

es sei nicht schlimm, wenn das zum Zeitpunkt des Anschlusses nicht ganz klar<br />

sei.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

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Das ist in dieser Form nicht richtig, denn der Betroffene zahlt die ganze Zeit Gebühren,<br />

kennt aber die Kalkulation dieser Gebühren nicht so, wie es sein müsste: Er kann<br />

sich nicht sicher sein, ob der Herstellungsbeitrag eingerechnet wurde oder nicht. Die<br />

Situation würde sich vollkommen anders darstellen, wenn man - wie im Straßenbeitragsrecht<br />

- sicher wüsste, dass man einen Beitrag zahlen muss; das wissen Sie aber<br />

bei der Abwasserbeseitigungsanlage nicht. Sie wissen nicht, ob der Verband die Herstellungskosten<br />

vollständig in die Gebühr eingerechnet hat oder ob es einen getrennten<br />

Beitrag gibt. Natürlich könnte es sein, dass sich der Zweckverband irgendwann<br />

einmal dazu geäußert hat, aber die Umstände können sich ändern, der Erschließungsbeitrag<br />

gleich bleiben.<br />

Die Kalkulationsgrundlagen sind für den Betroffenen völlig verdeckt; er weiß in der<br />

Regel nicht, ob und wie weit er - speziell für die Herstellung der Anlage - zahlen<br />

muss. Er weiß, dass er zahlen muss - er zahlt aber auch; und das darf nicht ausgeblendet<br />

werden! Ich kenne kein Urteil und keine wissenschaftliche Äußerung, die<br />

wirklich fair mit dem Umstand umgeht, dass in der Abwasserbeseitigung ein Wahlrecht<br />

zwischen Beitrag und Gebühr hinzukommt. Wenn Sie dieses Wahlrecht mit hineinnehmen,<br />

sieht der Vertrauensschutz völlig anders aus.<br />

Die Angelegenheit ist bisher nicht besonders glücklich verlaufen: <strong>Brandenburg</strong> hat<br />

mehrfach getrickst. Erstens gab es im Jahr 2000 eine Entscheidung des <strong>Brandenburg</strong>er<br />

Oberverwaltungsgericht (OVG) Frankfurt (Oder) - das ist meine Universitätsstadt;<br />

alles, was von dort kommt, ist einfach mit einem Gütesiegel versehen. Die Entscheidung<br />

war kritisierbar - das ist keine Frage -, aber sie war gut vertretbar und entsprach<br />

der Entscheidung des OVG Münster, auf die auch das Bundesverfassungsgericht<br />

ausdrücklich verweist; das ist eine verfassungsgemäße Ausformung. Auf die gleiche<br />

Entscheidung hat sich auch das OVG Frankfurt (Oder) bezogen, als es den Vertrauensgesichtspunkt<br />

nicht berücksichtigt sah. Es ist ganz klar eine der Varianten, die das<br />

Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als möglichen Weg bezeichnet. Diese Entscheidung<br />

heben Sie durch den Gesetzgeber auf - na schön, darüber kann man<br />

streiten.<br />

Jetzt orientieren Sie sich bei Ihrer Verjährungsfrist der Sache nach an 30 Jahren und<br />

sagen: Solange ich unter 30 Jahren bin, ist alles gut. - Diese 30 Jahre finden keinen<br />

Anhaltspunkt in der verfassungsgerichtlichen Entscheidung, weder in dem, was Sie<br />

sagen, noch in der Ratio. Die dreißigjährige Verjährungsfrist ist in unserer Rechtsordnung<br />

die Ausnahme; sie kommt bei titulierten Ansprüchen, bei vollständig klaren Verhältnissen<br />

vor: Wenn der andere einen Titel hat, hat er 30 Jahre Zeit, gegen mich<br />

vorzugehen. Man vergleicht aber Äpfel mit Birnen, wenn man hier analog eine dreißigjährige<br />

Verjährungsfrist möchte, obwohl nicht klar ist, ob überhaupt eine Schuld<br />

vorliegt.<br />

Das Bundesverfassungsgericht sagt dann auch ausdrücklich: Es dürfen nicht Jahrzehnte<br />

sein. 30 Jahre sind ja nun Jahrzehnte.<br />

Der dritte Trick, mit dem <strong>Brandenburg</strong> vorgeht, ist, dass Sie eine sehr vernünftige,<br />

sehr anschließerfreundliche generelle Regel aufnehmen, indem Sie sagen: Mit der


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

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Fertigstellung der Anlage läuft die Vierjahresfrist. Super! Abwasseranlagen sind fertiggestellt,<br />

wenn die letzte Straße gebaut ist, wenn der letzte Kanal gebaut ist. Das ist<br />

nie zu Ende. Das heißt, das ist ein echter Trick, das ist Augenwischerei. Das haben<br />

Sie gar nicht nötig, das ist nicht schön. – So weit. Vielen Dank.<br />

(Beifall der Zuschauer)<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank für Ihre Erläuterungen, Herr Prof. Dr. Wolff. - Ich möchte die anwesenden<br />

Gäste darauf hinweisen, dass es nicht zulässig und auch nicht üblich ist, Beifallsbekundungen<br />

zu dem, was Sie hier hören, mit auf den Weg zu geben. Wir wollen<br />

uns ja in aller Objektivität und Sachlichkeit mit diesem Thema beschäftigen. Emotionen<br />

- die ich nachvollziehen kann - haben an dieser Stelle nichts zu suchen.<br />

Ich erteile als Nächstem Herrn Prof. Dr. Mario Martini das Wort.<br />

Herr Prof. Dr. Mario Martini (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften<br />

Speyer):<br />

Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Die Heranziehung von<br />

Anschlussbeiträgen in <strong>Brandenburg</strong> scheint mir ein gordischer Knoten zu sein, der<br />

seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verschlungener denn je ist.<br />

Sie stehen als Gesetzgeber vor zwei Fragen, der Frage nach dem Ob, bedarf es<br />

überhaupt einer Änderung, und der Frage nach dem Wie, wie soll eine solche Änderung<br />

gegebenenfalls, wenn denn erforderlich, aussehen. Die Frage nach dem Ob<br />

kann man aus meiner Sicht mit einem klaren Ja beantworten. Da stimme ich auch<br />

Herrn Prof. Wolff vollkommen zu. Das Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit<br />

ist mit § 8 Absatz 7 KAG so nicht vereinbar. Der Bürger muss nicht<br />

unbegrenzt damit rechnen, für Vorteile eine entsprechende Ausgleichsleistung tragen<br />

zu müssen. Der Gesetzgeber muss das dann auch regeln (Anlage 2).<br />

Für eine solche Belastungsklarheit hat der Gerichtshof der Europäischen Union<br />

(EuGH) schon länger eine entsprechende Rechtsprechung, in der deutschen Judikatur<br />

ist das in dieser Form neu. In der Tat ist das auch ein Überraschungsfaktor, der<br />

diesem Urteil innewohnt. Überraschend ist für mich auch ein Punkt: Das Bundesverfassungsgericht<br />

geht mit keinem Wort auf die Lösungen ein, die die höchstrichterliche<br />

Rechtsprechung bislang für solche Konstellationen entwickelt hat. Bislang<br />

schließen Sie Gesetzeslücken für Verjährungsfristen im Wege der Analogie. Wenn<br />

sich keine analogiefähige Regelung findet, dann kommt die dreißigjährige Verjährungsfrist<br />

zur Anwendung. Das Bundesverwaltungsgericht sieht darin „eine zutreffende<br />

Konkretisierung der Gedanken von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden“. Dass<br />

das Bundesverfassungsgericht das nun nicht mehr ausreichen lässt, kann man auf<br />

zweierlei Weise erklären. Man könnte sagen: Vielleicht liegt darin die Aussage, die<br />

dreißigjährige Verjährungsfrist ist zu lang. Die zweite Erklärung halte ich aber für<br />

wahrscheinlicher, nämlich die Erklärung, dass eine ungeschriebene Frist dem Bundesverfassungsgericht<br />

nicht ausreicht, es braucht eine klare gesetzgeberische Konkretisierung.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat nun zur bayerischen Rechtslage entschieden.<br />

Das ist nicht unmittelbar übertragbar, die Bindungskraft dieser Entscheidung des Verfassungsgerichts<br />

erfasst nicht auch das brandenburgische Recht, die brandenburgische<br />

Parallelnorm. Die ist zwar auch verfassungswidrig, aber solange das Bundesverfassungsgericht<br />

sie nicht für verfassungswidrig erklärt hat, ist sie weiterhin gültiges<br />

Recht. Ist also eine Änderung tatsächlich erforderlich, stellt sich danach die Frage,<br />

wie die Ausgestaltung zu treffen ist, insbesondere die Frage nach der Frist.<br />

Eine ganz klare Aussage des Verfassungsgerichts finden wir in dem Urteil zu der<br />

Frage nicht. Im bayerischen Ausgangsfall lag zwischen der Vorteilslage und dem<br />

späteren Beitrag eine Frist von immerhin zwölf Jahren. Daraus kann man nun noch<br />

nicht zwingend herleiten, dass jede Frist, die länger als zwölf oder 15 Jahre ist, automatisch<br />

verfassungswidrig ist. Das Verfassungsgericht will dem Bürger eine klare<br />

Perspektive für das Fristende vermitteln.<br />

Immerhin findet sich aber auch an einer Stelle ein Zweifel, den Prof. Wolff auch<br />

schon angedeutet hat, die Aussage, die da lautet: „erst Jahrzehnte nach dem Eintritt<br />

einer beitragspflichtigen Vorteilslage“. Das Bundesverfassungsgericht spricht von<br />

Jahrzehnten. Damit kann man wohl ableiten, dass eine Unsicherheit, die sich über<br />

mehrere Dekaden erstreckt, sich zumindest in einem verfassungsrechtlichen Graubereich<br />

bewegt.<br />

Gleichwohl ist Ihnen ein erheblicher gesetzgeberischer Spielraum eingeräumt, sagt<br />

das Verfassungsgericht ausdrücklich. Für den gibt es zwei Korridorgrenzen, zwei<br />

Grenzen, die sich zum einen in dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />

und zum anderen in dem Gleichheitsgrundsatz, insbesondere dem Gedanken<br />

der Systemgerechtigkeit eines solchen Konzepts widerspiegeln.<br />

Zur Verhältnismäßigkeit: Die Länge der Frist darf nicht deutlich über das hinausgehen,<br />

was zur Zielerreichung, also insbesondere zur Herstellung von Abgabengerechtigkeit<br />

und Belastungsgleichheit geeignet, erforderlich und angemessen ist. Es muss<br />

einen zumutbaren Interessenausgleich zwischen den betroffenen Interessen geben<br />

und insbesondere auch die berechtigte Erwartung des Bürgers berücksichtigt werden,<br />

nicht noch nach Jahr und Tag mit der Festsetzung eines Beitrags rechnen zu<br />

müssen. Maßgeblich für die Zumutbarkeit dieser Frist ist dann die Auswirkung auf die<br />

Selbstbestimmung für den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug, eben Artikel 2<br />

Absatz 1 Grundgesetz. Daraus lässt sich wohl eines herleiten: Wenn die Frist länger<br />

ist als die durchschnittliche Restlebenserwartung eines Beitragspflichtigen, dann ist<br />

sie verfassungsrechtlich unzulässig. Das heißt, eine Frist, die sich in einem Zeitraum<br />

von 30 Jahren bewegt, ist in einem Grenzbereich verankert, bei dem man darüber<br />

nachdenken kann, ob das noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.<br />

Wer im Alter von 30 Jahren ein Haus gekauft hat, der hat bei einer dreißigjährigen<br />

Frist für den gesamten Rest seiner Erwerbstätigkeit mit einer Beitragsforderung zu<br />

rechnen. Das ist eine durchaus nicht unerhebliche Belastung, die sich über einen<br />

langen Zeitraum erstreckt. Bedenken muss man auch: 30 Jahre ist der Zeitraum einer<br />

Generation. Bei einem mobilen Lebenszuschnitt ist die Bewohnung eines Hauses<br />

über eine gesamte Generation hinweg heute eher die Ausnahme als die Regel.


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Das Interesse an Belastungsklarheit ist aber nur die eine Seite der Waagschale. Auf<br />

der anderen Seite liegen vor allem die Abgabengerechtigkeit und die Belastungsgleichheit<br />

in der Waagschale. Beide sind dann in der Abwägung zum Ausgleich zu<br />

bringen. Dabei sind insbesondere Faktoren der Anschlussbeiträge und ihrer Besonderheiten<br />

zu berücksichtigen, einmal die Komplexität der Sachmaterie, langfristige<br />

Investitionszeiträume, Fehleranfälligkeit von Satzungen, und schließlich auch die besondere<br />

Situation der Unsicherheit nach der deutschen Einheit und den Wendeerscheinungen.<br />

Deshalb sind in <strong>Brandenburg</strong> sehr viele Beitragsforderungen noch offen.<br />

Es ist durchaus ein erheblicher Einschnitt, eine solche Forderung nicht mehr eintreiben<br />

zu können. Vor allem muss man berücksichtigen: Bislang sind die Aufgabenträger<br />

davon ausgegangen, durften auch davon ausgehen, dass Sie die Beiträge<br />

noch durchsetzen dürfen. Eine Gerechtigkeitsschieflage zwischen Beitragszahlern<br />

könnte drohen. Insofern scheint mir der Gedanke im Ergebnis durchaus tragbar, eine<br />

Frist nicht so zu konstruieren, dass jede Form der Reaktionsmöglichkeit für Aufgabenträger<br />

genommen wird.<br />

Die Risiken und den Graubereich habe ich angedeutet. Ich halte die Regelung insofern<br />

für keinesfalls risikofrei, aber auch nicht für einen ganz unvertretbaren Interessenausgleich.<br />

Zu der Frage nach der Gleichbehandlung: Der Gesetzgeber muss, wenn er ein solches<br />

Konzept wählt, die Schuldner nicht formal gleich behandeln, aber er hat sie<br />

gleichmäßig zu behandeln. Insbesondere muss er ein gewähltes Konzept von Fristen<br />

auch systemkonform umsetzen, dieses System nicht vollkommen durchbrechen.<br />

Wenn man sich anschaut, was im brandenburgischen Abgabenrecht an Fristen existiert,<br />

stellt man fest, die Fristen sind im ganz überwiegenden Teil deutlich länger als<br />

15 bis 25 Jahre. Im Gebührengesetz sind es vier Jahre, im Abwasserabgabengesetz<br />

sind es fünf Jahre, im bundesrechtlichen Sozialrecht sind es konsequent vier Jahre.<br />

Wer Steuern hinterzieht, muss nach zehn Jahren nicht mehr mit der Steuerforderung<br />

rechnen. Dem steht die Frist von 30 Jahren typischerweise für titulierte Forderungen,<br />

bei denen ich also weiß, was mich erwartet, gegenüber. Insofern scheint sich ein<br />

nicht unerheblicher Wertungswiderspruch aufzutun, gerade im Verhältnis zu Steuerforderungen.<br />

Derjenige, der eine Straftat begeht, bleibt kürzer in einer Verantwortungshaftung<br />

als derjenige, der sich rechtmäßig verhalten hat, aber nicht in der Erwartung<br />

leben konnte, dass ihn diese Beiträge noch erreichen. Aus dem Grund hat<br />

das OVG Niedersachsen in einer allerdings recht frühen Entscheidung einmal zehn<br />

Jahre für die absolute Höchstfrist erklärt.<br />

Nun ist das OVG Niedersachsen als Rechtssprechungsorgan anders gebunden, der<br />

Gesetzgeber ist freier. Zum anderen, das muss man auch bedenken: Der Gesetzgeber<br />

ist nur an sein eigenes Fristenkonzept gebunden. Dabei sind insbesondere auch<br />

die Eigengesetzlichkeit und die Komplexität der jeweiligen Sachmaterie zu berücksichtigen.<br />

Dabei heißt es dann auch zu berücksichtigen, dass dadurch auch einmal<br />

längere Verjährungsfristen eingeräumt werden können. Eine ganz klare und willkürliche<br />

Ungleichbehandlung scheint mir insofern nicht geradewegs erkennbar, als es im<br />

brandenburgischen Abgabenrecht kein klares Fristenkonzept gibt, von dem man sa-


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

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gen kann: Das hat eine Konsistenz und lässt sich unmittelbar miteinander vergleichen.<br />

Insofern scheint es mir durchaus in einem Grenzbereich der Gleichheit zu sein,<br />

aber einem, von dem ich sagen würde, es ist noch keine klare Verfassungswidrigkeit,<br />

kein klarer Verstoß gegen ein erkennbares System oder eine willkürliche Ungleichbehandlung<br />

erkennbar.<br />

Aber einen sensiblen Punkt sehe ich. Das ist eine alte Wunde, die offen zutage tritt<br />

und die gerade auch diese Problematik und diese Komplikationen entwickelt hat,<br />

nämlich die Rechtslage bis zum Jahr 2004. Bis dahin hatte das brandenburgische<br />

Recht auch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts noch dem Urteil der<br />

Belastungsklarheit entsprochen, Beiträge konnten nicht mehr erhoben werden, wenn<br />

der erste Satzungsversuch länger als vier Jahre zurückgelegen hat. Dieser verfassungsgemäße<br />

Zustand ist durch die Änderung im Jahr 2004 in einen verfassungswidrigen<br />

verwandelt worden.<br />

Nun ist der Gesetzgeber heute nicht gehindert, nachträglich Festsetzungsfristen zu<br />

erweitern, insbesondere liegt darin keine echte, sondern eine unechte Rückwirkung.<br />

Bedenken muss man aber eines: Wenn die Forderung auf der Grundlage des alten<br />

Rechts nicht mehr durchsetzbar war, dann ist diese unechte Rückwirkung faktisch<br />

einer echten Rückwirkung gleich; denn für den Bürger macht es keinen Unterschied,<br />

ob im gleichen Moment, in dem die Beitragspflicht entsteht, die Verjährung eintritt<br />

oder ob die Beitragsforderung gar nicht entsteht oder ob sie schon verjährt war. Das<br />

ist ein nicht unerhebliches Risiko, das sozusagen über diesem Gesetzespaket<br />

schwebt, für Forderungen, die eigentlich so nicht mehr bestanden haben, die nicht<br />

mehr durchsetzbar gewesen wären. Wenn der Gesetzgeber dieses Vertrauen, das<br />

sich entwickelt haben darf, brechen will, braucht er dafür besondere Sachgründe. Es<br />

stellt sich die Frage, ob das jetzige Gesetz besondere Sachgründe dafür und für seine<br />

Ziele aufbieten kann.<br />

Bedenken muss man dafür: Wir haben ein Gesetz, das Belastungsklarheit herstellen<br />

soll. Diese Belastungsklarheit hat bis 2004 bestanden, und das Gesetz hebt sie jetzt<br />

wieder auf. Man kann die Frage stellen, ob das Bundesverfassungsgericht eine solche<br />

Anknüpfung an schon abgeschlossene Vorgänge mittragen wird. Das OVG<br />

<strong>Brandenburg</strong> wie das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht <strong>Brandenburg</strong> haben es getan. Aber<br />

darin zeichnet sich ein nicht unerhebliches Risiko ab. Will man das Risiko ausschließen,<br />

hieße das, die entsprechenden Beitragsfälle, die bis zu diesem Zeitpunkt schon<br />

nicht mehr durchsetzbar waren, auszunehmen.<br />

Der gordische Knoten, von dem ich gesprochen habe, lässt sich wohl nicht zerschlagen,<br />

er lässt sich nur ganz mühsam entwirren. Nach meiner Gesamteinschätzung ist<br />

das in dem Entwurf in einer verfassungsrechtlich vertretbaren, wenn auch nicht ganz<br />

risikofreien Weise geschehen, wie in den vorgetragenen Bedenken erläutert.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Martini. - Als Nächster hat Herr Ingo Zeutschel das Wort.<br />

Er ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Zeutschel & Schröder Rechtsanwälte.


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 11<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Herr Ingo Zeutschel (Zeutschel & Schröder Rechtsanwälte):<br />

Werte Anwesende! Ich vertrete die Initiativgruppe „Altanschließer Nuthetal“. Das sind<br />

390 Altanschließer aus dem Bereich des Wasser- und Abwasserzweckverbandes<br />

(WAZV) „Mittelgraben“, gelegen vor den Toren Potsdams in der Gemeinde Nuthetal.<br />

Ich bedanke mich sehr für die Gelegenheit, hier die Sichtweise der Altanschließer<br />

aus Nuthetal darlegen zu dürfen (Anlage 3).<br />

Meine Vorredner kommen aus dem wissenschaftlichen Bereich. Ich bin Rechtspraktiker,<br />

ich muss den Leuten vor Ort erklären, was es mit den Bescheiden auf sich hat,<br />

die in ihren Briefkästen sind. Seit heute weiß ich, dass auch in Nuthetal Bescheide da<br />

sind. Die Leute werden mich fragen. Ich werde ihnen sagen: Erklären kann man das<br />

nicht. Ich weiß auch seit soeben, dass ich da nicht vollkommen falsch liege; denn ich<br />

habe sehr viel von Risiken und dergleichen gehört.<br />

Sollte der Regierungsentwurf die Zustimmung finden, was würde dann passieren?<br />

Ich bilde einmal einen Fall aus der Gemeinde Nuthetal. So wird es sich zutragen.<br />

Nehmen wir einen Nuthetaler Bürger. Dieser Nuthetaler Bürger bewohnt ein Hausanwesen,<br />

das 1930 errichtet wurde, er hat es von seinem Vater geerbt. Er wohnt jetzt<br />

seit vielen Jahren darin, ist, wie gesagt, Eigentümer. Er bekommt 2015 - es ist ja vorgesehen,<br />

bis 2015 soll es möglich sein - einen Bescheid, in dem steht Folgendes:<br />

Für die erstmalige Herstellung der Anlage ist ein Betrag in Höhe von - doppelt unterstrichen<br />

- 15 000 Euro zu bezahlen. Er hat die Zeitung nicht weiter verfolgt, Zeitung<br />

lesen ist nicht so sein Ding, und fragt beim Verband nach: Was ist denn hier los? Dort<br />

wird ihm erklärt: Na ja, hinsichtlich der Versorgungsleitungen Ihres Grundstücks sind<br />

Investitionen vorgenommen worden, das war 1995, auch schon wieder 20 Jahre her,<br />

und das hat schon alles seine Richtigkeit. - Ein Anwesen, das seit 85 Jahren entsorgt<br />

und versorgt wird und Investitionen, die 20 Jahre zurückliegen - ich rufe das noch<br />

einmal ins Gedächtnis.<br />

Was hat uns alle hier zusammengeführt? Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.<br />

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war eine Entscheidung,<br />

die die Rechtssicherheit, vor allem den Rechtssicherheitsbegriff in das Zentrum rückte.<br />

Ich sage das deshalb, weil eine Entscheidung des <strong>Land</strong>esverfassungsgerichts im<br />

September noch ganz anders aussah. Da hieß es: Das Fiskalinteresse müsse in jedem<br />

Fall vorgehen. Das ist nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts nicht so.<br />

Ich denke, alle Anwesenden können mit dem Begriff „Rechtssicherheit“ etwas anfangen.<br />

Ich erlaube mir dennoch, die Definition hier zu wiederholen: Rechtssicherheit ist<br />

die Klarheit und Beständigkeit staatlicher Entscheidungen sowie die Klärung von umstrittenen<br />

Rechtsfragen oder Verhältnissen in angemessener Zeit. In angemessener<br />

Zeit! Wenn ich in der Begründung des Regierungsentwurfes etwas von 30 Jahren<br />

zivilrechtlicher Verjährung lese, dann muss ich darauf hinweisen, dass § 195 Bürgerliches<br />

Gesetzbuch (BGB) die Regelverjährung regelt, und das sind drei Jahre. Weil<br />

es bei Einrichtungen und Behörden hin und wieder ein bisschen langsamer geht, gibt<br />

es im Kommunalabgabengesetz eine vierjährige allgemeine Verjährung. Der Staat ist<br />

schon ein bisschen privilegiert.


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<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Dreißigjährige Verjährung gibt es eigentlich nur bei titulierten Ansprüchen, bei notariell<br />

festgelegten Ansprüchen. Das sind Ansprüche, über die wurde einmal geredet, da<br />

gibt es eigentlich keine Diskussion mehr. Nehmen wir unseren Nuthetaler Bürger, der<br />

erfährt das erste Mal 2015, wenn er nicht gerade die Zeitung und das Fernsehen verfolgt<br />

hat, dass er für ein Haus, das seit 85 Jahren entsorgt und versorgt wird, etwas<br />

bezahlen soll.<br />

Ich lese in der Begründung zum Regierungsentwurf etwas von Sondersituation deutsche<br />

Einheit und Transformation. Es wird ja gar nicht bestritten, dass die deutsche<br />

Einheit eine Sondersituation war, und es wird auch nicht bestritten, dass es einen<br />

Transformationsprozess gegeben hat. Die Frage ist doch aber, ob das Problem, mit<br />

dem wir uns hier zu befassen haben, wirklich etwas mit der deutschen Einheit und<br />

der Sondersituation und wirklich etwas mit den Transformationsprozessen zu tun hat.<br />

Es ist doch niemand daran gehindert worden, 1995 die technisch und finanziell sauber<br />

geplanten Einrichtungen in die Form einer Verbesserungsbeitragssatzung zu<br />

gießen, den Bürgern zu sagen: Das sind die Investitionen, die wir vorhaben, und das<br />

sollt ihr bezahlen. Das ging doch im Straßenausbaubeitragsrecht auch wunderbar.<br />

Warum denn hier nicht? Ich denke, hier muss etwas herhalten, was als Begründung<br />

gar nicht dienen kann.<br />

Ich lese in der Begründung zum Regierungsentwurf etwas von einer Altenpflegeumlage,<br />

da habe es ja auch einen Transformationsprozess gegeben, und daran könne<br />

man sich orientieren. Ich denke, es wird nicht allen geläufig sein, was es mit der Altenpflegeumlage<br />

in Thüringen auf sich hat. Mir war es auch nicht geläufig. Als ich<br />

nachgelesen habe, habe ich festgestellt, dass 1997 in Thüringen von Einrichtungen,<br />

die Altenpfleger ausbildeten, Umlagen verlangt worden sind, aber relativ zeitnah und<br />

nicht 20 Jahre später für etwas, was lange zurücklag. Ich denke, so etwas kann nicht<br />

zur Begründung eines Gesetzes herangezogen werden, insbesondere dann nicht,<br />

wenn hier von meinen Vorrednern schon Risiken genannt worden sind, die in der<br />

Begründungssituation des Gesetzes liegen.<br />

Leider liest sich die Begründung zum Regierungsentwurf wie der Aufruf zu einer maximalen<br />

Beitragserhebung. Ist das denn wirklich der Anspruch, der aus dem Urteil<br />

des Bundesverfassungsgerichts herauszulesen ist? Da ist doch die Rede von<br />

Rechtssicherheit. Warum dann maximale Beitragserhebung?<br />

Weshalb ich das sage: Ich zitiere aus der Begründung: „Die Höchstfrist für den Vorteilsausgleich<br />

durch Kommunalabgaben darf jedoch nicht so kurz sein, dass ein Anspruchsverlust<br />

wegen Überschreitens dieser Frist mehr als im Ausnahmefall zu besorgen<br />

wäre.“ - Kann das denn sein, dass der Anspruch, den sich der Gesetzgeber<br />

hier stellt, ist, über die Dörfer zu gehen und maximale Beiträge zu erheben? Rechtssicherheit<br />

steht doch im Vordergrund!<br />

Das Kommunalabgabenrecht ist mittlerweile das <strong>Land</strong> der Mythen und Legenden.<br />

Dazu haben die Verwaltungsgerichte beigetragen, deren Entscheidungen manchmal<br />

ein bisschen abgehoben klingen. Ich denke, da werden wir hier einer Meinung sein.<br />

Eine Legende ist, Altanschließer seien privilegierte Menschen, man habe ja von


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<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

ihnen Beiträge noch nicht erhoben, die man von anderen erhoben hat. Die Altanschließer<br />

in Nuthetal, die heute einen Bescheid in ihrem Briefkasten finden, werden<br />

lesen, dass sie mit einem Beitrag in Höhe von 3,79 Euro pro Quadratmeter herangezogen<br />

werden. Eine sachverständige Arbeitsgruppe aus allen Bereichen hat zuvor<br />

ermittelt, dass der tatsächliche Aufwand, der auf die Altanschließer angefallen ist,<br />

0,47 Euro pro Quadratmeter betrug. Sie sollen also für das Achtfache dessen, was<br />

Ihr Vorteil gewesen ist, herangezogen werden.<br />

Verehrte Anwesende! 2009 wurde hier der Versuch unternommen, die Situation zu<br />

bereinigen. Man hat sich in § 8 Nummer 4a KAG für die Möglichkeit einer differenzierten<br />

Betrachtungsweise entschieden. Leider war es so, dass die Verbände davon<br />

kaum Gebrauch machten; warum, lasse ich hier einmal offen. Manche Verbände sehen<br />

sich auch ein bisschen gedrängt. Jedenfalls ist es so, dass es günstiger wäre -<br />

und das sollte noch einmal überlegt werden -, wenn diese differenzierte Berechnung<br />

grundsätzlich angewendet wird. Das wäre letztendlich genau das Ergebnis, das wir<br />

mit der Erhebung von Verbesserungsbeiträgen zeitnah in den neunziger Jahren gehabt<br />

hätten. Dann würde nämlich genau das erhoben werden, was der Vorteil der<br />

Altanschließer gewesen wäre. Ich stelle jetzt einmal die Bedenken hinsichtlich der<br />

Verjährung zurück, die für die differenzierte Berechnung genauso gelten wie in anderer<br />

Richtung.<br />

Ich habe bereits erwähnt, dass es zu Beitragserhebungen kommt, jetzt, in dem Moment,<br />

wo wir hier zusammensitzen. Ich kann nicht verstehen, dass auf so unklarer<br />

Rechtslage die Verbände gedrängt werden, Bescheide zu erlassen und tätig zu werden.<br />

Die Angelegenheit soll doch ausdiskutiert werden; deswegen sitzen wir hier zusammen.<br />

So gut wie alle Altanschließer sind bereit, den differenzierten Beitrag zu zahlen. In<br />

unserem Verband liegt die Zustimmung bei nahezu hundert Prozent. Es gibt einen<br />

Verband, der das erfolgreich gemacht hat, Nuthe-Nieplitz. Dort hat man differenziert<br />

abgerechnet. Rechtsfrieden ist hergestellt. Keiner sieht sich benachteiligt, keiner<br />

sieht sich bevorteilt.<br />

Ich werfe noch einmal das Argument in den Raum: Muss es denn unbedingt eine<br />

Obergrenze sein? Wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts liest, wird<br />

man feststellen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht allein eine Obergrenzenregelung<br />

vorgibt. Diese Diskussion hat sich jetzt ein bisschen verselbstständigt, alles<br />

diskutiert nur noch über eine Obergrenzenregelung. Das Bundesverfassungsgericht<br />

hat durchaus andere Möglichkeiten in die Hand gegeben. Auch die müssen diskutiert<br />

und überlegt und in jede Richtung abgewogen werden<br />

Wenn das Verfassungsgericht über eine Satzungssituation redete und praktisch bei<br />

Unwirksamkeit einer Satzung die Verjährungsfrist immer wieder verschoben und gesagt<br />

wird, dies dürfe nicht sein, dann kommt natürlich im Umkehrschluss auch eine<br />

Möglichkeit in Betracht, dass die in der dann geheilten Satzung vorgesehene Verjährungsfrist<br />

gelten soll. Das Fazit wäre dann aber, dass Altanschließerbeiträge nicht<br />

mehr erhoben werden dürfen.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Zeutschel, für Ihre Ausführungen. - Wir haben zwar schon einige<br />

Wortmeldungen vorliegen, aber ich denke, wir hören erst noch den vierten Anzuhörenden<br />

dieser Runde, Herrn Sven Hornauf, an. Er ist von der Rechtsanwaltskanzlei<br />

Zarzycki & Hornauf. Danach können wir die Fragerunde einläuten. Herr Hornauf, Sie<br />

haben das Wort.<br />

Herr Sven Hornauf (Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki & Hornauf):<br />

Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich werde meine Ausführungen etwas<br />

abändern und das von meinen drei Vorrednern Gesagte ein wenig reflektieren (Anlage<br />

4). Der einzige Punkt, bei dem ich mich als Eingeborener vorbehaltlos Herrn Prof.<br />

Wolff anschließen kann, ist die Tatsache, dass alles, was aus Frankfurt kommt, besonders<br />

gut sein muss. Das ist dann aber auch schon alles an Gemeinsamkeiten.<br />

Ich möchte insbesondere seine Aussage „die Interessenlage, die die einzelnen Beteiligten<br />

an diesem Abgabenrechtsverhältnis haben“ aufgreifen. Abgabenerhebung ist<br />

nie schön, das ist ganz klar. Sie kann nicht schön sein. Niemand zahlt gerne freiwillig<br />

Abgaben. Das ist der Punkt, der aus meiner Sicht reflektiert werden muss. Das KAG<br />

ordnet nicht an, ob und wie viele Abgaben erhoben werden, sondern wie diese Abgabenerhebung<br />

verteilt wird, auf welche Art und Weise die Refinanzierung der öffentlichen<br />

Ausgaben, die in der Regel bereits seit Jahren erfolgt ist, stattfindet, also durch<br />

Beiträge, Gebühren und einige hier unerhebliche Abgabenarten. Man muss sich vergegenwärtigen:<br />

Wie sind wir überhaupt in die Situation gekommen, dass darüber<br />

Streit entsteht? Nämlich genau durch den Punkt, dass eben niemand gerne Abgaben<br />

zahlt, nur Kommunalabgaben streitiger sind als beispielsweise Abgabenbescheide,<br />

die von den Finanzämtern geschickt werden. Die haben offensichtlich in der Wahrnehmung<br />

der Bevölkerung einen anderen Status.<br />

Dann ist die Frage: Wie kommen wir konkret zu dem Problem hier? Wir kommen zu<br />

dem Problem, weil die sogenannten Neuanschließer dagegen geklagt haben, dass<br />

bestimmte Grundstücke, die denselben Vorteil wie sie haben, nämlich eine Kläranlage<br />

oder ein Wasserwerk nutzen zu können, nicht zum Beitrag veranlagt worden sind<br />

und die Rechtsprechung dem gefolgt ist und gesagt hat: Das ist eine Ungleichbehandlung.<br />

Dann haben die Altanlieger geklagt, weil Aufgabenträger sie mit einem<br />

niedrigeren, in der Regel mit einem Verbesserungsbeitrag, erhoben haben. Hier haben<br />

die Gerichte auch geurteilt, auch zugunsten dieser Anlieger, und die Erhebung<br />

von Verbesserungsbeiträgen seit dem Urteil vom 03.12.2003 untersagt. Das heißt,<br />

auch aus Gleichheitsgründen ist es den Aufgabenträgern bis zur Gesetzesänderung<br />

2009 nicht möglich gewesen, einen gesplitteten Beitrag zu erheben. Dann haben Sie<br />

die Gruppe der Gebührenzahler, die auch geklagt hat, mit derselben Begründung,<br />

nämlich, wenn alle rechtzeitig Beiträge gezahlt hätten, würden wir viel niedrigere Gebührensätze<br />

haben. Das war beispielsweise die Verfassungsgerichtsentscheidung<br />

aus 2012, die Entscheidung VfgBbg 46/11. Das heißt, sie haben nicht die eine Gruppe,<br />

die sich gegen die Abgabenerhebung wendet, sondern Sie haben insgesamt eine<br />

große Anzahl von Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelführern.


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Deswegen ist diese Beitragserhebung nicht nur nicht beliebt, sondern hoch streitig.<br />

Es mag in einzelnen kleinen Aufgabengebieten wenig Rechtsbehelfe, Rechtsmittelverfahren<br />

geben; bei der Masse gerade der großen Aufgabenträger brauchen Sie<br />

sich nur die Eingangszahlen bei den Verwaltungsgerichten ansehen: Wenn etwas<br />

mehr Welle macht als Asylverfahren, dann sind es Abgabenstreitverfahren in <strong>Brandenburg</strong>.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Interessenlage kann man auch nicht davon<br />

reden, dass die Regelung Akzeptanz finden wird. Sie wird so oder so keine Akzeptanz<br />

finden, es wird weiterhin Klagen geben. Die Frage ist jetzt nur, welche Folgen<br />

sich aus bestimmten gesetzlichen Eingriffen ergeben. Das würde ich Ihnen gern etwas<br />

plastischer und weniger rechtlich abstrakt erläutern. Das alles konnten Sie schon<br />

in den Stellungnahmen lesen, ich glaube aber, dass die praktischen Folgen auf der<br />

kommunalen Ebene bisher nicht oder nicht ausreichend deutlich gemacht worden<br />

sind.<br />

Leider muss ich damit beginnen, den Unterschied zwischen der Rechtslage in Bayern<br />

und der in <strong>Brandenburg</strong> noch einmal aufzurufen. Was hat das Bundesverfassungsgericht<br />

entschieden? Das Bundesverfassungsgericht hat gerade nicht entschieden,<br />

dass die rückwirkende Inkraftsetzung einer Satzung bzw. die rückwirkende<br />

Inkraftsetzung der sachlichen Beitragspflicht anstößig oder verfassungswidrig sei -<br />

nein, sondern das Auseinanderfallen der rückwirkenden Herstellung der sachlichen<br />

Beitragspflicht durch eine entsprechende Satzungsanordnung und der abstrakt davon<br />

greifenden Verjährungsfrist. Vereinfacht gesagt: In Bayern konnte man bisher<br />

eine Satzung Jahrzehnte zurückreichen lassen mit der Folge, dass zu diesem Zeitpunkt<br />

die sachliche Beitragspflicht entstanden ist, der damalige Eigentümer, der<br />

längst verkauft hatte, beitragspflichtig wurde, die Verjährung aber erst in der Zukunft,<br />

am Ende des Jahres, begonnen hat, in dem diese Satzung veröffentlicht wurde.<br />

Dieses sogenannte Auseinanderfallen von Vorteilslage und Verjährungsbeginn - das,<br />

und nur das - hat das Bundesverfassungsgericht beanstandet. Das haben wir in<br />

<strong>Brandenburg</strong> nicht. In <strong>Brandenburg</strong> ist es so: Wenn Sie eine Satzung rückwirkend in<br />

Kraft setzen, dann tickt die Uhr am Ende des Jahres los, in dem diese Satzung in<br />

Kraft trat. Hätten wir diesen Fall aus Bayern gehabt, dann wäre der Bescheid von<br />

vorn herein vom Verwaltungsgericht aufgehoben worden. Das heißt, diese Veranlagung<br />

hätte in <strong>Brandenburg</strong> gar nicht stattfinden können, auch deshalb nicht, weil es<br />

sich um einen ehemaligen Eigentümer gehandelt hat. Bei uns bekommt immer nur<br />

derjenige den Beitragsbescheid, der im Zeitpunkt der Bekanntgabe - wenn Sie quasi<br />

den Briefkasten öffnen und den Bescheid entnehmen - im Grundbuch als Eigentümer<br />

eingetragen ist.<br />

Das ist nämlich auch der Punkt: Wann ist eine Vorteilslage entstanden, wann hat<br />

man überhaupt den Vorteil? Wir erheben mit den Beiträgen keine abstrakte Abgabe,<br />

sondern die Abgeltung eines Vorteils. Der Gesetzgeber fiktionalisiert eine Vorteilslage<br />

in dem Augenblick, wo ein Grundstückseigentümer eine öffentliche zentrale Anlage<br />

benutzen kann, das heißt, vor seiner Tür liegt ein Kanal oder eine Hauptversorgungsleitung<br />

- im Regelfall Trinkwasser.


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Das ist aber nicht alles, um eine Vorteilslage zu haben. Sie brauchen die rechtlich<br />

gesicherte Anschlussmöglichkeit, und diese haben Sie nur dann, wenn diese öffentliche<br />

Anlage Ihrerseits rechtlich gesichert ist, konstitutiv ist. Sie hatten in <strong>Brandenburg</strong><br />

jahrzehntelang das Problem, dass die Aufgabenträger gar nicht wirksam gegründet<br />

waren. Ich erinnere an das Sicherungs-, das Heilungsgesetz. Die Stabilisierungsbescheide<br />

sind in der Regel erst Ende der neunziger Jahre, teilweise bis 2004/2005<br />

ergangen. Erst dann gab es überhaupt einen wirksam gegründeten Zweckverband,<br />

und nur jemand, der existent ist, kann auch eine rechtlich existente öffentliche Anlage<br />

haben, an die dann wiederum ein Anschlussvorteil vermittelt werden kann. Was es<br />

nicht gibt, können Sie nicht als Vorteil bezeichnen. Auch da haben wir diesen signifikanten<br />

Unterschied zu Bayern, wo das einfach jahrzehntelang zurück in die Vergangenheit<br />

fiktionalisiert wird.<br />

Ich möchte Ihnen die Wirkung und auch die Unterscheidung an einem konkreten<br />

Beispiel erläutern - es ist frisch aus der Rechtsprechung gekommen -: Die Behörde<br />

erlässt am 09.11.2006 einen Beitragsbescheid. Der Beschiedene ist Miteigentümer<br />

eines Grundstücks - es gehört einem Ehepaar - und legt Widerspruch ein. Am<br />

22.11.2006, nach nur 14 Tagen, ergeht der Widerspruchsbescheid. Der Bürger geht<br />

noch im Dezember 2006 zum Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) und gewinnt mit<br />

Urteil vom 5. Mai 2009 - auch das geht ziemlich schnell; denn zweieinhalb Jahre<br />

Prozessdauer für eine erste Instanz sind wirklich gut in <strong>Brandenburg</strong>. Die Behörde<br />

legt Rechtsmittel ein, dann dauert es ein bisschen. Am 18. April dieses Jahres entscheidet<br />

der Abgabensenat des OVG gegen die Behörde und lehnt die Zulassung<br />

der Berufung ab mit der Begründung: Die Satzung habe einen zur Nichtigkeit führenden<br />

Veröffentlichungsfehler, weil das Amtsblatt, in dem die Beitragssatzung abgedruckt<br />

war, die Nummer 7.1 hat. Zur Erläuterung: Normalerweise nummeriert die Behörde<br />

ihre Amtsblätter fortlaufend mit 1, 2, 3, 4 usw.. Da jedoch in der Juni-Sitzung<br />

vor der Sommerpause derart vieles beschlossen wurden, wofür das normale Amtsblatt<br />

nicht ausreichte und man nicht bis September warten wollte, wurde ein Sonderamtsblatt<br />

mit der Nummer 7.1 herausgegeben.<br />

Nun kann man sich darüber unterhalten, ob es rechtsstaatswidrig ist, das Amtsblatt<br />

7.1 in Zeiten von Web 2.0 usw. zu nennen. Jedenfalls meint das Oberverwaltungsgericht,<br />

dass das ein zur Nichtigkeit führender beachtlicher Fehler sei - trotz der Heilungsvorschriften,<br />

die wir seit 6 Jahren in § 3 Absatz 4 Kommunalverfassung haben.<br />

Also steht die Behörde ohne etwas da. Nach der bisherigen Rechtslage, die vom<br />

Oberverwaltungsgericht, vom Bundesverwaltungsgericht und auch vom <strong>Land</strong>esverfassungsgericht<br />

ausdrücklich bestätigt wurde, würde die Vertretungskörperschaft die<br />

Satzung noch einmal beschließen, dann gibt es ein neues Amtsblatt, dieses Mal ohne<br />

Punkt oder irgendetwas, die Satzung tritt in Kraft, der Mensch bekommt einen<br />

neuen Bescheid - fertig.<br />

Würden Sie eine starre Grenze in das Gesetz einziehen - ob mit Hemmung plus ein<br />

paar Jahre Verjährung oder nur mit Verjährung nach Vorteilslage -, greift also eine<br />

starre Grenze, kann die Behörde nicht mehr veranlagen. Jetzt könnte man sagen:<br />

Gut, der hat ja schon einen Bescheid bekommen, es ist Hemmung eingetreten. Aber<br />

wie das Leben so spielt, hat sich das Pärchen mittlerweile scheiden lassen und die


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Frau hat das Haus bekommen - Ergebnis: ein neuer Eigentümer.<br />

Da haben wir den Unterschied zu Bayern. In Bayern wäre es völlig egal, dass der<br />

Mann das Grundstück nicht mehr hat; in <strong>Brandenburg</strong> ist es nicht egal, in <strong>Brandenburg</strong><br />

wäre das Grundstück damit beitragsfrei. Das ist ein ganz normaler Fall. Ich hebe<br />

noch nicht einmal auf die Fälle ab, in denen man gezielt versucht, sich der Beitragspflicht<br />

zu entziehen. Stellen Sie sich vor, irgendein Cleverer bestellt ein Erbbaurecht<br />

oder überträgt das Grundstück einfach, er berechnet es billiger, das kostet dann<br />

nicht so viel beim Grundbuchamt und beim Notar. Schon ist das Grundstück aus der<br />

Beitragspflicht heraus. Jetzt werden Sie sagen: Na gut, Oma Minchen mit 500 Euro<br />

Beitragsbescheid wird das nicht machen. - Das ist richtig. Jetzt nehme ich aber mal<br />

die Klientel, die das Gutachten von Prof. Wolff in Auftrag gegeben hat: 6 Wohnungsgesellschaften<br />

mit einer Motivlage zwischen 160 000 und 500 000 Euro Beitragsbescheid.<br />

Da sind die 5 000 oder 10 000 Euro beim Notar gut angelegtes Geld, wenn<br />

ich dafür von meinem Beitragsbescheid herunterkomme.<br />

Das ist jetzt der Punkt: Schaffen Sie eine starre Grenze, wird es unweigerlich zu Beitragsausfällen<br />

kommen. Je näher diese zeitliche Grenze definiert ist, je mehr diese<br />

zeitliche Grenze sich dem aktuellen Erhebungszustand nähert, desto eher tritt der<br />

Ausfall ein. In dem von mir erläuterten Beispiel hat der Vorgang - obwohl die Behörde<br />

nur 14 Tage gebraucht hat, ihrerseits den Rechtsbehelfsvorgang zu bearbeiten - sieben<br />

Jahre gedauert. Das ist in <strong>Brandenburg</strong> völlig normal. Das heißt, wenn Sie eine<br />

Heilungsrunde einleiten müssen, haben Sie, - selbst wenn Sie 2020 als gegriffene<br />

Zahl nehmen - als Aufgabenträger maximal noch einen Schuss frei. Wenn sich dann<br />

Änderungen in der Eigentümerstruktur ergeben haben - Sie müssen auch die normale<br />

Fluktuation im Grundstücksverkehr berücksichtigen, ohne dass versucht wird, Manipulationen<br />

vorzunehmen -, bekommen Sie damit ein Problem, das darin liegt, dass<br />

Sie dann eine Gruppe von an sich Beitragspflichtigen haben, die denselben Vorteil<br />

haben wie diejenigen, die schon gezahlt haben, dann aber nicht mehr herangezogen<br />

werden. Das wirkt sich dann nicht nur auf die Gleichbehandlungsfrage zwischen diesen<br />

Grundstückseigentümern aus, sondern wirkt bis in die Gebühr hinein. Die Beitragserhebung<br />

beeinflusst die Gebührenhöhe. Wenn Sie Beiträge erheben, senkt das<br />

automatisch die Gebühr. In dem Augenblick, in dem Beiträge ausfallen, hat das Einfluss<br />

auf die Gebührenhöhe, das heißt: weniger Beiträge - höhere Gebühren. Jetzt<br />

wird natürlich derjenige, der seinen Beitrag bereits bezahlt hat, wieder zum Verwaltungsgericht<br />

gehen - genau wie das in dem von mir zitierten Fall auch war - und sagen:<br />

Es kann doch nicht sein, ich habe den Beitrag bezahlt, mein Nachbar nicht, und<br />

wir haben die gleiche Gebühr. - Was wird das Verwaltungsgericht in diesem Fall machen?<br />

Artikel 3 Grundgesetz bzw. das Äquivalenzprinzip als Ausprägung im Abgabenrecht<br />

des Gleichheitssatzes - das Verwaltungsgericht wird genau diesen Punkt<br />

beanstanden. Ergo hat der Aufgabenträger zwei Probleme: Er hat weniger Beiträge<br />

und voraussichtlich weniger Gebühren.<br />

Sie dürfen nicht denken, dass diese Argumentation immer nur von denen geführt<br />

wird, die sich darauf berufen. Mittlerweile haben 95 % der von uns betreuten Beitragsklagen<br />

- wir stehen in der Regel aufseiten der Aufgabenträger - genau diese<br />

Begründung des Verfassungsgerichts angeführt - witzigerweise nicht nur Beitragskläger,<br />

sondern auch Gebührenkläger, die davon gar nicht betroffen sind. Also wird


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das Verwaltungsgericht so oder so sich mit dieser Sache intensiv befassen müssen.<br />

Dann haben Sie diese Beitrags-, Abgabenausfälle auch im Gebührenbereich, dann<br />

haben Sie Streit, dann haben Sie Verfahrenskosten, die nicht abgabenfähig sind, und<br />

dann haben Sie auch Streit innerhalb der Zweckverbände als Folge dessen, weil in<br />

der Regel sich die Altanlieger gerade in den größeren Zweckverbänden in bestimmten<br />

Bereichen ballen, nämlich diejenigen, die vor der Wende schon überhaupt etwas<br />

hatten. Wenn erst nach der Wende gebaut wurde, gibt es logischerweise keine Altanlieger.<br />

Also wird es auch innerhalb der Mitgliedskommunen, beispielsweise der größeren<br />

Zweckverbände, zum Streit kommen, wie diese Ausfälle getragen werden. Es<br />

ist doch klar: Wenn Sie Bürgermeister sind und überhaupt keine Altanlieger haben,<br />

haben Sie natürlich überhaupt kein Interesse, dass Ihre Leute Neuanliegerbeiträge<br />

gezahlt und die gleichen Gebühren haben, während ein Bürgermeister, der nur Altanlieger<br />

hat, natürlich immer gegen eine Altanliegererhebung sein wird, denn er will ja<br />

wieder gewählt werden. Diese rechtliche Problematik schlägt auf die Ortspolitik durch<br />

und wird dazu führen, dass die Streitigkeiten und Spannungen innerhalb der Zweckverbände<br />

automatisch zunehmen - das nächste Problem, das damit bereitet wird.<br />

Warum es aus meiner Sicht gar nicht erforderlich ist, hier tätig zu werden: zum einen<br />

das „Ob“, das hier auch kam. Wir haben diese Regelung nicht, wir haben § 8 Absatz<br />

7 Satz 2 KAG, was zwar die sachliche Beitragspflicht erst mit der ersten rechtswirksamen<br />

Satzung entstehen lässt, aber danach immer - in vier Jahren - die Festsetzungsverjährung<br />

folgen lässt. Wenn Sie jetzt eine gesetzliche Grenze einfügen,<br />

heben Sie diese Regelung auf. Diese Regelung gibt es seit 1991, seit Anbeginn des<br />

KAG. Es gab dann im Jahre 2000 eine Rechtsprechung des OVG, die diese Regelung<br />

modifizierte. Es ist eben nicht so - es ist falsch, was mein Vorredner, Prof. Wolff,<br />

gesagt hat -, dass das OVG Frankfurt (Oder) angeordnet habe, dass es auf die erste<br />

Satzung ankomme. Es kam immer, auch vor der Rechtsänderung 2003 mit dem<br />

Zweiten Gesetz zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben, darauf an,<br />

dass es eine rechtswirksame Satzung gibt - nur die musste sich Rückwirkung auf den<br />

ersten Satzungsversuch beimessen. Das ist ein großer rechtlicher Unterschied.<br />

Deswegen hat unser OVG - nachfolgend auch das Bundesverwaltungsgericht und<br />

das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht - den Unterschied und den Rechtsfehler auch in dem<br />

Steiner-Gutachten, das immer durch den Raum geistert, herausgestellt. Es galt auch<br />

vor 2003/2004 nicht, dass es auf die erste Satzung überhaupt ankam, sondern immer<br />

auf die erste rechtswirksame Satzung. Deshalb gab es auch per 2004 keine<br />

Rechtsänderung, die diesen Status verändert hat. Aus diesem Grund hat das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht<br />

gesagt, dass es keine unzulässige Rückwirkung gibt.<br />

Daher wäre meine Empfehlung: Es gibt derart viele Rechtsmittel und Rechtsbehelfsverfahren,<br />

dass Sie jeden Monat Nichtzulassungsentscheidungen des Oberverwaltungsgerichtes<br />

haben, wo die betroffenen Kläger ohne Weiteres das Bundesverfassungsgericht<br />

anrufen könnten. Das ist nach meiner Kenntnis auch für den Fall, der<br />

dem Urteil des OVG vom 12.11.2008 zugrunde liegt, passiert. Da kam der berühmte<br />

Satz zurück, „die Verfassungsbeschwerde werde nicht zur Entscheidung angenommen.“


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Die Frage ist: Warum hat sich das durch die Bayern-Entscheidung geändert, da sich<br />

die Rechtslage derart evident ändert? Warum kann man nicht die Zeit geben, bis tatsächlich<br />

diese Verfassungsgerichtsentscheidung eintritt? - Wenn unser eigenes <strong>Land</strong>esverfassungsgericht<br />

sagt, die Regelung in <strong>Brandenburg</strong> sei chic und das Bundesverwaltungsgericht<br />

das drei Mal ebenso gesehen hat - warum kann nicht zugewartet<br />

werden? Könnte es vielleicht daran liegen, dass die Betroffenen selber nicht wirklich<br />

davon ausgehen können, dass das Bundesverfassungsgericht die Rechtslage in<br />

<strong>Brandenburg</strong> anders beurteilt als in Bayern? Das ist die Frage. - Danke.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Hornauf. - Ich möchte die Anzuhörenden darum bitten, sich etwas<br />

zurückzuhalten mit der Bewertung der Ausführungen der anderen Anzuhörenden.<br />

Der politische Schlagabtausch obliegt in diesem Haus den Abgeordneten. Wir haben<br />

Sie eingeladen, Ihren rechtlichen und fachlichen Sachverstand für unsere gesetzgeberische<br />

Beratung miteinzubringen.<br />

Ich eröffne die erste Fragerunde. Die Abgeordnete Nonnemacher beginnt.<br />

Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90):<br />

Ich hätte gern Herrn Prof. Martini gefragt. Sie haben in Ihren Ausführungen mehrfach<br />

erläutert, dass man das so machen könne, und haben auf den Referentenentwurf<br />

Bezug genommen. Ich würde aber trotzdem gern ganz konkret nach den Fristen fragen:<br />

Beziehen Sie sich auf die 15 Jahre, beziehen sich auf die 20 Jahre, und wie<br />

stehen Sie zu der Verjährungshemmung, die bis zum 03.10.2000 eingebaut worden<br />

ist? Ich bitte noch einmal um ein klares Statement zu den unterschiedlichen Fristen,<br />

weil diese Thematik für uns so schwierig zu verstehen ist.<br />

Dann hätte ich gern an Herrn Prof. Wolff eine Frage gestellt. Ihr Kollege Rechtsanwalt<br />

Zeutschel ist auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Urteil des <strong>Land</strong>esverfassungsgerichts<br />

<strong>Brandenburg</strong> vom 21.09.2012 und dem des Bundesverfassungsgerichts<br />

eingegangen - also dem Spannungsverhältnis zwischen dem Gleichheits- und<br />

Gleichbehandlungsgrundsatz einerseits, den das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht klar herausgestellt<br />

hat, und der Rechtssicherheit in Bezug auf die Fragen der Verjährungsfristen.<br />

Würden Sie dazu bitte noch einmal ausführen?<br />

An Herrn Rechtsanwalt Hornauf habe ich die Frage: Habe ich Sie richtig verstanden,<br />

dass Sie die Frage nach dem „Ob“, die Herr Prof. Martini mit Ja beantwortet hat -<br />

also: Ja, wir müssen aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil eine Schlussfolgerung<br />

ziehen -, mit Nein beantworten würden?<br />

Abgeordneter Goetz (FDP):<br />

Eine meiner Fragen richtet sich an alle bisher Angehörten. Es ist gesagt worden,<br />

dass es, wenn Beiträge ausfallen, zu einer Ungleichbehandlung führt, die Ihrerseits<br />

wieder gerügt werden könnte. Führt Verjährung letztlich nicht immer zu Ungleichbe-


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

handlungen, führt Verjährung eigentlich nicht immer dazu, dass einige nicht mehr<br />

zahlen, während andere in vergleichbaren Situationen bezahlt haben. Ergibt sich daraus<br />

umgekehrt ein Anspruch des dann gezahlt Habenden, gegen die anderen vorzugehen,<br />

weil aus der Ungleichbehandlung heraus sich ein Verfassungswiderspruch<br />

ergäbe? Das wäre die erste Frage.<br />

Eine zweite Frage. Die Verbände haben teilweise angeführt, dass für die Verbesserungen<br />

nach 1990, für neue Kläranlagen, neue Kanalisationen, für Pumpwerke und<br />

alles Mögliche, jetzt die erweiterten Beiträge erhoben werden sollen, weil irgendwann<br />

später etwas passiert ist und damit die Anschluss-, die Versorgungs- und Entsorgungssicherheit<br />

zugenommen hat. Wenn das so ist und wenn vor 1990 auch schon<br />

Anlagen vorhanden waren - müsste das nicht zwingend dazu führen, dass differenzierte<br />

Beiträge erhoben werden? Wobei das Ergebnis wäre, dass man - wenn gesagt<br />

wird, ich habe neue Anlagen und zahle den gleichen Beitrag - die Neuanschließer im<br />

Grunde genommen anders behandelt als die Altanschließer, weil diese schon eine<br />

Anlage hatten und nur die Verbesserung umgelegt werden soll. Das heißt, die Neuanschließer<br />

bekommen praktisch die alte Anlage umsonst mit, und die Altanschließer<br />

wären irgendwo zweimal herangezogen worden.<br />

Prof. Wolff, Sie sprachen den Vertrauensschutz an, dass man mal Rechtssicherheit<br />

haben müsse und sich die Frage stellen würde, ob überhaupt noch jemand mit Anschlussbeiträgen<br />

rechnen musste. Wie sehen Sie das für diejenigen, die vor 1990<br />

schon angeschlossen waren - vor Inkrafttreten eines Kommunalabgabengesetzes,<br />

vor der deutschen Einheit, in einer völlig anderen Situation, mit Blick auf das von<br />

Herrn Zeutschel angesprochene Beispiel aus den dreißiger Jahren und im Grunde<br />

über Jahrzehnte, teilweise schon über Generationen, an einer Ver- und Entsorgung<br />

hingen - mussten diejenigen überhaupt noch damit rechnen, dass Jahrzehnte später<br />

eine Mauer fällt, es dann ein Kommunalabgabengesetz gibt und nochmals 25 Jahre<br />

später möglicherweise Beiträge erhoben werden, oder sehen Sie dort einen stärkeren<br />

Vertrauensschutz für diese älteren Anschließer?<br />

Prof. Martini, Sie sagten, man müsse die Beitragserhebung an der Restlebenszeit<br />

des Angeschlossenen orientieren. Ist das so zu verstehen: Je älter der Angeschlossene,<br />

desto geringer sein Beitrag? - Es erschiene mir kurios, wenn das die Schlussfolgerung<br />

aus Ihren Darlegungen sein sollte.<br />

Von mehreren Rednern wurde gesagt, dass wir bis zum Jahre 2004 eigentlich schon<br />

einmal eine gewisse Klarheit hatten. Es gab die OVG-Entscheidung aus <strong>Brandenburg</strong>,<br />

die, wie hier angeführt wurde, für Rechtssicherheit sorgte und Belastungsklarheit<br />

herstellte. Wie geht man nun mit denen um, die in der Annahme des vollen Vertrauensschutzes<br />

2001/2002/2003 meinten, nie wieder herangezogen werden zu können?<br />

Müsste man nicht vor dem Hintergrund dieser OVG-Entscheidung, wenn man<br />

heute Regelungen trifft, diese so gestalten, dass diejenigen, die schon immer<br />

Rechtssicherheit hatten, nämlich bis 2004, diese Rechtssicherheit wieder erhalten<br />

und nicht auf eine feste Frist abheben, sondern auf das Vertrauen, das bei diesen<br />

Angeschlossenen seinerzeit bestanden hat?


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

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Das trifft sich auch mit Ihren Ausführungen, Herr Hornauf, weil vieles von dem, was<br />

Sie sagten, völlig richtig ist. Wenn Geld ausfällt, ist das für einen Verband immer<br />

schlimm, das verstehe ich auch. Es ändert aber nichts daran, dass Verjährungsregelungen<br />

greifen müssen und der Vertrauensschutz aus meiner Sicht dazu führen kann<br />

- da würde ich Sie fragen, wie Sie das sehen -, dass es irgendwann auch mal gut<br />

sein muss und Beiträge auch mal nicht mehr erhoben werden können, auch wenn es<br />

zu Ungleichbehandlungen führt.<br />

Sie sagten, wenn man es mit 15 Jahren mache, dann habe man nur noch einen Freischuss.<br />

- Wie viele Freischüsse wollen Sie denn noch haben, bis irgendwann mal die<br />

Verjährung eintreten soll? Irgendwann muss es aus meiner Sicht doch mal vorbei<br />

sein.<br />

Ein bisschen zugespitzt vielleicht die Frage - weil man sagt, man habe mit unwirksamen<br />

Satzungen immer wieder die Möglichkeit, neue Bescheide zu erheben -: Ist das<br />

letztlich nicht auch ein Stück Belohnung eigener Dummheit? Das von Ihnen genannte<br />

Beispiel „7.1“ ist natürlich ein extremes Beispiel. Wir haben aber durchaus die Situation<br />

- das jedenfalls erlebe ich -, dass Verbände sich heute massenhaft auf ihre<br />

eigenen Fehler aus früheren Jahren berufen. Kann es denn den Leuten angesonnen<br />

werden, ihnen zu sagen: Es tut mir leid, dass ich früher nicht durchgesehen habe,<br />

jetzt mache ich das neu, und du bist derjenige, der zahlt? - Wie wollen Sie das erklären?<br />

Das erscheint mir auch etwas schwierig.<br />

Abgeordneter Burkardt (CDU):<br />

Ich habe an die Verfassungsrechtler zunächst eine allgemeine Frage nach der Bedeutung<br />

von Leitsätzen. Es erschließt sich dem sich nicht ständig im verfassungsrechtlichen<br />

Bewegenden nicht unmittelbar, weil ich - jedenfalls in diesem Leitsatz -<br />

eine klare Aussage sehe, bei der mich der Hinweis, ich möge doch mal abwarten,<br />

was das Verfassungsgericht im weiteren Verlauf der derzeit anhängigen Rechtsverfahren<br />

vielleicht doch noch mal sagt, überhaupt nicht tröstet. Ich führe in meinem<br />

Portemonnaie immer einen kleinen Zettel mit, auf dem der Artikel 20 Absatz 3<br />

Grundgesetz steht: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung ()<br />

gebunden.“ - Dementsprechend betrachte ich es als Auftrag, zu handeln, wenn ein<br />

Verfassungsgericht feststellt, bestimmte Auswirkungen von Normen seien verfassungswidrig.<br />

Mich würde interessieren, was wir von dem Leitsatz zu halten haben.<br />

Die andere Frage richte ich an Herrn Prof. Martini. Sie haben das Fazit gebracht, die<br />

Regelung, die die <strong>Land</strong>esregierung vorschlägt, sei zwar verfassungsrechtlich noch<br />

hinnehmbar, sie sei aber risikobehaftet. Gilt das auch für die Konsequenzen aus der<br />

derzeit geltenden bzw. der dann zu schaffenden gesetzlichen Regelung für die Problematik,<br />

die Sie hinsichtlich der Auswirkungen für die bereits verjährten Forderungen<br />

sowohl in Ihrem Gutachten wie auch hier angesprochen haben, indem Sie sagten,<br />

das habe die Bedeutung einer echten Rückwirkung?


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Das Zweite ist die Addition von Festsetzungsverjährung und Ablaufhemmung. Wir<br />

haben nun nach dem Entwurf - 25 Jahre, die dabei herauskommen - eine geringfügige<br />

Verbesserung - die Verbände würden sagen: Verschlechterung - gegenüber den<br />

dreißig Jahren. Die Regelung ist in der faktischen Auswirkung viel weitergehend. Für<br />

diejenigen, die schon lange vor dem 3. Oktober 1990 angeschlossen waren, bedeutet<br />

das, dass sie über einen Zeitraum zu Beiträgen herangezogen werden können,<br />

der weit darüber hinaus liegt. Ich habe das Gefühl, dass der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts<br />

in seinem Beschluss - das ist meine nächste Frage -, welche Wege<br />

man denn beschreiten könnte, jedenfalls im Zusammenspiel zwischen Festsetzungsverjährung<br />

und Ablaufhemmung, additiv verstanden wird unter der Überschrift „Festsetzungsverjährung<br />

darf einen bestimmten Zeitraum nicht überschreiten“, und wenn<br />

das nicht reicht, nehme ich die Ablaufhemmung noch dazu.<br />

Ich würde um eine Aussage bitten, zu dem Thema Verantwortungsbereich für die<br />

Gründe, die zur Ablaufhemmung führen, und wie man eine 10-jährige Ablaufhemmung<br />

- das heißt, die haben 10 Jahre gebraucht, bis sie gelernt haben, wie man eine<br />

Satzung macht, wie man einen Beitragsbescheid erlässt - tatsächlich begründen will.<br />

Abgeordneter Wichmann (CDU):<br />

Als Letzter habe ich noch eine Bitte an Herrn Prof. Martini und eine Frage an Herrn<br />

Zeutschel.<br />

Herr Prof. Martini, Sie haben davon gesprochen, dass Sie bei dem uns vorliegenden<br />

Gesetzentwurf der <strong>Land</strong>esregierung mit der 15-jährigen Verjährungsfrist und der 10-<br />

jährigen Hemmung Risiken sehen, zumindest was einen Einklang mit der Verfassung<br />

angeht.<br />

Ich möchte es so formulieren: Wir haben nun eine sehr lange Geschichte hinter uns,<br />

was das Thema der Altanschließerbeiträge in <strong>Brandenburg</strong> betrifft. Wir befinden uns<br />

im Jahre 2013 und sprechen über Beiträge, die unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung<br />

hätten erhoben werden müssen, sollen oder können. Wenn wir im<br />

Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts uns heute hier versammelt<br />

haben, um zu beraten, wie wir mehr Rechtssicherheit in diese Materie bekommen<br />

können, wäre es aus meiner Sicht sehr wichtig, dass wir am Ende des Tages einen<br />

Gesetzgebungs- und Formulierungsvorschlag haben, wonach keine weiteren Risiken<br />

und Nebenwirkungen bezüglich der Verfassungsgemäßheit des Entwurfs bzw. des<br />

Vorschlages vorlägen.<br />

Ich möchte Sie bitten, noch etwas näher auszuführen, was Sie mit der Formulierung<br />

der Risiken gemeint haben. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht<br />

deutlich gemacht hat, dass eine Verjährung nicht erst nach Jahrzehnten<br />

- was der Plural von Jahrzehnt ist - eintreten kann. Wir sind ja bei dem vorliegenden<br />

Entwurf bei 25 Jahren. Ich denke, das Bundesverfassungsgericht wird<br />

nicht differenzieren zwischen der Hemmung der Verjährung und der Verjährung, sondern<br />

es wird eine Gesamtschau machen, wenn dort in Zukunft ein entsprechender<br />

<strong>Brandenburg</strong>er Fall vorgelegt würde. Deshalb möchte ich Sie bitten, auf diese Risi-


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ken noch etwas konkreter einzugehen.<br />

Zum anderen möchte ich Herrn Zeutschel fragen - Sie sind in Ihren Ausführungen<br />

nicht so richtig darauf eingegangen -, vor welcher Herausforderung wir als Gesetzgeber<br />

hinsichtlich des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts stehen, nämlich<br />

dem Aspekt der Rechtssicherheit in der Gesamtbetrachtung der Erhebung der Beiträge<br />

im Abgabenrecht etwas stärker Genüge zu tun.<br />

Wir haben jetzt die Situation, dass die Verjährung unter Umständen nie zu laufen beginnt,<br />

wenn eine Satzung nicht rechtswirksam ist. Ich möchte mich den Ausführungen<br />

meines Kollegen Burkardt anschließen; ich denke, es sind sich auch alle hier im<br />

Raum einig - das habe ich auch allen schriftlichen Stellungnahmen entnehmen können<br />

-, dass auf jeden Fall Handlungsbedarf in Bezug auf die Klarstellung eines Endes<br />

einer Verjährung besteht. Es kann nicht sein, dass es nie zu laufen beginnt. Insofern<br />

besteht ein Handlungsbedarf, wenn auch nicht unmittelbar durch das Urteil des<br />

Bundesverfassungsgerichts, aber zumindest mittelbar, sonst würden wir heute hier<br />

nicht zusammensitzen.<br />

Ich bitte Sie, Herr Zeutschel, uns noch einmal Ihre Sicht der Dinge mit auf den Weg<br />

zu geben, was wir als Gesetzgeber tun können, um dem Aspekt der Rechtssicherheit<br />

künftig in dem KAG stärker zur Geltung zu verhelfen. Ich habe von Ihnen nur gehört,<br />

wir sollten einfach mal zuwarten, bis der Fall irgendwann in Karlsruhe liegt. - Es kann<br />

nicht das Verständnis eines ordnungsgemäßen Gesetzgebers sein, die Dinge einfach<br />

noch weiter laufen zu lassen. Deshalb bitte ich Sie, uns noch mal einen Hinweis zu<br />

geben, wie Sie sich vorstellen, die Rechtssicherheit bei der Gesetzgebung stärker zu<br />

berücksichtigen.<br />

Das waren meine beiden Fragen bzw. Hinweise. - Dann würden wir mit Herrn Prof.<br />

Wolff beginnen und in der Reihenfolge des Blocks der Anzuhörenden Stück für Stück<br />

mit der Beantwortung der Fragen fortfahren.<br />

Herr Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff (Europa-Universität Viadrina Frankfurt<br />

[Oder], Lehrstuhl für Öffentliches Recht):<br />

Zur ersten Frage, wie die beiden verfassungsgerichtlichen Entscheidungen miteinander<br />

zu vereinbaren sind: Die brandenburgischen landesverfassungsgerichtlichen<br />

Entscheidungen beziehen sich auf einen anderen Fall als die Entscheidungen des<br />

Bundesverfassungsgerichts. Deshalb liegen sie in gewisser Form nebeneinander,<br />

aber sie haben Überschneidungsbereiche, die nicht miteinander verträglich sind.<br />

Die Entscheidung von <strong>Brandenburg</strong> - die Frage, wie verfassungsrechtlich die Änderung<br />

von § 8 Absatz 7 Satz 2 KAG zu beurteilen ist, und der tragende Gesichtspunkt<br />

des Verfassungsgerichts auf <strong>Brandenburg</strong> waren zwei Gesichtspunkte. Erstens: Die<br />

Festsetzungsverjährungsfrist hat noch nicht angefangen, deswegen liegt keine echte<br />

Rückwirkung vor. Insofern irre Herr Udo Steiner in seinem Rechtsgutachten, weil er<br />

übersehen habe, dass die Festsetzungsverjährung eine gültige Satzung voraussetzt.<br />

Das ist die erste wesentliche Aussage. Daran hat sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

nichts geändert. Diese Aussage ist weiterhin gültig.


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Die zweite Aussage war: Ist denn - abgesehen von der Festsetzungsverjährungfrage<br />

- eine Rückwirkung eingetreten oder nicht? Da sagt das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht:<br />

Nein. Es ist zwar eine Rückwirkung eingetreten, aber das ist eine unechte<br />

Rückwirkung und mit Vertrauensgesichtspunkten sei das alles noch vereinbar. Hier<br />

besteht materiell eine Fiktion mit der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung,<br />

weil das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht einen Gesichtspunkt übersehen hat, den das<br />

Bundesverfassungsgericht deutlicher sieht: Nämlich die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts<br />

Frankfurt (Oder) hat der Sache nach eine Frist für den Erlass einer<br />

gültigen Satzung eingeführt. Wenn Sie einen wirksamen Beitragsbescheid erlassen<br />

wollen, müssen Sie nach dem Entscheid des OVG Frankfurt (Oder), wenn ein erster<br />

ungültiger Satzungsversuch vorliegt, die nächste gültige Satzung innerhalb von vier<br />

Jahren erlassen, sonst geht es schief. Das hat das OVG Frankfurt (Oder) der Sache<br />

nach gesagt. Das ist eindeutig. Das ist auch die Kernaussage meines Gutachtens.<br />

Dieses Problem bzw. den Gesichtspunkt, dass der Sache nach eine Frist für den Erlass<br />

einer wirksamen Satzung eingeführt wurde, hat Potsdam leider übersehen; das<br />

kommt wertungsmäßig nicht vor. Diesen Gesichtspunkt sieht das Bundesverfassungsgericht,<br />

weil es nämlich auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Vorteilsgewährung<br />

abstellt.<br />

Darf ich noch einmal sagen, was wirklich zentral ist: Es geht hier um Hoheitsgewalt.<br />

Das ist eine sehr sensible Sache; ich weiß, dass Sie das wissen, weil Sie das jeden<br />

Tag handhaben.<br />

Noch einmal: Es ist wirklich etwas anderes, ob Sie einen Vertrag schließen oder<br />

nicht. Sie müssen, wenn Sie mit der Hoheitsgewalt umgehen, vorsichtig sein.<br />

Wie wäre die Lage, wenn Sie mit dem Betroffenen einen Vertrag schließen würden?<br />

Dann müssten in dem Moment, indem die Leistung vereinbart wird, die Vertragsbedingungen<br />

klar sein. Der Zeitpunkt des Vertragsschlusses wäre der Anschluss an die<br />

Abwasseranlage; zu dem Zeitpunkt muss es klar sein. Wenn Sie jetzt den Vertragsschluss<br />

durch eine Abgabe substituieren, muss zum Zeitpunkt des - sonstigen - Vertragsschlusses<br />

klar sein, in welcher Form die Abgabe kommt. Wenn Sie es mehrstufig<br />

machen - Gesetz, Satzung, Verwaltungsakt -, dann muss auf jeder dieser Stufen<br />

eine Frist da sein oder eben eine Frist für alles. Aber Sie hatten auf der Stufe der<br />

Satzung keine Frist, und das hat das OVG Frankfurt (Oder) der Sache nach eingeführt.<br />

Die haben sie jetzt wieder weggenommen. Da sagt das Bundesverfassungsgericht<br />

vollständig klar: Es muss der Sache nach eine Frist für diese Satzung her. Und<br />

das haben Sie in <strong>Brandenburg</strong> nicht. Deswegen teilweise Vereinbarung, teilweise<br />

Nichtübereinstimmung zwischen den beiden Verfassungsgerichtsentscheiden.<br />

Zu den Fragen von Herrn Goetz: Ist jeder Verjährung eine Ungleichbehandlung immanent?<br />

Antwort: Ja.<br />

Zweitens: Das Bundesverfassungsgericht sagt immer, wenn sich jemand gegen<br />

Steuern wehrt, dass diejenigen, die sich dagegen wehren, weil Rechtsschutzverfah-


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ren laufen, von der verfassungsrechtlich notwendigen Änderung noch einbezogen<br />

werden, und die anderen, die haben bestandskräftig werden lassen, müssen halt<br />

zahlen. Das ist auch eine Ungleichbehandlung. Das ist nicht schön, ist im Rechtsstaat<br />

wirklich nicht schön, dass diejenigen, die sich nicht wehren, die Doofen sind,<br />

und die, die sich wehren, gut wegkommen. Aber ich weiß auch keine bessere Lösung.<br />

Und immanent ist es sicher.<br />

Zweite Frage: Wie ist es mit den Beiträgen, wenn die Anlage fortgeführt wird und<br />

man verschiedene Anlagen hat? Der Beitrag muss sich auf die Anlage beziehen, an<br />

die ich angeschlossen werde. Wenn die Anlage sich ändert, wird es ganz kompliziert,<br />

Herr Goetz, da wäre ich gern von einer substanziellen Antwort befreit. Da unterläuft<br />

mir bestimmt ein Fehler, wenn ich jetzt sachlich darauf antworte.<br />

Drittens, der Vertrauensschutz: Wie ist das denn mit den Anlegern, die vor 1990<br />

schon angeschlossen waren? Haben die nicht einen anderen Vertrauensschutz als<br />

diejenigen, die erst 1995 angeschlossen waren? „Gefühlt“ haben sie einen anderen<br />

Vertrauensschutz. Sachlich haben sie eigentlich keinen anderen Vertrauensschutz,<br />

wenn man die Rechtsprechung ernst nimmt, denn die Rechtsprechung sagt: Sie dürfen,<br />

auch wenn Sie 1990 angeschlossen waren, nur für eine neue Anlage herangezogen<br />

werden. Jetzt tricksen Sie ein bisschen mit der Feinheit „neu“, weil Sie „neu“<br />

nicht auf die Anlage beziehen, sondern auf den Rechtsträger, der die Anlage hat, weil<br />

Sie sagen: Es gibt keine Zweckverbände. - Das ist ein Trick. Ich glaube, den muss<br />

man bei so etwas wie der deutschen Wiedervereinigung mitmachen. Das muss<br />

schon auch erlaubt sein, dass man jetzt trickst und sagt: „Neu ist auch, wenn der<br />

Rechtsträger “ - Aber dann bitte nur für Investitionen, die ab 1990 kommen. Das ist<br />

auch die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong>. Deswegen: Emotional kann ich es nachvollziehen,<br />

dass man sagt, das ist eine andere Rechtslage. Andererseits würde ich sagen:<br />

Diesen Hemmschuh muss man schon tragen, wenn man eine deutsche Wiedervereinigung<br />

stemmen will.<br />

Die vierte Frage: War der Vertrauensschutz im Jahr 2001 nicht relativ klar? Haben<br />

wir den Vertrauensschutz nicht aufgehoben, und müssten bei einer Rechtsänderung<br />

nicht diejenigen, die im Jahr 2001 durch die Rechtsprechung des OVG Frankfurt<br />

(Oder) geschützt wären, geschützt werden? Die Antwort: Ja! Selbstverständlich.<br />

Meines Erachtens ja, vom Vertrauensgrundsatz her ja. Ich weiß, dass ich damit entgegen<br />

sämtlicher Rechtsprechung der Gerichte in <strong>Brandenburg</strong> stehe und der Sache<br />

nach auch dem Gutachten von Steiner. Es ist trotzdem richtig. Herr Steiner macht<br />

einen formalen Fehler. Er macht aber keinen materiellen Fehler. Man stützt sich immer<br />

nur auf den formalen Fehler, den er macht.<br />

Zu der Frage von Herrn Burkardt: Was ist die allgemeine Wirkung zu den Leitsätzen?<br />

Das ist eine dogmatische und eine sehr schöne Frage. Die Antwort ist: Das ist nicht<br />

ganz eindeutig. Es ist deswegen nicht eindeutig, weil verschiedene Gesichtspunkte<br />

mitspielen. Die Leitsätze sind beim Entstehungsprozess - vielleicht darf ich das kurz<br />

einschieben, um es verständlicher zu machen - keine sehr wesentliche Frage. Der<br />

Senat berät die Entscheidung, fällt die Urteilsentscheidung. Dann kommt der Berichterstatter<br />

- ich war mal bei einem solchen Ding beteiligt - zu einem der wissenschaftlichen<br />

Mitarbeiter: „Mach‘ mal die Leitsätze!“ Unter den Mitarbeitern ist es dann derje-


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nige, der sich am meisten reingehängt hat; das ist ein Adelsschlag für ihn. Die Leitsätze<br />

werden dann noch einmal im Senat beraten, und wenn sie nicht stimmen, auch<br />

umformuliert. Aber sie sind der Sache nach nur von minderer Bedeutung. Rechtlich<br />

hätten sie eine erhebliche Bedeutung, wenn man sie als eine Konkretisierung des<br />

Senats, der sogenannten tragenden Grundsätze in § 31 Absatz 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz<br />

(BVerfGG) erstehen würde. Aufhebende Entscheidungen des<br />

Bundesverfassungsgerichts haben Gesetzeskraft. Das Bundesverfassungsgericht<br />

hat rechtswidrig diese Gesetzeskraft auf tragende Grundsätze erstreckt - das ist verfassungswidrig,<br />

aber ständige Rechtspraxis. Was „tragende Grundsätze“ sind, weiß<br />

kein Mensch. Bei der Frage, was tragende Grundsätze sind, hätten die Leitsätze<br />

aber eine juristische Funktion, das ist unbestreitbar.<br />

Könnten die tragenden Grundsätze so weit reichen, dass ein tragender Grundsatz<br />

auch auf eine andere gesetzliche Entscheidung als die, die angegriffen ist, übertragen<br />

wird? Das wäre die für uns relevante Frage. Es sprechen schon gute Gründe<br />

dafür, dass man das so tun kann. Es ist aber nicht zwingend.<br />

Wie ist das Verhältnis Verjährung, festsetzende Hemmung? - 25 Jahre. Das ist Herr<br />

Prof. Martini noch einmal gefragt worden. Er hat das vorhin so schön gemacht, so<br />

schön kann ich es nicht. Deshalb schließe ich mich ihm vollständig an - bis auf seine<br />

Conclusio, da ist er noch ein bisschen zu freundlich; er ist auch noch etwas jünger.<br />

Zu der Frage bezüglich der Addition: Natürlich wird das Bundesverfassungsgericht<br />

alle Fristen zusammenaddieren.<br />

Wie ist das mit den 25 Jahren? Würde das Bundesverfassungsgericht das halten?<br />

Ich glaube nicht, dass es das halten würde, aber niemand kann seriös eine verfassungsgerichtliche<br />

Entscheidung vorhersagen. Wenn das jemand behauptet: Glauben<br />

Sie ihm kein Wort! Aber die Risiken, die Sie eingehen, sind wirklich hoch.<br />

Zu der Frage der Ablaufhemmung hat sich das Verfassungsgericht nicht geäußert. Zu<br />

der Frage „Ist die Situation der Wiedervereinigung ein Gesichtspunkt für eine längere<br />

Frist?“ hat sich das Gericht bei dem bayerischen Fall nicht geäußert. Das Verfassungsgericht<br />

würde <strong>Brandenburg</strong> einen längeren Zeitraum einräumen als Bayern; da<br />

bin ich sicher. Würde es so weit einräumen, dass die zentralen Aussagen aufgehoben<br />

werden? - Nein. Die zentralen Aussagen bleiben. Dass im Normalfall keine Jahrzehnte<br />

herauskommen dürfen und es für den Normalfall so ist, dass das Verfassungsgericht<br />

gesagt hat: wenn du die Lösung vom OVG Münster übernimmst und<br />

der Sache nach die Festsetzungsverjährung auch Gesamtverjährung wird - weil nämlich<br />

die Festsetzungsverjährung durch die Rückwirkungspflicht gleichzeitig zu einer<br />

Satzungserlasspflicht in den Fällen wird, in denen noch keine Beiträge erlassen wurden.<br />

Um die Fälle geht es. Denn wenn Beiträge erlassen wurden, ist es ja anders.<br />

Aber für die Fälle, für die noch kein Beitragsbescheid erlassen wurde, ist die Festsetzungsverjährungsfrist<br />

nach dem OVG Münster gleichzeitig eine Satzungserlassfrist,<br />

und für den Fall, sagt das Bundesverfassungsgericht, sind mir die vier Jahre ein<br />

bisschen kurz. Wenn man also Festsetzungsverjährung und Satzungsverjährung<br />

nimmt, spricht es von einer Verlängerung der Festsetzungsverjährung. Es spricht<br />

nicht von einer Verdoppelung, Verdreifachung, Vervierfachung - es spricht von einer


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Verlängerung. Deswegen: Wenn Sie eine vierjährige Frist verlängern, sind Sie maximal<br />

bei acht, sonst ist es eine Verdoppelung. Dann nehmen Sie noch Ihre Hemmungen<br />

dazu, dann sind Sie aber deutlich unter 25 Jahren.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Wolff. Wir müssen auch etwas darauf achten, dass die Antworten<br />

nicht zu lang ausfallen, sonst reicht die Zeit nicht für die weiteren Anzuhörendenblöcke.<br />

- Herr Prof. Martini hat das Wort.<br />

Herr Prof. Dr. Mario Martini (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften<br />

Speyer):<br />

Von Risiken und Nebenwirkungen war vielfach die Rede. Juristen und Mediziner haben<br />

da sicher eines gemeinsam: Bei dem, was sie tun, ist nichts ohne Risiken. Das<br />

gilt auch bei der Einschätzung von Gesetzen. Vielleicht gibt es einen Unterschied:<br />

Wenn ein Jurist einem Sarg folgt, dann folgt da vielleicht weniger oft die Ursache der<br />

Wirkung, als wenn ein Mediziner einem Sarg folgt. Aber ganz sicher kann das auch -<br />

wie Prof. Wolff sagte - nur eine Prognose sein, die auf einer ganz großen Unsicherheit<br />

beruht, wenn wir uns ein Urteil darüber erlauben: Wie wird das Bundesverfassungsgericht<br />

wahrscheinlich entscheiden?<br />

Da bin ich auch gleich bei der Frage der Abgeordneten Nonnemacher. Wie sieht die<br />

Fristenkonzeption genau aus, und kann man sich nicht konkreter äußern, wann noch<br />

eine Frist zulässig ist und wann nicht? Hier ist der Ball vor allem im Spielfeld des Gesetzgebers.<br />

Der breite Spielraum steht aus meiner Sicht zunächst im Vordergrund.<br />

Eine konkrete Frist „Genau bis hierhin und nicht weiter!“ dürfte man wohl kaum so<br />

dem Urteil entnehmen können, wenn man sie auf einen Punkt herunterbricht. Es geht<br />

um Zonen und deren Eingrenzung. Aus meiner Sicht liegt eine kritische Grenze dort,<br />

wo die 30-Jahres-Frist berührt ist.<br />

Wie schätze ich die Risiken konkret ein? Die Risiken sind aus meiner Sicht in dem<br />

Bereich vertretbar, wo man sich unterhalb der 30 Jahre bewegt, weil es Gründe dafür<br />

geben kann, in einem Interessenausgleich dafür zu sorgen, den Gedanken der Beitragsgerechtigkeit<br />

gegen den Gedanken der Belastungsklarheit so abzuwägen, dass<br />

man sagen kann: In diesem Zeitraum ist das noch vertretbar. Ich halte es zumindest<br />

nicht für völlig unangemessen.<br />

Wie verhält sich die Verjährungshemmung zu der Frage der Verjährungsfrist im eigentlichen<br />

Sinne? Das kam zweimal zur Sprache und ist im Wesentlichen von Herrn<br />

Wichmann und Herrn Prof. Wolff schon beantwortet worden. Die Gesamtdauer ist es,<br />

die zählt, wie der Gesetzgeber das konzipiert, ob er das Hemmung nennt oder er sie<br />

als eine Form der Verjährungsfrist gestaltet. Letztlich ist zweitrangig, dass eine Verjährungshemmung<br />

durchaus denkbar ist, deutet das Verfassungsgericht in Randnummer<br />

50 des Beschlusses an. Es spricht ausdrücklich davon, der Gesetzgeber<br />

kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist und dann Regelungen der<br />

Verjährungshemmung usw. verbinden. Klar muss dem Bürger sein: Ich habe eine<br />

Perspektive, wann die Frist endet. - Wie die genannt wird, ist zunächst zweitrangig.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Die Trennung des Konzepts zwischen Hemmung und festem Lauf der Frist halte ich<br />

durchaus für sinnvoll, weil man sagen kann: Für diese Zeit der deutschen Einheit und<br />

der Wende gab es eine große Unsicherheit. Das rechtfertigte auch, von einer Verjährung<br />

zu sprechen, aber für die Zukunft in einem konsequenten Konzept klarzustellen:<br />

15 Jahre sind für uns das Maß der Dinge, wenn man sich das als politischen Konsens<br />

auf die Fahnen schreibt. Insofern: Die Gesamtlage ist entscheidend.<br />

Zu der Frage des Abgeordneten Goetz hat Herr Prof. Wolff den Leitsatz, den ich nicht<br />

schöner ausdrücken könnte, gesagt: Die Verjährung führt zu Ungerechtigkeiten.<br />

In einem Punkt war ich konkret angesprochen - wie verhält es sich mit der Lebenserwartung,<br />

mit der ich argumentiert habe, von der ich Schlüsse herzuleiten versucht<br />

habe. Die Frage war: Kann das richtig sein: Je älter der Anschlussnehmer, desto weniger<br />

darf er belastet werden? - Das kann nicht richtig sein. So ist es aber auch nicht<br />

zu verstehen. Es geht nur um eine Typisierungsberechnung. Der Gesetzgeber hat<br />

eine bunte Vielfalt von Lebenssachverhalten vor Augen und muss sich fragen: In<br />

welchen Fällen erwartet einen Anschlussnehmer typischerweise ein solcher Beitragsbescheid,<br />

und welche Lebenserwartung hat er typischerweise? Da sollte man<br />

nicht von null Jahren ausgehen, denn das ist nicht die reale Situation, sondern: Etwa<br />

30 Jahre scheinen mir ein guter Anknüpfungspunkt zu sein, um von dort aus zu fragen:<br />

Wie stark ist die Auswirkung auf die Lebensentwürfe des Betroffenen? Von hier<br />

aus kann man sicher sagen: Wenn die über die eigene Lebenszeit hinaus reicht,<br />

dann ist das nicht mehr vertretbar. Vertretbar heißt im Grunde: Du bist für deine gesamte<br />

Lebensdauer in der Haftung. - Das wäre dem Verfassungsgericht insofern<br />

auch zu lange.<br />

Einen weiteren Punkt hatten Sie bei mir konkret angesprochen: Wie war die Rechtslage<br />

bis 2004? Wie ist damit umzugehen? Auch dazu ist schon Entscheidendes gesagt<br />

worden. Bis 2004 war die Gesetzeslage in <strong>Brandenburg</strong> verfassungskonform.<br />

Aus heutiger Perspektive würde man auch klar sagen müssen, das <strong>Brandenburg</strong>ische<br />

KAG wäre verfassungskonform auszulegen gewesen, hätte man diesen Aspekt<br />

so schon gesehen. Nun soll diese Regelung, die verfassungskonform war, mit einer<br />

gewissen Rückwirkung - ich sage das vorsichtig, weil es eine unechte Rückwirkung<br />

ist - verknüpft werden. Es hat ganz sicher ein Risiko, wenn man einen verfassungskonformen<br />

Zustand nachträglich mit einer Zusatzbelastung versieht.<br />

Ich habe die Vermutung, dass das Bundesverfassungsgericht die Frage anders beantworten<br />

wird, als es das Verfassungsgericht <strong>Brandenburg</strong> im letzten Jahr getan<br />

hat. Auch das ist nur eine Prognose, die auf einer großen Unsicherheit beruht. Aber<br />

das Betonen von Belastungsklarheit und Vorhersehbarkeit deutet mir an, dass das<br />

Verfassungsgericht dem ein solches Gewicht einräumt, dass für solche Fälle nicht<br />

sozusagen im Nachhinein der Boden für das Vertrauen, das entsteht, entzogen werden<br />

soll. Das OVG <strong>Brandenburg</strong> hat argumentiert: Es ist ja erst viel später überhaupt<br />

Vertrauen entstanden, weil so spät entschieden worden ist. - Darauf kommt es aus<br />

meiner Sicht nicht entscheidend an. Entscheidend muss die objektive Gesetzeslage<br />

sein, wie sie bestanden hat, und auf der Grundlage darf ich dann auch die entsprechende<br />

Vertrauensüberlegung aufbauen, sonst kann man genau diesen Vertrauensschutz<br />

mit der gleichen Argumentation auch umkehren.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Zur Frage des Abgeordneten Burkardt zur Bedeutung von Leitsätzen: Auch dazu ist<br />

alles gesagt worden, ich kann dem nichts hinzufügen.<br />

Noch einmal zu dem Punkt „Es gibt keine Regelung ohne Risiko“, den Sie thematisiert<br />

hatten. Das berührte auch die Frage: Wie verhalten sich Verjährungshemmung<br />

und Verjährungsfrist zueinander? Da wiederhole ich etwas: Auch hier der Gedanke<br />

des Gesamtkonzepts.<br />

Den Verantwortungsbereich hatten Sie angesprochen. Das ist durchaus ein wichtiger<br />

Gesichtspunkt: Wem fällt das Risiko eigentlich zur Last? Welche Verantwortungsund<br />

Risikosphäre ist betroffen? Das ist eigentlich diejenige des Staates und das<br />

rechtfertigt durchaus, diese Last auch demjenigen zuzusprechen, der es verantwortet.<br />

Auf der anderen Seite ist es ein ganzes Tableau unterschiedlicher Aspekte. Die<br />

Beitragsgerechtigkeit als einer der ganz wichtigen Aspekte, die Langfristigkeit von<br />

Investitionen im Bereich der Anschlussbeiträge, das sind alles Gesichtspunkte, die<br />

sozusagen in die Waagschale fallen und aus meiner Sicht nicht ein ganz klares Abwägungsergebnis<br />

dahin gehend hervorbringen, dass man sagen kann: Es kann nur<br />

ein Zeitraum von fünf Jahren sein. Da würde ich dem Gesetzgeber genau diese<br />

Prämisse und seinen Gestaltungsspielraum auch in vollem Umfang zugestehen.<br />

Zu der Frage von Herrn Wichmann: Rückwirkung war dort ein Stichwort und die Frage:<br />

Würde das Bundesverfassungsgericht anders entscheiden? Ich denke: Ja. Auch<br />

den Gesichtspunkt der Jahrzehnte hatten Sie angesprochen. Da würde ich den Wortlaut<br />

nicht so stark beim einzelnen Buchstaben nehmen. Es ist ja ein Kontext der Entscheidung,<br />

in dem es heißt: Es entsteht dann ein Risiko, dass über Jahrzehnte hinweg<br />

jemand in Anspruch genommen wird. Daraus würde ich noch nicht herleiten,<br />

dass unbedingt jede Jahrzehnteüberschreitung gleich zur Verfassungswidrigkeit<br />

führt, sondern sagen: Das ist ein Grenzbereich, wo das Verfassungsgericht Sorgenfalten<br />

hat, die aber noch nicht aussagen: Da, wo es um mehr als zwei Jahrzehnte<br />

geht, ist eine ganz klare Verfassungswidrigkeit ausgesprochen. Denn entscheidend<br />

ist: Ich brauche eine klare Perspektive, eine Frist, mit der ich rechnen muss, die nicht<br />

meine Lebenserwartung übersteigen darf. Aber damit darf dann auch die Grenze hinreichend<br />

definiert werden.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Prof. Martini. Bevor ich Herrn Zeutschel das Wort gebe, muss ich<br />

den Adressaten meiner zweiten Frage korrigieren: Nicht Herr Zeutschel war gemeint,<br />

sondern Herr Hornauf. Ich denke, aus dem Kontext meiner Frage hat sich das auch<br />

ergeben.<br />

Herr Zeutschel hat jetzt die Gelegenheit, auch noch auf die an ihn gerichteten Fragen<br />

zu antworten.<br />

Herr Ingo Zeutschel (Zeutschel & Schröder Rechtsanwälte):<br />

Zu den Lösungsmöglichkeiten - der Frage auch von Herrn Goetz -: Die Lösungsmög-


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 30<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

lichkeiten müssen da her, wo die Probleme am größten sind. Aus meiner Sicht ist das<br />

größte Problem im Regierungsentwurf die Frage der Verjährungshemmung. Darum<br />

habe ich vorhin auch etwas zu der Sondersituation der deutschen Einheit und zu der<br />

Frage des Transformationsprozesses gesagt. Ich habe ausgeführt, dass sich eine<br />

solche Hemmungsfrist, die ja damit begründet wurde, eben nicht begründen lässt.<br />

Wenn man hinter vorgehaltener Hand mit Vertretern von Aufgabenträgern spricht,<br />

dann erfährt man drei grundsätzliche Aussagen:<br />

Erstens: Eigentlich wollten wir lange Zeit die Altanschließer gar nicht in Anspruch<br />

nehmen.<br />

Zweitens: Wir sind von den Urteilen der Verwaltungsgerichte sehr überrascht worden.<br />

Drittens: Na ja, jetzt müssen wir.<br />

Wollen Sie denen wirklich eine Hemmung für zehn Jahre einrichten, die Sie im Prinzip<br />

nie auf dem Schirm hatten? Ich denke, dass das nicht gerechtfertigt wäre. Hinzu<br />

kommt: Wenn es jetzt eine Obergrenzenregelung sein soll, dann sollte man bitte<br />

nicht daran denken, die vielleicht wegfallende Hemmung - weil die sich dann nicht<br />

begründen lässt - mit einer Verlängerung dann doch wieder auf 25 Jahre zu reparieren,<br />

nach dem Motto: 10 plus 15 - machen wir doch 25. - Da schließe ich mich Herrn<br />

Prof. Wolff an, der auch gesagt hat: Das wäre dann wesentlich mehr als die allgemeine<br />

Verjährungsfrist. Also: eine Obergrenzenregelung vielleicht, aber maximal das<br />

Doppelte der üblichen Verjährung und nicht eine so lange Zeit. Und: Die Hemmung<br />

lässt sich überhaupt nicht begründen.<br />

Herr Goetz hatte auch etwas zu Verbesserungsbeiträgen gesagt. Ich habe ja auch<br />

ausgeführt: Warum hat man denn nicht wie in so vielen Bereichen Anfang der neunziger<br />

Jahre Lösungsmöglichkeiten gefunden für vieles, hat auch einmal in andere<br />

Bundesländer geschaut? Dann hätte man vielleicht im Bereich der Aufgabenträger<br />

sehen können, dass in den alten Bundesländern in den achtziger Jahren für ähnliche<br />

Situationen durchaus Lösungen gefunden worden sind. Da wurde von mechanischer<br />

auf vollbiologische Klärung umgestellt. Da gab es auch altangeschlossene Grundstücke<br />

aus den Jahren 1930, 1940, 1950. Dann hat man denen mitgeteilt, was das kosten<br />

wird. Dann hat man eine Verbesserungsbeitragssatzung gemacht, und nachher<br />

waren alle zufrieden. Auch diese Möglichkeit hätte Anfang der neunziger Jahre bestanden;<br />

man hätte also nichts Neues erfinden müssen.<br />

Herr Sven Hornauf (Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki & Hornauf):<br />

Herr Vorsitzender, ich beginne mit Ihrer Frage: Rechtssicherheit irgendwann oder<br />

irgendwann nicht? Was haben wir denn im Augenblick? Wir haben im Augenblick ein<br />

Gesetz, was offensichtlich sogar - wenn man sich den jüngsten Beschluss des Verwaltungsgerichtes<br />

(VG) Cottbus ansieht - von einem Gericht, was meint, dass hier<br />

ein verfassungsrechtliches Problem liegt, weiter angewandt wird, und das einen Beitragsbescheid<br />

durchgelassen hat. Insofern muss ich die Frage so beantworten, dass<br />

das bisher das einzige Judikat ist, was sich überhaupt in Bezug auf eine mögliche<br />

Verfassungswidrigkeit der <strong>Brandenburg</strong>er Regelung bestätigend äußert. Da stellt sich


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 31<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

die Frage, wie damit umzugehen ist, wenn das Gericht selber aber hier weiterhin die<br />

Rechtsanwendung zulässt und auch verlangt. Auf der anderen Seite haben zwei<br />

Kammern des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) das genau anders gesehen und<br />

auf die Unterschiede der Rechtslage in Bayern und <strong>Brandenburg</strong> abgestellt und gerade<br />

keinen Eingriff gesehen. Wenn man es ganz platt macht, steht es 2:1 für ein<br />

schickes <strong>Brandenburg</strong>er KAG.<br />

Nehmen Sie beispielsweise das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin, das ich<br />

auch angeführt habe, was sich ja sehr umfassend und tief mit den Unterscheidungen<br />

befasst. Gut, da könnte man sagen: Rechtslage Mecklenburg-Vorpommern. Aber<br />

immerhin ist Mecklenburg-Vorpommern wortgleich, was die Frage der Entstehung<br />

der sachlichen Beitragspflicht und der Verjährung betrifft, mit <strong>Brandenburg</strong>, also doch<br />

wesentlich näher als Bayern. Dann kann man eben sagen: Diese Rechtssicherheit<br />

besteht aktuell. Auch unsere Gerichte sehen keinen Anlass, hier die Beitragserhebung<br />

zu stoppen oder einzugreifen. Deshalb und gerade weil ohnehin immer wieder<br />

Verfassungsbeschwerden anhängig gemacht werden, die ja jetzt automatisch diesen<br />

Inhalt mit tragen, den Vorhalt, das das KAG hier fehlerhaft wäre oder eine Lücke hat,<br />

gerade weil es bereits anhängige Verfahren gibt, braucht man nicht bis sonst wann<br />

zuwarten, sondern muss diese Entscheidung tatsächlich nur zur Kenntnis nehmen.<br />

Was ich als Problem ansehe, ist: Was passiert, wenn es wieder - wie beim letzten<br />

Mal - einfach nur zurückgeschickt wird? Wenn offensichtlich dann Karlsruhe bisher<br />

kein Problem mit <strong>Brandenburg</strong> hatte, nämlich einfach einen Nichtannahmebeschluss<br />

in der Kammer gefasst hat - wird nicht zur Entscheidung angenommen; da kriegen<br />

Sie keine Gründe, das ist nicht so charmant wie in <strong>Brandenburg</strong> beim <strong>Land</strong>esverfassungsgericht,<br />

wo Sie sogar bei einer völlig unsinnigen Verfassungsbeschwere noch<br />

eine Begründung für die Ablehnung bekommen -, sondern da steht dann nichts drin.<br />

Das hilft Ihnen nicht weiter. Dann werden sich die Betroffenen wieder - so haben wir<br />

es die letzten Jahre erlebt - an den Strohhalm klammern: Das Verfassungsgericht hat<br />

ja noch gar nicht darüber befunden! Das haben wir die letzten Jahre immer wieder<br />

gesehen. Immer, wenn ein Gericht die <strong>Brandenburg</strong>er Regelung bestätigt hat, kam<br />

dann die Durchhalteparole „Aber mein Beitragsbescheid und diese spezielle Beitragssatzung<br />

und unsere Konstellation, die war ja noch nicht bei Verfassungsgericht!“<br />

Wenn alle zum Verfassungsgericht gingen, die einen Beitragsbescheid bekommen -<br />

im letzten Jahr hatten wir 150 000 Beitragsbescheide in <strong>Brandenburg</strong> -, könnten sie<br />

in Karlsruhe für uns ein eigenes Gericht aufmachen. Aus diesem Grund würde ich<br />

Ihre Frage glatt verneinen, dass wir aus Gründen der Rechtssicherheit jetzt sofort<br />

tätig werden müssen. Wir könnten uns durchaus diese Zeitschiene, die ja auch der<br />

Freistaat Bayern vom Bundesverfassungsgericht bekommen hat, ohne Weiteres zubilligen<br />

und sehen, wie die Rechtsprechung tatsächlich damit umgeht. Denn das ist<br />

aus meiner Sicht der Knackpunkt, der hier beachtet werden muss: Wie wird unsere<br />

Rechtsprechung mit einem Eingriff des Gesetzgebers umgehen?<br />

Antizipieren wir das einmal: Sie fügen irgendeine Grenze ein. Es ist völlig egal, ob<br />

das Ablaufhemmung oder Begrenzung der Verjährungsfrist heißt. Wir haben irgendwann<br />

eine starre Grenze, wie auch immer begründet. Die wirkt irgendwann, und das<br />

ist der Punkt. Sie können, wenn es sich als „schädlich“ oder gar überflüssig herausstellt,<br />

diese Rechtsfolge, die Sie dann setzen, nicht mehr rückgängig machen, denn


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 32<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

dann haben Sie einen echten Vertrauenstatbestand. Wenn Sie jetzt eine Zahl ins<br />

Gesetz schreiben oder eine Regelung, die letztlich zu einer konkreten Zahl, einer<br />

Jahreszahl führt, in das Gesetz aufnehmen, dann - ich glaube, da sind wir uns ausnahmsweise<br />

alle einig - würde sich jeder Abgabepflichtige auf diese Zahl berufen<br />

können. Das vermittelt ihm Vertrauensschutz. Und das ist der Punkt, wo ich etwas<br />

von Ihnen abweiche. Ich weiß, ich soll nicht werten - aber um das klar zu machen.<br />

Das OVG und auch das Bundesverwaltungsgericht haben die Nichtverjährung und<br />

die Nichtrückwirkung damit begründet, dass das, was bis 2004 bei uns verjährt war,<br />

verjährt bleibt, und nur das, was bis 2004 noch nicht verjährt war, dann auch nur<br />

nach der neuen gesetzlichen Regelungen zum 01.02.2004 verjähren kann. Das<br />

heißt, niemand würde nach Meinung der Gerichte schlechter gestellt oder in seinem<br />

Vertrauen enttäuscht. Das ist der maßgebende Punkt. Das würden wir jetzt erstmalig<br />

begründen, wenn wir eine starre Frist hineinnähmen. Deswegen - da komme ich zu<br />

der Frage von Frau Nonnemacher - gehe ich davon aus, dass ich das „Ob“ verneine.<br />

Wir haben derzeit eine klare Rechtslage, und die sollte auch beibehalten werden.<br />

Herr Goetz, Herr Burkardt, ich denke, es kommt letztlich auf das Gleiche heraus. Wie<br />

sollte man begründen, dass man jetzt zeitlich noch so viel Luft gibt; ob 15, 20, 30<br />

Jahre ist völlig egal. Herr Goetz hat es auf den Punkt gebracht: Belohnt man damit<br />

nicht die Aufgabenträger? Ich denke, das greift zu kurz, weil das auch Bestandteil der<br />

Problematik ist, die letztlich diese „Differenzierung“ zwischen Festsetzungsverjährungslauf<br />

oder -frist und Ablaufhemmung begründen kann.<br />

Wir haben zunächst tatsächlich besondere Verhältnisse gehabt. Wir hatten zehn Jahre<br />

Rechtsunsicherheit - und zwar geschaffen durch den Gesetzgeber der frühen<br />

neunziger Jahre -, ob ein Zweckverband überhaupt existiert. Zwei Mal musste der<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> durch das Zweckverbandsheilungs- und das Zweckverbandssicherungsgesetz<br />

nachsteuern, damit die Zweckverbände überhaupt rechtlich existent sind. Das<br />

sind genau die zehn Jahre, die hier in Rede stehen. Die Stabilisierungsbescheide<br />

sind zwischen 1999 und 2005 ergangen. Erst mit diesem Bescheid nach § 14 Gesetz<br />

zur rechtlichen Stabilisierung der Zweckverbände für Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung<br />

(Stabilisierungsgesetz) gilt ein Zweckverband in <strong>Brandenburg</strong> kraft<br />

der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung als rechtswirksam gegründet. Wenn Sie<br />

den erst 2005 bekommen haben und rechtlich gar nicht existent waren, konnten sie<br />

vorher keine wirksame Satzung machen. Es ist auch etwas verknappt zu sagen: Die<br />

Zweckverbände sind selber schuld, denn sie haben die Satzung, die technischen<br />

Satzungen und die Abgabensatzungen nicht wirksam hingekriegt.<br />

Sie müssen bedenken: Unsere Verwaltungsgerichte sind wirklich kreativ. Was wir all<br />

die Jahre erlebt haben! Ich möchte jetzt nicht sagen, die Farbe des Amtsblatts war<br />

schuld, aber der Text des Inhaltsverzeichnisses des Amtsblatts, der Name. Da hieß<br />

es zum Beispiel „Amtsblatt der Stadt Frankfurt“. Das ist falsch, führt zur Nichtigkeit.<br />

Es muss heißen „Amtsblatt für die Stadt Frankfurt“. Ich wette mit Ihnen, kein Bürger<br />

hätte diesen Unterschied überhaupt bemerkt, wenn man eine Straßenumfrage gemacht<br />

hätte. Gleichwohl sagt das Verwaltungsgericht: Nichtigkeit, fängt alles von<br />

vorne an!


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 33<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Vorsitzender:<br />

Ich muss Sie bitten, etwas auf die Zeit zu achten. Wir sind 40 Minuten in Verzug. Um<br />

13.30 Uhr beginnt die nächste Anhörung. Wir haben noch zwei Anzuhörendenblöcke<br />

und die entsprechenden Fragerunden abzuarbeiten.<br />

Herr Sven Hornauf (Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki & Hornauf):<br />

Ich würde gern noch ein Beispiel bringen, auch in materieller Hinsicht, ganz frisch:<br />

vom letzten Jahr. Kann ein Zweckverband materielle Änderungen der Rechtsprechung<br />

vorhersehen? Wir reden nicht von dem Formalismus, nicht von Rechenfehlern<br />

usw. Letztes Jahr hat das Oberverwaltungsgericht eine Rundungsregelung in einer<br />

Beitragssatzung beanstandet. Wenn Sie Bebauungsplangebiete haben, haben Sie<br />

manchmal - in sehr seltenen Ausnahmefällen - in den Bebauungsplansatzungen<br />

nicht die Festsetzung der Geschosse durch eine Zahl, sondern durch eine Baumassenbestimmung.<br />

Da müssen Sie rechnen, da ergibt sich ein Bruch. Da enthalten Beitragssatzungen<br />

eine Rundungsbestimmung. Das OVG hat letztes Jahr im Juni - nach<br />

22 Jahren - die Auffassung vertreten, dass das Aufrunden unzulässig ist. Die Folge:<br />

In dem konkreten Fall hatte der Zweckverband 22 000 Grundstücke zu veranlagen.<br />

Ein einziges Grundstück hat es betroffen. Trotzdem müssen Sie die gesamte Kalkulation<br />

ändern, wenn dieser Fall eintritt. Das dauert etwa sechs bis neun Monate, denn<br />

Sie müssen sich ja alle Grundstücke angucken, ob sich auch etwas anderes geändert<br />

hat, wenn so ein Fall eintritt. Der konkrete Fall ist übrigens davon nicht affektiert.<br />

Bei dem blieb der Beitragsbetrag genau gleich.<br />

Die Satzung muss geändert werden, und Sie können nicht wissen, dass das Oberverwaltungsgericht<br />

oder das Verwaltungsgericht eine solche Änderung vornimmt.<br />

Das war auch der Anlass, beispielsweise das Urteil vom 08.06.2000, wo alle Satzungen<br />

in <strong>Brandenburg</strong> mit einem Schlag nichtig waren, weil es plötzlich eine Innenbereichs-,<br />

Außenbereichsabgrenzung gab, die es vorher nicht gegeben hatte, weil die<br />

Anzahl der Vollgeschosse anders bestimmt wurde. Wenn Sie zu solchen materiellen<br />

Änderungen kommen, ist der Aufgabenträger erschossen. Er muss komplett neu anfangen.<br />

Er muss eine komplett neue Satzung machen, darauf gestützte neue Kalkulationen<br />

und dann eine Neubescheidung. Und wenn Sie dann 10 000, 20 000 oder in<br />

Extremfällen 40 000 Bescheide machen müssen, haben Sie gar keine andere Chance<br />

als dafür drei, vier Jahre in der Rechtsumsetzung zu brauchen und nicht davor<br />

gefeit zu sein, dass sich das Verwaltungsgericht das nicht in einem obiter dictum<br />

schon wieder anders überlegt, vielleicht mit der Rundung, und eine neue Senatsoder<br />

Kammerbesetzung das in fünf Jahren schon wieder ganz anders sieht. Das hatten<br />

wir nämlich auch im vergangenen Jahr. Da wurde plötzlich die Satzung Fürstenwalde,<br />

die am 12.12.2007 zu den bekannten Grundsatzurteilen geführt hat, die hinterher<br />

auch vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt wurden, plötzlich vom Verwaltungsgericht<br />

wieder für nichtig erklärt, unter der Ansage: Na, da wurde doch was<br />

übersehen. - Wenn Sie einen solchen Fall haben: Wie wollen Sie als Aufgabenträger<br />

das antizipieren? Das können Sie nicht, und das ist das Problem. Das muss in der<br />

Rechtslage dann auch gewürdigt werden, denn ansonsten kommen Sie tatsächlich<br />

zu den Ausfällen. Da liegt dann auch die Ungleichbehandlung. Wenn Sie normale


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 34<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Verjährungsfälle haben - wird es immer geben -, haben Sie etwa 4, 5 % der Beiträge,<br />

die nicht eintreibbar sind. Die sind dann nicht da. Dann haben Sie logischerweise<br />

immer eine Ungleichbehandlung. Aber in dem Augenblick, wo eine starre Grenze zu<br />

einer signifikanten Anzahl von Ausfällen führt, überschreitet das die sogenannte Typengrenze.<br />

Sie haben im Abgabenrecht nach Meinung unseres OVG eine Maßgabe, dass 90 %<br />

sowohl von den Fällen als auch von den Beiträgen veranlagt werden müssen, damit<br />

man davon reden kann, dass sie ungefähr gleich veranlagt worden sind, weil praktisch<br />

nie 100 % veranlagt werden. In dem Augenblick aber, wo Sie diese Grenze<br />

überschreiten, müssen Sie zwangsweise ausgleichen, damit am Ende alle Nutzer<br />

oder Nutzermöglichkeiten dieser Anlage ungefähr den gleichen Anteil an der Refinanzierung<br />

tragen, und da liegt das Problem.<br />

Vorsitzender:<br />

Danke. Wir haben jetzt noch eine Frage des Kollegen Dr. Scharfenberg. Da können<br />

Sie gleich darauf antworten. - Danach eröffnen wir den zweiten Anzuhörendenblock.<br />

Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE):<br />

Vielleicht können wir so verfahren, dass wir uns wirklich nur auf Fragen beschränken<br />

und keine Erklärungen abgeben und auch die Anzuhörenden sich auf konkrete Antworten<br />

beschränken.<br />

Zwei Fragestellungen habe ich trotzdem. Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen,<br />

dass Herr Hornauf völlig im Widerspruch zu seinen drei Kollegen der Auffassung<br />

ist, dass diese Bundesverfassungsgerichtsentscheidung, dieser Beschluss<br />

nicht auf <strong>Brandenburg</strong> anwendbar sei.<br />

Ich habe Ihren Ausführungen entnommen, dass Sie der Auffassung sind, dass sogenannte<br />

Altanschließergrundstücke, die weiterveräußert worden sind, dann nicht mehr<br />

veranlagt werden. Habe ich das falsch verstanden? Das müssten Sie noch einmal<br />

erklären. Ihre Erklärung lief in diese Richtung, dass man das annehmen könnte.<br />

Meine zweite Frage richte ich an Herrn Zeutschel. Sie haben dargestellt: Differenzierte<br />

Beiträge sind im Gesetz enthalten, werden aber praktisch kaum zur Anwendung<br />

gebracht, und in Ihrem konkreten Fall, den Sie hier vertreten, sind sie auch nicht zur<br />

Anwendung gebracht worden. Welche Möglichkeiten sehen Sie, differenzierte Herstellungsbeiträge<br />

besser anwendbar, besser durchsetzbar zu machen?<br />

Herr Sven Hornauf (Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki & Hornauf):<br />

Zur Erklärung muss man sich Folgendes vergegenwärtigen: Wenn Sie innerhalb der<br />

Verjährungsfrist jemandem rechtzeitig einen Beitragsbescheid schicken, dann ist dieser<br />

Person gegenüber der Lauf der Festsetzungsverjährung so lange gehemmt, bis<br />

irgendwann diese Abgabe bestandskräftig festgesetzt ist. Das ergibt sich aus § 171<br />

Absatz 3a Abgabenordnung, der durch § 12 KAG übergeleitet wird. Das Problem ist:


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 35<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Wenn Sie nach Eintritt der allgemeinen Verjährungsgrenze für den Aufgabenträger in<br />

der Pflicht sind, einen neuen Bescheid zu machen, und zu diesen Zeitpunkt das Eigentum<br />

gewechselt hat oder beispielsweise ein Erbbaurecht dazugekommen ist,<br />

dann sagt § 8 Absatz 2 KAG, dass immer nur derjenige beitragspflichtig ist, der im<br />

Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheids Eigentümer, Erbbauberechtigter<br />

etc. ist. Das heißt: Tritt zwischenzeitlich ein Wechsel im Eigentum ein - es gibt ja<br />

schöne Statistiken, zwischen 8 und 12 Jahren wechselt statistisch jedes Grundstück<br />

einmal den Eigentümer -, dann können Sie hochrechnen, wann theoretisch jeder einen<br />

neuen Eigentümer hat und wann dann die Veranlagung damit ausgeschlossen<br />

ist. Das ist das Problem: Wenn Sie eine relativ nahe zeitliche Grenze haben - nehmen<br />

wir einmal 2015 -, dann würde ich natürlich, wenn ich Anwalt des Betroffenen<br />

wäre, dem sagen: Klage mal! Ich habe zwar noch keine Idee, wie und warum, aber<br />

das Verwaltungsgericht ist immer sehr kreativ. Die Wahrscheinlichkeit, dass die was<br />

finden, beträgt ja 50:50. Und dann schiebst du das Grundstück mal irgendwie weiter<br />

oder bestellst ein Erbbaurecht - und schon sind wir den Beitrag los. Ab einer gewissen<br />

Größenordnung für den Beitrag macht das richtig Sinn. Die Motivlage, so zu<br />

handeln, ist natürlich umso größer, je näher dieses statistische Endziel - sprich: eine<br />

fixe Jahreszahl - ist. Wenn Sie 2020 sagen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass das<br />

gemacht wird, natürlich deutlich geringer. Bei 2030 wäre es ausgeschlossen. Also<br />

wenn man etwa sagt, Sie nehmen ab jetzt, aber der Verfassungsgerichtsentscheidung<br />

20 Jahre und machen den Deckel drauf, dann kann man mit hoher Sicherheit<br />

sagen, dass der Beitragsausfall so gering sein wird, dass er die Typengrenze nicht<br />

erreicht.<br />

Vorsitzender:<br />

Jetzt erhält Herr Zeutschel das Wort zur Beantwortung der Frage von Herrn<br />

Dr. Scharfenberg.<br />

Herr Ingo Zeutschel (Zeutschel & Schröder Rechtsanwälte):<br />

Ja, es ist in unserem Verbandsgebiet so, dass auch hier die Möglichkeit der Abrechnung<br />

nach differenzierter Berechnung nicht wahrgenommen wird. Irgendwann ging<br />

die Kunde um, dass diese Abrechnungsart und -weise zu schwierig sei und vielleicht<br />

auch nicht verfassungsgemäß. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen. Ich meine,<br />

dass die gut gemeinte Neuregelung 2009 vielleicht nicht konsequent genug gewesen<br />

ist. Vielleicht wäre es günstiger gewesen, für altangeschlossene Grundstücke grundsätzlich<br />

die differenzierte Berechnung einzuführen. Man wäre dann auch in Übereinklang<br />

mit dem, was ich sagte. Es wäre nämlich wie eine Art nachgeholte Einziehung<br />

von Verbesserungsbeiträgen, also desjenigen, was man von Anfang an hätte machen<br />

können: Man holt es dann nach. Wenn man bei den Verjährungsfristen dann<br />

nicht zu weit greift, könnte das funktionieren und würde sicherlich die Akzeptanz der<br />

Altanschließer finden.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank. - Kollege Goetz hat jetzt Gelegenheit, eine Nachfrage zu stellen.


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 36<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Abgeordneter Goetz (FDP):<br />

Herr Hornauf, Sie sagten, im Grunde haben wir keinen unmittelbaren Handlungsbedarf.<br />

Wir können uns ruhig Zeit nehmen. Sie sagten dann aber auch, dass das Bundesverfassungsgericht<br />

den Bayern auch Zeit gegeben hätte. Das Bundesverfassungsgericht<br />

hat den Bayern aber nur eine begrenzte Zeit gegeben, nämlich bis April<br />

nächsten Jahres. Was sollen wir nach Ihrer Auffassung denn tun? Wenn ich mir diese<br />

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nehme und sage, was die Bayern dort<br />

vorgegeben bekommen haben, gilt für uns auch, heißt das für uns als <strong>Land</strong>esgesetzgeber<br />

schon, dass wir sofort anfangen müssen, denn für das Ding braucht man<br />

schon eine Weile, um es durchzubekommen. Das widerspricht, glaube ich, dem, was<br />

Sie sagten: Lasst es ruhig liegen, bis irgendwann mal eine Entscheidung kommt.<br />

Herr Sven Hornauf (Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki & Hornauf):<br />

Herr Goetz, das sehe ich nicht so, sonst hätte ich das ja nicht gesagt. Der Knackpunkt<br />

ist, dass die Rechtslage nicht vergleichbar ist. Wir haben keine Beitragserhebung<br />

von Nichteigentümern. Diese Verknüpfung: Das Verfassungsgericht sagt - und<br />

das ist der tragende Grund der Entscheidung -: Es muss bei vorteilsbezogenen Abgaben<br />

eine strikte Verknüpfung zwischen der Erhebung dieser Abgabe und dem Bestehen<br />

- auch in zeitlicher Hinsicht - dieser Vorteilslage existieren. Ist die Vorteilslage<br />

weg wie in Bayern - der hat das Grundstück 1996 verkauft und bekommt 2004 einen<br />

Beitragsbescheid -, wird die Verjährung sogar noch weiter, nämlich fast 20 Jahre<br />

dann, zurückgeschoben. Das hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung<br />

bemängelt.<br />

Diese Situation ist bei uns ausgeschlossen. Bei uns kann niemand rückwirkend einen<br />

Beitragsbescheid bekommen. Bei uns kann niemand in diesem zeitlichen Auseinanderklaffen<br />

veranlagt werden. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass - wie bisher die<br />

Rechtsprechung wirklich einheitlich - vor dem Verfassungsgerichtsbeschluss und<br />

auch jetzt nach dem Verfassungsgerichtsbeschluss - alle sagen: Nein, wir haben diesen<br />

Handlungsbedarf nicht, weil unser Gesetz gerade diese Lücke, diese Entkopplung<br />

nicht enthält. Dies abgesehen von dem Ausreißer aus Cottbus - das ist ja die<br />

einzige Entscheidung aus Cottbus, die sich dazu zustimmend verhält. Bei uns besteht<br />

diese Anknüpfung. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir eben nicht nur bis<br />

01.04.2014, wie die Bayern, Zeit haben. Die Bayern haben jetzt das Problem, dass<br />

sie gar keine Verjährungsregelung haben, denn die Verjährungsregelung - dieser<br />

zweite Spiegelstrich der Norm, der weggeschossen wurde - ist ja in Bayern weg. Bei<br />

denen gibt es jetzt gar nichts, was die Verjährung regelt, und deswegen müssen die<br />

auch zwingend - egal, wie sie es machen - dringend bis 01.04.2014 die Regelung<br />

wieder schaffen. Wir nicht!<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank. - Wir eröffnen den zweiten Anzuhörendenblock mit Herrn Prof. Dr. Klaus<br />

Herrmann von der Rechtsanwaltskanzlei Dombert aus Potsdam.


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 37<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Prof. Dr. Klaus Herrmann (Dombert Rechtsanwälte):<br />

Ich möchte die Bitte von Herrn Dr. Scharfenberg aufnehmen und mich kurz fassen<br />

und mich auf einige wenige Punkte konzentrieren (Anlage 5). Der Anlass, aus dem<br />

wir zusammengekommen sind, ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 05.03.2013, der erst Anfang April 2013 durch Pressemitteilungen verkündet<br />

wurde. Das Innenministerium hat binnen Tagesfrist, möchte man fast sagen, auf bestehende<br />

Probleme hingewiesen. Man kann sicherlich eine rechtliche Bewertung anknüpfen<br />

und sagen: Das geht uns alles nichts an, weil - wenn ich das jetzt einmal<br />

herunterdekliniere - wir eine ganz andere Rechtslage haben oder das sowieso nur<br />

die Fälle betrifft, in denen das Grundstück nach der Feststellung der Unwirksamkeit<br />

einer Beitragssatzung veräußert wurde und dann trotzdem noch einmal jemand, der<br />

das Grundstück gar nicht mehr hat, herangezogen werden soll usw.<br />

Das sind alles Feinheiten in der Anwendung des Kommalabgabenrechts, die einen<br />

wesentlichen Punkt übersehen: Diese Entscheidung, dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts,<br />

der die Begründung formuliert hat: Abgabenrechtliche Ansprüche<br />

müssen verjähren können. Ich finde die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> schon so<br />

ausgestaltet in § 8 Absatz 7 Satz 2 KAG, dass es - die Vorgehensweise der Verwaltungsgerichte<br />

und der Verbände belegt das ja - tatsächlich zu der Ralley um die unwirksamste<br />

Satzung gekommen ist, dass also in <strong>Brandenburg</strong> die Aufgabenträger die<br />

Gefahr verwirklichen, die das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom<br />

08.06.2000 beschrieben hat, dass sich die Verbände, die eigentlich an die Rechtmäßigkeit<br />

gebunden sind, auf die Rechtswidrigkeit ihres Satzungsrechts berufen. Das ist<br />

aus meiner Sicht keine gute Verwaltung. Deshalb sitzen wir zu Recht hier und machen<br />

uns Gedanken darüber. Dass das alles unter einem enormen Zeitdruck geschieht,<br />

trägt natürlich der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts Rechnung,<br />

dass bis April 2014 für Bayern dort eine Regelung getroffen werden muss. Die muss<br />

das Gericht auch treffen, weil es sagen sollte, was, wenn nicht die Unwirksamkeit der<br />

Regelung denn für das konkrete Rechtsverhältnis für den Beschwerdeführer gelten<br />

soll, und dass die Aussetzung der Verfahren eine der Möglichkeiten ist, die stattfindet.<br />

Im Übrigen lohnt für jeden ein Blick auch in den im Internet kostenfrei veröffentlichten<br />

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Das würde vielleicht mit der einen oder<br />

anderen Behauptung aufräumen, das Bundesverfassungsgericht habe keine jahrzehntelange<br />

Verjährungsfrist verboten - Randnummer 46! Der Gesetzgeber soll es<br />

regeln, aber eine jahrzehntelange Verjährungsfrist ist nicht verboten. Es müssen nur<br />

Gründe dafür her. Sie müssen abwägen. Was müssen Sie abwägen? Sie müssen<br />

das Finanzierungsinteresse der Aufgabenträger mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutz<br />

und dem Interesse am Rechtsfrieden auf der Seite der Abgabengläubiger<br />

abwägen.<br />

Es fehlt übrigens auch noch die Vorgabe oder die Pflicht, die das Bundesverfassungsgericht<br />

vermeintlich aufgestellt haben soll, eine zeitliche Obergrenze im Gesetz<br />

zu verankern. Es hat die Regelung in Bayern, die eine zeitliche Obergrenze für die<br />

Vorteilsabgeltung nicht enthält, in der Tat mit der Begründung für verfassungswidrig


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 38<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

erklärt, dass eine zeitliche Obergrenze fehlt. Es hat aber nicht gesagt, dass die<br />

Kommunalabgabengesetze eine zeitliche Obergrenze für die Vorteilsabgeltung regeln<br />

müssen. Sie müssen eine rechtsstaatliche Regelung finden, die dem Interesse<br />

der Abgabengläubiger Rechnung trägt. „Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet<br />

vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen<br />

kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen<br />

muss.“ Sie müssen Klarheit schaffen, rechtsstaatliche Klarheit: Abgabenrechtliche<br />

Ansprüche sollen verjähren, und wenn ja, innerhalb welcher Zeit. Dass das in<br />

den vorliegenden Fällen nicht passiert ist, in Bayern nicht passiert ist, hat das Bundesverfassungsgericht<br />

gestört. Dass das in <strong>Brandenburg</strong> ähnlich läuft, stört sehr viele<br />

Kläger auf der Seite der Altanschließer.<br />

Ich möchte nicht damit hinter dem Berg halten, dass ich die Altanschließer grundsätzlich<br />

für beitragspflichtig halte, auch noch im Jahr 2013. Das tut hier aber nichts zur<br />

Sache.<br />

Nimmt man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und fragt „Was folgt<br />

daraus für <strong>Brandenburg</strong>?“, kann ich dem Kollegen Hornauf nicht zustimmen. Schauen<br />

Sie auch in den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 08.05.2013. Das<br />

Verwaltungsgericht Cottbus sagt: § 8 Absatz 7 KAG ist verfassungswidrig. Entschuldigung!<br />

Es sagt nicht: Es ist verfassungskonform. Es sagt: Die Vorschrift ist verfassungswidrig.<br />

Es wird nur von einer Richtervorlage nach § 100 des Grundgesetzes<br />

Abstand genommen, weil in verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren verwaltungsprozessual<br />

keine Pflicht zur Normenkontrolle, zur Vorlage besteht, weil die Normenkontrolle<br />

das Eilverfahren verzögern würde. Es ist also aus verwaltungsprozessualen<br />

Gründen davon Abstand genommen worden, das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht anzurufen.<br />

Ich möchte Ihnen auch noch sagen, dass sich das Verwaltungsgericht Cottbus auch<br />

sehr intensiv mit der Frage beschäftigt hat: Warum? Was muten wir dem Antragsteller<br />

in dem Eilverfahren eigentlich zu, indem wir jetzt nicht vorlegen? Er hat darauf<br />

verwiesen: Der Gesetzgeber ist am Zug. Sie sind am Zug. Sie sollen sich bitte erst<br />

zusammensetzen und sollen abwägen. Wortlaut: „Er (der Gesetzgeber) könnte auch<br />

das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen<br />

oder die Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene<br />

wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens<br />

der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zusetzen“ usw. - Hinweise, Hinweise,<br />

Hinweise - vielen Dank, Verwaltungsgericht Cottbus. Dort stehen Regelungsmöglichkeiten,<br />

wie man es machen kann. Es steht definitiv nicht darin, dass die Rechtslage<br />

zu § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG in <strong>Brandenburg</strong> verfassungskonform sei. Handlungsdruck,<br />

Handlungszwang besteht. Das ist der Anlass, weshalb wir uns heute hier treffen.<br />

Ich will es kurz machen. Ich habe einen schriftlichen Vorschlag unterbreitet: die verjährungsrechtlichen<br />

Bestimmungen, die es im Kommunalabgabengesetz gibt - § 12<br />

nimmt auf die Verjährungsvorschriften in der Abgabenordnung, §§ 169, 170, 172,<br />

Bezug -, diese Regelungen in Gebrauch zu nehmen, um eine zeitliche Obergrenze<br />

oder jedenfalls eine hinreichende Klarheit zu gewinnen, wann Abgabenansprüche<br />

verjähren.


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 39<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Der Schuldner einer Abgabe sucht ebenso wie der Bearbeiter des Abgabenvorgangs<br />

im Zweckverband oder in der Gemeinde, im Kommunalabgabengesetz bei den Verjährungsvorschriften<br />

danach: Wo ist die Grenze der Durchsetzung dieses Abgabenanspruchs?<br />

Dafür sind die Verjährungsvorschriften da. Dafür sind die Verjährungsvorschriften<br />

in allen Abgabegesetzen, die die Hoheitsträger mit der Befugnis ausstatten,<br />

einseitig Zahlungspflichten der Bürger festzusetzen. Da teile ich die Auffassung<br />

von Herrn Prof. Wolff: Diese hoheitliche Befugnis muss aus rechtsstaatlichen Gründen<br />

zeitlich beschränkt sein. Wenn Sie in diese Abgabengesetze schauen - ich nehme<br />

den ganzen Bereich der Rentenversicherung hinzu, von dem Herr Prof. Wolff sicher<br />

viel mehr versteht als ich - stellen Sie fest: Eine zehnjährige Verjährungsfrist ist<br />

dort das höchste der Gefühle. Regelmäßig: vier Jahre.<br />

Auch der <strong>Land</strong>esgesetzgeber hat das bei der Verabschiedung des Kommunalabgabengesetzes<br />

für <strong>Brandenburg</strong> so empfunden und gesagt: Beitragsansprüche sollen<br />

in <strong>Brandenburg</strong> innerhalb von vier Jahren verjähren. - Im Übrigen passiert das auch<br />

mit Ansprüchen zum Beispiel bei Straßenbaumaßnahmen, Verbesserung von Verkehrsanlagen<br />

zusammen; dort verjähren die Beitragsansprüche in vier Jahren.<br />

Kommt die Gemeinde nicht vier Jahre nach Fertigstellung der Straße mit den Bescheiden<br />

rum, ist Sense. Und um das gleich noch einmal zu sagen, weil alle in einem<br />

Boot sitzen: Ist für die Rechtsaufsichtsbehörde erkennbar, dass die Gemeinde - es<br />

gibt eine Satzungsgebungspflicht innerhalb der vier Jahre -, keine Satzung erlässt,<br />

um diese Abgaben zu erheben, muss wohl oder übel das <strong>Land</strong> ran, die untere<br />

Rechtsaufsichtsbehörde, die durch Ersatzmaßnahmen eine Satzung in Kraft setzen<br />

und möglicherweise als Ersatzmaßnahme die Beiträge erheben muss. Das ist bisher<br />

im Hinblick auf die Anschlussbeiträge nicht passiert. Im Hinblick auf die Ausbaubeiträge<br />

gibt es dazu Beispiele aus anderen Bundesländern, wo das passiert ist, was<br />

von den Verwaltungsgerichten auch bestätigt wurde.<br />

Ich meine, das bestehende Verjährungsregime, die im Kommunalabgabengesetz<br />

bestehenden Verjährungsregelungen sind gut und sollten genutzt werden, um dafür<br />

diesen Vorteilsausgleich mit einer zeitlichen Obergrenze zu versehen. Das Werben<br />

um eine kurze Verjährungsfrist hängt nicht nur damit zusammen, dass die Aufgabenträger<br />

eben Schwierigkeiten haben, oder wie lange es denn bei den Aufgabenträgern<br />

dauert, um Bescheide zu erlassen. Es hängt in erster Linie damit zusammen, dass<br />

die Verwaltungsgerichte auch Tatsachen klären. Die Verwaltungsgerichte klären zum<br />

Beispiel die Frage nach einer Bebauung: War ein Grundstück in einer bestimmten Art<br />

und Weise zu einem Zeitpunkt bebaut oder war es das nicht? Ich kann mir nicht vorstellen,<br />

dass zehn Jahre erst recht nach einem Eigentumswechsel rechtsstaatlich<br />

verlässliche Feststellungen dazu getroffen werden können, wie ein Grundstück vor<br />

zehn Jahren bebaut war. Luftbilder - gut, können Sie alles auswerten. Zweifel bleiben.<br />

Das Werben für eine kurze Verjährungsfrist hängt damit zusammen. Da kriegen<br />

Sie womöglich noch Zeugenbeweise, jedenfalls haben Sie noch Unterlagen, auf die<br />

Sie zurückgreifen können, die nicht vernichtet sind - auch nicht nur aufseiten der<br />

Verwaltung, auch aufseiten der Abgabenschuldner. Die sollen den Ordner „Hausbau“<br />

auch irgendwann einmal wegwerfen können. Dieses Interesse ist durch die vierjährige<br />

Verjährungsfrist, die schon im Kommunalabgabengesetz steht, verwirklicht worden.<br />

Da fand schon einmal eine Abwägung statt. Die finde ich immer noch gut.


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 40<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Den Vorschlag des Innenministeriums, über dieses geltende Abgabenregime eine<br />

zweite Verjährungsebene zu legen, eine absolute Obergrenze, die auch wieder<br />

hemmbar ist, die auch mit einer Ablaufhemmung versehen werden kann, halte ich<br />

aus Anwendersicht für fatal. Das geht nicht, das schafft Unruhe, schafft Verwirrung.<br />

Das stellt gerade nicht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Klarheit her,<br />

wann denn die Abgaben - bzw. bis wann - durchgesetzt werden können.<br />

Ich werbe dafür, noch einmal darüber nachzudenken, wie man es hinkriegt, möglichst<br />

auf der Grundlage eines geringstmöglichen Eingriffs in das Kommunalabgabenrecht<br />

Rechtssicherheit auch im Hinblick auf diese Verjährungsfragen zu schaffen. Deshalb<br />

hatte ich vorgeschlagen, wie das Verwaltungsgericht Cottbus das auch tut, den<br />

§ 8 Absatz 7 Satz 2 KAG dahingehend zu ändern, dass Entstehen der sachlichen<br />

Beitragspflicht ausschließlich an den Eintritt der tatsächlichen Vorteilslage zu knüpfen.<br />

Derzeit enthält die Vorschrift zwei Tatbestandsvoraussetzungen für das Entstehen<br />

der sachlichen Beitragspflicht. Erstens: Das Grundstück muss angeschlossen oder<br />

anschließbar sein. Zweitens: Es muss eine formell und materiell rechtswirksame Satzung<br />

in Kraft getreten sein. Mit dem Satzungsbedürfnis, und zwar nach einer rechtswirksamen<br />

Satzung, haben wir genau die Regelung, die Artikel 13 Bayerisches KAG<br />

zur Folge hat. Wir brauchen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht eine<br />

wirksame Satzung. Damit können wir es hinausschieben. Ich meine, wenn man es<br />

durchschneidet, wenn man sagt, wir nehmen das Satzungsbedürfnis dort heraus,<br />

machen wir auch nichts falsch. Die Satzung brauchen wir sowieso für die Durchsetzung<br />

der Beitragsbescheide. Man schafft nur einen präzisen Zeitpunkt, an dem die<br />

Vorteilslage abgegolten werden muss, zu dem die Bescheide erlassen werden müssen.<br />

Ich hatte dazu noch, weil das alles auch ganz brisant ist und die Altanschließer da<br />

auch ihren Vorteil haben wollen, eine Klarstellung des Gesetzgebers vorgeschlagen,<br />

dass man sagt: Achtung! Der frühestmögliche Zeitpunkt für das Entstehen sachlicher<br />

Beitragspflichten in Fällen, in denen bisher noch keine Bescheide erlassen sind, ist<br />

der 31.12.2011. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 12 Absatz 3a KAG im<br />

Jahre 2010 schon zum Ausdruck gebracht: Achtung, vor dem 31.12.2011 möchte ich,<br />

dass in <strong>Brandenburg</strong> kein Anschlussbeitrag verjährt, der noch nicht festgesetzt worden<br />

bzw. der nicht verjährt ist. Ich meine, dass es auch konsequent ist, im Laufe dieser<br />

Zeit zu sagen: Gut, der Gesetzgeber musste sich zunächst einmal Luft verschaffen,<br />

um diese Regelung zu finden, mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts umzugehen,<br />

aber für die Zukunft muss es auch eine verlässliche zeitliche Klarheit darüber<br />

geben, dass es nach dem 31.12.2015 keine Festsetzungen von Beitragspflichten<br />

mehr geben kann für Vorteile, die bis zu diesem Zeitpunkt entstanden sind. Ich<br />

finde - da folge ich der Einschätzung des Innenministeriums -, dass es den Verbänden<br />

zumutbar ist, bis zum 31.12.2015 solche Bescheide zu erlassen. Ich will gar<br />

nicht darauf eingehen, vielleicht gibt es nachher eine Diskussion darüber: Altanschließer<br />

hin oder her oder wie man damit umgeht. Jetzt ist Klarheit, wie man das<br />

machen kann.


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 41<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Ich meine, dass die vorliegende Regelung, dieser Regelungsvorschlag, zu § 12 und<br />

§ 19 KAG Änderungen vorzunehmen, überdacht werden sollte. Ich hatte vorgeschlagen,<br />

§ 8 Absatz 7 Satz 2 KAG zu ändern. Ich meine, dass man damit eher Rechtssicherheit<br />

und Klarheit schafft.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank. - Als Nächster hat Herr Haferkorn vom Wasserverband Strausberg Erkner<br />

das Wort.<br />

Herr Henner Haferkorn (Wasserverband Strausberg Erkner):<br />

Ich bedanke mich, dass der Wasserverband Strausberg Erkner (WSE) hier kurz seine<br />

Meinung sagen darf (Anlage 6). Es liegen ein Entwurf auf dem Tisch mit einer<br />

Obergrenze im Jahr 2015 und ein Entwurf 2020. Mir ist nicht klargeworden, warum<br />

es einen Entwurf 2015 gibt. Bei dem Entwurf 2020 ist mir das noch halbwegs verständlich.<br />

Aber vielleicht gibt es heute noch Aufklärung, warum dann einen Tag später<br />

2015 dazukam.<br />

Beim Wasserverband Strausberg Erkner war es wie folgt: Er hatte sich wie alle anderen<br />

Verbände vor den Verwaltungsgerichten bemüht, eine wirksame Satzung zu bekommen.<br />

Geglückt ist es ihm im Jahre 2009 mit einer rückwirkend in Kraft gesetzten<br />

Satzung zu 2006. In meinem Verbandsgebiet wäre aufgrund der vierjährigen Verjährungsfrist<br />

2010 Ende der Fahnenstange gewesen. Der <strong>Land</strong>esgesetzgeber - wie wir<br />

eben gehört haben - wollte unbedingt, dass uns der 31.12.2011 ermöglicht wird - also<br />

diejenigen, die schon eine wirksame Satzung hatten; das waren damals noch nicht<br />

so viele. Der WSE hat Altanlieger erheben müssen, und zwar haben wir uns für eine<br />

gleichhohe Beitragserhebung entschieden, weil wir das als einzige rechtssichere<br />

Möglichkeit sehen.<br />

Der Verband hat im Jahr 2011 alle Beitragspflichtigen veranlagt. Ich will, bevor ich auf<br />

die Summen und einige Statistiken komme, kurz sagen: Warum hat ein Verband<br />

überhaupt eine Mischfinanzierung? Da sollten wir uns daran erinnern: Es ging nach<br />

der Wende darum, Investitionskosten gleichmäßig und sozialverträglich auf alle Abgabenpflichtigen<br />

zu verteilen und keinen mit sozial unangemessenen Gebühren zu<br />

überlasten. Denken wir an die Mieter in den Wohnblöcken aus DDR-Zeiten bei uns in<br />

Strausberg, Rüdersdorf und Erkner. Da haben die Politiker gesagt, es sei nicht einzusehen,<br />

dass das hohe Investitionsvolumen, was in den Eigenheimgebieten und in<br />

den anderen Gemeinden getätigt wird, zu sozialen Verwerfungen führt, dass die<br />

neuen Investitionen nur über Gebühren bezahlt werden. Andererseits konnte man die<br />

Eigenheimer nicht mit 100 Prozent Investitionskosten überziehen; das wäre auch<br />

unangemessen gewesen. Also haben wir eine Mischfinanzierung beschlossen, so<br />

wie es das Gesetz in <strong>Brandenburg</strong> auch vorgibt.<br />

Wir haben also 2011 eingezogen. Als ich vor fünf Jahren hier saß, habe ich gesagt:<br />

Wir denken, dass wir 21,6 Millionen Euro erheben müssen. Erhoben hat der Verband<br />

22,6 Millionen Euro. Die Schätzung war ganz gut. Was hat der Verband damit ge-


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 42<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

macht? Er hat bei auslaufenden Zinsbindungsfristen Kredite zurückgezahlt, er tut es<br />

auch dieses Jahr. Und so, wie es die Rechtsprechung fordert, hat der Verband seine<br />

Gebühr von 3,12 Euro auf 2,82 Euro, also um 30 Cent, gesenkt. Wie es aussieht,<br />

können wir am Jahresende mit unseren Bürgermeistern wieder darüber reden, ein<br />

paar Cent nachzulassen.<br />

Wir mussten nicht Bescheide in der Größenordnung, von der wir heute gehört haben<br />

- 2 400 - erstellen. Die Widerspruchsquote beträgt in meinem Verbandsgebiet<br />

72 %. Bis zur Bundesverfassungsgerichtsentscheidung gab es bei 2 400 Bescheiden<br />

etwa 100 Klagen. Meist haben die großen Wohnungsgesellchaften und andere Gewerbetreibende,<br />

die hohe Beiträge zu zahlen haben, Klage eingereicht. Nach dem<br />

Verfassungsgerichtsurteil zog es sprunghaft an. Man konnte tageweise im Posteingang<br />

sehen: Jetzt wird losgeklagt! Da sind noch einmal 50 Klagen dazu gekommen.<br />

Interessant ist folgende Zahl: Von den 2 400 Bescheiden sind 1 850 Bescheide bestandskräftig<br />

geworden.<br />

Das ist eine Prozentzahl von 78,2 %. Das heißt, von 22,6 Millionen Euro sind<br />

12,6 Millionen Euro bestandskräftig eingegangen. Die beklagte Summe beträgt<br />

10 Millionen Euro und ist sozusagen risikobehaftet, offen.<br />

Die andere Zahl, die Sie bestimmt interessiert, ist: Wie viel von den<br />

22,6 Millionen Euro ist denn gezahlt worden? 22 Millionen Euro sind tatsächlich eingezahlt<br />

worden. 400 000 Euro sind mit Ratenzahlung belegt, sodass für uns bei<br />

200 000 Euro richtig Arbeit beim Geldeintreiben besteht. Das Geld ist recht gut eingezahlt<br />

worden.<br />

Wie hat der Verband seine Investitionskosten nach der Wende tatsächlich finanziert?<br />

Wir hatten bis heute Investitionskosten von 306 Millionen Euro in die Erneuerung und<br />

die Erstellung der abwassertechnischen Anlagen. Davon sind 57 Millionen Euro Fördermittel<br />

und 190 Millionen Euro Beiträge. Nach dem jetzigen Stand sind es noch<br />

29 Millionen Euro, die kreditfinanziert sind. Der Fördermittelanteil - nur, damit man es<br />

einmal gehört hat - beträgt 18,6 %, der Anteil der Beiträge 62 %.<br />

Von den Beiträgen haben wir bei uns noch den guten Umstand: Im Berliner Umland<br />

sind viele Investoren tätig gewesen. Die haben mit einem Beitragsvolumen von<br />

55 Millionen Euro dafür gesorgt, dass Anlagen erstellt oder Beiträge gezahlt werden,<br />

sodass die Grundstückseigentümer - um auch diese Zahl zu nennen - von den<br />

190 Millionen Euro 135 Millionen Euro an den erstellten und sanierten Anlagen bezahlt<br />

haben. Die verteilen sich auf Neuanschließer mit 112,5 Millionen Euro - das<br />

macht etwa 88 % - und die Altanlieger mit 22,6 Millionen Euro - macht 11,9%. Das<br />

sind die Ist-Zahlen.<br />

Sie wollten wissen, welche Meinung wir zu 2015 und 2020 haben. Die Juristen - Sie<br />

haben es gehört - sind unterschiedlicher Meinung. Was soll ein Praktiker machen?<br />

Ich hatte zu vollziehen. Ich habe es vorhin gesagt. Wir waren gezwungen. Die<br />

Rechtslage war so. Wir waren „nicht ganz so dumm“ und haben eine wirksame Satzung.<br />

Aber nun ist die Frage, wie es weitergeht. Das Verwaltungsgericht hat etwas<br />

ganz Einfaches gemacht: Es hat im Moment sämtliche Verfahren ausgesetzt, weil die


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. <strong>43</strong><br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Beitragssatzung vor dem OVG beklagt und noch nicht entschieden ist.<br />

Bei der heutigen Verfahrensdauer - das haben Sie heute schon gehört und kennen<br />

das auch - ist Folgendes gar nicht so abwegig: Der Verband kommt mit seinem<br />

Hauptsacheverfahren, von den Wohnungsgesellschaften in Strausberg, Rüdersdorf,<br />

Erkner beklagt, vielleicht in 2016 dran und das Gericht sagt doch: „Du liebe Güte,<br />

irgend so ein kleines Ding finden wir schon“ - wir haben gehört, die Chance steht<br />

50:50, dass die Satzung durchgeht -, dann hätte der WSE bei einer Festlegung auf<br />

2015 als absolute Grenze rückwirkend keine Möglichkeit mehr, das auszugleichen.<br />

Das würde bedeuten: Bei der absoluten Grenze in 2015 könnte es ein Verband, der<br />

schon einmal eine wirksame Satzung hatte und der eingezogen hat und der ganz<br />

schnell zum Handeln gezwungen war, gar nicht schaffen, die beklagten<br />

10 Millionen Euro als Einnahme zu realisieren. Würden die Wohnungsgesellschaften<br />

obsiegen, müsste ich, ob ich wollte oder nicht, die 10 Millionen Euro mit Zinsen wieder<br />

auszahlen.<br />

Man kann sich an drei Fingern abzählen, was der Verbandsvorsteher machen würde,<br />

um die 10 Millionen Euro wieder reinzuholen. Die Neuanlieger können - das haben<br />

wir heute schon gehört - dieses Loch nicht tragen. Ich würde hundertprozentig versuchen,<br />

eine Haftungsklage zu erheben oder dem <strong>Land</strong> sagen: Kinder, ihr habt gewusst,<br />

2015 ist nicht zu schaffen, dieses Geld hätte ich ganz gerne. Ich kann nicht<br />

erwarten - die Bürgermeisterin von Strausberg ist heute da -, dass meine Kommunen<br />

sagen: Die 10 Millionen Euro legst du jetzt im Rahmen eines Umlagebescheides um;<br />

das werden wir schon überweisen. Das wird nicht gehen. Die Kommunen werden<br />

das auch nicht bezahlen. Das kann ich auch verstehen.<br />

Nun sagen die Rechtsprecher: Wenn du so ein Loch hast, müsstest du eigentlich<br />

unterschiedliche Gebühren einführen, denn irgendwo muss das Geld herkommen,<br />

bis du es vom <strong>Land</strong> hast. Eine zweite Gebühr für die Mieter einzuführen, graut uns,<br />

weil das vor den Gerichten auch wieder nicht halten wird. Umlagen hatten wir. Also<br />

bleibt das <strong>Land</strong>.<br />

Quintessenz für den WSE: Man könne aus dem Bauch heraus denken: Na, der hat<br />

das alles vollzogen, 2015 wird für den schon passen. Ich wollte Sie darauf aufmerksam<br />

machen, dass es selbst für meinen Verband, der die Erhebung komplett vollzogen<br />

hat, ganz schwierig ist, mit 2015 zu leben. 2020 könnte eher dazu führen, dass<br />

die Beiträge vollständig reinkommen.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Haferkorn. Ihre Redezeit ist auch erschöpft. - Als Nächstem räume<br />

ich Herrn Otto Ripplinger vom Märkischen Abwasser- und Wasserzweckverband die<br />

Gelegenheit einräumen.<br />

(Herr Haferkorn: KOWAB darf nicht?)<br />

- Wenn Sie dazu noch Ausführungen machen wollen, machen wir mit Ihnen gleich<br />

weiter.


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 44<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Herr Henner Haferkorn (KOWAB <strong>Brandenburg</strong>-Ost):<br />

Schönen Dank. - Hier sitzen auch einige Kollegen aus dem KOWAB-Ost-Gebiet im<br />

Saal, die natürlich erwarten, dass wir, wenn wir eingeladen sind, einige Worte sagen<br />

dürfen (Anlage 6).<br />

Ich werde versuchen, rechtlich nicht mehr allzu viel zu sagen. Aber man sollte daran<br />

denken, wie die Situation im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> ist. Erstens. Ein Drittel der Aufgabenträger<br />

hat erhoben. Wir haben eine zweite Klasse von Aufgabenträgern, die jetzt dabei<br />

sind zu erheben. Denn die müssen sich beeilen, weil sie die Drohung 2015 im<br />

Nacken haben. Und wir haben eine Klientel von Aufgabenträgern, die partout gedacht<br />

haben: Das werden wir nie tun müssen. Das heißt, die dritte Kategorie muss<br />

noch erheben.<br />

Zunächst ist für uns als Geschäftsführer, Verbandsvorsteher nachvollziehbar, dass<br />

das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: Mensch, dem Kunden und dem Bürger<br />

müsst ihr doch sagen, wann einmal Schluss ist. Das ist nachvollziehbar. Das ist logisch.<br />

Das zu regeln, auch. Bei der Frage, ob es jetzt hier geregelt werden muss,<br />

sind wir eher bei Herrn Hornauf. Als KOWAB-Mitglieder sehen wir keinen Handlungsbedarf.<br />

Wie verhalten sich die Zweckverbände zu der Zahl 2015? Ich glaube, das wurde zum<br />

Teil deutlich. Diejenigen, die in der Erhebung sind, würden sich ganz toll beeilen, sie<br />

mit zusätzlichen Arbeitskräften, mit Technik, mit Know-how und so weiter durchzuziehen.<br />

Aber was würde passieren? Natürlich würde jeder, der einen Bescheid kriegt,<br />

zunächst Widerspruch einlegen - ganz klar, wenn er die Zahl 2015 kennt. Unserer<br />

Meinung nach würde die Klagequote gegen 100 % hochgehen, weil alle Abgabepflichtigen<br />

davon ausgehen: Irgendetwas werden die Gerichte schon finden, dann<br />

kann rückwirkend nicht mehr geheilt werden, und dann ist die Sache zu Ende.<br />

Die dritte Kategorie hat praktisch noch gar nicht angefangen, die Auflagen der Gerichte<br />

zu erfüllen, grundstücksbezogene, Geschoss- und Datenerhebungen zu erstellen,<br />

um überhaupt Beitragsbescheide zu verschicken, um die Kalkulation fit zu machen<br />

und, und, und. Das dauert bei einem fitten Verband schon zwischen einem halben<br />

und einem dreiviertel Jahr. Bei kleineren Verbänden dauert das halt noch länger.<br />

Wir wollen damit sagen: Es wird Verbände geben, die sich selbst bis 2020 noch<br />

mächtig sputen müssen, um das überhaupt zu schaffen.<br />

Ein Hauptproblem im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> stellt dar, dass viele Verbände noch keine<br />

wirksame Satzung haben. Wir haben das heute schon an sehr vielen Stellen gehört.<br />

In den ganzen Diskussionen der vergangenen Jahre wurde das auch schon diskutiert.<br />

Wir sind im Grunde der Meinung: Der Innenminister und der Justizminister<br />

müssten sich schon einmal mit der Gerichtsbarkeit hinsetzen und uns als Zweckverbänden<br />

sagen, wie eine wirksame Satzung aussieht.<br />

Sie können die renommiertesten Anwälte der Welt hier in <strong>Brandenburg</strong> bezahlen und<br />

beauftragen, sich eine rechtswirksame Satzung schreiben zu lassen. Es wird Ihnen


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

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nicht gelingen. Aber das ist unserer Meinung nach zweieinhalb Jahrzehnten nach der<br />

Wende nicht normal. Wir wollen natürlich auch eine rechtswirksame Satzung haben.<br />

Ohne diese Voraussetzung - das haben wir gehört - kann man nicht erheben. Wie<br />

sollen also die, die jetzt noch keine wirksame Satzung haben, so schnell eine gerichtsfeste<br />

Beitragseinziehung organisieren? Das ist wohl schlecht möglich. Das ist<br />

die erste Anregung, die wir haben, dass man in <strong>Brandenburg</strong> offen darüber redet.<br />

Nach der Wende - ich erinnere daran -, hat uns das Innenministerium Mustersatzungen<br />

zur Verfügung gestellt. Wir sollten wieder zu so einem Zustand kommen. Man<br />

sollte aber auch einmal ganz deutlich mit der Gerichtsbarkeit sprechen und die ganze<br />

Sache nicht immer wieder an Formalien scheitern lassen.<br />

Wenn die Richter zu den jährlich stattfindenden Beitrags-/Gebührentagen einladen,<br />

fanden sie es bisher immer ganz schick, auch einmal darüber zu reden: Ist eine Kirche<br />

oder ein Sportplatz mit oder ohne Klo beitragspflichtig? Wir sollten uns um die<br />

wichtige Frage kümmern: Wie kommt man zu einer wirksamen Satzung?<br />

Natürlich warnen unsere Verbände und Aufgabenträger vor der Geschichte, die<br />

durch die Rechtsanwälte schon angesprochen wurde: Eine ungleiche Erhebung, egal<br />

wie sie zustande kommt, wird im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> natürlich zu Problemen führen.<br />

Ich male mir einmal aus: Ein Drittel der Aufgabenträger, die schon erhoben haben,<br />

kommen irgendwie durch und haben das Geld eingezogen, die Beiträge sind da.<br />

Zwei Drittel der Aufgabenträger im <strong>Land</strong> haben aber nicht eingezogen bzw. bekommen<br />

das rechtswirksam nicht hin. Was passiert mit dem Loch? Wir haben es heute<br />

schon gehört und werden es wahrscheinlich noch einmal hören. Umlagen werden<br />

unsere Kommunen dafür nicht zahlen. Wir gucken immer wieder zum <strong>Land</strong> und sagen:<br />

Dieses Loch muss ausgeglichen werden, die Neuanschließer erwarten das aufgrund<br />

der Rechtsprechung. Ansonsten bleibt die ganze Sache ungerecht.<br />

Das sind - da denke ich in Zahlen - ganz, ganz viele Millionen Euro. Hier sind ja<br />

schon dreistellige Millionenzahlen genannt worden. Das Gleiche passiert, wenn uns<br />

Beitragsforderungen verlorengehen bzw. nicht einziehbar sind. Wir werden immer<br />

wieder zum <strong>Land</strong> gucken und nachfragen: Wie wollen wir das denn lösen? Es wird<br />

vielleicht nicht Schuldenmanagementfonds heißen, aber irgendwie muss man es regeln.<br />

Sie wissen, ich persönlich habe das auch nicht gut gefunden. Im öffentlichen<br />

Recht geht eine Forderung offensichtlich nicht unter. Wir alle müssen dafür sorgen,<br />

dass wir in den nächsten Jahren keine allzu großen Verwerfungen kriegen.<br />

Ich denke daran - damit will ich schließen -, dass wir im <strong>Land</strong> eine Leitbilddiskussion<br />

angefangen haben, wie wir Aufgabenträger besser organisieren können usw. Wie<br />

wollen wir das machen, wenn der eine Beiträge eingezogen hat und der andere<br />

nicht? Wir haben jetzt schon große Unterschiede bei den Gebühren. Wir werden es<br />

nie hinbekommen, bessere Strukturen zu organisieren. Das ist für mich auch ein<br />

Grund, der ganz praktikabel zu bedenken ist. - Danke schön.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Haferkorn, dass Sie auch diesen Part übernommen haben. - Jetzt


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hat Herr Otto Ripplinger vom Märkischen Abwasser- und Wasserzweckverband das<br />

Wort. Ich bitte auch Sie darum, die zehn Minuten einzuhalten. Daran werden wir die<br />

Fragerunde gleich anschließen.<br />

Herr Otto Ripplinger (Märkischer Abwasser- und Wasserzweckverband):<br />

Vielen Dank, Herr Vorsitzender. - Ich will versuchen, mich in Anbetracht dessen, dass<br />

die Zeit etwas vorangeschritten ist, kurz zu fassen. In meinem Vortrag will ich gar<br />

nicht so sehr auf das Juristische eingehen. Ich bin kein Jurist. Wir haben hier im<br />

Raum eine Menge Juristen, die das mit Sicherheit besser beurteilen können als ich.<br />

Ich will aus der Sicht eines Zweckverbandes mehr auf das Praktische eingehen (Anlage<br />

7).<br />

Wir haben vorhin gehört, man überlegt, ob eine zeitliche Obergrenze überhaupt in<br />

das KAG eingearbeitet werden sollte. Was für uns als Praktiker wichtiger ist, ist: Welche<br />

Grenze ist für uns am sinnvollsten und am praktikabelsten? Wir als Märkischer<br />

Abwasser- und Wasserzweckverband (MAWV) gehören, wenn ich mich auf den Vortrag<br />

von Herrn Haferkorn beziehen darf, zu der Kategorie 2. Wir sind ein Zweckverband,<br />

der die Beitragsbescheidung als solche bisher nicht vor sich hergeschoben<br />

hat, sondern die Aufgabe, wenn sie anstand, angegangen ist.<br />

Der MAWV ist im Jahre 1994 gegründet worden. Dem MAWV gehören 18 Städte und<br />

Gemeinden mit ca. 105 000 Einwohnern an, die ver- und entsorgt werden. Bei uns<br />

liegt der Erschießungsgrad mittlerweile bei fast 100 %. Wie viel Bescheide produziert<br />

ein Zweckverband? Welche Größenordnungen sind denn da zu bewältigen? Wir haben<br />

bis zum 31. Dezember 2010, seit der Gründung des Zweckverbandes, gegenüber<br />

den Bürgern 45 000 Bescheide erlassen. Aus diesen 45 000 Bescheiden haben<br />

wir 140 Millionen € eingenommen, die wir zur Finanzierung der neu errichteten Anlagen<br />

eingesetzt haben. Wir haben vorhin gehört, es gibt ein Zusammenspiel zwischen<br />

Anschlussbeiträgen und Gebühren. Die Auswirkung daraus ist, dass wir bei uns im<br />

Verbandsgebiet relativ sozialverträgliche, angemessene Gebühren haben. Die Widerspruchsquote,<br />

was die Gebühren in unserem Verbandsgebiet anbetrifft, ist im<br />

Vergleich zu den Anschlussbeiträgen, die wir erheben müssen, nahe null. Wir streiten<br />

uns selten über die Gebühren, die wir erheben. Wir streiten uns aber oft über die Anschlussbeiträge,<br />

weil wir seitens der Verbandsversammlung einstimmig festgelegt<br />

haben: Wir wollen einen relativ hohen Anschlussbeitrag erheben.<br />

Ein Punkt zwischendurch: Seit der Gründung des Zweckverbandes sind dem MAWV<br />

weitere neun Städte, Gemeinden, Eigenbetriebe, Ortsteile entweder freiwillig oder mit<br />

Hilfe des Schuldenmanagementfonds beigetreten. Viele haben vor dem Verbandsbeitritt<br />

auch eine Bescheidung durchgeführt und sind anschließend dem MAWV beigetreten.<br />

Daraus ergibt sich das Problem, dass nach Ansicht der Gemeinden die Bescheidung<br />

an sich so weit abgeschlossen, also nichts mehr anzufassen war. In Vorbereitung<br />

der Altanschließerbescheidung haben wir festgestellt: Dem ist nicht so. Da<br />

gibt es eine Menge Lücken, die noch klärungsbedürftig sind. Wir haben uns vorgenommen,<br />

auch diese Flurstücke zu klären und ein Grundstück, wenn es aus welchen<br />

Gründen auch immer von wem auch immer nicht beschieden worden ist, zur Wahrung<br />

des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu bescheiden. Wir wollten diese Lücken


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angehen, nachdem wir die Neuanschließerbescheidung abgeschlossen haben.<br />

Dann gab es seitens der Rechtsprechung die Aussage: Altanschließer sind nicht zu<br />

vergessen. Auch diese sind zu bescheiden. Also haben wir gesagt, wir stellen das<br />

andere zurück, stürzen uns auf die Altanschließer. Durch die Verbandsversammlung<br />

ist ein einstimmiger Beschluss gefasst worden: Wir wollen die Altanschließer bescheiden,<br />

und die sollen den gleichen Anschlussbeitragssatz zahlen wie die Neuanschließer,<br />

einfach um die daraus möglichen resultierenden negativen Auswirkungen<br />

auf Gebühren oder was auch immer zu vermeiden. Die Verbandsversammlung hat<br />

sich unter Abwägung der Risiken damals entschieden: Altanschließer zahlen den<br />

gleichen Anschlussbeitragssatz. Also haben wir mit der Bescheidung der Altanschließer<br />

begonnen. Gegenüber den sogenannten Altanschließern haben wir<br />

19 000 Bescheide erlassen müssen, Widerspruchsquote nahe 100 %.<br />

Begonnen haben wir am 1. Januar 2011. Jetzt haben wir Mitte 2013. Von den<br />

19 000 Bescheiden haben wir zwischenzeitlich 6 000 Widerspruchsbescheide abgearbeitet.<br />

Also haben wir noch ungefähr 13 000 Bescheide, die abzuarbeiten sind. Wir<br />

haben einmal hochgerechnet, wie lange wir mit unserem Personalbestand brauchen,<br />

um eine fundierte, kontrollierte Abarbeitung auch in Kommunikation mit dem Bürger<br />

durchzuführen, und sind bei vier Jahren gelandet. Das bedeutet, wenn eine Festlegung<br />

der endgültigen Verjährungsfrist auf das Jahr 2015 erfolgt, werden wir das nicht<br />

schaffen. Da sind die 10 000 Lücken, die wir bisher vor uns hergeschoben haben,<br />

noch gar nicht drin.<br />

Wenn denn eine Festlegung auf 2015 erfolgt, werden wir, um den Schaden so gering<br />

wie nur irgend möglich zu halten, gezwungenermaßen nur noch Bescheide produzieren.<br />

Dann gibt es keine Kommunikation mit dem Bürger. Wir werden dann einfach<br />

zusehen, dass so viele Bescheide wie nur irgend möglich in die Welt gesetzt werden<br />

in der Hoffnung, dass wir diese Bescheide nicht irgendwann aufheben müssen.<br />

Wenn der Fall eintritt - die Wahrscheinlichkeit ist momentan relativ hoch -, werden<br />

dem Verband eine Menge Einnahmen verlorengehen, die er dann in irgendeiner<br />

Form refinanzieren muss. Da wird man sich auf jeden Fall die Frage stellen müssen,<br />

woher das Geld genommen werden soll. Man kann nicht sagen, dass der MAWV<br />

bisher untätig gewesen ist. Man kann auch nicht sagen: Okay, wir wollen jetzt eine<br />

kurzfristige Regelung. Ihr habt sechs Mitarbeiter, die momentan für euch tätig sind<br />

und die ganze Abarbeitung machen, verdoppelt den Personalbestand. Das geht auch<br />

nicht. Die Bescheidung und die Widerspruchsbescheidung als solche sind anspruchsvoll.<br />

Da müssen Sie schon ausgebildete Fachkräfte einsetzen und nicht Mitarbeiter<br />

einer Zeitarbeitsfirma. Wenn die Entscheidung 2015 fällt, wird man überhaupt<br />

keine Fachkräfte mehr bekommen, weil viele Zweckverbände gezwungenermaßen<br />

unter Zugzwang geraten, insbesondere die, die mit der Bescheidung noch<br />

gar nicht angefangen haben, und nach entsprechenden Fachkräften suchen.<br />

Quintessenz aus dem Ganzen ist, dass eine Festlegung der endgültigen Verjährungsfrist<br />

auf 2015 dem MAWV und vielen anderen Zweckverbänden im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

erhebliche Probleme bereiten, zu erheblichen Einnahmeausfällen und bei<br />

den Bürgern nicht unbedingt zu Verständnis führen würde. Deswegen unser Vorschlag,<br />

wenn denn schon eine zeitliche Regelung eingearbeitet werden muss, dann


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frühestens 2020 zu wählen.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Ripplinger. - Wir sind am Ende des zweiten Anzuhörendenblocks<br />

angekommen. Ich kann die Fragerunde eröffnen. Frau Nonnemacher hat sich zuerst<br />

zu Wort gemeldet, dann Herr Dr. Scharfenberg.<br />

Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90):<br />

Danke schön, Herr Vorsitzender. - Herr Haferkorn, Sie haben in Ihren Ausführungen<br />

schon angesprochen, dass bei der Regelung 2015 dem Verband Strausberg Erkner<br />

praktisch Einnahmeverluste von 10 Millionen Euro drohen würden. Wie hoch schätzen<br />

Sie das denn für das ganze Verbandsgebiet ein?<br />

Die gleiche Frage an Herrn Ripplinger. Sie haben gesagt, es stünden noch<br />

13 000 Bescheide aus, gegen die Widerspruch eingelegt werden könnte. Wie hoch<br />

ungefähr sind die zu erwartenden Ausfälle für Ihren gesamten Zweckverband?<br />

Jetzt meine Fragen an Herrn Prof. Herrmann. Sie hatten sich, ausgehend von der<br />

Stichtagsregelung, also bis zum 31. Dezember 2012 muss eine Satzung erlassen<br />

sein, dafür ausgesprochen, den 31. Dezember 2015 als nahe liegenden Termin zu<br />

wählen. Sie haben die Stellungnahmen der Vertreter der Zweckverbände gehört.<br />

Was meinen Sie, wie mit den Einnahmeverlusten umzugehen wäre? Wer trägt die<br />

Kosten? Entsteht durch das Konnexitätsprinzip in <strong>Brandenburg</strong> ein Anspruch gegenüber<br />

dem <strong>Land</strong>, dass die Kommunen sagen können: Wenn ihr euch per Gesetzgebung<br />

auf diese Frist festlegt, seid ihr auch verpflichtet, den Zweckverbänden oder<br />

den beteiligten Kommunen diese Kosten zu ersetzen? Welche anderen Finanzierungsvorschläge<br />

gibt es, die rechtskonform wären, um diese Einnahmeausfälle zu<br />

kompensieren?<br />

Vorsitzender:<br />

Ich möchte nun die Liste der Fragesteller vorlesen. Nach Frau Nonnemacher wird<br />

zunächst Herr Dr. Scharfenberg das Wort bekommen, dann Herr Burkardt und dann<br />

Herr Goetz. Ich frage an dieser Stelle: Gibt es weiteren Fragebedarf? Ich möchte nur<br />

eine Fragerunde zulassen, um der fortgeschrittenen Zeit Rechnung zu tragen. - Ich<br />

sehe, das ist nicht der Fall. Dann arbeiten wir diese vier Fragen ab. Die drei Kollegen<br />

bekommen jetzt Gelegenheit, ihre Fragen zu stellen. - Herr Dr. Scharfenberg.<br />

Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE):<br />

Ich denke, dass die Vertreter der Verbände hier deutlich gemacht haben, dass sie<br />

ihre wirtschaftlichen Interessen vertreten. Das ist auch legitim. Das ist ihre Verantwortung.<br />

Aber das Bundesverfassungsgericht hat ja gerade mit seiner Entscheidung<br />

darauf aufmerksam gemacht, dass es einen anderen Aspekt gibt, nämlich den der<br />

Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für zu Veranlagende. Vielleicht können<br />

Sie diesen Aspekt in Ihre Überlegungen einbeziehen. Ich weiß, dass ich Ihnen damit


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etwas zumute. Ich bitte Sie trotzdem, sich dazu zu äußern.<br />

An Herrn Haferkorn noch folgende konkrete Frage: Der bisherige Prozess, wie mit<br />

Satzungen verfahren worden ist, ist uns sehr geläufig. Wie kann man das in geeigneter<br />

Weise abstellen? Könnten Sie sich vorstellen, Satzungen über ein verbindliches<br />

Normenkontrollverfahren rechtssicher zu machen? Oder gibt es andere Vorschläge?<br />

Ansonsten laufen wir Gefahr, dass dieser Prozess immer weitergeht. Ich will gar nicht<br />

ausschließen, dass Verbände auch das Interesse entwickeln können, dass ihre Satzungen<br />

nicht rechtswirksam sind.<br />

Abgeordneter Burkardt (CDU):<br />

Schönen Dank, Herr Dr. Scharfenberg, für die Vorlage, was die Frage anbelangt. Da<br />

bin ich bei meiner Frage angelangt, die ich Herrn Prof. Herrmann stelle. Möglicherweise<br />

besteht kein Interesse daran, Satzungen bestandskräftig oder rechtswirksam<br />

werden zu lassen, weil man sich damit der Befristungen, die denkbar sind, entledigen<br />

kann.<br />

Ich will die Frage weglassen, ob jedes Mal dann, wenn das <strong>Land</strong> ein Gesetz gemacht<br />

hat, das vor dem Verfassungsgericht nicht Bestand hat, die Konnexitätspflicht des<br />

<strong>Land</strong>es auslösen würde. Das wäre ein hoch interessanter Ansatz, den wir einmal diskutieren<br />

könnten.<br />

Ich habe eine ganz schlichte Frage. Es wäre durchaus nicht außergewöhnlich, Herr<br />

Prof. Herrmann, wenn der Gesetzgeber Ihren Überlegungen, nämlich die Bedingungen<br />

der rechtswirksamen Satzungen zu streichen, nicht folgen würde. Deswegen<br />

meine Frage: Woran erkennt man eigentlich eine rechtswirksame Satzung?<br />

Abgeordneter Goetz (FDP):<br />

Prof. Herrmann, Sie haben anhand der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Cottbus,<br />

die relativ frisch ist, einen Formulierungsvorschlag unterbreitet. Als Praktiker der<br />

Rechtsetzung frage ich mich, ob man nicht auch eine rechtssichere Formulierung<br />

finden würde, wenn man einfach wieder den Zustand herstellt, wie er bis 2004 bestanden<br />

hat. Würden Sie mir zustimmen, dass das auch eine Variante wäre, um<br />

Rechtssicherheit und eine verfassungsfeste Rechtslage herzustellen?<br />

Zweitens. Von mehreren ist gerügt worden, dass man, wenn es eine Verjährungsfrist<br />

nur bis 2015 gäbe, nicht mehr reparieren könnte. Ist es nicht eigentlich so, dass im<br />

Verwaltungsgerichtsverfahren eine gewisse Verjährungshemmung eintritt, dass man<br />

also, wenn in so einem Verfahren offensichtlich wird, dass die eigene Satzung nicht<br />

hält, nachbessern könnte? Das würde einen Teil der Argumente, der hier gekommen<br />

ist, entfallen lassen. Die Behörden sind ja eh privilegiert, weil sie fortlaufend nachbessern<br />

können, was sie Bürger im Regelfall nicht können.<br />

Herr Haferkorn, Sie haben darauf hingewiesen, dass gleiche Beträge für alle die einzige<br />

rechtssichere Erhebungsmöglichkeit seien. Ich weiß nicht, ob Ihnen das Beispiel<br />

Rheinsberg bekannt ist. Die machen das ja anders. Die haben im Grunde gar keine<br />

Beiträge, die erhoben werden. Sie haben alles über Gebühren geregelt und sagen,


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die Diskussion, die wir führen, geht sie nichts an, weil sie eine rechtssichere Variante<br />

haben. Wäre das nicht auch eine Möglichkeit, für Rechtssicherheit zu sorgen - natürlich<br />

mit dem Hintergrund, dass dann zwangsläufig die Gebühren höher werden? Das<br />

muss man wissen. Das ist bereits angesprochen worden. In Rheinsberg haben sie es<br />

einmal auf einer Fachtagung des Innenministeriums vorgerechnet. Es war erstaunlicherweise<br />

sehr überschaubar, was dort an zusätzlichen Gebühren erhoben worden<br />

ist.<br />

Herr Haferkorn, Sie sagen, wenn Sie 10 Millionen Euro zurückzahlen müssten, wäre<br />

das nach vier Jahren Verfahrensdauer bitter. Vier Jahre Verfahrensdauer bedeuten<br />

bei 10 Millionen Euro auch 2,4 Millionen Euro Zinsen. Was machen Sie mit denen?<br />

Haben Sie die irgendwo eingepreist? Wie wollen Sie damit umgehen? Die müssen ja<br />

oben draufkommen. Sie müssen dann ja verzinsen. 2,5 Millionen Euro obendrauf ist<br />

ja kein Pappenstiel.<br />

Herr Ripplinger, Sie haben darauf verwiesen, dass Sie nicht nur Altanschließer veranlagen<br />

müssten, sondern auch aus beigetreten Gemeinden viele Lücken haben. Sind<br />

das nicht eigentlich die klassischen Verjährungsfälle, wo man sagen würde: Es ist<br />

ganz typisch, dass man, wenn eine Gemeinde, eine Stadt 20, 30, 40 Leute vergessen<br />

hat, irgendwann nicht mehr kommen. Kann es Anliegen des Gesetzgebers sein,<br />

dass Schlamperei, die durch Lücken in der eigenen Satzungsfindung entstanden ist,<br />

die sich im Nachhinein auswirkt, zu einer Veranlagung zu führt? Kann das wirklich<br />

unser Ansatz sein?<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank. - Wir gehen in die Beantwortung der Fragen über. Herr Prof. Herrmann<br />

beginnt.<br />

Prof. Dr. Klaus Herrmann (Dombert Rechtsanwälte):<br />

Vielen Dank. - Ich habe aus den Fragen vier Komplexe herausgenommen. Von Herrn<br />

Burkardt kam die allgemeine Frage: „Woran erkenne ich eine wirksame Satzung?“.<br />

Es ist dem normalen Bürger, dem normalen Abgabengläubiger schlichtweg nicht<br />

möglich, die Wirksamkeit einer Satzung zu erkennen. Ich glaube auch, dem Beschluss<br />

des Verfassungsgerichts das Verständnis für die Situation des Bürgers entnehmen<br />

zu können - ich sage nicht, dass es das gesagt hat; ich sage, es entnehmen<br />

zu können -, dass die Frage der Wirksamkeit einer Satzung das denkbar ungeeignetste<br />

Mittel ist, Klarheit hinsichtlich des rechtsstaatlichen Geltungszeitraums einer<br />

solchen Vorteilsabgeltung zu schaffen. Deshalb war mein Vorschlag - meiner Meinung<br />

nach auch der konsequenteste -, zu sagen: Dann lasst die Beitragspflicht in<br />

dem Moment entstehen, in dem das Grundstück angeschlossen werden kann.<br />

Zur zweiten Ebene. Herr Goetz fragt nach der Ablaufhemmung in gerichtlichen verwaltungsgerichtlichen<br />

Verfahren. Ja, in der Tat sieht die Rechtslage jetzt schon durch<br />

den in Bezug genommenen § 171 Abs. 3 a der Abgabenordnung vor, dass derjenige,<br />

der gegen einen Abgabenbescheid Widerspruch erhebt und klagt, nicht in dem gleichen<br />

Maße in seinem Vertrauen geschützt ist, nicht mehr in Anspruch genommen zu


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werden wie derjenige, der nicht klagt oder gar keinen Bescheid bekommt, denn er<br />

bringt mit seinem Widerspruch oder seiner Klage ja zum Ausdruck: Das akzeptiere<br />

ich nicht. Damit verlassen wir den Normalfall. Wir gehen jetzt in eine Klärung des<br />

Einzelfalls, für die der Gesetzgeber in der Abgabenordnung schon einen Interessenausgleich<br />

geschaffen hat. Der heißt: Bis zum rechtskräftigen Ende des Klageverfahrens<br />

verjährt hier überhaupt nichts. Das ist eine Regelung, die den Charme hat, den<br />

Aufgabenträgern im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Nachbesserungsmöglichkeiten<br />

zu eröffnen.<br />

Ich darf sowohl die Anmerkungen von Herrn Hornauf, der sich jetzt leider nicht wehren<br />

kann, als auch zu den Anmerkung von Herrn Haferkorn über die Umstände der<br />

verwaltungsgerichtlichen Verfahren Folgendes nachschieben: Wir haben hier heute<br />

leider keinen Verwaltungsrichter hier. Die können sich nicht wehren. Die werden sich<br />

wehren, wenn das Innenministerium oder das Justizministerium auf sie zukommen<br />

und sagt: Geht bitte mit den verwaltungsgerichtlichen Verfahren anders um. Denn es<br />

gibt auch im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> richterliche Unabhängigkeit.<br />

Ich weiß nicht, ob das Meckern mit den Verwaltungsgerichten zielführend ist. Man<br />

muss immerhin die Frage stellen, was zuerst da war, das Huhn oder das Ei. Solange<br />

die Verwaltungsrichter wissen, der Verband kriegt neue Hausaufgaben auf, muss<br />

nach Hause gehen, macht eine neue Satzung und kann dann sowieso neu heranziehen,<br />

trägt das auch dem Erwartungshorizont an die eigene Arbeitsleistung des Verwaltungsrichters:<br />

„Wie werde ich am schnellsten mit dem Fall fertig?“, Rechnung. Ist<br />

dem Verwaltungsrichter klar, er muss hier entscheiden, und zwar über alles oder<br />

nichts, auch für den Verband? Ich kenne alle Abgabenkammern im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong>,<br />

ich kenne den Abgabensenat des Oberverwaltungsgerichts. Es gibt Äußerungen<br />

dazu, was sie von der Arbeit der Verwaltungsträger halten. Die will ich hier nicht<br />

wiedergeben. Ich halte es für zu erwarten, dass, wenn man in einem solchen Fall als<br />

Aufgabenträger sagt: „Hallo, hör zu, auch wenn ihr meine Satzung beim Oberverwaltungsgericht<br />

im Berufungsverfahren für unwirksam erklärt, gehe ich gegenwärtig von<br />

der Wirksamkeit der Satzung aus“, das einen Gehörsverstoß darstellen kann, dass<br />

der Aufgabenträger, wenn es darum geht, die ganze Abgabe zu verlieren, die nur<br />

wegen eines Satzungsfehlers im Streit steht, zukünftig verlangen kann, dass das Gericht<br />

rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung, auf deren Grundlage es über den<br />

Fall entscheiden möchte, auf Satzungsmängel hinweist, um dem Verband die Möglichkeit<br />

zu geben, seine Satzung zu korrigieren.<br />

Herr Hornauf hat folgenden Fall gebracht: In dem Moment, in dem das Verwaltungsgericht<br />

sagt: „Es liegt ein Veröffentlichungsmangel vor, weil wir das Amtsblatt 7.1 genannt<br />

haben“, wäre meine Beratung möglicherweise anders ausgefallen als zu sagen:<br />

Lass das bitte vor dem Oberverwaltungsgericht klären. Es wäre für den Verband<br />

die billigere Lösung gewesen, bekanntzumachen. Egal! So weit zu der Frage, wie<br />

man gerichtliche Verfahren schneller machen kann. Ich will Herrn Haferkorn aber<br />

nicht vorgreifen.<br />

Dritte Ebene, Frau Nonnemacher! Wie komme ich auf den Termin 2015? Ich komme<br />

auf den Termin 2015, weil ich dem Vorschlag, der Formulierungshilfe und dem Referentenentwurf<br />

des Innenministeriums entnommen habe, dass man sich dort über die


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Abwägung des Vertrauensschutzes mit der speziellen strukturellen Situation im <strong>Land</strong><br />

<strong>Brandenburg</strong> und der speziellen Situation des Anschlussbeitragsrechts schon Gedanken<br />

gemacht hat. Es ist nicht so - wenn ich das einmal aus meiner persönlichen<br />

Erfahrung reflektieren darf -, dass die Frage der Altanschließerheranziehung bis zur<br />

Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Jahr 2000 vollkommen selbstverständlich<br />

war. Es war von Anbeginn, von 1995 an umstritten, ob die Altanschließer<br />

herangezogen werden dürfen.<br />

Keiner, weder die Verantwortlichen bei den Verbänden, noch die Grundstückseigentümer,<br />

können bei einer solch ungewissen Rechtslage darauf vertrauen, dass das<br />

Recht nun gerade auf das Feld, auf dem sie stehen, das Licht wirft. Es war unsicher.<br />

Durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts im Dezember 2001 wurde gesagt, die<br />

Altanschließer sollen herangezogen werden. Damit ist eine letztverbindliche Auslegung<br />

des <strong>Land</strong>esrechts herbeigeführt worden, zehn Jahre nach Schaffung der ersten<br />

Verbände. Das ist eine enorme Zeitdauer, die mit den besonderen Bedingungen des<br />

Aufbaus der Verwaltungsgerichtsbarkeit zusammenhängt. Sie sehen, das Berufungsverfahren<br />

beim Oberverwaltungsgericht hat ein 98er-Aktenzeichen, als es im Dezember<br />

2000 entschieden wurde. Also es dauert auch beim Oberverwaltungsgericht<br />

zwei, drei Jahre, bis so etwas passiert. Das sind Zeiträume, die der Gesetzgeber für<br />

die Frage: „Wie sollen heute Herstellungsbeiträge, die noch ausstehen, festgesetzt<br />

werden?“, natürlich berücksichtigen muss. Daher komme ich dazu und sage: Der<br />

Gesetzgeber hat sich doch schon einmal Gedanken gemacht. Wir sind vom Oberverwaltungsgericht<br />

mit dem Urteil vom 12. Dezember 2007 darauf hingewiesen worden,<br />

dass wir bei der Änderung des § 8 Absatz 7 Satz 2 KAG im Dezember 2003 mit<br />

Wirkung zum 1. Februar 2004 die Auswirkungen nicht richtig bedacht haben. Wir gingen<br />

damals davon aus, alle haben rechtswirksame Satzungen, das hat überhaupt<br />

gar keine Auswirkungen. Nein, das Gegenteil war der Fall.<br />

Jetzt hat man gesagt: Die Beitragspflichten, die ihr braucht, um euch zu refinanzieren<br />

und möglicherweise die Altanschließer heranzuziehen, sind noch gar nicht entstanden.<br />

Wir schreiben es rein, weil wir das immer schon so verstanden haben: Wir wollen<br />

rechtswirksame Satzungen für das Entstehen des sachlichen Beitragspflicht haben.<br />

Das weckt natürlich auch Begehrlichkeiten.<br />

Das Oberverwaltungsgericht hatte schon im Jahr 2000 in dem Urteil, in dem es gesagt<br />

hat, es komme auf das In-Kraft-Setzen, nicht das Inkrafttreten der ersten Satzung<br />

an, versucht, diese Unsicherheiten im Wege der Rechtsanwendung vorwegzunehmen.<br />

Es konnte nicht das Gesetz ändern. Es konnte nicht sagen: Ich verschließe<br />

die Augen vor den Worten, dass die Beitragspflicht erst entsteht, wenn eine Satzung<br />

in Kraft tritt; das berücksichtige ich gar nicht. Das darf das Oberverwaltungsgericht<br />

natürlich nicht. Die haben versucht, diesen Tatbestand so weit als möglich verfassungskonform<br />

auszulegen, zu sagen: Da muss ich den Vertrauensschutz der Bürger<br />

hineinlesen. Ich kann nicht mit dem einen Tatbestandsmerkmal Anschlussmöglichkeit<br />

des Grundstücks sagen: „Hier hast du etwas vor Augen gesetzt, das siehst du, ab<br />

jetzt läuft die Uhr vier Jahre“, das gleiche Tatbestandsmerkmal aber durch die Auslegung<br />

des anderen Tatbestandsmerkmals: „Es kommt aber immer noch auf die für<br />

dich unsichtbare Wirksamkeit der Satzung an“, völlig entfallen lassen. Das ist der


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Zustand, den wir jetzt haben.<br />

Ich meine, der Gesetzgeber hat die Abwägung schon einmal getroffen und gesagt:<br />

Vor dem 31. Dezember 2011 verjähren Beitragspflichten bei den Altanschließern<br />

nicht. Jetzt ist es ein wenig hin und hergeschoben, denn es gibt Feinheiten. Da steht<br />

Satz 2 in § 12 Abs. 3 a KAG: Sie verjähren nur dann nicht, wenn sie nicht bereits verjährt<br />

sind. Das muss man mit bedenken. Das bezieht sich nach meinem Verständnis<br />

aber auf die damalige Rechtslage, dass die Beitragspflichten gegenüber den Altanschließern<br />

schon deshalb nicht verjähren konnten, weil sie nach dem selbst gesetzten<br />

Recht des Gesetzgebers gar nicht verjähren konnten, weil sie noch nicht entstanden<br />

waren. Kompliziert!<br />

Ich meine, mit dem Gesetzesbeschluss 2010 zu sagen, bis zum 31. Dezember 2011<br />

verjährt hier überhaupt nichts, die Aufgabenträger sollen sich darauf einstellen, sollen<br />

das machen können, kann man einen zeitlichen Anknüpfungspunkt festmachen zu<br />

sagen: Ab dem 31. Dezember 2011 mussten die Verantwortlichen bei den Verbänden<br />

bösgläubig sein.<br />

Lassen wir einmal die Frage Mustersatzung, Unterstützung des Innenministeriums,<br />

allgemeine Richtigkeitszweifel an den Satzungen außen vor. Das ist - Entschuldigung<br />

- Betriebsrisiko der Verbände. Ab dem Zeitpunkt musste man sich darauf einstellen:<br />

Wir müssen etwas tun. Ich halte es für vertretbar, wenn man sagt, dass spätestens<br />

zu diesem Zeitpunkt Beitragspflichten so entstanden sind, dass sie, wie das Bundesverfassungsgericht<br />

fordert, auch irgendwann mal wirklich beendet sind, das wir darüber<br />

nicht mehr reden. Dafür werbe ich noch einmal.<br />

In diesen verwaltungsgerichtlichen Verfahren findet in jedem Einzelfall - lassen Sie es<br />

500 oder 1 000 oder 50 000 im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> sein; das ist mir im Moment egal -<br />

irgendwann die letzte mündliche Verhandlung statt. Daraufhin ergeht ein Urteil. Dieses<br />

Urteil ist mit Rechtsmitteln angreifbar. Auch das Berufungsgericht ist irgendwann<br />

fertig. Danach ist die Frage: Gibt es eine Nichtzulassungsbeschwerde? Gibt es eine<br />

Verfassungsbeschwerde? Auch das ist irgendwann fertig. Meine Bitte: Setzen Sie<br />

heute den Stein in das Mosaik ein, um in 15 Jahren nicht wieder über entstandene<br />

Beitragspflichten debattieren zu müssen. Setzen Sie heute den Stein ein, der notwendig<br />

ist, um auch das Thema Altanschließer für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> abzuschließen.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Prof. Herrmann. - Jetzt hat Herr Haferkorn die Möglichkeit, auf<br />

Fragen einzugehen. - Noch eine Nachfrage?<br />

Prof. Dr. Klaus Herrmann (Dombert Rechtsanwälte):<br />

Sie hatten noch die Frage nach dem Konnexitätsprinzip. Beinahe wäre ich aus Zeitgründen<br />

nicht dazu gekommen, sie zu beantworten.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Ich gehe davon aus, dass gegenwärtig Abgabenpflichten durchsetzbar sind und dass<br />

es in den Händen der Verbände liegt, diese Beitragspflichten durchzusetzen. Ich gehe<br />

davon aus, dass das Satzungsrisiko, dass das Risiko der verwaltungsgerichtlichen<br />

Verfahren Betriebsrisiken der Verbände sind, mit denen sie umgehen müssen.<br />

Ich halte es für ein sehr schmales Brett zu sagen, dass für alle Rahmenbedingungen,<br />

die irgendwie zu Defiziten bei den Verbänden führen, der Gesetzgeber zuständig ist<br />

oder gar die Aufsichtsbehörde. Bei der Aufsichtsbehörde hätte ich vielleicht noch ein<br />

paar Ansatzpunkte, wenn man sagt: Die haben aber gesagt, die haben uns in die und<br />

die Richtung laufen lassen.<br />

Gibt es spezielle Regelungen? Das Staatshaftungsgesetz lassen wir außen vor. Der<br />

Gesetzgeber ist mit drohenden Schadensersatzansprüchen nicht erpressbar. Sie<br />

müssen berücksichtigen: In dem Moment, in dem Sie den Kommunen für die ihnen<br />

übertragenen Aufgaben die Entgelte abschneiden, sind Sie durch das Konnexitätsprinzip<br />

in der Tat verpflichtet, eine Ersatzfinanzierung zur Verfügung zu stellen. Ich<br />

meine aber, es ist wiederum ein schmales Brett, das vielleicht daneben liegt, zu sagen,<br />

wenn ich heute, im Jahr 2013, eine gesetzliche Regelung schaffe, ermöglicht<br />

das den Aufgabenträgern, innerhalb von noch immer zwei Jahren Festsetzungsbescheide<br />

zu erlassen, vor Ablauf von Verjährungsfristen oder zeitlichen Obergrenzen;<br />

das ist eine für die Aufgabenträger zumutbare Zeit. Ich spreche nicht davon, dass<br />

möglicherweise Personal gesucht oder eingestellt oder qualifiziert werden muss. Ich<br />

spreche auch nicht davon, dass in dieser Zeit Widerspruchsverfahren oder ähnliches<br />

bearbeitet werden muss. Ich spreche davon, dass es zum Betriebsrisiko der Verbände<br />

zählt, auch vor Abschluss eines Musterverfahrens beim Oberverwaltungsgericht<br />

über die Wirksamkeit der Satzung ein Risiko einzugehen und Beitragspflichten durch<br />

Bescheid festzusetzen.<br />

Kommt die Widerspruchsquote oder Klagequote 100 %, kann man sich auf Seiten<br />

der Verbände getrost zurücklehnen und sagen: In den Fällen ist die Verjährung in<br />

ihrem Ablauf gehemmt. Das sieht das geltende Recht ja schon vor. Bitte lassen Sie<br />

sich nicht bedrohen mit: „Das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> muss jetzt die ganzen Abwasserund<br />

Trinkwasseranlagen als Schadensersatzanspruch für eine ganz kurze Verjährungsfrist<br />

noch einmal finanzieren“. Das ist wohl nicht der Fall. Bei den Verbänden<br />

sitzen Fachleute. Die wissen, wie man Bescheide schreibt. Die können auch einen<br />

Katasterauszug lesen. Die wissen, wo man Grundbuchauszüge herbekommt. Die<br />

wissen inzwischen auch, dass man eine GbR heranziehen muss und nicht die Gesellschafter.<br />

Wir sind im Jahr 2013. Da sollten die sich nicht bescheidener beschreiben,<br />

als sie eigentlich sind. Die können das. Das sind die Fachleute. Die zeigen das<br />

mit Bescheiden tausendfach. Ich meine, dass es eine zumutbare Zeit ist, das bis<br />

2015 zu machen. Ich sehe geringe Risiken für Forderungen, die sich auf das Konnexitätsprinzip<br />

stützen, sofern Sie es regeln, dass die Beitragspflichten erst in Zukunft<br />

nicht mehr durchsetzbar sind. Sollten Sie regeln, dass die Beitragspflichten im<br />

Falle der Altanschließer ad hoc nicht mehr durchsetzbar sind, dass die alle wieder<br />

rausfallen, mag es Lücken geben. Ob das hinterher drei- oder vierstellige Millionenbeträge<br />

sind, steht auf einem anderen Blatt.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Prof. Herrmann. - Jetzt hat Herr Haferkorn die Möglichkeit, auf die<br />

Fragen zu antworten, die an ihn gerichtet waren. Ich bitte Sie, sich möglichst kurz zu<br />

fassen.<br />

Herr Henner Haferkorn (Wasserverband Strausberg Erkner/KOWAB <strong>Brandenburg</strong>-Ost):<br />

Frau Nonnemacher fragte mich nach den Millionen im gesamten Verbandsgebiet.<br />

Das waren schon die 10 Millionen Euro die für das gesamte Verbandsgebiet beklagt<br />

sind. Bestandskräftig sind 12,6 Millionen Euro für das gesamte Verbandsgebiet.<br />

Die Frage von Herrn Goetz nach der Umstellung auf reine Gebühren schließe ich<br />

gleich an. Das ist ein Riesenproblem. Als Verbände wollen wir eine bürgernahe und<br />

sozialverträgliche Politik mit unseren Bürgermeistern und Abgeordneten machen. Wir<br />

haben vorhin erklärt, warum wir überhaupt Beiträge eingeführt haben. Wenn wir das<br />

auf den Kopf stellen, geht die Gebühr hoch und die Mieter zahlen die Investitionen<br />

gleich hoch mit wie der Eigenheimbesitzer. Das kann unserer Meinung nach politisch<br />

nicht gewollt sein. Aber selbst wenn es gewollt wäre, frage ich: An wen wollen Sie die<br />

55 Millionen Euro Investorenzuschüsse zurückzahlen? Wir haben keine Erschließungsträger,<br />

keine Bauträger mehr. Wir wüssten gar nicht, wohin wir die<br />

55 Millionen Euro überweisen sollten.<br />

Wir haben gehört, dass es häufig Grundstückswechsel gibt. Sollen wir, wenn wir auf<br />

Gebühren umstellen, die Beiträge dem jetzigen Grundstückseigentümer überweisen?<br />

Na, wunderbar; da würde ich mich auch freuen. Da kriegen Sie Verwerfungen ohne<br />

Ende. Eine Umstellung im Nachhinein funktioniert unserer Meinung nach nicht. Das<br />

mag in einem kleinen Verbandsgebiet anders sein. Beim MAWV oder bei uns in<br />

Strausberg und bei anderen Verbänden ist das undenkbar.<br />

Es gibt viele Politiker, die stark daran interessiert sind - man merkt es auch an den<br />

Nachfragen -, dass die ganze Geschichte auch wirklich verjährt. Hat man 2015 vor<br />

Augen, ist die Motivationslage bei dem einen oder anderen Politiker bestimmt nicht<br />

so hoch. Vielleicht einigt man sich. Man tut und macht, als habe man Aufwand, und<br />

trotzdem schafft man es nicht. Diese Motivationslage ist, wenn man 2020 oder noch<br />

später - noch besser -, natürlich nicht da. Dann müssen alle Aufgabenträger bemüht<br />

sein, sämtliche Einnahmen zu realisieren.<br />

Zu der Frage von Herrn Dr. Scharfenberg zu Normenkontrollverfahren: Sie haben die<br />

Lehrbuchantworten meiner Nachbarn gehört. Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen.<br />

Wir sind aufgrund von Rechtsprechungen immer wieder angehalten, unsere<br />

Satzung in Schrittchen zu verbessern. Ein Muster, wie eine wirksame Satzung aussehen<br />

soll, hilft gar nichts. Ich habe die Richter auch schon gefragt. Sie haben geantwortet,<br />

ich solle rechtsberatende Berufe fragen, sie dürften keine Auskunft geben.<br />

Die wissen das auch nicht. Aber sie finden immer wieder Geschichten, die uns das<br />

Leben schwer machen. Wer meint, das geht in Ordnung - okay. Wir meinen, es ist<br />

zweieinhalb Jahrzehnte nach der Wende überhaupt nicht in Ordnung, dass die Ver-


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 56<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

bände in so hoher Anzahl keine wirksamen Satzungen haben. Deswegen unsere Bitte,<br />

von der <strong>Land</strong>espolitik mehr darauf hinzuwirken. Dass Richter ihr Schild hochhalten<br />

und unabhängig sind, ist uns wohl bewusst.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Haferkorn. - Herr Ripplinger hat jetzt die Möglichkeit, auf die Fragen<br />

einzugehen.<br />

Herr Otto Ripplinger (Märkischer Abwasser- und Wasserzweckverband):<br />

Frau Nonnemacher, zu den möglichen Ausfällen: Ich habe vorhin gesagt, wir haben<br />

schon 6 000 Widerspruchsbescheide erlassen. Da sind 150 Verfahren vor den Gerichten<br />

anhängig, sowohl vor dem Verwaltungsgericht wie auch vor dem Oberverwaltungsgericht<br />

mit einem relativ geringen Streitwert von 500 000 Euro. Was in den<br />

13 000 noch offenen Bescheiden enthalten ist, sind die großen Wohnungsbaugesellschaften.<br />

Denen gegenüber haben wir noch keinen Widerspruchsbescheid erlassen.<br />

Erst mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides müssen sie sich entscheiden, ob<br />

sie klagen. Da sieht es so ähnlich aus wie in Strausberg. Die Summe aller größeren<br />

Wohnungsbaugesellschaften macht bei uns ungefähr 5 Millionen Euro aus. Wie sie<br />

sich letztlich entscheiden, kann ich heute nicht abschätzen.<br />

Aus den restlichen 10 000 Flurstücken, die wir noch bescheiden, zumindest klären<br />

wollten, schätzen wir Einnahmen in Höhe von 3 oder 4 Millionen Euro. Wie da die<br />

Widerspruchsquote sein wird, wissen wir nicht. Unserer Ansicht nach wird sich die<br />

Widerspruchsquote bei der Festlegung einer endgültigen Verjährungsfrist auf 2015<br />

erhöhen. Insbesondere bei den Wohnungsbaugesellschaften oder den Grundstückseigentümern,<br />

die über eine Rechtsschutzversicherung verfügen - das ist ein relativ<br />

hoher Anteil -, ist das Risiko relativ gering. Sie werden mit Sicherheit versuchen, auf<br />

dem Rechtswege darauf zu hoffen, dass nach der festgelegten Verjährungsfrist der<br />

Bescheid als solcher vom Verband aufgehoben werden muss und dann gegenüber<br />

dem Grundstückseigentümer nicht neu aufgemacht werden kann.<br />

Zu den Lücken: Es mag sein, dass in der Vergangenheit vor dem Beitritt zum MAWV<br />

von wem auch immer etwas versäumt worden ist. Wir wollen gegenüber den Vorgängern<br />

keine Schuldzuweisung betreiben. Wir haben ein bestimmtes Problem festgestellt,<br />

und wir haben uns vorgenommen, dieses Problem anzugehen, um am Ende<br />

sagen zu können, dass alle bescheidpflichtigen Grundstücke bei uns im Verbandsgebiet<br />

tatsächlich zu einem Anschlussbeitrag herangezogen worden sind.<br />

Vorsitzender:<br />

Sind die Fragen aus Ihrer Sicht alle beantwortet? - Dann können wir die Fragerunde<br />

schließen und eröffnen den letzten Anzuhörendenblock. Wir beginnen mit Herrn Rudolf<br />

Ehrhardt von Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong>. Ich bitte Sie um Ihr Statement und<br />

bitte Sie, auf die zehn Minuten zu achten.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Herr Rudolf Ehrhardt (<strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er Haus-, Wohnungsund<br />

Grundeigentümervereine):<br />

Ich möchte mich erst einmal vorstellen. Mein Name ist Rudolf Ehrhardt, Haus &<br />

Grund <strong>Brandenburg</strong>. Wir sind eine Eigentümerorganisation in <strong>Brandenburg</strong> mit<br />

3 200 Mitgliedern und 19 Ortsvereinen. Ich bin auch Mitglied im Bundesverband. Dort<br />

sind wir immerhin 900 000 Eigentümer. Wir sind in jedem Bundesland vertreten. Dort<br />

bin ich seit 2010 tätig und seit 16. März 2013 Vorsitzender von Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong>.<br />

Ich habe die Diskussion hier heute sehr aufmerksam verfolgt. Wir vertreten mehr die<br />

Klientel der Mehrfamilienhausbesitzer und fühlen uns auch immer ein bisschen für<br />

unsere Mieter verantwortlich. Ich bin erschrocken über das, was ich gehört habe. Ich<br />

glaube nicht, dass jemand mit der jetzigen Situation zufrieden ist.<br />

Wir wollen konstruktiv mitwirken. Ich bin seit 20 Jahren im Kreis Oberhavel in der<br />

Beratung tätig. Ich habe das mit den überdimensionierten Klärwerken miterlebt. Das<br />

war bundesweit zu hören. Ich höre, es gibt Widerspruchsraten von knapp 100 % bei<br />

den Altanschließern. Das ist für den Abwasserzweckverband und für die Bürger eine<br />

unerträgliche Situation.<br />

Es wurde nach einer zeitlichen Regelung und den Auswirkungen des Urteils des<br />

Bundesverfassungsgerichts gefragt. Wir haben eine schriftliche Stellungnahme erarbeitet<br />

(Anlage 8). Sie ist zusammen mit meinen Kollegen in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern<br />

und dem Zentralverband in Deutschland erfolgt. Wir begründen<br />

aus der Sicht des Bürgers. Die Fragen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes,<br />

die ich für außerordentlich wichtig halte, sind im Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

hervorgekehrt worden. Politik sollte auch für die Bürger sein. In diesem<br />

Fall sind es die Hauseigentümer, die Teil der Bürger sind. Da muss sich auch in<br />

<strong>Brandenburg</strong> viel ändern. Der Weg ist mir nicht immer klar.<br />

Ich will Ihnen zumindest sagen, was für einen Bürger, also einen Hauseigentümer,<br />

nachvollziehbar wäre und wo eine Widerspruchsrate von 3 oder 4 % zu erwarten wäre.<br />

Das wäre, wenn z. B. ein Bescheid nicht nach 15 oder 20 Jahren kommt, sondern<br />

nach vier Jahren. Eine Verjährung nach vier Jahren halten wir für optimal. Wir haben<br />

die Probleme schon gehört: Es muss eine wirksame Satzung geben usw. Das ist natürlich<br />

alles zu erledigen. Da gibt es eine Menge zu tun, denke ich. Gefragt sind die<br />

Politik, die Rechtswissenschaft. Sie sehen in dem Bereich, aus dem ich komme,<br />

Oberhavel: Da wird eine Straße gebaut. Die Kommune macht eine Einwohnerversammlung,<br />

fragt nach. Dann wird die Satzung gemacht. Teilweise haben Bürger,<br />

Bürgerinitiativen oder Haus & Grund Mitspracherecht. Die Straße wird gebaut. Der<br />

Bescheid kommt. Vier Jahre sind da eigentlich immer machbar. Dann wird in der Regel<br />

auch gezahlt. Es wird immer jemanden geben, der nicht zahlen will. Das ist wie<br />

mit einer Rechnung von einem Handwerker. Es ist klar, für eine Leistung ist zu bezahlen,<br />

und dann wird bezahlt.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Mit den Altanschließern ist das ein bisschen anders. Wir haben das Urteil des Verfassungsgerichts<br />

2001 in <strong>Brandenburg</strong> gehabt. Es geht um Beiträge. Ich kriege<br />

manchmal Anrufe von Leuten aus Konstanz oder anderswo, die Grundstücke haben.<br />

Das ist nicht vermittelbar - selbst wenn wir sagen, dass zwischen den Neuanschließern<br />

und den Altanschließern eine Gebührengerechtigkeit notwendig ist. Sie verstehen<br />

das nicht, und dann wird geklagt. Das ist gesellschaftspolitisches Potenzial, das<br />

verloren geht. Ich finde es untragbar, wenn das solche Größenordnungen hat und die<br />

Wohnungsbaugesellschaften noch mitmachen. Es ist auch eine Frage der Gebührengerechtigkeit.<br />

Was ist mit denen, die zahlen oder nicht zahlen? Verjährt das? Ich<br />

stehe voll auf Ihrer Seite: Das geht nicht. Das kann nicht so sein.<br />

Wir haben Ihnen einen Entwurf für eine Formulierung für eine Verjährung vorgelegt.<br />

Die jetzige Situation ist sehr kompliziert und schwer zu lösen. Ich plädiere für eine<br />

Lösung, wie wir sie in Rheinsberg haben. Das ist bei mir in der Nähe. Ich weiß, dass<br />

zwei weitere kleinere Abwasserzweckverbände das machen. Ich stehe auch in Diskussionen<br />

mit ihnen. Klar ist, das geht nur dann, wenn man viele Altanschließer und<br />

wenig Neuanschließer hat. Sie müssen an die Neuanschließer zurückzahlen. Das<br />

wird in bestimmten Größenordnungen gar nicht möglich sein; das ist mir vollkommen<br />

klar. Für kleinere ist das eine hervorragende Lösung. Sie ist plausibel. Wenn Sie gucken,<br />

wo es Berechnungen gibt, in Rheinsberg, Löwenberg und Zehdenick, stellen<br />

Sie fest, dass das nicht so schlimm ist. Das ist den Bürgern vermittelbar. Ich bin prinzipiell<br />

dafür, Lösungen zu finden, die bürgervermittelbar sind, wo Rechtssicherheit<br />

und Vertrauensschutz da sind, wo nicht nach zehn Jahren von einem Eigentümer,<br />

der vielleicht auch noch neu ist und gar nichts damit zu tun hatte, Gebühren verlangt<br />

werden.<br />

Wir haben also einen Vorschlag gemacht. Ich bin für Transparenz. Ich will auch meine<br />

Redezeit nicht weiter in Anspruch nehmen. Ich werbe dafür, das in <strong>Brandenburg</strong><br />

durchzusetzen, und bedanke mich.<br />

Vorsitzender:<br />

Herzlichen Dank, Herr Ehrhardt. - Als Nächster ist Herr Pencereci für den <strong>Land</strong>eswasserverbandstag<br />

<strong>Brandenburg</strong> e.V. dran und hat jetzt das Wort.<br />

Herr Turgut Pencereci (<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />

Vielen Dank, Herr Vorsitzender. - Wir sind nicht für 10+15, sondern wir sind für<br />

10+20. Das will ich gleich vorwegnehmen. Das hat ganz praktische Gründe (Anlage<br />

9, Seiten 6-18).<br />

Wir führen heute eigentlich eine Altanschließerdiskussion, auch wenn wir es nicht so<br />

laut sagen. Die sogenannten Neuanschließer machen uns keine Sorgen. Da funktioniert<br />

auch die Veranlagung. Das ist alles okay. Es geht schlichtweg um die Frage, ob<br />

möglicherweise die Altanschließer mit ihren Beiträgen sogar in die Verjährung treten.<br />

Ich denke, das schwingt immer mit.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

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Warum haben wir diese Diskussion erst jetzt? - Es lohnt sich vielleicht, mit ein paar<br />

Sätzen darauf einzugehen. Wir haben in <strong>Brandenburg</strong> schon eine sehr - ich will es<br />

vorsichtig sagen - heterogene Rechtsprechung. Die Vorredner sind darauf mehr oder<br />

weniger deutlich eingegangen. Das Verdikt 1996 vom OVG, dass die Zweckverbände<br />

plötzlich nicht wirksam entstanden waren und was es alles so gab, hat uns um Jahre<br />

zurückgeworfen, teilweise fünf, sechs, sieben Jahre, bis man überhaupt weitermachen<br />

konnte. Und dann änderte sich ständig etwas. Das ist nun einmal ein bisschen<br />

das Wesen der abgabenrechtlichen Rechtsprechung in <strong>Brandenburg</strong>. Das KAG ist<br />

mehrfach geändert worden. Das sind alles Ursachen dafür, dass wir immer noch über<br />

diese Fragen diskutieren.<br />

Rechtlich ein kurzer Einwurf: Wir haben es hier gar nicht so sehr mit einer Verjährungsproblematik<br />

zu tun, sondern wir haben es mit dem Entstehen der sachlichen<br />

Beitragspflicht zu tun. Darum geht es. Das sind Feinheiten, die wir in der Stellungnahme<br />

angesprochen haben. Wenn man sich den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts<br />

anguckt, stellt man fest, er hat eine Quintessenz, und die heißt - ich<br />

sage es einmal sehr umgangssprachlich und einfach -: Es ist ja alles gut, was ihr<br />

macht, aber irgendwann muss auch einmal Schluss sein, irgendwann muss der Bürger<br />

einmal wissen: Jetzt kann mir nichts mehr passieren.<br />

Es steckt eine bayerische Besonderheit dahinter. Wenn ich das Ganze nur mechanisch<br />

betrachtete, könnte ich sagen: Das ist Bayern, und da ist alles ganz anders,<br />

und das betrifft einen besonderen Altfall; ja, da hat das Bundesverfassungsgericht<br />

zutreffend so entschieden.<br />

Aber wir gehen an solche eine Entscheidung nicht mechanisch, sondern wir prüfen:<br />

Was ist überhaupt der Sinn der ganzen Veranstaltung, was haben die damit gesagt?<br />

Die haben nichts anderes gesagt als: Auch der Bürger muss wissen, dass irgendwann<br />

einmal Schluss ist.<br />

Das ist für das Klientel, das ich vertrete, relativ unangenehm. Der Kollege Haferkorn<br />

hat es angesprochen. Wenn man sich vorstellt, dass zu einem gewissen Jahreszeitpunkt<br />

- wann auch immer, 2015, 2020 - eine Beitragserhebung nicht mehr möglich<br />

ist, werden Sie - ich gehöre auch zu den von Herrn Haferkorn genannten Beratern -<br />

zwei, drei Jahre vor Ablauf dieser Frist keinen Berater mehr finden, der Ihnen eine<br />

Satzung schreibt, weil alle sagen: Um Himmels willen, zum Schluss war ich es, der<br />

die letzte Satzung geschrieben hat. Wenn das Gericht dann sagt: „Die ist nichts“,<br />

zahlt die Haftpflichtversicherung. Ich kann Ihnen Brief und Siegel darauf geben: Die<br />

wird meistens nicht ausreichen. Das heißt also, der eine oder andere von uns wird<br />

dann hier vielleicht in einem etwas älteren Anzug sitzen müssen, weil er pleite ist.<br />

Das ist die Konsequenz. Das ist aber nun einmal so. Das hat das Bundesverfassungsgericht<br />

eben entschieden.<br />

Ein ganz kurzer Hinweis auf den Sinn der Beitragserhebung. Den sollten wir uns<br />

wirklich vor Augen führen. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Beitragserhebung<br />

in das KAG hineingeschrieben und bis heute nicht rausgenommen. Das gibt es nirgendwo,<br />

dass sie herausgenommen wäre. Alle Bundesländer haben sie. Dahinter<br />

stecken zwei wesentliche Gedanken.


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Der eine ist: Die Beitragserhebung führt dazu, dass die Gebühren entsprechend<br />

niedriger werden, je mehr an Beiträgen erhoben worden ist. Das gibt es die berühmte<br />

Interdependenz zwischen Beiträgen und Gebühren. Das andere ist, dass die Lasten<br />

verteilt werden sollen zwischen auf der einen Seite den Eigentümern und auf der anderen<br />

Seite den Nutzern. Einen gewissen Teil zahlen die Mieter, aber einen gewissen<br />

Teil soll auch der Eigentümer zahlen. Das ist der Sinn dieser Sache. Das ist übrigens<br />

nicht neu. Die Beiträge gab es schon früher. Die gab es sogar schon im Preußischen<br />

Kommunalabgabengesetz. Da hießen die allerdings Einmalanschlussgebühren. Aber<br />

sonst war das gar nicht so sehr unterschiedlich.<br />

Diese Beitragszahlung - das haben übrigens die Sachsen sehr klug gemacht, die<br />

haben ihr KAG etwas anders formuliert - ist eigentlich nichts anderes, als dass sich<br />

ein Grundstückseigentümer mit einer Art Aktie an dem Unternehmen Wasserversorgung<br />

oder Abwasserentsorgung beteiligt. Er legt Geld auf den Tisch. Der Unterschied<br />

ist, dass man Aktien auch wieder verkaufen und rausgehen kann. Das kann man hier<br />

nicht.<br />

Der Punkt Altanschließer/Neuanschließer ist schon angesprochen worden. Um den<br />

geht es heute unter anderem. Das schwingt immer mit. Ich möchte kurz auf das Bundesverfassungsgericht<br />

eingehen. Ich habe schon gesagt, ich halte die Grundsätze,<br />

die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, für anwendbar. Mir wäre sehr<br />

wohl, wenn man wie Herr Hornauf ranginge und sagte: Für <strong>Brandenburg</strong> ist weiter<br />

nichts entschieden, deshalb müssen wir nichts tun. Das ist nicht so mit durchaus von<br />

mir nachvollziehbaren und verständlichen Gründen. Allerdings vertrete ich diese Auffassung<br />

aus anderen Gründen. Es gibt eine ganze Menge Kläger in dem Verfahren,<br />

die ich selber auch als Anwalt führe, in denen immer vorgetragen wird, das Bundesverfassungsgericht<br />

habe entschieden, deshalb sei das KAG nicht wirksam und deshalb<br />

müsse man sich darauf einstellen, dass im Moment keine Beiträge gezahlt würden.<br />

Das Verwaltungsgericht (VG) Cottbus hat hier eine Vorlage geliefert. Das VG<br />

Cottbus ist immerhin das VG Cottbus. Das hat sich geäußert und gesagt - das ist,<br />

glaube ich, wichtig -, es hält das KAG in der jetzigen Ausprägung im Lichte der Entscheidung<br />

des Bundesverfassungsgerichts schon für verfassungswidrig, ist aber der<br />

Meinung, weil es hier um eine Eilentscheidung ging, dass es nicht durchentscheiden<br />

muss. Es hat noch etwas gesagt. Es hat gesagt: Im Hinblick auf die Aktivitäten des<br />

Gesetzgebers, die nach außen bekannt geworden sind, hält es sich mit einer Prüfung<br />

der Verfassungswidrigkeit zurück. Das ist das, was das VG Cottbus gesagt hat.<br />

Wenn diese Entscheidung vom OVG nicht aufgehoben wird, heißt das nichts anders,<br />

als dass das VG Cottbus gesagt hat: Liebe Leute, ihr müsst etwas tun. - Ich sage das<br />

einmal ein bisschen lax und umgangssprachlich.<br />

Wie viele Jahre? Wir haben es heute mehrfach angesprochen: 15 oder 20 oder sogar<br />

25 Jahre. Wir sehen 20 Jahre als notwendig, aber auch als ausreichend und<br />

sinnvoll an. Wir sehen die Risiken für die Aufgabenträger, wenn nichts passieren<br />

würde, wenn wir uns vor Augen führten, dass nicht gehandelt würde. Der Gesetzgeber<br />

ist ja Souverän. Sie hören uns „nur“ als Sachverständige an. Letztlich ist es Ihre<br />

Entscheidung. Wenn der Gesetzgeber nichts täte, müsste man damit auch leben.<br />

Aber man müsste damit leben, dass irgendwann ein Gericht - das VG Cottbus hat


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das vorhergesagt - die ganze Sache dem Bundesverfassungsgericht vorlegt. Das<br />

dauert dann fünf, sechs, sieben Jahre. Dann sitzen wir in sechs oder sieben oder<br />

acht Jahren nicht mehr hier, sondern ein Stückchen weiter und diskutieren dieselben<br />

Fragen. Dann wird es politisch immer schwieriger. Das Thema Altanschließer anzusprechen,<br />

ist - das sehe ich auch - politisch eine verdammt schwierige Sache. Da<br />

müsste wohl was getan werden. Wenn man nichts tut, kommen diese ellenlangen<br />

Prozesse, und dann stehen wir da.<br />

Es ist aber auch so: Wenn Sie etwas tun, besteht das Risiko, dass man irgendwann<br />

nicht mehr erheben kann, dass man in die Verjährung läuft. Es gibt § 171 Absatz 3 a<br />

Abgabenordnung. Den hat Herr Prof. Herrmann angesprochen. Das sehe ich genauso.<br />

Er hilft in den allermeisten Fällen, Verjährungsproblematiken nicht zu umgehen,<br />

aber damit umgehen zu können. Allerdings heißt das im Ergebnis, dass möglicherweise<br />

gerade bei sehr kurzen Fristen sehr viele Forderungen in die Verjährung laufen.<br />

Man muss einfach wissen: Verjährte Forderungen sind im öffentlichen Recht,<br />

anders als im Zivilrecht, erloschen. Das steht auch in § 232 der Abgabenordnung<br />

ausdrücklich drin. Auf den wird im KAG Bezug genommen.<br />

Stellen Sie sich vor, dass erloschene Forderungen aus Beiträgen vorhanden sind.<br />

Das heißt nichts anderes, als dass ich die hinterher nicht mehr als Gebühren kassieren<br />

kann. Es wäre eine zu einfache Sache zu sagen: Wir nehmen keine Beiträge, wir<br />

lassen das bewusst in die Verjährung laufen. Die Kommunalpolitik unterliegt da sicher<br />

einer gewissen Versuchung. Nur, dann ist der Anspruch erst einmal erloschen.<br />

Einen erloschenen Anspruch plötzlich über Gebühren, die dann auch noch differenziert<br />

ausgeprägt sind, kassieren zu wollen, halte ich zumindest für schwierig. Das hilft<br />

uns alles nicht.<br />

Es ist mehrfach das Rheinsberger Modell angesprochen worden. Daran haben wir<br />

sogar mitgewirkt - ich sage aber auch offen; das darf ich auch sagen - mit gewissen<br />

Bauchschmerzen. Rheinsberg funktioniert deshalb - der ehemalige Bürgermeister<br />

sitzt da, er kennt das -, weil nur sehr gering Beiträge erhoben worden sind. Diese<br />

Beiträge werden durch eine Darlehensaufnahme ersetzt. Das funktioniert überall da<br />

nicht, wo die Beträge größer werden. Der Kollege Haferkorn hat das angesprochen.<br />

Das geht dann in die Hose.<br />

Unabhängig davon gibt es unwahrscheinlich schwierige bilanztechnische Probleme.<br />

Ich müsste eine Bilanzvorlesung von mehreren Stunden halten, um darzustellen, was<br />

da alles passiert. Da sind in der Vergangenheit Beiträge erhoben worden. Die sind<br />

aktiviert worden. Sie haben einen Einfluss in die Bilanz, in die Gewinn- und Verlustrechnung<br />

genommen. Wenn wir die nachträglich zurückzahlen, ist die spannende<br />

Frage, ob nicht möglicherweise alle Bilanzen wieder eröffnet werden müssen. Das<br />

hat zum Glück noch keiner entschieden. Vielleicht wird es auch nie entschieden, und<br />

vielleicht sind alle zufrieden mit dem reinen Gebührenerhebungsmodell. Da gibt es<br />

so viel Arbeit, dass Sie alle, die hier als Anwälte in der Anhörung sitzt, gar nicht mehr<br />

zur Anhörung laden könnten, weil wir nur noch Probleme lösen müssten. Wir wären<br />

Tag und Nacht beschäftigt. Das kann nicht der Sinn der Übung sein.


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Konklusion aus dem Ganzen: 10+20 ist das, von dem wir meinen, dass man damit<br />

arbeiten kann. Wir sehen den entsprechenden Handlungsbedarf und würden uns<br />

freuen, wenn eine entsprechende Gesetzesregelung käme. - Vielen Dank.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Pencereci. - Als Nächster ist Herr Steffen Iwers vom <strong>Land</strong>kreistag<br />

<strong>Brandenburg</strong> mit seinem Statement dran. - Sie haben das Wort.<br />

Herr Dr. Steffen Iwers (<strong>Land</strong>kreistag <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />

Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte<br />

Damen und Herren Abgeordnete! Wir dürfen uns zunächst bedanken, dass wir hier<br />

Gelegenheit erhalten, in der Anhörung Stellung zu nehmen (Anlage 10, Seiten 1-2).<br />

So viel Zeit muss sein. Ich werde mich kurz fassen; es ist bereits ausreichend berichtet<br />

und Stellung genommen worden.<br />

Vorweg: Wir als <strong>Land</strong>kreistag bzw. die <strong>Land</strong>kreise sind nicht unmittelbar von der<br />

Thematik betroffen. Wir sehen, dass die Zielstellung des Gesetzentwurfs in Reaktion<br />

auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013, Rechtssicherheit in<br />

der Angelegenheit herzustellen, berechtigt ist. Wir können damit leben. Wir haben<br />

keine Bedenken gegen die vorgeschlagene Verjährungshöchstfrist. Im Grunde genommen<br />

geht es damit eigentlich nur darum, wie die Zielstellung des Gesetzes,<br />

Rechtssicherheit herzustellen, am besten erreicht werden kann.<br />

Da werden zwei Modelle nach vorne gebracht. Das eine ist das Modell 10+15, also<br />

zehn Jahre Hemmung plus 15 Jahre Verjährung, das andere ist das Modell 10+20,<br />

dito zehn Jahre Hemmung und 20 Jahre Verjährung. Wenn man die Herstellung von<br />

Rechtssicherheit bei möglichst geringen Verlusten verfolgt, sind wir der Auffassung,<br />

dass das Modell 10+20 trägt und nachdrücklich befürwortet werden sollte.<br />

Sie haben in beiden Modellen die Möglichkeit, die erforderliche Rechtssicherheit herzustellen,<br />

weil irgendwann die Verjährungshöchstgrenze erreicht ist. Da tun sich die<br />

beiden Modelle gar nichts. Aber Sie haben bei dem Modell 10+15 die Gefahr - ich<br />

denke, sie ist heute recht eindrucksvoll dargelegt worden -, dass bei den kommunalen<br />

Aufgabenträgern erhebliche Einnahmeverluste entstehen. Diese Gefahr können<br />

Sie weitgehend vermeiden, wenn Sie das Modell 10+20 wählen.<br />

Wenn man das Modell 10+20 wählt, hat man gegenüber dem Vorteil, dass kommunale<br />

Einnahmeverluste nicht eintreten, den Nachteil, dass für die betroffenen Anschließer<br />

ein längerer Zeitraum besteht, innerhalb dessen sie damit rechnen müssen,<br />

zu den Beiträgen für gewährte Vorteile - das sollte man vielleicht auch noch einmal<br />

deutlich sagen - herangezogen zu werden. Wir halten diesen längeren Zeitraum, in<br />

dem die Anschließer herangezogen werden können, für zumutbar, da wir auch sehen,<br />

dass die Frage der Altanschließer von Anbeginn an strittig war. Das heißt also,<br />

der Vertrauensschutz, der immer wieder angesprochen worden ist, ohne in die Details<br />

zu gehen, hat - Herr Prof. Herrmann hat darauf hingewiesen - von Anfang an in


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dem Maße nicht bestanden, als dass wir der Meinung wären, man müsse ihn so<br />

hoch gewichten, dass Einnahmeausfälle auf der kommunalen Seite kompensiert<br />

werden könnten. Das Modell 10+20 ist bereits ein Zugeständnis im Vergleich zur jetzigen<br />

Rechtslage, sodass ein vernünftiger Ausgleich geschaffen würde.<br />

Auf die Wahrung des Gleichheitssatzes zwischen den verschiedenen Anliegergruppen<br />

und auf die Frage, ob man das über Gebühren kompensieren kann, ist ja bereits<br />

eingegangen worden. Wir halten die Argumente für stichhaltig. Das möchte ich aber<br />

jetzt nicht weiter in den Vordergrund stellen.<br />

Noch einen Hinweis, der insoweit in unserer schriftlichen Stellungnahme nicht enthalten<br />

ist. In der Diskussion ist die Einhaltung des Konnexitätsprinzips angesprochen<br />

worden. Sie dürfte in der Tat bei jedweder Regelung, egal ob 10+15 oder 10+20, berührt<br />

sein. Sie haben das im Urteil des <strong>Land</strong>esverfassungsgerichts aus 2002. Da betraf<br />

es Kostenerstattungsregelungen. Hier würden Möglichkeiten abgeschnitten werden,<br />

Beiträge zu erheben. Von daher sehen wir die Ausgestaltung parallel.<br />

Zu dem Hinweis von Herrn Prof. Herrmann: „Die können das, die haben dafür den<br />

Sachverstand, die haben dafür das Personal“! Ich denke, das würde den Anforderungen,<br />

die das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht an die Kostenfolgeabschätzung stellt,<br />

nicht gerecht werden. Wir haben bei dem Kindertagesstätten-Urteil gelernt, dass da<br />

schon ein bisschen mehr geleistet werden muss. Da war schon mehr geleistet worden<br />

als nur der Hinweis: „Die können das ja wohl“.<br />

Das Konnexitätsprinzip verlangt schon, dass man jedem Aufgabenträger, jeder Gemeinde<br />

die Möglichkeit verschafft, mit der neu übertragene Aufgabe bzw. dem Regelwerk<br />

so umzugehen, dass man auf seine Kosten kommt bzw. keine Ausfälle hat.<br />

Sie müssten also, wenn Sie diese Regelung auch unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung<br />

des Konnexitätsprinzips betrachten, durch die gesetzliche Regelung gewährleisten,<br />

dass wirklich jeder Aufgabenträger, wie er sich im Augenblick darstellt, die<br />

Möglichkeit erhält, die drohenden Einnahmeausfälle zu vermeiden. Da scheint mir die<br />

Regelung 10+20 deutlich rechtssicherer zu sein. - Vielen Dank. Das waren meine<br />

Ausführungen.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Dr. Iwers. - Jetzt schließt Herr Sebastian Kunze vom Städte- und<br />

Gemeindebund nahtlos an den Vortrag an.<br />

Herr Sebastian Kunze (Städte- und Gemeindebund <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />

Meine Damen und Herren! Zunächst vielen Dank, dass wir als Städte- und Gemeindebund<br />

hier als Sachverständige geladen sind. Mit Blick auf die Zeit möchte ich mich<br />

relativ kurz fassen. Es ist auch schon viel gesagt worden. Ich möchte den grundsätzlichen<br />

Standpunkt des Städte- und Gemeindebundes darlegen. Wir sind mit dem Gesetzgeber<br />

einer Meinung, dass in Auswertung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 5. März 2013 eine Regelung getroffen werden sollte. Wir sind auch der<br />

Meinung, dass die Regelung 10+20 die richtige ist insbesondere - darauf komm ich


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noch kurz zu sprechen - im Hinblick auf Konnexität und vor dem Hintergrund der Abgabengerechtigkeit,<br />

worauf ich noch ein bisschen eingehender eingehen möchte.<br />

Wenn man abwägt, was man tun will, hat man auf der einen Seite das fiskalische<br />

Interesse, Beiträge einzutreiben, auf der anderen Seite hat man die Rechtssicherheit.<br />

Das haben wir vorhin gehabt. Das hat der zweite Redner dargelegt.<br />

Die Abgabengerechtigkeit muss hier noch einmal ganz besonders in den Vordergrund<br />

gestellt werden. Wir haben ja Folgendes: In den Fällen, in denen bisher nur<br />

Neuanschließer veranlagt worden sind, habe ich auf der einen Seite die Ungerechtigkeit,<br />

dass ich nicht alle veranlagt habe, die von der Vorteilslage profitieren, und auf<br />

der anderen Seite habe ich die Ungerechtigkeit, dass die Neuanschließer zu höheren<br />

Abgaben veranlagt werden, als sie zahlen müssten, wenn alle veranlagt würden. Also<br />

nicht nur, dass die Altanschließer nichts zahlen müssen, sondern dass die Neuanschließer<br />

sogar mehr zahlen müssen. Diese Ungerechtigkeit haben wir als Städteund<br />

Gemeindebund schon immer angeprangert. Es ist in der Rechtsprechung in<br />

<strong>Brandenburg</strong> obergerichtlich eigentlich konsistent dahin gehend geurteilt worden,<br />

dass Altanschließer zu veranlagen sind. Letztlich ist das mit der Entscheidung des<br />

<strong>Land</strong>esverfassungsgerichts endgültig bestätigt worden. Von daher sollte den Aufgabenträgern<br />

ausreichend die Möglichkeit geboten werden, dies mit 10+20 umzusetzen.<br />

Wir sehen keinen Anhaltspunkt, das auf die 15 Jahre zu verkürzen. Dann schlittert<br />

man in die „2015-Falle“ rein, dass die Aufgabenträger das nicht umsetzen können.<br />

Ich komme zur Konnexität. Da stellt sich die Frage: Ist das <strong>Land</strong> verpflichtet, den<br />

Aufgabenträger und den Kommunen die Ausfälle zu erstatten, die daraus entstehen<br />

können? Wenn ich die Zahlen, die von den Praktikern genannt worden sind, auf das<br />

<strong>Land</strong> hochrechne, dürften das Ausfälle im mindestens dreistelligen Millionenbereich<br />

sein, die irgendwie zu ersetzen wären. Von daher werbe ich noch einmal für die<br />

10+20-Regelung. Ich denke, damit ist allen Interessen Rechnung getragen. - Danke<br />

schön.<br />

Vorsitzender:<br />

Ich rufe jetzt die Fragerunde auf. Gibt es Fragen zu dem, was wir im dritten Block<br />

gehört haben? Ich würde gern alle gleich auf einmal registrieren. Frau Nonnemacher<br />

und Herr Burkardt. War es das? Dann haben wir zwei Fragesteller. Frau Nonnemacher<br />

fängt an.<br />

Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90):<br />

Vielen Dank. - Herr Pencereci, ich habe in der ersten Runde an Herrn Prof. Wolff die<br />

Frage gestellt, wie er das Spannungsverhältnis zwischen dem Urteil des <strong>Land</strong>esverfassungsgerichts<br />

bezüglich des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Bundesverfassungsgerichts<br />

interpretiert. Er ist darauf eingegangen, aber sehr stark in Richtung<br />

der Verjährungsfristen. Ich wollte das grundsätzliche Spannungsverhältnis Beitragsgerechtigkeit/Verjährungsanspruch<br />

auch in dieser Runde noch einmal zur Diskussion<br />

stellen.


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Sie hatten auf das Problem hingewiesen, dass erloschene Beiträge nicht durch Gebühren<br />

refinanziert werden können. Die Ihnen nachfolgenden Redner von den kommunalen<br />

Spitzenverbänden haben sich ja da ziemlich eindeutig in Richtung Konnexität<br />

geäußert. Wie sehen Sie das mit der Konnexität bei den entstehenden Deckungslücken?<br />

Abgeordneter Burkardt (CDU):<br />

Ich habe eine Frage an die Vertreter der Wasser- und Abwasserverbände. Es mag<br />

für den jeweiligen Verband, den Sie vertreten, nicht zutreffen, aber möglicherweise<br />

für den einen oder anderen Ihrer Kollegen. Was machen eigentlich die Verbände, die<br />

den Beitrag nur auf die Neuanschließer kalkuliert haben und irgendwann durch die<br />

Rechtsprechung und das, was wir im Gesetz gemacht haben, gehalten sind, auch die<br />

Altanschließer heranzuziehen? Die Frage liegt nahe: Haben die neu kalkuliert und<br />

zurückgezahlt? Oder haben die das einfach vereinnahmt unter der Überschrift<br />

„Schön, dass wir zusätzliche Liquidität haben“? Haben Sie einen Überblick, was da<br />

passiert ist?<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Burkardt. - Wer will mit der Beantwortung der Fragen von Frau<br />

Nonnemacher anfangen? - Herr Pencereci.<br />

Herr Turgut Pencereci (<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />

Das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht ist dazu befragt worden, wie es die Situation der Altanschließer<br />

sieht, und hat gesagt: Es besteht ein Anspruch darauf, dass alle gleich<br />

behandelt werden, sofern denn Beiträge gehoben werden. Das ist die erste Voraussetzung.<br />

Wenn ich Beiträge erhebe, wird gesagt, es müssen alle gleich behandelt<br />

werden. Das heißt, es ist in Ordnung, wenn auch die Altanschließer Beiträge zahlen,<br />

und zwar wohl auch in voller Höhe. Das Bundesverfassungsgericht hat die Altanschließerthematik<br />

nicht behandeln müssen, weil es sich mit Bayern beschäftigt hat.<br />

Da gibt es die in der Form jedenfalls so nicht.<br />

Meines Erachtens beißt sich das beides aber nicht. Es führt nur dazu, dass das Bundesverfassungsgericht,<br />

wenn denn das <strong>Land</strong>esverfassungsgerichtsurteil umgesetzt<br />

wird, mit den Ideen, die dahinter steckten, nichts anders gesagt hat als: Bitte sputet<br />

euch und zieht es zügig durch - je nachdem, wie der <strong>Land</strong>esgesetzgeber die Fristen<br />

setzt. Das ist der Druck, der entsteht.<br />

Ich habe es ja gesagt: Wenn wir 2020 im Gesetz stehen haben, wird zwei, drei Jahre<br />

vorher kaum einer mutig genug sein und eine Satzung machen. Das heißt, man<br />

muss sich schon erheblich sputen, weil 2016, 2017 die Erhebung durchgezogen sein<br />

muss.


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Wie sieht es mit erloschenen Beiträgen und Gebühren aus? In der Tat ist es so:<br />

Wenn die Beitragsansprüche wegen Verjährung erloschen sind, habe ich eine Deckungslücke.<br />

Die muss ich ausfüllen. Wenn ich die über Gebühren nicht mehr ausfüllen<br />

kann, fehlt mir in meinem allgemeinen Haushalt, im Wirtschaftsplan Geld. Das<br />

Geld muss irgendwo herkommen. Für das Konnexitätsprinzip sind die beiden Herren<br />

links von mir sicherlich die größeren Spezialisten. Aber wenn einer eine Aufgabe<br />

kriegt, muss man auch gucken, wie er die finanzieren kann. Eventuell wird es so<br />

sein, dass, wenn - ich lehne mich jetzt sehr weit aus dem Fenster - bewusst Verjährung<br />

herbeigeführt würde, diejenigen, die sie bewusst herbeigeführt haben, zur Kasse<br />

zu gebeten werden könnten. Das kann ganz bitter für die Handelnden vor Ort<br />

werden. Wenn die nicht zur Kasse zu bitten sind, ist spätestens dann der <strong>Land</strong>eshaushalt<br />

im Geschäft. Dann wird aus <strong>Land</strong>esmitteln gezahlt werden müssen. Ob das<br />

gerecht, ob das politisch in Ordnung ist, müssen andere entscheiden. Das weiß ich<br />

nicht.<br />

Herr Burkardt hatte gefragt, wie es mit dem Beitrag nur auf Neuanschließer aussieht,<br />

wenn die Altanschließer hinzukommen. Es muss kalkuliert werden. In den Fällen, die<br />

mir bekannt sind, haben wir häufig die Situation gehabt, dass die möglichen Beitragsansprüche<br />

durch entsprechende Festsetzung von Beitragssätzen bei Weitem<br />

nicht ausgeschöpft worden sind. Das heißt also, wenn ich hingehe und für die Altanschließer<br />

zusätzliche Gebühren - ich muss deren Flächen einstellen und deren Einnahmen<br />

entsprechend berücksichtigen - festsetze, habe ich meistens die Situation,<br />

dass sich der höchstzulässige Beitragssatz durch hinzukommende Altanschließerflächen<br />

insgesamt senkt, aber immer noch im Rahmen des Zulässigen erhoben wird.<br />

Dann habe ich Mehreinnahmen. Die muss ich berücksichtigen entweder bei der Gebühr<br />

oder ich muss etwas zurückzahlen. Da gibt es in der Praxis die wenigsten Modelle,<br />

die mir bekannt sind, bei denen tatsächlich ein Rückzahlungsanspruch entstanden<br />

ist, weil man meistens die Gebühren für die Zukunft entsprechend senken<br />

konnte. Ich glaube, Herr Haferkorn hat es auch angesprochen.<br />

Abgeordneter Burkardt (CDU):<br />

Ich hatte an die Vertreter der Verbände die Frage gestellt, ob Ihnen solche Fälle bekannt<br />

sind, nicht die Frage, wie es theoretisch zu bewerten ist. Das hätte ich selbst<br />

tun können; so weit reichen meine Rechtskenntnisse noch aus.<br />

Herr Otto Ripplinger (Märkischer Abwasser- und Wasserzweckverband):<br />

Es gibt auch in der Praxis solche Fälle, in denen durch die Berücksichtigung der sogenannten<br />

Altanschließer plötzlich ein Problem mit dem Anschlussbeitragssatz entsteht.<br />

Das trifft u. a. auf den MAWV und einem Nachbarzweckverband, dem KMS,<br />

zu. Dazu ist es so gekommen, dass unmittelbar nach der Wende - so die Rechtsauffassung<br />

- galt, dass die Investitionskosten für die neu errichteten Anlagen nur auf die<br />

sogenannten Neuanschließer zu verteilen sind.<br />

Variante A: Sie entscheiden sich als Zweckverband, einen relativ geringen Anschlussbeitrag<br />

zu ergeben. Kein Problem. Variante B: Sie sagen: Ich will einen relativ<br />

hohen Anteil meiner Investitionen über den Anschlussbeitrag refinanzieren. Damals


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hatten Sie erst einmal kein Problem. Sie durften eben nur nicht über die 100 % kommen.<br />

Irgendwann kam die Entscheidung: Auch Altanschließer sind mit den entsprechenden<br />

Flächen zu berücksichtigen, allerdings nicht bei den Investitionskosten, weil<br />

gesagt worden ist, Investitionen vor 1990 sind im Rahmen der Beitragskalkulation<br />

nicht zu berücksichtigen. Das bedeutet, Investitionskosten sind nicht dazugekommen,<br />

aber die Flächen. Das bedeutet, plötzlich hatten Sie einen wesentlich geringeren<br />

Anschlussbeitragssatz. Wenn Sie sich also für die Variante A entschieden haben,<br />

also einen relativ niedrigen Anschlussbeitragssatz, und bei der neuen Kalkulation<br />

unter Berücksichtigung der Altanschließer mit dem kalkulierten Anschlussbeitragssatz<br />

immer noch über dem tatsächlich erhobenen Anschlussbeitragssatz lagen, hatten Sie<br />

kein Problem, weil Sie sowohl den alten wie auch den neuen Anschlussbeitragssatz<br />

als solchen rechtfertigen konnten. Sie hatte Mehreinnahmen, und diese Mehreinnahmen<br />

sind im Rahmen der Gebührenkalkulation zu berücksichtigen gewesen, haben<br />

in der Regel zu Gebührensenkungen geführt. Ein Problem hatte der, der einen<br />

relativ hohen Anschlussbeitragssatz gewählt hat, weil er plötzlich nach Berücksichtigung<br />

der Altanschließer eben einen niedrigeren Anschlussbeitragssatz rausbekommen<br />

hat.<br />

Gesplitteten Gebühren erheben zu müssen, ist etwas, das jeder Zweckverband nach<br />

Möglichkeit vermeiden würde, nämlich langfristig aufgrund einer unterschiedlichen<br />

Behandlung bei den Anschlussbeiträgen unterschiedliche Gebühren erheben zu<br />

müssen. Alle Beitragszahler im Verbandsgebiet müssen zu einem gleichen Anschlussbeitrag<br />

veranlagt werden, um sagen zu können, dass es keine unterschiedliche<br />

Behandlung gegeben hat und keine unterschiedliche Gebühr zu erheben ist. Die<br />

Konsequenz ist, dass die Einnahmen von den Altanschließern plus 10 Millionen Euro<br />

eigentlich zur Rückzahlung der damals zu hoch erhobenen Anschlussbeiträge verwendet<br />

werden müssen. Wir führen sozusagen eine Umverteilung durch, die daraus<br />

resultiert, dass sich die Rechtsauffassung, was die Altanschließer anbetrifft, geändert<br />

hat.<br />

Abgeordneter Burkardt (CDU):<br />

Passiert das tatsächlich? Machen das die Verbände?<br />

Herr Otto Ripplinger (Märkischer Abwasser- und Wasserzweckverband):<br />

Definitiv ja.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank. - Ich stelle fest, dass auf alle Fragen in dieser dritten Runde umfangreich<br />

eingegangen wurde und alle Fragen beantwortet sind. Ich denke, wir können<br />

für die erste Anhörung am heutigen Tag zum Schluss kommen.<br />

Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Anzuhörenden, dass sie bei uns waren und<br />

uns etwas Licht ins Dunkel gebracht haben vor allem hinsichtlich der Frage der<br />

Rechtsfolgenabschätzung, die wir als Gesetzgeber bei all unseren Entscheidungen<br />

immer im Auge haben müssen. Am Ende wird es sicher auch eine politische Ent-


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scheidung sein, wie wir mit dem Kommunalabgabenrecht in <strong>Brandenburg</strong> umgehen<br />

und im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einer Änderung<br />

kommen werden.<br />

Die Zeitschiene ist relativ klar. Wir werden den Entwurf der <strong>Land</strong>esregierung wahrscheinlich<br />

in der Kabinettssitzung im Juli 2013 haben und können in der Sitzung des<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong>es nach der Sommerpause die erste Lesung durchführen. Dann werden wir<br />

uns in den Ausschüssen wieder damit zu beschäftigen haben, sodass wir bis zum<br />

Ende des Jahres - davon gehe ich und davon geht auch die <strong>Land</strong>esregierung aus -<br />

eine entsprechende Regelung und Änderung unseres Kommunalabgabenrechts auf<br />

den Weg gebracht haben.<br />

Wir als CDU-Fraktion haben diese Anhörung heute im Eilverfahren beantragt, weil<br />

uns wichtig war, dass wir zügig zu Erkenntnissen und Entscheidungen kommen.<br />

Deshalb bedanke ich mich ausdrücklich bei allen. Auch für die konstruktive Zusammenarbeit<br />

hier in der Sitzung sage ich herzlichen Dank. Ich wünsche Ihnen einen<br />

guten Nachhauseweg.<br />

Wir gehen jetzt in eine 30-minütige Mittagspause, um dann in die zweite Anhörung<br />

einzusteigen.<br />

(Unterbrechung der Sitzung: 13.50 bis 14.20 Uhr)<br />

Zu TOP 3: Sechstes Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes für<br />

das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> (KAG), Gesetzentwurf der CDU-Fraktion,<br />

Drucksache 5/7128<br />

Vorsitzender:<br />

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Zeit ist fortgeschritten, und die Mittagspause<br />

ist vorbei. Ich bitte Sie alle, wieder Platz zu nehmen, sodass wir in den nächsten<br />

Tagesordnungspunkt einsteigen können. Wir haben für heute eine weitere Anhörung<br />

auf der Tagesordnung. Eine Lehre, die wir aus diesem Tag mitnehmen werden,<br />

ist sicherlich, nicht zwei Anhörungen an einem Tag zu machen. Bei dem Zeitdruck,<br />

den wir heute Vormittag hatten, ist es besser, man macht nur eine Anhörung an einem<br />

Tag.<br />

Wir kommen zur Anhörung zu dem Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, Drucksache<br />

5/7128. Wir hatten diesen Gesetzentwurf bereits in der 75. Sitzung des <strong><strong>Land</strong>tag</strong>es<br />

auf der Tagesordnung und haben ihn in den Innenausschuss überwiesen. Wir<br />

hatten uns in einem Eilverfahren darauf verständigt, eine Anhörung zu dem Gesetzentwurf<br />

durchzuführen.


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Ich begrüße vor allem unsere Anzuhörenden. Schön, dass Sie alle da sind. Auch hier<br />

weise ich darauf hin, dass Herr Dr. Steffen Iwers als Vertreter des <strong>Land</strong>kreistags und<br />

Herr Sebastian Kunze für den Städte- und Gemeindebund da sind.<br />

Wir haben Absagen von Herrn Michael Grubert vom Wasser- und Abwasserzweckverband<br />

„Der Teltow“ und Herrn Rechtsanwalt Dr. Wilfried Ballaschk bekommen.<br />

Schriftlich sind Unterlagen eingegangen, sodass wir sie vorliegen haben und für unsere<br />

weitere Diskussion nutzen können (Anlage 20).<br />

Ich schlage wie bei der Anhörung eben folgenden Ablauf vor: Wir bilden Blöcke von<br />

zwei bis vier Anzuhörenden, sodass wir nach und nach allen die Gelegenheit geben,<br />

hier vorzutragen. Nach jedem Block folgt ein Frage- und Antwortblock von maximal<br />

20 Minuten. Jeder Anzuhörende - darauf weise ich hin - hat maximal zehn Minuten<br />

Zeit, seine Position mündlich vorzutragen. Die schriftlichen Stellungnahmen liegen<br />

uns allen ja vor.<br />

Wenn Sie mit der Verfahrensweise einverstanden sind, eröffne ich die Anhörung und<br />

erteile Herrn Dr. Steffen Iwers das Wort. Eben waren die Spitzenverbände am Ende<br />

der Anhörung, jetzt sind sie am Anfang. Das ist die ausgleichende Gerechtigkeit des<br />

Innenausschusses. - Sie haben das Wort.<br />

Herr Dr. Steffen Iwers (<strong>Land</strong>kreistag <strong>Brandenburg</strong> e. V.):<br />

Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte<br />

Damen und Herren Abgeordnete! Abermals dürfen wir uns bedanken, dass wir hier<br />

Gelegenheit erhalten, zu dem Gesetzentwurf der CDU-Fraktion Stellung zu nehmen<br />

(Anlage 10, Seiten 2-3). Herr Vorsitzender, Sie haben es schon angesprochen. Der<br />

Vorschlag ist gewissermaßen im Eilverfahren, um nicht zu sagen, im Sauseschritt auf<br />

den Tisch gebracht worden. Der Entwurf ist am 8. Mai 2013 bei uns eingegangen.<br />

Deshalb haben wir bisher nur sehr kursorisch Stellung nehmen können. Eine vertiefte<br />

Prüfung müsste ggf. noch nachgeholt werden und erfolgen.<br />

Dies vorausgeschickt, bewerten wir die Kernregelung, die da lautet: „Hemmung der<br />

Widersprüche und Einführung eines Musterverfahrens in verpflichtender Natur“, eher<br />

zurückhaltend bis kritisch, alldieweil hier tatsächlich eine Verpflichtung aufgestellt<br />

werden soll, wohingegen einer freiwilligen Ausgestaltung der Vorzug zu geben wäre.<br />

Anders als vorhin, als ich gesagt habe, die <strong>Land</strong>kreise seien nicht unmittelbar von<br />

der Thematik betroffen, sieht es hier anders aus. Der Gesetzentwurf ist offensichtlich<br />

mit Blick auf die Problematik, über die wir in der Anhörung zuvor gesprochen haben,<br />

also Trink- und Abwasserbereich, aufgelegt worden. So wie er ausgestaltet ist, betrifft<br />

er auch Gebührenerhebungen durch die <strong>Land</strong>kreise beispielsweise im Bereich der<br />

Abfallwirtschaft, wo wir massiv Gebühren erheben, aber auch im Bereich des Rettungsdienstes,<br />

also immer da, wo das Kommunalabgabengesetz zur Anwendung zu<br />

bringen ist. Da befürchten wir, dass die Einführung derart verpflichtender Widerspruchsverfahren<br />

und die Hemmung der Rechtskraft, die dadurch für diejenigen entsteht,<br />

denen ansonsten Rechtskraft erwachsen würde, zu erheblichen Rechtsunsicherheiten<br />

bei der Gebührenerhebung für die <strong>Land</strong>kreise führen würde, auch zu ei-


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ner erheblichen Zunahme an gerichtlichen Verfahren, alldieweil die Frage, ob man<br />

ein gewisses Kostenrisiko eingeht, anders beantwortet würde, als es derzeit der Fall<br />

ist.<br />

Vor Gericht sähen wir auch nicht nur eine einzelne Satzungsregelung in einem Fall,<br />

sondern dass wir - die Möglichkeit eröffnet der Gesetzentwurf ja - verschiedenste<br />

Regelungen der jeweiligen Satzung eines kommunalen Aufgabenträgers in verschiedensten<br />

Musterverfahren zur Überprüfung gestellt hätten. Ich selber habe in<br />

den vergangenen fast 20 Jahren mehrere Satzungsmuster für den <strong>Land</strong>kreistag<br />

<strong>Brandenburg</strong> aufgelegt. Sie können versichert sein: Es ist wirklich schwierig, an verschiedensten<br />

Stellen rechtssichere Formulierungen zu finden. Es gibt in jedem dieser<br />

Satzungsmuster, die wir fertiggestellt haben, Punkte, an denen man sehr lange gesessen<br />

hat, um zu versuchen, Rechtssicherheit reinzubringen. Wir befürchten, dass<br />

diese Neuregelung an allen möglichen Stellen, im Bereich der Abfallgebührensatzung,<br />

im Bereich der Abfallentsorgungssatzung oder vielleicht auch im Bereich der<br />

Rettungsdienstgebührensatzung, dazu führen könnte, dass eine Vielzahl verschiedener<br />

satzungsrechtlicher Regelungen auf die lange, auf die gerichtliche Bank geschoben<br />

werden wird. Damit wären für die Aufgabenträger finanzielle Unsicherheiten verbunden,<br />

Unsicherheiten bezüglich des Bestands der Satzung. All das würde im Vergleich<br />

zum heutigen Zustand erhöht werden, wohingegen wir nicht zu erkennen vermögen,<br />

dass im Gegenzug Rechtssicherheit - ich glaube, das steht so im Gesetzentwurf<br />

- eintreten würde. Von daher plädieren wir eher dafür, von dem Gesetzentwurf<br />

Abstand zu nehmen. - So viel von meiner Seite. Vielen Dank.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Dr. Iwers. - Ich erteile dann an Herrn Sebastian Kunze vom Städteund<br />

Gemeindebund <strong>Brandenburg</strong> e.V. das Wort.<br />

Herr Sebastian Kunze (Städte- und Gemeindebund <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />

Meine Damen und Herren! Auch wir bedanken uns dafür, auch in der zweiten Anhörung<br />

anwesend sein zu dürfen und gehört zu werden. Das Ergebnis vorab: Wir lehnen<br />

den Gesetzvorschlag der CDU-Fraktion ab. Wir sehen als Städte- und Gemeindebund<br />

keine Notwendigkeit, verpflichtend Musterverfahren anzuordnen. Auch nach<br />

derzeitiger Rechtslage haben die Aufgabenträger die Möglichkeit, Musterverfahren<br />

durchzuführen. Sie sollten weiterhin im Rahmen kommunaler Selbstverwaltung in<br />

eigener Entscheidung entscheiden, ob sie Musterverfahren wollen. Aus meiner Sicht<br />

besteht für die Aufgabenträger kein Hindernis, wenn 20 gleichgelagerte Fälle vorliegen,<br />

ein Musterverfahren durchzuführen, um nicht 20 einzelne Verfahren durchzuführen.<br />

Es kann auch Erwägungen geben, gleiche Sachverhalte parallel in Gerichtsverfahren<br />

abzuhandeln. Gerade bei größeren Verbänden kann es sein, dass aus taktischen<br />

Gesichtspunkten, um Zeit ins <strong>Land</strong> ziehen zu lassen, geklagt wird. Dann ist es notwendig,<br />

die anderen Verfahren in eigener Regie weiterführen und beenden zu können.<br />

Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Im Rahmen kommunaler Selbstverwaltung<br />

soll von den Aufgabenträgern entschieden werden, ob sie es wollen.


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Aus unserer Sicht gibt es zu diesem Entwurf eigentlich nicht viel mehr zu sagen. Das<br />

ist der entscheidende Punkt. Wir haben unsere Stellungnahme dazu relativ kurz gefasst.<br />

Dabei möchte ich es belassen. - Danke schön.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Kunze. - Als Nächster hat Herr Pencereci das Wort.<br />

Herr Turgut Pencereci (<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />

Herr Vorsitzender, vielen Dank. - Unsere Stellungnahme ist ähnlich kurz ausgefallen<br />

(Anlage 9, Seiten 2-5) und wird auch jetzt ähnlich kurz ausfallen. Es wird nicht verwundern,<br />

dass wir dieselbe Auffassung vertreten wie die Herren Kunze und Dr. Iwers.<br />

Was will man erreichen? Man möchte mehr Rechtssicherheit haben und man will mit<br />

Musterverfahren Kosten sparen. Das sind ordentliche Ziele - das ist überhaupt keine<br />

Frage.<br />

Die Frage ist: Wie erreicht man das? Da muss man ganz klar feststellen: Das erreicht<br />

man auch jetzt schon, denn die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften für Musterverfahren<br />

gibt es. Im Übrigen kann man in der Praxis sehr schön sehen, wie solche<br />

Verfahren sehr ähnlich und nahe am Gesetz tatsächlich praktiziert werden. Ein<br />

Fall ist der des MAWV. Herr Ripplinger war heute schon hier. Dort wird es wie folgt<br />

praktiziert: Man schaut sich an, welches Verfahren geeignet sein könnte, um gewisse<br />

Rechtsfragen zu klären. Alle anderen, die einen Widerspruch eingelegt haben, bekommen<br />

eine Mitteilung: Wir möchten gerne abwarten, was das Gericht zu dieser<br />

Sache entscheidet; solange werden wir keinen Widerspruchsbescheid erlassen.<br />

Dann gibt es keine Widerspruchsbescheide, es entstehen keine weiteren Kosten,<br />

und die Sache ist gut.<br />

Ich sage Ihnen, wo der Haken liegt. Sowohl bei einer gesonderten gesetzlichen Regelung<br />

als auch bei Anwendung der jetzigen gesetzlichen Regelung liegt der Haken<br />

darin, dass wir im Abgabenrecht häufig keine vergleichbaren Fälle haben, also dass<br />

bei jedem die Situation etwas anders ist. Sie haben ganze Straßenzüge, die Widerspruch<br />

einlegen. Es ist übrigens im Straßenbaubeitragsrecht noch etwas deutlicher<br />

als im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen, dass die Leute plötzlich nicht<br />

miteinander, sondern gegeneinander stehen, denn der eine zahlt weniger und der<br />

andere mehr; das ist sogar eher unangenehm. Das heißt, unter dem Strich ist nicht<br />

jedes Verfahren geeignet, so etwas zu klären. Wenn man beispielsweise sagt, man<br />

möchte die Verfassungsgemäßheit einer Vorschrift klären, ist so etwas selbstverständlich<br />

Musterverfahren zugänglich. Das lässt sich aber auch jetzt schon so praktizieren.<br />

Deshalb sind auch wir der Meinung, dass man ein besonderes Gesetz, ein<br />

neues Gesetz für diese Fälle nicht braucht. - Vielen Dank.


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Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Pencereci, für Ihre Einschätzung zu diesem Gesetzentwurf. - Ich<br />

eröffne die erste Fragerunde. Gibt es Nachfragebedarf zu dem, was wir gehört haben?<br />

- Herr Dr. Scharfenberg, Sie haben das Wort.<br />

Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE):<br />

Eine Frage an Herrn Pencereci. Es gibt Verbände, die das praktizieren. Ich bedaure<br />

sehr, dass Herr Grubert heute nicht hier ist, denn dieser Verband hat sich für diesen<br />

Weg entschieden. Wie sind denn aus Ihrer Sicht die Erfahrungen in einem solchen<br />

Verband? Spielt das eher keine Rolle? Oder hat man Probleme damit?<br />

Herr Turgut Pencereci (<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />

Ich antworte einmal wie folgt: Zu Mecklenburg-Vorpommern werden wir sicherlich<br />

noch etwas hören. Wir haben Erfahrungen in erster Linie beim MAWV gemacht. Es<br />

funktioniert wunderbar. Es ist aus Sicht des Verbandes völlig problemlos. Wir bekommen<br />

interessanterweise kaum Beschwerden von Betroffenen. Wenn man denen<br />

sagt: „Ihr könnte euer Verfahren ausgesetzt bekommen, und das kostet nichts extra“,<br />

sagen die: „Ja, das ist in Ordnung, das machen wir mit“. Dann kehrt ziemlich schnell<br />

Ruhe ein. Ich denke, dass es sehr vernünftig und praktikabel ist, was da gemacht<br />

wird. Es gibt durchaus Verbände, die nach außen ihr eigenes Handeln als besonders<br />

erfolgreich verkaufen bei der Frage, was mit Musterverfahren gemacht wird. So ganz<br />

anders als das, was wir praktizieren, ist das nicht. Wir sehen in der Praxis, dass eine<br />

gesonderte Regelung nicht notwendig ist, weil man nach den bestehenden gesetzlichen<br />

Vorschriften verfährt und weil das im Abgabenrecht schwierig ist.<br />

Vorsitzender:<br />

Herr Dr. Scharfenberg, ist Ihre Frage damit ausreichend beantwortet, oder haben Sie<br />

noch Nachfragebedarf?<br />

Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE):<br />

Ich habe eine Nachfrage. Wenn man diesen Weg gehen würde, dass man in das<br />

KAG eine solche Regelung aufnimmt und das möglichst verpflichtend vorschreibt -<br />

wie müssten denn aus Ihrer Sicht die Rahmenbedingungen für eine solche Regelung<br />

aussehen?<br />

Herr Turgut Pencereci (<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />

Wenn man so etwas überhaupt täte, müsste man es zumindest so machen, dass der<br />

Verband aus dem Verfahren auch wieder raus käme und dass es keine zwingenden<br />

Vorschriften gäbe. Man könnte eventuell gesetzlich die Möglichkeit einräumen, dass<br />

es so etwas geben kann und die Verbände handeln können, aber z. B. nicht die Ver-


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pflichtung besteht, so etwas zwingend bis zum Ende durchzuziehen und nicht mehr<br />

rauszukommen. Wir wissen gar nicht, wie sich die Verfahren im Übrigen ergeben.<br />

Ich mache einen kleinen Schlenker. Diese Musterverfahren haben auch Wirkungen<br />

auf die Gerichte. Gerichte gucken: Da ist ein Musterverfahren, das vorgeschoben<br />

werden soll. Herr Ring sitzt hier. In Schwerin ist das Gericht sehr sachverständig und<br />

klärt auch Fragen, die man geklärt haben möchte - meistens jedenfalls. Diese Erfahrung<br />

haben wir in <strong>Brandenburg</strong> nicht so. Das heißt, Sie stiefeln los, sagen: „Wir haben<br />

hier ein Musterverfahren und wollen die Frage A geklärt haben“. Letztlich kommen<br />

Sie dann raus - das haben wir vorhin gehört - und kriegen gesagt, dass die Veröffentlichung<br />

leider wegen 7.1 falsch war. Dann haben Sie gar nichts gewonnen. Das<br />

geht schlichtweg gesagt in die Hose.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank. - Gibt es weitere Fragen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann können<br />

wir den zweiten Anzuhörendenblock eröffnen. Herr Rudolf Erhardt von Haus & Grund<br />

<strong>Brandenburg</strong> hat das Wort.<br />

Herr Rudolf Ehrhardt (<strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er Haus-, Wohnungsund<br />

Grundeigentümervereine):<br />

Ich bedanke mich noch einmal für die Einladung. Bei diesem Thema bin ich ein bisschen<br />

besser gelaunt als bei dem, das zuvor besprochen wurde. Ich sage klipp und<br />

klar: Wir sind von dem Gesetzentwurf nahezu begeistert. Wir können die Begründung<br />

sehr gut nachvollziehen.<br />

In der Regel wird derzeit von dem Abwasserzweckverband - insbesondere geht es<br />

um Altanschließer grundsätzlich ein Musterverfahren abgelehnt. Die haben natürlich<br />

ihre Hintergedanken. Das ist meine klipp und klare Erfahrung. Da können Sie viele<br />

fragen. Ein älteres Mütterchen, das mit einmal 1 000 Euro oder wie viel an Gerichtsgebühren<br />

vorschießen soll, macht das nicht. Sie einigt sich sonst irgendwie oder was<br />

weiß ich. Es ist eine Frage von mehr Recht für Bürger, sich vor Gericht überhaupt<br />

erst einmal wehren zu können. Das muss ich für <strong>Brandenburg</strong> sagen.<br />

Ich habe mich mit meinem Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern in Verbindung<br />

gesetzt, weil dort bereits eine Regelung im KAG besteht. Er selbst führt ein Verfahren<br />

im Bereich Boizenburg. Fragen bestehen noch, wie das konkret durchgesetzt wird.<br />

Probleme beginnen im Detail bei der Durchführung des Verfahrens. Das habe ich mit<br />

meinem Nachbarn, der in <strong>Brandenburg</strong> ein Musterverfahren führt, gerade in der Pause<br />

besprochen. Wenn Sie etwas für die Bürger und die Hauseigentümer tun wollen,<br />

ist das ein super Gesetzentwurf.<br />

Noch einmal: Ich denke nicht, dass es Massenklagen im Bereich des Gebührenrechts<br />

für Krankentransporte und Müll gibt. Da hat es sich sehr beruhigt. Diese Befürchtung<br />

kann ich nicht nachvollziehen, muss ich ganz offen sagen. Das geht aus<br />

den vielen Gesprächen und Diskussionen, die wir seit Jahren im Verband führen,<br />

hervor.


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Ich habe schriftlich etwas eingereicht, das meinen Ausführungen entspricht (Anlage<br />

14). - Danke.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank für Ihre Anmerkungen. - Herr Dr. Wolfgang Schönfelder vom Verband<br />

Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen e.V., Sie haben jetzt das Wort.<br />

Herr Wolfgang Dr. Schönfelder (Verband Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen<br />

e.V.):<br />

Herr Vorsitzender, vielen Dank. Wir wollen alle Zeit aufholen. Ich will es relativ kurz<br />

machen in Ergänzung zu dem, was wir schriftlich eingereicht haben (Anlage 15). Es<br />

ist wahrscheinlich völlig klar, dass wir meinem Vorredner zustimmen. Wir meinen ergänzend<br />

zu dem, was Sie schriftlich haben, dass die Diskussion vor allen Dingen<br />

heute Vormittag gezeigt hat: Wenn wir diese verkorkste Situation haben, wenn wir<br />

über Regelungen wie 20+10 Jahre nachdenken und es dann noch ins Belieben der<br />

Verbände setzen, machen wir wieder die Erfahrung: Die Verbände, die dazu bereit<br />

sind, so etwas zu machen, sind extrem in der Minderzahl. Wir gehen davon aus,<br />

dass das Zusammenwirken, das es automatisch geben muss, dazu führt, dass man<br />

in den wenigen Fällen, in denen wir das wissen, vernünftig miteinander umgeht und<br />

im Miteinander den entsprechenden Fall raussucht. Pauschal zu sagen, das würde<br />

nie funktionieren, geht nicht. In anderen Ländern funktioniert es. Warum es ausgerechnet<br />

in <strong>Brandenburg</strong> nicht funktionieren soll, ist für uns nicht nachvollziehbar. Ich<br />

kann bestätigen, dass sich unser Schwesterverband zu der Regelung in Mecklenburg-Vorpommern<br />

nicht negativ geäußert hat. - Vielen Dank.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Dr. Schönfelder. - Jetzt ist Herr Peter Ohm, der Präsident des Verbandes<br />

Deutscher Grundstücksnutzer, dran.<br />

Herr Peter Ohm (Verband Deutscher Grundstücksnutzer [VDNG]):<br />

Auch von meiner Seite herzlichen Dank für die Einladung zu der heutigen Anhörung.<br />

Ich will zu Beginn gleich ganz klar feststellen, dass wir als Verband sehr erfreut sind,<br />

dass der Gesetzentwurf in der jetzt vorliegenden Fassung diskutiert wird. Wir stimmen<br />

ihm grundsätzlich zu (Anlage 16).<br />

Wir haben zwei kleine korrigierende Anmerkungen, um in der Praxis einiges praktikabler<br />

gestalten zu können. Dazu komme ich nachher. In Anbetracht der Anhörung,<br />

die wir heute Vormittag miterlebt haben, möchte ich festhalten, dass mir der Zeitablauf<br />

jetzt ein bisschen zu schnell ist. Wir haben jahrelange Erfahrung als Verband<br />

nicht nur in <strong>Brandenburg</strong>, sondern insbesondere auch in anderen Bundesländern.<br />

Die Altanschließerproblematik hat ja in Mecklenburg-Vorpommern begonnen, wo wir<br />

dank der dortigen Gesetzeslage sofort mit Musterverfahren in das Geschehen eingreifen<br />

und vielen Bürgern die rechtliche Teilhabe gewähren konnten. Ich freue mich,


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dass Herr Ring mit am Tisch sitzt und seine Erfahrungen einbringen kann. Deswegen<br />

halte ich mich bei einigen Dingen, bei denen ich seine Stellungnahme kenne, zurück.<br />

Das kann er aus berufenem Munde selber einflechten.<br />

Ich würde Ihnen gern eine kleine Schilderung zukommen lassen, damit Sie sich vorstellen<br />

können, was hinter jedem Beitragsbescheid für den betroffenen Bürger, für<br />

viele gerade in Flächenländern steckt. Es ist für uns an vielen Stellen, sowohl in<br />

Mecklenburg-Vorpommern als auch in <strong>Brandenburg</strong>, oftmals erschreckend festzustellen<br />

gewesen: Hinter jedem Bescheid steckt ein persönliches Schicksal. Die Leute<br />

haben dort mit ihren Grundstücken keine Möglichkeit, zusätzliche Finanzquellen aufzumachen,<br />

weil sie zu alt sind oder keine Arbeit haben, also von Krediten ausgeschlossen<br />

sind. Viele, die von den größeren Städten abgelegene Gehöfte haben, die<br />

schon jetzt leer stehen, haben keine Chance, ihr Grundstück zu teilen oder Teile ihres<br />

Grundstücks zu verkaufen. Für diese sind 3 000, 5 000 Euro - die oftmals die untere<br />

Grenze sind - ein großes Problem. Der Umgang der Zweckverbände mit ihren<br />

Regelungen hinsichtlich der Stundung ist auch nicht immer für alle eine tatsächliche<br />

Hilfe.<br />

Tauscht man sich mit diesen Leuten in Informationsveranstaltungen aus und sagt<br />

Ihnen, dass sie die Möglichkeit haben, sich juristisch dagegen zu wehren, und sagt<br />

man ihnen dann, dass, wenn sie einen Beitragsbescheid von 2 500 Euro haben,<br />

noch einmal ein Prozesskostenrisiko von ungefähr 1 400 Euro auf sie zukommt, fallen<br />

90 % nach hinten um, weil sie sagen: Ich weiß schon nicht, wie ich die<br />

2 500 Euro und dann noch einmal 1 400 Euro oben drauf bestreiten soll. Für die Leute<br />

ist an der Stelle Ende der Fahnenstange. Das heißt, diese Leute können nicht klagen.<br />

Deswegen ist es fast zynisch, dass einige Zweckverbandschefs, die heute nicht<br />

anwesend sind, mir gesagt haben: „Was wollt ihr denn? Die Leute können doch alle<br />

einzeln klagen.“ An dieser Stelle fallen viele von der Stange ab. Deswegen unterstützen<br />

wir als Verband seit vielen Jahren die Möglichkeit der Bildung von Prozessgemeinschaften,<br />

die sich gemeinsam ein entsprechendes Musterverfahren finanzieren<br />

können.<br />

Das hat positive Auswirkungen in zwei Richtungen. Die erste ist: Für die Leute ist es<br />

erschwinglich, sich die rechtliche Teilhabe zu sichern. Die zweite ist: Wir haben in<br />

Mecklenburg-Vorpommern die Erfahrung gemacht, dass es durchaus sehr umfangreiche<br />

Gruppen gibt, die gleich gelagerten Fällen zuzuordnen sind.<br />

Was wird in einem juristischen Verfahren geprüft? Das, was das eigene Grundstück<br />

betrifft, schießen wir bei den Musterverfahren natürlich aus. Nach unserer Erfahrung<br />

wird es in der Regel im Widerspruchsverfahren von den Zweckverbänden gelöst,<br />

wenn es um Streitigkeiten über die Grundstücksgröße oder Bebaubarkeit oder ähnliche<br />

Sachen geht. Es geht gegen die Satzung. Das trifft für alle zu. Es geht gegen die<br />

Kalkulation und die Flächenermittlung. Auch das trifft für alle zu. Als dritten Punkt<br />

geht es - wir sehen uns durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bestätigt<br />

- um die verfassungsrechtlichen Fragen, die sich stellen, warum eine Gruppe<br />

überproportional mit entsprechenden Beiträgen als Grundstücksbesitzer belastet<br />

werden soll, und es, wenn die Gebühren eingefahren sind, eine Gebührensenkung<br />

gibt, von der nicht nur die Grundstückseigentümer, sondern auch andere Gruppen


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profitieren. Das sind für uns Fragen, die verfassungsrechtlich zusätzlich zu der Verjährungsfrage<br />

nach wie vor völlig ungeklärt sind.<br />

Ein zweiter Vorteil der Musterverfahren besteht auch für denjenigen, der einzeln<br />

klagt. Bleiben wir einmal bei dem Beispiel mit den 2 500 Euro plus 1 400 Euro. Die<br />

1 400 Euro Verfahrensgebühr teilen sich ungefähr so auf, dass beide beteiligten Anwälte<br />

mit ungefähr 500 Euro Honorar rechnen können und der Rest sind Gerichtsgebühren<br />

und was da noch so an Kleinigkeiten ist. Wir haben es in Mecklenburg-<br />

Vorpommern und in <strong>Brandenburg</strong> an vielen Stellen erlebt: Wenn sie zur Akteneinsicht<br />

kommen und die Flächen prüfen wollen, stehen im Regal 18 dicke Leitz Ordner.<br />

Dann stellen Sie sich einmal den Rechtsanwalt vor, der für 500 Euro Honorar 18<br />

Ordner mit den Flächen des gesamten Verbandsgebietes durcharbeiten soll, um entsprechende<br />

Fehler zu finden. Ich sage Ihnen aus unserer Erfahrung: Diese Kalkulation,<br />

diese Flächenermittlungen strotzen vor Fehlern. Die Fehler sind so offensichtlich,<br />

dass man sie auch wirklich findet. Aber man muss einen Haufen Zeit investieren. Das<br />

ist in einem solchen Einzelverfahren überhaupt nicht möglich. Deswegen gibt es in<br />

<strong>Brandenburg</strong> bei den Zweckverbänden eine massive Ablehnung, solchen Musterverfahren<br />

zuzustimmen.<br />

Unter Frage 9 haben Sie gefragt, ob es notwendig ist, solche Musterverfahren zwingend<br />

vorzuschreiben. Ich möchte das am Beispiel des MAWV erklären. Da stellt sich<br />

die Geschichte des Musterverfahrens im MAWV-Gebiet etwas anders dar, als Herr<br />

Pencereci das eben geschildert hat. Wir haben dort als Verband eine Prozessgemeinschaft<br />

mit über 600 Mitgliedern gebildet und haben in den einzelnen Kommunen<br />

dafür geworben, dass durch den Zweckverband in der Zweckverbandsversammlung<br />

einem entsprechenden Musterverfahren mit dieser Gruppe von 600 Leuten zugestimmt<br />

wird. In dieser Zweckverbandsversammlung, in der auch Herr Pencereci anwesend<br />

war, wurde behauptet, dass Musterverfahren mit Prozessgemeinschaften in<br />

<strong>Brandenburg</strong> nicht zulässig seien - nachzulesen im Protokoll dieser Versammlung.<br />

Daraufhin haben sich die Bürgermeister von diesem Musterverfahren abgewendet.<br />

Diese Leute wurden vor die Tür gesetzt.<br />

Dann hat der Zweckverband ein Musterverfahren ins Leben gerufen. Ich frage Sie:<br />

Welches Vertrauen haben denn die Bürger, wenn der Zweckverband ein eigenes<br />

Musterverfahren gegen sich selber anschiebt? Sie können sich selber eine Meinung<br />

darüber bilden.<br />

Um beim MAWV zu bleiben: Vielleicht sollte man sich einmal unters Volk mischen<br />

und nicht nur behaupten, die Stimmung sei gut. Wenn die Leute im MAWV-<br />

Verbandsgebiet in der Zeitung lesen, dass ihr Verbandsvorsteher gerade wegen Korruptionsverdachts<br />

hinter schwedischen Gardinen gelandet ist, können Sie sich vorstellen,<br />

was sie davon halten, wie sicher oder solide die Kalkulation dieses Zweckverbandes<br />

ist.<br />

Nun zu den zwei Vorschlägen, die wir gern einbringen wollen. Sie betreffen einerseits<br />

das Mitspracherecht, das unter § 12 Absatz 1 Nummer 7 Buchstabe c) gefasst ist.<br />

Dort haben wir den Vorschlag, Buchstabe c) zu ergänzen. Der erste Teil wird der Sache<br />

gerecht:


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„Bei Widersprüchen in gleich gelagerten Fällen soll die Widerspruchsbehörde<br />

geeignete Verfahren als Musterverfahren auswählen und vorrangig entscheiden.<br />

Die Widerspruchsbehörde bestimmt unter Berücksichtigung der Interessen<br />

der Beteiligten, den oder die Widerspruchsführer.“<br />

Dann würden wir gern ergänzen; dies würde zu einer in der Praxis klareren Formulierung<br />

führen:<br />

„Haben sich Widerspruchsführer zu einer Prozessgemeinschaft zusammengeschlossen,<br />

bedarf die Bestimmung des Widerspruchsführers des Musterverfahrens<br />

der Zustimmung der Prozessgemeinschaft. Dies gilt auch für den Fall,<br />

dass mehrere Musterverfahren zu verschiedenen Rechtsfragen durchgeführt<br />

werden sollen. Einigen sich die Widerspruchsbehörde und die Prozessgemeinschaft<br />

nicht auf die Bestimmung eines Widerspruchsführers für das Musterverfahren,<br />

hat die Widerspruchsbehörde das von der Prozessgemeinschaft<br />

vorgeschlagene Verfahren als Musterverfahren durchzuführen. Sie kann daneben<br />

ein von ihr vorgeschlagenes Verfahren als Musterverfahren durchführen.<br />

Der Widerspruchsbescheid in dem von der Prozessgemeinschaft vorgeschlagenen<br />

Musterverfahren darf nicht später als der in dem von der Widerspruchsbehörde<br />

ausgewählten Musterverfahren ergehen.“<br />

Diesen Passus haben wir aus der Erfahrung mit dem MAWV gewählt. Es tut mir leid,<br />

dass ich diesen Verband immer wieder erwähnen muss. Wir haben auf Solidarbasis<br />

von den Leuten, die nicht zu einer Prozessgemeinschaft in einem Musterverfahren<br />

zugelassen wurden, ein Verfahren eröffnet und über den Anwalt beim Zweckverband<br />

um einen entsprechenden Widerspruchsbescheid nachgefragt. Der ist dem von uns<br />

ausgewählten Kläger verweigert worden. Wir mussten erst mit einer entsprechenden<br />

Klage versuchen, einen Widerspruchsbescheid zu bekommen. Den haben wir bis<br />

heute nicht. Deswegen von unserer Seite eine kleine Ergänzung, dass die Einleitung<br />

eines Musterverfahrens, wenn ein paralleles Verfahren eingeschlagen wird, auch einer<br />

anderen Prozessgemeinschaft gewährt werden darf. Das ist die eine Ergänzung.<br />

Die zweite ist noch kürzer. Sie betrifft § 12 Absatz 1 Nummer 7 Buchstabe d), auch in<br />

unserer schriftlichen Stellungnahme nachzulesen, die Ihnen allen vorliegt. Hier wollen<br />

wir bezüglich der Bearbeitung der Widersprüche von Widerspruchsführern, die<br />

nicht einer Prozessgemeinschaft angehören, klarstellen, dass diese nicht von der<br />

Führung eines Musterprozesses gehemmt werden. Deswegen würden wir im ersten<br />

Satz des Buchstabens d) gern einfügen:<br />

„Die verbleibenden Widerspruchsverfahren der der Prozessgemeinschaft angehörenden<br />

Widerspruchsführer ruhen bis zur Rechtskraft der Entscheidungen<br />

in den Musterverfahren.“<br />

So weit zu unseren Ergänzungen.<br />

Ich schließe mich meinem Vorredner an, dass aus unserer Erfahrung keine Befürchtungen<br />

hinsichtlich der Müllgebühren bestehen. Dort hat sich nach unseren Erfah-


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rungen als Verband eine relative Ruhe eingestellt, insbesondere was den Bereich<br />

Berlin und <strong>Brandenburg</strong> betrifft - abgesehen von Einzelklagen. Aber ich halte Musterverfahren<br />

für öffentlich-rechtliche Gebühren nicht unbedingt für das, was mit diesem<br />

Gesetzentwurf bezweckt wird.<br />

Ich hoffe sehr, dass Sie sich als Abgeordnete dafür entscheiden werden, ein entsprechendes<br />

Gesetz auf den Weg zu bringen und zu bestätigen, dass es zwingend zu<br />

Musterverfahren kommen wird auch, um einigen Rechtsanwälten, die im Auftrage der<br />

Zweckverbände tätig sind, Einhalt zu gebieten, die sich vehement gegen Musterverfahren<br />

wehren, denn jedes Musterverfahren, das zustande kommt, ist für sie ein entgangenes<br />

Mandat. - Danke schön.<br />

Vorsitzender:<br />

Herzlichen Dank, Herr Ohm. - Auf meiner Frageliste stehen zunächst der Abgeordnete<br />

Goetz und der Abgeordnete Burkardt. Gibt es weiteren Nachfragebedarf zu diesem<br />

zweiten Anzuhörendenblock? - Das ist nicht der Fall. Dann kann der Kollege Goetz<br />

beginnen.<br />

Abgeordneter Goetz (FDP):<br />

Ich habe nur eine Nachfrage an die drei eben Angehörten. Ihre Begeisterung habe<br />

ich zur Kenntnis genommen. Ein Punkt ist trotzdem offen. Wenn Bescheide ergehen,<br />

haben Widersprüche keine aufschiebende Wirkung. Das heißt, die jeweiligen Beschiedenen<br />

müssen zunächst einmal zahlen. Zahlen sie nicht, zahlen sie 1 % im Monat<br />

an Zinsen. Vereinbaren sie sich mit dem jeweiligen Verband, zahlen sie 0,5 %<br />

oder 6 % im Jahr. Das ist, gemessen am heutigen Zinsniveau, relativ viel.<br />

Umgekehrt, wenn gezahlt ist und sich im Nachhinein herausstellt, dass der Bescheid<br />

aus irgendwelchen Gründen rechtswidrig war, erfolgt eine Verzinsung erst ab<br />

Rechtshängigkeit. In der Regel liegt ein langer Zeitraum zwischen Bescheid, Zahlung<br />

nach einem Monat und Entscheidung der Musterklage. Bis mein Verfahren zum Abschluss<br />

kommt, sind möglicherweise Jahre vergangen, in denen mein Geld unverzinst<br />

bei den Verbänden liegt. Finden Sie das in Ordnung?<br />

(Herr Erhardt: Natürlich nicht!)<br />

Vorsitzender:<br />

Das ist eine rhetorische Frage. Die Antwort darauf kommt erst, wenn Herr Burkardt<br />

seine Frage gestellt hat.<br />

Abgeordneter Burkardt (CDU):<br />

Danke. - In Fortsetzung von Herrn Goetz: Wenn wir das problematisch finden, sind<br />

wir nicht gehindert, genau diese Regelung zu ändern.


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Ich will auf das Argument kommunale Selbstverwaltung und die Frage der Zulassung<br />

von Musterklagen kommen. Ich bin ein überzeugter Anhänger der kommunalen<br />

Selbstverwaltung. Ich bin vor über 40 Jahren das erste Mal in eine kommunale Vertretungskörperschaft<br />

gewählt worden. Das Argument der kommunalen Selbstverwaltung<br />

- das stelle ich fest, wenn ich auf die <strong><strong>Land</strong>tag</strong>sarbeit zurückblicke - wird politikmissbräuchlich<br />

oft dann verwandt, wenn ich eine Regelung nicht haben möchte, oder<br />

dann, wenn ich eine Regelung - wie bei der Fremdenverkehrsabgabe - haben möchte.<br />

Das Problem besteht bei unseren Wasserverbänden einfach darin, dass sie nicht<br />

nahe genug am Bürger sind. Schaue ich mir die Wirklichkeit an, stelle ich fest: Wir<br />

haben auf der einen Seite die Stadtverordnetenversammlung und die Gemeindevertretung,<br />

auf der anderen Seite die Abwasser- und Wasserverbände. Dort wird zwar in<br />

öffentlicher Verbandsversammlung entschieden. Aber da ist niemand zu sehen. Deshalb<br />

können die sich auch Dinge erlauben, die sich eine Vertretungskörperschaft einer<br />

Gemeinde bei Gebühren und Beiträgen, wenn sie unmittelbar tätig wird, nicht<br />

erlauben kann. Deswegen meine Frage: Gibt es außer den beiden genannten Beispielen,<br />

die wir hier jetzt gehört haben - Sie haben den MAWV Königs Wusterhausen,<br />

aus Ihrer Sicht ein wenig relativiert, und es gibt den Verband Wasser- und Abwasserzweckverband<br />

(WAZV) Kleinmachnow, Teltow -, andere Wasser-, Abwasserverbände,<br />

die irgendeine Form von Musterklage praktizieren oder auf solche Anregungen<br />

eingehen? Das, was Sie dazu gesagt haben, war sehr verbal: „überwiegend“,<br />

oder: „geringerer Teil“. Damit kann ich relativ wenig anfangen. Ich frage also:<br />

Gibt es andere Verbände, und wenn ja, in welchem Umfang?<br />

Vorsitzender:<br />

Es ist jetzt keiner direkt angesprochen. Sie können sich überlegen, wer auf die Fragen<br />

antworten möchte. Am besten alle drei.<br />

Herr Peter Ohm (Verband Deutscher Grundstücksnutzer [VDNG]):<br />

Ich möchte mit der letzten Frage von Herrn Burkardt anfangen. Ich hatte ja gesagt,<br />

dass uns insbesondere in <strong>Brandenburg</strong> von den Zweckverbänden eine Welle der Ablehnung<br />

entgegengeschlagen ist. Das kann man eigentlich verallgemeinern. Mir ist<br />

noch ein weiterer Fall bekannt, den wir als Verband betreuen. Das ist der Zweckverband<br />

Wasser- und Abwasserverband Westniederlausitz (WAZ) in Doberlug-<br />

Kirchhain. Auch dort läuft nach langem Kampf ein Musterverfahren. Die Vertreter der<br />

örtlichen Bürgerinitiative sind leider nicht mehr hier. Sie haben sich sehr lange mit<br />

den Bürgermeistern der Zweckverbandsversammlung, insbesondere dem Zweckverbandsvorsteher,<br />

auseinandersetzen müssen, ehe dieses Musterverfahren zustande<br />

gekommen ist, welches jetzt vor dem Oberverwaltungsgericht als Normenkontrollklage<br />

geführt wird.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Herr Wolfgang Dr. Schönfelder (Verband Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen<br />

e.V.):<br />

Wir haben Kenntnis von vier Fällen oder der Möglichkeit der Zusage. Zwei davon<br />

sind identisch mit den hier genannten. Wir haben Kenntnis von einem Fall, in dem es<br />

eine Zusage gegeben hat, die dann wieder zurückgezogen worden ist. Es ist also<br />

aus unserer Erfahrung die absolute Minderheit.<br />

Herr Rudolf Ehrhardt (<strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er Haus-, Wohnungsund<br />

Grundeigentümervereine):<br />

Ich habe ja schon von der Ablehnung in unserem Bereich erzählt. Im Cottbuser<br />

Raum, in Angermünde, in Gransee wurde das einfach richtig abgewiegelt - trotz intensiver<br />

Versuche auch von uns und obwohl wir dorthin Kontakte haben.<br />

Ich sehe einen Unterschied zwischen Abwasserzweckverbänden und Eigenbetrieben<br />

Abwasser von Kommunen. Wenn die Kommunen mehr Einfluss haben, ist immer<br />

eine bürgerfreundlichere Lösung in Sicht. Das muss ich einmal klar sagen.<br />

Vielerorts habe ich den Eindruck: Bei den Abwasserzweckverbänden sitzt einer in<br />

Schwedt und macht für Angermünde eine Satzung. Da gibt es in diesem Stadtteil<br />

Riesengrundstücke. Da wird vielleicht das Gleiche gemacht wie in Schwedt oder was<br />

weiß ich wo. Da kommen manchmal Beträge für die Bewohner raus, die nicht bezahlbar<br />

sind. Das ist sicher auch nachvollziehbar: Es sind größere Grundstücke, es<br />

sind längere Leitungen usw. Ich will das nur einmal so sagen. Das ist für die Bürger<br />

immer nicht so richtig nachvollziehbar, wenn nach Jahren Riesensummen kommen.<br />

Aber das hatten wir vorhin schon.<br />

Ich sehe es als Mittel - wie Sie das in der Begründung des Gesetzentwurfes selbst<br />

geschrieben haben -, dem Einhalt zu bieten, dass die Abwasserzweckverbände das<br />

als Mittel nutzen, um Klagen zu verhindern. Die Gebühren der Rechtsanwälte sind<br />

hier ja auch deutlich geworden.<br />

Abgeordneter Goetz (FDP):<br />

Es war nicht rein rhetorisch gemeint, was ich vorhin sagte. Die Abgabenordnung<br />

sieht vor, dass, wenn man Steuern zahlt und etwas wiederbekommt, wenn man also<br />

eine Vorausleistung erbringt, voll verzinst wird - ob ich beim Gericht bin oder nicht.<br />

Also, irgendwann ergeht ein Bescheid, ich habe eine Vorauszahlung geleistet, zu viel<br />

gezahlt, dann kriege ich Geld mit Zinsen wieder. Das Kommunalabgabengesetz verweist<br />

auf die Abgabenordnung mit zwei kleinen Unterschieden. Gerade die Verzinsungsregelung<br />

aus der Abgabenordnung, die für Steuern, die ich gezahlt habe, gilt,<br />

gilt für Beiträge und Gebühren eben nicht. Das ist bewusst ausgenommen worden.<br />

Wenn wir ein Musterverfahren anstrengen, wird das jahrelang dauern. Da sind wir<br />

uns, glaube ich, einig. Da liegt das eben drei, vier Jahre, manchmal auch mehr. Das<br />

Verfahren ruht, solange die Musterverfahren laufen. Möglicherweise geht es durch


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 81<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

mehrere Instanzen; dann dauert es noch länger. So lange liegt das Geld dort. Meinen<br />

Sie nicht, dass der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion zumindest insoweit ergänzt<br />

werden müsste, dass da auch eine Verzinsung der bei den Verbänden liegenden Beträge<br />

erfolgen müsste, vergleichbar damit, wie es bei Steuern ist?<br />

Herr Rudolf Ehrhardt (<strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er Haus-, Wohnungsund<br />

Grundeigentümervereine):<br />

Sie haben natürlich recht. Wenn Sie eine Steuerrückzahlung erhalten und die Bearbeitung<br />

des Steuerbescheides beim Finanzamt ein Dreivierteljahr dauert, habe ich<br />

noch nie erlebt, dass das Finanzamt Zinsen dafür zahlt. Ich würde es natürlich sehr<br />

begrüßen, wenn in das Gesetz noch so eine Regelung reinkäme. Aber ich weise<br />

auch darauf hin, dass es die Möglichkeit gibt - das kommt z. B. gerade bei den Eigenbetrieben<br />

vor, die ich immer noch bevorzuge -, Anträge auf aufschiebende Wirkung<br />

der Zahlung zu berücksichtigen und zu genehmigen. Das ist alles schon vorgekommen.<br />

(Zuruf Abgeordneter Goetz [FDP]): - Unterschiedlich.<br />

Herr Peter Ohm (Verband Deutscher Grundstücksnutzer [VDNG]):<br />

Ich schließe mich dem an, dass wir es natürlich begrüßen würden, wenn es dort eine<br />

gerechtere Regelung gäbe. Aber ich warne davor, den Bogen zu stark zu spannen.<br />

Ich weiß aus den Gesprächen mit den Betroffenen, dass es den Leuten dort nicht<br />

vorrangig um eine Verzinsung geht - so schön es wäre. Deswegen würde ich es begrüßen,<br />

wenn es die Möglichkeit gäbe. Aber letztlich entsteht damit ein hohes finanzielles<br />

Risiko für die Zweckverbände. Wenn wir eine sehr entscheidende Diskussion<br />

führen, ist das ein Punkt, von dem man sagen könnte: Okay, erst einmal ein Musterverfahren<br />

für den Betroffenen überhaupt. Sonst kriegt er auch keine Zinsen. Dann<br />

zahlt er, und das Geld ist auf ewig weg. Dann hat er zumindest die Möglichkeit auf<br />

eine Rückzahlung, wenn er unter Vorbehalt gezahlt hat. Ich würde es nicht unbedingt<br />

in den Vordergrund stellen wollen, um es einmal so zu formulieren.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Ohm. Damit ist die Frage beantwortet. Wir können den Frage- und<br />

Antwortblock schließen und kommen zum dritten Anzuhörendenblock. Da beginnt<br />

jetzt Frau Heike Nicolaus vom Zweckverband Komplexsanierung Mittlerer Süden. Sie<br />

haben das Wort.<br />

Frau Heike Nicolaus (Zweckverband Komplexsanierung Mittlerer Süden [KMS]):<br />

Vielen Dank für die Einladung. Ich bin das erste Mal in solcher Runde. Kurze Vorstellung!<br />

Meine Vorredner haben sich ja schon vorgestellt. Ich heiße Heike Nicolaus und<br />

bin seit 13 Jahren beim Zweckverband Komplexsanierung Mittlerer Süden (KMS)<br />

Zossen, seit drei Jahren amtierende Verbandsvorsteherin (Anlage 17). Wir betreuen<br />

42 000 Einwohner, liefern Trinkwasser und Abwasser. Wir sind einer der Verbände,<br />

von denen Herr Burkardt vorhin nachfragte: Wer zahlt denn eigentlich Beiträge zu-


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

rück? Wir machen das. Wir haben 2010 unser gesamtes Satzungsrecht einschließlich<br />

Kalkulation auf völlig neue Füße gestellt, weil in der Vergangenheit verschiedene<br />

Beitragserhebungen vorgenommen wurden. In den neunziger Jahren wurden bloß<br />

25 % der Beitragslast erhoben, weil man sagte, der DDR-Bürger hat noch nicht so<br />

viel Geld, um die volle Beitragslast zu tragen. Das hatte zur Folge, dass der Verband<br />

1996 zahlungsunfähig war. Dann passierte bis 2000 gar nichts. Bis 2001 hatten wir<br />

die Tiefenbegrenzung. Danach wurde voll erhoben. Dies haben wir mit der neuen<br />

Kalkulation unter Einbeziehung der Altanlieger und dem Sonderfall Konversionsfläche<br />

Waldstadt Wünsdorf nivelliert. Dadurch haben wird die Beträge insbesondere im<br />

Trinkwasserbereich um mehr als die Hälfte senken können, im Abwasserbereich um<br />

ein Sechstel. Wir erheben nach. Wir erheben Altanlieger. Und wir zahlen Beiträge<br />

zurück. Das sind jetzt schon Millionenbeträge.<br />

Bevor ich etwas zum Musterverfahren sage, muss ich erst einmal sagen: Ich bin<br />

fürchterlich erschrocken, wie die Verbände als marodierende Monster dargestellt<br />

werden, die durch die <strong>Land</strong>e ziehen und den Bürgern das Geld aus der Tasche ziehen.<br />

Das hat mich in der vorherigen Anhörung und insbesondere hier fürchterlich erschreckt.<br />

Wir erfüllen kommunale Aufgaben. Wir müssen kostendeckende Beiträge<br />

und Gebühren erheben. Wir sind überwiegend ländliche Verbände. Dort haben wir<br />

höhere Kosten als in einer großen Stadt. Wir haben z. B. gar keine große Stadt. Da<br />

sind die Beiträge höher. Wenn ich von 85 Cent Beitragssatz im Trinkwasser oder<br />

3 Euro Beitragssatz im Abwasserbereich auf den Quadratmeter rede, glaube ich<br />

nicht, dass das Beiträge sind, die man als exorbitant hoch bezeichnen kann. Wir liegen<br />

damit voll im Trend.<br />

Zu den Musterklagen: Auch unsere Verbandsversammlung hat sich gegen Musterklagen<br />

ausgesprochen. Ich muss dazu aber auch sagen: Wir hatten eine einzige Anfrage<br />

von meinem Nachbarn. Es wurde einmal angefragt, einmal negativ beschieden.<br />

Seitdem ist nie wieder ein anderer Anwalt oder ein anderer mit der Frage auf uns zugekommen,<br />

ob eine Musterklage durchgeführt werden kann. Es ist nicht so, dass die<br />

Verbände das vehement ablehnen. Wie gesagt, ich habe in den drei Jahren einen<br />

Brief geschrieben. Seitdem hat noch nie jemand nachgefragt. Das sollte man auch<br />

einmal sagen.<br />

Warum sind wir dagegen? - Ganz einfach. Wir sagen: So viele Grundstücke, wie es<br />

gibt, so viele Möglichkeiten der Klage gibt es auch. Schauen wir uns einfach einmal<br />

die Satzung der Verbände an. Wir haben einmal Trinkwasser/Abwasser. Da teilt sich<br />

das schon. Wir haben die Grundstücksfläche. Jeder Verband hat mehrere Paragrafen<br />

und Unterparagrafen in seinen Satzungen zu Fallkonstellationen bezüglich der<br />

Grundstücksfläche verankert. Wir haben Innen- und Außenbereiche, teilweise oder<br />

total, wir haben Bebauungsplangebiete, wir haben beplanten und unbeplanten Innenbereich.<br />

Unsere Grundstücke liegen zum Teil in beiden Bereichen. Wir haben<br />

gewerblich genutzte Grundstücke. Diese ganze Palette wird von den Satzungen erschlagen.<br />

Wir haben die Fallkonstellationen der Geschossigkeit. Hier haben wir auch wieder die<br />

Grundstücke innerhalb eines Bebauungsplangebietes, bebaute oder unbebaute<br />

Grundstücke innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils - § 34 Bauge-


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

setzbuch -, bebaute und unbebaute Grundstücke im Außenbereich und Gewerbegrundstücke.<br />

Sie sehen, diese Palette muss über die Satzung abgedeckt werden. Wir<br />

Verbände erleben es täglich live: Jeden Tag steht ein Richter auf und hat eine neue<br />

Idee, was wir noch in die Satzungen einbringen können. Wir als Verbände hecheln<br />

der Rechtsprechung hinterher. Uns wird gern mangelndes Wissen oder Doofheit<br />

nachgesagt. Aber es ist wirklich ein Hinterherhecheln.<br />

Für uns als Verband erscheint also fraglich, wann Fälle gleich gelagert sind. In der<br />

Praxis begründen Widerspruchsführer ihre Widersprüche vielfach nicht nur mit einer<br />

bestimmten Rechtsfrage, z. B. Zulässigkeit der Altanlieger, sondern es gibt immer<br />

individuelle Besonderheiten, die wir in der Diskussion nicht außer Acht lassen sollten.<br />

Ein paar Beispiele für Klagegründe: „Ich fühle mich ungerecht behandelt“, „Mein<br />

Nachbar zahlt weniger“, „Eltern haben Beiträge schon in Reichsmark bezahlt“, „Ich<br />

nutze mein Grundstück nicht“, und aktuell: „Querfinanzierung Flughafen“. Das sind<br />

die Sachen, die uns im Moment angeboten werden.<br />

Vorhin sind ein paar Zahlen genannt worden. Wir haben 400 Klagen am Verwaltungsgericht<br />

Potsdam und 27 Normenkontrollverfahren anhängig. Wenn ich 2015<br />

höre, wird mir ganz schlecht. Eine längere Frist wäre auch im Sinne unseres Verbandes.<br />

Ich habe unterschiedlich gelagerten Grundstücke und Fälle. Wer soll nun eigentlich<br />

entscheiden, welche Widerspruchsverfahren gleichgelagert sind? Ruhen eigentlich<br />

automatisch alle Widerspruchsverfahren, wenn ein Musterverfahren ausgewählt wurde?<br />

Hier ist die Frage: Soll die Behörde das entscheiden? Das sind die Fragen, die<br />

bei uns anfallen.<br />

Nächster Punkt - das hatten wir schon öfter -: Verwaltungsrechtliche Verfahren dauern<br />

oftmals sehr lange. In Musterverfahren ist damit zu rechnen, dass der gesamte<br />

Instanzenzug, möglicherweise mit Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts oder<br />

Bundesverfassungsgerichts, ausgeschöpft wird. Da reden wir über einen Zeitraum<br />

von fünf, sechs Jahren.<br />

Da die Bürger trotz des Ruhens des Verfahrens zur Zahlung verpflichtet sind, verbleibt<br />

das Geld bei der Gemeinde, ohne dass es verwendet werden kann. Der Bürger<br />

erhält für die Zeit des Ruhens des Verfahrens selbst bei einer Rückzahlung nach<br />

Aufhebung keine Zinsen. Eine Verzinsung erfolgt nur während der Prozessanhängigkeit<br />

für die Kläger selbst. Dies wird aus unserer Sicht offensichtlich der Gesetzentwurf<br />

der CDU mit der Regelung in § 12 Nummer 6 letzter Satz ändern, wonach die<br />

Rechtsfolgen der Rechtsanhängigkeit des Musterverfahrens auch für die ruhenden<br />

Widerspruchsverfahren gelten. Die Konsequenz daraus wäre: Die Stadt oder der<br />

Verband müsste nach einer Niederlage im Musterverfahren - egal, aus welchem<br />

Grund - für alle widerspruchsbehafteten Bescheide Prozesszinsen zahlen. Ich weiß<br />

nicht, ob das im Sinne des Erfinders ist.<br />

Außerdem - ganz wichtig - kann dem Gericht nicht vorgeschrieben werden, die für<br />

die Widerspruchsführer maßgebliche Rechtsfrage zu klären. Sie gehen rein und wol-


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

len die Geschossigkeit geklärt haben, und der Richter klappt das Thema zu, weil etwas<br />

verjährt ist oder die Veröffentlichung der Satzung nicht richtig war. Es können<br />

daher Urteile ergehen, ohne überhaupt die entscheidende Frage geklärt zu haben.<br />

Das sollte man sich auch vor Augen führen.<br />

Ob alle an ein solches Urteil gebunden sein sollen, ist die nächste Frage. In Mecklenburg-Vorpommern<br />

stellt sich diese Frage nicht, da die Regelung nur die Durchführung<br />

des Widerspruchsverfahrens bzw. dessen Ruhen betrifft. Die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern<br />

spricht keine Bindungswirkung aus und befasst sich auch nicht<br />

mit der Durchführung einer Musterklage. Das sollte man auch bedenken. Dort kann<br />

das Widerspruchsverfahren nach der Rechtskraft eines Musterverfahrens von beiden<br />

Seiten, Widerspruchsführer wie Behörde, fortgeführt werden. Das bedeutet aber<br />

auch, dass nach vielen Jahren nach dem Instanzenzug die einzelnen Widerspruchsverfahren<br />

noch weitergeführt werden können.<br />

Eine gesetzliche Regelung zum Ruhen von Widerspruchsverfahren bei in Gerichtsverfahren<br />

gleichgelagerten Fällen wäre sinnvoll, wenn dadurch Untätigkeitsklagen<br />

ausgeschlossen sind. Das haben wir auch noch. Untätigkeitsklagen sind bei uns<br />

ganz groß. Hier ist die Verwaltungsgerichtsordnung Bund einschlägig. Daher ist eine<br />

solche Regelung in <strong>Brandenburg</strong> in unseren Augen eher nicht möglich.<br />

Wie verfährt unser Verband im Moment? Wir schicken die Bescheide raus. Wir reden<br />

über die Kleinigkeit von 33 000 Bescheiden, die wir in vier Jahren abarbeiten müssen.<br />

Wir haben am 1. Januar 2011 angefangen. Ich habe dieses Jahr sechs Leute<br />

eingestellt. Ich habe jetzt 13 Leute, die nur Beitragsbescheidung machen. Prof.<br />

Herrmann hat vorhin schon Ausführungen dazu gemacht. Es ist mit einem erheblichen<br />

personellen Aufwand verbunden, den wir stemmen müssen. Wie gesagt, wir<br />

schicken die Bescheide raus. Meistens wollen die, die eine Nacherhebung kriegen,<br />

Widerspruch erheben; die, die Geld wiederkriegen, gehen eigentlich nicht in Widerspruch.<br />

Wir informieren den Widerspruchsführer über die anhängigen Normenkontrollklagen<br />

- ich habe gesagt, wir haben 27 Stück - und bieten an, das Einverständnis<br />

des Widerspruchsführers vorausgesetzt, über den Widerspruch erst nach Abschluss<br />

des Normenkontrollverfahrens zu entscheiden. Diese Verfahrensweise wird größtenteils<br />

angenommen. Damit spart der Bürger Kosten. Er muss nicht den Klageweg eingehen.<br />

Sicherlich spart auch der Verband Kosten - das muss man ganz klar sagen.<br />

Das ist eine Lösung, die wir gefunden haben, die eigentlich recht gut läuft.<br />

Wir haben eine Widerspruchsquote von 50 %. Ich habe ungefähr 4 000 Widersprüche<br />

und 400 Klagen. Das Verhältnis geht noch und bringt mich nicht um meine<br />

Nachtruhe, weil irgendwann darüber entschieden wird.<br />

Wir schließen uns voll und ganz der Stellungnahme des <strong>Land</strong>eswasserverbandstages<br />

zu diesem Punkt und zur Verjährungsfrage an und hoffen, dass im Sinne aller<br />

entschieden wird. Das ist doch hier die Frage. Wir erfüllen hier eine kommunale Aufgabe.<br />

Es ist für mich erschreckend, wie wir hier dargestellt werden, möchte ich noch<br />

einmal sagen. Wir müssen es tun. Wenn wir es nicht machen, macht es ein anderer.<br />

- So viel dazu.


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Frau Nicolaus. - Als Nächstes Herr Wolf-Michael Ring - er wurde von<br />

Frau Nicolaus schon indirekt angesprochen - als Vorsitzender Richter des Verwaltungsgerichts<br />

Schwerin. Er ist nicht mit den <strong>Brandenburg</strong>er Fällen betraut. Aber in<br />

Mecklenburg-Vorpommern haben wir viele ähnlich gelagerte Fälle. Mecklenburg-<br />

Vorpommern ist eines der Bundesländer, in denen es für das Widerspruchsverfahren<br />

Musterverfahren im <strong>Land</strong>esrecht gibt. Schön, dass Sie da sind. Sie haben jetzt das<br />

Wort.<br />

Herr Wolf-Michael Ring (Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Schwerin):<br />

Herzlichen Dank für die Einladung. Ich habe meine schriftliche Stellungnahme abgegeben.<br />

Ein Kollege vom Oberverwaltungsgericht, Prof. Dr. Sauthoff, hat mir noch zugearbeitet.<br />

Deshalb werden Sie noch eine erweiterte schriftliche Stellungnahme bekommen,<br />

in der noch ein paar Punkte mehr enthalten sind (Anlage 18).<br />

Wir haben seit 2005 die Regelung zu den ruhenden Widerspruchsverfahren. Ich bin<br />

erst seit 2007 in der Abgabenkammer. Ich kann also den Effekt Vorher-Nachher nicht<br />

aus eigener Anschauung erzählen. Ich weiß aber, dass wir Anfang der 2000er-Jahre<br />

in unserer damaligen Abgabenkammer über 2 000 Verfahren hatten. Wir mussten Sie<br />

damals in zwei Abgabenkammern aufsplitten, um das überhaupt bewältigen zu können.<br />

Seit der neuen Geschäftsverteilung 2013 führe ich allein eine Abgabenkammer<br />

mit unter 800 Verfahren. Ich will das nicht monokausal auf diese Regelung zurückführen.<br />

Es kann auch sein, dass die Verbände mit der Beitragserhebung weiter durch<br />

sind. Aber es ist für uns gefühlt so - wir führen keine Statistiken darüber -, dass die<br />

großen Ketten abgenommen haben.<br />

Aus meiner Sicht ist es so, dass die Regelung nicht hundertprozentig gelebt wird.<br />

Aber wenn sie gelebt wird, funktioniert sie gut. Ich erinnere mich an eine Handhabung<br />

bei einem Zweckverband, der einmal mit seiner Beitragssatzung nicht die Gnade<br />

des Gerichts gefunden hatte, weil sich eklatante Fehler darin befunden haben.<br />

Die haben sofort die Beitragserhebung gestoppt, haben die Bescheide aufgehoben,<br />

sind in eine neue Erhebung gegangen, haben eine neue Satzung gemacht, vor allen<br />

Dingen eine neue Kalkulation vorgelegt und haben uns dann signalisiert, dass es<br />

mehrere Anwälte gibt, die jeweils mehrere hundert Widersprüche auf sich vereinigen.<br />

Sie hatten sich mit denen abgesprochen, ein Musterverfahren durchzuführen. Es war<br />

uns signalisiert. Das ist aus richterlicher Sicht eine ganz wichtige Sache. Das muss<br />

dem Gericht bekannt sein. Wir haben immer wieder das Phänomen, dass erst in der<br />

mündlichen Verhandlung gesagt wird: Das stehen noch 30 Verfahren im Straßenbaubeitragsrecht<br />

hinter. Dann guckt man ein bisschen traurig in die Gegend und<br />

sagt: Vielleicht hätten wir es vorgezogen, wenn wir die besondere Bedeutung des<br />

Falles erkannt hätten. In diesem Fall war es so. Es war angezeigt. Wir haben uns<br />

dann das Recht rausgenommen, die vielen Verfahren, die dahinterstehen, zu beachten<br />

und die Sache vorzuziehen. Sie haben relativ schnell eine Entscheidung des Ge-


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

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richts gekriegt, sind zum Oberverwaltungsgericht gegangen und haben dann einen<br />

Befund über ihre Satzung bekommen. Die Satzung hat vor dem Oberverwaltungsgericht<br />

gehalten. Das zeigt mir, dass so ein Verfahren sehr gut funktionieren kann.<br />

Ich muss Folgendes dazu sagen: Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern eine weiche<br />

Regelung. Sowohl der Zweckverband also auch die Widersprechenden können<br />

aussteigen. Wichtig ist aus der Wahrnehmung, die ich im Gerichtssaal habe: Das<br />

muss fair laufen. Der Zweckverband muss ankündigen: In deinem Fall wollen wir weitermachen,<br />

Widersprechender, und zwar aus den und den Gründen. Dieser Zweckverband<br />

hat es z. B. so gemacht, dass sie die Verfahren von Klägern aussortiert hatten,<br />

die nicht an Rechtsanwälte gebunden waren und die zusätzlich keine inhaltliche<br />

Begründung abgegeben hatten, die einfach nur das Wort „Widerspruch“ auf einen<br />

Zettel geschrieben und damit formell den Widerspruch erhoben, aber keine inhaltlichen<br />

Einwendungen gebracht hatten, weder grundstücksbezogen noch genereller<br />

Natur auf die Satzung bezogen. Da haben sie sich das Recht genommen, diese vorab<br />

zu bescheiden, haben das den Leuten angekündigt, eine Nachfrist gesetzt, gefragt,<br />

ob sie eine weitere Erklärung zu ihrem Widerspruch abgeben wollten. Wenn die<br />

nicht kam, sind die beschieden worden und sind nach dem, was uns berichtet wurde,<br />

praktisch zu 100 % bestandskräftig geworden.<br />

Das ist Selektion. Ich kann einen Zweckverband nachvollziehen, dass sie die Halden<br />

ein bisschen kleiner gestalten wollen. Das ist eine Handhabung, die ihnen aufgrund<br />

der Ausstiegsmöglichkeit eröffnet wird, die wir in Mecklenburg-Vorpommern haben.<br />

Ich habe dem Entwurf hier entnommen, dass so eine Ausstiegsmöglichkeit den<br />

Zweckverbänden nicht zugestanden werden soll. Man muss einfach gucken, wie man<br />

das handhaben will.<br />

Wenn das mit Musterverfahren so gehandhabt wird, sind wir von Gerichtsseite aus<br />

immer darauf bedacht, einen möglichst großen Brain Trust zusammenzubringen,<br />

d. h. alle maßgeblichen Anwälte, die inhaltlich etwas dazu beizusteuern haben. Wir<br />

maßen uns wirklich nicht an, aus eigener Wassersuppe alles ermessen zu können,<br />

was an Problematiken nicht nur in der Satzung, sondern vor allen Dingen in der Kalkulation,<br />

die bei uns in Mecklenburg-Vorpommern über den Beitragssatz zentraler<br />

Satzungsbestandteil ist, enthalten ist. Das heißt, wir machen es so, dass wir gern<br />

drei, vier, fünf Musterverfahren haben, die wir in einem fürchterlichen Marathon<br />

durchziehen, um alle Argumente vor Beschlussfassung mit den ehrenamtlichen Richtern<br />

auf dem Tisch zu haben. Das gibt eine relativ große Gewähr dafür, dass man<br />

wirklich alle Ecken ausgekehrt hat und zu einer inhaltlich richtigen Entscheidung<br />

kommt.<br />

Gleichwohl kann es immer wieder passieren, dass jemand nachklappt, weil die<br />

Zweckverbände zwangsläufig so vorgehen müssen, dass sie regional nach und nach<br />

erheben. Dann ist in irgendeiner Ortschaft eine neue Anwältin, ein neuen Anwalt tätig,<br />

die oder der gute Ideen hat. Dann muss man das sportlich nehmen. Dann werden<br />

die Verfahren nachgeführt. Deshalb sind wir jetzt mit unserer Entscheidung nach der<br />

Bundesverfassungsgerichtsentscheidung so schnell aus den Büschen gekommen.<br />

Da war gerade das passiert. Eine engagierte Anwältin hat eine neue Facette aufgemacht.<br />

Da haben wir gesagt: Wir machen noch einmal eine Kammersitzung. Die war


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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

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terminiert, bevor wir von der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung wussten. Dann<br />

haben wir das mit eingearbeitet.<br />

Das ist aus unserer Sicht kein Problem. Wichtig ist nur, dass es dann möglichst zentral<br />

abgearbeitet wird, damit man wirklich alle guten Argumente mit in die Entscheidung<br />

reinbringen kann, weil das wieder dem Verfremdungseffekt dient. Heutzutage<br />

ist es ja so: Entweder der Zweckverband tut es in seine Verbandspostille rein, oder<br />

es geistert durch die Blocks der Bürgerinitiativen, oder es geht in die Zeitung. Es wird<br />

sehr schnell in guter Weise transparent, was das Gericht entschieden hat. Insofern<br />

ist es uns wichtig, dass es eine möglichst umfangreiche, möglichst verständliche Erklärung<br />

ist, die für die anderen Widersprechenden in ihrer Entscheidung hilfreich sein<br />

kann, die dann sagen: „Wir machen weiter, wir wollen den Widerspruchsbescheid<br />

haben“, oder sagen: „Okay, jetzt haben wir eine Erklärung, und jetzt lassen wir es gut<br />

sein“, wenn manchmal auch grummelnder Weise. Es ist häufig pure Not. Das nehmen<br />

wir auch wahr. Die Leute wissen häufig nicht, wie sie das bezahlen sollen. Aber<br />

das ist für uns Richter leider nicht das zentrale Thema. Wir müssen das Gesetz anwenden,<br />

wie es ist.<br />

Aus unserer Sicht: Es funktioniert. Ob man es machen muss, ist eine politische Entscheidung.<br />

Bevor ich zum Gericht kam, war ich in der Deregulierungsstabstelle des<br />

Justizministeriums. Zwangsläufig ist es nicht. Das Bundesverfassungsgericht wird<br />

Ihnen nicht vorschreiben, dass Sie so etwas haben müssen. Das ist Geschmackssache.<br />

Ich habe, als ich gerade den Vortrag von Frau Nicolaus hörte, noch einmal darüber<br />

nachgedacht. Aus unserer Sicht ist es natürlich so: Eine Ausstiegsmöglichkeit für einen<br />

Zweckverband erscheint vor dem finanziellen Hintergrund zunächst einmal nicht<br />

geboten, weil die ja das Geld kriegen, weil es sofort vollziehbar ist. Frau Nicolaus hat<br />

wahrscheinlich zu Recht darauf hingewiesen: Möglicherweise muss das in separate<br />

Töpfe, weil es sich um einen im Widerspruch befindlichen und deshalb nicht endgültig<br />

im Haushalt verbleibenden Vermögenswert handelt. Ich kenne mich in den Bilanzen<br />

nicht aus. Ich weiß aber, dass es möglicherweise Probleme gibt. Das müssten<br />

Sie eventuell in Ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen: Wie geht ein Zweckverband<br />

eigentlich mit dem Geld um, das er erst einmal nur unter Vorbehalt hat? Kann<br />

er damit schon finanzieren? Oder muss er trotzdem in die Fremdfinanzierung gehen<br />

und hat dann höhere Gebühren, weil er Finanzierungskosten bei den Gebühren einrechnet?<br />

Das mag für oder gegen Musterverfahren sprechen, ist aber eine ganz andere<br />

Facette als die, die ich als Richter zu betrachten habe.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Ring, für Ihrer Einlassungen und Erläuterungen. - Als Letzter ist<br />

jetzt Herr Dr. Andreas Beutin, Rechtsanwälte Schütte, Horstkotte & Partner, dran. Sie<br />

haben jetzt auch das Wort.


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 88<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Herr Dr. Andreas Beutin (Rechtsanwälte Schütte, Horstkotte & Partner):<br />

Vielen Dank, Herr Vorsitzender. - Vielen Dank für die Einladung. Ich versuche, mich<br />

stichpunktartig kurz zu halten in Ergänzung zu dem, was wir schriftlich eingereicht<br />

haben (Anlage 19). Vieles ist schon angesprochen worden.<br />

Mehrfach angesprochen worden ist das Zusammenspiel der Verfahrensruhe mit der<br />

Frage der Aussetzung der Vollziehung bzw. der sofortigen Vollziehbarkeit von Abgabenforderungen.<br />

<strong>Land</strong>läufig, muss man sagen, geht die Erwartung von Widerspruchsführern<br />

bei der Verfahrensruhe einher mit der Erwartung, dass erst einmal<br />

nicht zu zahlen ist. Das führt in der Praxis - zumindest nach unserer Erfahrung in<br />

Mecklenburg-Vorpommern - zu einem ganz erheblichen Aufwand, weil zunächst einmal<br />

vielen Widerspruchsführern klargemacht werden muss, dass die Verfahrensruhe<br />

nicht zur Aussetzung der Vollziehung führt. Dann ist die Frage, wie das gelöst wird.<br />

Entweder führt das dazu, dass einzelne Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung<br />

von den Beitragsschuldnern angestrengt werden, die auch in gerichtliche Auseinandersetzen<br />

münden, und zwar individuellen, die überhaupt nichts mit der Frage Musterverfahren<br />

zu tun haben, oder der Zweckverband bzw. die abgabenerhebende Körperschaft<br />

fühlt sich faktisch gezwungen, um eine Gleichbehandlung herzustellen, alle<br />

Verfahren auszusetzen. Das wirkt sich natürlich ganz erheblich auf die Refinanzierung<br />

der Körperschaft aus, beinhaltet also durchaus Probleme. Da muss man in dem<br />

Zusammenspiel einfach im Blick haben.<br />

Die Frage ist ein Problem bei der Auswahl von Musterverfahren. Die Anfragen kommen<br />

sehr häufig gerade von den Anwälten, die Widerspruchsführer vertreten. Auch<br />

das ist eine Frage, über die lange und intensiv gestritten wird, wo viel Zeit investiert<br />

werden muss und nicht immer eine Einigung erzielt werden kann, was faktisch dazu<br />

führt, dass oftmals doch eine sehr große Anzahl an Verfahren zu Gericht geht, die<br />

alle Musterverfahren sind. Man kann natürlich auch sagen: Ab einer Verfahrensanzahl<br />

von zehn, 15 Verfahren noch von Musterverfahren zu sprechen, ist auch schon<br />

nicht mehr ganz passend.<br />

Ein weiteres Problem ist auch schon mehrfach diskutiert worden. Der Entzug der Verfahrenshoheit<br />

gegenüber der Widerspruchsbehörde, dass sie das Ruhen des Verfahrens<br />

nicht einseitig beenden kann, muss man schon als problematisch ansehen. Die<br />

Finanzausstattung kann dadurch gefährdet sein, gerade bei der Gebührenerhebung.<br />

Auch wenn das kein streitanfälliges Thema ist, könnte das problematische Folgen<br />

nach sich ziehen.<br />

Ein weiteres Ziel des Gesetzentwurfs ist die Befriedung. Auch da muss man sehen:<br />

Selbst bei ruhenden Verfahren führt das nicht zwangsläufig zur Befriedung. Jeder<br />

Widerspruchsführer kann individuell irgendwann eine Klage einreichen. Es gibt eine<br />

Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, die sagt: Das<br />

ist faktisch der Antrag des Widerspruchsführers, das Verfahren wieder aufzugreifen.<br />

Damit ist die Klage zulässig. Mit anderen Worten: Eine Sicherheit, dass die ruhenden<br />

Verfahren wirklich ruhend bleiben, kann man damit auch nicht schaffen.


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 89<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Ein weiteres Ziel, das angesprochen worden ist, ist die Vereinheitlichung der Rechtsprechung.<br />

Auch das wird man, glaube ich, über dieses Instrument nicht erreichen.<br />

Wir haben es schon gehört: Musterverfahren können sehr unterschiedlich ausgehen.<br />

Es kann durch zeitlichen Ablauf natürlich immer wieder Änderungen in der Rechtsprechung,<br />

in der Rechtslage geben.<br />

Auch die Ziele von Prozessgemeinschaften sind sehr unterschiedlich. Es gibt Prozessgemeinschaften,<br />

die darauf abzielen, einen günstigen Vergleich zu erreichen. Es<br />

gibt Prozessgemeinschaften, die darauf abzielen, grundsätzlich die Frage gerade im<br />

Anschlussbeitragsrecht der Beitragserhebung in Zweifel zu ziehen. Auch da können<br />

die Ergebnisse sehr stark voneinander abweichen.<br />

Zwei konkrete Überlegungen müsste man sich noch zur Formulierung des Gesetzentwurfs<br />

bei der Regelung zu den Musterverfahren stellen. Die eine ist: Wie geht<br />

man mit Widerspruchsverfahren um, die unter die Regelung des § 12 Absatz 1<br />

Nummer 7 Buchstaben a) oder b) fallen, nämlich die auf ein sozusagen vorgreifliches<br />

Gerichtsverfahren Bezug nehmen und gleichzeitig Widersprüche in gleichgelagerten<br />

Fällen nach § 12 Absatz 1 Nummer 7 Buchstabe c) darstellen? Dann haben wir ja die<br />

Konstellation, dass die Verfahren nach Buchstabe a) und b) von Gesetzes wegen<br />

ruhen. Nach c) soll trotzdem unter den ruhenden Verfahren ein Musterverfahren ausgewählt<br />

werden, das entschieden werden soll. Das passt meines Erachtens nicht<br />

ganz zusammen. Da müsste man noch einmal überlegen, wie man eine klarere Abgrenzung<br />

schafft.<br />

Die nächste Frage betrifft § 12 Absatz 1 Nummer 7 Buchstabe d). Er beginnt mit den<br />

Worten: „Die verbleibenden Widerspruchsverfahren ruhen ...“ Mit der Formulierung<br />

„Die verbleibenden Widerspruchsverfahren“ wird nach meinem Verständnis auf die<br />

Regelung des Buchstaben c) Bezug genommen, in dem davon gesprochen wird,<br />

dass ein oder mehrere Musterverfahren ausgewählt werden, sprich: nach Buchstabe<br />

d) ruhen die verbleibenden. Das heißt, die Regelung unter d) passt nach meinem<br />

Verständnis nicht für die Regelung der Buchstaben a) und b), weil es da faktisch keine<br />

verbleibenden Verfahren gibt. Insofern muss man sich fragen: Wie geht man mit<br />

den ruhenden Verfahren nach Buchstabe a) und b) um? Gibt es da auch eine Mitteilungspflicht?<br />

Gibt es eine Beendigungsmöglichkeit? Das sagt Buchstabe d) meines<br />

Erachtens zumindest nicht eindeutig aus.<br />

Dann muss man sich noch überlegen: Musterverfahren machen aus unserer praktischen<br />

Erfahrung nur dann Sinn, wenn sie von einer individuellen Verfahrensvereinbarung<br />

begleitet werden. Darauf zielt auch § 12 Absatz 1 Nummer 7 Buchstabe e)<br />

ab. Denn nur, wenn man eine entsprechende Verfahrensvereinbarung zu diesen<br />

Musterverfahren abgeschlossen hat, hat man Regelungen dazu, wie die Ergebnisse<br />

auf konkrete Verfahren übertragen werden, wie die anderen Widerspruchsverfahren<br />

entschieden werden, ob man hinterher einzelne individuell behandelt oder nicht. Nur<br />

dann kann es letzten Endes tatsächlich zu einer endgültigen Befriedung kommen.<br />

Ansonsten ist das Musterverfahren beendet, die Widerspruchsverfahren müssen<br />

aufgegriffen und entschieden werden. Dann kann sozusagen der Reigen von vorne<br />

losgehen.


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 90<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Dann muss man sich überlegen - das wurde vorhin auch schon angesprochen -,<br />

dass entsprechende Verfahrensvereinbarungen unabhängig davon, ob es eine gesetzliche<br />

Regelung gibt, abgeschlossen werden. Die Erfahrungen, über die teilweise<br />

hier berichtet worden sind, können wir nicht so ganz teilen. Wir beraten sehr viele<br />

Aufgabenträger, die meistens eher geneigt sind, sich diesem Verfahren anzuschließen,<br />

weil es auch für sie selbst eine Verringerung der Komplexität herbeiführt. Wir<br />

haben eher positive Erfahrungen, insbesondere aus Mecklenburg-Vorpommern, auch<br />

schon vor 2005, also bevor es diese Regelung gab.<br />

Zwei, drei Überlegungen noch zur Praxis einer solchen Regelung. Ich habe es schon<br />

angedeutet: Aus meiner Sicht führt eine solche Verfahrensruhe nicht unbedingt zu<br />

weniger Verwaltungsaufwand. Erst einmal müssen die Tatbestandsvoraussetzungen<br />

sehr genau geprüft werden. Welches Widerspruchsverfahren fällt in welche Gruppe,<br />

in welche Prozessgemeinschaft? Beruht es auf dem Verfahren? Wird darauf verwiesen?<br />

Auswahl des Musterverfahrens: Welches führt man gemeinsam zu einer Entscheidung?<br />

Das habe ich auch schon angesprochen. Ohne eine Musterverfahrensvereinbarung<br />

macht ein Musterverfahren nach unserer Einschätzung in der Regel<br />

keinen Sinn. Die Frage der Aussetzung der Vollziehung muss in nahezu jedem Fall<br />

individuell geprüft und eventuell durch entsprechende Verfahren geklärt werden.<br />

Ein weiteres Ziel, Kosteneinsparung, sehe ich aus meiner Sicht nur in sehr geringem<br />

Maße für möglich. Auf Seiten der Widerspruchsführer kann es unter dem Strich meines<br />

Erachtens am Ende zu einer relevanten Kosteneinsparung dann kommen, wenn<br />

diejenigen, deren Verfahren ruhend gestellt worden sind, eine Gerichtsentscheidung,<br />

die irgendwann kommt, die vielleicht die Abgabenerhebung bestätigt, hinnehmen und<br />

sagen: Ich nehme Abstand von einer individuellen Klage. Das passiert in der Praxis<br />

aber selten, jedenfalls nicht in den überwiegenden Fällen.<br />

Auf Seiten der Behörden kann es dann zu einer Kosteneinsparung kommen, wenn<br />

sozusagen das Gericht im Musterverfahren zu dem Ergebnis kommt, die Abgabenerhebung<br />

ist rechtswidrig, und die Behörde nimmt erst einmal Abstand von der Abgabenerhebung<br />

und hat keine weiteren Kosten bzw. Kostenrisiken aus mehreren Gerichtsverfahren.<br />

Das ist aber etwas, das in der Praxis selten vorkommt.<br />

Man sollte sich noch Gedanken machen, ob man die beabsichtigen Regelungen auf<br />

alle Abgabenarten nach dem Kommunalabgabengesetz erstreckt. Angesprochen<br />

wurden schon Straßenbaubeiträge, auch die Gebühren. Aus unserer Sicht sind das<br />

keine Abgabenarten, bei denen solche Vorbehalte bestehen, die wahrscheinlich dazu<br />

geführt haben, diese Überlegungen hier anzustellen. Denn in aller Regel geht es bei<br />

solchen Massenverfahren um die Frage der Anschlussbeiträge. Deshalb ist die Frage,<br />

ob man die anderen Abgabenarten einbezieht.<br />

Wenn man die Anschlussbeiträge in Betracht zieht, muss man sich auch noch einmal<br />

die Frage stellen: Kann man das Ziel der endgültigen Befriedung wirklich erreichen?<br />

Eine nicht geringe Zahl der Widerspruchsführer zumindest gerade bei den sogenannten<br />

altangeschlossenen Grundstücken stellt die Abgabenerhebung vom Grundsatz<br />

her infrage und ist weniger daran interessiert, dass ein Gericht am Ende des Tages


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 91<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

sagt: Die Abgabenerhebung ist rechtmäßig erfolgt. Daran, dass man das Ziel der Befriedung<br />

mit einer solchen Regelung wirklich erreicht, habe ich meine Zweifel.<br />

Zusammenfassend meine vier Thesen: Eine gesetzliche Regelung über das Ruhen<br />

von Widerspruchsverfahren sollte aus meiner Sicht stets unter Berücksichtigung der<br />

faktischen Auswirkungen auf die Frage der Aussetzung der Vollziehung erwogen<br />

werden. Problematisch ist aus meiner Sicht weiter die Entziehung der Verfahrenshoheit<br />

der Widerspruchsbehörde. Vor allen Dingen verfassungsrechtliche Gründe sprechen<br />

dafür, davon Abstand zu nehmen. Die Erstreckung der Ruhensregelung auf Abgabenarten<br />

erscheint mir zweckwidrig, zumindest aber nicht erforderlich. Aus anwaltlicher<br />

Sicht muss ich sagen - das divergiert vielleicht ein bisschen -, dass die Ziele<br />

durch die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern aus meiner Sicht nicht erreicht<br />

worden sind. Es wurden vorher Musterverfahrensvereinbarungen abgeschlossen.<br />

Auch heute noch werden welche abgeschlossen. Dass sich die Fallzahlen deswegen<br />

erheblich reduziert haben, sehe ich eher nicht. Ich sehe es eher so, dass in der Zwischenzeit<br />

einfach viele Verbände in Mecklenburg-Vorpommern mit der Beitragshebung<br />

durch sind und deshalb die Fallzahlen bei Gericht weniger geworden sind. -<br />

Vielen Dank.<br />

Vorsitzender:<br />

Vielen Dank, Herr Dr. Beutin. - Ich schaue in die Runde. Gibt es Nachfragebedarf zu<br />

den letzten drei Anzuhörenden, die wir gehört haben? - Frau Nonnemacher hat das<br />

Wort.<br />

Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90):<br />

Ich habe eine Nachfrage an Herrn Dr. Beutin und an Herrn Ring. Sie haben nun die<br />

Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern, ein bisschen unterschiedlich akzentuiert,<br />

geschildert. Wie würden Sie das denn vor unserer Diskussion heute Vormittag zu<br />

der Verjährung sehen? Ich weiß nicht, ob sich dieses Problem in Mecklenburg-<br />

Vorpommern auch stellen wird. Sie haben unsere erste Anhörung am Rande mitbekommen.<br />

Was sagen Sie denn zum Thema Musterklagen vor dem Hintergrund Verjährungsfristen?<br />

Herr Wolf-Michael Ring (Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Schwerin):<br />

Ich habe heute Vormittag in der Tat zugehört. Mir ist am Rande klar geworden, dass<br />

es heikel werden kann, die Leute ruhig zu halten, dass sie auf den Abschluss eines<br />

Musterverfahrens vertrauen, ohne dass es vom Gericht eine feste Zusage geben<br />

kann, in welcher Frist das Musterverfahren nun durchgehen wird. Ich kann prognostisch<br />

schwer beurteilen, wie sich das darstellen wird. Bei uns in Mecklenburg-<br />

Vorpommern ist die glückliche Stunde die, dass wir im April unter Einbeziehung der<br />

Bundesverfassungsgerichtsentscheidung entschieden haben. Das wird jetzt zum<br />

OVG raufgehen. Insofern sind wir früh dabei und haben bezüglich dieser konkreten<br />

Wegweisung Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Regelung im KAG Mecklenburg-Vorpommern,<br />

nämlich Entstehen der Beitragspflicht mit Anschlussmöglich-


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 92<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

keit und erster wirksamer Satzung, eine Rechtsmeinung geäußert, haben ein Urteil<br />

gefällt. Da wird man bei uns im <strong>Land</strong> jetzt relativ schnell Klarheit gewinnen. Das ist<br />

aus meiner richterlichen Sicht eine glückliche Fügung. Die Betroffenen sehen das<br />

teilweise vielleicht anders, zumindest im Hinblick auf die Entscheidung, die wir gefällt<br />

haben. Das wird vielleicht die Problematik von Musterverfahrensvereinbarungen oder<br />

von gesetzlicher Anordnung von Musterverfahren erschweren. Da gebe ich Ihnen<br />

recht.<br />

Zu Herrn Dr. Beutin muss ich noch sagen: Musterverfahrensvereinbarungen sind in<br />

der Tat aus meiner Sicht das Beste. Die sind dezidiert, wenn sie gut gemacht sind.<br />

Sie werden in der Regel nur von Fachleuten gemacht, die es wirklich können. Damit<br />

haben Sie ganz selten Probleme. Wir haben jetzt neulich einen Fall von Untätigkeitsklagen<br />

gehabt. Da war die angedachte Vereinbarung aus dem Jahr 2004 von der<br />

gesetzlichen Regelung aus 2005 quasi überlagert worden. Dann hatte man das<br />

Thema fallen lassen. Dann ist 2009 bei den Klägern der Faden gerissen; die haben<br />

Untätigkeitsklagen erhoben. Das war eine unklare Situation, in der uns als Gericht<br />

aber auch bewusst geworden ist: Eine saubere Vereinbarung hält diese Probleme<br />

komplett außen vor.<br />

Herr Dr. Andreas Beutin (Rechtsanwälte Schütte, Horstkotte & Partner):<br />

Der <strong>Land</strong>esgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern ist nicht so schnell wie hier in<br />

<strong>Brandenburg</strong>. Die Überlegungen sind da wohl erst ganz am Anfang, was man mit<br />

dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts macht. Ein Problem ist natürlich da.<br />

Herr Ring hat es angedeutet. Wenn man über eine Regelung nachdenkt, die sozusagen<br />

als absolute Erhebungsgrenze eingreifen soll und die gesetzliche Einführung von<br />

Musterverfahrensregelungen nicht dazu führt, dass solche Verfahren, die ruhend gestellt<br />

worden sind, unter diese absolute Grenze fallen, steuert man in ein Problem.<br />

Man steuert sehenden Auges eventuell in die Situation hinein, dass Beitragsforderungen<br />

wegen des Ruhens des Verfahrens im großen Stil untergehen. Gerade unter<br />

diesem Gesichtspunkt ist es problematisch, wenn man der Widerspruchsbehörde<br />

nicht die Möglichkeit einräumt, die Verfahrensruhe einseitig zu beenden.<br />

Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE):<br />

Frau Nicolaus, Sie haben sehr anschaulich die Problemlage in Ihrem Verband geschildert,<br />

das praktische Leben aufgezeigt. Ich habe aus Ihren Bemerkungen herausgehört,<br />

dass Sie eine Unsicherheit im Umgang mit Musterverfahren sehen. Sie<br />

haben verschiedene konkrete Probleme aufgezeigt, z. B. die Frage: Was können angesichts<br />

der Vielfalt überhaupt gleichgelagerte Fälle sein? Das veranlasst mich zu<br />

der Frage an Herrn Ring: Wie kann man dem begegnen, wie kann man so eine Bündelung<br />

ermöglichen? Oder kommt man zu dem Schluss, es geht bei der konkreten<br />

Situation, die man hat, überhaupt nicht? Erste Frage.<br />

Zweite Frage an Sie, Frau Nicolaus. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es die Ausstiegsmöglichkeit.<br />

Das ist hier noch einmal gesagt worden. Wie sehen Sie das? Wie<br />

könnte man die Musterverfahren unter der Voraussetzung sehen, dass sowohl der<br />

Verband als auch die Kläger die Möglichkeit hätten auszusteigen?


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 93<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Herr Wolf-Michael Ring (Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Schwerin):<br />

Zur Frage gleichgelagerter Verfahren muss ich aus richterlicher Sicht sagen: Das<br />

kann man ziemlich leicht erkennen. Was nicht gleichgelagert ist, ist das grundstücksbezogene.<br />

Diese Verfahren - das ist vorhin schon gesagt worden - enden häufig in<br />

Widerspruchsverfahren. Ich gehe davon aus, dass das kompetente Behörden sind,<br />

die, wenn sie einen Berechnungsfehler gemacht haben, den einräumen, und, wenn<br />

sie nur etwas nicht hinreichend erklärt haben, das im Widerspruchsverfahren hinreichend<br />

erklären können, dass der Beitragspflichtige erkennt, warum er so viel zahlen<br />

muss. Sie haben gelegentlich insofern nicht gleichgelagerte Verfahren, weil irgendwelche<br />

formellen Sachen gekommen sind, verfristeter Widerspruch oder so. Aber die<br />

kann man auf den ersten Blick problemlos aussortieren.<br />

Gleichgelagert ist für uns alles, das den Kernangriff auf die Satzung oder das noch<br />

höherrangige Recht, das KAG M-V, macht. Das sind auf wenige Punkte reduzierte<br />

Rechtsprobleme. Außerdem geht es um die Überprüfung der Kalkulation. Bei uns in<br />

Mecklenburg-Vorpommern wird die Kalkulation über die Beschlussfassung des Beitrages<br />

zum zentralen Thema der Wirksamkeit der Satzung. Da spielt die Musik. Da<br />

geht die ganze Flächenberechnung rein, die Nachprüfung, ob alles erfasst ist. Da<br />

gehen die ganzen Kosten rein. Das sind für uns gleichgelagerte Fälle.<br />

Man muss manchmal klar sehen, dass das Gericht Sachen hervorkehrt, die nicht<br />

vorgefunden worden sind. Ich habe ein Verfahren erlebt, in dem ein Anwalt in der<br />

mündlichen Verhandlung sechs Gewerbegebiete präsentiert hat, die nicht in der Kalkulation<br />

drin waren. Darauf kommen Sie auch als Gericht nicht, denn wir fliegen nicht<br />

mit dem Hubschrauber über das Verbandsgebiet, um uns die Liegenschaft anzugucken,<br />

bevor wir entscheiden. Man mag das als abstrusen Einzelfall abtun. Aber das<br />

erklärt natürlich, warum das in eine neue Runde gehen muss. Das erklärt auch, dass<br />

in der nächsten Runde, wenn es wieder zu Gericht geht, die Intensität der Überprüfung<br />

der Kalkulation wahnsinnig zunimmt. Bei dem Zweckverband war es so, dass<br />

wir in der ersten Runde einen Rechenfehler hatten, 0,25 als Faktor in der Satzung,<br />

0,4 in der Kalkulation. In der zweiten Runde waren es die sechs Gewerbegebiete.<br />

Und in der dritten Runde wurde dann alles hinterfragt. Das ist klar. Das können Sie<br />

vom Gericht aus auch nicht stoppen, weil Sie selbst neutral Recht finden müssen.<br />

Wenn eklatante Fehler an Stellen, wo man sie nicht vermutet hat, gefunden worden<br />

sind, muss man sich noch mehr Mühe geben, damit man sich hinterher als Gericht<br />

nicht den Vorwurf gefallen lassen muss: Ihr habt oberflächlich gearbeitet. Es kann<br />

sein, dass das in anderen Satzungen durchgegangen ist. Das will ich überhaupt nicht<br />

in Abrede stellen. Wir können aufs Blaue hinein nicht jeden Stein umkrempeln.<br />

Zu lange Verfahrenszeiten sind ja häufig schon zu Recht moniert worden. Diesen<br />

Aufwand muss man einfach sehen. Das ist das, was ich in der schriftlichen Stellungnahme<br />

auch gesagt habe: Der richterliche Aufwand bleibt für uns total gleich. Da<br />

muss man sich nichts vormachen. Durch Musterverfahren wird die Frage der richterlichen<br />

Überprüfungsdichte überhaupt nicht beeinflusst. Was bei uns hilft, ist die Situation<br />

auf den Geschäftsstellen. Dort hängen nicht Hunderte von Akten herum. Und


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 94<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

man konzentriert sich auf diese Verfahren. Das ist auch bei der Terminabstimmung<br />

einfacher.<br />

Aus richterlicher Sicht muss ich Folgendes sagen: Ich muss als Richter - aber ich<br />

mache das eigentlich nicht gern -, wenn man das Musterverfahren durchgeführt hat,<br />

die anderen anhängigen Verfahren entscheiden. Wir haben letztes Jahr 120 Klagen<br />

durchgezogen, die auf den gleichen Rechtsfragen beruhten. Das ist nicht schön,<br />

denn die Kläger fühlen sich in einem Massenbetrieb abgefertigt. Als Richter können<br />

Sie aber nicht sagen: Ich nehme mir für jedes Verfahren noch einmal vier Stunden<br />

und erkläre denen alles vom Anfang bis zum Ende. Sie wissen, dass die in der Bürgerinitiative<br />

vernetzt sind, dass sie die Ursprungsentscheidung kennen. Die können<br />

sie auch von uns zugeschickt bekommen. Dann geht das wie beim Amtsgericht im<br />

Viertelstundentakt. Das führt in der Außendarstellung dazu: Das brutale Verwaltungsgericht<br />

bügelt alle Einwände ab. Das mögen wir auch nicht gern. Deswegen<br />

habe ich eine Tendenz zu sagen: Musterverfahren sind gut für uns. Wir können uns<br />

konzentrieren. Wir können die wirklichen Argumentationen bündeln. Aber ob das gesetzlich<br />

vorgeschrieben ist oder auf Verfahrensabreden beruht, ist politischer Geschmack.<br />

Wir versuchen bei Gericht, wenn wir mehrere Verfahren anhängig haben, zu kanalisieren<br />

und ein Musterverfahren zu machen. Nur, wir haben keine Handhabe mehr.<br />

Wenn eine Seite sagt: „Das soll durchentschieden werden“, dann muss es durchentschieden<br />

werden. Da können wir nicht sagen: Wir warten ab, bis es nach zwei Jahren<br />

vom OVG wiederkommt.<br />

Man muss auch ehrlich zum Beziehungsgeflecht Normenkontrollklagen und schlichte<br />

Verwaltungsklagen sagen: Ich habe es mehrfach erlebt, dass wir uns auf eine Normenkontrollklage<br />

eingelassen haben in dem Sinn, dass wir alle Verfahren ausgesetzt<br />

haben. Und dann endet die mit der Einstellung des Verfahrens. Dann erklären Sie<br />

den 200 Klägern nach zwei Jahren, dass leider nichts dabei herausgekommen ist<br />

und wir umsonst gewartet haben. Das ist nicht schön. Ich nehme das gerne auf mich.<br />

Dafür bin ich Richter. Aber man muss sehen: Man geht da auch ein Risiko ein. Sie<br />

kennen die Hintergründe nicht. Ich habe hinterher erfahren: Das war ein Ex-<br />

Bürgermeister, der die Klage eingereicht hatte. Der hatte mit der Sache plötzlich<br />

nichts mehr zu tun. Dann hat er kein Interesse mehr am Normenkontrollverfahren<br />

gehabt und die Klage zurückgezogen. Da stecken Sie nicht drin. Das ist das Problem<br />

von Musterverfahren.<br />

Deshalb: Ein Musterverfahren ist mir als Richter definitiv zu wenig. Ich will immer drei<br />

bis vier haben, weil noch eine Klagerücknahme vor der Verhandlung kommen kann;<br />

das ist mir auch schon passiert. Man sollte auch eine Gewähr dafür haben, dass etwas<br />

dabei herauskommt.<br />

Frau Heike Nicolaus (Zweckverband Komplexsanierung Mittlerer Süden [KMS]):<br />

Ergänzend dazu: Ich hatte ja gesagt, wir haben 400 Verfahren vor dem Verwaltungsgericht<br />

in Potsdam und 27 Normenkontrollverfahren. Sämtliche Verfahren am Verwaltungsgericht<br />

Potsdam werden im Moment im Hinblick auf die anhängigen Normen-


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 95<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

kontrollverfahren ausgesetzt. Bei den Normenkontrollverfahren geht es, wie Herr<br />

Ring sagte, um den Beitragssatz, um den Flächenmaßstab. Der eine macht Geschossigkeit,<br />

der andere macht Trinkwasser, der andere macht Abwasser. Wir haben<br />

die ganze Palette abgedeckt.<br />

Zu den Musterverfahren: Bei uns im Verband läuft es eigenartigerweise so, dass sich<br />

Anwälte auf bestimmte Orte stürzen, dort ihre Einwohnerversammlung machen, die<br />

Leute darüber informieren, wie böse wir sind und was wir machen, insbesondere unter<br />

dem Gesichtspunkt des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Im Prinzip akquirieren<br />

sie Mandanten, vertreten sie, legen einzeln Widersprüche ein und erheben<br />

einzeln Klagen. Von diesen Rechtsanwälten ist der Gedanke Musterklage nicht aufgekommen.<br />

Man kann ja einzeln mehr verdienen.<br />

Ich sage immer gern, das Kommunalabgabengesetz ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßname<br />

für die Anwälte in <strong>Brandenburg</strong>. Sie haben zu tun. Bei uns im Verband -<br />

das weiß ich auch von meinen Amtskollegen aus den Nachbarverbänden - stellt es<br />

nicht das große Problem dar, dass uns von Rechtsanwälten mit der Forderung, ein<br />

Musterverfahren durchzuführen, die Türen eingerannt wird. Dem ist nicht so.<br />

Der Schwerpunkt liegt hier wohl beim MAWV. Dort gibt es die entsprechenden Vereinbarungen.<br />

Wie gesagt: 400 Klagen sind anhängig. Jetzt passiert das, was Herr<br />

Ring sagte. Ein Normenkontrollverfahren ist letztes Jahr einmal durch eine Satzungsänderung<br />

eingestellt worden. Es wurde sofort neu Klage erhoben. Die Klagen<br />

sind seit März letzten Jahres anhängig. Wann Sie verhandelt werden, wissen wir<br />

nicht. Da trommeln wir alle und können nur Kaffeesatzleserei machen. Unabhängigkeit<br />

der Gerichte - mehr kann ich dazu nicht sagen.<br />

Vorsitzender:<br />

Herr Dr. Scharfenberg, haben Sie noch eine Nachfrage? Dann haben Sie jetzt die<br />

Gelegenheit, sie zu stellen.<br />

Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE):<br />

Welche Auswirkungen hätte es aus Ihrer Sicht, wenn man das Gesetz so anlegt,<br />

dass es wie in Mecklenburg-Vorpommern eine Ausstiegsmöglichkeit des Verbandes<br />

oder der Kläger im Verfahren gibt?<br />

Frau Heike Nicolaus (Zweckverband Komplexsanierung Mittlerer Süden [KMS]):<br />

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich mir darüber noch gar keine Gedanken gemacht<br />

habe.<br />

Vorsitzender:<br />

Eine ehrliche Antwort zum Schluss. - Ich gucke in die Runde. Weiteren Fragebedarf<br />

hat keiner angemeldet. Dann sind wir am Ende unserer Anhörung und am Ende des<br />

Tagesordnungspunktes 3 angelangt.


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 96<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Ich darf den Anzuhörenden ganz ausdrücklich für ihre erhellenden Informationen,<br />

Ratschläge und Hinweise für unser weiteres Gesetzgebungsverfahren danken, wünsche<br />

Ihnen allen einen guten Nachhauseweg und einen schönen Feierabend.<br />

(Dieses Protokoll wurde durch Beschluss des Ausschusses gemäß § 83 Satz 3 GOLT in der 44. Sitzung<br />

am 15.08.2013 bestätigt.)


<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 97<br />

Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />

<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />

Anlage 7:<br />

Anlagen<br />

Anlage 1: Stellungnahme von Prof. Dr. Wolff, Europa-Universität Viadrina Frankfurt<br />

(Oder) (zu TOP 2)<br />

Anlage 2: Stellungnahme von Prof. Dr. Martini, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften<br />

Speyer (zu TOP 2)<br />

Anlage 3: Stellungnahme von Herrn Zeutschel, Zeutschel & Schröder Rechtsanwälte<br />

(zu TOP 2)<br />

Anlage 4: Stellungnahme von Herrn Hornauf, Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki &<br />

Hornauf (zu TOP 2)<br />

Anlage 5: Stellungnahme von Prof. Dr. Herrmann, Dombert Rechtsanwälte (zu<br />

TOP 2)<br />

Anlage 6: Stellungnahme von Herrn Haferkorn, Wasserverband Strausberg Erkner/KOWAB<br />

<strong>Brandenburg</strong>-Ost (zu TOP 2)<br />

Stellungnahme von Herrn Ripplinger, Märkischer Abwasser- und Wasserzweckverband<br />

(zu TOP 2)<br />

Anlage 8: Stellungnahme von Herrn Ehrhardt, <strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er<br />

Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümervereine (zu TOP 2)<br />

Anlage 9: Stellungnahme von Herrn Pencereci, <strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong><br />

e.V. (zu TOP 2 und 3)<br />

Anlage 10: Stellungnahme des <strong>Land</strong>kreistages <strong>Brandenburg</strong> e.V. (zu TOP 2 und 3)<br />

Anlage 11: Liste der Anzuhörenden zu TOP 2<br />

Anlage 12: Fragenkatalog zu TOP 2<br />

Anlage 13: Formulierungshilfe des Ministeriums des Innern zur Regelung einer zeitlichen<br />

Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG (zu TOP 2)<br />

Anlage 14: Stellungnahme von Herrn Ehrhardt, <strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er<br />

Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümervereine (Zu TOP 3)<br />

Anlage 15: Stellungnahme von Herrn Dr. Schönfelder, Verband Berlin-<br />

<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen e.V. (Zu TOP 3)<br />

Anlage 16: Stellungnahme von Herrn Ohm, Verband Deutscher Grundstücksnutzer<br />

(VDNG) (Zu TOP 3)<br />

Anlage 17: Stellungnahme von Frau Nicolaus, Zweckverband Komplexsanierung<br />

Mittlerer Süden (KMS) (Zu TOP 3)<br />

Anlage 18: Stellungnahme von Herrn Ring, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht<br />

Schwerin (Zu TOP 3)<br />

Anlage 19: Stellungnahme von Herrn Dr. Beutin, Rechtsanwälte Schütte, Horstkotte<br />

& Partner (Zu TOP 3)<br />

Anlage 20: Schriftliche Stellungnahme von Herrn Dr. Ballaschk, Rechtsanwalt (Zu<br />

TOP 3)<br />

Anlage 21: Liste der Anzuhörenden zu TOP 3<br />

Anlage 22: Fragenkatalog zu TOP 3


EINGEGANGEN<br />

2 2. MAI 7013 1,S2(3<br />

Erledigt: (.«<br />

tzwe.<br />

_ipt)<br />

Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff<br />

Lehrstuhl für Öffentliches Recht,<br />

sondere Staatsrecht und Verfassungsgeschichte<br />

Europa-Universität Viadrina<br />

Große Scharrnstr. 59<br />

15230 Frankfurt (Oder)<br />

Anlage<br />

21. Mai 2013<br />

Schriftliche Stellungnahme zur Anhörung vor dem<br />

Ausschuss der Inneren des <strong><strong>Land</strong>tag</strong>s <strong>Brandenburg</strong> am 23.<br />

April 2013 zur Einführung einer Regelung einer zeitlichen<br />

Obergrenze zum Vorteilsausgleich im Bdg KAG<br />

Vorbemerkung:<br />

Der Einladung zur Anhörung vom 07. Mai 2013 lag eine Formulierungshilfe<br />

des Ministeriums des Inneren zur Regelung einer zeitlichen Obergrenze<br />

zum Vorteilsausgleich im KAG vom 25. April 2013 bei. Mit Email<br />

vom Freitag, den 17.Mai 2013 kam die Information, die absolute Verjährungsfrist<br />

solle auf 15 Jahre beschränkt werden. Mit Email vom gleichen<br />

Tag wurde ein Gesetzentwurf der <strong>Land</strong>esregierung mit Stand 08. Mai<br />

2013 versendet. Die Beantwortung des Fragenkatalogs wird daher nicht<br />

mehr auf die Formulierungshilfe, sondern auf den Gesetzentwurf der<br />

<strong>Land</strong>esregierung vom 08. Mai 201e bezogen.<br />

Angesichts des umfangreichen Fragenkatalogs beschränkt sich die<br />

schriftliche Stellungnahme auf die Beantwortung der Fragen.<br />

Die Antwort auf die Fragen<br />

Frage 1: Zentrale Aussagen der Entscheidung vom 05.03.2013:<br />

Die bisherigen Regelungen zum kommunalen Abgabengesetz sehen Verjährungsregelungen<br />

in bestimmten Konstellationen vor, Die bekannteste<br />

ist die Festsetzungsverjährung, die allerdings an die Entstehung der<br />

Abgabenschuld anknüpft. Nicht gesichert ist, dass die Gemeinden verpflichtet<br />

werden, die Entstehung der Abgabenschuld selbst zur Entstehung<br />

zu bringen. Diese Lücke im Vertrauensschutz hat das Bundesver-


2<br />

fassungsgericht durch den genannten Beschluss geschlossen. Den Gemeinden<br />

steht es nicht mehr frei, die Entstehung der Situation, ab der<br />

die Verjährungsfrist läuft, unendlich hinauszuzögern. Für das Bundesverfassungsgericht<br />

ist entscheidend der Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung<br />

des Vorteils. Das ist bei Entwässerungsanlagen der Anschluss<br />

an die Anlage.<br />

Die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist in mehrfacher<br />

Hinsicht bemerkenswert. Zunächst ist sie ein Beschluss und kein<br />

Urteil, was darauf beruht, dass das Bundesverfassungsgericht die Fragen<br />

offensichtlich für vollständig eindeutig hält. Weiter ist die Begründung<br />

ausgesprochen knapp und präzise. Auch dies deutet darauf hin, dass das<br />

Bundesverfassungsgericht in einer ungewöhnlichen Einmütigkeit die<br />

zugrunde liegenden Gedanken getroffen hat. Drittens erklärt das Bundesverfassungsgericht<br />

tragende Gedanken der gegenwärtigen Auslegung<br />

des kommunalen Abgabenrechts für verfassungswidrig. So ist in<br />

gängigen Kommentaren zum Abgabenrecht, beispielsweise zum Straßenrecht,<br />

zu lesen, dass die Abgabenschuld nicht etwa mit Herstellung<br />

des Vorteils, sondern erst mit Erlass der Abgabensatzung entsteht und<br />

erst ab dann die Festsetzungsverjährung zu laufen beginnt, ohne dass<br />

irgendeine zeitliche Grenze für den Erlass der Abgabensatzung eingeführt<br />

wird. Diese Sichtweisen sind nun rechtlich nicht mehr haltbar.<br />

Frage 2 — Teilfrage 1: Übertragbarkeit auf <strong>Brandenburg</strong><br />

Die Entscheidung bezieht sich auf eine bayerische Norm, die in dieser<br />

Form in <strong>Brandenburg</strong> nicht existiert. Der tragende Gedanke ist allerdings<br />

auf <strong>Brandenburg</strong> übertragbar. Auch in <strong>Brandenburg</strong> ist es möglich,<br />

das KAG so auszulegen, dass den Gemeinden unter bestimmten Situationen<br />

keine Frist für den Erlass einer Abgabensatzung gesetzt wird. Dies<br />

ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut von § 8 Abs. 7 S. 2 Bdg KAG.<br />

Der tragende Gedanke des Bundesverfassungsgerichts ist, dass eine solche<br />

grenzenlose zeitliche Verschiebung der Entstehung der Abgabenschuld,<br />

gemessen an der tatsächlichen Gewährung des Vorteils, nicht<br />

möglich ist.<br />

Es gibt ein Urteil des VGs Schwerin vom 11. April 2013, das die Übertragbarkeit<br />

der Gedanken auf das Recht für Mecklenburg-Vorpommern<br />

verneint. Das Urteil wird nach der persönlichen Einschätzung des Unterzeichners<br />

keinen Bestand haben. Die Gründe, auf die das Urteil die fehlende<br />

Übertragbarkeit stützt, greifen nicht den tragenden Gedanken der<br />

verfassungsgerichtlichen Entscheidung auf. Es stützt sich auf Unterschiede,<br />

die für die Entscheidung des BVerfG irrelevant sind. Das Urteil<br />

beruht gerade auf einer Form der Auslegung der Abgabennormen, die<br />

das Verfassungsgericht nicht möchte.<br />

2


3<br />

Frage 2: Teilfrage 2 - Auswirkungen auf <strong>Brandenburg</strong><br />

Das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> muss ausschließen, dass die Gemeinden und die<br />

kommunalen Abgabenverbände keine zeitliche Grenze für den Erlass<br />

der Abgabensatzung besitzen, bezogen auf den Zeitpunkt der Anschlussfähigkeit<br />

des Grundstücks.<br />

Frage 3: Betroffene Fallkonstellationen<br />

Von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind all die Fallkonstellationen<br />

betroffen, bei denen mit Zeitpunkt des Eintritts des Vorteils<br />

die formelle Festsetzungsverjährungsfrist nicht zu laufen beginnt.<br />

Frage 4: Änderungsbedarf<br />

Am Änderungsbedarf des KAG des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> bestehen keine<br />

ernsthaften Zweifel. Die Annahme, es läge keine Übertragbarkeit vor,<br />

wäre grob fahrlässig.<br />

Frage 5: Bedarf der gesetzesgeberischen Änderungen<br />

Es kann keine vernünftigen Zweifel geben, dass Maßnahmen des Gesetzgebers<br />

erforderlich sind.<br />

Im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> besteht die Besonderheit, dass mit Entscheidung<br />

des Oberverwaltungsgerichts <strong>Brandenburg</strong> im Jahr 2000 durch richterliche<br />

Rechtsfortbildung eine Situation eingetreten ist, die für die wichtigsten<br />

Fallgruppen dem Anliegen des Bundesverfassungsgerichts Genüge<br />

getan hat. Das OVG <strong>Brandenburg</strong> hat der Sache nach, in der Konstellation,<br />

in der ein unwirksamer Satzungserlass vorlag, eine Frist für den<br />

Erlass einer gültigen Satzung im Wege der Rechtsinterpretation dem § 8<br />

Abs. 7 KAG entnommen und die Frist für diesen Erlass der Satzung parallel<br />

zur Festsetzungsverjährungsfrist festgelegt. Diese rechtsstaatlich gebotene<br />

Begrenzung, die einer der Gestaltungsmöglichkeiten entspricht,<br />

die das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss nennt (Rn. 50). In<br />

Satz 3 wird dort als zweite Variante die Verpflichtung des Gesetzgebers<br />

genannt, die zur Heilung der der Rechtsmängel erlassene wirksame Satzung<br />

rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens<br />

der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zusetzen. Das Bundesverfassungsgericht<br />

führt dafür ausdrücklich die Rechtsprechung des OVG<br />

Münster an, an die das OVG <strong>Brandenburg</strong> seine Rechtsprechung angeknüpft<br />

hat. Im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> existierte daher eine verfassungsgemäße<br />

Lage, die durch den Gesetzgeber des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> durch<br />

die Änderung des § 8 Abs. 7 verfassungswidrig wurde. Es besteht daher<br />

3


4<br />

eine gesteigerte Pflicht des Gesetzgebers, die vom ihm herbeigeführte<br />

Verfassungswidrigkeit möglichst schnell wieder rückgängig zu machen.<br />

Frage 6: Gestaltungsmöglichkeiten<br />

Das Bundesverfassungsgericht nennt in seinem Beschluss in Randnummer<br />

50 drei unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten:<br />

Höchstverjährung/Koppelung der Beitragspflicht an die Vorteilslage/<br />

Pflicht zur Rückwirkung. Der Gesetzentwurf des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />

nimmt diese Gestaltungsmöglichkeiten auf. Eine nochmalige ausdrückliche<br />

ausführliche Wiederholung der Gestaltungsmöglichkeiten bringt<br />

keinen zusätzlichen Gewinn. Eine weitere nicht genannte Möglichkeit<br />

besteht darüber hinaus und zwar die Einführung einer Frist für den Erlass<br />

der Abgabensatzung aber Herstellung des Vorteils.<br />

Frage 7: Tatsächliche und rechtliche Folgen der in Betracht<br />

kommenden Änderungsmöglichkeiten der Regelung einer<br />

konkreten Obergrenze im Sinne einer Verjährungshöchstfrist:<br />

a) Verjährungshöchstfrist<br />

Die Verjährungshöchstfrist hat den Vorteil der höchsten Rechtsklarheit.<br />

Vom Zeitpunkt der Entstehung des Vorteils, das heißt, vom Zeitpunkt<br />

der Anschlussmöglichkeit an, fängt sie Verjährungshöchstfrist an zu laufen.<br />

Die tatsächlichen Folgen hängen von der Länge der Verjährungshöchstfrist<br />

ab.<br />

b) Entstehung der Beitragspflicht an die Verwirklichung der<br />

Vorteilslage<br />

Würde die Entstehung der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage<br />

anknüpfen, unabhängig davon, ob eine gültige Satzung erlassen<br />

wurde oder nicht, würde der Interessenlage der Betroffenen in realistischster<br />

Weise entgegengekommen werden. Für den Betroffenen ist<br />

der wesentliche Gesichtspunkt für seine Vertrauenslage der Zeitpunkt<br />

des Eintritts der Vorteilslage. Gerade im Beitragsrecht für Abwasseranlagen<br />

muss der Betroffene bei Gewährung des Vorteils nicht notwendig<br />

mit einem Herstellungsbeitrag rechnen, weil der Gemeinde/Kommunalverband<br />

die Kosten auch über Gebühren umlegen darf<br />

und der Betroffene in der Regel nicht ersehen kann, welche Variante die<br />

für ihn zuständige Gemeinde/Zweckverband verfolgt. Gerade hierin liegt<br />

ein erheblicher Unterschied zum Straßenbeitragsrecht. Dieser Unterschied<br />

kommt in der bisherigen Diskussion und Bewertung der Interessenslage<br />

von Abwasserbeseitigungsanlagen nicht vor. Dies ist schwer<br />

nachvollziehbar. Würde man die Beitragspflicht an die Verwirklichung<br />

4


5<br />

der Vorteilslage anknüpfen, wären sämtliche Probleme aus der Welt.<br />

Die Folgen wären für die Gemeinden und Zweckverbände allerdings von<br />

unglaublicher Reichweite, da der Sache nach vier Jahre nach Eintritt der<br />

Anschlussmöglichkeit sämtliche Beitragsmöglichkeiten verjährt wären.<br />

c) Rückwirkung auf den Zeitpunkt des ersten Satzungsversuchs<br />

Die Folgen dieser Variante sind in <strong>Brandenburg</strong> hinreichend bekannt. Sie<br />

entsprechen dem grundlegenden Urteil der OVG Brandenbug, das der<br />

Gesetzgeber durch die Änderungen des § 8 Abs. 7 S. 2 Bdg KAG ausdrücklich<br />

missbilligt hat. Diese Missbilligung bot dabei auf eine Wertung,<br />

die das Bundesverfassungsgericht in oben genanntem Beschluss<br />

ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt hat.<br />

d) Einführung einer Frist für den Erlass der Satzung<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat nicht ausdrücklich eine weitere Variante<br />

genannt. Diese bestünde darin, für den Erlass der Satzung eine<br />

ausdrückliche Frist vorzulegen. Diese Fristsetzung hätte den Vorteil,<br />

dass die Gemeinden/Zweckverbände nicht in gleicher Weise wie bei<br />

einer Anknüpfung der Entstehung der Beitragspflicht eine Verwirklichung<br />

der Vorteilslage unter Zeitdruck geraten würden. Sie hätten vielmehr<br />

die Möglichkeit, zunächst für den Erlass der Satzung ab dem Zeitpunkt<br />

der Herstellung des Vorteils einen gewissen Zeitraum zur Verfügung<br />

zu haben und dann, nach Erlass der Satzung, würde die Verjährungsfrist<br />

zu laufen beginnen. Diese Regelung hätte den Vorteil, dass die<br />

die Mehrstufigkeit der Entstehung der Beitragspflicht gut abgebildet<br />

würde. Sie wäre daher die systematisch überzeugendste Regelung, allerdings<br />

wegen der Mehrstufigkeit für den Bürger nicht immer leicht zu<br />

überblicken.<br />

e) Kombination der Möglichkeit mit der Verlängerung der<br />

Festsetzungsfrist<br />

Eine Verlängerung der Festsetzungsfrist ist nur dann sachlich geboten,<br />

wenn die Frist für den Erlass der Abgabensatzung unmittelbar an die<br />

Festsetzungsfrist gekoppelt wird. Dies wäre nur bei der Variante der<br />

Entstehung der Beitragspflicht ab Verwirklichung der Vorteilslage der<br />

Fall. Für diese Variante wäre eine Verlängerung der Frist sinnvoll und<br />

denkbar. Für alle anderen Varianten hat das Bundesverfassungsgericht<br />

nicht ernsthaft eine Verlängerung ins Spiel bringen wollen.<br />

Frage 8: Unvereinbarkeit von § 8 Abs. S. 2 KAG<br />

Antwort: Ja, daran kann kein ernsthafter Zweifel bestehen.<br />

5


6<br />

Frage 9: Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung bei<br />

Altanschließern<br />

Sofern sich die Beitragserhebung auf § 8 Abs. 7 S. 2 KAG stützt, stützt sie<br />

sich auf eine verfassungswidrige Norm und ist insofern verfassungswidrig.<br />

Darüber hinaus hat der Unterzeichner in einem langen Gutachten die<br />

Ansicht vertreten, dass auch die Änderung des § 8 Abs. 7 S. 2 KAG verfassungswidrig<br />

ist, da sie die Heranziehung von Altanschließern auch<br />

dann zulässt, wenn zum Zeitpunkt der Änderung des § 8 Abs. 7 S. 2 im<br />

Jahre 2007 eine Heranziehung wegen der Auslegung des OVG <strong>Brandenburg</strong><br />

nicht mehr möglich gewesen wäre. Es entspricht ständiger Rechtsprechung<br />

der brandenburgischen Gerichte, die Heranziehung des geänderten<br />

§ 8 Abs. 7 S. 2 Bdg KAG nicht für verfassungswidrig zu halten.<br />

Die Begründung dafür stützt sich auf den Gedanken, dass wegen Fehlens<br />

einer wirksamen Satzung die Festsetzungsfrist noch nicht zu laufen<br />

beginnt. Es wird dabei übersehen, dass das OVG <strong>Brandenburg</strong> der Sache<br />

nach eine Frist für den Erlass der Satzung geschaffen hat. Diese Fristbindung<br />

des Satzungsgebers entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

im Beschluss vom 05.März 2013. Diese Fristbindung<br />

für den Erlass der Abgabensatzung war in manchen Konstellationen<br />

schon abgelaufen. Diese Fristbindung wurde durch die Änderung des § 8<br />

Abs. 7 S. 2 Bdg KAG aufgehoben. Die dadurch zu beurteilende Situation<br />

der Rückwirkung wird nur deswegen in der Rechtsprechung der Gerichte<br />

des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> nicht angemessen gesehen, weil sie die<br />

Mehrstufigkeit der Entstehung der Abgabenschuld nicht richtig im Blick<br />

haben. Die maßgebliche Neuerung der Entscheidung des OVG <strong>Brandenburg</strong><br />

beruht darin, dass sie den Erlass der Satzung zeitlich eingrenzten,<br />

genau das ist der Gedanke, den das Bundesverfassungsgericht nun allgemeingültig<br />

durchgesetzt hat. Nach der Überzeugung des Unterzeichners<br />

sollte daher eine Änderung des kommunalen Abgabengesetzes<br />

auch mit einer Klarstellung verbunden werden, dass die Änderung des §<br />

8 Abs. 7 S. 2 KAG nicht für die Fallkonstellationen gilt, bei denen zum<br />

Zeitpunkt der Rechtsänderung eine Heranziehung ausgeschlossen war.<br />

Möglich wäre auch die Streichung des Wortes „gültig" in § 8 Abs. 7 S. 2<br />

KAG.<br />

Frage 10: Allgemeine Verjährungsregeln<br />

Dem Unterzeichner sind die allgemeinen ,Verjährungsregeln im <strong>Land</strong><br />

<strong>Brandenburg</strong> nicht ohne Recherche verfügbar. Für eine Recherche besteht<br />

angesichts des Zeithorizonts der Anhörung keine Möglichkeit.<br />

6


7<br />

Frage 11: Alternative Regelungsmöglichkeiten<br />

Über die bei der Beantwortung der Frage 7 genannten Varianten hinaus<br />

sind dem Unterzeichner keine weiteren Varianten bekannt.<br />

Frage 12 — Teilfrage 1: Ablaufhemmung bis 03. Oktober 2000<br />

Eine Ablaufhemmung für die Sondersituation der deutschen Einheit im<br />

Umfang von 10 Jahren ist isoliert gesehen für die Gemeinden und Gemeindeverbände<br />

ausgesprochen großzügig, andererseits für sich genommen,<br />

nach der nicht maßgeblichen persönlichen Einschätzung des<br />

Unterzeichners, noch nicht verfassungswidrig. Mit einer so großzügigen<br />

Ablaufhemmung beseitigt der Gesetzgeber dann aber faktisch die Nachteile,<br />

die im Osten durch die Sondersituation bestanden. Die Gemeinden<br />

und Zweckverbände müssen sich daher ab dem Zeitraum der Ablaufhemmung<br />

dann so behandeln lassen, wie alle anderen Gemeinden<br />

und Zweckverbände.<br />

Bei diesen wird von der Rechtsprechung des OVGs Münster der Sache<br />

nach eine Klärung der Abgabenpflicht für Abwasseranlagen innerhalb<br />

von vier Jahren verlangt. Man wird kaum die großzügige 10-jährige Ablaufhemmungsfrist<br />

dann noch einmal mit einer großzügigen Gesamtverjährungsfrist<br />

von über zehn Jahren kombinieren können.<br />

Frage 12 — Teilfrage 2: Welche praktischen Auswirkungen sind damit<br />

verbunden?<br />

Sofern die Ablaufhemmung von zehn Jahren auf die Gesamtverjährungszeit<br />

bezogen wird, und so wird sie vom Unterzeichner verstanden,<br />

sind die Auswirkungen so, dass der Vertrauensschutz für die Betroffenen<br />

zehn Jahre lang ausgesetzt wird. Keine Auswirkungen hätte die Ablaufhemmung<br />

für den Lauf der Festsetzungsverjährung.<br />

Frage 13: Zeitpunkt des Vorteileintritts<br />

Als Zeitpunkt des Vorteileintritts können zwei Anknüpfungspunkte gewählt<br />

werden, zum einen die konkreten Anschlüsse an die Altwasseranlage<br />

oder die Entstehung der Anschlussmöglichkeit. Von der Vertrauenslage<br />

her läge es nahe, an den tatsächlichen Anschluss und nicht schon<br />

an die Anschlussmöglichkeit anzuknüpfen. Da das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />

aber ausdrücklich an die Anschlussmöglichkeit anknüpft, kann auch die<br />

Verjährung nur an die Anschlussmöglichkeit anknüpfen und darf nicht<br />

erst den tatsächlichen Anschluss heranziehen. Es wäre nicht vertretbar,<br />

einerseits in § 8 Abs. 7 S. 2 Bdg KAG an die Möglichkeit der Anschließung<br />

anzuknüpfen, für die Frage des Laufes der Gesamtverjährung jedoch<br />

dann den tatsächlichen Anschluss.<br />

7


8<br />

Keinesfalls vertretbar wäre es, den Zeitpunkt auf die Entstehung der<br />

gesamten Abwasserbeseitigungsanlage zu beziehen. Entscheidend muss<br />

das konkrete Grundstück des Beitragspflichtigen sein.<br />

Die in der Gesetzesbegründung stark in den Vordergrund gestellte Fertigstellung<br />

einer Anlage erscheint dem Unterzeichner gerade bei der<br />

Abwasserentsorgung ausgesprochen vage zu sein. Rechtssicherheit wird<br />

hier nicht vermittelt. Aus wissenschaftlicher Sicht erscheint unklar, wie<br />

dem Argument, das Entwässerungssystem sei nie abgeschlossen, eigentlich<br />

begegnet werden soll.<br />

Frage 14: künftige Investitionskosten<br />

Die Beitragspflicht für die Herstellung einer Anlage knüpft an die Kosten<br />

für die Herstellung der Anlage an. Wenn der Beitrag zu einem Zeitpunkt<br />

eingezogen wird, in dem die Anlage noch nicht vollständig hergestellt<br />

wird, dürfte es verfassungsrechtlich zulässig sein, künftige Investitionskosten<br />

mit einzubeziehen. Andererseits muss die künftige Herstellung<br />

einen konkreten Bezug zum Vorteil des Grundstücks auch schon im<br />

Zeitpunkt der Abgabenerhebung haben. Dies stellt aber nur eine erste<br />

Einschätzung dar, da für die erforderliche Recherche keine Zeit bestand.<br />

Frage 15: Praktische Folgen für Verjährungsmodelle von 2013, 2020<br />

und 2015<br />

Gemäß Unterzeichner sind die konkreten Situationen der Vermieter,<br />

Mieter und Eigenheimbesitzer in Brandburg nicht bekannt. Die Herstellungsbeiträge<br />

sind nach Kenntnis des Unterzeichners nicht auf die Mieter<br />

abwälzbar, sodass die Vermieter auf den entsprechenden Kosten<br />

sitzen bleiben.<br />

Es ist wahrscheinlich, dass die Vermieter mit den Erschließungsbeitragskosten<br />

großteils nicht gerechnet haben. Es kann sein, dass Verkäufer<br />

von Grundstücken, die die bestehende Erschließung zugesichert haben,<br />

gegebenenfalls diese Kosten den Käufern gegenüber ersetzen müssen.<br />

Sofern die Verjährung eingetreten ist, wären die Betroffenen geschützt,<br />

bis zum Eintritt der Verjährung würde sich an der Rechtslage im Vergleich<br />

zu der geltenden Praxis, die vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

galt, nicht ändern.<br />

Ein Eintritt einer Verjährung für 2020 oder für 2030 dürfte verfassungsrechtlich<br />

illusionär sein; mit der Wahl eines solch weit in der Zukunft<br />

liegenden Zeitraums wurde das BVerfG sich nicht ernst genommen fühlen.<br />

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9<br />

Frage 16: Konkrete Situationen verschiedener Modelle - Teilfrage a:<br />

10 + 20-Modell<br />

Die Festsetzung einer regulären Höchstfrist von 20 Jahren und einer<br />

Hemmung von bis zum 03.10.2000 würde dazu führen, dass die Gemeinden/Zweckverbände<br />

bis zum 03.10.2020 gültige Satzungen erlassen<br />

könnten, auch wenn Sie schon ein eine ungültige Abgabensatzung in<br />

den frühen 90er-Jahren erlassen hat. Für die Betroffenen hieße dies,<br />

dass es auch für Altanschlüsse beispielsweise aus dem Jahr 1992<br />

Rechtssicherheit für die Frage, ob eine Abgabenpflicht und falls ja in<br />

welcher Höhe auf sie zukommt, gegebenenfalls bis zum Jahre 2020 hinausgezögert<br />

wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem oben genannten<br />

Beschluss ausdrücklich davon gesprochen, dass eine Hinauszögerung<br />

von mehreren Jahrzehnten nicht möglich wäre. In diesem Fall<br />

läge aber eine Hinauszögerung von Jahrzehnten vor. Es ist nicht sehr<br />

wahrscheinlich, dass eine solche Umsetzung der tragenden Gründe der<br />

Entscheidung die Billigung des Bundesverfassungsgerichts finden würde.<br />

Frage 16: Teilfrage b: Festlegung einer kürzeren regulären<br />

Verjährungsfrist, Hemmung bis 03.10.2000<br />

Das Bundesverfassungsgericht lässt dem Gesetzgeber einen großen Gestaltungsspielraum,<br />

wie den, der eine erforderliche Rechtssicherheit<br />

herbeiführt. Kein ganz so großer Spielraum besteht dagegen bei der<br />

Frage, wie lange dieser Zeitraum wohl sein kann. Dies ergibt sich aus<br />

den verschiedenen Aspekten, die das Gericht nennt; gemeint sind folgende<br />

Gesichtspunkte:<br />

Zunächst der Vertrauensschutz des Betroffenen, irgendwann<br />

einmal wissen zu dürfen, ob und in welcher Höhe der Beitrag auf<br />

ihn zukommt.<br />

Weiter der Umstand, dass mit weitergehendem Zurückliegen des<br />

Anschlusses die Legitimation solcher Beiträge verpflichtet. Auch<br />

wenn der Vorteil des Anschlusses länger dauere, bezöge sich der<br />

Beitrag jedoch auf die einmalige Abgeltung der Einräumung des<br />

Vorteils und könne sich daher nicht auf den Umstand berufen,<br />

dass die Abgeltung dauerhaft fortgelte.<br />

Die Klarheit müsse in zumutbarem Rahmen bestehen (Rn. 45).<br />

Kein zumutbarer Rahmen läge vor, wenn die Verjährung erst<br />

Jahrzehnte nach Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage<br />

beginnen würde (Rn. 47).<br />

Für den Fall, dass man die Beitragspflicht an eine Verwirklichung<br />

der Vorteilslage anknüpft und somit gewissermaßen eine<br />

vierjährige absolute Verjährungsfrist eintreten würde, hält das<br />

Gericht eine Verlängerung der Festsetzungsfrist für möglich.<br />

9


10<br />

Weiter lässt das Gericht dem Gesetzgeber knapp ein Jahr Zeit für<br />

die gesetzliche Umsetzung der Vorgaben.<br />

Aus diesen Summen von Einzelpunkten ergibt sich, dass relevant die<br />

Frage der Zumutbarkeit für den Betroffenen ist. Er muss in zumutbarer<br />

Weise wissen können, ob und in welcher Höhe Beiträge auf ihn zukommen.<br />

Eine Hinauszögerung von Jahrzehnten ist unzulässig. Ein Zeitraum,<br />

der der Sache nach auf eine Verlängerung der Festsetzungsfrist von vier<br />

Jahren beruht, ist dagegen zulässig. Man wird daher sagen können, dass<br />

das Verfassungsgericht von einer Verjährungsfrist, die ungefähr bei acht<br />

Jahren liegt, für unproblematisch halten dürfte.<br />

Die Begründung des Gesetzentwurfs knüpft an die bestehende Möglichkeit<br />

der dreißigjährigen Verjährungsfrist an. Dies ist kaum nachvollziehbar.<br />

Die Rechtsordnung kennt die dreißigjährige Verjährungsfrist in Situationen,<br />

in denen klar ist, dass eine Schuld besteht. Wenn ein Rechtstitel<br />

der einen Personen gegen eine andere vorliegt, ist sowohl das Ob<br />

der Schuld als auch die Höhe der Schuld hinreichend klar. Der Betroffene<br />

muss daher mit seiner Zahlungspflicht rechnen und diese einkalkulieren.<br />

Er kann von dieser ganz klaren Zahlungsfrist erst befreit werden,<br />

wenn dreißig Jahre lang nichts geschieht. In den Situationen, die hier<br />

vorliegen, ist die Situation völlig anders. Die Betroffenen, die ihre<br />

Grundstücke an die Altwasseranlage anschließen, müssen nicht sicher<br />

mit einer Abgabenpflicht für die Herstellung der Anlage rechnen. Sie<br />

können von einer Umsetzung im Rahmen der Gebühren ausgehen. Weiter<br />

ist die Höhe vollständig ungewiss, da sie kein Einfluss in die Kalkulation<br />

haben. Die dreißigjährige Verjährung, die für konkrete Schuld und<br />

sichere Schuldtitel bestehen, auf die Situation des Anschlusses von Altwasseranlagen<br />

zu übertragen, hieße einseitig die Gemeinden und die<br />

Zweckverbände zu privilegieren.<br />

Weiter würde bei einer vierjähren Forstsetzungsverjährungsfrist, einer<br />

vierjährigen Frist ab Fertigstellung der Anlage und einer fünfzehnjährigen<br />

nach Anschluss bei fehlender Satzung eine gesetzesintern nicht<br />

nachvollziehbare Ungleichgewichtung hergestellt werden.<br />

Frage 17: Konkrete Herausforderungen für ein Erlöschen der<br />

Beitragsforderung der nächsten 20 Monate<br />

Die Frage geht offenbar an kommunale Verantwortungsträger und ist<br />

nicht an den Unterzeichner gerichtet.<br />

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11<br />

Frage 18: Rechtsempfinden der Menschen vor Ort, wenn eine<br />

Gruppe von Beitragsschuldnern und privilegiert würde<br />

Der Eintritt einer Verjährung ist ein allgemeiner Rechtsgedanke, von<br />

dem jeder profitieren kann, und ist im allgemeinen Rechtsempfinden<br />

tief verwurzelt. Profitieren würden die Altanschließer, die im Gegensatz<br />

zu vielen anderen Neuanschließern schon sehr lange Abwassergebühren<br />

bezahlen und auf diese Weise schon lange zur Konsolidierung der kommunalen<br />

Einrichtung beitragen. Es ist daher nicht sehr wahrscheinlich,<br />

dass das Gefühl der Bevorzugung aufkommen wird.<br />

Frage 19: Entzug der Pflicht<br />

Die Gruppe der betroffenen Alteigentümer leben seit Jahrzehnten mit<br />

der Ungewissheit des Eintritts der Beitragspflicht. Das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

hat eine vom OVG <strong>Brandenburg</strong> hergestellte verfassungsrechtliche<br />

Rechtslage verfassungswidrig umgewandelt. Die Zurücksetzung der Betroffenen<br />

auf die verfassungsrechtliche Rechtslage kann nicht als Entzug<br />

von einer Beitragspflicht verstanden werden.<br />

Frage 20: Für den Fall des Löschens, von noch nicht festgesetzten<br />

Beitragsansprüchen - Teilfrage a) Übernahme der Einnahmeausfälle<br />

Die Nichteintreibbarkeit von Beiträgen trifft denjenigen, der zum Einzug<br />

des Beitrags berechtigt ist. Das ist die Körperschaft, die die Einrichtung<br />

errichtet hat.<br />

Frage 20: Teilfrage b) Finanzierungswürdigkeit der Umlagen der<br />

Mitgliedsgemeinden<br />

Diese Frage lässt sich im vorgegebenen Zeitrahmen nicht beantworten.<br />

Frage 20: Teilfrage c) kommunalpolitischer Druck der Nichteintreibung<br />

Es ist gut vorstellbar, dass auf die Kommunalverantwortlichen Druck<br />

ausgeübt wird, die ausstehenden Beiträge nicht mehr einzutreiben,<br />

sondern verjähren zu lassen. Dies liegt daran, weil angesichts der langen<br />

Gebührenbeitragszahlung der betroffenen Alteigentümer das Gefühl,<br />

sie hätten, für die Abwasseranlagen schon genug geleistet, weit verbreitet<br />

ist.<br />

Frage 20: Teilfrage d:<br />

Die Frage richtet sich an kommunale Auftragsträger.<br />

11


12<br />

Frage 20: Teilfrage e: Persönliche Haftung<br />

Nach allgemeinem Beamtenrecht ist eine persönliche Haftung der Beamten<br />

nicht ausgeschlossen. Verantwortlich für den Erlass von Abgabensatzungen<br />

ist aber nicht der Bürgermeister.<br />

Frage 20: Teilfrage f:<br />

Strafrechtliche Folgen sind dem Unterzeichner nicht bekannt.<br />

Frage 20: Teilfrage g:<br />

Sofern eine Beitragserhebung rechtlich möglich ist, würde ich die Beitragserhebung<br />

empfehlen. In meinen Augen ist aber schon die Änderung<br />

von § 8 Abs. 7 S. 2 KAG eine unzulässige Rückwirkung gewesen. Die<br />

Durchsetzung dieser unzulässigen Rückwirkung würde ich nicht empfehlen.<br />

Frage 21:<br />

Für den Fall der Verjährung Ende 2020<br />

Teilfrage a: Befürchtete Einnahmeausfälle:<br />

Die Frage richtet sich an Amtsträger.<br />

Teilfrage b:<br />

Siehe Antwort auf Frage 20, Teilfrage b.<br />

Teilfrage c:<br />

Ein unmittelbarer Konnex zwischen Beitragssatzungsverabschiedung<br />

und Verjährungsfrist dürfte nicht bestehen, andererseits führt jede klare<br />

Festlegung einer zeitlichen Grenze zu einer erhöhten Aktivität all der<br />

Handlungen, die zu verjähren drohen.<br />

Teilfrage d: Haftungsfrage,<br />

siehe oben.<br />

Teilfrage e:<br />

Siehe oben.<br />

12


13<br />

Frage 22: Ursachenforschung<br />

Die fehlende Festsetzung aller Beitragsansprüche beruht auf einer ganzen<br />

Reihe unterschiedlichster Gesichtspunkte, der tragende Umstand<br />

dürfte jedoch darauf beruhen, dass ein separater Erschließungsbeitrag<br />

für die Herstellung einer Anlage für die Altanschließer nicht unmittelbar<br />

vom Rechtsgefühl aller für billig erachtet wird. Keine Verantwortung für<br />

die fehlende Festsetzung tragen die Betroffenen. Der öffentlichen Hand<br />

als solche, insbesondere den verantwortlichen Körperschaften<br />

<strong>Land</strong>/Gemeinde/Zweckverbände trifft die Verantwortung für die fehlende<br />

Festsetzung der Beitragsansprüche.<br />

Frage 23: Möglichkeit der Aussetzung<br />

Die gegenwärtige Grundlage für die Beitragspflicht in § 8 Abs. 7 S. 2 KAG<br />

ist verfassungswidrig. Die Gemeinden sind nicht berechtigt, bei einer so<br />

offensichtlichen Verfassungswidrigkeit die Norm anzuwenden. Sie müssen<br />

über die <strong>Land</strong>esregierung eine abstrakte Normkontrolle dieser<br />

Norm anregen.<br />

Eine Umstellung auf ein reines Gebührenmodell erscheint angesichts<br />

der enormen Probleme, die das Beitragsmodell bei Wasser- und Abwasseranschlüssen<br />

hervorruft, ausgesprochen naheliegend. Die Ungerechtigkeiten,<br />

die von den Betroffenen für die Beiträge empfunden werden,<br />

beruhen gerade darauf, dass nicht eindeutig mit einem Beitrag gerechnet<br />

werden muss und auch die Kalkulation dieses Beitrags alles andere<br />

als transparent ist.<br />

Welche Probleme mit einem Gebührenmodell verbunden sind, kann der<br />

Unterzeichner nicht abschließend beurteilen.<br />

Frage 25: Anteil der verabschiedeten Beiträge seit 1990?<br />

Keine Antwort.<br />

Frage 26: Verhältnis von Beitrag und Gebühr<br />

Diese Frage lässt sich ohne Recherche einschlägiger Entscheidungen<br />

nicht beantworten.<br />

Frage 27:<br />

Eine Anweisung auf gesetzlicher Grundlage ist möglich.<br />

Frage 28: Rückzahlung mit Umstellung<br />

Eine nachträgliche Umstellung der Gebühren aufgrund einer veränderten<br />

Gebührenkalkulation dürfte rechtlich kaum durchsetzbar sein.<br />

13


14<br />

21.05.2013<br />

Prof. Heinrich Amadeus Wolff<br />

{Der Text wurde per Mali übermittelt und ist nicht unterschrieben)<br />

14


EINGEGANGEN<br />

2 3. MAI 2[1131M<br />

Ueci . LSL hu.a<br />

Erledigt:<br />

Anlage<br />

■ 2 • Deutsche Universität für<br />

' 1 Verwaltungswissenschaften<br />

n um@ Speyer<br />

▪ ■<br />

Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer<br />

Postfach 14 09 • D-67324 Speyer<br />

Univ.-Prof. Dr. Mario Martini<br />

An den <strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Ausschuss für Inneres<br />

Die Vorsitzende<br />

Lehrstuhl für<br />

Verwaltungswissenschaft,<br />

Staatsrecht Verwaltungsrecht<br />

und Europarecht<br />

Am Havelblick 8<br />

14473 Potsdam<br />

22. Mai 2013<br />

Stellungnahme für den Ausschuss für Inneres des <strong><strong>Land</strong>tag</strong>es<br />

<strong>Brandenburg</strong> zur Formulierungshilfe des Ministeriums des Inneren<br />

»Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen«<br />

Sehr geehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte Frau Stark,<br />

sehr geehrte Damen und Herren,<br />

für das Vertrauen, das Sie mir mit der Einladung zur Anhörung entgegengebracht<br />

haben, danke ich Ihnen sehr. Ich habe mich bei meiner Beantwortung<br />

auf die Antworten zu den Fragen 1-12, insbesondere die staatsrechtlichen<br />

und kommunalabgabenrechtlichen Grundprobleme, konzentriert. Ich<br />

hoffe, damit zur Klärung der Fragen beizutragen, sehe der Anhörung mit<br />

Spannung entgegen.<br />

Postfach 14 09 • 67324 Speyer<br />

Freiherr-vom-Stein-Str. 2 • 67346 Speyer<br />

Telefon: +49(0)6232-654-403<br />

Sekretariat +4910)6232-654-338<br />

Telefax: +49(0)6232-654-305<br />

E-Mail: martini@uni-speyer.de<br />

Internet: www.uni-speyer.de


Prof. Dr. Martini Stellungnahme 2eitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

— Überblick —<br />

1. Welche zentralen Aussagen trifft das BVerfG in seinem Beschluss vom 5.3.2013 (Az. BM<br />

2457/08)? 2<br />

a) Aussagen des Bundesverfassungsgerichts 2<br />

b) Vergleich zu ähnlichen Konstellationen und Aussagen anderer Gerichte 2<br />

aa) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 3<br />

bb) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts 3<br />

cc) Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte 4<br />

dd) Rechtsprechung des des Gerichtshofs zu Einheinlischenfällen 4<br />

2. a) Ist die Entscheidung vom 5.3.2013 auf <strong>Brandenburg</strong> übertragbar? 5<br />

2. b) Welche Auswirkungen hat der Beschluss des BVerfG auf <strong>Brandenburg</strong>? 9<br />

aa) Unmittelbare Auswirkungen 9<br />

bb) Mittelbare Auswirkungen 10<br />

3. Welche verschiedenen Fallkonstellationen in Bezug auf das brandenburgische<br />

Kommunalabgabengesetz sind von dem Beschluss des BVerfG betroffen? 10<br />

4. Ergibt sich daraus aus Ihrer Sicht ein Änderungsbedarf beim KAG des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>?11<br />

5. Sind im brandenburgischen KAG gesetzgeberische Änderungen notwendig, damit die<br />

Vorschriften des brandenburgischen KAG im Einklang mit höherrangigem Recht und der<br />

Rechtsprechung des BVerfG stehen? 11<br />

6. Wie können diese Änderungen ausgestaltet werden? 12<br />

7. Welche rechtlichen und tatsächlichen Folgen ziehen die in Betracht kommenden<br />

Änderungsmöglichkeiten nach sich? 12<br />

8. Ist die <strong>Brandenburg</strong>er Regelung des § 8 Abs. 7 S. 2 KAG unvereinbar mit dem<br />

verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit? 13<br />

9. Ist die Beitragserhebung bei Altanschließern verfassungswidrig? 13<br />

10. Welche allgemeinen Verjährungsregelungen gibt es im Beitrags- und Abgabenrecht des<br />

<strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>? Wie berechnen sich diese Fristen? 14<br />

a) Verjährungsregelungen im brandenburgischen Abgabenrecht 14<br />

b) <strong>Brandenburg</strong>ische Verjährungsregelungen außerhalb des Abgabenrechts: 15<br />

c) Verjährungsregelungen im allgemeinen Öffentlichen Recht 16<br />

11. Welche anderen Vorschläge für eine solche zeitliche Begrenzung wären aus Ihrer Sicht<br />

nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> ebenso<br />

denkbar? 17<br />

a) Rechtstechnische Gestaltungsmöglichkeiten 17<br />

b) Fristlänge 18<br />

aa) Verhältnismäßigkeit —Abwägung zwischen den berechtigten Interessen der Beitragsschuldner und der<br />

Aufgabenträger bzw. des Staates 19<br />

bb) Gleichheitssatz — Systemgerechtigkeit 24<br />

1


Prof. Dr. Martini - Stellu nahrne „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

12. Halten Sie den Vorschlag einer so genannten Ablaufhemmung von 10 Jahren bis zum<br />

3.10.2000 für angemessen, welche anderen Zeiträume sind aus Ihrer Sicht ebenso<br />

angemessen? Welche praktischen Auswirkungen sind damit verbunden? 28<br />

1. Welche zentralen Aussagen trifft das BVerfG in seinem<br />

5.3.2013 (Az. Eite 2457/08)?<br />

a) Aussagen des Bundesverfassungsgerichts<br />

Der Gesetzgeber darf Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung<br />

des Vorteils festsetzen. Er muss einen Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit<br />

an der Beitragserhebung und dem Interesse des Beitragsschuldners an Rechtssicherheit<br />

herstellen. Der Bürger hat die berechtigte Erwartung, geraume Zeit nach entstehender<br />

Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen. Diese<br />

Erwartung darf der Gesetzgeber nicht vollkommen unberücksichtigt lassen. Vielmehr muss<br />

ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Weise Klarheit darüber gewinnen können, ob und in<br />

welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.' Denn das Gebot<br />

der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit schützt den Einzelnen davor, dass lange<br />

zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung<br />

neuer Lasten herangezogen werden können.<br />

Auf den Gedanken der Rechtssicherheit hat das BVerfG auch in früheren Entscheidungen rekurriert,<br />

die sich mit Verjährungsfristen auseinandersetzen, und der Verfassung die normative<br />

Grundentscheidung entnommen, »dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit<br />

geklärt werden«, so etwa in seiner Entscheidung zum Institut der unvordenklichen Verjährung.<br />

2 Die konkreten Schlussfolgerungen, die das BVerfG in seinem Beschluss vom 5.3.2013<br />

für die Erhebung von Vorteilsausgleichsabgaben gezogen hat, haben die Rechtspraxis und<br />

Rechtswissenschaft jedoch überrascht.<br />

b) Vergleich zu ähnlichen Konstellationen und Aussagen anderer Gerichte<br />

Auch in der sonstigen Rechtsprechung fanden sich vereinzelt ähnliche Aussagen durchaus<br />

bereits früher: So darf nach Einschätzung des Niedersächsischen OVG im Jahr 1970 eine Gemeinde<br />

»jedenfalls nach Ablauf von 10 Jahren nicht mehr zum Ersatz der Kosten beanspruchen,<br />

die sie für den Anschluss eines Grundstücks an die Kanalisation aufgewendet hat«. 3<br />

Das Schweigen des KAG könne »nicht dahin ausgelegt werden, dass es für solche Ansprüche<br />

bei der Kraft Gewohnheitsrecht oder in entsprechender Anwendung des § 195 BGB geltenden<br />

Verjährungsfrist von 30 Jahren sein Bewenden haben solle«. 4 Ähnlich formulierte Guckelberger<br />

im Jahr 2004 allgemein, (wenn auch ohne Bezug auf die Fälle von Kommunalab-<br />

1 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn, 45 a. E.<br />

2 BVerfG, Beschl. v. 15.4.2009 —1 I3vR 3478/08 — Rn. 37.<br />

3 OVG Niedersachsen, KStZ 1970, 12 (13).<br />

4 OVG Niedersachsen, KStZ 1970, 12 (13).<br />

2


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme °Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

gaben) allerdings vorsichtiger: »Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte der Einzelne im Übrigen<br />

unmittelbar dem Gesetz entnehmen können, innerhalb welcher Frist sein Anspruch<br />

verjährt. 5 Als ein verfassungsrechtliches Gebot ist eine Höchstfrist in der deutschen Rechtsprechung<br />

des EuGH (unten aa), des BVerwG und des BSG (unten bb), der (sonstigen) Oberverwaltungsgerichte<br />

(unten cc) und des BGH (unten dd) sowie der Literatur in dieser Klarheit<br />

aber nur vereinzelt formuliert worden.<br />

aa) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs<br />

Anders demgegenüber in der Rechtsprechung des EuGH: Er hat »dem Grundsatz der Rechtssicherheit«<br />

entnommen, »dass die Lage des Wirtschaftsteilnehmers im Hinblick auf seine<br />

Rechte und Pflichten gegenüber der nationalen Behörde nicht unbegrenzt offen bleiben<br />

kann«. 6 Vielmehr müsse die Verjährungsfrist im Voraus festgelegt sein, um ihren Zweck zu<br />

erfüllen, die Rechtssicherheit zu gewährleisten.' Jede »analoge« Anwendung einer Verjährungsfrist<br />

müsse für den Betroffenen hinreichend vorhersehbar sein, d. h auf eine hinreichend<br />

vorhersehbare Rechtsprechungspraxis zurückgehen. 9 Die Länge in diesem Sinne vorhersehbarer<br />

Verjährungsfristen misst der EuGH am Prinzip der Verhältnismäßigkeit: Die Frist<br />

darf nicht offensichtlich über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. 9<br />

bb) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts<br />

Im Bereich des Allgemeinen Verwaltungsrechts und des Sozialrechts findet sich eine ausgefeilte<br />

Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte (v. a. am Beispiel der Rücknahme von<br />

Verwaltungsakten) zur Möglichkeit einer Verjährung und einer Geltendmachung von Forderungen:<br />

Sowohl das BVerwG als auch das BSG haben für die ihrer Rechtsprechung unterworfenen<br />

Teilbereiche der Rechtsordnung einen allgemeinen Rechtsgrundsatz hergeleitet:<br />

»Nach Ablauf von 30 Jahren darf eine einmal getroffene Regelung keinesfalls mehr infrage<br />

gestellt werden.«'° Dass sich das BVerfG in seiner Entscheidung vom 5.3.2013 mit diesen<br />

Aussagen nicht auseinandergesetzt und die sonst in der Rechtsprechung übliche (auch für<br />

die zu entscheidende Fallgestaltung denkbare) analoge Anwendung von Verjährungsvorschriften<br />

anderer Rechtsmaterien in seiner Entscheidung vom 5.3.2013 nicht ventiliert hat,<br />

überrascht. Es hätte nahe gelegen, dass das BVerfG klärt, ob sich eine solche allgemeine Verjährungsfrist,<br />

wie sie das Gericht fordert, dem geltenden Recht im Wege der analogen Anwendung<br />

bereits entnehmen lässt. Stattdessen geht es lediglich auf das Instrument der Verwirkung<br />

ein, 11 das anderen Voraussetzungen folgt. Entbehrlich ist eine solche Auseinandersetzung<br />

nur in zwei Fällen: (1.) wenn das BVerfG eine 30-jährige Verjährungsfrist nicht mehr<br />

für angemessen hält oder (2.) eine ungeschriebene, der Rechtsprechung zu entnehmende<br />

5 Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 2004, S. 366.<br />

6 EuGH, Urt. v. 21.1.2010, C-472/0 8, SIg. 2010,1-623, Rn. 16.<br />

7 EuGH, Urt. v. 15.7.1970, Rs. 41/69, Sig. 1970, S. 661, Rn. 19; Urt. v. 11.7.2002, Rs. C-62/00, SIg. 2002,1-6325, Rn. 39; Urt. v.<br />

5.5.2011, C-201/10 et al., 2011,1-3545, Rn. 32.<br />

8 EuGH, Urt. v. 24.3.2009, C-445/0 6, 51g. 2009,1-2119, Rn. 34.<br />

9 EuGH (Vierte Kammer), Urt. v. 5.5.2011, SIg. 2011,1, 3545, Rn. 37.<br />

1° Hervorhebungen cl. Verf.; BSGE 72, 139 (145 f.) = NVwZ-RR 1994, 628; dazu kritisch Erfmeyer, VR 1999, 48; BVerwG,<br />

NVwZ 2011, 949 (950).<br />

11 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013 Rn. 48.<br />

3


Prof. Dr. Martini - S ellungnahme ‚Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

Frist nicht als ausreichend, insbesondere nicht hinreichend konsistent und für den Bürger<br />

verlässlich, erachtet, um dem Gebot der Rechtssicherheit zu genügen.<br />

cc) Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte<br />

Die neuere Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte sprach Beitragsschuldnern bisher<br />

für den Bereich des Abgabenrechts das schutzwürdige Vertrauen darauf ab, von einer Abgabenerhebung<br />

verschont zu bleiben. Eine konkrete Höchstfrist, bis zu der die Ansprüche geltend<br />

gemacht werden müssen, haben die Gerichte - mit Ausnahme des OVG Niedersachsen'<br />

- nicht gefordert. Nach dem Inkrafttreten des KAG habe jeder, der einen Anschlussvorteil<br />

erhalten habe, damit rechnen müssen, dass die Gemeinde eine Beitragssatzung erlässt<br />

und für die in Rede stehenden Maßnahmen Beiträge erheben werde. 13 Die Oberverwaltungsgerichte<br />

verstehen Beiträge als Ausgleich für gewährte Sondervorteile, bei denen es allenfalls<br />

unter ganz ungewöhnlichen Voraussetzungen denkbar und rechtfertigbar ist, dass<br />

eine ihrem Wesen nach beitragspflichtige Leistung gleichwohl beitragsfrei gewährt wird. 14<br />

dd) Rechtsprechung des BGH zu Einheimischenmodellen<br />

In der Rechtsprechung des BGH hat es lange vor der Entscheidung des BVerfG bereits eine<br />

Vielzahl von Judikaten zur Begrenzung von Bindungsfristen gegeben. Insbesondere die<br />

Rechtsprechung zu den Bindungsfristen bei Einheimischenmodellen weist insoweit eine interessante<br />

Parallelität zu der hier relevanten Sachverhaltsgestaltung auf: Gemeinden haben<br />

Grund und Boden an Familien in der Vergangenheit vielfach zu verbilligten Konditionen abgegeben,<br />

sich dafür aber im Interesse der subventionsgerechten Verwendung nicht selten<br />

ein Wiederkaufsrecht für die Dauer von 90 Jahren ausbedungen.' Dieses sollte die Gemeinde<br />

ausüben dürfen, wenn der Käufer oder sein Rechtsnachfolger das Wohnhaus seit mehr<br />

als drei Jahren nicht mehr bewohnte oder über das Vermögen des Eigentümers das Konkursverfahren<br />

eröffnet wird. Der BGH judizierte inzwischen wiederholt, dass das Wiederkaufsrecht<br />

mehr als 30 Jahre nach seiner Begründung nicht mehr ausgeübt werden dürfe. 16<br />

Er orientiert sich dabei insbesondere an dem Leitbild des § 462 S. 1 BGB und stützt diese Beschränkung auf die<br />

Überlegung, dass das Wiederkaufsrecht nur soweit verhältnismäßig ist, wie es zur Sicherung des Subventionszwecks<br />

angemessen erscheint. Das Wiederkaufsrecht soll nach seinem Verständnis insbesondere verhindern,<br />

dass Familien den vergünstigten Erwerb als Grundlage einer Bodenspekulation auf Kosten der Allgemeinheit<br />

missbrauchen, statt — entsprechend dem eigentlichen Förderzweck — bestimmten Familien den Zugang zu verbilligten<br />

Grund und Boden als Lebensgrundlage zu eröffnen. Nach einem Zeitraum von 30 Jahren, nachdem die<br />

Familie das Grundstück für die Dauer einer Generation, also für etwa 30 Jahre, selbst genutzt hatte, sah der<br />

BGH das mit dem verbilligten Verkauf verbundene Ziel erreicht und damit eine längere Bindung als unangemes-<br />

12 Oben Fn. 3.<br />

13 Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 11.8.2004, 2 M 154/03; BayVGH, Beschl. v. 18.8.2004, 6 Cs 04.1320, juris; OVG<br />

Thüringen, Beschl. v. 29.9.1999 4 Z E 0 844/98, LKV 2000, 258 (259).<br />

14 In diesem Sinne auch BVerwG, NVwZ 1983, 612 (612).<br />

15 BGH, Urt. v. 21.7.2006, ZfIR 2007, 5. 32 (mit zust. Anm. v. Grziwotz); ähnlich die Vorinstanz, die gar von einer Nichtigkeit<br />

nach § 138 BGB aufgrund eines Verstoßes gegen das Anstandsgefühl aller gerecht und billig Denkenden ausging, OLG<br />

Hamm, Urt. v. 19.9.2005, — 5 Z 57/05 —, juris; a.A. noch BGH, WM 1984, S. 1252 ff.<br />

16 Vgl. BGH, NJW-RR 2006, 1452 (1453), vgl. etwa auch BGH, NJW-RR 2006, 298 ff. mit weiteren Nachweisen. Anders demgegenüber<br />

für voraussetzungslos gewährte Wiederkaufsrechte (BGH, NJW 2011, 515 ff.; a. A. Kämmerer/Martini, BauR<br />

2007, 1337 ff. sowie für schuldrechtliche Verfügungsverbote nach § 137 5. 2 BGB (BGH, NJW 2012, 3162 ff.).<br />

4


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleic bei Anschlussbeiträgen"<br />

sen an. 17 Da es heutigem Lebenszuschnitt entspricht, dass Häuser kaum über einen Zeitraum von 30 Jahren von<br />

ein und derselben Familie genutzt werden, liegt ein Bindungszeitraum von 30 Jahren in der Tat regelmäßig jenseits<br />

der Grenzen dessen, was als Subventionsrückbindung angemessen ist. Ein Verkauf des Grundstücks nach<br />

einer solchen Zeitspanne stellt dann keinesfalls eine dem Subventionszweck zuwiderlaufende Bodenspekulation<br />

auf Kosten der Allgemeinheit dar.<br />

Der Ausübung von Wiederkaufsrechten und der zeitlich verzögerten Erhebung von Beiträgen ist gemeinsam,<br />

dass die öffentliche Hand in beiden Fällen den Bürger lange Zeit, nachdem dieser einen Vorteil empfangen hat,<br />

auf eine Zahlung in Anspruch nimmt. In beiden Fällen ist dem Interesse des Bürgers, irgendwann Rechtssicherheit<br />

über die Inanspruchnahme zu erlangen, durch die Festsetzung einer Schutzfrist Rechnung zu tragen. Beide<br />

Konstellationen weisen gleichwohl Unterschiede auf: In dem Fall von Wiederkaufsrechten steht die Gewährung<br />

von Subventionen im Raum, die durch ein Wiederkaufsrecht abgesichert werden, welches grundsätzlich (in den<br />

Bindungen des öffentlichen Rechts, insbesondere der allgemeinen Bindung des Staates an Verhältnismäßigkeitsprinzipien)<br />

der Vertragsfreiheit unterworfen ist. Die Erhebung von Beiträgen ist demgegenüber keinerlei<br />

Dispositionsfreiheit unterworfen. Den durch die Beitragsschuld entstandenen Vorteil hat der Beitragsschuldner<br />

auch nicht auf eigene Veranlassung erzielt. Dieser wird ihm vielmehr aufgrund gesetzlicher Entscheidung zuteil.<br />

Während demjenigen, der im Rahmen eines Einheimischenmodells ein Grundstück zu vergünstigten Konditionen<br />

unter Vereinbarung eines Wiederkaufsrechts erhält, entgegengehalten werden kann, dass er sich im Rahmen<br />

eines Vertrages aus freien Stücken auf die Vereinbarung eingelassen hat, gilt das für den Beitragsschuldner<br />

nicht. Das rechtfertigt es, ihm erhöhten Vertrauensschutz zuzusprechen.<br />

2. a) Ist die Entscheidung gram 5.3.2013 auf <strong>Brandenburg</strong> übertragbar?<br />

Die Entscheidung des BVerfG vom 5.3.2013 ist im Wesentlichen übertragbar. Wie in Bayern<br />

(und Thüringen 18) setzt in <strong>Brandenburg</strong> die Entstehung der Beitragspflicht und damit der<br />

Lauf der Festsetzungsfrist für Anschlussbeiträge im Sinne des § 8 Abs. 7 S. 2 i.V.m. § 8 Abs. 4<br />

BbgKAG (in seiner seit dem 2.2.2004 geltenden Fassung) eine rechtswirksame Satzung voraus.<br />

19 In Bayern wie in <strong>Brandenburg</strong> sind die Beitragsschuldner nicht hinreichend sicher davor<br />

geschützt, auch noch nach sehr langer Zeit zur Zahlung eines Anschlussbeitrages herangezogen<br />

zu werden.<br />

Das gegenwärtige brandenburgische Kommunalabgabenrecht lässt sich auch nicht dahin verfassungskonform<br />

auslegen, dass die vierjährige Festsetzungsfrist bereits zu dem Zeitpunkt zu<br />

laufen beginnt, zu dem die erste Satzung in Kraft getreten ist. Die Änderung des § 8 Abs. 7<br />

S. 2 BbgKAG im Jahr 2004 hatte bewusst ein anderes Ziel. Sie sollte sicherstellen, dass die<br />

17 BGH, NJW-R 2006, 1452 {1453); vgl. auch BVerwG, NJW-RR 2006, 298.<br />

18 § 15 Abs, 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. cc zweiter Spiegelstrich thüringisches KAG. Die Vorschrift erklärt die Festsetzungsfrist<br />

des § 170 Abs. 1 AO mit der Maßgabe für anwendbar, »dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im<br />

Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit dem Ablauf des Kalenderjahres<br />

beginnt, in dem die Berechnung möglich ist und dass im Falle der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst<br />

mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung beschlossen worden ist«. Die Regelung entspricht<br />

damit der bayerischen Vorschrift.<br />

19 Anders im Wortlaut § 7 Abs. 7 5. 1 thüringisches KAG (vgl. aber Fn. 18) sowie § 6 Abs. 6 S. 3 SachsAnhKAG. Die Vorschriften<br />

knüpfen an das Inkrafttreten der Satzung, nicht an deren Wirksamkeit an. § 7 Abs, 7 5. 2 thürKAG lässt auch eine Abweichung<br />

von dem Satzungserfordernis zu. Die Beitragspflicht entsteht nach § 7 Abs. 7 5. 2 (abweichend von 5, 1) 1. für unbebaute<br />

Grundstücke, sobald und soweit das Grundstück bebaut und tatsächlich angeschlossen wird, und 2. für bebaute<br />

Grundstücke in Höhe der Differenz, die sich aus tatsächlicher und zulässiger Bebauung ergibt, erst, soweit und sobald die<br />

tatsächliche Bebauung erweitert wird. In Mecklenburg-Vorpommern entsteht die sachliche Beitragspflicht frühestens mit<br />

dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung {§ 9 Abs. 3 KAG Mecklenburg-Vorpommern) dazu VG Schwerin, Urt. v.<br />

14.4.2013 —4 A 1052/12, S. 7; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 8,4.1999 —1 M 41/99.<br />

5


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme ,Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

Frist für die Festsetzungsverjährung erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem eine<br />

wirksame Beitragssatzung vorliegt.<br />

Bis zum 31.1.2004 kam es für die Festlegung des Zeitpunkts, ab dem die sachliche Beitragspflicht<br />

entsteht, (jedenfalls in der durch die brandenburgischen Gerichte gewählten Lesart<br />

der Vorschrift) nicht auf die Gültigkeit der ersten erlassenen Satzung, sondern ausschließlich<br />

auf den formalen Akt des Satzungserlasses an. 20 Entscheidend war, wann der Satzungsgeber<br />

die Beitragssatzung in Kraft setzen wollte. An diesem Zeitpunkt setzte dann auch der Lauf<br />

der Festsetzungsfrist an, wenn sich die erste Satzung später als unwirksam erwies, aber<br />

durch eine andere (rückwirkend in Kraft tretende) wirksame Satzung ersetzt wurde.<br />

Der Gesetzgeber sah in der Ergänzung des Gesetzes um das Wort »rechtswirksam« zwar lediglich<br />

eine »Klarstellung« einer ohnehin schon bestehenden Gesetzeslage, die künftige Beitragsausfälle<br />

vermeiden sollte. 21 Dass die gesetzliche Vorschrift die Rechtslage umgestaltete,<br />

insbesondere die Festsetzungsfrist bis dahin nicht notwendig erst an den Zeitpunkt anknüpfte,<br />

zu dem eine wirksame Satzung vorlag, ändert das jedoch nicht. 22 Denn die Vorschrift war<br />

anders zu verstehen.<br />

Ein berechtigtes Vertrauen der Altanschließer auf die bis zum 31.1.2004 bestehende Rechtslage<br />

hat insbesondere das OVG <strong>Brandenburg</strong> 23 den Altanschließern nicht zugestanden. Vielmehr<br />

sah es eine Bescheidung der Altanlieger so lange als rechtlich zulässig an, wie in dem<br />

betroffenen Verbandsgebiet bis zum 1.2.2004 keine wirksame Beitragssatzung vorhanden<br />

war. Das Gericht erkennt kein berechtigtes Vertrauen auf die Aufrechterhaltung der Rechtslage.<br />

Kritikwürdig ist daran, dass es für den Lauf der Festsetzungsverjährung auf ein Vertrauen<br />

der Betroffenen nicht ankommt. Die Festsetzungsverjährung knüpft an objektive Rechtstatsachen<br />

an.' Insofern ist ihr Lauf auch unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt das OVG<br />

<strong>Brandenburg</strong> über die Auslegung des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG verbindlich entschieden und<br />

damit die bis dahin bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt hat.<br />

Im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG liest sich die verjährungsrechtliche Rechtslage für Anschlussbeiträge<br />

in <strong>Brandenburg</strong> neu. § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG ist in seiner bis zum 31.1.2004 geltenden Fassung<br />

namentlich einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Eine solche verfassungskonforme Auslegung ist<br />

dann möglich und geboten, wenn eine gesetzliche Bestimmung im Rahmen ihres Wortlauts unterschiedliche<br />

Auslegungen ermöglicht, aber nicht alle mögliche Auslegungen mit dem GG vereinbar sind: »Lässt eine Norm<br />

mehrere Auslegungen zu, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis<br />

führen, so ist diejenige vorzuziehen, die mit dem GG in Einklang steht.« 25<br />

Die Norm des § 8 Abs. 7 S. 2 a. F. BbgKAG formulierte nicht eindeutig, ob für das Entstehen der Anschlussbeitragspflicht<br />

auf die rechtswirksame oder auf die erste verkündete (wenn auch unwirksamen) Satzung abzustellen<br />

ist. Die Vorschrift ist aber nur in einer Auslegung, die für den Lauf der Festsetzungsfrist nicht auf die Wirksamkeit<br />

der Satzung, sondern auf das Inkrafttreten der (ersten) Satzung abstellt, verfassungskonform. Denn sie<br />

20 OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2001, 132 ff.; erneut bestätigt durch OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2008, 369 (371).<br />

21 LT-Drucks. 3/6324, 5. 31.<br />

22 In diesem Sinne auch zu Recht OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2008, 369 (371).<br />

23 OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2008, 369 ff.<br />

24 In diesem Sinne zu Recht Steiner, LKV 2009, 254 (256).<br />

25 BVerfGE 32, 373 (383 f.); 51, 304 (323); 64, 229 (242). Grenzen setzen der verfassungskonformen Auslegung allerdings<br />

der Wortlaut der Norm, ihre Entstehungsgeschichte und der Gesetzeszweck.<br />

6


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme °Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

trägt dann dem in der Verfassung angelegten Gedanken der Rechtssicherheit, namentlich Belastungsklarheit<br />

und -vorhersehbarkeit, Rechnung: Sie zwingt den Aufgabenträger, innerhalb eines bestimmten Zeitraums von<br />

seiner Festsetzungsfrist Gebrauch zu machen. Er kann sie nicht zeitlich unbegrenzt geltend machen. Die Norm<br />

verhindert insbesondere, dass der Zeitpunkt der Geltendmachung einer Beitragsschuld zeitlich sehr stark von<br />

dem Zeitpunkt des Vorteilseintritts abweicht und das Risiko der Rechtsunsicherheit, das sich mit der Frage der<br />

Wirksamkeit von Satzungen verknüpft, einseitig in die Risikosphäre des Beitragsschuldners fällt." Das BVerfG<br />

hat die Möglichkeit einer rückwirkenden Inkraftsetzung auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der<br />

ursprünglichen nichtigen Satzung in seinem Beschluss vom 5.3.2013 ausdrücklich als eine der verfassungskonformen<br />

Gestaltungsmöglichkeiten bezeichnet.' Die Auslegung, wie sie das brandenburgische OVG dem § 8<br />

Abs. 7 S. 2 a. F. BbgKAG seit dem Jahr 2001 unterlegt hat," erweist sich damit als gebotene verfassungskonforme<br />

Auslegung, die der Gesetzgeber mit der Änderung der Vorschrift zum 1.2.2004 in einen verfassungswidrigen<br />

Zustand verwandelt hat.<br />

Nach dem Verständnis der meisten Norminterpreten hat der Gesetzgeber die (verfassungs-<br />

widrige) Norm des § 8 Abs. 7 S. 2 n.F. aber auch auf diejenigen Sachverhalte erstrecken wollen,<br />

für die eine Festsetzungsverjährung auf der Grundlage des § 8 Abs. 7 S. 2 a. F. BbgKAG<br />

bereits eingetreten wäre, wenn eine erste wirksame Satzung vorgelegen hätte. 29 Solange in<br />

einer Gemeinde oder einem Zweckverband bis zum 31.1.2004 noch keine rechtswirksame<br />

Beitragssatzung vorlag, geht davon keine echte, sondern eine unechte Rückwirkung bzw.<br />

eine tatbestandliche Rückanknüpfung aus. Denn eine Beitragspflicht kann ausweislich des<br />

§ 2 Abs. 1 BbgKAG erst mit einer (wirksamen) Satzung entstehen. 3° Solange das noch nicht<br />

der Fall ist, fehlt es an einem vollständig abgeschlossenen Sachverhalt, der den Lauf einer<br />

Frist in Gang setzen kann. Es ist insoweit zwischen den Entstehungsvoraussetzungen und<br />

dem Entstehungszeitpunkt der sachlichen Beitragspflicht zu unterscheiden: 31 Die Forderung<br />

war noch nicht entstanden. Wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene<br />

Sachverhalte für die Zukunft einwirkt, ist dies grundsätzlich zulässig.' Denn der Bürger kann<br />

nicht damit rechnen und darauf vertrauen, dass das bestehende Recht auch in Zukunft erhalten<br />

bleibt. Auch eine unechte Rückwirkung ist aber nicht grenzenlos verfassungsrechtlich zulässig.<br />

Die Grenzen der Zulässigkeit vertrauensschutzbeschränkender Regelungen ist auch<br />

bei unechten Rückwirkungen insbesondere dann überschritten, wenn die vom Gesetzgeber<br />

angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder<br />

erforderlich ist oder die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des<br />

Gesetzgebers überwiegen. Gleiches muss grundsätzlich dann gelten, wenn die unechte einer<br />

echten Rückwirkung im Ergebnis gleichkommt oder einen verfassungsgemäßen in einen verfassungswidrigen<br />

Zustand verwandelt. 33 Für den von einer Beitragspflicht betroffenen Bürger<br />

macht es keinen Unterschied, ob eine Beitragspflicht erst mit dem Inkraftsetzen einer<br />

wirksamen Satzung erstmals entsteht und im gleichen Moment verjährt ist, weil die Festsetzungsfrist<br />

rückwirkend zu laufen beginnt, oder die erste erlassene Satzung bereits wirksam<br />

war, die Festsetzungsfrist aber inzwischen verstrichen ist. Für ihn und seinen Vertrauens-<br />

26<br />

In diese Richtung auch bereits OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2001 132 (134).<br />

27<br />

Voraussetzung ist dabei, dass der Lauf der Festsetzungsfrist mit dem Datum des Inkrafttretens der ersten Satzung beginnt.<br />

BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 50.<br />

28 OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2001, 132 ff.<br />

29 Vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, NVwZ-RR 2000, 535 (537); Steiner, LKV 2009, 254 ff.; Hentschke, LKV 2009, 248 ff.<br />

3° In diesem Sinne zu Recht VfGBbg, Beschl. v. 21.9.2012, — 46/11 —; Hentschke, LKV 2004, 447 (449); derselbe LKV 2009,<br />

248 (249); a. A. Steiner, LKV 2009, 256 ff.<br />

31 Becker/Schiebold, LKV 2001, 94 (94).<br />

32 BVerfGE 101 5. 239 ff., 263; 103 S. 392 ff., 403; st. Rspr.<br />

BVerfGE 101, 5. 239 (263).<br />

7


Prof. Dr. Martini Stellungnahme ‚Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

schutz kommt es vielmehr darauf an, ob er auf der Grundlage der geltenden Rechtslage noch<br />

mit einer Heranziehung zu einem Beitrag rechnen musste. Sofern das geltende Recht die<br />

rückwirkende Inkraftsetzung einer Satzung für einen Zeitpunkt vorschreibt, der länger zurückliegt<br />

als die Festsetzungsfrist von vier Jahren, ist das nicht der Fall.<br />

Bezieht man in § 8 Abs. 7 S. 2 n.F. BbgKAG — wie von den meisten Norminterpreten vorgeschlagen<br />

— auch diejenigen Sachverhalte mit ein, bei denen auf der Grundlage der alten Fassung<br />

Festsetzungsverjährung eingetreten wäre, 34 gerät das in Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen<br />

Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, den § 8 Abs. 7 S. 2 a. F. —<br />

jedenfalls in verfassungskonformer Auslegung — sicherstellen wollte. Denn ein bis dahin verfassungsgemäßer<br />

(weil dem Gebot der Rechtssicherheit genügender) Rechtszustand wandelte<br />

sich dann (durch das nicht rückwirkende Ingangsetzen der Festsetzungsfrist zum ersten<br />

Satzungsversuch) in einen verfassungswidrigen Zustand um, der den Bürger einer verfassungswidrigen<br />

Rechtsunsicherheit aussetzt. Eine solche Interpretation ist einer Norm bei<br />

mehreren denkbaren Auslegungsvarianten grundsätzlich nicht zu unterlegen. § 8 Abs. 7 S. 2<br />

n.F. BbgKAG gibt in seinem Wortlaut nicht zweifelsfrei zu erkennen, dass er auch solche Fälle<br />

erfassen möchte, in denen eine Geltendmachung der Forderung auf der Grundlage der Vorläuferfassung<br />

(in dem Moment, in dem eine erste wirksame Satzung in Kraft tritt) nicht mehr<br />

möglich gewesen wäre. Die Vorschrift ist interpretationsoffen und insoweit einer verfassungskonformen<br />

Auslegung grundsätzlich zugänglich. Gute Argumente sprechen dafür, dass<br />

sie diejenigen Konstellationen nicht erfassen darf, in denen auf der Grundlage der alten Regelung<br />

eine Durchsetzung der Forderung nicht mehr möglich wäre. Zulässig ist eine solche<br />

verfassungskonforme Auslegung aber nur, soweit die Interpretation dadurch nicht »in Widerspruch<br />

zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers« tritt. 35 Dafür gibt es<br />

durchaus Anhaltspunkte. Darauf kommt es aber im Ergebnis nicht an.<br />

Denn dem Gesetzgeber ist es verfassungsrechtlich nicht vollständig versagt, in nicht vollständig<br />

abgeschlossene Sachverhalte (wie die vorliegenden) durch (heutiges) Gesetz einzugreifen.<br />

Der Gedanke der Belastungsgleichheit und -vorhersehbarkeit verleiht dem Bürger<br />

keinen absoluten Schutz des Inhalts, dass dem Gesetzgeber jede spätere Änderung verwehrt<br />

ist. Dieser muss für eine Änderung aber besondere Gründe vorbringen können, die dem verfassungsrechtlichen<br />

Gewicht der für den Vertrauensschutz geltenden Gründe angemessen<br />

Rechnung tragen. Streiten sowohl der Gesichtspunkt der Belastungsgleichheit und<br />

-vorhersehbarkeit als auch des Vertrauensschutzes (in Gestalt des Rückwirkungsverbots) im<br />

Verbund dafür, dass eine bestimmte Personengruppe nicht mehr zur Zahlung von Beiträgen<br />

herangezogen werden kann, ergibt sich daraus ein verfassungsrechtliches Schwellengewicht,<br />

das nicht leicht überwindbar ist. In denjenigen Fällen, in denen auf der Grundlage des § 8<br />

Abs. 7 S. 2 a. F. BbgKAG eine Abgabenerhebung nicht mehr möglich wäre, lassen sich für eine<br />

heutige Heranziehung nicht ohne Weiteres hinreichende verfassungsrechtliche Gründe für<br />

34 In Sachverhaltskonstellationen, für die diese Festsetzungsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war, weil eine<br />

wirksame Satzung bestanden hatte, können Abgaben nicht mehr erhoben werden. In diesen Fällen liegt ein Fall<br />

der echten Rückwirkung vor, der regelmäßig verfassungsrechtlich unzulässig ist.<br />

35 BVerfGE 112, 164 (183). Ist eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung möglich, dann kommt es<br />

nicht darauf an, ob dem subjektiven Willen des Gesetzgebers die weitergehende, mit dem Grundgesetz nicht zu<br />

vereinbarende Auslegung eher entsprochen hätte. BVerfG, NJW 1982, 1375 (1378).<br />

8


Prof. Dr. Martini Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen<br />

eine Heranziehung der Beitragszahler finden. Der Gesetzgeber wagt sich in eine verfassungsrechtlich<br />

problematische Zone vor, wenn er die Heranziehung dieser Gruppe von Beitragspflichtigen<br />

zulässt. Der verfassungsrechtlich sichere Weg bestünde darin, die Erhebung von<br />

Anschlussbeiträgen für diejenige Gruppe auszuschließen, für die auf der Grundlage der Geltung<br />

des § 8 Abs. 7 S. 2 a. F. BbgKAG die Festsetzungsfrist deshalb abgelaufen wäre, weil seit<br />

dem ersten Satzungsversuch bis zum 21.2.2004 bereits mehr als vier Jahre verstrichen waren.<br />

2. b) Welche Auswirkungen hat der Beschluss des BVerfG auf <strong>Brandenburg</strong>?<br />

aa j Unmittelbare Auswirkungen<br />

Unmittelbar hat die Entscheidung nur für das <strong>Land</strong> Bayern Bedeutung. Es bindet zwar alle<br />

Hoheitsträger — auch die Verfassungsorgane der Länder sowie alle Gerichte und Behörden<br />

(§ 31 Abs. 1 BVerfGG). Die Unvereinbarkeitserklärung mit der Verfassung, die das BVerfG auf<br />

die Verfassungsbeschwerde hin ausgesprochen hat, hat nach § 31 Abs. 2 S. 2 BVerfGG auch<br />

Gesetzeskraft. Die Bindungswirkung der Entscheidung reicht aber nur so weit, wie das<br />

BVerfG in der Sache entschieden hat.<br />

Die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG erstreckt sich auf die Entscheidungsformel<br />

und die tragenden Entscheidungsgründe, d. h. diejenigen Begründungsteile, die nicht hinweggedacht<br />

werden können, ohne dass die Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts seine<br />

Grundlage verliert. Entsprechend beschränkt sich die Gesetzeskraft der Entscheidung nach<br />

§ 31 Abs. 2 S. 2 BVerfGG auf die verfahrensgegenständlichen, in der Entscheidungsformel<br />

genannten Normen (in der Auslegung, die sich aus den Entscheidungsgründen ergibt)<br />

also Rechtssätze anderer Normgeber, die der streitbefange-—nichnen, für nichtig erklärten Norm inhaltlich gleichen. 36 Anderenfalls würde dem BVerfG ein Ini-<br />

aber auf Parallelnormen,<br />

tiativrecht für die allgemeine Normprüfung zugestanden. Die Normgeber paralleler Normen<br />

trifft also nicht schon aufgrund des § 31 Abs. 1 oder Abs. 2 BVerfGG eine Normaufhebungspflicht.<br />

Erst recht sind parallele Normen anderer <strong>Land</strong>esgesetzgeber nicht automatisch unwirksam.<br />

Gegenstand der Entscheidung des BVerfG vom 5.3.2013 war die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1<br />

Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG. Diese Norm dürfen die Gerichte<br />

und Verwaltungsbehörden nicht mehr anwenden. Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren,<br />

die die fragliche Norm des bayerischen <strong>Land</strong>esrechts betreffen, bleiben bis<br />

zur gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 1.4.2014 ausgesetzt bzw. sind auszusetzen.<br />

37 Zur brandenburgischen Gesetzeslage hat das BVerfG jedoch nicht judiziert, insbesondere<br />

nicht die Unvereinbarkeit der Normen des BbgKAG mit der Verfassung ausgesprochen.<br />

Ergebnis: Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erfasst nicht automatisch alle Normen<br />

des deutschen Rechts, die an dem gleichen Fehler leiden.<br />

36 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, 39. Erglfg. 2013, Rn. 162,<br />

164.<br />

BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 51.<br />

9


Prof. Dr. Ma<br />

Stellungnahme 2eitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

Als rechtsfehlerhaft erweist es sich daher auch, die dem bayerischen Gesetzgeber bis zum<br />

1.4.2014 gesetzte Frist — mit dem VG Cottbus 38 - auf die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> zu übertragen<br />

und an diesem Zeitpunkt unmittelbare Folgerungen für die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong><br />

zu knüpfen.<br />

bb) Mittelbare Auswirkungen<br />

Mittelbar hat der Beschluss aber auch für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> Bedeutung. Das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

sieht für solche Anschlussbeitragsfälle, in denen keine wirksame Satzung in Kraft<br />

getreten ist, — ebenso wie das <strong>Land</strong> Bayern — keine Höchstfrist für die Geltendmachung von<br />

Anschlussbeiträgen für leitungsgebundene Einrichtungen und Anlagen vor, die der Versorgung<br />

oder der Abwasserbeseitigung dienen. Die Beitragspflicht für diese Abgaben entsteht<br />

erst, sobald eine rechtswirksame Satzung in Kraft getreten ist (§ 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG). Wurde<br />

keine Satzung in Kraft gesetzt oder erweist sich diese als unwirksam, beginnen die Fristen<br />

zur Geltendmachung von Abgaben, auf die das Kommunalabgabengesetz in § 12 Abs. 1 Nr. 4<br />

Buchst. b verweist, nicht zu laufen. Diese Gesetzeslage erweist sich als verfassungswidrig.<br />

Bescheide, die auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhen, sind rechtswidrig,<br />

können aber in Bestandskraft erwachsen. Die Verfassungswidrigkeit festzustellen, steht nicht<br />

jedem Gericht zu. Vielmehr ist das Recht, die Unvereinbarkeit einer Norm mit dem GG festzustellen,<br />

beim BVerfG monopolisiert. Der Richter hat das Verfahren auszusetzen und die<br />

Entscheidung des BVerfG vorzulegen, soweit es für seine Entscheidung auf die Verfassungsmäßigkeit<br />

der Norm ankommt und er die Norm für verfassungswidrig hält (Art. 100 Abs. 1<br />

S. 1 GG).<br />

3. Welche verschiedenen Fallkonstellationen in Bezug auf das brandenburgische<br />

Kommunalabgabengesetz sind von dem Beschluss des BVerfG betroffen?<br />

Betroffen sind diejenigen Konstellationen, in denen die Festsetzungsfrist nicht zu laufen begonnen<br />

hat, weil<br />

• über einen sehr langen Zeitraum überhaupt keine Satzung in Kraft getreten ist,<br />

• die in Kraft getretene Satzung sich als rechtsunwirksam erweist<br />

(§ 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG),<br />

seit Eintritt der Vorteilslage aber erhebliche Zeit verstrichen ist.<br />

38 In diese Richtung aber wohl VG Cottbus, Beschl. v. 8.5.2013 — VG 6 L 328/12, S. 18 A.U.<br />

10


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme “Zettliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeit agen"<br />

4. Ergibt sich daraus aus Ihrer Sicht ein Änderungsbedarf beim KAG des <strong>Land</strong>es<br />

<strong>Brandenburg</strong>?<br />

5. Sind im brandenburgischen KAG gesetzgeberische Änderungen notwendig,<br />

damit die Vorschriften des brandenburgischen .KAG im Einklang mit höherrangigem<br />

Recht und der Rechtsprechung des BVerfG stehen?<br />

Ja, gegenwärtig genügt das brandenburgische KAG, wenn man die Rechtsprechung des<br />

BVerfG zugrunde legt, nicht den Anforderungen an eine zeitliche Befristung, die das Rechtsstaatsprinzip<br />

in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienende Gebot der Belastungsklarheit<br />

und -vorhersehbarkeit verlangt. Der Gesetzgeber muss eine Regelung vorsehen, die<br />

der Erhebung der Abgabe (jedenfalls im Ergebnis) eine zeitlich bestimmte Grenze setzt.'<br />

Für den Fall unwirksamer oder fehlender Satzungen sieht das brandenburgische Gesetz gegenwärtig<br />

grundsätzlich keine solche Höchstfrist vor, die sich dem Gesetz mit hinreichender<br />

Klarheit entnehmen lässt.<br />

In der Ausgestaltung der abgabenrechtlichen Fristenregelungen ergibt sich bisher eine<br />

Schieflage: Nach Inkrafttreten einer wirksamen Satzung ist die Festsetzungsfrist auf vier Jahre<br />

begrenzt. Besteht keine wirksame Satzung, endet die Möglichkeit zur Geltendmachung<br />

von Ansprüchen nicht.<br />

Davon geht zum einen eine bedenkliche Anreizstruktur aus: Erlassen die Aufgabenträger eine<br />

fehlerhafte Satzung, steht ihnen ein deutlich längerer Zeitraum zur Geltendmachung ihrer<br />

Ansprüche aus Beiträgen zur Verfügung, als wenn sie eine wirksame Satzung erlassen. Es ist<br />

in der Öffentlichkeit der Verdacht entstanden, dass dies den einen oder anderen Zweckverband<br />

dazu veranlasst hat, bewusst rechtsfehlerhafte Satzungen zu erlassen, um hinreichend<br />

Zeit zur Geltendmachung der Forderung zur Verfügung zu haben. Nicht nur erweist sich diese<br />

Anreizstruktur als sachwidrig, sondern vor allem als mit dem Gedanken der Rechtssicherheit<br />

in Gestalt des Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht vereinbar.<br />

Zwar wäre grundsätzlich eine verfassungskonforme Auslegung methodisch denkbar, die -<br />

entsprechend der Rechtsprechung des BVerwG 4° - der Anwendung der Sachverhalte in Anlehnung<br />

an die Verjährungsfrist des § 195 BGB a. F. eine Höchstfrist von 30 Jahren als »eine<br />

zutreffende Konkretisierung« der Gedanken von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden unterlegt.<br />

41 Das BVerfG lässt das aber nicht ausreichen, sondern nimmt den Gesetzgeber selbst in<br />

die Pflicht: »Es ist Aufgabe des Gesetzgebers,' die berechtigten Interessen der Allgemeinheit<br />

am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung<br />

von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.« <strong>43</strong><br />

Nimmt man die Rechtsprechung des BVerfG beim Wort, sind nicht nur Regelungen des kommunalen Abgabenrechts,<br />

sondern auch andere Sachbereiche betroffen und womöglich dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit<br />

unterworfen, in denen der Staat gegenüber dem Bürger Zahlungsansprüche geltend machen kann, welche bis-<br />

" BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 46.<br />

4° BVerwG, LKV 2009, 129 (131, Rn. 13).<br />

" Hervorhebung d. Verf.<br />

42 Hervorhebung d. Verf.<br />

<strong>43</strong> BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 46.<br />

11


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme ‚Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

lang keiner ausdrücklichen Höchstfrist unterworfen sind. Das betrifft insbesondere den Rückforderungsanspruch"<br />

nach § 1 Abs. 1 BbgVwVfG I. V. m. § 49a Abs. 1 BVwVfG. Wie im Falle des brandenburgischen KAG<br />

hängt die Geltendmachung des Anspruchs hier von einem Akt der Behörde, nämlich der Festsetzung einer Zahlungsverpflichtung<br />

auf der Grundlage einer rückwirkenden Aufhebung eines vorangegangenen begünstigenden<br />

Verwaltungsaktes, ab. Zwischen der Gewährung des staatlichen Vorteils und der Forderung nach einem Ausgleich<br />

kann ein sehr langer Zeitraum liegen, der das Bedürfnis nach Rechtssicherheit auslöst. 45<br />

Das BVerwG hat sich in seiner Rechtsprechung mit diesen Konstellationen in der Vergangenheit bereits auseinandergesetzt.<br />

Es sieht den Rückforderungsanspruch" einer 30-jährigen Verjährungsfrist unterworfen. Das<br />

Gesetz formuliert diese nicht ausdrücklich. Das BVerwG entnimmt diese Frist einem allgemeinen (auch nach<br />

Inkrafttreten der Schuldrechtsreform fortgeltenden) Rechtsgedanken. 47 Dieser allgemeine Rechtsgedanke, den<br />

das BVerwG für das öffentliche Recht entwickelt hat, beansprucht grundsätzlich auch für die Verjährung abgabenrechtlicher<br />

Ansprüche Geltung. Das BVerfG verlangt dem Gesetzgeber aber eine klare normative Entscheidung<br />

ab. Soweit im Rahmen des §§ 49a Abs. 2 VwVfG Rechtssicherheit nicht durch andere Faktoren sichergestellt<br />

ist, ist er womöglich ebenso dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit unterworfen. Denn der Gesetzgeber<br />

selbst ist danach aufgerufen, eine klare, hinreichend konkrete Frist zu setzen: »Der Grundsatz der Rechtssicherheit<br />

verbietet es dem Gesetzgeber, (...) ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe<br />

eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.« 48<br />

6. Wie können diese Änderungen ausgestaltet werden?<br />

7. Welche rechtlichen und tatsächlichen Folgen ziehen die in Betracht kommenden<br />

Änderungsmöglichkeiten nach sich?<br />

Für die beiden virulenten Problemfälle (vgl. oben 3.) muss der Gesetzgeber sicherstellen,<br />

dass die Beiträge nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können.<br />

Der Empfänger des Vorteils muss »in zumutbarer Zeit darüber Klarheit gewinnen können, ob<br />

und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss«. 49 Dem<br />

44 Für die Befugnis zur Rücknahme selbst sehen die meisten Autoren in den gesetzlichen Rücknahmeregelungen des § 48<br />

Abs. 2 und 4 VwVfG ein differenziertes und abgewogenes Vertrauensschutzkonzept, das den Faktor Zeitablauf in hinreichend<br />

rechtssicherer Weise rechtlich umsetzt. Vgl. BeckRS 2009, 41534; Erfmeyer, VR 1999, 48 (51 f.). Für den Bereich des<br />

Sozialrechts ist das BSG demgegenüber zu dem Ergebnis gelangt, dass ein rechtswidriger Sozialleistungsbescheid mit Dauerwirkung<br />

30 Jahre nach seinem Erlass selbst dann nicht mehr mit Rückwirkung zurückgenommen kann, wenn er durch arglistige<br />

Täuschung erwirkt worden ist (BSGE 72, 139 [145<br />

45 Für das Sozialrecht enthält § 50 Abs. 4 SGB X zwar eine Verjährungsfrist von 4 Jahren. Sie beginnt nach Ablauf des Kalenderjahres,<br />

in dem der Rückforderungsbescheid unanfechtbar geworden ist, Auch sie schließt es aber nicht aus, dass zwischen<br />

der Gewährung und der Rückforderung des Vorteils eine zeitlich nicht bestimmbare, für den Bürger unsichere Zeitspanne<br />

verstreichen kann. Um dem Gedanken der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen, müsste der Gesetzgeber das Rücknahmerecht<br />

der Verwaltung selbst einer Verjährung unterwerfen. Anderenfalls hätte die Verwaltung die Möglichkeit und<br />

einen Anreiz, die Verjährung dadurch beliebig nach hinten zu schieben, dass sie nach der Rücknahme den Festsetzungsbescheid<br />

für die Rückforderung zeitlich aufschiebt. In diesem Sinne kritisch auch Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen<br />

Recht, 5. 375 f.<br />

48 Für den Zinsanspruch nach § 49 Abs. 2 VwVfG gilt etwas anderes. Die Verwaltungsgerichte wenden auf diesen Fall die<br />

Dreijahresfrist des § 195 BGB n.F. analog an. BVerwG, NVwZ 2011, 949 (954, Rn. 50); OVG Sachsen, NVwZ-RR 2013, 82; HessVGH,<br />

BeckRS 2012, 46951; OVG Thüringen, BeckRS 2011, 53681,<br />

47 BVerwG, NVwZ 2011, 949 ff.<br />

48 BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 46. Daraus ergeben sich zwei mögliche Interpretationswege: Entweder ist mithin<br />

dem BVerfG der allgemeine Rechtsgedanke als dem Rechtsstaatsprinzip genügender Fristrahmen nicht hinreichend präzise<br />

und ausreichend, um Rechtssicherheit herzustellen (dann ist konsequenterweise auch § 49a VwVfG dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit<br />

ausgesetzt) oder es hält für den konkreten Fall des Abgabenrechts eine 30-jährige Verjährungsfrist für verfassungsrechtlich<br />

unzureichend.<br />

49 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 50.<br />

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Prof. Dr, Martini - Stellungnahme ,Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

Gesetzgeber stehen mehrere Möglichkeiten offen, um diesem Gebot zu entsprechen. Siehe<br />

dazu im Einzelnen die Antwort auf Frage 11.<br />

8. Ist die <strong>Brandenburg</strong>er Regelung des § 8 Abs. 7 5. 2 KAG unvereinbar mit<br />

dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit?<br />

Ja, in ihrer gegenwärtigen Form stellt sie nicht sicher, dass ein Vorteilsempfänger immer in<br />

zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten<br />

Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss (vgl. auch die Antwort zu Frage 4 und 5)<br />

9. Ist die Beitragserhebung bei Altanschließern verfassungswidrig?<br />

Nicht generell. Als Altanschließer gelten gemeinhin solche Personen, die vor dem Inkrafttreten<br />

des KAG an eine leitungsgebundene Wasserversorgung oder Abwasserentsorgungseinrichtung<br />

angeschlossen waren oder angeschlossen werden konnten. 5° Für diese Altanlagen<br />

sind dem Aufgabenträger keine Kosten entstanden, Denn diese Altanlagen waren den Gemeinden<br />

und Verbänden kostenlos zu übertragen (§ 1 Abs. 1 S. 3 des Gesetzes zur Privatisierung<br />

und Reorganisation des volkseigenen Vermögens i. V. m. § 1 5. 1 und § 6 Abs. 1 des<br />

Kommunalvermögensgesetzes). Viele Verbände haben davon abgesehen, alt angeschlossene<br />

Grundstücke zu bescheiden.<br />

Altanschließer werden aber (abgesehen von der Übernahme von Verbindlichkeiten) nicht für<br />

Investitionen in leitungsgebundene Einrichtungen oder Anlagen herangezogen, die vor dem<br />

3.10.1990 entstanden sind. Das stellt § 18 BbgKAG ausdrücklich klar. Vielmehr werden die<br />

Altanschließer für den ihnen nach dieser Zeit tatsächlich entstandenen Investitionsaufwand<br />

der Aufgabenträger herangezogen.<br />

Im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> war geraume Zeit unklar, ob die Altanschließer zu Beiträgen herangezogen<br />

werden können. Auch das Innenministerium des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> sowie zahlreiche<br />

Aufgabenträger haben über einen längeren Zeitraum die Ansicht vertreten, alt angeschlossene<br />

Grundstücke seien nicht zu einem erstmaligen Herstellungsbeitrag heranzuziehen.<br />

51<br />

Das OVG <strong>Brandenburg</strong> hat die Erhebung von Anschlussbeiträgen von Altanschließern im Jahr<br />

2001 als rechtmäßig eingestuft. 52 Es hebt dabei vor allem auf den Dauervorteil ab, der den<br />

Grundstücken durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen entsteht<br />

(§ 8 Abs. 2 S. 2 BbgKAG). Außerdem sieht es erst mit dem Einigungsvertrag die Wasserversorgung<br />

und Abwasserbeseitigung wieder als kommunale Aufgaben hergestellt. Es sieht<br />

»vor dem Hintergrund einer gleichmäßigen und gerechten Beteiligung aller durch die An-<br />

5° Vgl. dazu etwa Schmidt-Wottrich, LKV 2008, 355 (355).<br />

sl Schmidt-Wottrich, LKV 2008, 355 (355).<br />

52 OVG <strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 12. 4. 2001 — 2 D 73/O0.NE —; OVG <strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 5.12.2001 — 2 A 611/00; vgl. auch VG<br />

Schwerin, Urt. v. 11.4.2013 —4 A 1250/12, S. 20 ff A.U.<br />

13


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

schlussmöglichkeit zu der öffentlichen Einrichtung bevorteilten Grundstücke« die Beteiligung<br />

der Altanschließer an den dadurch entstandenen Kosten als geboten an.'<br />

Für die Grundstücke, die am 3.10.1990 bereits bebaut und an eine leitungsgebundene Einrichtung<br />

oder Anlage tatsächlich angeschlossen oder anschließbar waren, lässt das Gesetz als<br />

Ausgleich zu, verminderte Herstellungsbeiträge zu erheben (§ 8 Abs. 4a BbgKAG). Darüber<br />

hinaus besteht allgemein die Möglichkeit der Stundung und des Erlasses von Ansprüchen aus<br />

dem Abgabeschuldverhältnis vor, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig<br />

wäre (§ 12c BbgKAG).<br />

Eine andere Frage ist es, ob Altanschließer aufgrund des Ablaufs von Festsetzungs- bzw.<br />

Verjährungsfristen — insbesondere unter Geltung des § 8 Abs. 2 S. 2 a. F. BbgKAG — noch zu<br />

Beitragszahlungen herangezogen werden können (vgl. dazu im Einzelnen die Antwort auf die<br />

Frage 2. a)<br />

10. Welche allgemeinen Verjährungsregelungen gibt es im Beitrags- und Abgabenrecht<br />

des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>? Wie berechnen sich diese Fristen?<br />

Im brandenburgischen Recht finden sich verschiedene gesetzliche Spezialregelungen zur Verjährung<br />

von Ansprüchen. Sie sind ein geeigneter Anknüpfungspunkt zur systemgerechten<br />

Festlegung einer Verjährungsfrist für Beitragsforderungen im Sinne des § 8 Abs. 7 S. 2 Bbg-<br />

KAG.<br />

Als Regelfall kennt das brandenburgische Recht — so lässt sich allgemein sagen — eine Verjährungsfrist<br />

von vier bzw. fünf Jahren.<br />

a) Verjährungsregelungen im brandenburgischen Abgabenrecht<br />

• § 23 Abs. 1 und 2 Gebührengesetz <strong>Brandenburg</strong> (GebGBbg) setzt für die Festsetzung und<br />

den Anspruch auf Zahlung festgesetzter Gebühren oder Auslagen eine vierjährige Frist<br />

fest. Die Festsetzungsverjährung beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem die Gebühren- o-<br />

der Auslagenschuld entstanden ist. Die Zahlungspflicht beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres,<br />

in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 23 Abs. 1 S. 2; § 23<br />

Abs. 2 S. 2 GebGBbg).<br />

• Den Anspruch auf Zahlung der Abgabe und der Anspruch auf Erstattung überzahlter Beträge<br />

lässt das brandenburgische Abwasserabgabengesetz in einem Zeitraum von fünf<br />

Jahren verjähren. »Die Verjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe<br />

fällig geworden oder in dem der Erstattungsanspruch entstanden ist.« (§ 12 Abs. 2<br />

<strong>Brandenburg</strong>isches Abwasserabgabengesetz [BbgAbwAG]).<br />

• Ansprüche aus der Verordnung über die Feldes- und Förderabgabe im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

verjähren binnen fünf Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres,<br />

in dem der Anspruch erstmalig fällig geworden ist, jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahres,<br />

in dem die Festsetzung oder die Aufhebung oder Änderung der Festsetzung des<br />

53 OVG <strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 3.12.2003 — 2 A 733/03 —.<br />

14


Prof. Dr. Martini Stellungnahme ‚Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

Anspruchs wirksam geworden ist (§ 9 Abs. 1 und 2 <strong>Brandenburg</strong>ische Förderabgabeverordnung<br />

[BbgFördAV]).<br />

Wie im allgemeinen Kommunalabgabenrecht knüpft der Gesetzgeber den Verjährungsbeginn<br />

für Ansprüche aus der Verordnung über die Feldes- und Förderabgabe an die Festsetzung<br />

des Anspruchs an. § 9 Abs. 1 und 2 <strong>Brandenburg</strong>ische Förderabgabeverordnung<br />

ist damit grundsätzlich ähnlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterworfen wie § 8<br />

Abs. 7 5. 2 BbgKAG. Denn der Abgabeschuldner hat keinen sicheren Anhaltspunkt für den<br />

Zeitpunkt, ab dem er mit einer Zahlungspflicht nicht mehr zu rechnen braucht, sofern der<br />

Anspruch nicht festgesetzt worden ist.<br />

• Für die Verjährung der Beitragsforderung für den Rundfunkbeitrag verweist § 7 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages<br />

vom 9.6.2011 auf die Vorschriften des BGB.<br />

b) <strong>Brandenburg</strong>ische Verjährungsregelungen außerhalb des Abgabenrechts:<br />

• Ansprüche aus dem <strong>Brandenburg</strong>ischen Nachbarrechtsgesetz verjähren nach § 4 des Gesetzes<br />

nach den Vorschriften des BGB.<br />

• Entschädigungsansprüche für Schäden, die jemand durch Maßnahmen der Ordnungsbehörden<br />

erleidet, verjähren nach § 40 des Ordnungsbehördengesetzes in drei Jahren von<br />

dem Zeitpunkt an, in welchem der Geschädigte von dem Schaden und von der zur Entschädigung<br />

verpflichteten Körperschaft Kenntnis erlangt; ohne Rücksicht auf diese Kenntnis<br />

in 30 Jahren von der Entstehung des Entschädigungsanspruchs an.<br />

• Schadensersatzpflichten der Beamtinnen und Beamten gegenüber ihrem Dienstherrn wegen<br />

vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung ihrer Pflichten verjähren grundsätzlich<br />

in drei Jahren. Die Frist beginnt zu dem Zeitpunkt, in dem der Dienstherr von dem Schaden<br />

und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Hat er keine Kenntnis, verjährt<br />

der Anspruch in zehn Jahren von der Begehung der Handlung an (§ 60 brandenburgisches<br />

<strong>Land</strong>esbeamtengesetz). Gleiches gilt für die Haftung ehrenamtlich Tätiger gegenüber ihrer<br />

Gemeinde (§ 25 Abs. 3 S. 1 Kommunalverfassung des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>).<br />

Das Regelungskonzept dieser Vorschriften ist prima facie als Vorbild für die Verjährung von<br />

Forderungen des Kommunalabgabenrechts geeignet. Ihr liegt ein gestuftes Regelungskonzept<br />

zugrunde: Ist der Anspruchsgegner bekannt, greift eine kurze Frist. Kann der Anspruchsgläubiger<br />

den Anspruch nicht geltend machen, weil dafür die tatsächlichen Grundlagen<br />

fehlen, greift eine 10-jährige Frist. Legt man die gleiche Wertung an das Kommunalabgabenrecht<br />

an, spricht zunächst viel für eine kürzere Frist als eine 10-jährige Frist. Denn dass<br />

der Beitragsgläubiger seinen Anspruch nicht geltend machen kann, liegt bei der Geltendmachung<br />

von Beiträge nach dem KAG — anders als die Unkenntnis über die Person des Schadensersatzpflichtigen<br />

im Beamtenrecht — in der Zurechnungs- und Verantwortungssphäre<br />

des Anspruchsgläubigers, nicht des Anspruchsgegners. Allerdings ist das Verhältnis zwischen<br />

dem Dienstherrn und seinem Beamten von einer Fürsorgepflicht getragen, die dem Verhältnis<br />

zwischen Beitragsschuldner und Beitragsgläubiger im Kommunalabgabenrecht in dieser<br />

Form nicht vergleichbar ist. Darüber hinaus sind die Sachgesetzlichkeiten und die Komplexität<br />

der Festsetzung von Anschlussbeiträgen von anderer Qualität als die Geltendmachung<br />

von Schadensersatzansprüchen gegenüber Beamten.<br />

15


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme :Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

c) Verjährungsregelungen im allgemeinen Öffentlichen Recht<br />

Zur Länge der Verjährung im allgemeinen öffentlichen Recht finden sich sehr facettenreiche<br />

Gestaltungen, die - je nach Materie - eine Verjährungsfrist von 6 Monaten, einem Jahr, 18<br />

Monaten, 2, 3, 4, 5, 10 und 30 Jahren umfassen» Ausschließlich relative Verjährungsfristen,<br />

die erst ab Kenntnis oder Erkennbarkeit für den Berechtigten beginnen, sind dabei im Öffentlichen<br />

Recht selten. 55 Das BVerwG hält sie auch für problematisch. 56<br />

Soweit es an einer expliziten gesetzlichen Regelung der Verjährung im Öffentlichen Recht<br />

fehlt, schließt die Rechtsprechung die Lücke regelmäßig im Wege der Analogie. 57 Welche<br />

Verjährungsregelung als die »sachnächste« analog heranzuziehen ist, beurteilt das BVerwG<br />

nach dem Gesamtzusammenhang der für den jeweiligen Anspruch maßgebenden Rechtsvorschriften<br />

und der Interessenlage 58 .<br />

Allerdings sind die meisten zivilrechtlichen Verjährungsfristen nicht analogiefähig, da sie spezifisch<br />

auf Privatrechtsverhältnisse und ihre Ausgangslagen zugeschnitten sind.'<br />

Denkbar ist für den Fall einer Geltendmachung von Forderungen, die dem Anspruchsgläubiger<br />

ein von ihm abhängiges Recht verleihen, allenfalls eine Analogie zum Rechtsgedanken<br />

des § 200 BGB a. F. Die Vorschrift hat für solche Fälle, in denen die Entstehung eines Anspruchs<br />

davon abhängt, dass der Berechtigte von einem Anfechtungsrecht Gebrauch macht,<br />

das ihm zusteht, die Verjährungsfrist bereits zu dem Zeitpunkt laufen lassen, von dem an die<br />

Anfechtung zulässig ist. Der Sachgesetzlichkeit und Komplexität der verschiedenen Regelungsmaterien<br />

des Zivilrechts und des Öffentlichen Rechts wird das aber wohl nicht vollständig<br />

gerecht.<br />

Für diejenigen Konstellationen, in denen der Anspruchsgläubiger eine Forderung deshalb<br />

nicht geltend machen kann, weil er den Anspruch oder seinen Schuldner nicht kennt, hält<br />

das Gesetz durchaus analogiefähige Regelungen vor: Nach § 199 Abs. 4 BGB verjähren Ansprüche<br />

auch dann, wenn der Anspruchsinhaber keine Kenntnis oder in grob fahrlässiger<br />

Unkenntnis über den Anspruch oder seinen Anspruchsgegner war, in 10 Jahren von ihrer<br />

Entstehung an. 60 Der Anspruchsgegner soll dadurch davor geschützt werden, »nach Jahr und<br />

Tag« noch in Anspruch genommen zu werden, obwohl er damit nicht mehr rechnen musste.<br />

Eine Analogie zu der 10-jährigen Verjährungsfrist des § 199 Abs. 4 BGB erweist sich für das<br />

öffentliche Recht als allgemeine Regelfrist grundsätzlich als sachgerecht. 61<br />

54 Vgl. dazu umfassend Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 2004.<br />

55 Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 5. 357.<br />

56 BVerwGE 132, 324.<br />

57 In diesem Sinne ausdrücklich BVerwG, Teilurt. v. 21.10.2010, NVwZ 2011, 949 (949); Bundesfinanzhof, Urt. v. 7.7.2009 —<br />

VII R 24/06, BeckRS 2009, 24003766; Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 5. 362 f. mit zahlreichen weiteren<br />

Nachweisen,<br />

58 BVerwG, Teilurt. v. 21.10.2010, NVwZ 2011, 949 (949).<br />

59 Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, S. 365.<br />

6° Kritisch zur analogen Anwendbarkeit der Vorschrift auf das Öffentliche Recht Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen<br />

Recht, 5.593 f.<br />

61 In diese Richtung auch Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, S. 595<br />

16


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

Der Situation eines späten Laufs der Festsetzungsfrist als Folge einer fehlenden rechtlichen<br />

Möglichkeit zur Geltendmachung eines Beitragsanspruchs gleicht auch die Konstellation bei<br />

Altlasten. Hier stellt sich die ähnliche Frage, wann die Verjährung beginnt, wenn die Geltendmachung<br />

des Anspruchs aus tatsächlichen Gründen früher nicht möglich gewesen ist. 62<br />

Für diese Konstellation finden sich in der Literatur sehr unterschiedliche Lösungsvorschläge.<br />

Während manche eine 30-jährige Verjährung - beginnend mit dem Vorliegen sämtlicher<br />

Tatbestandsvoraussetzungen, die für das Handeln der Behörde notwendig sind - vorschlagen,'<br />

sehen andere den Gesetzgeber zur Festsetzung einer Frist gefordert. 64<br />

Soweit spezielle Verjährungsfristen, sei es aus dem BGB, sei es aus anderen gesetzlichen Regelungen,<br />

nicht analogiefähig sind, hat das BVerwG ebenso wie das BSG 65 und der BFH in der<br />

30-jährigen Regelverjährung des § 195 BGB a. F. - auch nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform<br />

im Zivilrecht, die bewusst keine Änderungen für das öffentliche Recht bewirken wollte'<br />

- den Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens gesehen: 6' Nach Ablauf von 30<br />

Jahren dürfe eine einmal getroffene Regelung keinesfalls mehr infrage gestellt werden. 68<br />

Ergebnis: Analogien zu Sonderregelungen von Verjährungsfristen sind bei der Festsetzung<br />

von Anschlussbeiträgen nur bedingt möglich. Die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte<br />

zieht im Zweifel die 30-jährige Verjährungsfrist des § 195 a. F. BGB heran. Mindestens<br />

ebenso sachgerecht ist aber eine Anknüpfung an die 10-jährige Verjährungsfrist des § 199<br />

Abs. 4 BGB als allgemeiner Regelverjährungsfrist.<br />

11. Welche anderen Vorschläge für eine solche zeitliche Begrenzung wären<br />

aus Ihrer Sicht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für das<br />

<strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> ebenso denkbar?<br />

Dem Gesetzgeber steht eine breite Palette von Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Er<br />

muss dabei aber im Ergebnis sicherstellen, dass die Behörden Abgaben zeitlich nicht unbegrenzt<br />

nach Eintritt der Vorteilslage festsetzen können.<br />

a) Rechtstechnische Gestaltungsmöglichkeiten<br />

In Betracht kommen insbesondere folgende rechtstechnische Gestaltungsmöglichkeiten':<br />

62 Vgl. dazu Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 2004, S. 381 ff.; Martensen, NVwZ 1997, 442 (445)<br />

63 Wieland, Die Verjährungsproblematik im Altlastenrecht, 1999, 5. 175.<br />

63<br />

Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 5. 383.<br />

bs BSGE 72, 139 (145 f.) = NVwZ-RR 1994, 628; kritisch Erfmeyer, VR 1999, 48<br />

66 »Dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz lässt sich nichts dafür entnehmen, dass das Verhältnis von Rechtssicherheit<br />

und Rechtsfrieden einerseits und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung andererseits neu bestimmt werden müsste.«<br />

BVerwGE 132, 324, Rn. 13.<br />

67 BVerwGE 132, 324 = LKV 2009, 129 (130); BVerwG, Teilurt. v. 21.10.2010, NVwZ 2011, 949 (949); zustimmend BFHE 225,<br />

524 (534 ff.)<br />

BSGE 72, 139 (145 f.) = NVwZ-RR 1994, 628; kritisch Erfmeyer, VR 1999, 48.<br />

69 Vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 50.<br />

17


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

• die Festsetzungsfrist einheitlich mit dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, zu dem die<br />

Vorteilslage verwirklicht worden ist. Der Lauf der Festsetzungsfrist ist dann vom Inkrafttreten<br />

einer Beitragssatzung entkoppelt.<br />

• die Festsetzungsfrist zwar nicht unmittelbar mit der Verwirklichung der Vorteilslage<br />

beginnen zu lassen, sondern weiter an das Inkrafttreten einer wirksamen Satzung anzuknüpfen,<br />

aber eine auf den Eintritt der Vorteilslage bezogene, für den Beitragsschuldner<br />

konkret bestimmbare Verjährungshöchstfrist festzusetzen, nach deren Ablauf<br />

der Beitragsanspruch verjährt.<br />

• die Festsetzungsfrist zu dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, zu dem die erste Satzung<br />

formell in Kraft getreten ist (selbst wenn diese Satzung sich später nicht als rechtswirksam<br />

erweist). Eine spätere zur Heilung eines Rechtsmangels erlassene wirksame<br />

Satzung ist dann rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der<br />

ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen. 7° Dem Gesetzgeber steht es dann<br />

frei, in diesem Fall die Festsetzungsfrist zu verlängern, Regelungen der Verjährungshemmung<br />

oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen<br />

unwirksamer Satzungen zu verbinden.' Der Gesetzgeber ist damit nicht darauf festgelegt,<br />

die bisherige brandenburgische Vierjahresfrist für die Festsetzung auf die Fälle<br />

einer unwirksamen Satzung unbesehen zu übertragen.<br />

Zusätzlich ist dann für den Fall, dass über lange Zeit überhaupt keine Abgabensatzung<br />

erlassen wird, ergänzend eine Verjährungsfrist vorzusehen, die sicherstellt, dass der<br />

Beitragsschuldner nicht unbegrenzt zur Zahlung herangezogen werden kann.<br />

b) Fristkingc<br />

Der Gesetzesentwurf des brandenburgischen Ministeriums des Innern sieht ein gestuftes<br />

Fristensystem vor, das eine absolute Festsetzungsfrist für die Abgabeerhebung nach endgültiger<br />

Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Erneuerung oder Verbesserung der öffentlichen<br />

Einrichtung oder Anlage (§ 12 Abs. 4 Buchst. e BbgKAG-E) sowie eine absolute Verjährungshöchstfrist<br />

von 15 Jahren i. V. m. einer 10-jährigen Hemmungsregelung statuiert (§ 19 Bbg-<br />

KAG-E). Zur Vermeidung von Missverständnissen des Normanwenders sollte dabei die Vorschrift<br />

des § 19 BbgKAG-E statt der Bezeichnung »Zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich«<br />

den Titel »Verjährung von Abgaben zum Vorteilsausgleich« tragen. So lässt sich das<br />

systematische Verhältnis der Vorschrift zu den Neuregelungen § 12 Abs. 4 und zu den anderen<br />

Vorschriften des brandenburgischen Kommunalabgabengesetzes sauber abbilden.<br />

Bei der Festsetzung der Fristlänge kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum<br />

zu. 72 Der politischen Willensentscheidung der zur Gestaltung der gesellschaftlichen<br />

Rahmensetzung legitimierten Entscheidungsträger ist es überlassen, den Grundkonsens zu<br />

finden, der einer gerechten Abwägung der widerstreitenden Interessen entspricht. Eine absolute<br />

Grenze lässt sich insoweit verfassungsrechtlich nur schwer ziehen. Allgemein gilt: Je<br />

größer der politische Konsens, auf dem die Festsetzung der Verjährungsfrist in einem gesetz-<br />

70 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 50.<br />

BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 50.<br />

72 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 46.<br />

18


Prof. Dr. Martini — Stellungnahme “Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

lichen Akt fußt, umso eher geht davon eine Vermutung aus, dass der gefundene Kompromiss<br />

dem politischen Gestaltungswillen des Volkes und einer gerechten Abwägung entspricht.<br />

Die Festsetzung der Frist ist dabei aber dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und dem Gedanken<br />

der Systemgerechtigkeit sowie dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unterworfen:<br />

Die Länge der Frist darf nicht deutlich über das hinausgehen, was zur Zielerreichung,<br />

insbesondere zur Herstellung von Abgabengerechtigkeit und Belastungsgleichheit, geeignet,<br />

erforderlich und angemessen ist.' Die Frist ist darauf zu überprüfen, ob sie einen zumutbaren<br />

und angemessenen Interessenausgleich herstellt. Der Gesetzgeber darf dabei nicht einzelne<br />

Gruppen von Schuldnern gegenüber anderen Schuldnern ohne erkennbaren Sachgrund<br />

unterschiedlich behandeln. Bei der Ausgestaltung der Verjährungsfrist hat der Gesetzgeber<br />

den Gleichheitssatz dadurch zu beachten, dass er willkürliche Benachteiligungen einzelner<br />

Beitragsschuldner gegenüber anderen ausschließt. 74 Unterschiedliche Fristen müssen von<br />

einem sachlich rechtfertigenden Grund getragen sein. Die Differenzierung von Verjährungsfristen<br />

darf insbesondere nicht im inneren Widerspruch zur Gesamtkonzeption des Regelungssystems<br />

stehen, dem sie angehört und welches sich der Gesetzgeber selbst vorgegeben<br />

hat." Ein einmal gewähltes System muss der Gesetzgeber konsequent und folgerichtig fortführen.<br />

Gleichbehandlung verlangt dabei nicht Uniformität, sondern Gleichmäßigkeit des<br />

Maßstabes. Differenzierungen müssen sich auf einen sachlich nachvollziehbaren Grund zurückführen<br />

lassen. Jede Systemdurchbrechung erhöht die Rechtfertigungslast. 76<br />

aa) Verhältnismäßigkeit — Abwägung zwischen den berechtigten Interessen der Beitragsschuldner<br />

und der Aufgabenträger bzw. des Staates<br />

Bei der Festsetzung der Frist in Abwägung der unterschiedlichen Interessen sind insbesondere<br />

zu berücksichtigen:<br />

- das Interesse an der Durchsetzung von normativen Gestaltungsentscheidungen des Gesetzgebers.<br />

Der Gesetzgeber des KAG drückt an verschiedenen Stellen dem normativen Willen<br />

deutlich aus, auf die Erhebungsmöglichkeit für Beiträge nicht verzichten zu wollen. So<br />

sieht etwa § 12 Abs. 3a S. 1 BbgKAG vor, dass bei der Erhebung von Anschlussbeiträgen im<br />

Bereich der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung die Festsetzungsfrist frühestens mit<br />

Ablauf des 31.12.2011 endet, es sei denn, es war bereits zum 2.10.2008 Festsetzungsverjährung<br />

eingetreten (§ 12 Abs. 3 S. 2 BbgKAG).<br />

- die grundsätzliche Verpflichtung, Herstellungsmaßnahmen über Abgaben zu finanzieren<br />

und das öffentliche Interesse daran, Beitragsausfälle zu vermeiden sowie Abgabengerech-<br />

73 In diesem Sinne BVerfG, Beschl. v. 10.10.2012, 1 BVL 6/07, NJW 2013, 145 (Rn. 63) — bezogen auf einen Fall unechter<br />

Rückwirkung; für das Unionsrecht ausdrücklich etwa EuGH (Vierte Kammer), Urt. v. 5.5.2011, C-201/10, Sig. 2011, 1-3545,<br />

Rn. 37.<br />

Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, S. 359 f.<br />

75 Vgl. etwa BVerfGE 9, S. 20 (28); 34, 5. 103 (115); 36, 5. 383 (394); zum Gebot der Folgerichtigkeit staatlichen Handelns<br />

etwa BVerfGE 115, S. 276 ff.; EuGH, EuZW 2011, 5. 841 (845, Rn. 56); Cornils, Rationalitätsanforderungen an die parlamentarische<br />

Rechtsetzung im demokratischen Rechtsstaat, DVBI 2011, S. 1053 (1054 ff.); Grzeszick, Grundsatzfragen der Rechtsetzung<br />

und Rechtsfindung, VVDStRL 71 (2012), 5. 51 ff.; Payandeh, Das Gebot der Folgerichtigkeit: Rationalitätsgewinn o-<br />

der Irrweg der Grundrechtsdogmatik?, AöR 136 (2011), S. 579 ff.<br />

76 Martini, der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, 5. 638.<br />

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Prof. Dr. Martini'- Stellungnahme ,Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

tigkeit als »Höchstwert der Abgabengestaltung« 77 unter den Abgabeschuldnern (Art. 3<br />

Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 <strong>Brandenburg</strong>ische Verfassung) herzustellen.<br />

Nach der Wertung des Gesetzgebers sollen öffentliche Einrichtungen und Anlagen, die<br />

dem Vorteil einzelner Personen oder Personengruppen dienen, nicht aus dem allgemeinen<br />

Haushalt, sondern durch den bevorteilten Personenkreis finanziert werden<br />

(Konzept der Gesamtfinanzierung). 78 Wirtschaftliche Vorteile, die konkret abgrenzbaren<br />

Personengruppen zukommen, sollen diese selbst, nicht aber die Allgemeinheit<br />

ausgleichen. In der gleichmäßigen Heranziehung der Vorteilsempfänger drückt sich der<br />

Gedanke der Solidarität aller Anschlussnehmer im Hinblick auf die Finanzierung des<br />

Gesamtaufwandes aus." Werden Altanlieger nicht zur Beitragsleistung herangezogen,<br />

subventionieren die Neuanlieger die Gebühren der Altanlieger. 8° Es besteht dann namentlich<br />

die Gefahr, dass es durch ihre Heranziehung zu Benutzungsgebühren zu einer<br />

Doppelbelastung für Anteile am Gesamtaufwand kommt, 81 die sie bereits mit der Beitragsleistung<br />

entgolten haben. 82<br />

Der Gesetzgeber hat aber die Möglichkeit und ggf. die Pflicht, durch einen gespaltenen<br />

Gebührensatz zwischen denjenigen zu differenzieren, die zum Investitionsaufwand<br />

durch Beiträge Leistungen erbracht haben, und denjenigen, bei denen das nicht der<br />

Fall ist. 83 Es besteht auch grundsätzlich die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Finanzierungsmodellen,<br />

also Anschlussbeiträgen oder Gebühren zu wählen. Unter welchen<br />

rechtlichen Voraussetzungen das Finanzierungssystem von einem Beitragsmodell<br />

auf ein Gebührenmodell umgestellt werden darf, hat das OVG <strong>Brandenburg</strong> in seinem<br />

Urt. v. 6.6.2007 dargelegt: 84 Die einmal getroffene Entscheidung bindet den Einrichtungsträger<br />

nicht für alle Zeit. Vielmehr kann er auch nachträglich zwischen beiden<br />

Modellen wechseln. Ein schutzwürdiges Vertrauen in die Aufrechterhaltung eines einmal<br />

gewählten Finanzierungssystems besteht grundsätzlich nicht. 85<br />

- die Möglichkeit zum Gesetzesvollzug innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit. Die<br />

Festsetzungsfrist sollte so bemessen sein, dass ein effektiver Gesetzesvollzug gewährleistet<br />

ist und ein Anspruchsverlust nur im Ausnahmefall zu besorgen ist. 88 Angesichts der langen<br />

77 Steiner, LKV 2009, 254 (257).<br />

78 OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2008, 369 f.<br />

79 Vgl. Steiner, LKV 2009, 254 (257).<br />

80 Schmidt-Wottrich, LKV 2008, 355 (356).<br />

81 Vgl. auch § 6 Abs. 2 5. 5 BbgKAG: Das Beitragsaufkommen, das der Aufgabenträger neben Gebühren zur Refinanzierung<br />

seiner Investitionen erhält, ist bei der Kalkulation als Abzugskapital zu berücksichtigen.<br />

82 OVG <strong>Brandenburg</strong>, BeckRS 2008, 32295; Hentschke, LKV 2009, 248 (253)..<br />

83 BVerwG, NVwZ 1992, 668; OVG <strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 3.12.2003 — 2 A 417/0 1 — juris; OVG <strong>Brandenburg</strong>, BeckRS 2008,<br />

32295; OVG Nordrhein-Westfalen, DVBI. 1981, 831.<br />

84 OVG <strong>Brandenburg</strong> — 9 A 77/05 —, BeckRS 2008, 32295.<br />

85 OVG <strong>Brandenburg</strong>, BeckRS 2008, 32295.<br />

86 In diesem Sinne auch BFH, Urt. v. 7.7.2009 — VII R 24/0 6 —, BeckRS 2009, 240037 66. Aufschlussreich insoweit und möglicherweise<br />

für eine Übertragung auf die Konstellation der <strong>Brandenburg</strong>er Altanschließer geeignet sind Erwägungen des<br />

BVerwG zu der Frage, inwieweit eine kurze Verjährungsfrist gerechtfertigt ist, wenn Behörden anderenfalls keine Möglichkeit<br />

zur Geltendmachung von Ansprüchen hatten: »Damit soll nicht gesagt werden, dass eine Anwendung des neuen Verjährungsrechts<br />

unter dem Vorbehalt der zur Realisierung bestehender Ansprüche notwendigen obligatorischen Vorkehrungen<br />

der Klägerin entsteht. Es versteht sich im Gegenteil von selbst, dass die Klägerin die Folgen entsprechender Versäumnisse<br />

tragen müsste. Der Umstand, dass die zuständige Behörde zu einer kurzfristigen Geltendmachung aller in Betracht<br />

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Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen'<br />

Investitionszeiträume, auf die Anschlussbeiträge angelegt sind, und angesichts der Komplexität<br />

des Verteilungsmechanismus, der der Erhebung von Beiträgen zugrunde liegt, ist bei Anschlussbeiträgen<br />

eine längere Frist als bei anderen Abgabenerhebungen sachlich gerechtfertigt.<br />

- die Fehleranfälligkeit der Satzungen, auf die die Beitragserhebung gründet,<br />

- die Komplexität des Verfahrens, das der Ermittlung der Forderung und des ihr zugrunde<br />

liegenden Sachverhalts vorausgeht, sowie die Zahl der Beteiligten und Verfahrensschritte,<br />

die in das Verfahren integriert sind.<br />

- die Zurechenbarkeit des Fehlers, der zur zeitverzögerten Belangung des Zahlungspflichtigen<br />

führt. Dass eine Beitragsschuld mangels wirksamer Satzung nicht entstanden ist, fällt<br />

grundsätzlich in die Verantwortungssphäre des Beitragsgläubigers.<br />

Für die Festsetzung einer kurzen Frist sprechen im Allgemeinen:<br />

• das Interesse der Beitragsschuldner an Herstellung von Rechtssicherheit, namentlich<br />

Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit. Von einer als Satzung verkündeten Norm<br />

kann ein Rechtsschein ausgehen, der ein Vertrauen auf die Wirksamkeit der Norm und<br />

darauf auslöst, nur auf der Grundlage dieser Norm zur Beitragserhebung herangezogen<br />

zu werden. Bereits früh hat das BVerfG aber auch ausgesprochen, dass der Staatsbürger<br />

sich nicht immer auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen<br />

darf, vielmehr der Gesetzgeber unter Umständen eine nichtige Bestimmung rückwirkend<br />

durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Norm ersetzen darf. 87 Ebenso haben<br />

die Oberverwaltungsgerichte, etwa auch das OVG <strong>Brandenburg</strong>, den Beitragspflichtigen<br />

ein Vertrauen darauf abgesprochen, eine öffentliche Leistung auf Dauer ohne Gegenleistung<br />

zu erhalten.'<br />

• das Bestreben, ausstehende Geldzahlungen sich nicht langfristig summieren zu lassen,'<br />

• die Höhe der bei Anschlussbeiträgen typischerweise durchzusetzenden Zahlungsverpflichtungen,<br />

die den Schuldner zu langfristigen Dispositionen zwingt,<br />

• das Bedürfnis nach einer Sicherung des Gleichgewichts sowie einer Ordnung und Planbarkeit<br />

öffentlicher Haushalte sowie allgemein einer Abwicklung offener Rechtsverhältnisse,<br />

9°<br />

kommenden Ansprüche nicht ohne Weiteres in der Lage wäre, lässt jedoch den Schluss zu, dass eine analoge Heranziehung<br />

der neuen Verjährungsbestimmungen nicht im Sinne des Gesetzgebers wäre; denn es kann nicht ernstlich angenommen<br />

werden, dass er sehenden Auges einen Rechtszustand herbeiführen wollte, der die Geltendmachung eines großen Teils dieser<br />

Ansprüche praktisch ausschlösse.« BVerwG, Urt. v. 11.12.2008, LKV 2009, 129 (132); ähnlich Guckelberger, Die Verjährung<br />

im Öffentlichen Recht, 5. 356 und 594: »Der Gesetzgeber würde sich widersprüchlich verhalten, wenn er einen Anspruch<br />

einer so kurzen Verjährungsfrist unterwirft, dass ihn der Berechtigte meistens nicht rechtzeitig geltend machen<br />

kann. Unzulänglich wäre daher eine gesetzliche Regelung, nach welcher bestimmte Ansprüche in der Regel schon vor ihrer<br />

Entstehung verjährt wären.«<br />

BVerfGE 7, 89 (94); BVerfG, NJW 1962, 291 (291).<br />

88 OVG <strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 12.12.2007 — 9 B 44/06 und 9 B 45/06 —, LKV 2008, 369 (372 f.). Zustimmend, BVerwG, Beschl.<br />

v. 14.7.2008 — 9 B 22/08 — BeckRS 2008, 37336.<br />

89 Vgl. etwa BVerwGE 102, 33 (37).<br />

9° BVerwG, LKV 2009, 129 (130); BVerwG, BeckRS 2009, 31187, Rn. 7.<br />

21


of. Dr. Martini S ellungnahme ,Zeitliche Obergre ze Kir einen Vorteilsausgleich bei A schlussbeiträgen"<br />

• Das Bedürfnis, den Schuldnern nicht über Gebühr zu einer Aufbewahrung von Belegen<br />

und Nachweisen zu verpflichten, und das Risiko einer Verschlechterung der Beweissituation<br />

zu minimieren sowie Schwierigkeiten bei der tatsächlichen Aufklärung des Sachverhalts<br />

zu begrenzen, welche auf ein Verhalten des Verpflichteten zurückzuführen sind.<br />

Im Öffentlichen Recht spielt dieser Gesichtspunkt im Allgemeinen deshalb eine weniger<br />

große Rolle, da die Vorgänge anhand von Akten nachvollziehbar sind und der Staat als<br />

Anspruchsgläubiger zum Nachweis der Forderung und ihrer Grundlagen verpflichtet ist.<br />

• Die kontraproduktive Anreizwirkung, die von einer langen Frist für die Verwaltungstätigkeit<br />

der Behörden ausgeht. In einer verwaltungsverfahrensrechtlichen Konstellation<br />

hat der EuGH eine 30-jährige Verjährungsfrist, die Deutschland seinen Behörden zum<br />

Vollzug des Unionsrechts eingeräumt hat, als nicht mehr erforderlich erachtet. Er ist der<br />

Auffassung, »dass es über das für eine sorgfältige Verwaltung Erforderliche hinausgeht,<br />

den Behörden« für die Maßnahme eine Rückforderung »eine Frist von 30 Jahren einzuräumen«.<br />

91 Der Gerichtshof sah dabei insbesondere die Gefahr, dass »ein derart langer<br />

Zeitraum, wie ihn eine 30-jährige Verjährungsfrist bietet«, einer Trägheit der nationalen<br />

Behörden bei der Verfolgung von Unregelmäßigkeiten Vorschub zu leistet. Diese unionsrechtlichen<br />

Erwägungen lassen sich auf die Geltendmachung von Beiträgen gegenüber<br />

Bürgern auf der Grundlage des nationalen Rechts grundsätzlich übertragen, geht doch<br />

von einer 30-jährigen oder längeren Möglichkeit zur Einforderung von Beiträgen ein Anreiz<br />

aus, eine wirksame Beitragssatzung erst mit erheblicher Verzögerung zu erlassen<br />

und Fehler einer früheren Satzung später heilen zu lassen.<br />

Der Gesetzgeber darf die gesetzliche Höchstfrist — bei aller gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit<br />

— nicht so großzügig ausrichten, dass der Beitragsschuldner dauerhaft im Unklaren<br />

darüber bleibt, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Vielmehr muss er in zumutbarer<br />

Zeit Klarheit darüber gewinnen können, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile<br />

durch Beiträge ausgleichen muss. 92 Jedenfalls eine Verjährungsdauer, die der gesamten<br />

durchschnittlichen Lebensspanne eines Menschen entspricht, wäre damit nicht vereinbar.<br />

Was das BVerfG im Detail als zumutbar ansieht, konkretisiert es nicht, begrenzt diesen Zeitraum<br />

nur vorsichtig durch Andeutungen:<br />

»Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er<br />

[s. c. der Gesetzgeber] die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen<br />

der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt.<br />

Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen<br />

Vorteilslage beginnen.«'<br />

Den Beginn einer Verjährung »Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vor-<br />

teilslage« 94 stuft das BVerfG damit als einseitige Lösung des Interessenkonflikts zulasten der<br />

• EuGH, Urt, v, 5.5.2011, C-201/10, 51g, 2011,1-3545, Rn. <strong>43</strong>.<br />

92 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 46.<br />

93 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 57 a. E.<br />

" Hervorhebung d. Verf.<br />

22


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

Beitragsschuldner' und damit als verfassungsrechtlich bedenklich ein. Das deutet darauf<br />

hin, dass eine Verjährungsfrist, die mehrere Dekaden einer Lebensspanne erfasst, in einen<br />

verfassungsrechtlich bedenklichen Grenzbereich vorstößt, der die berechtigte Erwartung einer<br />

Herstellung von Rechtsklarheit innerhalb »geraumer Zeit« grundsätzlich nicht mehr erfüllt.<br />

Darauf kann auch der Umstand hindeuten, dass in dem bayerischen Fall, über den das<br />

BVerfG entschieden hat, zwischen dem rückwirkenden Inkrafttreten der wirksamen Satzung<br />

und dem Beitragsbescheid 9 Jahre (bzw. zwischen der Herstellung der Vorteilslage und dem<br />

Beitragsbescheid 12 Jahre) verstrichen waren. Umgekehrt gibt das BVerfG in seiner Entscheidung<br />

auch zu erkennen, dass es eine Verlängerung der Festsetzungsfrist über einen<br />

Zeitraum von vier Jahren hinaus auch in den Fällen als verfassungsrechtlich unproblematisch<br />

erachtet, in denen sich eine Satzung als unwirksam erweist. 96<br />

Maßgeblich für die Zumutbarkeit der Frist ist ihre Auswirkung auf die Selbstbestimmung<br />

über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug. Das Gebot der Rechtssicherheit steht<br />

insoweit in engem Zusammenhang mit der Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit<br />

des Art. 2 Abs. 1 GG. Auf sie hebt das BVerfG bei seiner Entscheidung auch ab. 97<br />

Eine Zeitdauer von insgesamt 30 Jahren für die Geltendmachung einer Beitragsforderung<br />

nach Entstehen der Vorteilslage bewegt sich an der Grenze einer zumutbaren Erwartungsspanne.<br />

30 Jahre bilden den Zeitraum einer Generation. Heutigem mobilen Lebenszuschnitt<br />

entspricht es, dass Häuser oft nicht mehr über einen Zeitraum von 30 Jahren von ein und<br />

derselben Familie genutzt werden.' Wer im Alter von 30 Jahren ein Haus erworben hat,<br />

muss unter Zugrundelegung einer 30-jährigen Frist bis zur Geltendmachung des Beitragsanspruchs<br />

während nahezu seines gesamten Erwerbslebens mit einer Beitragserhebung rechnen.<br />

Dem berechtigten Bedürfnis des Bürgers nach Belastungsklarheit stehen neben den oben<br />

genannten Aspekten vor allem das Interesse der Rechtsgemeinschaft an Abgabengerechtigkeit<br />

und Belastungsgleichheit gegenüber, insbesondere das nachvollziehbare Verlangen der<br />

anderen Beitragsschuldner, die Lasten der Finanzierung nicht anstelle der nicht veranlagten<br />

Beitragsschuldner schultern müssen. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Aufgabenträger<br />

(nach der ab dem 1.2.2004 geltenden Rechtslage) davon ausgehen konnten, dass sie<br />

Beitragsschuldner - auch Altanschließer - noch lange Zeit nach Eintritt einer Vorteilslage in<br />

Anspruch nehmen, insbesondere unwirksame Satzungen durch Inkraftsetzen einer wirksamen<br />

Satzung heilen können, ohne den Beitragsanspruch zu verlieren. Es erweist sich als<br />

nicht völlig unangemessener Interessenausgleich, wenn der Gesetzgeber den kommunalen<br />

Aufgabenträgern die Möglichkeit eröffnet, nach dem für die bisherige Rechtspraxis und<br />

Rechtsprechung überraschenden Urteil des BVerfG noch offene Beitragsforderungen binnen<br />

knapper Frist durchzusetzen, die - wie sie der Gesetzesentwurf des Innenministeriums vorsieht<br />

- auch heute noch eine Geltendmachung der Forderungen möglich macht, und nach<br />

99 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 40: »Der Gesetzgeber hat damit den Ausgleich (...) in verfassungsrechtlich nicht mehr<br />

hinnehmbarer Weise einseitig zulasten der Beitragsschuldner entschieden.«<br />

96<br />

BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 50.<br />

97 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 40 f.<br />

98 Vgl. dazu und zu den rechtlichen Konsequenzen bereits Kämmerer/Martini, BauR 2007, 1337 (1346).<br />

23


Prof. Dr. Martini — Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen'<br />

Ablauf dieser Frist für die Zukunft eine Höchstfrist vorzusehen, die für die Betroffenen Beitragsschuldner<br />

Rechtssicherheit herstellt und für die betroffenen Aufgabenträger Handlungsdruck<br />

für die Beitragseinforderung aufbaut. Die im Gesetzesentwurf vorgesehene Frist<br />

erweist sich angesichts ihrer Länge als verfassungsrechtlich nicht ohne Risiko, aber auch<br />

nicht als klar verfassungswidrig.<br />

bb) Gleichheitssatz — Systemgerechtigkeit des Fristensystems<br />

Bisher blieb der Beitragsschuldner auf der Grundlage des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG sowohl hinsichtlich<br />

des »Ob« als auch des »Wie« der Beitragsforderung für unbestimmte Zeit im Unklaren<br />

darüber, wann und ggf. ob er noch zur Beitragszahlung herangezogen wird. Insbesondere<br />

blieb die entsprechende Forderung untituliert. Die Situation unterscheidet sich insoweit<br />

substanziell von den klassischen Fallkonstellationen, in denen der Gesetzgeber eine lange,<br />

insbesondere 30-jährige Verjährungsfrist anordnet. Eine lange 30-jährige Verjährungsfrist<br />

sieht das Recht für solche Ansprüche vor, deren Höhe feststeht und die bereits tituliert sind,<br />

insbesondere rechtskräftig festgestellte Ansprüche (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB), Ansprüche aus<br />

vollstreckbaren Vergleichen oder vollstreckbaren Urkunden (§ 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB). Insoweit<br />

stellen das öffentliche Recht wie das Zivilrecht ähnliche Wertungen an: Das Allgemeine<br />

Verwaltungsrecht kennt für bestandskräftige Verwaltungsakte eine Verjährungsfrist von 30<br />

Jahren (§ 53 Abs. 2 5. 1 VwVfG)<br />

Für andere Sachverhalte sieht der Gesetzgeber regelmäßig kürzere Verjährungsfristen vor.<br />

Dem liegt die gesetzgeberische Wertung zugrunde, dass der Pflichtige in diesen Fällen sich<br />

auf die Verpflichtung nicht ohne Weiteres einstellen kann. Insbesondere ist ihm die Höhe<br />

der Schuld nicht unbedingt bekannt. Diese muss vielmehr erst festgestellt werden. Daher<br />

verjährt der Anspruch auf Zahlung von Kosten nach dem Verwaltungskostengesetz des Bundes<br />

nach 3 Jahren, spätestens mit dem Ablauf des vierten Jahres nach der Entstehung (§ 20<br />

Abs. 1 S. 1 VwKostG). Ähnlich verjähren Ansprüche auf Zahlung bzw. Rückerstattung von Gerichtskosten<br />

regelmäßig innerhalb von vier Jahren (§ 5 Abs. 1 und 2 GKG; § 17 Abs. 1 und 2<br />

Kost(); § 8 Abs. 1 und 2 GVKostG).<br />

Im Sozialrecht beträgt die Verjährungsfrist regelmäßig vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres,<br />

in das ein bestimmtes Ereignis fällt (§ 45 Abs. 1 SGB I). Die Sozialgerichte wenden die<br />

sozialrechtliche Regelverjährungsfrist von vier Jahren auch dann an, wenn eine sozialrechtliche<br />

Vorschrift die Verjährungsfrage nicht ausdrücklich regelt.' Eine vierjährige Frist sieht<br />

der Gesetzgeber grundsätzlich auch für die Rückforderung von Schadensausgleichsleistungen<br />

vor (§ 349 Abs. 5 5. 4 und 5 des Lastenausgleichsgesetzes). w°<br />

Für Situationen, in denen — ähnlich wie im Falle der Altanschließer-Problematik — der rechtserhebliche<br />

Sachverhalt erst nach langer Zeit geklärt werden kann, sieht das Öffentliche Recht<br />

verlängerte Verjährungsfristen vor — so auch im Recht des Lastenausgleichs: Kommt der<br />

Verpflichtete einer Anzeigepflicht und der Verpflichtung, die zur Rückforderung erforderlichen<br />

Angaben zu machen, nicht nach, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre (§ 349 Abs. 5<br />

Lakkis, in: jurisPK-BGB, Band 1, 6. Aufl. 2012, Rn 19.<br />

1°° BVerwG, NVwZ-RR 2008, 732.<br />

24


'rof. Dr. Martini — Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

5. 4 des Lastenausgleichsgesetzes), Eine solche Regelung findet sich etwa in § 169 Abs. 2 5. 2<br />

AO. Danach beträgt die Festsetzungsfrist im Falle der Steuerhinterziehung zehn Jahre und im<br />

Falle der Steuerverkürzung fünf Jahre. In diesen Fällen können die Steuerbehörden den<br />

Steueranspruch zum einen nur unter erheblichen Schwierigkeiten feststellen und zum anderen<br />

ist der Anspruchsschuldner in diesen Fällen auch nicht schutzwürdig. lm Es handelt sich<br />

zwar um eine bundesrechtliche, nicht um eine landesrechtliche Norm. Sie kann aber als Wertung<br />

einen Anhaltspunkt für die Festsetzung der Frist bieten.<br />

Eine 30-jährige Verjährungsfrist oder ein sehr langer Zeitraum bis zur Vollendung der Verjährung<br />

ist insoweit im öffentlichen Recht keineswegs typisch. 1°2 Immerhin entnimmt aber<br />

das BVerwG der Rechtsordnung des öffentlichen Rechts, dass nach Ablauf von 30 Jahren<br />

einmal getroffene Regelungen keinesfalls mehr infrage gestellt werden dürfen.' Nach<br />

seiner Auffassung erfordern Rechtssicherheit und Rechtsfrieden eine Verjährung nach<br />

30 Jahren, lassen sie aber auch genügen. 104 In der 30-jährigen Verjährungsfrist des § 195<br />

BGB a. F. sieht das BVerwG »eine zutreffende Konkretisierung« der Gedanken von Rechtssicherheit<br />

und Rechtsfrieden »in Abwägung gegen den Grundsatz der gesetzmäßigen Verwaltung,<br />

der einer Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche widerstreitet« 105 . So sieht es etwa<br />

den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch des § 49a Abs. 2 VwVfG einer 30-<br />

jährigen Verjährungsfrist unterworfen.wa<br />

Wiewohl das BVerwG dem öffentlichen Recht regelmäßig eine 30-jährige Verjährung als<br />

Höchstfrist entnimmt, hielt das BVerfG in seinem Beschluss vom 5.3.2013 eine gesetzliche<br />

Regelung einer Höchstfrist für erforderlich. Das könnte einerseits heißen, dass dem BVerfG<br />

eine 30-jährige Verjährungsfrist für diese Fälle nicht mehr als zumutbare Erwartung einer<br />

rechtssicheren Frist erscheint. Wahrscheinlicher ist aber, dass das BVerfG eine gesetzliche<br />

Regelung, die (statt einer Verweisung auf eine unsichere und dem Wandel unterworfene<br />

Rechtsprechung) Vorhersehbarkeit schafft und mögliche Zweifel ausräumt, für geboten gehalten<br />

hat.<br />

Bei einem Vergleich der gesetzlich normierten Verjährungsvorschriften, insbesondere im<br />

brandenburgischen Recht (siehe Frage 10, S. 14 ff.), fällt auf, dass die dort festgesetzten Fristen<br />

sich zum Teil fühlbar unterhalb der Schwelle bewegen, die nunmehr für die Verjährung<br />

von Beitragsforderungen vorgesehen wird. Nicht nur ist der Unterschied gegenüber der 4-<br />

jährigen Festsetzungsfrist des Beitragsrechts hoch. Damit gehen für den Beitragsschuldner<br />

angesichts der Unberechenbarkeit der Satzungswidrigkeit hohe Unsicherheiten einher - Unsicherheiten,<br />

auf die er selbst keinen Einfluss hat. Auch die sonstigen Fristen des brandenburgischen<br />

Rechts, insbesondere des Kommunalabgabenrechts, bewegen sich regelmäßig<br />

zwischen fünf und zehn Jahren. Als Regelfrist für diejenigen Fälle, in denen die Geltendmachung<br />

eines Anspruchs unsicher ist, haben sich zehn Jahre etabliert (vgl. oben die Antwort<br />

auf Frage 10, S. 14). Dass der Steuerhinterzieher zehn Jahre nach seiner Tat nicht mehr zur<br />

1 °1 Guckelberger, Die Verjährung im öffentlichen Recht, S. 362.<br />

1° 2 So ausdrücklich Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, S. 361.<br />

103 BVerwGE 132, 324.<br />

104 BVerwGE 132, 324 = LKV 2009, 129 (130, Rn. 10); a. A. OVG Niedersachsen, KStZ 1970, 12 (13).<br />

1°5 BVerwG, LKV 2009, 129 (131, Rn. 13).<br />

106 BVerwGE 132, 324, Brr. 10.<br />

25


Prof. Dr. Martini — Stellungnahme «Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei A schlussbeiträgen'<br />

Steuerzahlung herangezogen werden kann, wohl aber der Beitragsschuldner nach § 8 Abs. 7<br />

S.2 BbgKAG, mag wie ein Wertungswiderspruch erscheinen. Aus dem Vergleich mit den<br />

sonstigen kurzen abgabenrechtlichen Verjährungsfristen, insbesondere der kurzen Verjährungsfrist<br />

für Steuern hat etwa das OVG Niedersachsen in einer Entscheidung über den Ersatz<br />

von Kosten für den Anschluss eines Grundstücks an die Kanalisation abgeleitet, dass<br />

»die Verjährungsfrist für Erstattungsansprüche oder öffentlich-rechtliche Leistungsentgelte«<br />

(...) »keinesfalls länger« als diese sein könne. 107 »Daraus, dass für alle abgabenrechtlichen<br />

Ansprüche eine erheblich kürzere Verjährungsfrist bestimmt worden ist«, ergebe sich, dass<br />

auch für Erstattungsansprüche oder öffentlich-rechtliche Leistungsentgelte eine 30-jährige<br />

Verjährungsfrist nicht rechtens sein könne.« 108 Das OVG Niedersachsen hat diese Überlegungen<br />

als Teil seiner Suche nach dem gesetzgeberischen Willen für solche Konstellationen<br />

entwickelt, in denen sich dem Gesetz keine ausdrückliche Frist entnehmen ließ. 109 Der Gesetzgeber<br />

ist — im Rahmen seiner Bindung an den Gleichheitssatz und das Gebot der Sachgerechtigkeit<br />

— in der Gestaltung seiner Verjährungsfristen freier. Zu berücksichtigen ist auch,<br />

dass es bei der Festlegung von Verjährungsfristen für Steuern einerseits und Kommunalabgaben<br />

andererseits unterschiedliche Legislativebenen — einmal der Bund, einmal das <strong>Land</strong> —<br />

zuständig sind, und damit unterschiedliche Fristen nicht notwendig einen Wertungswiderspruch<br />

eines Gesetzgebers begründen. Zum anderen hängt die Festsetzung einer Steuerschuld<br />

— anders als die Festsetzung einer Beitragsschuld — von dem Mitwirkungsbeitrag des<br />

Bürgers ab und unterliegt kürzeren Berechnungsintervallen als den Investitionszyklen des<br />

Anschlussbeitragsrechts.<br />

Die verjährungsrechtlichen Sachverhalte, die das landesrechtliche Kommunalabgabenrecht<br />

regelt, betreffen sehr unterschiedliche Konstellationen und sind insoweit nur bedingt miteinander<br />

vergleichbar. Ein konsistentes System verjährungsrechtlicher Fristsetzungen lässt<br />

sich dem brandenburgischen Recht nicht entnehmen (ebenso wenig wie dem Recht des<br />

Bundes). Zu unterschiedlich sind dafür die betroffenen Konstellationen und gesetzlichen Regelungsziele.<br />

Die abgabenrechtliche Beitragsfestsetzung von Anschlussbeiträgen zeichnet<br />

sich durch eine hohe Komplexität, eine Beitragsgemeinschaft der betroffenen Vorteilsempfänger,<br />

die als Kosten- und Verantwortungsgemeinschaft in besonderer Weise von der Erwartung<br />

an die Wahrung der Belastungsgleichheit getragen ist, und durch Rechtsunsicherheiten<br />

aus, die dadurch entstehen, dass die Beitragserhebung eine rechtswirksame Satzung<br />

voraussetzt. Das kann es rechtfertigen, Beitragsschulden einer längeren Verjährungsfrist als<br />

andere Sachverhalte zu unterwerfen. Die Praxis der brandenburgischen Beitragsfestsetzung<br />

in der Nachwendezeit hat insbesondere deutlich gemacht, wie schwierig es sein kann, durch<br />

rechtswirksame Satzungen Bürger an den durch öffentliche Einrichtungen geschaffenen Vorteilen<br />

zu beteiligen und Beitragsgerechtigkeit herzustellen.<br />

1" OVG Niedersachsen, KStZ, 1970, 12 (13).<br />

108 OVG Niedersachsen, KStZ, 1970, 12 (13).<br />

109 »Die Dauer der Verjährungsfrist für Ansprüche bestimmter Art festzulegen, muss dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.<br />

Es würde nicht mehr im Rahmen der den Gerichten gestellten Aufgabe liegen, durch Richterspruch Verjährungsfristen zu<br />

bestimmen. (...) Aus dem Zusammenhang der Bestimmungen eines Gesetzes, das sich zwar nicht unmittelbar mit einem<br />

Anspruch der erhobenen Art befasst, aber doch insgesamt gesehen einschlägig ist, kann sich vielmehr ergeben, dass eine<br />

Verjährungsfrist von so langer Dauer keinesfalls dem Willen des Gesetzgebers entsprechen kann«; OVG Niedersachsen,<br />

KStZ, 1970, 12 (13).<br />

26


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

Im Ergebnis sprechen gute Gründe dafür, dass die gesetzgeberische Anordnung einer 15-<br />

jährigen Verjährungsfrist im Verbund mit einer 10-jährigen Hemmungsdauer nicht als verfassungsrechtlich<br />

unvertretbarer Ausgleich der betroffenen Interessen anzusehen ist.<br />

Als verfassungsrechtlich nicht unproblematisch erweist sich dabei allerdings die Behandlung<br />

derjenigen Fälle, in denen auf der Grundlage der bis zum 31.1.2004 geltenden Rechtslage<br />

(die den Vorstellungen des BVerfG von einer verfassungskonformen Regelung entspricht) 110<br />

die erste wirksame Satzung rückwirkend in Kraft zu setzen und die Festsetzungsfrist deshalb<br />

bereits abgelaufen war bzw. wäre, weil der erste Satzungsversuch bereits mehr als vier Jahre<br />

zurück lag (dazu bereits im Einzelnen oben 2. a, S. 5 ff.). Die Anwendung des § 8 Abs. 7 S. 2<br />

n.F. BbgKAG und einer 25-jährigen »Schonfrist« für die Aufgabenträger auf diese Konstellation<br />

begründen zwar in den Fällen keine echte Rückwirkung, in denen bis zur Neuregelung des<br />

§ 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG noch keine wirksame Satzung existierte. Denn die Entstehung der Beitragspflicht<br />

setzt eine wirksame Satzung voraus. Nicht zuletzt hat das BVerfG hat dem Gesetzgeber<br />

in seiner Entscheidung vom 5.3.2013 insbesondere auch grundsätzlich die Möglichkeit<br />

zugestanden, die Festsetzungsfrist in den Fällen zu verlängern, in denen eine Satzung<br />

rückwirkend in Kraft gesetzt wird.'<br />

Soweit auf der Grundlage einer alten Rechtslage die Forderung aber deshalb nicht mehr<br />

durchsetzbar war, weil der erste Satzungsversuch mehr als vier Jahre zurücklag, rückt der<br />

Gesetzgeber damit in eine verfassungsrechtlich problematische Zone vor. Um die Geltendmachung<br />

der Forderung nachträglich zuzulassen, muss der Gesetzgeber besonders hohe Anforderungen<br />

erfüllen, die die Zulässigkeit der Beitragserhebung noch rechtfertigen. Nachdem<br />

die Regelung des § 8 Abs. 2 5. 7 a. F. BbgKAG eine verfassungskonforme Gestaltung vorgesehen<br />

hat, die dem Gedanken der Belastungsgleichheit und -vorhersehbarkeit - anders als<br />

die heutige Rechtslage - Rechnung trägt, lassen sich nicht ohne Weiteres Sachgründe finden,<br />

die eine heutige Beitragserhebung und die damit einhergehende unechte Rückwirkung<br />

rechtfertigen. Aus der Perspektive des Bürgers kommt die Geltendmachung von Forderungen<br />

in seinem Fall in ihrer grundrechtlichen Wirkung sowie in dem Bruch von Vertrauen einer<br />

echten Rückwirkung gleich. 112 Das Verfassungsgericht des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> hat die<br />

Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs. 7 S. 2 n.F. BbgKAG noch bejaht und seine Anwendung auf<br />

Fallgestaltungen, in denen der erste Satzungsversuch vor dem Jahr 2000 gelegen hat, sich<br />

die Satzung aber als nicht wirksam erwiesen hat, für verfassungsrechtlich zulässig erklärt. 113<br />

Das verfassungsrechtliche Risiko, dass das BVerfG eine Geltendmachung von Beitragsforderungen<br />

in diesen Fällen als mit der Verfassung nicht vereinbar einstuft, ist als nicht gering<br />

einzuschätzen. Soll dieses Risikopotenzial und die damit verbundene Unsicherheit vermieden<br />

zu werden, empfiehlt es sich, diese Fälle von einer Durchsetzung noch offener Forderungen<br />

auszunehmen (vgl. dazu bereits im Einzelnen oben 2. a, S. 5 ff.).<br />

11° BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 50.<br />

BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 50.<br />

112<br />

Vgl. oben S. 9.<br />

113 VfGBbg, Beschl. v. 21.9.2011 — 46/11.<br />

27


Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />

12. Halten Sie den Vorschlag einer so genannten Ablaufhemmung von 10 Jahren<br />

bis zum 3.10.2000 für angemessen, welche anderen Zeiträume sind aus<br />

Ihrer Sicht ebenso angemessen? Welche praktischen Auswirkungen sind damit<br />

verbunden?<br />

Grundsätzlich ja. Eine Hemmung der Verjährung ordnet der Gesetzgeber regelmäßig dann<br />

an, wenn die notwendigen Handlungen für die Durchsetzung eines grundsätzlich bestehenden<br />

Anspruchs wegen bestimmter, typischerweise verschuldensunabhängiger Umstände<br />

nicht vorgenommen werden können. Der Gesetzgeber nimmt damit Rücksicht auf ihm nicht<br />

zurechenbare Umstände, die den Anspruchsinhaber eine Geltendmachung seiner Forderung<br />

erschweren. Die Hemmung soll praktische Konkordanz zwischen dem sich aus dem Rechtsstaatsprinzip<br />

ergebenden Gedanken der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit<br />

herstellen.' Klassischer Hemmungsgrund ist die Hinderung an der Rechtsverfolgung<br />

»durch höhere Gewalt« (vgl. § 206 BGB) sowie der Stillstand der Rechtspflege. Die Hemmung<br />

schiebt den weiteren Lauf der Frist auf; die Unterbrechung setzt eine neue Frist in Gang.<br />

In <strong>Brandenburg</strong> war lange Zeit ungeklärt, ob zu DDR-Zeiten an zentrale Ver- oder Entsorgungseinrichtungen<br />

angeschlossene Grundstücke (so genannte Altanschließer) zur Herstellungsbeiträgen<br />

auf der Grundlage des KAG herangezogen werden können. 115 Die Gründung<br />

der Aufgabenträger und der Erlass wirksamer Satzungen hat sich darüber hinaus als ein außerordentlich<br />

schwieriger, mit vielen Rechtsunsicherheiten und Ungültigerklärungen verbundener<br />

Prozess erwiesen. Auch das Innenministerium des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> sowie<br />

zahlreiche Aufgabenträger haben über einen längeren Zeitraum die Ansicht vertreten, alt<br />

angeschlossene Grundstücke seien nicht zu einem erstmaligen Herstellungsbeitrag heranzuziehen.<br />

116 Erst in seinem Urt. v. 5.12.2001 — 2 A 611/00 — hat das OVG <strong>Brandenburg</strong> die<br />

rechtliche Zulässigkeit einer Heranziehung der Altanschließer bejaht und damit Rechtssicherheit<br />

geschaffen.<br />

Dass die Möglichkeit zur Heranziehung von Altanschließern in <strong>Brandenburg</strong> zuvor über lange<br />

Jahre nicht abschließend in rechtssicherer Weise geklärt war, fällt grundsätzlich in die Risikound<br />

Verantwortungssphäre des Staates und seiner Aufgabenträger. Typischerweise<br />

schließt jedes auch geringe eigene Verschulden die Möglichkeit zur Berufung auf einen<br />

Hemmungstatbestand, insbesondere etwa die »höhere Gewalt« aus. Allerdings kommt dem<br />

Gesetzgeber bei der Festlegung der Verjährungsfristen und ihrer Gestaltung ein weiter Spielraum<br />

zu; er ist bei der Festlegung von Hemmungsfristen insbesondere nicht an bekannte<br />

Rechtsfiguren gebunden — solange er insgesamt sicherstellt, dass er den Gedanken der<br />

Rechtssicherheit und dem berechtigten Vertrauen Betroffener insgesamt angemessen Rechnung<br />

trägt (vgl. dazu die Antwort auf Frage 11, S. 17 ff.).<br />

114 Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 2004, 5. 387.<br />

115 In diesem Sinne ausdrücklich etwa OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2008, 369 (372).<br />

116 Schmidt-Wottrich, LKV 2008, 355 (355).<br />

28


Prof. Dr. Martini Stellungnahme ,Zettliche Obergrenze für einen Vortedsausglerch bei Anschlussbeiträgen'<br />

Eine Verjährungshemmung hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 5.3.2013 grundsätzlich<br />

ausdrücklich als einen der Wege bezeichnet, auf denen der Gesetzgeber eine mit dem<br />

Rechtsstaatsprinzip vereinbare Lösung herstellen kann'''.<br />

117 BVerfG, a. a. 0., Rn. 50.<br />

29


Anlage 3<br />

ZEUTSCHEL & SCHRÖDER<br />

Rechtsanwälte<br />

EINGEGANGEN<br />

2 2. MAI 2013IS-A<br />

Erledigt: lb"<br />

--<br />

RAe Zeutschel & Schröder Dortustraße 27 14467 Potsdam<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Ausschuss für Inneres<br />

Am Havelblick 8<br />

14473 Potsdam<br />

Ingo Zeutschel<br />

Rechtsanwalt<br />

Thomas Schröder<br />

Rechtsanwalt<br />

Dortustraße 27<br />

14467 Potsdam<br />

Fon 0331 - 817 09 33<br />

Fax 0331 - 817 05 42<br />

info@zeutschelundschroecler.de<br />

Kanzlei Senftenberg<br />

Markt 9<br />

01968 Senftenberg<br />

Anhörung zur Regelung einer zeitlichen<br />

Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />

Fon 03573 - 36 36 90<br />

Fax 03573 - 36 36 93<br />

sfb@zeutschelundschroecler.de<br />

17.05.2013<br />

1328-11<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

bitte steh angeben<br />

sehr geehrte Frau Stark,<br />

ich bestätige meine Teilnahme bei der oben genannten Anhörung und<br />

übersende in der Anlage meine schriftliche Stellungnahme.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

go<br />

7(3<br />

eutschel<br />

Rechtsanwalt<br />

Bürozeiten<br />

Mo-Do 09.00 bis 12.00<br />

13.00 bis 18.00<br />

Fr 09.00 bis 12.00<br />

13.00 bis 15.00<br />

advo Union<br />

Mitgliedskanzlei<br />

DICH Deutsche Kreditbank (Fremdgeldkonto)<br />

Konto-Nr: 424 101<br />

BLZ 120 300 00<br />

Geschäftskonten<br />

Mittelbrandenburgische Sparkasse in<br />

Potsdam<br />

Konto- Nri 350 20 20 263<br />

BLZ 160 500 00<br />

Sparkasse Niederlausitz<br />

Konto-Nr. 30 100 13 670<br />

BLZ 180 550 00<br />

I.J5t-id Nr. DE 212619939


Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 2 von 9<br />

Stellungnahme<br />

Die zentrale Aussage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom<br />

5. März 2013 lautet, Rechtssicherheit gehe dem Fiskalinteresse vor. Diese Aussage ist der<br />

vollkommene Gegensatz zu den Grundsätzen des Beschlusses des <strong>Brandenburg</strong>ischen<br />

Verfassungsgerichts vom September 2012, wonach der Bürger gegenüber Fiskalinteressen, sofern sie<br />

auf einem wirtschaftlichen Vorteil zurückzuführen sind, nicht schutzwürdig sein könne. Die<br />

Verjährung — so das Bundesverfassungsgericht — könne nach gegenwärtiger Rechtslage „unter<br />

Umständen erst Jahrzehnte" nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen, was<br />

mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit unvereinbar sei. Die Entscheidung ist auf <strong>Brandenburg</strong><br />

übertragbar. § 8 Abs. 7 Satz 2 des <strong>Brandenburg</strong>ischen KAG knüpft den Beginn der Verjährungsfrist an<br />

den Erlass einer rechtswirksamen Satzung. Nach gegenwärtiger Regelung steht es auch in<br />

<strong>Brandenburg</strong> im Belieben des jeweiligen Satzungsgebers, wann die Festsetzungsfrist letztlich beginnt.<br />

Die Unterschiede in den bayerischen und brandenburgischen Regelungen sind gering. Gleichsam ist<br />

den Regelungen, dass der Bürger nicht absehen kann, ob noch mit einer Beitragsfestsetzung zu<br />

rechnen ist.<br />

Es besteht Änderungsbedarf. Nimmt man es mit der Rechtsstaatlichkeit in der <strong>Land</strong>esverfassung ernst,<br />

(Art 2 Abs. 1 <strong>Land</strong>esverfassung <strong>Brandenburg</strong>) können die gegenwärtigen Regelungen des<br />

brandenburgischen KAG nicht Grundlage des derzeitigen Verwaltungshandelns sein. Befremdlich ist,<br />

dass aus dem Ministerium des Innern heraus dennoch die Aufgabenträger aufgerufen wurden, zu<br />

handeln und Bescheide zu versenden. Rechtssicherheit ist stets vor weiterem Verwaltungshandeln<br />

herzustellen. In jedem Fall müssen weitere — möglicherweise — rechtswidrige Verbescheidungen<br />

unterbleiben, anstatt seitens des Ministeriums des Innern dazu aufgefordert wird.<br />

Die von der <strong>Land</strong>esregierung vorgeschlagenen Festlegungen von Verjährungshöchstfristen<br />

verursachen einen hohen Begründungsaufwand des Gesetzgebers. Auch die Festlegung einer<br />

Verjährungshemmung verursacht einen enormen Begründungsaufwand.


Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 3 von 9<br />

Nicht alles wird sich mit der deutschen Einheit begründen lassen, vor allem wenn der<br />

brandenburgische Gesetzgeber ein Gesetz erlassen will, dass für einen langen Zeitraum u. a. auch<br />

Fallgestaltungen abdeckt, wie sie dem vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelten bayerischen<br />

Fall zugrunde gelegen haben. Gerechter wäre eine Regelung, die dem, was die Satzungsgeber<br />

ursprünglich vorhatten, am nächsten kommt. Der völlig willkürlichen Nennung von Jahreszahlen,<br />

(10 Jahre Hemmung + 15 Jahre Verjährung oder 10 + 20) die unter Umständen wieder nur eine<br />

jahrzehntelange Rechtsunsicherheit hinterlassen, ist eine Regelung vorzuziehen, wonach die<br />

„heilende" Satzung zurückwirkt auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der<br />

ursprünglichen nichtigen Satzung, mithin der Lauf der Verjährung mit deren vorgesehenen<br />

Inkrafttreten übereinstimmt.<br />

Die vorgenannte Regelung macht das Ende der Heranziehung zu einer Beitragszahlung durchaus zu<br />

einer vorhersehbaren Größe.<br />

Die derzeitige Regelung im brandenburgischen KAC ist verfassungswidrig, weil der Grundsatz der<br />

Rechtssicherheit verletzt ist. Hinzu kommt die juristisch abenteuerliche Konstruktion, nach der<br />

deutschen Einheit habe man mit der erstmaligen Herstellung einer Anlage begonnen und diese<br />

erstmalige Herstellung sei in den Verbandsgebieten noch nicht einmal abgeschlossen. Damit meint<br />

man die Wasser- und Abwasserkonzeptionen der Verbände, welche für die Zukunft eher<br />

Darstellungen von Entwicklungsmöglichkeiten sein sollten. Im WAZV Mittelgraben z.B. (Nuthetal —<br />

Michendorf) sieht eine solche vor Jahren aufgestellte Konzeption den Bau von Leitungen zum<br />

entlegenen Ortsteil Tremsdorf vor. Niemand hat aber wirklich vor, die dafür erforderlichen<br />

kilometerlangen Leitungen zu bauen, zumal das Umweltministerium für die Zukunft eher zu<br />

dezentralen Lösungen rät. Das Ministerium des Innern würde in diesem Fall wohl von einer nicht<br />

fertig gestellten Anlage sprechen, tatsächlich handelt es sich um nicht zu realisierende Vorstellungen,<br />

die nicht einmal den Charakter einer Planung haben.<br />

Wenn das Ministerium des Innern mit landesweit nicht fertiggestellten Anlagen argumentiert,<br />

weshalb konnte dann seit Jahrzehnten Abwasser abgeleitet und geklärt in die Gewässer entlassen<br />

werden?


Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 4 von 9<br />

Sofern der Gesetzentwurf der <strong>Land</strong>esregierung eine Verjährungshemmung vorsieht, welche mit der<br />

Sondersituation nach der deutschen Einheit begründet wird, ist bisher nicht schlüssig dargetan,<br />

welche Hemmnisse wirklich maßgebend gewesen sein sollen.<br />

Andere Vorschläge für eine zeitliche Begrenzung nach der Entscheidung des<br />

Bundesverfassungsgerichts sind, wie bereits ausgeführt, nicht praktikabel. Sehr lange Fristen, die das<br />

Altanschließerproblem noch mit einbeziehen würden, sind nicht verfassungsgemäß. Solche langen<br />

Fristen — etwa 10, 20 oder gar 30 Jahre — können nicht begründet werden. Resultierend aus der<br />

deutschen Einheit kann ebenfalls keine Begründung stattfinden, weil es nicht zu erklären ist, weshalb<br />

im Straßenausbau Verbesserungsbeiträge seit Beginn der 90er Jahre professionell von den<br />

Aufgabenträgern erhoben werden, von den Aufgabenträgern des Wasser- und Abwasserrechts bis<br />

zum Urteil des OVG <strong>Brandenburg</strong> im Jahr 2001 keine ernsthaften Versuche unternommen wurden,<br />

sich dieser Thematik zu nähern.<br />

Der Vorschlag einer Ablaufhemmung von 10 Jahren ist nicht angemessen, weil er fälschlich einen<br />

Zusammenhang zwischen später Beitragserhebung und deutscher Einheit suggeriert. Die fehlende<br />

Erhebung von Verbesserungsbeiträgen bei Altanschließern hatte indes nichts mit der Deutschen<br />

Einheit zu tun. Man wollte es nicht bzw. hat es schlicht vergessen. Keinerlei Widrigkeiten,<br />

resultierend aus der deutschen Einheit, können herangeführt werden, um dieses Versäumnis zu<br />

begründen. Wie im Westen in den 80er Jahren hat man Anlagen geplant, man hätte die<br />

Verbesserungen in Verbesserungsbeitragssatzungen beschreiben und den Verbesserungsaufwand<br />

erheben können.<br />

Die von der geplanten Festsetzung betroffenen Grundstücke z.B. im Verbandsgebiet des WAZV<br />

Mittelgraben, wo der Unterzeichner die Vertretung einer Bürgerinitiative von Altanschließern<br />

übernommen hat, ist der Vorteil mit dem Anschluss eingetreten, mithin ab 1930. Die „Nachwende"-<br />

Investitionen konzentrieren sich auf die Jahre 1995 — 2000 und sind eher geringfügig. Sie sind<br />

sachverständig mit 0,47 Euro/ qm bewertet worden. Dem steht der vom Aufgabenträger auch für<br />

Altanschließer begehrte Beitrag für Neuanschlüsse von 3,79 Euro/ qm entgegen. Die Altanschließer<br />

würden hier mehr als 3,00 Euro/ qm für etwas zahlen, was sie unstreitig nicht erhalten haben, ihrer<br />

Zahlung stünde in dieser Höhe keine adäquate Gegenleistung gegenüber.


Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 5 von 9<br />

Wenn die <strong>Land</strong>esregierung Gerechtigkeitserwägungen in die Debatte um die Heranziehung der<br />

Altanschließer heranführt, möge berücksichtigt werden, dass in sämtlichen Verbandsgebieten der<br />

Aufwand, der auf die Altanschließergrundstücke angefallen ist, den ihnen in fast allen Fällen<br />

abgeforderten global kalkulierten Beitrag für Neuanschlüsse nicht erreicht. Den Altanschließern wird<br />

so ein Sonderbeitrag abgerungen und der Gerechtigkeitsgedanke tritt in den Hintergrund.<br />

Wie bereits dargestellt, hat es Lösungsmöglichkeiten im Rahmen des Verbesserungsbeitragsrechts —<br />

gegeben .<br />

Beispiel:<br />

Ein Verband beschließt den Neubau eines Klärwerkes. Er lässt planen, in finanzieller und technischer<br />

Hinsicht. Sodann wird der Verbesserungsaufwand für jedes angeschlossene Grundstück ermittelt und<br />

in einer Verbesserungsbeitragssatzung der konkrete Aufwand beschrieben und danach auch erhoben.<br />

An der Anwendung dieses im Westen Deutschlands gängigen Procederes bereits zu Beginn der 90er<br />

Jahre, insbesondere 1 995 — 2000 wie in unserem Verbandsgebiet, war niemand gehindert.<br />

Wenn verschiedentlich auf ein etwa gestörtes Rechtsempfinden der Menschen vor Ort hingewiesen<br />

wird, wenn eine Gruppe von Beitragsschuldnern privilegiert würde, weil sie nicht mehr zahlen muss,<br />

soweit folgendes:<br />

Unter dieser Gruppe der angeblich privilegierten befinden sich die Erben und Rechtsnachfolger von<br />

Bauherren der Fertigstellungsjahrgänge 1930 und später. Diese haben damals die Ihnen in Rechnung<br />

gestellten Kosten für die Herstellung der Anschlüsse in der jeweils geltenden Währung beglichen.<br />

Weshalb sollte man Sie privilegiert nennen? Mit ihren Wasser — und Abgabengebühren waren Sie seit<br />

Jahrzehnten ebenso eine Finanzierungsgrundlage für Reparaturen und Investitionen, wie die<br />

Neuanschließer. Das Rechtsempfinden ist wohl eher durch die Inanspruchnahme dieser langjährig<br />

angeschlossen Haushalte gestört und dies nicht nur bei den Altanschließern.<br />

Folgender Fall:<br />

Stellen Sie sich einen Stuttgarter Rentner vor. Er hat das Einfamilienhaus von seinem Vater geerbt,<br />

der es 1930 erbaute.


Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 6 von 9<br />

Nun erhält er im Jahre 2013 einen Bescheid über eine Herstellungsgebühr mit der Begründung, die<br />

Investitionen um das Jahr 1990 herum, als von mechanischer auf vollbiologische Klärung umgestellt<br />

wurde, hätten den Anschluss zu einem quasi neu hergestellten Anspruch werden lassen. Dieser<br />

Bescheid würde dort allenfalls für Belustigung und Kopfschütteln sorgen. Vielleicht würde man nach<br />

einer versteckten Kamera suchen oder an einen Streich denken.<br />

Wenn von der Notwendigkeit, im Falle der Nichtberücksichtigung von Altanschließern<br />

Rückzahlungen an Neuanschließer vornehmen zu müssen, gesprochen wird, soweit folgendes:<br />

Es gibt keinen Grund für Rückzahlungen. Der Zahlungsforderung steht eine adäquate Leistung<br />

gegenüber. Altanschließer hatten einen Anschluss. Das man Sie für Verbesserungen nicht<br />

herangezogen hat, ist deren Schuld nicht. Gegenüber dem Fiskalinteresse, in der Verbesserung der<br />

Anlagen im Osten nun noch einen beitragsfähigen Aufwand zu sehen und diesen festzusetzen, geht<br />

die Rechtssicherheit vor, so dass Bundesverfassungsgericht.<br />

Die Gruppe der Altanschließer zahlt, wie bereits dargetan, seit vielen Jahren Gebühren. Sie entzieht<br />

sich somit nicht aus der Verantwortung für die Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen.<br />

Soweit seitens der Aufgabenträger und seitens der <strong>Land</strong>esregierung mögliche Einnahmeausfälle<br />

beklagt oder befürchtet werden, soweit Altanschließer nicht herangezogen werden, folgendes:<br />

Einnahmeausfälle sind nicht entstanden, weil nur ausfallen kann, womit geplant und gerechnet<br />

wurde und worauf ein Anspruch bestand. Ein Anspruch ist nie entstanden, weil Verbesserungen am<br />

Netz nicht — wie bereits ausgeführt — in Verbesserungsbeitragssatzungen mündeten. Mit den<br />

Altanschließerbeiträgen haben die Aufgabenträger nie gerechnet. Die Urteile der<br />

Oberverwaltungsgerichte waren für sämtliche Beteiligten überraschend. Im Ergebnis stellt sich die<br />

Frage nach Einnahmeausfällen nicht.<br />

Im Bereich des WAZV Mittelgraben bestand bis zuletzt eine hohe Bereitschaft zur Zahlung von<br />

Beiträgen nach differenzierter Berechnung, somit der Investitionen, in deren Genuss die<br />

Altanschließer tatsächlich gekommen sind. Diese Investitionen waren hier sachverständig mit<br />

0,47 Euro/ qm ermittelt worden.


Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 7 von 9<br />

Stattdessen wurde vom Innenministerium die rasche Liquidation des global kalkulierten Beitrages von<br />

3,79 Euro/ qm bei allen Altanschließern gefordert. Gleichzeitig wurde behauptet, die Erhebung von<br />

Beiträgen nach differenzierter Berechnung berge Rechtsrisiken, man möge davon absehen. Wo<br />

sollen diese Rechtsrisiken liegen? Im Bereich des Verbandes Nuthe — Nieplitz wurde nach<br />

differenzierter Berechnung verbeschieden, also tatsächlich nur das festgesetzt, was den<br />

Altanschließern zugutegekommen ist. Selbstverständlich ist dies viel weniger, als bei Anwendung der<br />

globalen Kalkulation. Im Bereich des genannten Verbandes herrscht jedoch Rechtsfrieden. Niemand<br />

fühlt sich benachteiligt oder bevorteilt.<br />

In einer grundsätzlichen und alleinigen Anwendung der differenzierten Berechnung gern. § 8 Abs. 4a<br />

KAG liegt möglicherweise eine Lösungsmöglichkeit für das Grundproblem. Nach bisheriger Regelung<br />

ist es den Aufgabenträgern freigestellt, sich hinsichtlich der altangeschlossenen Grundstücke für eine<br />

Anwendung der Globalkalkulation — bedeutet Heranziehung wie ein Neuanschließer — oder für eine<br />

differenzierte Berechnung zu entscheiden, die eine Festsetzung allein auf der Grundlage der den<br />

altangeschlossenen Grundstücke zugeflossenen Vorteils erlaubt. Die Aufgabenträger sahen<br />

nachfolgend Ihre Aufgabe in der maximalen Ausschöpfung ihrer finanziellen Möglichkeiten mit dem<br />

Ergebnis, dass die differenzierte Berechnung kaum angewendet wurde. Würde man die<br />

Heranziehung nach differenzierter Berechnung jetzt gesetzlich als alleinige Möglichkeit vorgeben,<br />

altangeschlossene Grundstücke noch heranziehen zu können, wären Streitigkeiten innerhalb der<br />

Verbände genauso vermieden wie eine Spaltung der Bürgerschaft in Neuanschließer und<br />

Altanschließer<br />

Soweit verschiedentlich behauptet wird, dass es unter bestimmten Umständen dazu kommen kann,<br />

dass die Bürgermeister und Verbandsvorsteher persönlich für die nicht realisierten<br />

Beitragseinnahmen haften müssen, soweit folgendes:<br />

Es besteht keine Gefahr der Haftung, weil kein Anspruch bestand, besteht, nichts ausgefallen ist und<br />

deshalb auch keinem Aufgabenträger etwas entgangen ist.


Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 8 von 9<br />

Die von der <strong>Land</strong>esregierung geforderte Fortsetzung der Beitragserhebung ist umgehend einzustellen.<br />

Da über alle Lager hinweg Einigkeit darüber besteht, dass die derzeitige hier in Rede stehende<br />

Regelung im brandenburgischen Kommunalabgabengesetz verfassungswidrig ist, darf, auch seitens<br />

der <strong>Land</strong>esregierung nicht, kein Aufruf zu verfassungswidrigem Verwaltungshandeln erfolgen.<br />

Verwaltungshandeln sollte dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit folgen. Das Ministerium des Innern<br />

mag auf eine spätere Legitimation durch den Gesetzgeber hoffen, mag sie sogar erwarten. Aber zum<br />

Zeitpunkt des Verwaltungshandelns muss eine Legitimation vorliegen, dies entspricht dem Grundsatz<br />

der Rechtmäßigkeit der Verwaltung.<br />

Es empfiehlt sich zudem noch, aus folgenden Gründen von der Beitragserhebung abzuraten:<br />

Verbeschiedene Beiträge, gleich, ob eingenommene oder nicht, müssen in die Kalkulation des<br />

Verbandes einfließen. Selbst wenn also diese Beiträge im Streit stehen bzw. sogar zurückgezahlt<br />

werden müssen, sind sie für einen bestimmten Zeitraum in der Kalkulation als vorhandene Mittel<br />

einzustellen. Das wirkt sich bei späterer Rücknahme der Bescheide nachteilig aus.<br />

Verschiedentlich wird gefordert, das Beitragsmodell bei den Wasser- und Abwasseranschlüssen auf<br />

ein reines Gebührenmodell umzustellen. Wenn aber Neuanschließer Anschlusskosten zahlen und im<br />

Übrigen wesentliche Verbesserungen über Verbesserungsbeiträge eingefordert werden, kann die<br />

jahrelange Übung beibehalten bleiben. Der Fehler lag in der Vergangenheit im Versäumnis, nicht im<br />

System.<br />

Sofern der Gesetzgeber den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften und deren<br />

Unternehmen durch Gesetz vorschreiben will, generell keine Beiträge mehr zu erheben, sondern<br />

den Investitionsaufwand in die Gebührenkalkulation einbeziehen, wäre aber auch eine solche<br />

Regelung zulässig und durchsetzbar; indes nur für den künftigen Investitionsaufwand, nicht aber den<br />

bereits bewältigten Aufwand.<br />

Zusammenfassend:<br />

Es gibt keine gerichtsfeste Obergrenzenregelung für die Verjährungsfrist im KAG, die die<br />

Heranziehung der Altanschließer noch ermöglicht.


Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 9 von 9<br />

Sollte sich eine Heranziehung noch als verfassungsgemäß erweisen, könnte eine grundsätzliche<br />

Festlegung, nur differenziert abrechnen zu dürfen, eine gute Möglichkeit sein, um Rechtsfrieden und<br />

Rechtssicherheit herzustellen. Die Beitragsfestsetzung würde dann in die Nähe dessen rücken, was<br />

durch die Erhebung von Verbesserungsbeiträgen hätte generiert werden können.<br />

Rechtsanwalt Ingo Zeutschel<br />

für die Initiativgruppe Altanschließer Nuthetal


ZARZYCKT & HORNAUF<br />

Anlage if<br />

RECHTSANWÄLTE<br />

Zarzycki & Hornauf • Bachgasse 2 • 15230 Frankfurt (0.)<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

— Ausschuß für Inneres —<br />

z. Hd. der Vorsitzenden<br />

Frau Britta Stark<br />

Am Havelblick 8<br />

14473 Potsdam<br />

— vorab per E-Mail —<br />

Unser Zeichen: V-allg Ho/Schl<br />

Bei Zuschriften und Zahlungen bitte angeben<br />

EINGEGANGEN<br />

2 2• MAI 201315-22<br />

ErIedigt :_kijet ri4y1ILQ4)<br />

Frankfurt (0.), 21,05.2013<br />

Innenausschuß1 gdoc<br />

Anhörung zum 6. Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />

für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> am 23.05.2013,<br />

Ihr Schreiben vom 07.05.2013<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />

in der vb. Angelegenheit danke ich für die Einladung zur Anhörung<br />

am 23.05.2013 und übermittele Ihnen vorab die gewünschte Stellungnahme.<br />

Bevor ich jedoch zur Beantwortung des Fragenkatalogs komme,<br />

gestatten Sie mir bitte eine einleitende Bemerkung.<br />

Anlaß der Formulierungshilfe des MI zur Regelung einer zeitlichen<br />

Obergrenze zum Vorteilsausgleich im BbgKAG<br />

Anlaß der nunmehrigen Diskussion ist die Entscheidung des BVerfG<br />

vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08. Aus diesem Beschluß wird die —<br />

allerdings rein politisch motivierte — grundlegend unzutreffende Annahme<br />

hergeleitet, daß für das <strong>Brandenburg</strong>ische Kommunalabgabengesetz<br />

ein (vermeintlicher) Ergänzungsbedarf durch (erstmalige) Einführung<br />

einer zeitlichen Obergrenze für die Beitragserhebung besteht.<br />

Diese Annahme ist unzutreffend, da sich die <strong>Brandenburg</strong>er Rechtslage<br />

von den Besonderheiten des Bayrischen Kommunalabgabengesetzes<br />

(BayKAG), die offenkundig allein zur Entscheidung des BVerfG<br />

führten, wesentlich unterscheidet und die Vorschriften der §§ 8, 12<br />

BbgKAG bereits eine solche „Obergrenze" beinhalten. Zwar kann<br />

man bei bloßer Lektüre des Leitsatzes der Entscheidung des BVerfG<br />

durchaus einen Handlungsbedarf für <strong>Brandenburg</strong> annehmen; bei<br />

Auswertung der vollständigen Entscheidungsgründe und einem entsprechenden<br />

Rechtsvergleich wird dies aber klar widerlegt.<br />

FRANKFURT (ODER)<br />

Bachgasse 2<br />

15230 Frankfurt (Oder)<br />

Telefon: 03 35 / 56 53 40<br />

Telefax: 03 35 / 32 21 67<br />

Gerichtsfach Nr. 34<br />

Internet www.hornauf.de<br />

E Mail frankfurehornauEde<br />

RA SVEN HORNAUF<br />

Verwaltungsrecht<br />

/& Kommrmalrr Satzungs- u. Abgabenrecht<br />

RAin ANNEDORE MEIßNER<br />

Familien- u. Erbrecht<br />

Arbeitsrecht<br />

RA ANSGAR ROEDER<br />

Lehrbeauftragter der Europa-Universität<br />

Strafrecht<br />

Presserecht<br />

Vertragsrecht<br />

RA u. Mediator BERND SCHUTZA<br />

Strafrecht<br />

Ordnungswidrigkeitenrecht<br />

Verwaltungsrecht<br />

RAM ANTJE GROTH-SIMONIDES<br />

Arbeits- u. Sozialrecht<br />

Recht der Kindereinrichtungen<br />

RAin BIANCA HORNAUE<br />

Kommunales Satzungs- u. Abgabenrecht<br />

Verwaltungsrecht<br />

Zivilrecht<br />

RA MATTHIAS SIMONIDES<br />

Verwaltungsrecht<br />

Umweltrecht<br />

Kommunales Satzungs- u. Abgabenrecht<br />

RAin KATJA HERRLICI I<br />

Strafrecht<br />

Verwaltungsrecht<br />

RAM ANJA BAHRO<br />

Verwaltungsrecht<br />

Kommunales Satzungs-u. Abgabenrecht<br />

RAM ANJA SEL13-SOSTARIC, M.E.S.<br />

Öffentliches und privates Baurecht<br />

Vertragsrecht<br />

Verwaltungsrecht<br />

POTSDAM<br />

Schopenhauerstraße 27<br />

14467 Potsdam<br />

Telefon: 03 31 / 2 01 98-0<br />

Telefax: 03 31 / 2 01 98-20<br />

E-Mail: poixclam@homauf de<br />

RA Ing. Ing. WOLFGANG ZARZYCKI<br />

Privatdozent Architekten- und Baurecht<br />

Schiedsrichter in Bausachen<br />

RA JÖRN LASSAN<br />

Mietrecht<br />

Verkehrszecbt<br />

Vertragsrecht<br />

RA RALF scHör-siu<br />

Öffentliches la. privates Baurecht<br />

Verwaltungsrecht<br />

RAin YVONNE ZILLNER<br />

Sozialrecht<br />

Verwaltungsrecht<br />

Arbeitsrecht<br />

St.-Nr.: 061/233/00813<br />

Geschäftskonto: DKB AG • BLZ 120 300 00 • Konto-Nr. 529 222 Anderkonto: DKB AG • BLZ 120 300 00 • Konto-Nr. 529 909


Soweit die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> mit den Normierungen des BayKAG übereinstimmt, hat<br />

das BVerfG die Rechtslage in Bayern ausdrücklich als verfassungsgemäß bekräftigt. Das BVerfG<br />

verlangt indes Regelungen, „... die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich<br />

unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können." Damit soll der Beitragsschuldner<br />

„... irgendwann Klarheit ... erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem<br />

Beitrag herangezogen werden kann.". Im Einzelnen:<br />

1. Das BVerfG hat in der vz. Entscheidung allein die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b)<br />

cc), 2. Spiegelstrich BayKAG für verfassungswidrig erachtet. Diese Regelung lautet:<br />

"Art. 13,<br />

cc) § 170 Abs. I AO mit der Maßgabe ...<br />

— dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres<br />

zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekanntgemacht worden ist."<br />

Diese Vorschrift existiert in <strong>Brandenburg</strong> nicht. Vielmehr gilt bei uns über § 12 Abs. 1 Nr. 4 lit.<br />

b) BbgKAG der §§ 169, 170 Abs. 1 AO uneingeschränkt, d.h. die Verjährung läuft immer an dem<br />

Ende des Jahres los, in dem die sachliche Beitragspflicht entstanden ist und dauert immer 4 Jahre<br />

(§ 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG i.V.m. §§ 169, 170 Abs. 1 AO).<br />

2. Der zweite wesentliche Unterschied liegt in der Person des Beitragspflichtigen begründet. In<br />

<strong>Brandenburg</strong> ist immer nur derjenige beitragspflichtig, der zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des<br />

Beitragsbescheides — also immer nur aktuell — als Eigentümer (Erbbaupflichtiger oder qualifizierter<br />

Nutzer) aus dem Grundbuch aufscheint, § 8 Abs. 2 BbgKAG. Abweichungen sind nicht zulässig.<br />

Vereinfacht: Ohne Eigentum — kein Beitrag.<br />

In Bayern kann auch Derjenige beitragspflichtig sein, der — auch etwa vor Jahrzehnten — einmal<br />

Eigentümer war, das Grundstück aber bereits vor Jahren/Jahrzehnten verkauft hat.<br />

Der streitgegenständliche Fall aus Bayern (Eigentümer verkauft grundbuchwirksam 1996 das<br />

Grundstück, erhält aber erst 2004 einen Beitragsbescheid, auf Grundlage der erstmals wirksamen<br />

Beitragssatzung, BGS 2005) ist also in <strong>Brandenburg</strong> ausgeschlossen.<br />

Die Abgeltungsmöglichkeit (= Beitragserhebung) für die Vorteilslage (die durch wirksame Satzung<br />

rechtlich dauerhaft gesicherte Anschlußmöglichkeit eines Grundstücks an eine öffentliche<br />

zentrale Anlage) besteht in <strong>Brandenburg</strong> also immer nur aktuell für den aktuellen Eigentümer, in<br />

Bayern können Vorteilslage (= Eigentümerstellung) und Heranziehung (= Bescheidung) zeitlich<br />

und personell weit auseinanderfallen.<br />

3. Im bayrischen Fall konnte mit der vb. Rechtslage der Ex-Eigentümer, der schon 1996 sein<br />

Grundstück verkauft hatte, noch 2004 einen Bescheid bekommen Dazu diente die Beitragssatzung<br />

aus 2005 als Rechtsgrundlage, die zum 01.04.1995 rückwirkend in Kraft trat, während die<br />

Verjährungsfrist erst am 01.01.2006 begann und am 31.12.2009 endete.<br />

Dieselbe Verfahrensweise (Heranziehung) war und ist in <strong>Brandenburg</strong> wiederum unmöglich. Der<br />

Ex-Eigentümer konnte seit 1996 schon keinen Bescheid (mehr) erhalten. Wäre bei uns die Satzung<br />

2005 mit Rückwirkung nach 1995 versehen worden, lief die Festsetzungsfrist am<br />

01.01.1996 los und endete am 31.12.1999. Wiederum wäre die rechtmäßige Heranziehung ausgeschlossen.<br />

2


4. Abstrakt wirken für alle Beitragspflichtigen die unterschiedlichen Gesetzesanordnung (von der<br />

ebenfalls abweichenden persönlichen Beitragspflicht hier abgesehen) also wie folgt:<br />

Bayern: Beitragsbescheid rechtmäßig<br />

Beginn der Ende der Ver-<br />

BGS Verkauf Grund- Bescheid Erlaß Verjährungsfrist jährungsfrist<br />

2005 stück BGS<br />

in 2005<br />

Kraftt<br />

t 14<br />

I<br />

t<br />

1995 1996 1999 2004 2001 2006 2009<br />

BGS Verkauf Ende der Ver- Bescheid Erlaß<br />

2005 + jährungsfrist BGS<br />

in Beginn der 2005<br />

Kraft Verjährungsfrist<br />

<strong>Brandenburg</strong>: Beitragsbescheid rechtswidrig<br />

5. Fazit: Die vom BVerfG beanstandete Fallkonstellation und Rechtslage ist in <strong>Brandenburg</strong> daher<br />

grundsätzlich ausgeschlossen.<br />

Das BVerfG bejaht vielmehr ausdrücklich die bisherige Rechtsprechung, die u.a. zur soweit identischen<br />

Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> erging: Kein Vertrauensschutz (s. Rn 46), keine Verwirkung<br />

(s. Rn 58) und keine Rückwirkung, erst Recht keine unzulässige (s. Rn 47 f.), kein geschütztes<br />

Interesse des Abgabenpflichtigen (s. Rn 49).<br />

Die Auflagen des BVerfG erfüllt die Rechtslage in Bbg vollständig: Nach Eintritt der Vorteilslage<br />

(= Entstehung der sacht. Beitragspflicht) darf es keine unbegrenzte Erhebungsmöglichkeit<br />

geben (Rn 50); in <strong>Brandenburg</strong> sind das ab diesem Zeitpunkt immer max. 4 (weitere) Jahre ab<br />

dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung. Wirkt diese Satzung zurück, mindert<br />

dies den Erhebungszeitraum vor Verjährungseintritt — bei mehr als 4 Jahren Rückwirkung wäre<br />

mit dem Inkrafttreten dieser Heilungssatzung zwar nominell wieder eine Erhebungsgrundlage für<br />

Beitragsbescheide vorhanden, die dadurch begründeten Beitragsansprüche aber in derselben juristischen<br />

Sekunde des Inkrafttretens verjährt.<br />

In Bayern beginnen diese 4 Jahre — völlig unabhängig von dem Zeitpunkt der Entstehung der<br />

sacht. Beitragspflicht durch die Rückwirkungsanordnung — immer erst mit Ablauf des Veröffentlichungsjahres<br />

einer wirksamen BGS. Der Unterschied: Die Rückwirkung in Bbg ist zeitlich begrenzt<br />

und im Verjährungsbeginn sowie -ende strikt an der Vorteilslage (Entstehung der sacht.<br />

Beitragspflicht) ausgerichtet (wie in Rn 55 der Entscheidung). Da in Bbg auch keine ehemaligen,<br />

sondern nur aktuelle Eigentümer herangezogen werden können, ist ein Ex-Eigentümer bei uns<br />

schlichtweg gar nicht (mehr) zu veranlagen. Mit der Veräußerung des Grundbesitzes u. dem<br />

3


Wegfall der persönlichen Vorteilslage erlischt in Bbg auch „die Gefahr", noch zum Beitrag herangezogen<br />

zu werden.<br />

6. Ein rechtliches Erfordernis, sofort gesetzgeberisch tätig zu werden, ergibt sich auch nicht aus<br />

der sonstigen Rspr. der Verwaltungsgerichte. Außer dem B. v. 08.05.13, 6 L 328/12, des VG CB<br />

im summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO sieht offenbar keine der mit Beitragssachen<br />

befaßten Kammern der drei VG hier Handlungsbedarf; vielmehr wird offensichtlich davon ausgegangen,<br />

daß nach der Entscheidung des <strong>Land</strong>esverfassungsgerichts vom 21.09.12, VfgBbg<br />

46/11, die aktuelle Rechtslage in den §§ 8, 12 BbgKAG verfassungsgemäß ist, zumal bereits das<br />

BVerwG die Beitragserhebung in <strong>Brandenburg</strong> aus verfassungs- und bundesrechtlichen Erwägungen<br />

ausdrücklich billigte (siehe B. v. 14.07.08, 9 B 22.08 und B. v. 24.09./05.11.09, 9 BN 1<br />

und 4.09) und das BVerfG nachfolgende Beschwerde nicht zur Entscheidung annahm.<br />

Selbst das VG CB hat es unterlassen, das BbgKAG für verfassungswidrig zu erklären und folglich<br />

auch konsequent davon abgesehen, dies dem BVerfG zur Entscheidung vorzulegen. Interessant<br />

ist dementgegen das aktuelle Urteil des VG Schwerin (v. 11.04.13, 4 A 1250/12), daß die<br />

Nichteinschlägigkeit der Entscheidung des BVerfG (für das zum Bbg insoweit wortlautidentische<br />

KAG-MV) gut verständlich erläutert. Im UA S. 7 ff. heißt es dazu wörtlich:<br />

„... Zunächst handelt es sich bei der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung des Art 13 Abs.<br />

1 Nr. Buchst b) cc) um eine Verjährungsregelung, die in gleicher oder ähnlicher Weise im Kommunalabgabengesetz<br />

M-V nicht existent ist. Die Besonderheit der beanstandeten Regelung ist darin zu sehen, dass<br />

nach bayerischem <strong>Land</strong>esrecht augenscheinlich eine Anschlussbeitragssatzung rückwirkend in Kraft gesetzt<br />

werden muss, damit sie — bislang „in satzungsloser Zeit" ergangene — Abgabenbescheide heilen kann. Vom<br />

Bundesverfassungsgericht ist nunmehr beanstandet worden, dass der Satzungsgeber zwar praktisch in beliebig<br />

lange Zeiträume rückwirkend eine Satzung erstmalig in Kraft setzen kann, ohne dabei gegen das verfassungsrechtliche<br />

Rücicwirkungsverbot zu verstoßen, die Regelung des Art 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) cc) Bay-KAG,<br />

der zu Folge die Verjährungsfrist immer erst in der Zukunft nach dem Erlass der ersten wirksamen Satzung zu<br />

laufen beginnt, hingegen dazu führen kann, dass zwischen Entstehung der sachlichen Beitragspflicht und dem<br />

Eintritt der Festsetzungsverjährung ein nicht mehr mit dem Verfassungsgrundsatz der Rechtssicherheit zu vereinbaren<br />

der Zeitraum liegen kann. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach dem bayerischen <strong>Land</strong>esrecht<br />

beitragspflichtig derjenige ist, der im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht Eigentümer oder<br />

sonstiger Beitragspflichtiger ist oder war. Es kommt hingegen nach der dortigen Regelung nicht darauf an, ob<br />

er im Zeitpunkt des Erlasses des Anschlussbeitragsbescheides noch Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger<br />

ist. ... Eine vergleichbare Verjährungsregelung gibt es im Kommunalabgabengesetz M-V nicht. § 12<br />

Abs. 2 KAG M-V i.V.m. § 169 AO setzt die Verjährungsfrist für alle Fälle auf vier Jahre ab dem Entstehen<br />

der sachlichen Beitragsfrist fest. Ein beliebiges Auseinanderklaffen von Entstehung der Beitragspflicht<br />

und Eintritt der Verjährung ist damit ausgeschlossen....<br />

Die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern und die Regelungen im BayKAG unterscheiden sich insofern,<br />

da das Entstehen der sachlichen und persönlichen Beitragspflicht nach Artikel 5 Abs. 6 BayKAG zusammenfällt.<br />

Nach dem <strong>Land</strong>esrecht von M-V ist nach § 7 Abs. 2 KAG M-V hingegen beitragspflichtig immer derjenige,<br />

der im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides die persönlichen Kriterien der Beitragspflicht<br />

als Grundstückseigentümer oder sonstiger Pflichtiger erfüllt. Eine „Verflüchtigung" des Vorteils<br />

wie im bayerischen <strong>Land</strong>esrecht, das unter Umständen — wie im Fall des Bundesverfassungsgerichts -<br />

an eine längst vergangene Eigentümerstellung anknüpft, ist deshalb nicht möglich. ...<br />

Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Rechtssicherheit zuwiderlaufende Regelung ist in § 9 Abs. 3<br />

KAG M-V ist auch insoweit nicht zu erkennen, als dort nicht das Erfordernis der rückwirkenden Inkraftsetzung<br />

der Beitragssatzung oder aber eine starre äußerste zeitliche Grenze für das zulässige Entstehen<br />

der sachlichen Beitragspflicht durch Erlass einer wirksamen Beitragssatzung geregelt ist. Eine derartige<br />

Regelung gebietet das Verfassungsrecht nicht und lässt sich aus der Entscheidung auch nicht herauslesen. ...<br />

Schließlich ist im Hinblick auf die „Verflüchtigung" des Vorteils für das Anschlussbeitragsrecht nach Maßgabe<br />

des <strong>Land</strong>esrechts in M-V zu berücksichtigen, dass der Anschlussvorteil ein weitaus länger währender ist als<br />

beispielsweise der Anliegervorteil aus einer Straßenbaumaßnahme. Die Konzeption und Realisierung einer<br />

Trinkwasserversorgungs- bzw. Abwasserbeseitigungsanlage ist — der Materie geschuldet — weitaus aufwändiger<br />

als z. B. die Erneuerung einer Straße. So ist im konkreten Fall noch nicht einmal der bis in das<br />

Jahr 2014 reichende Investitionszeitraum für die zentrale Abwasserbeseitigungseinrichtung abgelaufen. Unter<br />

diesen Rahmenbedingungen kann eine zeitliche Höchstgrenze in Ansehung der konkreten Planungsund<br />

Realisierungserfordernisse nicht gezogen werden, ohne auf der anderen Seite den ebenfalls verfas-<br />

4


sungsrechtlich geschützten Bereich der gemeindlichen Selbstverwaltung zu verletzen. Eine Rechtssicherheit<br />

im o.g. Sinne beginnt daher, wenn die Vorteile, die die Anlage bietet, den Eigentümern vollständig<br />

zugeflossen sind. Bezug zu nehmen ist dabei auf die konkrete Anlage, für die die Vorteile abgeschöpft<br />

werden. ..."<br />

Dieser rechtlichen Wertung ist vorbehaltlos zuzustimmen, zumal die Einfügung einer starren<br />

Grenze (2015/2020) dazu führt, daß nicht (mehr) alle Grundstücke mit derselben Vorteilslage zu<br />

derselben Vorteilsabgeltung (Anschlußbeitrag) herangezogen werden (können). Ausgehend von<br />

der Feststellung, daß alle anschließbaren Grundstücke dauerhaft derselben Vorteilslage unterfallen<br />

(st. Rspr. seit OVG Frankfurt (0.), Urt. v. 05.12.01, 2 A 611/00 u. OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong>,<br />

Urt. v. 12.12.07, 9 B 44. u. 45.06 mit Bestätigung durch BVerwG, B. v. 14.07.08 und LVerfG, B.<br />

v. 21.09.12, alle a.a.O.), wird die von den Gerichten zutreffend gefordert Gleichbehandlung<br />

durch gleiche Heranziehung aller vorteilsunterliegenden Grundstücke regelrecht ausgeschlossen.<br />

Eine absolute Grenze, erst Recht 2015, wird durch die praktischen Schwierigkeiten der Veranlagung,<br />

der stark wechselnden Rspr. der VG nebst deren kalkulatorischen Auswirkungen sowie der<br />

durchschnittlichen Verfahrenszeiten im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> zu einem erheblichen Beitragsausfall<br />

führen, der von Dritter Seite ausgleichsbedürftig ist. Durch das Junktim von Beiträgen und Gebühren<br />

wird die gesamte öffentlich-rechtliche Refinanzierung getroffen; verjährte Beitragsforderungen<br />

sind im Ausgleich nicht (mehr) gebührenfähig, gleichwohl aber beim Abzugskapital zu<br />

beachten. Die sich für beide Abgabenarten ergebende Deckungslücke muß durch den Aufgabenträger<br />

im Umlageweg ausgeglichen werden. Allerdings dürften die von diesen Umlagen betroffenen<br />

Kommunen ihrerseits Ersatz beim <strong>Land</strong> wg. Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip suchen.<br />

Daher beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:<br />

1. Welche zentralen Aussagen trifft das BVerfG in seinem Beschluß vom 05.03.2013 (Az.<br />

BvR 245/08)?<br />

Das BVerfG verlangt eine strikte Kopplung der Vorteilslage an die hierdurch bedingte Abgabenerhebung,<br />

die danach in zeitlicher und persönlicher Hinsicht zu einer Beschränkung der Veranlagungsmöglichkeiten<br />

führt. Eine vollständige Loslösung des Zeitpunktes des Verjährungsbeginns/-ende<br />

im Verhältnis zum Zeitpunkt der Entstehung der Vorteilslage (sachl. Beitragspflicht)<br />

und deren Wahrnehmung (Eigentümerstellung) ist verfassungswidrig. Die Beitragserhebung muß<br />

in einem überschaubaren Zeitraum nach Entstehung der Vorteilslage (sachliche Beitragspflicht)<br />

ggü. dem Inhaber der Vorteilslage erfolgen.<br />

2. Ist die Entscheidung vom 05.03.2013 auf <strong>Brandenburg</strong> übertragbar? Welche Auswirkungen<br />

hat der Beschluß des BVerfG auf <strong>Brandenburg</strong>?<br />

Nein. Wegen der vollständig abweichenden Rechtslage der §§ 8, 12 BbgKAG zu Art. 13<br />

BayKAG (s.o. Einleitung) ist der Beschluß nicht übertragbar. Soweit das VG CB mit B. v.<br />

08.05.13, 6 L 328/12, Bedenken (per 01.04.14) angeführt hat, bleibt abzuwarten, ob dies für die<br />

Beschwerde sowie in der Hauptsache auch vom OVG und ggf. dem BVerfG geteilt wird. Bekanntlich<br />

haben BVerwG (s. B. v. 14.07.08/24.09.09, a.a.O.) und LVerfG (s. B. v. 21.09.12,<br />

a.a.O.) die Regelungen in §§ 8, 12 BbgKAG n.F. ausdrücklich für verfassungsgemäß erklärt.<br />

Wir gehen davon aus, daß in einem der lfd. Hauptsacheverfahren (nach Nichtzulassung der Berufung<br />

durch das OVG) alsbald erneut das BVerfG angerufen wird und sich dann explizit auf den<br />

Vorhalt der Verfassungswidrigkeit im Lichte des Beschlusses vom 05.03.13 zur Rechtslage im<br />

<strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> entäußern kann. Ob dann nicht erneut „nur" ein bloßer Nichtannahmebeschluß<br />

ergeht, bleibt abzuwarten.<br />

5


3. Welche verschiedenen Fallkonstellationen in Bezug auf das brandenburgische KAG sind<br />

von dem Beschluß des BVerfG betroffen?<br />

Grundsätzlich gilt die Entscheidung des BVerfG für alle Abgabenerhebungen (nach <strong>Land</strong>esund/oder<br />

Bundesrecht), die eine Vorteilsabgeltung darstellen. Damit sind denklogisch auch alle<br />

landesrechtlichen Anschlußbeiträge (u.a. für Trink-, Schmutz- und Regenwasser) gern. § 8 Abs. 4<br />

S. 3 i.V.m. Abs. 2 BbgKAG betroffen.<br />

4. Ergibt sich daraus aus Ihrer Sicht ein Änderungsbedarf beim KAG des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>?<br />

Nein (s.o. Einleitung). Die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> ist wg. der hiesigen unterschiedlichen<br />

Vorgaben (Erhebung von Beiträgen nur vom aktuellen Eigentümer, kein Auseinanderfallen von<br />

Entstehung der sachl. Beitragspflicht zum Verjährungsbeginn) nicht betroffen.<br />

5. Sind im bbg. KAG gesetzgeberische Änderungen notwendig, damit die Vorschriften des<br />

bbg. KAG im Einklang mit höherrangigem Recht und der Rspr. des BVerfG stehen?<br />

Nein (s.o. Einleitung), wie vor. Bis auf den B. v. 08.05.13 des VG CB, 6 L 328/12, gibt es kein<br />

Judikat, das die Verfassungsmäßigkeit des BbgKAG in Zweifel zieht. Die sonstige Instanzenrechtsprechung<br />

seit dem 05.03.13 hat keine Zweifel geäußert (siehe für Bbg u.a. VG Frankfurt<br />

(0.), 8 L 209/12, B. v. 16.05.13; 5 L 337/12 und B. v. 07.05.13; besonders deutlich auch VG<br />

Schwerin, Urt. v. 11.04.2013, 4 A 1250/12 m.w.N.).<br />

6. Wie können diese Änderungen ausgestaltet werden?<br />

Entfällt (wg. Antwort zu Nr. 2, 4 und 5).<br />

7. Welche rechtlichen oder tatsächlichen Folgen ziehen die in Betracht kommenden Änderungsmöglichkeiten<br />

nach sich?<br />

Entfällt (wg. Antwort zu 2, 4 bis 6).<br />

8. Ist die <strong>Brandenburg</strong>er Regelung in § 8 Abs. 7 S. 2 KAG unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen<br />

Grundsatz der Rechtssicherheit?<br />

Durch §§ 8 Abs. 7 S. 2, 12 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) BbgKAG n.F. i.V.m. §§ 169, 170 AO ist sichergestellt,<br />

daß nach Eintritt der Vorteilslage deren Abgeltung zeitlich strikt befristet bleibt. Die Abgabenerhebung<br />

von einem Nichtbevorteilten ist zudem grundsätzlich ausgeschlossen. Nach den<br />

überzeugenden Ausführungen des LVerfG (s. B. v. 21.09.12) erfüllt das BbgKAG auch insoweit<br />

alle Maßgabe der verfassungsrechtlichen Anforderungen.<br />

9. Ist die Beitragserhebung bei Altanschließern verfassungswidrig?<br />

Die Erhebung von (gleichen) Beiträgen von sog. „neuangeschlossenen" und „altangeschlossenen"<br />

Grundstücken entspricht der gleichen Vorteilslage. Alle Grundstücke, die über eine Anschlußmöglichkeit<br />

verfügen, erlangen — unabhängig davon, wann diese Anschlußmöglichkeit<br />

körperlich geschaffen wurde — dieselbe (dauerhafte) Vorteilslage. Daher erfordert es das abgabenrechtliche<br />

Äquivalenzprinzip als Ausprägung des Gleichheitssatzes, alle Grundstücke, darunter<br />

auch sog. „Altanschließer" zu demselben Beitrag heranzuziehen; deren Nichterhebung wäre<br />

rechts- und verfassungswidrig (so st. Rspr. schon seit OVG Frankfurt (0.), Urt. v. 05.12.01, 2 A<br />

611/00 u. OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 12.12.07, 9 B 44.145.06 mit Bestätigung durch<br />

6


BVerwG, B. v. 14.07.08, 9 B 22.08 und Urt. v. 12.11.08, 9 A 3.08 mit Bestätigung durch<br />

BVerwG, B. v. 24.09.105.11.09, 9 BN 1. und 4.09 sowie LVerfG, B. v. 21.09.12, alle a.a.O.).<br />

10. Welche allgemeinen Verjährungsregelungen gibt es im Beitrags- und Abgabenrecht des<br />

<strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>? Wie berechnen sich diese Fristen?<br />

Gern. § 12 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) BbgKAG i.V.m, § 170 Abs. 1 AO gilt eine vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist.<br />

Diese beginnt, wenn die sachliche Beitragspflicht für das Grundstück entstanden<br />

ist, § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG n.F. Danach ist dies dann der Fall, wenn die Möglichkeit<br />

des Anschlusses eines Grundstücks an die öffentliche zentrale Einrichtung besteht und der Aufgabenträger<br />

(nach dem 01.02.2004) über eine vollwirksame Beitragssatzung verfügt.<br />

Etwas anderes gilt dann, wenn der Aufgabenträger bereits vor dem 01.02.04 über eine vollwirksame<br />

Beitragssatzung verfügte oder eine sich danach beschlossene Beitragssatzung Rückwirkung<br />

auf einen Zeitpunkt bis zum 31.01.04 beimißt. In diesem Falle entsteht die sachliche Beitragspflicht<br />

zwar ebenfalls (erst) mit der ersten wirksamen Beitragssatzung, die sich allerdings ihrerseits<br />

Rückwirkung auf den (aller)ersten Satzungsversuch des Aufgabenträgers beizumessen hat, §<br />

8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG a.F.<br />

11. Welche anderen Vorschläge für eine solche zeitliche Begrenzung wären aus Ihrer Sicht<br />

nach der Entscheidung des BVerfG für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> ebenso denkbar?<br />

Jede starre zeitliche Begrenzung wird durch das Wesen der Erhebung eines Anschlußbeitrages<br />

konterkariert. Ein solcher Beitrag wird als Gegenleitung für die Möglichkeit der Inanspruchnahme<br />

einer zentralen öffentlichen Einrichtung (der Ver- und/oder Entsorgung) erhoben. Die Erhebung<br />

beruht regelmäßig auf einer Periodenglobalkalkulation. Vereinfacht bedeutet dies, daß die<br />

Aufwendungen des kalkulierenden Aufgabenträgers bis zum Kalkulationsstichtag nach den bisherigen<br />

tatsächlichen Aufwendungen sowie den ausstehenden prognostischen Aufwendungen bis<br />

zum Ablauf des Planungshorizonts ermittelt und der sonach ermittelte Gesamtbetrag auf alle voraussichtlich<br />

anschließbaren Flächen bei Ablauf des Planungshorizonts verteilt wird (= kalkulatorischer<br />

Höchstbeitragssatz).<br />

Da alle anschließbaren Flächen denselben Vorteil aufweisen, der der Beitragserhebung systematisch<br />

zugrunde liegt, muß auch gesetzlich sichergestellt sein, daß alle diese Flächen in der gleichen<br />

Weise zu demselben Beitrag herangezogen werden. Eine zwischenzeitlich — d.h. vor Ablauf<br />

der Umsetzung des Prognosezeitraums und der hierzu vorzunehmenden Veranlagung — eingreifende<br />

zeitliche (starre) Grenze führt zwingend zur Ungleichbehandlung, wenn sich daraus in typengrenzenrelevantem<br />

Umfang Gruppen von Grundstücken bilden, die (gar) nicht oder nur zu<br />

einem geringeren Beitrag herangezogen worden sind.<br />

12. Halten Sie den Vorschlag einer sog. Ablaufhemmung von zehn Jahren bis zum<br />

03.10.2000 für angemessen? Welche anderen Zeiträume sind aus Ihrer Sicht ebenso angemessen?<br />

Welche praktischen Auswirkungen sind damit verbunden?<br />

Der Vorschlag ist jedenfalls unangemessen. Wenn überhaupt (s.o.), könnte allenfalls mit dem<br />

Jahr der Existenz der Entscheidung des BVerfG vom 05.03.2013 der Bedarf für die Statuierung<br />

einer zeitlichen Grenze gesehen werden. Dies führt dazu, daß eine Ablaufhemmung nicht vor<br />

2013 anzunehmen und die zeitlich nachfolge absolute Grenze im Abstand von 20 Jahren zu bemessen<br />

wäre. Die bisher diskutierten 10 Jahre sind willkürlich gegriffen und umfassen nur einen<br />

Bruchteil der bereits seit 1990 tatsächlich verstrichenen Zeit, zumal die klassische Altanliegerrechtsprechung<br />

erst aus den Jahren 2000/2001 bzw. 2007/2008 stammt.<br />

Vor dem Hintergrund der zuvor vertretenen Rechtsauffassung besteht dafür aber ohnehin kein<br />

Bedarf.<br />

7


13. Welcher Zeitpunkt ist bei sog. Altanschließer-Grundstücken aus Ihrer Sicht derjenige,<br />

der einen Vorteilseintritt begründet?<br />

Der Zeitpunkt der dauerhaft (rechtlich gesicherten) Anschlußmöglichkeit an eine wirksam statuierte<br />

öffentliche zentrale Einrichtung begründet die Vorteilslage. Mangels rechtlicher Kontinuität<br />

der Aufgabenträger der Ver- und Entsorgung kann dies frühestens mit der wirksamen Gründung<br />

des jeweiligen Aufgabenträgers im Geltungsbereich der Gesetze des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> und der<br />

vollwirksamen Konstituierung der jeweiligen öffentlichen zentralen Einrichtung erfolgt sein.<br />

Praktischer Weise kann dies bei einem Zweckverband wohl nicht vor Ergehen der Bescheide<br />

nach § 14 StabG und des nachfolgenden Erlasses wirksamen Ortsrechtes des Aufgabenträgers der<br />

Fall gewesen sein. Der Regelfall allein für die Bescheide nach § 14 StabG liegt also zwischen<br />

1999 und 2004, hinsichtlich der Ortsrechtsvorschriften dürfte dies völlig offen und einzelfallabhängig<br />

sein.<br />

Wegen der rechtlichen Gleichstellung von Alt- und Neuanschließern durch dieselbe dauerhafte<br />

Vorteilslage stellt sich die Frage letztlich auch nicht. Für alle anschließbaren Grundstücke greift<br />

der Zeitpunkt des Vorteilseintritts in gleicher Weise.<br />

Wenn und soweit der Gesetzgeber hier unterschiedliche Vorteilslagen für „Alt- und Neuanschließer"<br />

schaffen will, muß er den einheitlichen Vorteilsbegriff in § 8 Abs. 2 BbgKAG abschaffen<br />

und durch eine speziellere Regelung ersetzen. Allerdings wird damit eine einheitliche Abgabenerhebung<br />

wg. des Junktims von Beiträgen und Gebühren schlicht unmöglich; durch die Maßgaben<br />

der Rspr. (siehe etwa OVG Frankfurt (Oder), Urt. v. 03.12.03, 2 A 733/03) fällt auch die<br />

Möglichkeit der alternativen oder ergänzenden Erhebung anderer Beitragsarten (z.B. eines Verbesserungs-<br />

oder Erneuerungsbeitrages, bsplw. nur für „Altanschließer") auf absehbare Zeit aus.<br />

14. Inwieweit sind Beitragszahlungen für zukünftige Investitionen zur Herstellung der Anlagen<br />

rechtlich zulässig und anwendbar?<br />

Mit den Beiträgen wird der (nicht bereits durch die Gebühren abgedeckte) Anteil an den Investitionen<br />

bis zum Ablauf des Prognosezeitraums refinanziert. Ein steigender Beitragsanteil führt zu<br />

geringeren Gebührensätzen und umgekehrt. Ohne die Beitragserhebung ist daher stets eine erhebliche<br />

Gebührensatzsteigerung gegeben, gesondert eine erhebliche Liquiditätsbelastung des Aufgabenträgers<br />

durch die dann erforderliche mittel- und langfristige kreditive Vorfinanzierung der<br />

Investitionsaufwendungen mit entsprechender Verschuldung u. gesamtwirtschaftlicher Belastung.<br />

Zu berücksichtigen ist ferner, daß nach der Vorgabe des OVG für die Auslegung des irrevesiblen<br />

<strong>Land</strong>esrechts (s. Urt. v. 03.12.03, a.a.O.) faktisch bis zur Vollerschließung bzw. zumindest bis<br />

zum Ablauf der Prognosezeiträume trotz der Aufzählung in § 8 Abs. 2 S. 1 BbgKAG keine andere<br />

Beitragsart, als der einen Herstellungsbeitrages, rechtlich zulässig und allein anwendbar ist.<br />

15. Welche praktischen/materiellen Folgen hätten Verjährungsmodelle für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

mit einer Verjährungsfrist von 2030, 2020 und 2015:<br />

- für Vermieter - für Mieter - für Eigenheimbesitzer?<br />

Hier kann zunächst auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Grundsätzlich ist aber<br />

stets die generelle Wirkung und Interessenlage für eine Beitragserhebung zu beachten. Bsplw.<br />

profitieren Mieter, Großbetriebe, Wirtschaftsförderungen und Leistungsträger nach den SGB II<br />

und XII immer von der Beitragserhebung durch die dann deutlich niedrigeren Gebührensätze,<br />

während Vermieter und EFH-Besitzer regelmäßig von Beitragsfreistellungen profitieren.<br />

Mit Sicherheit kann bereits jetzt prognostiziert werden, daß bei einer Veijährungsfrist 2015 große<br />

Teile der noch nicht bestandskräftig erhobenen Beitragsansprüche ausfallen werden, auch für<br />

2020 ist dies wg. der Systematik der Beitragserhebung und der normalen Verfahrensdauer bei<br />

<strong>Brandenburg</strong>er Verwaltungsgerichten in Verbindung mit der materiell-rechtlich und insbesondere<br />

8


in formaler Hinsicht teilweise sprunghaften Rechtsprechung zu erwarten. Nur bei einer Frist zum<br />

Jahr 2030 ließe sich eine Beitragserhebung realisieren, die das reguläre Beitragsaufkommen zumindest<br />

bis zur Typengrenze sicherstellt.<br />

Grundsätzlich würde eine Umstellung der Abgabenerhebung (von Beiträgen auf Gebühren) die<br />

Vermieter vollständig entlasten und deren Mieter vollständig belasten. Bei unterstelltem Eintritt<br />

der Festsetzungsverjährung dürfte sich aber erst nach Ablauf der (geplanten) Auflösungszeiträume<br />

eine wirkliche Gebührensatzsteigerung ergeben, da die Beitragsausfälle nach der Vorgabe des<br />

OVG nicht gebührenfähig, sondern mithin durch den Aufgabenträger (über Umlagen an die<br />

Kommunen) zu refinanzieren sind. Die betroffenen Kommunen bzw. die Zweckverbände dürften<br />

wegen dem damit verbundenen Eingriff in ihre Rechte durch das <strong>Land</strong> (Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip)<br />

die Ausfälle letztlich beim Verursacher, dem Gesetzgeber, geltend machen.<br />

Nimmt man die Größenordnung der Verfahrensweise des Freistaates Thüringen (s. aktuelle Stunde<br />

LT v. 14.02.13 „Das teuerste Wahlversprechen und ... größte Wahlgeschenk der<br />

...Alleinregierung") mit der völligen Abschaffung der Trinkwasser- und der Deckelung der Abwasseranschlußbeiträge<br />

sind auch in <strong>Brandenburg</strong> Gesamtkosten von > 1 Mrd€ zu erwarten. Der<br />

Freistaat hat die Freistellung der Aufgabenträger durch ein kreditfinanziertes Sondervermögen<br />

getragen; die Zinsen betragen 2014 allein 21,6 Mio€, die Planung des MdF sieht bis 2027/28 einen<br />

Zinsbelastung von 160 Mio€ im Jahr vor. Insgesamt schwanken die Schätzungen der Gesamtlast<br />

für Thüringen zwischen 1,1 Mrd. (<strong>Land</strong>esregierung) und bis 4 Mrd. (Opposition).<br />

16. Was würde die Regelung einer Verjährungshöchstfrist für die kommunalen Aufgabenträger<br />

in der Praxis bedeuten?<br />

a) 10+20-Modell: Festlegung einer regelmäßigen Höchstfrist von 20 Jahren (Hemmung bis<br />

03.10.2000)<br />

Sie wird zu Beitragsausfällen führen, die allerdings im Vergleich zur Fristsetzung bis 2015 deutlich<br />

geringer ausfallen. Die bewährte und rechtssichere Regelung des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG<br />

wird soweit eingeschränkt, daß sie faktisch ihre Wirkung verliert. Die Absicht des Gesetzgebers<br />

in der Begründung des 2. Entlastungsgesetzes zur klarstellenden Einfügung des Begriffs „rechtswirksam"<br />

wird damit wieder aufgehoben. Die Folge ist der Eintritt der in dieser Gesetzbegründung<br />

bereits angeführten und zur Vermeidung gestellten „Beitragsausfälle" der Kommunen.<br />

Ansonsten wird auf die vorstehende Beantwortung verwiesen.<br />

b) Festlegung einer kürzeren regelmäßigen Höchstfrist (Hemmung bis 03.10.2000)<br />

Hier muß ebenfalls auf die Beantwortung der vorstehenden Fragen verwiesen werden; es wird zu<br />

erheblichen Beitragsausfällen kommen. Alle Aufgabenträger, die bisher die (Nach-)Erhebung<br />

noch nicht begonnen haben, werden faktisch insgesamt ausfallen und damit eminente Gruppen<br />

von Beitrags- und Nichtbeitragszahlern haben. Die bereits tätigen Aufgabenträger werden eine<br />

deutlich höhere Klagequote verzeichnen mit der Folge eines höheren Risikos der Rechtsverteidigung<br />

und analog längeren Verfahrenslaufzeiten. In der Konsequenz wird auch dies zu erheblichen<br />

Beitragsausfällen in all den Erhebungsgruppen führen, die bisher noch nicht bestandskräftig<br />

geworden sind.<br />

Die starre Frist bei 2015 schafft einen echten Anreiz, auf ein Beitragsvereitelungsmodell zu setzen.<br />

Es wird in der überwiegenden Anzahl der Anfechtungsverfahren allein durch die (meist formalen)<br />

Anforderungen der Rechtsprechung bei allen noch nicht bestätigten Beitragssatzungen<br />

(also 90 % der Aufgabenträger) zu Aufhebungen der Bescheide in der Zeit bis 2015 kommen.<br />

Mit gezielten und einfachen Maßnahmen läßt sich danach eine Neubescheidung und eine weitere<br />

Hemmungswirkung nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) BbgKAG i.V.m. § 171 Abs. 3a AO problemlos<br />

umgehen, wird der Beitragsausfall konstitutiv.<br />

9


17. Mit welchen Forderungen wären sie vor Ort konfrontiert, wenn klar wäre, daß Ihre<br />

bisher noch nicht festgesetzten Beitragsforderungen in den nächsten 20 Monaten erlöschen?<br />

Diese Frage kann letztlich nur eine beitragserhebende Behörde beantworten. Aufgrund unserer<br />

bisherigen und zahlreichen laufenden Rechtsbehelfsverfahren sowie der ständigen Betreuung<br />

zahlreicher Aufgabenträger gehen wir aber von einem ambivalenten Druck der kommunalen Entscheidungsträger<br />

auf die Verantwortlichen der Aufgabenträger aus. Dies reicht von sofortiger<br />

Bescheidung (wg. der anstehenden Wahlen, insbes. der Kommunalwahl am 25.05.14) bis zu aktiven<br />

und passiven Maßnahmen zur Herbeiführung der Verjährung (bsplw. Druck auf die Behördenleiter<br />

für ein weiteres „Moratorium", Abwarten der weiteren Rspr. und etwaiger „Musterverfahren",<br />

Ablehnung des Erlasses wirksamer Beitragssatzungen, Beschlüsse zur Nichtbescheidung,<br />

etc.). Tendenziell wird aber eher versucht werden, sich gezielt der Beitragserhebungspflicht<br />

zu entziehen und den vermeintlich unschädlicheren Weg des Verjährungseintritts zu befördern.<br />

18. Was würde es für das Rechtsempfinden der Menschen vor Ort bedeuten, wenn eine<br />

Gruppe von Beitragsschuldnern privilegiert würde, weil sie nicht mehr zahlen muß? Würden<br />

Sie als kommunaler Aufgabenträger in diesem Fall erwägen, auch die bereits gezahlten<br />

Beiträge der sog. Neuanschließer zurückzuzahlen?<br />

Auch hier sind zuerst die Aufgabenträger zur Beantwortung berufen. Allerdings setzt eine Rückzahlung<br />

voraus, daß diese überhaupt geleistet werden kann, soweit die Kommunalaufsicht weiterhin<br />

die Aufnahme von Krediten hierfür jeweils genehmigt. Problematisch wird dann aber nicht<br />

nur die Behandlung etwaiger Rückzahlungen in kalkulatorischer und bilanzieller Hinsicht, sondern<br />

im Trinkwasserbereich auch in (umsatz- und ertrags-)steuerlicher Hinsicht.<br />

Letztlich dürfte es mit dem Gleichheitsgrundsatz schlichtweg nicht zu vereinbaren sein, daß eine<br />

(erhebliche) Gruppe von Vorteilsnehmern die Beiträge gezahlt hat und eine andere (erhebliche)<br />

Gruppe davon freigestellt wird. Keine der beiden Gruppen wird dies rechtlich hinnehmen, auch<br />

auf der Gebührenebene nicht. Zu erinnern ist daran, daß die Veranlagung von „Altanschließern"<br />

überhaupt erst durch Klagen der „Neuanschließer" provoziert wurde (s. Urt. v. 05.12.01, a.a.O.),<br />

die gleiche Beitragserhebung von Neu- und Altanschließern durch Klagen der Altanschließer<br />

gegen die Verbesserungsbeiträge (s. Urt. v. 03.12.03, a.a.O.) und sogar das relative Erfordernis<br />

rechtzeitiger gleicher Beitragserhebung durch Klagen von Gebührenzahlern (siehe VfGBbg<br />

48/11, a.a.O.). Letztlich läuft es auf eine steuerfinanzierte Subventionierung der ausgebliebenen<br />

Beitragserhebung hinaus, unabhängig vom Zahlungspflichtigen, <strong>Land</strong> oder Kommunen.<br />

19. Sind der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der verfassungsrechtliche<br />

Gleichheitssatz noch eingehalten, wenn eine nicht unerheblich große Gruppe von Beitragsschuldnern<br />

sich der solidaren Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen entziehen<br />

kann?<br />

Mit den bekannten Grundsätzen der Rspr. des OVG zur Typengerechtigkeit muß dies klar verneint<br />

werden. In diesem Falle ist zwingend ein Ausgleich vorzunehmen (s. OVG, Urt. v.<br />

06.06.07, 9 A 77.05), dessen Art und Weise allerdings der Aufgabenträger bestimmen kann.<br />

Wichtig ist danach nur, daß alle Grundstücksberechtigten, die die öffentliche zentrale Anlage<br />

nutzen können, in ungefähr gleichem Umfang zu deren Refinanzierung beitragen. Nachträglich<br />

gebührenfähig sind die verjährten Beitragsansprüche allerdings nicht (mehr).<br />

20. Angenommen, die jetzt vorzunehmende Regelung würde zu einem Erlöschen von noch<br />

nicht festgesetzten Beitragsansprüchen in kurzer Frist (z.B. in den nächsten zwei Jahren)<br />

führen:<br />

10


a) Wer hat dann die Einnahmeausfälle der Gemeinden und Zweckverbände zu übernehmen?<br />

Mangels Gebührenfähigkeit dieser Ausfälle greift zunächst die Pflicht, die Ausfälle durch das<br />

allgemeine Verwaltungsaufkommen (Haushalt der Gemeinde bzw. Umlagen des Zweckverbandes)<br />

zu decken. Diese werden allerdings auf die Verursachung der Ausfälle durch den nachträglichen<br />

gesetzlichen Eingriff des <strong>Land</strong>es verweisen und anhand des Konnexitätsprinzips bzw. -<br />

gebotes auf Ersatz durch das <strong>Land</strong> nötigenfalls klagen. Aufgrund des Präjudizes anhand der Verfahrensweise<br />

im Freistaat Thüringen dürfte auch relativ klar sein, daß sich das <strong>Land</strong> mit einer<br />

nachträglichen gesetzlichen Regelung, die einen Beitragsausfall bedingt, in die Haftung begibt.<br />

b) Sind die Einnahmeausfälle durch Umlagen der Mitgliedsgemeinden zu finanzieren?<br />

Den Zweckverbänden steht ansonsten kein anderes allgemeines Refinanzierungsmittel offen, §§<br />

18 und 19 BbgGKG, wenn es weder über Beiträge noch Gebühren zur Deckung dieser — in der<br />

Regel bereits verausgabten (und kreditvorfinanzierten) Kosten — kommt. Allerdings wird dann<br />

nicht nur Streit über die Erhebung der Umlage an sich entstehen, sondern bei selektiver örtlicher<br />

Verteilung der Ausfälle auch über den Umlagemaßstab, also abstrakt von der allgemeinen Umlagevorschrift<br />

zur veranlassungs- bzw. beitragsausfallbezogenen Umlagequote. Durch die stark<br />

unterschiedliche Verteilung der „Altanschließerfälle" in den Verbandsgebieten wird derselbe<br />

Streit, wie bereits bei der Frage, ob und wann die Altanschließer erhoben werden, neuerlich ausbrechen<br />

bzw. werden sich die Verbandsmitglieder letztlich das einfachere gemeinsame Ziel einer<br />

ersatzweisen Inanspruchnahme des <strong>Land</strong>es suchen.<br />

Daß die meisten Gemeinden auch gar nicht in der Lage sein werden, die anstehenden Umlagen<br />

aus ihren Haushalten zu decken, dürfte bekannt sein. Das Problem wird sich auch jahrelang hinziehen:<br />

Neben dem Ausgleich der direkten Beitragsausfälle dürften auch für die lfd. Gebühren<br />

die kalkulatorischen Auflösungsbeträge auf diesem Wege zu refinanzieren sein, also für die Dauer<br />

von 20 bis 66 Jahren, je nach bisheriger Auflösungsrate der Beiträge.<br />

c) Wird der kommunalpolitische Druck auf die ehrenamtlichen Bürgermeister der Mitgliedsgemeinden,<br />

die Verbandsvorsteher, hauptamtlichen Bürgermeister und Gemeindevertreter<br />

etc. steigen, die bisher noch nicht festgesetzten Beitragsansprüche in die Verjährung<br />

laufen zu lassen?<br />

Jede Beitragserhebung ist ein kommunalpolitisches Himmelfahrtskommando, unabhängig von<br />

der Beitragsart und der Höhe der Beiträge. Keine Kommunalabgabe ruft solche Emotionen hervor;<br />

selbst wenn die betragsmäßige Belastung der Beiträge in einigen Zweckverbänden (die nur<br />

einen geringen Anteil der Investitionen über Beiträge refinanzieren, z.B. 15 %) nur gerade so das<br />

Niveau der Jahresgebührenbescheide erreicht, gibt es flächendeckende Widersprüche.<br />

Gerade die anstehende Kommunalwahl wird den Druck enorm erhöhen und es letztlich als Aufgabe<br />

bei den Kommunalaufsichtsbehörden „hängen bleiben", für eine rechtzeitige Beitragserhebung<br />

zu sorgen. Bisher ist nur ein Fall öffentlich bekannt geworden, in denen eine Verbandsversammlung<br />

die Aufhebung der Beitragsbescheide trotz laufender Beitragserhebung gezielt beschlossen<br />

hat. Allerdings haben bereits die personellen Auswahlentscheidungen des Jahres 2012<br />

für ausgeschriebene Leitungsstellen bei Aufgabenträgern (Verbandsvorsteher, Geschäftsführer)<br />

gezeigt, daß Kandidaten bzw. Bewerber, die die „Gefahr" einer zügigen und einheitlichen Beitragserhebung<br />

in sich bergen, bewußt nicht gewählt werden. Daher liegt es auf der Hand, daß<br />

anstehende Wahlkämpfe durch die Beitragserhebungsproblematik geprägt werden.<br />

d) Meinen Sie, in Ihrem kommunalen Aufgabenträger wäre die Vertretungskörperschaft<br />

noch bereit, eine Beitragssatzung zu verabschieden?<br />

Auch diese Frage betrifft letztlich nur die Aufgabenträger selbst. Allerdings haben wir die Erfahrung<br />

gemacht, daß eine ehrenamtliche Verbandsversammlung gerade kleiner Aufgabenträger<br />

1 1


schon jetzt erhebliche „emotionale" Probleme hat, bei einem vollen Saal - mit verbal sich laut<br />

artikulierenden Bürgern, die dabei teilweise auch höchst uncharmant an ihre Verbandsvertreter<br />

direkt herantreten — noch für eine Satzung, die letztlich zur Beitragserhebung führt, zu stimmen.<br />

Besonders problematisch wirkt sich dann das Verhalten der lokalen Hauptverwaltungsbeamten<br />

aus, die in dieser Situation auf das Eingreifen der Kommunalaufsicht spekulieren und deshalb<br />

bewußt einen rechtswidrigen Beschluß in Kauf nehmen, um sich die örtlichen Sympathien zu<br />

erwerben und die Verantwortung auf ihre Aufsichtsbehörde abzuwälzen.<br />

Ganz kritisch wird es dann, wenn nach einer formalen oder materiell-rechtlichen Beanstandung<br />

der Satzung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Beschlußfassung zur Heilung erforderlich<br />

ist. Mit dem Wissen im Hinterkopf, daß ohne wirksame Satzung keine Beitragserhebung möglich<br />

ist, besteht eine erhebliche Motivlage — erst Recht, wenn schon per 2015 eine „Deadline" winkt —<br />

einfach keinen Beschluß zu fassen, sondern dies auf die jeweils folgende Sitzung zu vertagen.<br />

e) Kann es unter bestimmten Umständen dazu kommen, daß die Bürgermeister und Verbandsvorsteher<br />

persönlich für die nicht realisierten Beitragseinnahmen haften müssen?<br />

Diese Konstellation ist sowohl dann möglich, wenn durch den Hauptverwaltungsbeamten entweder<br />

keine wirksame Satzung vorbereitet, unterlassene oder ablehnende Beschlüsse nicht beanstandet<br />

oder bestehende Satzungen nicht umgesetzt werden. Dieselbe Folge tritt ein, wenn die<br />

bestehenden Beitragsansprüche nicht (rechtzeitig) festgesetzt und erhoben werden. Allerdings<br />

könnte es bei fahrlässigem Handeln zu einem Eintritt der Eigenschadensversicherung kommen,<br />

wie dies bereits vor den Urt. vom 12.12.07 bzw. der Rechtslage vor dem 01.02.04 der Fall war.<br />

I) Kann es unter bestimmten Umständen dazu kommen, dass strafrechtliche Fragen aufgeworfen<br />

werden?<br />

Eindeutig ja. Die bisherige Rechtsprechung dazu (siehe etwa LG Frankfurt (Oder), 22 Wi KLs<br />

7/04, B. v. 21.06.04, BA S. 7 rkr.; ebenso dazu GStA <strong>Brandenburg</strong>, 5414 WS 47/04, Vfg. v.<br />

14.09.04) ist eindeutig: Danach ist die unterlassene vollständige Beitragserhebung eine strafbare<br />

Untreue der beteiligten Bediensteten, während eine durch das Verwaltungsgericht beanstandete,<br />

überhöhte Beitragserhebung weder einen Betrug noch eine Abgabenüberhebung darstellt.<br />

g) Würden Sie als beratender Anwalt einer Gemeinde oder eines Zweckverbandes Ihren<br />

Mandanten raten, die Beitragserhebung fortzusetzen? Zu welchem Vorgehen würden Sie<br />

Ihren Mandanten raten?<br />

Unbedingt. Wir empfehlen unseren Mandanten, die Beitragserhebung unverzüglich fortzusetzen<br />

bzw. schnellstmöglich abzuschließen. Jedes Zuwarten wäre nachteilig. Dies gilt derzeit auch unabhängig<br />

von einer etwaigen Gesetzesänderung im BbgKAG. Die ausgesprochen schwankungsanfällige<br />

Rechtsprechung der einzelnen Beitragskammern in <strong>Brandenburg</strong> zu den beachtlichen<br />

Beitragsmaßstäben verlangt geradezu, die aktuell (seit 11/2012) bestehende relative Rechtssicherheit<br />

bei den Anforderungen an die Inhalte einer Beitragssatzung auszunutzen. Jede dortige<br />

Änderung führt zwangsläufig zur Überarbeitung der Kalkulation und damit zu einer erheblichen<br />

Verzögerung in der Satzungsheilung und erneuten Abgabenerhebung.<br />

Dies gilt natürlich erst Recht für den Fall, daß der Gesetzgeber eine zeitliche Grenze<br />

(2015/2020/2030) einführt. Bei dieser Konstellation dürfte der Versuch einer vollständigen und<br />

rechtzeitigen Beitragserhebung schon essentielle Voraussetzung dafür sein, bei späterem Ausfall<br />

von Beitragsansprüchen durch Eintritt der Festsetzungsverjährung einen Ersatzanspruch ggü.<br />

dem <strong>Land</strong> geltend machen zu können.<br />

Je geringer der zeitliche Horizont ausfällt, desto weniger wäre der Aufgabenträger auch in der<br />

Lage, auf Präzedenzverfahren zuzuwarten oder etwa einer Verfahrensaussetzung nach § 94<br />

VwGO zuzustimmen. Der Aufgabenträger wäre aus purem Selbstschutz gehalten, alle zulässigen<br />

12


Verfahrensführungsmöglichkeiten auszuschöpfen, um zumindest bei einem Teil der Beitragsansprüche<br />

bestandskräftige Festsetzungen zu erhalten, auch wenn dies zunächst zu einer ebenso<br />

sprunghaften Erhöhung der Fallzahlen an Rechtsbehelfsverfahren führen wird.<br />

21. Angenommen, die jetzt vorzunehmende Regelung würde dazu führen, daß Ende 2020<br />

erstmalig der Vorteilsausgleich durch Beiträge aufgrund § 19 KAG neu ausgeschlossen ist:<br />

a) Sind dann Einnahmeausfälle der Gemeinden und Zweckverbände in erheblichem Umfang<br />

zu befürchten?<br />

Ja. Durch die durchschnittliche Dauer der Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelverfahren sind im<br />

Schnitt ca. 5 bis 6 Jahre anzusetzen, bis über ein Anfechtungsverfahren zu einem Beitragsbescheid<br />

rechtskräftig entschieden wurde. Rechnet man die durchschnittliche Vorbereitungszeit<br />

(Datenimport aus ALK und -aufbereitung, ggf. Anhörung, Bescheidvorbereitung und -<br />

bescheidung, Fehlläuferkorrektur und Nacherhebung, Beitragsneukalkulation nach Satzungsänderung,<br />

etc.) bis zur Bescheidung hinzu, dürfte eine komplette Erhebungsrunde nicht unter 7 bis 8<br />

Jahren abzuschließen sein.<br />

Selbst ein Endtermin 2020 würde also regelmäßig nur einen Erhebungsversuch, ggf. zwei Versuche<br />

je Aufgabenträger, ermöglichen. Nur ein Zeithorizont bis 2030/2033 würde sicherstellen, daß<br />

formelle und materielle Satzungs- und Erhebungsfehler nicht sofort zum Ausfall führen.<br />

b) Ist mit kommunalpolitischem Druck zu rechnen, die bisher noch nicht festgesetzten Beitragsansprüche<br />

in die Verjährung laufen zu lassen?<br />

Ja, natürlich. Es liegt doch auf der Hand, daß eine solche Verfahrensweise zunächst die einfachste<br />

Lösung ist, eine immer mißliebige Beitragserhebung (gerade vor einer Kommunal- und <strong><strong>Land</strong>tag</strong>swahl)<br />

einfach leer laufen zu lassen. Diese Praxis ist durchaus auch erprobt und war einer der<br />

Gründe, warum sich Aufgabenträger später in der besonderen Betreuung des <strong>Land</strong>es beim<br />

SchMF wiedergefunden haben. Die Handlungspalette reichte dabei von der schlichten Nichtbeschlußfassung<br />

der erforderlichen Beitragssatzung bis zur erneuten Beschlußfassung derselben<br />

alten, vom Gericht bereits gekippten (unwirksamen bzw. rechtsfehlerhaften) Beitragssatzung.<br />

Die später drohenden Einnahmeausfälle oder Sanktionen gegen die Hauptverwaltungsbeamten<br />

sind vor dem Hintergrund der oftmals medial gepuschten Stimmung vor Ort viel zu weit weg.<br />

c) Hat diese Höchstfrist Auswirkung auf die Frage, ob die Vertretungskörperschaft bereit<br />

ist, eine Beitragssatzung (neu) zu verabschieden?<br />

Natürlich. Die Motivation, „nur" noch 2 Jahre (bis 2015) überbrücken zu müssen, ist verständlich<br />

und sogar nachvollziehbar. Bereits das Moratorium des § 12 Abs. 3a BbgKAG hatte bei der Gesetzesänderung<br />

in 2008 dazu geführt, daß sich viele Aufgabenträger (mit tatsächlichem oder vermeintlichem<br />

Endtermin 31.12.2011) regelrecht verführen ließen, mit der notwendigen Umsetzung<br />

der Beitragserhebung bis zuletzt, in das Jahr 2011 hinein, zuzuwarten und dann in akute<br />

Zeitnot gerieten. Die gleiche Wirkung hat eine starre Grenze im Jahr 2015 — nur würde dann die<br />

Chance einer unwirksamen Beitragssatzung durch § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG nicht mehr greifen.<br />

Das Jahr 2020 nimmt bereits einen Teil dieser Motivation, wird aber vollständig wohl nur durch<br />

einen Zeithorizont 2030 bzw. 2033 (20 Jahre ab Einführung einer solchen Grenze) beseitigt.<br />

d) Ist bei dieser Höchstfrist auch damit zu rechnen, dass Bürgermeister und Verbandsvorsteher<br />

persönlich für nicht zu realisierende Beitragseinnahmen haften müssen?<br />

Ja. Siehe obige Ausführungen.<br />

13


e) Bei einem Erlöschen der Beitragsforderungen spätestens Ende 2020: Zu welchem Vorgehen<br />

würden Sie Ihrem Mandanten raten, wenn Sie beratender Anwalt der Gemeinde oder<br />

des Verbandes wären?<br />

Die Antwort ist identisch zu Nr. 20 lit. g). Eine unverzügliche Erhebung ist geboten und sinnvoll.<br />

22. Wie konnte es dazu kommen, daß nach so vielen Jahren noch nicht alle Beitragsansprüche<br />

von den öffentlichen Auftraggebern festgesetzt sind? Ist dies unverschuldet oder haben<br />

die öffentlichen Auftraggeber dafür die Verantwortung zu tragen?<br />

Zunächst ist daran zu erinnern, daß die pflichtige Beitragserhebung ggü. sog. „Altanschließern"<br />

erst der Rechtsprechung des OVG Frankfurt (Oder) seit 2000/2001 zu entnehmen war und das<br />

Obergericht erst durch das Verbot von anderen Beitragsarten (am Beispiel der Fürstenwalder<br />

Verbesserungsbeiträge für die sog. „Altanschließer") das Erfordernis der einheitlichen und gleichen<br />

Beitragserhebung statuiert hat. Bis dahin konnten die Aufgabenträger durchaus davon ausgehen,<br />

diese Gruppe nicht oder nicht in derselben Höhe heranziehen zu müssen.<br />

Sodann hatte das <strong>Land</strong> — nach Bekanntwerden der Judikate vom 12.12.07 — die Aufgabenträger<br />

durch Rundschreiben gebeten, zunächst von Bescheidungen abzusehen und zuzuwarten. Erst<br />

nach den Gesetzesänderungen 2008 bzw. 2009 war klar, daß es bei diesem Erfordernis der gleichen<br />

und einheitlichen Beitragserhebung bleibt.<br />

Ferner wechseln häufig die Anforderungen der Verwaltungsgerichte an die Beitragsmaßstäbe der<br />

Satzungen, in deren Ergebnis die gesamte Kalkulation zu überarbeiten ist (bsplw. des OVG zur<br />

Rundungsregelung in BP-Gebieten bei VG-Bruchzahlen im Urt. v. 27.06.12, zu verdeckten Artzu-<br />

und Artabschlägen im Urt. v. 16.12.09, usw.). Denselben Effekt haben die ständigen Änderungen<br />

des lokalen Bauplanungsrechts durch Satzungen für Innenbereiche, Abrundungen oder<br />

BP/vBP. Eine dementsprechend geänderte Flächenerfassung dauert bei den großen Zweckverbänden<br />

allein 6 bis 9 Monate.<br />

Die Verkehrshäufigkeit der zu veranlagenden Grundstücke ist stark gestiegen, im Schnitt hat<br />

nach 8 bis 12 Jahren jedes Grundstück im Eigentum (und damit der Beitragspflicht) gewechselt.<br />

Zahlreiche Grundbücher sind noch immer nicht aktualisiert, Beitragspflichtige nicht feststellbar<br />

oder streitig. Allein die Rechtsfrage, ob — und wenn ja, wie lange — eine GbR beitragspflichtig ist,<br />

hat in der Klärung der Rechtsprechung für das <strong>Land</strong>esrecht fast 7 Jahre gedauert.<br />

Die Summe dieser Umstände hat es nur bei stringent handelnden Zweckverbänden, die zudem<br />

überdurchschnittlichen persönlichen und personellen Einsatz dazu geleistet und keine widerstreitenden<br />

politischen Initiativen zu umgehen hatten, ermöglicht, bis heute ihre Beitragserhebung<br />

abzuschließen; dies auch nur dann, wenn durch konsequente Rechtsverteidigung die Beitragssatzung<br />

mitsamt der Kalkulation gehalten hat. Dies ist die absolute Ausnahme in <strong>Brandenburg</strong> und<br />

dürfte nur bei einer Handvoll Aufgabenträger vorliegen. Im Durchschnitt hält erst die fünfte Beitragssatzung,<br />

bei den prominenten Fällen der Urt. v. 12.12.07 war es die 7. Beitragssatzung.<br />

23. Kann die Verbandsversammlung bzw. die Gemeindevertretung den Verbandsvorsteher<br />

anweisen, die Beitragserhebung aufgrund der Entscheidung des BVerfG auszusetzen?<br />

Eine solche Entscheidung wäre rechtswidrig. Selbst mit dem o.g. Beschluß des VG CB, der die<br />

Aussetzung abgelehnt hat, gibt es keine ernsthaften Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Beitragserhebung.<br />

Ein gleichwohl gefaßter Beschluß wäre durch den Hauptverwaltungsbeamten und die<br />

Kommunalaufsicht zu beanstanden, die gleiche und allgemeine Beitragserhebung durchzusetzen.<br />

Die Hauptverwaltungsbeamten sind — straf- und haftungsrechtlich sanktioniert — verpflichtet, die<br />

geltende Rechts- und Satzungslage umzusetzen und die Bescheidungen zu vollziehen.<br />

14


24. Ist es sinnvoll, das Beitragsmodell bei den Wasser- u. Abwasseranschlüssen auf ein reines<br />

Gebührenmodell umzustellen? Welche Probleme müßten dabei überwunden werden?<br />

Eine Umstellung verlangt zunächst die Refinanzierung der wegfallenden Beitragseinnahmen, in<br />

der Regel also eine neue Kreditaufnahme. Dies kommt zu einem Zeitpunkt, in denen die ersten<br />

nach 1990 errichteten Anlagen bereits in die Sanierung/Erneuerung/Erweiterung eintreten, was<br />

ebenfalls erheblichen Kapitalbedarf auslöst. Damit entstehen zuerst erhebliche Liquiditätsproblerne<br />

bei den Aufgabenträgern, auch wenn bereits vereinnahmte Beiträge aus Gleichbehandlungsgründen<br />

zurückgezahlt werden (müssen). Im Trinkwasserbereich ist dies auch umsatz- und<br />

ertragssteuerrechtlich relevant und führt zu erheblichen Änderungen der bisherigen Steuerbewertungen,<br />

ggf. einer Korrektur von Bescheidungen (was wiederum Kommunen und Kreise über das<br />

Aufkommen an GewSt bzw. Kreisumlagen trifft).<br />

Bilanziell und kalkulatorisch ist eine solche Umstellung ausgesprochen schwierig. Es müßte eine<br />

komplette Rückrechnung erfolgen, um den Wegfall der Beiträge quasi von Anfang an rückwirkend<br />

zu neutralisieren. Ansonsten sind unterlassene Einnahmen oder zurückgezahlte Beiträge<br />

nicht gebührenfähig, zumal die abgelaufenen Erhebungsperioden mit den Auflösungsbeträgen<br />

nicht mehr in zukünftige Kalkulationsperioden einstellbar sind, § 6 Abs. 3 BbgKAG.<br />

Chaotisch dürfte die Behandlung bisheriger Ablösebeträge und vor allem der im Rahmen von<br />

Erschließungsvereinbarungen kostenfrei übernommenen Anlagen der inneren und äußeren Erschließung<br />

enden: Hier sind die Erschließungsträger in der Regel schon seit Jahren nicht mehr<br />

existent bzw. ist eine Rückrechnung der Gegenleistung wegen der zwischenzeitlich zahlreichen<br />

Änderungen der Beitragsmaßstäbe und deren Anrechnung im Gebührensinne unmöglich. Allein<br />

die geänderten Maßstäbe des OVG zur vollständigen Flächenheranziehung im unbeplanten Innenbereich<br />

und der Bestimmung der Geschoßanzahl anhand der baulichen Ausnutzbarkeit — jeweils<br />

per 08.06.00 — haben die Erhebungsgrundlage wesentlich abgeändert.<br />

Ohne eine vollständige Auskehrung der vereinnahmten Beiträge läßt sich die Abgabengerechtigkeit<br />

nicht mehr herstellen, ohne gesplittete Gebührensätze zu erheben. Vorgabe des OVG ist, daß<br />

im Ergebnis alle Nutzer der öffentlichen Anlage ungefähr denselben Anteil an deren Refinanzierung<br />

haben. Die Bemessung des Splittings ist nach den bisherigen Vorgaben des OVG (u.a. wg.<br />

der Umrechnung der Beiträge je m 2 in einen Bezug von Wasser/Abwasser je m 3) derart anspruchsvoll<br />

(s. Urt. v. 06.06.07, a.a.O.), daß sie in der Praxis nicht zu erfüllen sein werden. Dabei<br />

spielt der nicht kongruente Kreis der Beitrags- und der Gebührenpflichtigen eine wesentliche<br />

Rolle ebenso sowie die hohe Fluktuation im Pflichtigenkreis durch Wechsel im Eigentum.<br />

Die Gebührensätze würden sofort deutlich steigen, damit die Nutzergruppen der Mieter und der<br />

Betriebe, vor allem aber den industriellen Großbetrieben mit hohem Wasserverbrauch, belasten<br />

und erhebliche Probleme bereiten. Ansiedlungen und Bestandsproduktionsorte wären dann gefährdet,<br />

verstärkte Forderungen nach getrennten Einrichtungen oder Subventionen sowie allgemein<br />

eine Auflösung des Solidarprinzips zu erwarten. Die Akzeptanz der bisher ganz überwiegend<br />

streitfreien Gebührenerhebung würde sich beitragsähnlich wandeln und auf diesem Wege<br />

letztlich wieder die Refinanzierung gefährden.<br />

Die öffentliche Hand erleidet in Summe des Wegfalls der Beiträge und durch die entsprechende<br />

Erhöhung der Gebührensätze eine deutliche Mehrbelastung, die auf der kommunalen Ebene liegen<br />

wird. Neben der eigenen Gebäudeunterhaltung steigen die Kosten aller öffentlichen Einrichtungen<br />

entsprechend; über die Leistungen nach den SGB II und XII (KdU, Sozialhilfe) wären<br />

auch deren kommunale Träger von den Mehrkosten direkt betroffen.<br />

25. Wie hoch sind die von den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften bzw.<br />

deren Unternehmen seit 1990 eingezogenen bzw. beschiedenen Beiträge unterteilt nach<br />

Abwasser und Trinkwasser?<br />

Darüber sind die Aufgabenträger direkt zu befragen.<br />

15


26. Wenn eine Beitragsforderung verjährt ist, kann diese Beitragsforderung in ihrer Höhe<br />

nachträglich in ein Gebührenmodell eingerechnet werden?<br />

Nein. Nach der bisherigen Rechtsprechung des OVG (s. nur Urt. v. 01.12.05, a.a.O.) ist eine<br />

nachträgliche Änderung der Gebührenkalkulation zum Nachteil der Abgabenpflichtigen, etwa<br />

durch Berücksichtigung bisher nicht eingestellter Aufwandspositionen oder durch einen höheren<br />

Umlageanteil, unzulässig. Grundsätzlich unzulässig ist es auch, durch Verjährung erloschene<br />

Abgabenansprüche, § 12 Abs. 1 Nr. 5 lit. a) BbgKAG i.V.m. § 232 AO, nachträglich durch eine<br />

anderweitige Abgabenerhebung wieder refinanzieren zu wollen. Diese Ausfälle sollen — nach der<br />

Vorgabe des OVG — nicht mehr abgabenfähig sein, sondern sind durch das sog. allgemeine Verwaltungsaufkommen<br />

(letztlich also Steuern durch die Umlageerhebung) auszugleichen.<br />

27. Kann der Gesetzgeber den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften und<br />

deren Unternehmen durch Gesetz vorschreiben, generell keine Beiträge mehr zu erheben,<br />

sondern den Investitionsaufwand in die Gebührenkalkulation einzubeziehen?<br />

Der Gesetzgeber ist natürlich frei darin, die Ermächtigung in § 8 BbgKAG abzuschaffen oder<br />

einzuschränken. Wegen des Vorrangs und des Vorbehaltes des Gesetzes sind die kommunalen<br />

Satzungen dieser Gesetzesänderung anzupassen. Die konkrete Abgabenerhebung muß solche<br />

Änderungen ebenfalls berücksichtigen, die kommunale Verwaltung dies umsetzen.<br />

Ein solcher Eingriff des Gesetzgebers muß sich allerdings seinerseits an den einschlägigen Verfassungsfragen,<br />

insbesondere der Gleichbehandlung, messen lassen und führt — sollte die Änderung<br />

verfassungskonform sein — wg. Verstoß gg. das Konnexitätsprinzip zur Haftung des <strong>Land</strong>es<br />

für die hierdurch bedingten finanziellen Nachteile und Einnahmeausfälle der Kommunen bzw.<br />

der Zweckverbände.<br />

Gesondert stellt sich die Frage nach der Sinn- und Zweckmäßigkeit einer solchen Verfahrensweise.<br />

Neben der rechtlichen Zerrüttung des bisherigen öffentlichen Refinanzierungssystems seit<br />

1991 wird der Grundsatz der Rechtssicherheit für die Beteiligten ebenso angegriffen, wie auf<br />

Dauer die wirtschaftliche Stabilität der bisher gemischt refinanzierenden Aufgabenträger.<br />

Letztlich fragt sich doch jeder Bescheidempfänger, der seit 1992 auf die Erhebung eines Rechtsbehelfs<br />

verzichtet hat, ob es nicht ratsam wäre, zukünftig erstmal jedem Abgabenbescheid zu<br />

widersprechen und sein Glück beim Verwaltungsgericht zu versuchen — er weiß zwar nicht, warum,<br />

aber v11. kommt auch hier die helfende Hand der <strong>Land</strong>espolitik und befreit ihn von der zumindest<br />

lästigen Abgabe. Der Gesetzgeber sollte sich immer daran erinnern, daß eigentlich jeder<br />

von einer Abgabenerhebung Betroffene nicht wirklich gern die geforderte Abgabe zahlt. Eingriffe,<br />

wie potentiell dieser, führen außerdem immer nur zu einer Verschiebung der (meist durch die<br />

Verfahrensaufwendungen dann sogar noch steigenden) Aufwendungen der Kommunen. An der<br />

Höhe der notwendigen Refinanzierung ändert sich in Summe gar nichts (außer das Prozeß- und<br />

Verfahrenskosten den — allerdings nicht abgabenfähigen — Aufwand noch weiter erhöhen, ebenso<br />

höhere Kreditzinsen), es wird nur zwischen den Abgabenarten hin- und her geschoben.<br />

28. Was würde, vorausgesetzt der rechtlichen Machbarkeit, der Vorschlag, alle Beiträge im<br />

<strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> für den Bereich Wasser und Abwasser zurückzuerstatten, um dann den<br />

Aufwand in Gebührenkalkulationsmodellen umzulegen, für die praktische Arbeit der Aufgabenträger<br />

der öffentlichen Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung bedeuten?<br />

Die grundsätzliche rechtliche Machbarkeit auf Seiten des Gesetzgebers durch einfache Anordnung<br />

korrespondiert mit der verwaltungsgerichtlich bereits ausgeschlossenen Umsetzung für laufende<br />

und zukünftige Erhebungsperioden bis zum Ablauf der Auflösungszeiträume der dann<br />

nicht mehr zu erhebenden Beiträge. Nur wenn der kalkulatorische Einfluß der Beiträge von An-<br />

16


fang an — also vorn allerersten Beginn der gemischten Refinanzierung — ausgeschlossen wird, läßt<br />

sich das Refinanzierungsmodell noch abändern.<br />

Dies ist nur theoretisch oder mit sehr viel Geld zu leisten. Es müßte eine Rückrechnung auf Basis<br />

der tatsächlich erhobenen gemischten Entgelte einerseits und einer reinen Gebührenfinanzierung<br />

erfolgen. Die finanzielle Vergleichbarkeit der grundstücksbezogenen Beiträge (je m 2) wäre mit<br />

den anschlußbezogenen Vorhalteaufwendungen der Grundgebühren bzw. der nutzungsbezogenen<br />

Mengengebühren (je m 3) herzustellen. Der unterschiedliche Pflichtigenkreis wäre abzugleichen;<br />

viele Aufgabenträger lassen neben den dinglich Berechtigten am Grundstück auch obligatorisch<br />

Berechtigte als Gebührenpflichtige zu. Bei den Beiträgen ist der Kreis durch die verbindliche<br />

Vorgabe in § 8 Abs. 2 S. 2 bis 6 BbgKAG abschließend definiert. Allein die Rückrechnung und<br />

insoweite Zuordnung von abverlangten Leistungen an nicht mehr existente natürlich oder juristische<br />

Personen stellt eine fast unlösbare Aufgabe dar. Der damit verbundene Personalaufwand ist<br />

mit den derzeitigen Bestand und dessen Kosten nicht zu stellen, was eine gesonderte Gebührensteigerung<br />

bewirkt, die wiederum Anlaß zum Unfrieden und zur fehlenden Akzeptanz der Erhebung<br />

führt. Neben den Kosten der Abwicklung und der reinen Beitragsausfälle stellen sich die<br />

Kosten der lfd. Klageverfahren ebenso als klärungsbedürftig dar.<br />

Der Aufwandsmaßstab des Freistaates Thüringen (Gesamtkosten bei > 1,1 Mrd€) für sein Modell<br />

dürfte dabei ohne weiteres auch in <strong>Brandenburg</strong> erreicht werden.<br />

Neben der sprunghaft steigenden Belastung von Mietern (insbesondere im komplexen Wohnungsbau)<br />

dürfte sich auch erneut das Solidarproblem stellen. Dies wird in den letzten Jahren vor<br />

allem dann in Frage gestellt, wenn wasserintensive Unternehmensansiedlungen anstehen oder<br />

derartige Bestandsunternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Der Druck auf die<br />

kommunale Ebene, dann Sonderlösungen (eigene Verbands- oder bloße eigene Satzungsgebiete,<br />

Mehrzahl von öffentlichen Einrichtungen und Einzelanlagen, Sonderkonditionen fiir Großverbraucher)<br />

vorzusehen, steigt erheblich. Es wird eine verstärkte Abkopplung der Regionen mit<br />

Bevölkerungsschwund zum Berliner Rand geben, da deren Verbräuche überproportional sinken<br />

und damit die bei Gebühren ohnehin schon hohen und relativ statischen Fixkostenanteile wiederum<br />

zu einem überproportionalen weiteren Ansteigen der Gebührensätze führt. Dieser Effekt ist<br />

nur durch Fördermittel oder eben durch Beiträge zumindest teilweise kompensierbar.<br />

Allgemein wird die Akzeptanz von kommunalen Abgabenbescheiden deutlich sinken. Die große<br />

Mehrheit der Beitragspflichtigen, die (bei bereits ganz oder teilweise mit der Erhebung fertigen<br />

Zweckverbänden) keine Rechtsbehelfe geführt hat und die Bescheide hat bestandskräftig werden<br />

lassen, wird im Vertrauen auf die Wirkung des Rechtsstaates enttäuscht. Die Verläßlichkeit und<br />

der Grundsatz des Rechtsfriedens sind in diesen Mehrheitsfällen der bisherigen Beitragserhebung<br />

seit 1992 dann geradezu ad absurdum geführt. Vereinfacht: Warum sollte sich zukünftig ein Abgabenpflichtiger<br />

im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> noch auf eine medial gut durchleuchtete (und höchstrichterlich<br />

bestätigte) Rechtslage verlassen — oder wäre er nicht gehalten, immer (erstmal vorsorglich)<br />

gegen alle an ihn adressierten Abgabenbescheide vorzugehen?<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Hornauf<br />

Rechtsanwalt<br />

17


Anlage<br />

DOMBERTRECHTS ANWÄLTE Postfach 60 05 03 14405 Potsdam<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Ausschuss für Inneres<br />

Die Vorsitzende<br />

Am Havelblick 8<br />

14473 Potsdam<br />

DOMBERTRECHTSANWÄLTE<br />

Per E-Mail: Solveig.Herrmannsen@lan dtag.brandenb urg.de<br />

EINGEGANGEN<br />

Erledigt: 11 '<br />

2 2. MAI 2013 h3 17(<br />

,lo<br />

1<br />

(k((4 Letc,<br />

utcou-<br />

Prof. Dr. Matthias Dombert<br />

Fachanwalt für Verwaltungsrecht<br />

Janko Geßner<br />

Fachanwalt Rir Verwaltungsrecht<br />

Dr. Margarete MON-Jäckel,<br />

LL.M. (Harvard)<br />

Dr. Helmar Hentschke<br />

Prof. Dr. Klaus Herrmann<br />

Fachanwalt für Verwaltungsrecht<br />

Dr. Jan Thiele<br />

Dr. Konstantin Krukowski<br />

Dr. Martin Jansen<br />

Dr. Susanne Weber<br />

Potsdam, den 22.05.2013 AZ 338113HM01 jo D46/5581<br />

in Zusammenarbeit mit:<br />

Sekretariat: Telefon: 0331162042-73 Dr. Dittmar Hahn<br />

Sandra Jonschkowski Telefax: 0331/62042-71 Richter am BVerwG a.D.<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> - Anhörung KAG<br />

Anhörung zu der Formulierungshilfe des MI zur Regelung<br />

einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />

Sehr geehrte Frau Stark,<br />

sehr geehrte Damen und Herren,<br />

für die Einladung zur Anhörung am 23.05.2013 danke ich Ihnen. Zur<br />

Vorbereitung der Anhörung übersende ich meine Stellungnahme, die<br />

sich an dem von Ihnen übersandten Fragenkatalog es orientiert.<br />

Für Rückfrage stehe ich morgen in der Sitzung des Innenausschusses<br />

zur Verfügung.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Mangerstraße 26<br />

14467 Potsdam<br />

Telefon 0331 / 62 042 70<br />

Prof. Dr. Klaus Herrmann Telefax 0331 / 62 042 71<br />

post@dombert.de<br />

www.dombert.de<br />

Bankverbindung<br />

Mittelbrandenburgische Sparkasse<br />

Konto-Nummer 350 301 30 90<br />

BLZ 160 500 00


- Seite 2 -<br />

Stellungnahme<br />

zur zeitlichen Obergrenze für den Vorteilsausgleich<br />

(Formulierungshilfe des MI)<br />

gegenüber dem Ausschuss für Inneres<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

22.05.2013<br />

Prof. Dr. Klaus Herrmann<br />

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht<br />

Mangerstr. 26<br />

14467 Potsdam


- Seite 3 -<br />

Mit Schreiben vom 07.05.2013 bat mich die Vorsitzende des Innenausschusses um<br />

meine Einschätzung zur Formulierungshilfe, die das Ministerium des Innern am<br />

25.04.2013 vorgelegt hatte. Inzwischen liegt ein Referentenentwurf des Innenministeriums<br />

vor, den ich nach dem Schreiben des <strong><strong>Land</strong>tag</strong>s vom 17.05.2013 ebenfalls in meine<br />

Bewertung einbeziehen soll. Entsprechend Ihrer Bitte orientiere ich meine Stellungnahme<br />

an den von den Ausschussmitgliedern formulierten Fragen.<br />

Die wichtigsten Standpunkte nehme ich vorweg:<br />

1. Die Aussagen aus dem Beschluss des Bundesverfassung sgerichts vom<br />

05.03.2013 (1 BvR 2457/08) sind auf die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> übertragbar.<br />

Insbesondere bestehen danach verfassungsrechtliche Bedenken<br />

gegen § 8 Abs. 7 S. 2 KAG in der gegenwärtigen Fassung.<br />

2. § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG zieht als Sonderregelung für das Anschlussbeitragsrechts<br />

die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht vor, weil die endgültige<br />

Fertigstellung der leitungsgebunden Einrichtungen der Aufgabenträger erst<br />

zu einem in ferner Zukunft liegenden Zeitpunkt erwartet werden kann, die<br />

Beiträge aber zur Refinanzierung des Herstellungsaufwands eingesetzt werden<br />

müssten. An diesem Regelungszweck hat sich die Empfehlung für eine<br />

zeitliche Obergrenze der Vorteilsabgeltung zu orientieren.<br />

3. Um die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen, muss eine rechtliche<br />

Verbindung zwischen dem Zeitpunkt der Vorteilsgewährung, d.h. der<br />

tatsächlichen Inanspruchnahmemöglichkeit, und dem Ausschluss der Festsetzungsbefugnis<br />

hergestellt werden. Am einfachsten und am leichtesten<br />

nachvollziehbar gelingt dies durch eine Änderung des § 8 Abs. 7 S. 2 Bbg-<br />

KAG und Streichung der Voraussetzung, dass die sachliche Beitragspflicht<br />

im Anschlussbeitragsrecht mit dem Anschluss oder der Anschlussmöglichkeit<br />

nur entsteht, wenn eine rechtswirksame Satzung existiert.<br />

4. Die Vorschläge des Innenministeriums, zusätzlich zu den Verjährungsregeln<br />

eine weitere zeitliche Obergrenze einzuführen, halte ich für nicht praktikabel.<br />

Mit dem vom Innenministerium vorgelegten Vorschlag, dass nach dem<br />

31.12.2015 auch gegenüber den sog. alterschlossenen Grundstücken keine<br />

Anschlussbeiträge mehr festgesetzt werden dürfen, kann aber eine aus meiner<br />

Sicht vertretbare Regelung erzielt werden.


- Seite 4 -<br />

Im Einzelnen:<br />

Fragen 1 und 2 — Zentrale Aussagen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 05.03.2013 (1 BvR 2457/08) und Übertragbarkeit auf die Rechtslage in<br />

<strong>Brandenburg</strong><br />

Zur Vermeidung von Wiederholungen nehme ich für die zentralen Aussagen, mit denen<br />

das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss vom 05.03.2013 begründet hat, Bezug<br />

auf die Pressemitteilung Nr. 19/213 vom 03.04.2013. Die Pressemitteilung gibt die zentralen<br />

Aussagen in allgemein verständlicher Form wieder.<br />

Die wesentlichen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom<br />

05.03.2013 sind auch auf die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> übertragbar. Gegenstand der<br />

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war eine Regelung im Bayerischen<br />

Kommunalabgabengesetz , die ausdrücklich anordnet (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b<br />

Doppelbuchst. cc 2. Spiegelstrich BayKAG), „dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung<br />

die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die<br />

gültige Satzung bekannt gemacht worden ist". im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> fehlt eine Regelung<br />

mit genau diesem Wortlaut. Durch die mit Wirkung zum 01.02.2004 in Kraft getretene<br />

Änderung des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG, wonach für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht<br />

bei leitungsgebundenen öffentlichen Einrichtungen (vor allem Trink- und<br />

Schmutzwasserleitungen) eine rechtswirksame Satzung erforderlich sei, wird durch eine<br />

andere Regelungsvariante aber eine vergleichbare Rechtsfolge angeordnet:<br />

Auch in <strong>Brandenburg</strong> beginnt die Verjährungsfrist grundsätzlich gem. § 169 Abs. 2 S. 1<br />

Nr. 2 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 4 b und Abs. 3 a BbgKAG nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. §<br />

12 Abs. 1 Nr. 4 b BbgKAG erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die sachliche Beitragspflicht<br />

entstanden ist. Während allgemein § 8 Abs. 7 S. 1 BbgKAG den Zeitpunkt<br />

der Entstehung von Beitragspflichten auf die endgültige Herstellung der Einrichtung oder<br />

Anlage festlegt, bestimmt § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG für leitungsgebundene Einrichtungen<br />

oder Anlagen im Sinne des § 8 Abs. 4 S. 3 BbgKAG, die der Trinkwasserversorgung<br />

oder Abwasserbeseitigung dienen, dass die Beitragspflicht bereits entsteht, sobald das<br />

Grundstück an die Einrichtung oder Anlage angeschlossen werden kann, frühestens mit<br />

dem Inkraftreten einer rechtswirksamen Satzung. Vor allem wegen der ausdrücklichen<br />

Anordnung, dass die Beitragspflicht eine rechtswirksame Satzung voraussetzt, beginnt


- Seite 5 -<br />

die Verjährungsfrist nicht vor der Bekanntmachung abzulaufen, die für das Inkrafttreten<br />

einer Beitragssatzung erforderlich ist (vgl. OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 12.12.2007<br />

— 9 B 44.06 und 9 B 45.06 LKV 2008, 369).<br />

Von der uneingeschränkten Übertragbarkeit des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts<br />

auf die Rechtslage der Anschlussbeiträge im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> geht bekanntlich<br />

auch das Verwaltungsgericht Cottbus im Beschluss vom 08.05.2013 — VG 6 L<br />

328/12 — aus. Obwohl dabei § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG für verfassungswidrig gehalten<br />

wurde, sah das VG Cottbus von einem Vorlagebeschluss ab, weil für die Zwecke des<br />

vorläufigen Rechtsschutzverfahrens unterstellt wurde, dass der Gesetzgeber zeitnah<br />

eine Korrektur des § 8 Abs. 7 S. 2 KAG vornimmt, die für den Ausgang des Hauptsacheverfahren<br />

zur berücksichtigen wäre.<br />

Fragen 4, 5 und 8 — Änderungsbedarf beim <strong>Brandenburg</strong>ischen KAG und Verfassungswidrigkeit<br />

des § 8 Abs. 7 S. 2 KAG<br />

Ausgehend von der oben aufgezeigten Vergleichbarkeit der durch unterschiedliche Gesetzesbestimmungen<br />

angeordneten, materiell aber vergleichbaren Rechtsfolge in Bayern<br />

und <strong>Brandenburg</strong> teile ich die Einschätzung des Verwaltungsgerichts Cottbus, wonach<br />

§ 8 Abs. 7 S. 2 KAG in der gegenwärtigen Fassung verfassungsrechtlichen Zweifeln<br />

ausgesetzt ist, solange keine zeitliche Obergrenze für die Geltendmachung eines<br />

Vorteilsausgleichs besteht.<br />

Für die danach notwendige Ergänzung einer zeitlichen Obergrenze ist sowohl eine Änderung<br />

des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG denkbar als auch eine Änderung der verfahrensrechtlichen<br />

Vorschriften in § 12 Abs. 1<br />

Nr. 4 Buchst. b) BbgKAG.<br />

Frage 3, 9 und 19 — Fallkonstellation, in denen der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts<br />

die Anwendung des <strong>Brandenburg</strong>ischen KAG in Frage stellt, insb.<br />

Altanschließer-Problematik<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat für die Bayerische <strong>Land</strong>esvorschrift, die es für verfassungswidrig<br />

erklärte, offen gelassen, welche Folgen die Unanwendbarkeit der Verjährungsvorschrift<br />

letztlich auf den Ausgang des Prozesses haben könnte. Damit wird<br />

der Gestaltungsspielraum der Länder und <strong>Land</strong>esgesetzgeber respektiert. Dies er-


- Seite 6 -<br />

schwert es aber zugleich, die Fallkonstellationen in der <strong>Brandenburg</strong>ischen Verwaltungspraxis<br />

zu konkretisieren, auf die sich die Entscheidung unmittelbar auswirkt. Es<br />

würde den Rahmen dieser Stellungnahme überschreiten, die Rechtsfolgen in den unterschiedlichen<br />

Konstellationen aufzuzeigen und zu bewerten.<br />

Sofern die Frage 9 darauf abzielte, ob insbesondere die „Beitragserhebung bei Altanschließern"<br />

aus den vom Bundesverfassungsgericht jetzt aufgezeigten Gründen einer<br />

rechtsstaatlich gebotenen zeitlichen Obergrenze für die Geltendmachung des Vorteilsausgleichs<br />

verfassungswidrig wäre, ist diese pauschale Frage zu verneinen.<br />

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass § 8 Abs. 2 BbgKAG die Beitragserhebung auf die<br />

wirtschaftlichen Vorteile bezieht, die durch die Inanspruchnahmemöglichkeit hinsichtlich<br />

einer ganz konkreten öffentlichen Einrichtung vermittelt werden. Je nachdem, wann eine<br />

tatsächliche Anschlussmöglichkeit an die konkrete öffentliche Einrichtung erstmals entstand,<br />

und nach Maßgabe des Ortsrechts, ob die Vorteile der Anschlussmöglichkeit<br />

durch eine Beitragserhebung abgegolten werden oder (auch bzw. ausschließlich) für die<br />

tatsächlichen Benutzung Gebühren erhoben wurden oder werden, können unterschiedliche<br />

Bewertungen geboten sein. Diese tatsächlich und rechtlich schwierigen Fragen<br />

haben den <strong><strong>Land</strong>tag</strong> bereits bei der Ergänzung von § 8 Abs. 4a BbgKAG beschäftigt, so<br />

dass hier Stichpunkte genügen müssen.<br />

Fest steht, dass die Geltendmachung des Anschlussbeitrags bei altangeschlossenen<br />

Grundstücken bisher vor allem als Gleichbehandlungsproblem betrachtet wurde. Als<br />

problematisch erwies sich dabei, dass unterschiedliche Gruppen von Anschlussnehmern<br />

einer öffentlichen Leitungsanlage — z.B. solche die bereits Herstellungsbeträge<br />

gezahlt haben und andere, die keine Beiträge zahlten — stets differenziert behandelt<br />

werden müssen (vgl. OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 06.06.2007 — 9 A 77.05,<br />

LKV 2008, 377 ff.; schon BVerwG, Urt. v. 26.02.1992 - 8 C 70/89, NVwZ 1992, 668 =<br />

juris, Rn. 2). Unter diesem Blickwinkel wurde in der Folge der Urteile des Oberverwaltungsgerichts<br />

Berlin-<strong>Brandenburg</strong> vom 12.12.2007 — 9 B 44.06 und 9 B 45.06 — darüber<br />

diskutiert, ob und wie Grundstücke an Investitionen in leitungsgebundene Anlagen zu<br />

beteiligen sind, bei denen - anders als bei neu angeschlossene Grundstücken - bisher<br />

kein Herstellungsbeitrag abgerechnet wurde. Dabei wurde über die zeitliche Dimension<br />

der „Beitragserhebung bei Altanschließern" nicht gesprochen. Das verwundert nicht,<br />

hatte doch das OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong> in den o.g. Urteilen einen aus dem Rechtsstaatsprinzip<br />

abgeleiteten Vertrauensschutz der Beitragsschuldner für altangeschlosse-


- Seite 7 -<br />

nen Grundstücke verneint (OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 12.12.2007 - OVG 9 B<br />

44.06, LKV 2008, 369 f. = juris, Rn. 58).<br />

Demgegenüber sieht das Bundesverfassungsgericht durch das Rechtsstaatsprinzip eine<br />

berechtigte Erwartung der Bürger als geschützt an, trotz einer theoretisch fortbestehenden<br />

Vorteilslage nicht zeitlich unbegrenzt mit Abgaben pflichten belastet werden zu können<br />

(BVerfG, Beschl. v. 05.03.2013 — 1 BvR 2457/08, Umdruck Rn. 45). Dies konnte<br />

seinerzeit vom OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong> noch nicht bedacht werden, allerdings sah<br />

auch das Bundesverwaltungsgericht, das in einem der Verfahren mit der Beschwerde<br />

gegen die Nichtzulassung der Revision angerufen wurde (vgl. Beschl. v. 14.07.2008 - 9<br />

B 22/08, juris), kein schutzwürdiges Vertrauen der Kläger und erkannte keinen Verstoß<br />

gegen bundesrechtliche oder Rechtsstaatsanforderungen.<br />

Die Gleichbehandlungsproblematik wird nicht dadurch entschärft, dass einzelne bevorteilte,<br />

aber bisher nicht veranlagte Grundstücke wegen einer zeitlichen Obergrenze für<br />

die Vorteilsabrechnung nicht mehr als beitragspflichtig gelten sollen. Für die alterschlossenen<br />

Grundstücke sollte deshalb eine besondere Regelung getroffen werden, die die<br />

vom Bundesverfassungsgericht entwickelte zeitliche Obergrenze speziell mit dem „Konzept<br />

der Gesamtfinanzierung" der leitungsgebundenen Einrichtungen und der seit dem<br />

Urteil des OVG Frankfurt (Oder) vom 05,06.2001 (2 A 611/00) feststehenden Beitragspflicht<br />

altangeschlossener Grundstücke in einen angemessenen Ausgleich bringt. Dabei<br />

können aus meiner Sicht längere Fristbestimmungen durch die verfassungsrechtlich<br />

gebotene Beseitigung einer strukturellen finanzierungsbezogenen Ungleichbehandlung<br />

grundsätzlich gerechtfertigt werden.<br />

Fragen 10 und 22 — andere Verjährungsregelungen im Beitragsrecht und Besonderheiten<br />

des Anschlussbeitragsrechts<br />

Abgabenansprüche der Beitragsgläubiger unterliegen der Festsetzungsverjährung (§ 12<br />

Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b BbgKAG i.V.m. § 169 ff. AO). Der Ablauf der grundsätzlich vierjährigen<br />

Festsetzungsfrist schließt die Befugnis der Behörde aus, Abgaben gegenüber<br />

den Abgabenschuldnern durch Bescheid festzusetzen. Daneben wird durch § 12 Abs. 1<br />

Nr. 5 Buchst. a BbgKAG auch die Zahlungsverjährung gern. § 228 ff. AO. Der Ablauf der<br />

grundsätzlich fünfjährigen Zahlungsfrist verhindert, dass festgesetzte Abgaben nicht<br />

mehr — z.B. durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen — durchgesetzt werden dürfen.


Seite 8 -<br />

Im Straßenbaubeitragsrecht gilt praktisch eine echte vierjährige Festsetzungsfrist. § 8<br />

Abs. 7 S. 1 BbgKAG ist nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts so zu<br />

verstehen, dass die VOB-Abnahme der bauprogrammgemäß hergestellten Anlage den<br />

Zeitpunkt gesetzlich festlegt, zu dem die sachliche Beitragspflicht entsteht (OVG Frankfurt/Oder,<br />

Urt. v. 23.03.2000 — 2 A 226/98). Existiert zu diesem Zeitpunkt keine wirksame<br />

Satzung, sind gleichwohl erlassene Beitragsbescheide wirksam, wenn auch rechtswidrig.<br />

Sie können aber durch eine rückwirkend in Kraft gesetzte Beitragssatzung geheilt<br />

werden. Nach Ablauf von 4 Jahren, gemessen am Jahresende des Herstellung s-<br />

zeitpunktes, ist eine Heranziehung von Anliegern insgesamt ausgeschlossen. Entweder<br />

gab es bei der Fertigstellung eine wirksame Satzung, dann ist die Festsetzungsfrist regulär<br />

abgelaufen. Am Ablauf der Festsetzungsfrist ändert sich aber auch nichts dadurch,<br />

dass eine Beitragssatzung mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Fertigstellung in Kraft<br />

gesetzt wird.<br />

In etwa vergleichbar ist die Rechtslage im Erschließungsbeitragsrecht, wobei der Entstehungszeitpunkt<br />

auf den Eingang der letzten Unternehmerrechnung datiert wird<br />

(BVerwG, Beschl. v. 21.08.1990 - 8 B 81/90, juris) - noch immer mit großem Wirklichkeitsbezug<br />

zur tatsächlichen Fertigstellung der Erschließungsanlage.<br />

Diese Rechtslage führt dazu, dass die Kommunen den Aufwand für Straßenbaumaßnahmen<br />

sehr zeitnah nach Abschluss der Bauarbeiten abrechnen. Geht dabei ein Teil<br />

der Beitragsumlage „verloren", sei es durch Abrechnungsfehler der Gemeinde (z.B. falscher<br />

Adressat wie. bei der Heranziehung von Grundstücken einer GbR) oder durch<br />

spezifische „Ost"-Probleme wie die Vermögenszuordnung oder —rückübertragung, wird<br />

eine entsprechende Belastung der Kommunen mit Beitragsausfällen hingenommen, die<br />

dann aus allgemeinen Haushaltsmitteln aufzubringen sind. Anstrengungen der Rechtsaufsichtsbehörden<br />

gegenüber den Kommunen, derartige Beitragsausfälle nach Ablauf<br />

der Festsetzungsfrist dennoch geltend zu machen, sind dem Unterzeichner nicht bekannt.<br />

Warum demgegenüber im Anschlussbeitragsrecht heute noch offene Herstellungsbeitragsansprüche<br />

bestehen, kann auch rechtlich begründet werden. Die Aufnahme und<br />

Diskussion der o.g. Urteile des OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong> vom 12.12.2007 zeigen aber,<br />

dass diese Begründungen längst nicht von allen nachvollzogen werden können. In der<br />

verwaltungsgerichtlichen Praxis kommen alltäglich „böse Enttäuschungen" vor, wenn die<br />

Richter den Klägern, die sich auf die Verjährung der Beitragsansprüche berufen, erläutern,<br />

dass die Beitragspflicht mangels wirksamer Satzung noch gar nicht entstanden ist.


- Seite 9 -<br />

Für die meisten Bürger zählt wegen vergleichbarer Erfahrungen das Kommunalabgabenrecht<br />

zu den am wenigsten transparenten und verlässlichen Rechtsgebieten. Leider<br />

gilt dies inzwischen auch für die Wahrnehmung in vielen Verwaltungsbehörden. Die<br />

Rechtszersplitterung im Bereich des Anschlussbeitragsrechts im Vergleich der Bundesländer<br />

untereinander und die für Außenstehende kaum einholbare Rechtsentwicklung in<br />

einzelnen Bundesländern sind alles andere als eine „sichere Einnahmequelle" der<br />

Kommunen und Zweckverbände zur Refinanzierung ihrer Aufgaben.<br />

Dies hängt mit den wesentlichen Unterschieden zwischen Straßenbau- und leitungsgebundenen<br />

Anlagen zusammen, die sowohl die Ausgestaltung des Herstellungsprozesses<br />

als auch den gesetzlich angeordnete Zeitpunkt der Beitragserhebung betreffen.<br />

Während bei Straßenbaumaßnahmen regelmäßig mehrmonatige Bauarbeiten zur Fertigstellung<br />

der beitragsfähigen Anlage führen, gibt es in <strong>Brandenburg</strong> wohl noch immer<br />

keine einzige leitungsgebundene Einrichtung, die im Rechtssinne fertiggestellt ist. Ursächlich<br />

hierfür ist die Rechtsanwendung der Aufgabenträger und Verwaltungsgerichte,<br />

dass als öffentliche leitungsgebundene Einrichtung die Gesamtheit aller Anlagen — ungeachtet<br />

ihrer technischen Ausführung als selbständige oder verbundene Systeme —<br />

verstanden wird, die durch eine Entscheidung des Aufgabenträgers zusammengefasst<br />

werden (vgl. etwa OVG Frankfurt/Oder, Urt. v. 26.09.2002 - 2 D 9/02.NE, LKV 2003, 284<br />

ff. = juris, Rn. <strong>43</strong>). In der Praxis bedeutet dies, dass die Herstellung der zentralen öffentlichen<br />

Leitungsanlage losgelöst wird von der für die Anschlussnehmer und Bürger sichtbaren<br />

Fertigstellung eines konkreten Leitungsabschnitts, z.B. im Zusammenhang mit<br />

gemeindlichen Straßenbauarbeiten in einer Wohnstraße. Auch die Möglichkeit des tatsächlichen<br />

Anschlusses eines einzelnen Grundstücks an einen neuen oder erneuerten<br />

Leitungsabschnitt steht somit nicht im Zusammenhang mit der Fertigstellung der Gesamtanlage.<br />

Erst wenn alle in der Planung (Trinkwasserversorgungs- oder Abwasserbeseitigungskonzept)<br />

vorgesehenen Baumaßnahmen ausgeführt und die Anlage insgesamt<br />

entsprechend den planerischen Vorstellungen der zuständigen Gemeindeorgane<br />

ausgebaut worden ist, tritt die - rechtliche - „Fertigstellung" ein. Das hat im Übrigen auch<br />

zur Folge, dass Fortschreibungen und Erweiterungen der Planung, wie sie beim Verbandsbeitritt<br />

weiterer Gemeinden oder Ortsteile regelmäßig vorkommen, den rechtlichen<br />

Zeitpunkt der Fertigstellung immer weiter in die Zukunft verschieben.<br />

Und während bei Straßenbaumaßnahmen die Beitragserhebung einen in der Vergan-<br />

genheit liegenden und damit feststehenden Kostenaufwand refinanziert, stellt § 8 Abs. 7<br />

S. 2 BbgKAG letztlich eine „Vorfinanzierung" der leitungsgebundenen Einrichtung durch


- Seite 10 -<br />

„endgültige" Beiträge sicher (vgl. OVG Frankfurt/Oder, Urt. v. 08.06.2000 — 2 D<br />

29/98.NE, LKV 2001, 132 ff. = juris Rn. 46):<br />

„Mit dem Abstellen auf die Anschlussmöglichkeit wird der Zeitpunkt des Entstehens<br />

der sachlichen Beitragspflicht von dem der endgültigen Herstellung der Anlage,<br />

auf den § 8 Abs. 7 Satz 1 KAG abstellt, vorverlegt. Diese Regelung trägt dem<br />

Umstand Rechnung, dass bei leitungsgebundenen Einrichtungen und Anlagen,<br />

die der Versorgung oder der Abwasserbeseitigung dienen (§ 8 Abs. 4 Satz 3<br />

F(AG), eine endgültige Herstellung der gesamten Anlage zeitlich regelmäßig nicht<br />

absehbar ist, der den Grundstückseigentümern durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme<br />

gebotene wirtschaftliche Vorteil, für den der Beitrag erhoben wird<br />

(§ 8 Abs. 2 Satz 2 KAG), aber bereits mit der Möglichkeit des Anschlusses an die<br />

Versorgungs- oder Abwasserbeseitigungsanlage gegeben ist. Die Kommunen<br />

brauchen somit im Interesse der Finanzierung der Einrichtung bzw. Anlage und<br />

des weiteren Ausbaus des Leitungsnetzes mit der Beitragserhebung nicht bis zur<br />

endgültigen Herstellung zu warten."<br />

Da die Entstehung der Beitragspflicht eines anschließbaren Grundstücks vor Fertigstellung<br />

der leitungsgebundenen Einrichtung damit regelmäßig nur noch von der Rechtswirksamkeit<br />

der Beitragssatzung abhängt, kommt es für den Verjährungsbeginn und das<br />

Verjährungsende in <strong>Brandenburg</strong> praktisch nicht mehr auf den konkreten Zeitpunkt der<br />

tatsächlichen Vorteilserlangung an. Erweist sich die Beitragssatzung als unwirksam,<br />

kann der Aufgabenträger mit einer neuen Beitragssatzung einen weiteren Versuch unternehmen,<br />

sachliche Beitragspflichten entstehen zu lassen.<br />

Neben diesen strukturellen Gründen können natürlich auch Entscheidungen der Aufgabenträger,<br />

ob, bei wem und auf welcher Grundlage Anschlussbeiträge erhoben, fehleranfällig<br />

sein. Was die persönliche Verantwortung für die Nichterhebung von Abgaben<br />

betrifft, ist zunächst die Rechtsaufsicht des <strong>Land</strong>es über die Kommunen und Zweckverbände<br />

angesprochen. Dem Unterzeichner wurde von Disziplinarverfahren gegen einzelne<br />

Kommunalbeamte wegen unterbliebener Beitragserhebungen außerhalb von <strong>Brandenburg</strong><br />

berichtet. Disziplinar- oder Strafverfahren gegen Mitarbeiter brandenburgischer<br />

Aufgabenträger wegen absichtlich unterlassener Nichterhebung rechtlich bestehender<br />

Anschlussbeiträge sind nicht bekannt. Angesichts der Fehleranfälligkeit kommunaler<br />

Anschlussbeitragssatzungen und der o.g. Regelungen zum Aufschub der Entstehung<br />

von Anschlussbeitragspflichten dürfte es bisher auch schwerfallen, einen endgültigen<br />

Schaden der Aufgabenträger zu beschreiben.


- Seite 11 -<br />

Fragen 6 und 7 — Notwendige Änderungen des BbgKAG und ihre Folgen<br />

Anstelle der vorn Innenministerium vorgeschlagenen Regelungsvarianten empfiehlt es<br />

sich, auch bei Anschlussbeiträgen den Beginn der Festsetzungsverjährung zukünftig an<br />

die tatsächliche Vorteilsvermittlung anzuknüpfen, d.h. an den Zeitpunkt, in dem das<br />

Grundstück an die Anlage angeschlossen wurde und angeschlossen werden kann. Damit<br />

wird einerseits dem vom BVerfG hervorgehobenen Vertrauen der Bürger Rechnung<br />

getragen, dass der Beitrag als Gegenleistung für die wirtschaftlichen Vorteile auch innerhalb<br />

einer überschaubaren Zeit seit Vermittlung der Anschlussmöglichkeit erhoben<br />

wird. Es bedarf dazu aus meiner Sicht keiner zusätzlichen Regelungen in §§ 12 oder 19<br />

BbgKAG, sondern einer Anpassung des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG und einer klarstellenden<br />

Überleitungsvorschrift.<br />

§ 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG könnte dafür wie folgt gefasst werden:<br />

„Wird ein Beitrag für die Herstellung einer leitungsgebundenen Einrichtung oder<br />

Anlage nach Abs. 4 S. 3 erhoben, so entsteht die Beitragspflicht, sobald das<br />

Grundstück an die Einrichtung oder Anlage angeschlossen ist; die Satzung kann<br />

einen späteren Zeitpunkt bestimmen, Beitragsforderungen, die noch nicht festgesetzt<br />

worden sind, entstehen frühestens mit Ablauf des 31.12.2011.<br />

§ 8 Abs. 7 S. 3 wird § 8 Abs. 7 S. 4 BbgKAG."<br />

Wegen des aufgezeigten Zusammenhangs zwischen dem Entstehen der sachlichen<br />

Anschlussbeitragspflicht und dem Schutz des Vertrauens der Bürger in die zeitnahe<br />

Abrechnung von vorteilsbezogenen Beiträgen versuchte schon das OVG Frankfurt/Oder<br />

— da es keine Änderung des Gesetzeswortlauts vornehmen konnte — zunächst, dem<br />

Vertrauensschutz durch eine formale Auslegung des Wortlauts von § 8 Abs. 7 S. 2<br />

BbgKAG Rechnung zu tragen (vgl. OVG Frankfurt/Oder, Urt. v. 08.06.2000 - 2 D<br />

29/98.NE, LKV 2001, 132 ff. = juris Rn 48 m.w.N.):<br />

„Eine Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass es auf den Zeitpunkt des<br />

erstmaligen Inkrafttretens einer in formeller wie materieller Hinsicht gültigen Sat-<br />

zung ankomme, würde den objektiven Sinngehalt der Vorschriften, eine Aus-


- Seite 12 -<br />

nahme von der Regel des Entstehens der Beitragspflicht mit der Anschlussmöglichkeit<br />

nur bis zum Erlass der ersten Satzung bzw. einer darin enthaltenen Regelung<br />

über ein weiteres Hinausschieben der Entstehung der Beitragspflicht machen<br />

zu wollen, widersprechen. Sie würde zudem zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit<br />

hinsichtlich der Zeitpunkts des Entstehens und der Verjährung von<br />

Beitragsforderungen führen, wenn und soweit Zweifel an der Gültigkeit des einschlägigen<br />

Satzungsrechts bestehen. Bei verzögertem Erlass der Beitragsbescheide<br />

könnte es zu einem Anreiz für die Kommunen kommen, sich entgegen<br />

dem Zweck des Erlasses von Beitragssatzungen, als Grundlage der Beitragserhebung<br />

innerhalb der Verjährungsfrist zu dienen, auf eine Ungültigkeit ihres Satzungsrechts<br />

zu berufen; die Ausnahmevorschriften des § 8 Abs. 7 Satz 2, 1. HS<br />

und 2. 1-15 KAG bekämen damit eine nicht gesetzesgemäße Zielrichtung."<br />

Da der Gesetzgeber nicht an den Wortlaut gebunden ist, kann heute ein Ausgleich der<br />

Interessen von Verbänden und Anschlussnehmern neu und unter Berücksichtigung der<br />

verfassungsrechtlichen Vorgaben geregelt werden. Da das Bundesverfassungsgericht —<br />

ebenso wie das Oberverwaltungsgericht Frankfurt/Oder im Urteil vom 08.06.2000 heute<br />

eine — wenn auch lockere — zeitliche Verbindung zwischen Vorteilsvermittlung und Beitragserhebung<br />

fordert, weil sich die Legitimation zur Beitragserhebung mit dem Zeitablauf<br />

„verflüchtigt", sollte eine unmittelbare Verbindung zwischen der Beschränkung der<br />

Festsetzungsbefugnis und der Anschlussmöglichkeit geregelt werden.<br />

Den Aufgabenträgern wird es durch den aufgezeigten Regelungsvorschlag auch nicht<br />

unmöglich gemacht, die noch nicht festgesetzten Beiträge auch bei auftretenden Zweifeln<br />

an der Wirksamkeit der zugrunde liegenden Beitragssatzungen durchzusetzen. Im<br />

Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens können die zugrunde liegenden Beitragssatzungen<br />

— schon mit Rückwirkung zum Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen<br />

Beitragspflicht — nachgebessert und geheilt werden. Dies ist in den beitragsrechtlichen<br />

Verfahren zu Straßenbaumaßnahmen ein übliches Vorgehen. Ein weiteres Aufschieben<br />

des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht durch erneute Satzungsbekanntmachungen<br />

wird jedoch vermieden.<br />

Die hier vorgeschlagene zeitliche Begrenzung, wonach noch nicht festgesetzte Beitragsforderungen<br />

frühestens mit Ablauf des 31.12.2011 entstehen, knüpft dabei an die Regelungen<br />

des § 12 Abs. 3a BbgKAG (vgl. Gesetz vom 02.10.2008, GVBI. I, S. 218) an.<br />

Darin hatte der Gesetzgeber infolge der o.g. Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin-<br />

<strong>Brandenburg</strong> vom 12.12.2007 angeordnet, dass bei der Erhebung eines Anschlussbei-


- Seite 13 -<br />

trags für den Anschluss oder die Möglichkeit eines Anschlusses die Festsetzungsfrist<br />

frühestens mit Ablauf des 31.12.2011 endet, sofern die Beitragsforderungen noch nicht<br />

verjährt sind. Der Gesetzgeber hat sich damit festgelegt, vor dem 31.12.2011 keine Beitragsansprüche,<br />

insbesondere in den Altanschließer-Fällen, verjähren zu lassen.<br />

Fragen 11 und 12 — Ablaufhemmung bis zum 03.10.2000 und sonstige Möglichkeiten<br />

für eine zeitliche Begrenzung der Vorteilsabgeltung<br />

In seiner Formulierungshilfe vom 25.04.2013 und in dem vorab übersandten Referenten-Entwurf<br />

eines weiteren Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />

stellt das Innenministerium darauf ab, dass den kommunalen Aufgabenträgern unter<br />

Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen des Anschlussbeitragsrechts im<br />

<strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> und dem konkreten Stand der Beitragsfestsetzung zumutbar wäre,<br />

bis zum 31.12.2015 bereits entstandene Beitragsansprüche bei den verbliebenden anschließbaren<br />

bzw. angeschlossenen Grundstücken festzusetzen. Das Innenministerium<br />

empfiehlt demnach als zeitliche Obergrenze, dass noch nicht festgesetzter Beitragsansprüche<br />

spätestens am 31.12.2015 erlöschen. Von dieser Rechtsfolge weicht der hier<br />

unterbreitete Regelungsvorschlag zeitlich nicht ab.<br />

Der Referenten-Entwurf und die Formulierungshilfe des Innenministeriums wollen jedoch<br />

vermeiden, dass die bestehenden Regelungen der Festsetzungsverjährung genutzt<br />

werden, um die „zeitliche Obergrenze" für die Abgeltung des wirtschaftlichen Vorteils<br />

auszudrücken. Dies ist nicht schlüssig. Das Innenministerium zeigt selbst auf, dass<br />

Verjährungsregel ungen in verschiedenen Rechtsgebieten die berechtigte Erwartung<br />

erfüllen, nach längerer Zeit nicht mehr als Schuldner behelligt werden zu können. Die<br />

Rechtsanwender suchen nach diesen Regelungen, um zu wissen, innerhalb welcher<br />

Zeiträume die Forderungen geltend gemacht werden können oder müssen. Warum sollen<br />

die abgabenrechtlichen Verjährungsregelungen dazu nicht geeignet sein?<br />

So sieht der Gesetzentwurf vor, dass § 12 Abs. 4 KAG um eine Formulierung ergänzt<br />

wird, die den Zweckverbänden zunächst die Möglichkeit vor Augen führt, die Festsetzungsfrist<br />

erst mit Ablauf des Jahres der endgültigen Herstellung, Erweiterung, Erneuerung<br />

oder Verbesserung der öffentlichen Einrichtung beginnen zu lassen. Damit soll den<br />

Aufgabenträgern zwar untersagt werden, in der Beitragssatzung einen Zeitpunkt für die<br />

Entstehung der sachlichen Beitragspflichten vorzusehen, der erst nach der endgültigen<br />

Fertigstellung der leitungsgebundenen Einrichtung liegen kann. Praktisch ist dies — auch


- Seite 14 -<br />

das Innenministerium benennt solche Fälle nicht — aber noch nicht vorgekommen, Es ist<br />

auch ein nur theoretischer Fall: Denn würde der Aufgabenträger die Entstehung der<br />

sachlichen Beitragspflicht auf diese Weise in die Zukunft verschieben, würde er sich<br />

selbst eine Beitragserhebung erschweren, da Anschlussbeiträge auch erst erhoben<br />

werden können, wenn die sachliche Beitragspflicht nach dem in der Satzung bestimmten<br />

Zeitpunkt entstanden ist. Die vorgeschlagene Regelung zur Ergänzung von § 12<br />

Abs. 4 Buchst. e KAG erscheint deshalb wenig geeignet, den gebotenen Zusammenhang<br />

zwischen dem Zeitpunkt der tatsächlichen Inanspruchnahmemöglichkeit und der<br />

zeitlichen Höchstgrenze zu verdeutlichen.<br />

Der Vorschlag des Innenministeriums führt vor allem zusätzlich zu den Verjährungsregelungen<br />

eine weitere zeitliche Grenze für die Vorteilabrechnung ein. Mit der „satzungsunabhängigen"<br />

zeitlichen Obergrenze bestehen jedoch keinerlei Erfahrungen, insbesondere<br />

wurde deren Verhältnis zu den Verjährungsvorschriften nicht klargestellt. Die<br />

Einführung einer zusätzlichen „zeitlichen Obergrenze" wie im § 19 BbgKAG-E oder in<br />

der Formulierungshilfe des Innenministeriums birgt die Gefahr einer Kollision mit den<br />

ebenfalls in Bezug genommenen Verjährungsvorschriften der AO. Die vom Ml vorgeschlagene<br />

Anwendung der Hemmungstatbestände in § 171 AO auch auf die zeitliche<br />

Obergrenze — egal wann sie eingreift — wirft weitere verfassungsrechtliche Fragen auf,<br />

die von den Anwendungshinweisen des MI nicht beleuchtet werden.<br />

Deshalb halte ich die Änderung des § 8 Abs. 7 BbgKAG für vorzugswürdig. Verfassungsrechtliche<br />

Bedenken bestehen jedenfalls nicht, bei leitungsgebundenen Einrichtungen<br />

die Vorteilsabgeltung auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Inanspruchnahmemöglichkeit<br />

vorzuziehen (insoweit auch Beantwortung der Frage 14). Da die Geltendmachung<br />

von Beitragsansprüchen innerhalb des kommunalabgabenrechtlich ausgestalteten<br />

Verjährungssystems, z.B. bei Straßenbaumaßnahmen, allgemein anerkannt ist und<br />

mit dem dokumentierbaren Zeitpunkt der tatsächlichen Inanspruchnahmemöglichkeit<br />

auch bei leitungsgebundenen Einrichtungen ein rechtssicherer Anknüpfungspunkt für<br />

den Beginn der Festsetzungsfrist zur Verfügung steht, kann der Sondersituation der<br />

Aufgabenträger im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> durch eine Klarstellung Rechnung getragen werden,<br />

wann die noch nicht festgesetzten Beitragsansprüche frühestens zu verjähren begannen.<br />

Nach der Diskussion um die o.g. Urteile des OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong> kann<br />

auch keine Gemeinde und kein Zweckverband mehr darauf hoffen, dass die grundsätzlich<br />

auch für sein Verbandsgebiet geltende vierjährige Festsetzungsfrist weiter aufgeweicht<br />

wird. Der Appell des Gesetzgebers in § 12 Abs. 3a BbgKAG richtete sich auch an


- Seite 15 -<br />

die Aufgabenträger, zeitnah die Voraussetzungen für eine Beitragserhebung bei den<br />

altangeschlossenen Grundstücken zu schaffen.<br />

Auch wird nicht deutlich, warum die zeitliche Obergrenze durch § 19 KAG-E mit einer<br />

extrem langen Frist umgesetzt werden muss (warum 15 und nicht 18 oder nur 9 Jahre?).<br />

„Üblich" sind jedenfalls kürzere Verjährungsfristen. Insbesondere die dreißigjährige<br />

Verjährungsfrist bleibt regelmäßig titulierten oder anerkannten Ansprüchen vorbehalten.<br />

Nach 15 Jahren kann jedenfalls die Feststellung schon sehr problematisch sein, wie ein<br />

Grundstück einmal bebaut war, von Veränderungen der Eigentumslage einmal abgesehen.<br />

Die wenig transparente Vorschrift ermutigt eher dazu, die Feststellungsfrist gern. §<br />

169 AO nicht ernst zu nehmen und perpetuiert dam it den gegenwärtigen Zustand.<br />

Fragen 15 und 16 — Praktische Folgen von Verjährungsmodellen mit Ablauf der<br />

Verjährungshöchstfristen 2015, 2020 und 2 030<br />

Keine Antwort<br />

Fragen 17 und 18 — Politische Vermittelbarkeit des bevorstehenden Ausschlusses<br />

der Durchsetzung von Anschlussbeiträgen bei sog. alterschlossenen Grundstücken<br />

Keine Antwort<br />

Fragen 20 und 21 — Umgang mit verjährten Beitragsforderungen<br />

Zum Umgang mit verjährten Beiträgen gibt es noch keine gesetzlichen Klarstellungen.<br />

Nach § 6 Abs. 2 S. 5 BbgKAG bleibt das aus Beiträgen aufgebrachte Eigenkapitalanteil<br />

bei der Ermittlung der kalkulatorischen Abschreibungen und der kalkulatorischen Verzinsung<br />

in der Berechnung von Benutzungsgebühren außer Ansatz. Damit soll vermieden<br />

werden, dass es durch die Heranziehung zu Benutzungsgebühren zu einer mit der<br />

Einmaligkeit der Beitragserhebung unvereinbaren Doppelbelastung für Anteile am Gesamtaufwand<br />

kommt, die bereits mit der Beitragsleistung entgolten wurden. Ein und<br />

dieselbe Aufwandsposition darf nach der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichts<br />

Berlin-<strong>Brandenburg</strong> nicht durch einen Beitrag umgelegt und zusätzlich nochmals in vol-


- Seite 16 -<br />

ler Höhe als Kostenposition in die Berechnung der Benutzungsgebühr eingestellt werden.<br />

In diesem Sinne stelle § 6 Abs. 2 S. 5 BbgKAG auf die tatsächlich gezahlten Beiträge<br />

ab (vgl. OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 06.06.2007 — 9 A 77.05, LKV 2008, 377<br />

ff. = juris, Rn. 37). Diese Auslegung sieht das Innenministerium für die Rechtsanwendung<br />

der Aufgabenträger auch in der Verwaltungsvorschrift zum KAG vor.<br />

Fragen 24, 25, 27 und 28<br />

Über Alternativen zur Heranziehung sog. alterschlossener Grundstücke zum Anschlussbeitrag<br />

kann hier nicht Stellung genommen werden. Dies sprengt den Rahmen der kurzfristig<br />

anberaumten Sitzung des Innenausschusses.<br />

Potsdam, 22.05.2013<br />

Prof. Dr. Klaus Herrmann


EINGEGANGEN<br />

Anlage 6<br />

21. MAI 2013U-337<br />

Erledigt: i« e tivv;<br />

KO<br />

riy-<br />

Kirctszu-<br />

Ministerium des Innern des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />

Abteilung HI<br />

Herrn Rudolf Keseberg<br />

Henning-von-Tresckow-Str. 9-13<br />

14467 Potsdam<br />

Strausberg, 16. Mai 2013<br />

Sechstes Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes für das <strong>Land</strong><br />

<strong>Brandenburg</strong><br />

Sehr geehrter Herr Keseberg,<br />

für die Übersendung des o. g. Gesetzes sowie der Möglichkeit der Stellungnahme<br />

bedanke ich mich im Namen der Mitglieder der KOWAB-Ost sehr herzlich.<br />

Bereits im Vorfeld zur geplanten Anhörung im Innenausschuss haben mich die Mitglieder<br />

gebeten, Ihnen folgende Argumente zu übermitteln:<br />

1. Der Grundsatz des BVerfG, dass Abgabenschuldner für einen Vorteilsausgleich<br />

nicht unbegrenzt nach Eintritt der Vorteilslage zu Beiträgen herangezogen werden<br />

dürfen, ist nachvollziehbar.<br />

2. Das höchste Gericht des <strong>Land</strong>es, das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht, hat die<br />

Rechtmäßigkeit der (vollständigen) Beitragserhebung bestätigt.<br />

Aus Sicht der Mitglieder der KOWAB-Ost besteht aktuell keine Notwendigkeit, das<br />

KAG zu ergänzen.<br />

KOWA3-Ost, Co Wasserverband Strausberg-Erkner, Am Wasserwerk 1. 15344 Strausberg<br />

Tei. 03341 3<strong>43</strong>-101 / Fax: -104 / fthaferkornekoviab.de


3. Sollte es der Gesetzgeber dennoch für sinnvoll halten, das KAG zu ändern, so<br />

wird die Formulierungshilfe zur Regelung einer zeitlichen Obergrenze von Minister<br />

Dr. Woidke vom 25. April 2013 (Obergrenze: 2020) begrüßt. Allerdings schlägt die<br />

KOWAB-Ost vor, hier die Obergrenze 2025 festzulegen. Damit dürfte einer<br />

rechtssicheren und vollständigen Erhebung der Beiträge in den betreffenden<br />

Verbänden am besten gedient sein.<br />

4. Die zeitliche Obergrenze im Gesetzentwurf vom 8. Mai 2013 (Obergrenze: 2015)<br />

stößt bei den Mitgliedern der KOWAB-Ost auf völlige Ablehnung.<br />

Begründung:<br />

Bei der Erhebung von (Altanlieger-)Beiträgen lassen sich im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> im<br />

Wesentlichen 3 Kategorien ausmachen:<br />

Aufgabenträger, die die Erhebung<br />

a) bereits abgeschlossen haben,<br />

b) gerade betreiben,<br />

c) noch nicht begonnen haben.<br />

Auf Grund der allseits bekannten Gerichtspraxis (Verfahrensdauer, Rügen von Formalien<br />

usw.) dürften es lediglich einige der Aufgabenträger der Kategorie a) schaffen, die<br />

Erhebung rechtssicher und ohne größere Beitragsausfälle zu vollziehen.<br />

Die Aufgabenträger der Kategorie b) wären gezwungen, ihre Erhebung mit erhöhtem<br />

personellen und technischen Aufwand bis 2015 zu vollziehen. Die Abgabenpflichtigen<br />

würden wegen der sehr nahen Verjährungsfrist mit allen Mitteln versuchen, die Erhebung<br />

zu Fall zu bringen. Auf Grund der vorliegenden Erfahrungen erwarten die Aufgabenträger<br />

eine Widerspruchs- bzw. Klagequote von nahezu 100 %. Sollten die Gerichte in der Folge<br />

Satzungs-, Bekanntmachungs- bzw. Kalkulationsmängel feststellen, hätten die<br />

Aufgabenträger keine Möglichkeit der Nachbesserung — die Erhebung würde ins Leere<br />

laufen.<br />

Den Aufgabenträgern der Kategorie c) wäre eine Erhebung z. T. gänzlich verwehrt. Auf<br />

Grund der oben beschriebenen Gerichtsproblematik ist zum Einen nicht zu erwarten,<br />

dass die Aufgabenträger in einem noch ausstehenden Zeitraum von 2 1/2 Jahren die<br />

Wirksamkeit ihrer Satzungen bestätigt bekommen werden. Zum Anderen ist der<br />

Zeitrahmen bis 2015 viel zu kurz, um ausstehende (rechtssichere) Flächenermittlungen<br />

und Kalkulationen erstellen und die sich daran anschließende Organisation der<br />

Beitragserhebung durchführen zu können. Die bereits für die Aufgabenträger der<br />

2


Kategorie b) beschriebene Rechtsproblematik fehlende Nachbesserungsmöglichkeiten<br />

der Satzungen und der Kalkulationen — trifft hier ebenso zu. Demzufolge liefe auch die<br />

Erhebung von (Altanlieger-)Beiträgen der Kategorie c) ins Leere.<br />

Schlussendlich würde das Datum 2015 bei einigen Verbänden erheblichen politischen<br />

Druck erzeugen, die Altanliegererhebung gänzlich in die Verjährung laufen zu lassen.<br />

FAZIT<br />

Mit der Festlegung einer zu „frühen" Obergrenze (vor 2020) wird einer Vielzahl von<br />

Aufgabenträgern eine rechtssichere und vollständige Beitragserhebung verwehrt. Diese<br />

Praxis wäre mit dem Prinzip der Gleichbehandlung unvereinbar, sie würde gegen die<br />

Verfassung verstoßen. Die betreffenden Verbände haben bereits angekündigt, für ihre zu<br />

erwartenden Beitragsausfälle das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> in Haftung zu nehmen.<br />

Eine Obergrenze 2025 hingegen bietet die Möglichkeit, dass von den Aufgabenträgern<br />

eine vollständige und rechtssichere Beitragserhebung vollzogen werden kann.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Nenner Haferkorn<br />

Vorstandsvorsitzender KOVVAB-Ost<br />

3


Märkischer Abwasser- und<br />

Wasserzweckverband<br />

Der Verbandsvorsteher<br />

Anland><br />

MAWV Köpenicker Str. 25 • 15711 Königs Wusterhausen<br />

EINGEGANGEN<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Ausschuss für Inneres<br />

Frau Vorsitzende Britta Stark<br />

Am Havelblick 8<br />

14473 Potsdam<br />

Erledigt .<br />

Vorab per E-Mail an: solveig.herrmannsenelandtaq.brandenburn.de<br />

2 4. MAI 2B13<br />

Bearbeiter:<br />

Abteilung:<br />

Durchwahl:<br />

Datum:<br />

Herr Ripplinger<br />

MAWV-K<br />

03375 2568-864<br />

21.052013<br />

Anhörung zum 6. Gesetz zur Änderung des KAG<br />

Ihr Schreiben vom 7. Mai 2013<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />

vorab bedankt sich der Märkische Abwasser- und Wasserzweckverband für die Einladung<br />

zur Anhörung am 23.05.2013 um 10:00 Uhr.<br />

Bezüglich der rechtlichen Würdigung der geplanten Gesetzesänderung schließen wir uns<br />

inhaltlich den Ausführungen des <strong>Land</strong>eswasserverbandstags, bzw. des Herrn RA<br />

Pencereci an.<br />

Da wir davon ausgehen, dass diverse Referenten die geplante Gesetzesänderung aus<br />

rechtlicher Sicht beurteilen werden, möchten wir in unseren Ausführungen auf mögliche<br />

Probleme bei der praktischen Umsetzung einer zeitlichen Obergrenze für die Verjährung<br />

im Jahre 2015 eingehen.<br />

Der MAWV ver- und entsorgt in 18 Städten und Gemeinden zwischen Berlin und dem<br />

Spreewald ca. 105.000 Einwohner. Seit der Gründung im Jahre 1994 sind dem Verband<br />

nachträglich 9 Zweckverbände, Eigenbetriebe, Gemeinden und Ortsteile beigetreten, die<br />

alle vor dem Beitritt zum MAWV in Eigenregie eine Beitragserhebung durchgeführt haben.<br />

Stellvertretender Verbandsvorsteher: Telefon: 03375 / 2568-823 Bankverbindung:<br />

Dipl.-Ing. Otto Ripplinger Telefax: 03375 / 2568-826 Deutsche Bank Königs Wusterhausen<br />

Vorsitzender der Verbandsversammlung: Internet: www.mawvde Kto.-Nr.: 1012861777 - BLZ: 120 300 00<br />

Dr. Udo Haase, E-Mail: post@mawv.de IBAN: DE 29 1203 0000 1012 8617 77<br />

Bürgermeister Gemeinde Schönefeld<br />

BIC (SWIFT-Code): BYLADEM1001


Nach der Gründung hat die Verbandsversammlung beschlossen, die Erschließungskosten<br />

über die anteilige Erhebung von Anschlussbeiträgen zu refinanzieren. Mit dieser<br />

Grundsatzentscheidung, Anschlussbeiträge zu erheben und deren konsequenter<br />

Umsetzung ist die Basis für die positive wirtschaftliche Entwicklung des MAWV<br />

geschaffen worden.<br />

Seit der Gründung sind vom Verband bis zum 31.12.2010 über 45.000 Anschlussbeiträge<br />

mit einem Volumen in Höhe von ca. 140 Mio. erhoben und zur anteiligen Finanzierung<br />

der Neuinvestitionen eingesetzt worden.<br />

Ab 01.01.2011 hat der MAVVV nach einer zweijährigen Vorlaufphase mit der Bescheidung<br />

der sogenannten Altanschließer begonnen. Hierzu haben wir ca. 19.300 Bescheide mit<br />

einem Bescheidvolumen von ca. 41,5 Mio. € erlassen. Zu diesen Bescheiden haben wir<br />

nach Abzug von Mehrfachschreiben ca. 19.000 Widersprüche erhalten, was einer<br />

Widerspruchsquote von ca. 98 % I!! entspricht. Insgesamt wurden aktuell ca. 6.000<br />

Vorgänge abschließend bearbeitet, so dass noch ca. 13.000 Widersprüche abzuarbeiten<br />

sind.<br />

Die Bescheidung für den MAWV führen 6 Mitarbeiter bei unserer<br />

Betriebsführungsgesellschaft ONVVAB mbH durch. Wobei von den 6 Mitarbeitern 3<br />

Mitarbeiter fachlich die Widersprüche abarbeiten; 2 Mitarbeiter führen vorbereitende und<br />

unterstützende Tätigkeiten durch; 1 Mitarbeiter ist für administrative und organisatorische<br />

Aufgaben zuständig. Bei einem durchschnittlichen Aufwand von ca. 1,5 Stunden pro<br />

Bescheid bräuchte man bei dem jetzigen Personalbestand ca. 4 Jahre um ca. 13.000<br />

Widerspruchsbescheide zu erlassen. Berücksichtigt man zusätzlich, dass diese<br />

Mitarbeiter auch das „Tagesgeschäft" zu sichern haben und dass neben den Bescheiden<br />

auch noch andere Arbeiten (z.B. Erlass von Stundungsbescheiden, Mahnwesen,<br />

Beantragung von Sicherungshypotheken, Zuarbeit zu Gerichtsverfahren, Beantwortung<br />

von Anfragen, usw.) zu erledigen sind, stellt man schnell fest, dass der MAWV eine<br />

kontrollierte Bescheidung bis Ende 2015 gar nicht schaffen kann.<br />

In Vorbereitung der Bescheidung der Altanschließer haben wir darüber hinaus festgestellt,<br />

dass in den Beitrittsgebieten zum MAWV ca. 10.000 Flurstücke vorhanden sind, bei den<br />

noch abschließend geklärt werden muss, ob die Beitragspflicht vorliegt und ein<br />

Anschlussbeitrag gezahlt worden ist. Für diese Aufgabe schätzen wir, wenn die<br />

Seite 2 von 4


Altanschließerbescheidung abgeschlossen ist, einen zusätzlichen Zeitbedarf von ca. 2<br />

Jahren und zusätzliche Beitragseinnahmen in Millionenhöhe.<br />

Man kann keinesfalls behaupten, dass der MAWV bisher untätig war. Das zeitliche<br />

Problem resultiert alleine aus der Größe des Verbandsgebietes und der Anzahl der zu<br />

klärenden und zu bescheidenden Flurstücke, insbesondere zur Frage der Altanschließer.<br />

Ein weiteres praktisches Problem sehen wir in einer möglichen hohen Anzahl von<br />

Verfahren, die wir zur Hemmung der Festsetzungsverjährung nur noch auf dem<br />

Rechtswege werden durchsetzen können.<br />

Gemäß § 171 (3a) der Abgabenordnung werden wir nach Ablauf der festgelegten<br />

Verjährungsfrist unsere Forderung nur durchsetzen können, wenn wir spätestens einen<br />

Monat vor Ablauf der geplanten Verjährungsfrist alle beitragspflichtigen Flurstücke im<br />

Verbandsgebiet beschieden und gegenüber den, die Widerspruch eingelegt haben, einen<br />

Widerspruchsbescheid erlassen haben. Nach dem Stichtag müssen wir, sofern wir unsere<br />

Forderung nicht verlieren möchten, zur Hemmung der Festsetzungsverjährung immer ein<br />

Urteil eines Gerichts verlangen müssen. Eine Aufhebung von uns aus würde zum Verlust<br />

unserer Forderung führen.<br />

Derzeit ist die Wahrscheinlichkeit ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zu verlieren,<br />

sehr hoch, da die Fantasie der Verwaltungsgerichte und die Vorstellung, was in einer<br />

Satzung wie geregelt oder welcher zusätzliche Nachweis des Anschlussbeitragssatzes<br />

geführt werden muss, unerschöpflich ist.<br />

Die Kosten aus den Verfahren, insbesondere wenn Sie über mehrere Instanzen gehen,<br />

können erhebliche Größenordnungen erreichen und sind nach der aktuellen<br />

Rechtsprechung auch nicht gebührenfähig.<br />

Ziel sollte daher sein, möglichst viele Bescheide bis Ablauf der Verjährungsfrist im<br />

außergerichtlichen Wege zu klären und auch noch die Möglichkeit zu haben, Bescheide<br />

von sich aus aufzuheben und neu zu erlassen.<br />

Seite 3 von 4


Eine Verjährung der Ansprüche Ende 2015 würde für den MAWV und viele andere<br />

Zweckverbände in <strong>Brandenburg</strong> zu einem enormen Zeitdruck, den Verlust der<br />

Vollständigkeit und Qualität der Bearbeitung sowie zu Einnahmeausfällen in Millionenhöhe<br />

führen.<br />

Wir bitten daher den <strong><strong>Land</strong>tag</strong>, wenn denn schon die Möglichkeit rechtlich zulässig ist, die<br />

Verjährungsfrist auf 10+20 Jahre, also bis Ende 2020, festzulegen und damit den<br />

Zweckverbänden die Möglichkeit einzuräumen die Bescheidung geordnet, vollständig und<br />

in Kommunikation mit den Bürgern durchzuführen.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Rippling<br />

Stellve retender Verbandsvorsteher<br />

Seite 4 von 4


EINGEGANGEN<br />

2 1. MAI 2013 /S20<br />

Berlin, 16. Mai 2013 Erledigt: • t ,) g(y .<br />

bci tiqk-(2,t<br />

"Dt brapr T2if<br />

Regelung einer zeitlichen Grenze zum Vorteilsausgleich in den Kommunalabgabenordnungen<br />

I<br />

l Haus &Grund<br />

-- Eigentümerschutz-Gemeinschaft<br />

I. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />

Mit Beschluss vom 5. März 2013 (Az. 1 BA 2457/08) hat das Bundesverfassungsgericht über die<br />

Verfassungsmäßigkeit von Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) cc) 2. Spiegelstrich des Kommunalabgabengesetzes<br />

(KAG) des <strong>Land</strong>es Bayern entschieden.<br />

Diese Vorschrift regelt den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung kommunaler Abgaben.<br />

Als verfassungswidrig erkannte das Bundesverfassungsgericht den Umstand, dass die Regelung<br />

einen variablen Zeitpunkt für den Beginn der Verjährung vorsieht. Die bayrische Norm sah vor,<br />

dass die Festsetzungsfrist mit Ende des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem eine wirksame<br />

Gebührensatzung erlassen wurde. Demnach führte die Aufstellung einer nur vermeintlich wirksamen<br />

Gebührensatzung nicht dazu, dass die Verjährungsfrist in Gang gesetzt wurde. Dies hatte zur<br />

Folge, dass selbst dann, wenn eine ursprünglich unwirksame Gebührensatzung erst Jahre oder<br />

Jahrzehnte später von einer wirksamen Satzung abgelöst wurde, die Verjährung erst zu diesem<br />

späteren Zeitpunkt begann. Der betroffene Grundstückseigentümer ist daher nicht in der Lage,<br />

den Zeitraum zu bestimmen, in welchem er mit einer Heranziehung zu kommunalen Abgaben<br />

(hier: Kanalherstellungsbeitrag) rechnen muss.<br />

Das Bundesverfassungsgericht sah darin einen Verstoß gegen die aus dem Rechtsstaatsprinzip<br />

abzuleitenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Den Sinn der Verjährungsfrist<br />

sieht das Gericht in einem angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen<br />

der Allgemeinheit an einer Kompensation der durch Einzelne erworbenen Vorteile einerseits<br />

und den schutzwürdigen Interessen der Vorteilsempfänger andererseits. Zwar stehe dem Gesetzgeber<br />

dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu; jedoch müsse er die Verjährungsregelungen so<br />

Haus & Grund Deutschland, Mohrenstraße 33, D-10117 Berlin<br />

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Regefung einer zeitlichen Obergrenze zurr Vorieifsausgleich im KAG <strong>Brandenburg</strong> und Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen in<br />

das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />

beschaffen, dass er dabei der schutzwürdigen Erwartung des Bürgers, irgendwann nicht mehr mit<br />

einer hoheitlichen Geldforderung überzogen zu werden, Rechnung trägt.<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat die die Unvereinbarkeit der Norm mit dem Grundgesetz festgestellt<br />

und den Gesetzgeber zur Korrektur aufgefordert. Als Möglichkeit für eine Neuregelung hat<br />

das Gericht vorgeschlagen, den Beginn der Verjährung von dem Zeitpunkt abhängig machen, in<br />

dem der auszugleichende Vorteilentstanden ist und eine Verjährungshöchstfrist festlegen.<br />

Das Verwaltungsgericht Cottbus hat mit Beschluss vom 8. Mai 2013 Az. 6 L 328/12 ) ebenfalls verfassungsrechtliche<br />

Bedenken zum brandenburgischen Kommunalabgabengesetz (KAG) wegen des<br />

Fehlen einer zeitlichen Obergrenze für die Beitragserhebung geäußert.<br />

II. Konsequenzen aus der Entscheidung<br />

Der Beschluss der Bundesverfassungsgerichts wirkt sich auf die Rechtslage derjenigen Bundesländer<br />

aus, die eine Verjährungsfrist zulassen, die ausschließlich oder zumindest frühestens an das<br />

Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung anknüpft, ohne eine zeitliche Grenze für den Verjährungsbeginn<br />

zu bestimmen.<br />

Verjährungsregelungen sind Ausfluss des Grundsatzes der Rechtssicherheit. Diese Regelungen<br />

greifen ohne betätigtes Vertrauen und erlauben es dem Einzelnen, irgendwann nicht mehr mit<br />

einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können (BVerfG, Az.<br />

1BvR 2457/08, Rn. 44). Das Bundesverfassungsgericht hat in der Urteilsbegründung deutlich gemacht,<br />

dass für den Bürger ein Zusammenhang zwischen Beitrag und Erlangung des Vorteils<br />

sichtbar sein muss (BVerfG, Az. 1BvR 2457/08, Rn. 45). Der Zweck der Verjährungsregelung ist<br />

demnach nur erfüllt, wenn die Regelung an einen Zeitpunkt anknüpft, zu dem für den Zahlungspflichtigen<br />

ein spürbarer Vorteil aus der Maßnahme entstanden ist, der die Erschließungssituation<br />

seines Grundstückes in seinen Augen, aber auch in der der allgemeinen Verkehrsanschauung, verbessert.<br />

Diese verfassungsgerichtliche Vorgabe ist gut umsetzbar, in dem die konkrete Maßnahme für das<br />

betroffene Grundstück für die Feststellung der Vorteilslage maßgeblich wird. So ist es beispielsweise<br />

jedem Bürger nachvollziehbar, ob statt einer Klär- oder Sammelgrube ein Anschluss an eine<br />

zentrale Entsorgung vorliegt oder ob das Grundstück an einer verschlissenen Verkehrseinrichtung<br />

oder neu ausgebauten und befahrbaren Straße liegt. Nicht nachvollziehbar ist für die Bürger hingegen<br />

die Feststellung der Vorteilslage nach heute gängigem Muster, das regelmäßig an die Voll-<br />

2


Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG <strong>Brandenburg</strong> und Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen in<br />

das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />

endung eines Gesamtkonzeptes anknüpft. Es ist beispielsweise nur wenigen Experten nachvollziehbar,<br />

ob eine abwassertechnische Konzeption eines Zweckverbandes bis zum Ende realisiert ist, ob<br />

die Kläranlage völlig ausgebaut, ob die letzten Meter einer Straße bis zu einer Kreuzung gepflastert<br />

sind.<br />

Darüber hinaus wäre nach Ansicht von Haus & Grund Deutschland ein Anknüpfen der Vorteilslage<br />

an außerhalb des konkreten Grundstücks liegende Aspekte mit dem jetzigen Urteil unvereinbar.<br />

Dann nämlich würde der Zeitpunkt des Verjährungsbeginns allein von der Dauer der Umsetzung<br />

der Pläne der Kommune oder des Zweckverbandes abhängig sein und damit wiederum nicht bestimmbar.<br />

Eine wirkliche, rechtsstaatliche Alternative zu diesem Vorschlag ist nicht ersichtlich. Wenn der Gesetzgeber<br />

den Verjährungsbeginn weiterhin vom Erlass einer wirksamen Satzung abhängig machte,<br />

müsste auch dieser Zeitpunkt eindeutig bestimmbar sein. Maßgeblich für den Beginn der Verjährung<br />

könnte dann auch eine Beitragsatzung sein, die unwirksam ist. Dies ist aus Sicht von Haus &<br />

Grund Deutschland keine für einen Rechtsstaat zu erwägende Alternative.<br />

Für Bürger und Eigentümer ist die Grundlage der Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Altanschließer<br />

nur schwer vermittelbar . Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong> befürwortet eine Gebührenlösung<br />

um die Beitragsgerechtigkeit zwischen Neu- und Altanschließern wiederherzustellen. Dies lässt das<br />

Kommunalabgabengesetz zu. Es wurde und wird auch praktiziert in Rheinsberg, Löwenberg und<br />

dem Eigenbetrieb in Zehdenick. Grundsätzlich ist die Gebührenregelung sinnvoll , wo zum 3. Oktober<br />

1990 große Teile der Grundstücke an die zentrale Wasser- und Abwasserversorgung angeschlossen<br />

waren.<br />

III. Vorschlag für eine Verjährungsregelung<br />

Haus & Grund fordert aus den vorstehenden Gründen eine Verjährungsregelung, die an einen<br />

festen Zeitpunkt, nämlich an die grundstücksbezogene Realisierung der Anlage oder Einrichtung,<br />

anknüpft:<br />

Beiträge nach §... und Kostenerstattungsansprüche nach §... dieses Gesetzes verjähren. Die Frist für die Verjährung<br />

beträgt 4 Jahre. Die Frist beginnt, unabhängig von der sachlichen Beitragspflicht, mit Ablauf des Kalenderjahres,<br />

in dem die Vorteilslage beim Abgabepflichtigen eingetreten ist. Die Vorteilslage ist eingetreten,<br />

3


Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG <strong>Brandenburg</strong> und Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen in<br />

das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />

wenn dem Abgabenpflichtigen grundstücksbezogen eine für einen objektiven Dritten erkennbare bautechnisch<br />

hergestellte und benutzbare Anlage oder eine sonstige Einrichtung, errichtet wurde.<br />

Der Beginn der Verjährungsfrist wurde auf das Folgejahr gelegt, in dem der wahrnehmbare Vorteil<br />

eingetreten ist. Gleichzeitig wird definiert, dass der Beginn unabhängig vom Entstehen der sachlichen<br />

Beitragspflicht eintritt. Die Zeitspanne der Festsetzungsverjährung wurde entsprechend der<br />

seit Jahren verwendeten Festsetzungsverjährungsfrist aus der Abgabenordnung (§169 AO) entnommen.<br />

Diesem Vorschlag steht nicht entgegen, dass der Aufwand eventuell nicht exakt feststellbar ist.<br />

Dies kann schon bei einer fehlenden Rechnung eines Betriebes der Fall sein. Von der Rechtsprechung<br />

ist aber anerkannt, dass auch nach einer vorläufigen Kostenermittlung abgerechnet werden<br />

kann (vgl. OVG NW Beschl. v. 31.1.2000, 15 A290/00 mit Verweis auf gefestigte Rechtsprechung).<br />

Überdies wird bei Anschlussbeiträgen regelmäßig eine Globalkalkulation durchgeführt, die sogar<br />

zukünftig zu erwartende Kosten enthalten darf.<br />

Die vorgeschlagene Regelung dient auch den Interessen der Kommunen und denen der kommunalen<br />

Verbände. Durch die zügige Abrechnung der Maßnahme wird die Liquidität der Gemeinden<br />

und Verbände verbessert. Zugleich wird mit der vierjährigen Verjährungsfrist dem berechtigten<br />

öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile Rechnung<br />

getragen. Nicht zuletzt wird die Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerung zunehmen,<br />

weil Leistung und Gegenleistung in einem überschaubaren Zeitraum erfolgen.<br />

Es läge dann künftig beim Abgabengläubiger, die sachliche Beitragspflicht schnell zum Entstehen<br />

zu bringen. Dies erfordert eine gute Vorbereitung und zügige Abrechnung der Maßnahme. Für<br />

den Beitragspflichtigen wird der Beitrag geringer, da jahrelange Zwischenfinanzierungen, die bisher<br />

zum beitragsfähigen Aufwand gehörten, vermieden werden. Soweit durch die Neuregelung das<br />

Risiko besteht, dass eine Beitragsforderung verjährt, bevor sie entsteht, ist dies eine nicht unübliche<br />

Konstellation, die es auch in anderen Rechtsgebieten, wie dem Zivilrecht, gibt.<br />

Aus der Sicht des <strong>Land</strong>esverbandes <strong>Brandenburg</strong> ist dieser Vorschlag absolut zeitgemäß . Er macht<br />

kommunale Gebührensatzungen transparenter und verständlicher einfach durch den nachvollziehbaren<br />

zeitlichen Bezug. Eine Vielzahl von Gerichtsverfahren kann vermieden werden. Der Vorschlag<br />

sollte verbunden werden mit mehr Transparenz bei der Einsicht in die Kalkulations- und Planungs-<br />

4


Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KI-\G <strong>Brandenburg</strong> und Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen in<br />

das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />

unterlagen zumindest für verantwortliche Sprecher von Haus & Grund oder von Bürgerinitiativen<br />

benannten oder gewählten Sprechern. Die Praxis seit 1990 zeigt doch, wo Kommunen oder Abwasserzweckverbände<br />

gesprächsbereit und bürgernah diese Probleme diskutierten gab es weniger<br />

Verwaltungsgerichtsverfahren. Vielfach sind Eigentümer als Sprecher von Bürgerinitiativen in die<br />

Planung eingebunden Die Praxis vieler Kommunen vorab Eigentümerversammlungen durchzuführen<br />

in dem diesen eine echtes Mitspracherecht eingeräumt wird , sollte zur Verpflichtung Kraft<br />

Gesetzes werden.<br />

Die vorgeschlagene Verjährungsregelung ist somit verfassungskonform, transparent<br />

und bürgernah, beseitigt die Unsicherheiten bei Verkauf und Bewertung von Grundstücken<br />

und wird letztendlich durch eine verbesserte Akzeptanz auch von Vorteil für<br />

die Gemeinden und Abwasserzweckverbände bei der Beitragserhebung sein.<br />

Rudolf Ehrhardt<br />

Vorsitzender<br />

Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong><br />

Postanschrift<br />

Friedrich-Engels-Str.42<br />

16792 Zehdenick<br />

Tel. 01717478135<br />

Email info@hausundgrundbrbg.de<br />

www.hausundq ru ndbrbq.de<br />

5


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Behlertstraße 33 a, D-14467 Potsdam<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Ausschuss für Inneres<br />

Frau Vorsitzende Britta Stark<br />

Am Havelblick 8<br />

14473 Potsdam<br />

EINGEGANGEN<br />

Erledigt: Uev<br />

2 4. HAI 20131g,ti<br />

Vorab per E-Mail: solveig.herrmannsen@landtag.brandenburg.de<br />

Anlage<br />

LWT<br />

LANDESWASSERVERBANDSTAG<br />

BRANDENBURG e.V.<br />

Behlertstraße 33 a<br />

D-14467 Potsdam<br />

Telefon: 0331 / 7 47 <strong>43</strong> 10<br />

Telefax: 0331 / 7 47 <strong>43</strong> 33<br />

E-Mai l:<br />

infogwt- b randenburg. de<br />

Internet:<br />

wwvv.lwt-brandenburg.de<br />

Vereinsregister-Nr.:<br />

VR 1204 P<br />

Ihr Zeichen: Unser Zeichen Datum<br />

pe-fr 21.05.2013<br />

Anhörung zum 6. Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes für das <strong>Land</strong><br />

<strong>Brandenburg</strong><br />

Schreiben vom 07.05.2013<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />

der <strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V. bedankt sich für die Einladung zur Anhörung<br />

am 23.05.2013 um 10:00 Uhr, zur Anhörung um 13:30 Uhr und die Möglichkeit, Stellung<br />

nehmen zu dürfen.<br />

Wegen des engen Sachzusammenhanges und dor nur kurzen zur Verfügung stehenden Zeit<br />

beziehen wir in dieser Stellungnahme sowohl Position zur Einführung von Musterverfahren<br />

als auch zur Formulierungshilfe des Ministeriums des Inneren zur Regelung einer zeitlichen<br />

Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG sowie damit verbunden auch zu dem Gesetzesvorschlag<br />

vom 08.05.2013. Eine Erweiterung bis zum 31.05.2013 behalten wir uns wegen<br />

möglicherweise eingehender Stellungnahmen unserer Mitglieder vor. Wir bitten insoweit um<br />

Verständnis.<br />

Präsident: Dr. agr. Iris Homuth Geschäftsführer:<br />

Vizepräsident: Dipl.-Ing. Johannes Schwanz<br />

RA und FAVerwR Turgut Pencereci<br />

Bankverbindung:<br />

Mittelbrandenburgische Sparkasse Potsdam<br />

BLZ: 160 500 00 Kto.-Nr. 35 250 55098


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 2 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

Musterverfahren<br />

Zu der gesetzlichen Einführung von Musterverfahren nehmen wir gerne wie folgt Stellung.<br />

Vorab dürften wir jedoch dazu bemerken, dass Musterverfahren im Abgabenrecht generell<br />

unüblich und vor allem für das Abgabenrecht als ungeeignet angesehen werden. Die führenden<br />

Kommentierungen zur Verwaltungsgerichtsordnung gehen davon aus, dass Musterverfahren<br />

im Abgabenrecht nicht geeignet sind, dem grundsätzlichen Anliegen dieser Musterverfahren,<br />

nämlich u. a. Kosten auf allen Seiten (Abgabengläubiger, Abgabenschuldner)<br />

zu sparen, gerecht zu werden. Denn die Einzelverfahren sind viel zu unterschiedlich, als<br />

dass durch die Klärung einer einzigen Rechtsfrage bereits die Verfahren insgesamt abgeschlossen<br />

werden können. Musterverfahren sind aber nur dann nützlich, wenn infolge der<br />

Gleichartigkeit der rechtlichen und tatsächlichen Fragestellungen mit ihnen die weiteren Verfahren<br />

aller Voraussicht nach erledigt werden können. Für diese Fälle hat § 93 a VwGO<br />

(Bundesrecht!) längst eine (ausreichende) Regelung getroffen. § 93 a kann analog auf Widerspruchsverfahren<br />

angewendet werden. Einer weiteren Regelung bedarf es nicht. Zu beachten<br />

ist allerdings, dass § 93 a VwGO in erster Linie Massenverfahren betrifft, Das sind<br />

Abgabenverfahren zumeist nicht, so dass diese dann auch kein Musterverfahren erfordern.<br />

Zu den einzelnen Fragen:<br />

1. Welche Erfahrungen gibt es mit solchen Musterverfahren aus Ihrer Kenntnis,<br />

wenn sie gesetzlich vorgeschrieben sind?<br />

Aus der praktischen Tätigkeit des Unterzeichners als Rechtsanwalt sind bisher nur gesetzliche<br />

Regelungen aus Mecklenburg-Vorpommern speziell zum Abgabenrecht bekannt.<br />

Musterverfahren werden ebenfalls durch den Unterzeichner nicht durchgeführt,<br />

da es bisher keine Fälle gab, die für ein solches Musterverfahren geeignet waren.<br />

2. Welche Wasser- und Abwasserverbände in <strong>Brandenburg</strong> führen bereits jetzt<br />

Musterverfahren durch und welche nicht?<br />

Dazu gibt es hier keinen vollständigen Überblick. Der Märkische Abwasser- und Wasserzweckverband<br />

in Königs Wusterhausen (MAWV) praktiziert jedoch eine den Musterverfahren<br />

nach Vorbild M-V sehr ähnliche Regelung. Dort werden geeignete Verfahren<br />

als Musterverfahren zur Klärung einer Rechtsfrage ausgewählt. Widerspruchsführer,<br />

die sich dem Ergebnis dieser Verfahren anschließen möchten, können das Ruhen


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 3 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

des Verfahrens beantragen. Sodann wird das Widerspruchsverfahren dieser Widerspruchsführer<br />

als ruhend gestellt. In der entsprechenden Vereinbarung wird niedergelegt,<br />

dass die Entscheidungen zu einer bestimmten Rechtfrage dann auch in dem Widerspruchsverfahren<br />

gelten sollen. Diese Verfahrensweise erfreut sich äußerst großer<br />

Beliebtheit, sie ist für alle Beteiligten äußerst kostengünstig und führt vor allem nicht<br />

dazu, dass Musterverfahren von Rechtsanwälten zu exorbitant hohen Gegenstandswerten<br />

geführt werden, an deren Kosten sich dann viele Widerspruchsführer beteiligen<br />

müssen.<br />

3. Lassen sich durch das Musterverfahren Kosten bei den Bürgern als Kläger sowie<br />

in der Verwaltung/bei den Wasser- und Abwasserverbänden als Beklagten<br />

einsparen?<br />

Siehe Antwort zu 2. Im Übrigen entstehen Kostennachteile, weil durch Musterverfahren<br />

der Gegenstandswert nach oben getrieben werden kann. Ein repräsentativer Fall (wie<br />

bei denen des MAWV) mit einem geringen Streitwert reicht aus!<br />

4. Kann die Einführung des Musterverfahrens zu weniger Arbeitsaufwand in der<br />

Verwaltung und bei den Gerichten führen?<br />

Dies ist durchaus denkbar, allerdings hängt es doch sehr stark davon ab, ob die Verfahren<br />

alle ohne Weiteres miteinander vergleichbar sind. Dies ist eher nicht der Fall.<br />

5. Welche weiteren Vorteile bringt die Einführung des Musterverfahrens im KAG<br />

mit sich?<br />

Wenn entsprechend geeignete Verfahren vorhanden wären, könnten sicherlich bei allen<br />

Beteiligten Kosten gespart werden. Dies muss hier bezweifelt werden.<br />

6. Welche rechtlichen und tatsächlichen Probleme bringt die Einführung des Musterverfahrens<br />

im KAG mit sich? Wie lassen sich diese Probleme lösen?<br />

Betreffen die Musterverfahren nur eine einzige Konstellation, die bei allen Widerspruchsführern<br />

bzw. Klägern absolut identisch ist, können Musterverfahren hilfreich<br />

sein. Wie bereits betont, ist dies im Abgabenrecht häufig nicht der Fall. Insofern werden<br />

dann zwar einzelne Rechtsfragen als Muster für alle Beteiligten beantwortet, die


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 4 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

konkreten Rechtsfragen im Einzelfall können jedoch nicht bearbeitet werden. Eine<br />

Problemlösung dafür gibt es nicht.<br />

7. Welche weiteren Voraussetzungen sollten bei der pflichtigen Einführung von<br />

Musterverfahren beachtet werden?<br />

Wenn überhaupt Musterverfahren eingeführt würden, so sollte es sich dabei nicht um<br />

eine verpflichtende, sondern vielmehr nur um eine „Kann-Regelung" handeln. Wie<br />

auch schon jetzt sollte es im vernünftigen Ermessen der Aufgabenträger (Abgabengläubiger)<br />

liegen, geeignete Verfahren auszuwählen. Eine Verpflichtung, solche Verfahren<br />

durchzuführen, halten wir für kontraproduktiv. Dies würde im Übrigen weiteren<br />

Raum für weitere Rechtsstreitigkeiten eröffnen. Denn würden solche Verfahren aus<br />

vernünftigen Gründen abgelehnt, bestünde allein gegen diese Ablehnung wiederum<br />

eine Klagemöglichkeit.<br />

Im Übrigen gibt es schon § 93 a VwGO!<br />

8. Ist es sinnvoll, das Ruhen der Widerspruchsverfahren gesetzlich anzuordnen,<br />

wenn Gerichtsverfahren in gleichgelagerten Fällen anhängig sind?<br />

Eine solche Regelung wird daran scheitern, dass die Bestimmung der „gleichgelagerten<br />

Fälle" kaum möglich ist.<br />

Die Aufgabenträger haben selbstverständlich schon jetzt die Möglichkeit, das Ruhen<br />

des Verfahrens mit den Widerspruchsführern zu vereinbaren.<br />

9. Ist es erforderlich, den kommunalen Aufgabenträgern vorzuschreiben, wie sie<br />

mit Widerspruchsverfahren umzugehen haben? Sollte dies nicht den Kommunen<br />

und Zweckverbänden vor Ort überlassen bleiben?<br />

Das Verwaltungsverfahrensgesetz und die Vorwaltungsgerichtsordnung legen bereits<br />

die wesentlichen Eckpunkte, teilweise auch sehr konkreten Inhalte des Verwaltungsverfahrens<br />

fest. Eine verbindliche Festlegung darüber, wie die kommunalen Aufgabenträger<br />

mit Widerspruchsverfahren umzugehen haben, ist schlichtweg nicht mehr erforderlich.<br />

Dies ist sogar bundesrechtlich in der Verwaltungsgerichtsordnung geregelt.


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 5 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

10. Hat sich die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern in der Praxis bewährt?<br />

Hier kann nur die persönliche Erfahrung des Verfassers dieser Stellungnahme wiedergegeben<br />

werden:<br />

In meiner Beratungspraxis hat es in Mecklenburg-Vorpommern keine Musterverfahren<br />

gegeben.<br />

11. Was halten Sie davon, dass der Aufgabenträger oder der Beitragsschuldner das<br />

Ruhen — anders als in Mecklenburg-Vorpommern — nach dem Gesetzentwurf<br />

nicht beenden kann?<br />

Nichts! Bei den gesamten Überlegungen zur Einführung von Musterverfahren sollte<br />

nicht vergessen werden, dass hier öffentliche Einrichtungen der Daseinsvorsorge betrieben<br />

werden, die insbesondere auf dem Gebiet der Wasserver- und Abwasserentsorgung<br />

wichtige ökologische und hygienische Funktionen haben. Diese Aufgaben<br />

müssen finanziert werden.<br />

Die kommunalen Aufgabenträger müssen in der Lage sein, die Einnahmen zu realisieren.<br />

Werden sie daran durch zu enge Verfahrensregelungen gehindert, kommt es zu<br />

Einnahmeausfällen. Hier dürfte dann auch ein Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip<br />

zu sehen sein. Denn die den Kommunen übertragene Aufgabe kann nicht mehr vernünftig<br />

finanziert werden, wenn aufgrund verfahrensrechtlicher Zwänge Einnahmen<br />

nicht realisiert werden können. Dies kann nicht im Sinne einer ordnungsgemäßen Aufgabendurchführung<br />

sein.<br />

Insgesamt halten wir die Einführung von Musterverfahren durch Gesetz für vollständig überflüssig.<br />

Die kommunalen Aufgabenträger haben schon jetzt hervorragende Möglichkeiten, die für<br />

ihre Abgabenschuldner kostengünstige Variante des Ruhens des Verfahrens zu vereinbaren,<br />

ohne dass dies in einem Gesetz festgeschrieben wird.


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 6 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

Il.<br />

Formulierungshilfe des Ministeriums des Innern zur Regelung einer zeitlichen<br />

Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 05.03.2013 letztlich in<br />

der Weise geäußert, dass es die Vorhersehbarkeit, aber auch die Berechenbarkeit der Abgabenerhebung<br />

wie folgt charakterisiert hat: „Irgendwann einmal muss auch Schluss sein."<br />

Der vom Bundesverfassungsgericht entschiedene Fall ist sicherlich ganz besonders delikater<br />

Art. Denn in Bayern kann ein ehemaliger Grundstückseigentümer auch noch Jahre nach<br />

Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für sein Grundstück zu einem weiteren Beitrag herangezogen<br />

werden, selbst wenn er das Grundstück schon viele Jahre vorher veräußert hat.<br />

Dies dürfte in <strong>Brandenburg</strong> deutlich anders sein. Gleichwohl besteht auch aus Sicht des<br />

<strong>Land</strong>eswasserverbandstags <strong>Brandenburg</strong> e. V. zur Schaffung von Rechtssicherheit die Notwendigkeit,<br />

eine zeitliche Befristung für die Abgabenerhebung einzuführen. Zwar könnte der<br />

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts so verstanden werden, dass die bayerische Variante<br />

für <strong>Brandenburg</strong> nicht gilt. Das Verwaltungsgericht Cottbus hat sich jedoch am<br />

08.05.2013 (Az.: VG 6 L 328/12) in einem bei Verfassung dieser Zeilen noch nicht rechtskräftigen<br />

Beschluss ähnlich geäußert, dessen Rechtsauffassung schließen wir uns an. Es<br />

besteht also Handlungsbedarf.<br />

Dieser Handlungsbedarf besteht allerdings nicht in der Weise, dass die Veranlagung von<br />

sog. Altanschließern dadurch ausgeschlossen wird, dass man die Verjährung auf ein Datum<br />

legt, das in der Vergangenheit liegt. Denn dann würde die von den Gerichten, insbesondere<br />

auch dem <strong>Brandenburg</strong>ischen Verfassungsgericht (Az.: 46/11 vom 21.09.2012) geforderte<br />

Gleichbehandlung bei der Beitragserhebung unterminiert. Beiträge, die nicht erhoben würden,<br />

weil Verjährung eingetreten ist, gelten als erloschen. Es ergäbe sich dann eine große<br />

Deckungslücke, die durch differenzierte Gebühren, mit großer Sicherheit aber aus allgemeinen<br />

Haushaltsmitteln der Kommunen oder des <strong>Land</strong>es ausgeglichen werden müsste. Denn<br />

einmal erloschene öffentlich-rechtliche Abgaben können nicht durch andere Abgaben (also<br />

Gebühren anstatt Beiträgen) wieder zum Leben erweckt werden.<br />

Anders ausgedrückt: Was an Beiträgen nicht mehr erhoben werden kann, kann auch nicht<br />

mehr durch Gebühren ausgeglichen werden. Es bleibt dann nur eine Belastung der Allgemeinheit.<br />

Dies ist ein krasser Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, auch wenn<br />

diesseits ein erhebliches Verständnis besteht, dass die Veranlagung von Altanschließern in<br />

der Bevölkerung nur sehr schwierig verstanden wird. Dies muss umso mehr gelten, als die


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 7 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

Veranlagung der Altanschließer nicht unmittelbar nach der politischen Wende 1989, sondern<br />

fast 20 Jahre später erfolgt.<br />

Eine Verjährung der Ansprüche im Jahre 2015 ist für die Aufgabenträger schlichtweg nicht<br />

machbar. Dies wird sich auch aus der Beantwortung der nachstehenden Fragen ergeben.<br />

Eine Verjährung im Jahre 2020 wird diesseits als frühestmöglicher Zeitpunkt gesehen, selbst<br />

dieser Zeitpunkt wird für einige Aufgabenträger nur schwierig zu halten sein. Dies gilt insbesondere<br />

auch deshalb, weil immer wieder das Risiko besteht, dass die Rechtsprechung Satzungen<br />

für unwirksam erklärt oder Beitragsbescheide deshalb aufhebt, weil deren Satzungsgrundlage<br />

nicht rechtmäßig ist.<br />

Zu den Fragen:<br />

1. Welche zentralen Aussagen trifft das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss<br />

vom 05.03.2013 (Az. BvR 245/08)?<br />

Das Bundesverfassungsgericht billigt im Ergebnis die im Abgabenrecht durchgängige<br />

Praxis der rückwirkenden Heilung von Abgabensachverhalten, die aufgrund einer<br />

rechtswidrigen Satzung nicht realisiert werden können. Es hat jedoch festgelegt, dass<br />

"irgendwann einmal Schluss sein muss".<br />

2. Ist die Entscheidung vom 05.03.2013 auf <strong>Brandenburg</strong> übertragbar? Welche<br />

Auswirkungen hat der Beschluss des BVerfG auf <strong>Brandenburg</strong>?<br />

Der Beschluss dürfte in seinen Kernaussagen übertragbar sein. Wird das in ihm enthaltene<br />

Petitum, eine zeitliche Grenze für die Abgabenerhebung aufzuführen, nicht<br />

umgesetzt, muss davon ausgegangen werden, dass auch das brandenburgische KAG<br />

insofern verfassungswidrig ist.<br />

3. Welche verschiedenen Fallkonstellationen in Bezug auf das brandenburgische<br />

KAG sind von dem Beschluss des BVerfG betroffen?<br />

Es sind alle Konstellationen dor Wasser- und Abwasserbeiträge betroffen, bei denen<br />

noch keine Festsetzung erfolgt ist (sog. Altanschließer und diverse Neuanschließer).


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 8 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

4. Ergibt sich daraus aus Ihrer Sicht ein Änderungsbedarf beim KAG des <strong>Land</strong>es<br />

<strong>Brandenburg</strong>?<br />

Ja, dieser Änderungsbedarf ergibt sich. Es ist eine zeitliche Begrenzung, wie sie der<br />

Minister des Innern einzuführen vorschlägt. Das Datum der Verjährung von Ansprüchen<br />

sollte frühestens mit dem 31.12.2020 festgelegt werden, besser erst 2025.<br />

5. Sind im bbg. KAG gesetzgeberische Änderungen notwendig, damit die Vorschriften<br />

des bbg. KAG im Einklang mit höherrangigem Recht und der Rechtsprechung<br />

des BVerfG stehen?<br />

Ja! Das VG Cottbus hat sich dazu ausdrücklich und eindeutig positioniert (Beschluss<br />

vom 08.05.2013, Az.: VG 6 L 328). Das sieht derzeit nur das VG Schworin (Urteil vom<br />

11.04.2013 — 4 A 1250/12) anders, allerdings unzutreffend.<br />

6. Wie können diese Änderungen ausgestaltet werden?<br />

Siehe 4. und 5.<br />

7. Welche rechtlichen oder tatsächlichen Folgen ziehen die in Betracht kommenden<br />

Änderungsmöglichkeiten nach sich?<br />

Das brandenburgische KAG wäre rechtmäßig, die Beitragserhebung könnte so, wie<br />

praktiziert, fortgesetzt werden.<br />

8. Ist die <strong>Brandenburg</strong>er Regelung in § 8 Abs. 7 S. 2 KAG unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen<br />

Grundsatz der Rechtssicherheit?<br />

Gesetze müssen verständlich und nachvollziehbar sein. Sio müssen auch so abgefasst<br />

sein, dass der von Ihnen Betroffene sich auf die in den Gesetzen enthaltenen<br />

Regelungsgehalte einstellen kann. § 8 Abs. 7 S. 2 KAG mag insoweit eindeutig sein,<br />

nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bedarf die Regelung einer zeitlichen<br />

Begrenzung durch eine entsprechende Ergänzung.


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 9 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

9. Ist die Beitragserhebung bei Altanschließern verfassungswidrig?<br />

Das Gegenteil ist der Fall, wie das brandenburgische <strong>Land</strong>esverfassungsgericht eindeutig<br />

entschieden hat. Die Nichterhebung von Beiträgen bei Altanschließern, sofern<br />

denn überhaupt Beiträge erhoben werden, wäre verfassungswidrig.<br />

10. Welche allgemeinen Verjährungsregelungen gibt es im Beitrags- und Abgabenrecht<br />

des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>? Wie berechnen sich diese Fristen?<br />

Hier gelten durch einen entsprechenden Verweis im brandenburgischen KAG die Fristen<br />

der Abgabenordnung. Hervorzuheben sind die vierjährige Festsetzungs- und die<br />

fünfjährige Zahlungsverjährung. Die Festsetzungsverjährung beginnt, wenn die sachliche<br />

Beitragspflicht für das Grundstück entstanden ist. Nach der derzeitigen gesetzlichen<br />

Regelung ist dies dann der Fall, wenn die Möglichkeit des Anschlusses des<br />

Grundstücks an die öffentliche Einrichtung kumulativ neben einer rechtmäßigen Satzung<br />

besteht.<br />

Die Zahlungs- oder auch Vollstreckungsverjährung beträgt demgegenüber fünf Jahre<br />

(§ 228 A0).<br />

11. Welche anderen Vorschläge für eine solche zeitliche Begrenzung wären aus Ihrer<br />

Sicht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für das <strong>Land</strong><br />

<strong>Brandenburg</strong> ebenso denkbar?<br />

Die Frage ist sehr schwierig zu beantworten. Wir gehen davon aus, dass maximal längere<br />

Verjährungsfristen denkbar sind, noch kürzere Verjährungsfristen wären nicht<br />

umsetzbar.<br />

12. Halten Sie den Vorschlag einer sog. Ablaufhemmung von zehn Jahren bis zum<br />

03.10.2000 für angemessen? Welche anderen Zeiträume sind aus Ihrer Sicht<br />

ebenso angemessen? Welche praktischen Auswirkungen sind damit verbunden?<br />

Der Vorschlag ist angemessen, im Übrigen beziehen wir uns auf die Beantwortung der<br />

übrigen Fragen.


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 10 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

13. Welcher Zeitpunkt ist bei sog. Altanschließer-Grundstücken aus Ihrer Sicht derjenige,<br />

der einen Vorteilseintritt begründet?<br />

Grundsätzlich ist dies der Zeitpunkt der Anschlussmöglichkeit. Da dieser Zeitpunkt jedoch<br />

sehr lange zurückliegt, ist mit dem OVG Mecklenburg-Vorpommern in seiner<br />

Entscheidung vom 21.04.1999 davon auszugehen, dass erstmals mit Wiederherstellung<br />

der deutschen Einheit überhaupt die Möglichkeit bestand, eine funktionsfähige<br />

und rechtmäßige öffentliche Einrichtung der Wasserversorgung bzw. Abwasserentsorgung<br />

zu schaffen. Dies mag im Einzelfall schwierig nachvollziehbar sein, der Grundsatz<br />

ist jedoch auch durch die anderen Gerichte festgelegt worden. Insofern ist die Ablaufhemmung<br />

bis zum 03.10.2000 angemessen. Der Festlegung eines Zehnjahreszeitraumes<br />

bedarf es insofern nicht, dieser ist auch eher schädlich.<br />

An dieser Stelle sei ein Hinweis auf den Sinn der Beitragserhebung gestattet. Mit den<br />

Beiträgen beteiligen sich die Anschlussnehmer mit einem einmaligen Betrag an dem<br />

Aufwand der jeweiligen öffentlichen Einrichtung. Dieser Beitrag wirkt dann entsprechend<br />

gebührenmindernd. Mit dem Beitrag wird neben den Verbrauchern (auch: Mietern),<br />

die über ihre Wasser- und Abwassergebühren die Einrichtung finanzieren, insbesondere<br />

auch der Grundstückseigentümer zur Finanzierung der öffentlichen Einrichtung<br />

herangezogen. Der Beitrag hat somit eine sozial ausgleichende Funktion, im Übrigen<br />

dient er der sog. „Generationengerechtigkeit".<br />

Bei der Beitragserhebung gilt: Alle Anschlussnehmer innerhalb einer öffentlichen Einrichtung,<br />

also beispielsweise innerhalb des Gebietes eines Wasser- und Abwasserzweckverbandes,<br />

müssen einen Beitrag leisten. Zwar mag der Vergleich etwas hinken,<br />

letztlich kann aber der Beitrag mit dem Erwerb einer (nicht rückzahlbaren) Aktie verglichen<br />

werden.<br />

14. Inwieweit sind Beitragszahlungen für zukünftige Investitionen zur Herstellung<br />

der Anlagen rechtlich zulässig und anwendbar?<br />

Beitragszahlungen sind genau dafür gedacht.


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 11 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

15. Welche praktischen/materiellen Folgen hätten Verjährungsmodelle für das <strong>Land</strong><br />

<strong>Brandenburg</strong> mit einer Verjährungsfrist von 2030, 2020 und 2015<br />

- für Vermieter<br />

- für Mieter<br />

- für Eigenheimbesitzer?<br />

Hier wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.<br />

16. Was würde die Regelung einer Verjährungshöchstfrist für die kommunalen Aufgabenträger<br />

in der Praxis bedeuten?<br />

a. 10+20-Modell: Festlegung einer regelmäßigen Höchstfrist von 20 Jahren<br />

(Hemmung bis 03.10.2000)<br />

b. Festlegung einer kürzeren regelmäßigen Höchstfrist (Hemmung bis<br />

03.10.2000)<br />

Hier kann auf die Beantwortung der vorstehenden Fragen verwiesen werden. Ergänzend<br />

wird angemerkt, dass ein Verweis auf § 171 Abs. 3 a AO nicht ausreichen dürfte,<br />

so dass die Norm quasi als KAG-Bestandteil explizit aufzuführen wäre.<br />

17. Mit welchen Forderungen wären sie vor Ort konfrontiert, wenn klar wäre, dass<br />

Ihre bisher noch nicht festgesetzten Beitragsforderungen in den nächsten<br />

20 Monaten erlöschen?<br />

Diese Frage können nur die Aufgabenträger beantworten. Allerdings darf darauf hingewiesen<br />

werden, dass ein bewusstes Hineinlaufenlassen der Beitragsforderungen in<br />

die Verjährung sogar einen Straftat-Tatbestand für die Verantwortlichen vor Ort darstellen<br />

wird. Es dürfte sich dabei um den Untreuetatbestand handeln, da die ausfallenden<br />

Beitragsforderungen nicht durch Gebührenzahlungen kompensiert werden können.<br />

Da jedes Gesetz seinen eigenen Anwendungsbefehl in sich trägt (Zitat nach: Friedrich<br />

dem Großen) müsste die Beitragserhebung unverzüglich fortgesetzt bzw. durchgeführt<br />

werden.


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 12 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

18. Was würde es für das Rechtsempfinden der Menschen vor Ort bedeuten, wenn<br />

eine Gruppe von Beitragsschuldnern privilegiert würde, weil sie nicht mehr zahlen<br />

muss? Würden Sie als kommunaler Aufgabenträger in diesem Fall erwägen,<br />

auch die bereits gezahlten Beiträge der sog. Neuanschließer zurückzuzahlen?<br />

Die letztgenannte Möglichkeit dürfte nicht nur erwogen werden, vielmehr müsste sie<br />

umgesetzt werden. Die Rückzahlung bringt jedoch weitere Probleme (Kreditaufnahmen,<br />

bilanztechnische Schwierigkeiten) mit sich.<br />

19. Sind der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der verfassungsrechtliche<br />

Gleichheitssatz noch eingehalten, wenn eine nicht unerheblich große<br />

Gruppe von Beitragsschuldnern sich der solidaren Finanzierung der öffentlichen<br />

Einrichtungen entziehen kann?<br />

Nein!<br />

20. Angenommen, die jetzt vorzunehmende Regelung würde zu einem Erlöschen<br />

von noch nicht festgesetzten Beitragsansprüchen in kurzer Frist (z. B. in den<br />

nächsten zwei Jahren) führen:<br />

a. Wer hat dann die Einnahmeausfälle der Gemeinden und Zweckverbände zu<br />

übernehmen?<br />

Da der Gebührenzahler insofern nicht zur Verfügung steht, bleiben die Einnahmeausfälle<br />

bei den Gemeinden in der Weise hängen, dass diese aus dem allgemeinen<br />

Haushalt gezahlt werden müssten. I3ei den Zweckverbänden müssten Umlagen von<br />

den Mitgliedern erhoben werden.<br />

b. Sind die Einnahmeausfälle durch Umlagen der Mitgliedsgemeinden zu finanzieren?<br />

Wenn sich niemand anderes „erbarmt", ist es so.


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 13 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

c. Wird der kommunalpolitische Druck auf die ehrenamtlichen Bürgermeister<br />

der Mitgliedsgemeinden, die Verbandsvorsteher, hauptamtlichen Bürgermeister<br />

und Gemeindevertreter etc. steigen, die bisher noch nicht festgesetzten<br />

Beitragsansprüche in die Verjährung laufen zu lassen?<br />

Dies kann nur die Praxis zeigen. Es ist niemals populär, Abgaben erheben zu müssen.<br />

Dies ist wohl auch nachvollziehbar, andererseits müssen öffentliche Einrichtungen<br />

finanziert werden.<br />

d. Meinen Sie, in Ihrem kommunalen Aufgabenträger wäre die Vertretungskörperschaft<br />

noch bereit, eine Beitragssatzung zu verabschieden?<br />

Die kommunalen Vertretungskörperschaften sind keine Parlamente, sondern rechtlich<br />

Teil der Exekutive. Sie wären gezwungen, wie auch immer, zu handeln. Würden<br />

sie gar nicht handeln, müsste die Kommunalaufsicht entsprechende Verfügungen<br />

erlassen. Würden sie fehlerhaft handeln, müsste ebenfalls die Kommunalaufsicht<br />

eingreifen.<br />

e. Kann es unter bestimmten Umständen dazu kommen, dass die Bürgermeister<br />

und Verbandsvorsteher persönlich für die nicht realisierten Beitragseinnahmen<br />

haften müssen?<br />

Wenn entsprechende Satzungen verabschiedet und diese nicht umgesetzt werden,<br />

ist das so.<br />

f. Kann es unter bestimmten Umständen dazu kommen, dass strafrechtliche<br />

Fragen aufgeworfen werden?<br />

Diese Frage kann mit großer Sicherheit mit Ja beantwortet werden.<br />

g. Würden Sie als beratender Anwalt einer Gemeinde oder eines Zweckverbandes<br />

Ihren Mandanten raten, die Beitragserhebung fortzusetzen? Zu welchem<br />

Vorgehen würden Sie Ihren Mandanten raten?


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 14 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

Da der Unterzeichner selbst auch beratender Anwalt ist, kann diese Frage aus der<br />

praktischen Erfahrung heraus nur mit Ja beantwortet werden.<br />

21. Angenommen, die jetzt vorzunehmende Regelung würde dazu führen, dass Ende<br />

2020 erstmalig der Vorteilsausgleich durch Beiträge aufgrund des § 19 KAG<br />

neu ausgeschlossen ist:<br />

a. Sind dann Einnahmeausfälle der Gemeinden und Zweckverbände in erheblichem<br />

Umfang zu befürchten?<br />

Auch bei dieser sinnvollen Regelung kann so etwas nicht völlig ausgeschlossen<br />

werden. Denn es muss nach wie vor damit gerechnet werden, dass verwaltungsgerichtliche<br />

Verfahren ihre Wirkung zeitigen.<br />

b. Ist mit kommunalpolitischem Druck zu rechnen, die bisher noch nicht festgesetzten<br />

Beitragsansprüche in die Verjährung laufen zu lassen?<br />

Es kommt auf die jeweiligen Verhältnisse vor Ort an, ist aber nicht auszuschließen.<br />

c. Hat diese Höchstfrist Auswirkung auf die Frage, ob die Vertretungskörperschaft<br />

bereit ist, eine Beitragssatzung (neu) zu verabschieden?<br />

Es ist zu vermuten, dass keine besondere Motivation besteht, kurz vor Ablauf der<br />

Verjährung noch eine Satzung zu verabschieden.<br />

d. Ist bei dieser Höchstfrist auch damit zu rechnen, dass Bürgermeister und<br />

Verbandsvorsteher persönlich für nicht zu realisierende Beitragseinnahmen<br />

haften müssen?<br />

Ja.<br />

e. Bei einem Erlöschen der Beitragsforderungen spätestens Ende 2020: Zu welchem<br />

Vorgehen würden Sie Ihrem Mandanten raten, wenn Sie beratender Anwalt<br />

der Gemeinde oder des Verbandes wären?<br />

Siehe Antwort zur Frage 20. g.


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 15 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

22. Wie konnte es dazu kommen, dass nach so vielen Jahren noch nicht alle Beitragsansprüche<br />

von den öffentlichen Auftraggebern festgesetzt sind? Ist dies<br />

unverschuldet oder haben die öffentlichen Auftraggeber dafür die Verantwortung<br />

zu tragen?<br />

Diese Frage kann nur im Einzelfall beantwortet werden. Insbesondere in den 90er Jahren<br />

ist sogar vom Mdl die Auffassung vertreten worden, es dürften keine Abgaben bei<br />

Altanschließern erhoben werden. Dann wurden die Aufgabenträger acht Jahre durch<br />

die OVG-Rechtsprechung gelähmt. Diese lange Verfahrensdauer ist ein Grund für die<br />

Sorge, 2020 könnte nicht ausreichen.<br />

23. Kann die Verbandsversammlung bzw. die Gemeindevertretung den Verbandsvorsteher<br />

anweisen, die Beitragserhebung aufgrund der Entscheidung des<br />

BVerwG auszusetzen?<br />

Dies wäre wohl nur durch einen entsprechenden Beschluss der Gemeindevertretung<br />

oder der Verbandsversammlung möglich, allerdings müsste ein solcher Beschluss unverzüglich<br />

beanstandet werden. Vor allem aber ist der Bürgermeister/die Bürgermeisterin<br />

bzw. der Verbandsvorsteher/die Verbandsvorsteherin verpflichtet, geltendes Satzungsrecht<br />

umzusetzen.<br />

24. Ist es sinnvoll, das Beitragsmodell bei den Wasser- und Abwasseranschlüssen<br />

auf ein reines Gebührenmodell umzustellen? Welche Probleme müssten dabei<br />

überwunden werden?<br />

Die Umstellung halten wir insbesondere aus bilanztechnischen und kommunalabgabenrechtlichen<br />

Gründen für sehr schwierig, zumal die Beiträge zu niedrigeren Gebühren<br />

geführt haben. Hier könnte die Situation entstehen, dass nachträglich zu erhebende<br />

Gebühren als Kompensation für bisher gezahlte Beiträge (die zurückgezahlt wurden)<br />

von den Gerichten als nicht mehr periodengerecht angesehen werden. Weiterhin<br />

bedürfte es der entsprechenden Darlehensaufnahme, weil das Geld für eine Rückzahlung<br />

(woher auch?) nicht vorhanden ist.


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 16 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

Schließlich muss auch berücksichtigt werden, dass über ein reines Gebührenmodell<br />

die Gewerbebetriebe, vor allem aber die Mieter, erheblich höher belastet werden, als<br />

wenn von den Grundstückseigentümern Beiträge erhoben werden.<br />

Ein praktisches Beispiel des ZV Fürstenwalde mag dies veranschaulichen. Es beruht<br />

auf den Angaben der Vorbandsgeschäftsführerin, die nachfolgend leicht modifiziert<br />

dargestellt sind:<br />

„Der Verband hatte seit 1994 Beiträge erhoben und diese entsprechend den gesetzlichen<br />

Regelungen auch zur Stützung der Gebühren eingesetzt, sprich: als Abzugskapital<br />

in die Gebührenkalkulation eingestellt. Das äußerte sich dann im Jahresabschluss<br />

in Form der Auflösung dieses Bilanzpostens durch Erlöse in der Gewinn- und Verlustrechnung<br />

(GuV). Kehrte man nach 20 Jahren die Beiträge aus, wären die Gebühren in<br />

all den Jahren nicht kostendeckend gewesen. Das KAG eröffnet keine Möglichkeit<br />

(und kann eine solche wohl auch nicht eröffnen), diese Unterdeckungen durch höhere<br />

Gebühren nachzuholen. Die Unterdeckungen liegen zum einen schon zu lange zurück<br />

und basieren teilweise auf einem freiwilligen Verzicht auf dem Verband zustehende<br />

Ansprüche. Die Auflösungsbeträge für die vereinnahmten Beiträge müssten im Jahr<br />

des Auskehrens rückgängig gemacht werden, der Posten (von in unserem Fall per<br />

31.12.2012 schlappen € 15,5 Mio.) wäre in der GuV als erlösmindernd einzustellen und<br />

der Jahresabschluss wäre komplett unplausibel. Der Verband würde diese € 15,5 Mio.<br />

als Fehlbetrag im Abwasserbereich ausweisen müssen. So etwas in den Gewinn- oder<br />

Verlustvortrag einzustellen, wäre das Ende der wirtschaftlichen Stabilität. Diese Verluste<br />

können dann nur durch Umlagen gegenüber den Mitgliedsgemeinden ausgeglichen<br />

werden, was die Finanzkraft der Gemeinden übersteigen dürfte. Im Klartext heißt das:<br />

Die Umstellung auf reine Gebührenfinanzierung ist — wenn überhaupt — nur für sehr<br />

wenige Aufgabenträger möglich. Dabei ist noch nicht einmal betrachtet, dass das Auskehren<br />

durchaus auch Auswirkungen auf zukünftige Gebührenkalkulationen haben<br />

kann, weil es eben ein freiwilliger Verzicht wäre, der zu einer dauerhaften Unterdeckung<br />

der Gebühren führen kann. Darin werden den Verband die Verwaltungsgerichte<br />

sicher unterstützen. Der Schuldenmanagementfonds würde dann länger (ewig) bestehen<br />

müssen."


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 17 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

25. Wie hoch sind die von den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften<br />

bzw. deren Unternehmen seit 1990 eingezogenen bzw. beschiedenen Beiträge<br />

unterteilt nach Abwasser und Trinkwasser?<br />

Dem <strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V. liegen darüber keine verlässlichen<br />

Zahlen vor, da nicht alle Aufgabenträger Mitglied sind.<br />

26. Wenn eine Beitragsforderung verjährt ist, kann diese Beitragsforderung in ihrer<br />

Höhe nachträglich in ein Gebührenmodell eingerechnet werden?<br />

Der <strong>Land</strong>eswasserverbandstag vertritt hier die ganz klare Auffassung, dass die verjährten<br />

Beitragsansprüche erloschen sind (§ 232 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 Nr. 5 a). Erloschene<br />

Forderungen können im Gegensatz zum Zivilrecht nicht noch ausgeglichen<br />

werden. Eine Kompensation durch Gebührenerhebung scheidet deshalb aus.<br />

27. Kann der Gesetzgeber den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften<br />

und deren Unternehmen durch Gesetz vorschreiben, generell keine Beiträge<br />

mehr zu erheben, sondern den Investitionsaufwand in die Gebührenkalkulation<br />

einzubeziehen?<br />

Wenn so etwas gesetzlich festgelegt würde, müsste dies umgesetzt werden. Es bestehen<br />

hier erhebliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit und an der Verfassungsmäßigkeit<br />

einer solchen gesetzlichen Regelung.<br />

28. Was würde, vorausgesetzt der rechtlichen Machbarkeit, der Vorschlag, alle Beiträge<br />

im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> für den Bereich Wasser und Abwasser zurückzuerstatten,<br />

um dann den Aufwand in Gebührenkalkulationsmodellen umzulegen, für<br />

die praktische Arbeit der Aufgabenträger der öffentlichen Trinkwasserver- und<br />

Abwasserentsorgung bedeuten?<br />

Dies ist schwer abzuschätzen, allerdings dürfte davon ausgegangen werden müssen,<br />

dass ein erheblicher Arbeitsaufwand entsteht, der mit dem jetzt vorhandenen Personal<br />

so nicht bewältigt werden könnte. Weiterhin würde die Glaubwürdigkeit des Handelns<br />

der Aufgabenträger erheblich in Mitleidenschaft gezogen, vor allem aber auch würden


<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />

Seite 18 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />

die Mitarbeiter der Aufgabenträger, die Beiträge erhoben haben, extrem demotiviert<br />

werden. Denn diese haben das bisher geltende Recht angewendet.<br />

Vor allem aber würde der Sinn der Beitragserhebung völlig konterkariert: Die Verteilung<br />

von Lasten gleichmäßig auf Eigentümer, Mieter und Nutzer; die Erhaltung der<br />

Generationengerechtigkeit und das Aufrechterhalten sozialverträglicher Gebühren.<br />

Mit freundln Grüß<br />

Turgut ncereci<br />

Geschä führer<br />

(


'<br />

Anlage 4 0<br />

EINGEGANGEN<br />

2 2. MAI 20131S-34<br />

<strong>Land</strong>kreistag Brandenbur Erledigt:<br />

- Per E-Mail -<br />

,1)<br />

<strong>Land</strong>kreistag <strong>Brandenburg</strong><br />

Postfach 60 10 35, 14410 Potsdam<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Ausschuss für Inneres<br />

Die Vorsitzende<br />

Frau Britta Stark, MdL<br />

Am Havelblick 8<br />

14473 Potsdam<br />

Hausanschrift:<br />

Jägerallee 25<br />

14469 Potsdam<br />

Postanschrift:<br />

Postfach 60 10 35<br />

14410 Potsdam<br />

E-Mail:<br />

poststelle@landkreistag-brandenburg.de<br />

Telefon: (03 31) 2 98 74 — 0<br />

Telefax: (03 31) 2 98 74 — 50<br />

Durchwahl:<br />

(03 31) 2 98 74-23<br />

Datum: 2013-05-22<br />

Az.: 20 00-10/Iw/dr<br />

(bei Antwort bitte angeben)<br />

Texlef<strong><strong>Land</strong>tag</strong>iAtIgemeinf201111201304.doc<br />

Ihr Schreiben vom<br />

Ihr Zeichen<br />

Anhörung im <strong><strong>Land</strong>tag</strong> am 23. Mai 2013 zur "Formulierungshilfe des<br />

Ministeriums des Innern zur Regelung einer zeitlichen Obergrenze<br />

zum Vorteilsausgleich im KAG" und zum "Sechsten Gesetz zur Änderung<br />

des Kommunalabgabengesetzes für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> (KAG),<br />

Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, Drs. 5/7128"<br />

hier: Stellungnahme des <strong>Land</strong>kreistages <strong>Brandenburg</strong><br />

Sehr geehrte Frau Stark,<br />

für die Möglichkeit, im Rahmen der Ausschussanhörung zu den o.<br />

g. Vorhaben Stellung nehmen zu können, dürfen wir uns zunächst<br />

herzlich bedanken. Dabei gehen wir davon aus, dass Gegenstand<br />

der Anhörung - jedenfalls auch - der zwischenzeitlich vom Ministerium<br />

des Innern vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />

sein soll.<br />

Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im<br />

KAG<br />

Im Zentrum der Diskussion steht die Einführung einer zeitlichen<br />

Obergrenze für den Vorteilsausgleich im Sinne der Verjährungshöchstfrist.<br />

Gegen ein derartiges Vorhaben bestehen unsererseits<br />

keine prinzipiellen Bedenken, da hiermit den Anforderungen des<br />

Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 5. März 2013) Rechnung<br />

getragen werden soll.<br />

Allerdings stehen bezüglich der Ausgestaltung der Verjährungshöchstfrist<br />

zwei unterschiedliche Modelle zur Diskussion: Der<br />

"Formulierungshilfe" nach soll die zeitliche Begrenzung des Vorteilsausgleich<br />

mit dem Ende des 20. Jahres, das auf den Eintritt<br />

der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen werden, wobei der Lauf<br />

der Frist bis zum 3. Oktober 2000 gehemmt sein soll (Modell 10 +<br />

20). Dies würde bedeuten, dass die Verjährungshöchstfrist die


2<br />

Erhebung der Beiträge im Abwasser- und Trinkwasserbereich bis<br />

zum Jahre 2020 ermöglichte.<br />

Wir treten nachdrücklich für eine derartige Ausgestaltung der<br />

Verjährungshöchstfrist ein und lehnen die mit dem Gesetzentwurf<br />

unterbreitete Verkürzung der Frist auf nur 15 Jahre (Modell<br />

10 + 15), die eine Abgabenerhebung lediglich bis Oktober 2015<br />

ermöglichte, aus den nachfolgend dargelegten Gründen entschieden<br />

ab.<br />

Die mit einer KAG-Novelle verfolgten Ziele würden durch eine<br />

Ausgestaltung der Verjährungshöchstfrist im Sinne des Modells<br />

10 + 20 besser erreicht werden, als dies im Falle einer sehr eng<br />

bemessenen Frist möglich wäre.<br />

In beiden Fällen würden die zentralen Anliegen des Gesetzentwurfs<br />

erreicht werden: Den kommunalen Aufgabenträgern würde<br />

ebenso wie den Beitragsschuldnern Rechtssicherheit über das Bestehen<br />

der Beitragsansprüche bzw. über den Ablauf der Heranziehungsmöglichkeit<br />

gewährleistet, jedoch würden im Falle einer 20-<br />

jährigen Verjährungshöchstfrist die zu erwartenden Einnahmeausfälle<br />

der kommunalen Aufgabenträger vermieden werden können.<br />

Hierdurch würden weiter auch Belastungen der Wirtschaft, die<br />

aufgrund der Einnahmeausfälle der Aufgabenträger und das hierdurch<br />

bedingte Absehen von Investitionen in die technische Infrastruktur<br />

einträten, unterbleiben.<br />

Diesen auf der Hand liegenden Vorteilen einer großzügiger ausgestalteten<br />

Verjährungshöchstfrist stünde ein längerer Zeitraum<br />

gegenüber, in dem die Beitragsschuldner mit einer Heranziehung<br />

zu den Beiträgen zu rechnen hätten. Dies erscheint aber durchaus<br />

zumutbar, da die hinter der jetzigen Diskussion um die Ausgestaltung<br />

der Verjährungshöchstfrist bestehende, so genannte Altanschließerproblematik<br />

seit langem bekannt ist und ein Vertrauensschutz<br />

der Beitragsschuldner insoweit zweifelhaft ist.<br />

Wägt man daher das Interesse der Aufgabenträger an einer möglichst<br />

vollständigen Beitragserhebung gegen das Interesse der<br />

Beitragsschuldner an einer möglichst zeitnah erfolgenden Heranziehung<br />

gegeneinander ab, muss das für die Aufgabenträger bestehende<br />

Ausfallwagnis den Ausschlag zugunsten einer angemessenen<br />

Ausgestaltung der Verjährungshöchstfrist geben.<br />

Dies gilt zumal vor dem Hintergrund des Bestehens der regelmäßigen,<br />

absoluten Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren, die nach<br />

gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine<br />

zutreffende Konkretisierung des Grundsatzes der Rechtssicherheit<br />

in Abwägung mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung<br />

darstellt. Es ist nicht erkennbar, warum von diesem Grundsatz<br />

vorliegend zu Lasten der kommunalen Ebene abgewichen werden<br />

sollte.<br />

Gesetzentwurf der CDU-Fraktion für ein Sechstes Gesetz zur Änderung<br />

des KAG<br />

Die mit dem Gesetzentwurf der CDU-Fraktion vorgeschlagene Ergänzung<br />

des Kommunalabgabengesetzes um eine Regelung, nach der Widerspruchsverfahren<br />

unter bestimmten Voraussetzungen gehemmt<br />

werden und Musterverfahren durchgeführt werden sollen, betrifft<br />

keinesfalls nur die Beitragserhebung im Trink- und Abwasserbereich,<br />

sondern erfasst auch die von den <strong>Land</strong>kreisen auf sat-


3<br />

zungsrechtlicher Grundlage erhobenen Kommunalabgaben, z. B. im<br />

Bereich der Abfallwirtschaft oder des Rettungsdienstes.<br />

Der unterbreitete Vorschlag wird von uns kritisch bewertet, da<br />

er eine Verpflichtung der Aufgabenträger zur Durchführung der<br />

Musterverfahren vorsieht. Hiermit wären angesichts der oftmals<br />

mehrere Jahre andauernden gerichtlichen Verfahren erhebliche<br />

Rechtsunsicherheiten in einer Vielzahl von Fällen verbunden, zumal<br />

die Musterverfahren durchaus verschiedene, satzungsrechtlich<br />

geregelte Themenkomplexe betreffen können, so dass verschiedenste<br />

satzungsrechtliche Regelungen über Jahre hinweg in Frage gestellt<br />

werden könnten.<br />

Hiermit wären für die Aufgabenträger erhebliche finanzielle Unsicherheiten<br />

verbunden. Einen demgegenüber entstehenden Zugewinn<br />

an Rechtssicherheit vermögen wir dagegen nicht zu erkennen.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Dr. Paul-Peter Humpert


Anlage 44<br />

Anhörung zur<br />

Formulierungshilfe des Ministeriums des Innern zur Regelung<br />

einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />

Donnerstag, 23. Mai 2013, 10.00 Uhr,<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Liste der Anzuhörenden - Eingeladener Teilnehmerkreis<br />

Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff<br />

Europa-Universität Viadrina, Lehrstuhl für<br />

Öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht<br />

und Verfassungsgeschichte<br />

Prof. Dr. Mario Martini<br />

Deutsche Universität für<br />

Verwaltungswissenschaften Speyer, Lehrstuhl<br />

für Verwaltungswissenschaft, Staatsrecht,<br />

Verwaltungsrecht und Europarecht<br />

Ingo Zeutschel<br />

Zeutschel & Schröder Rechtsanwälte<br />

Sven Hornauf<br />

Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki & Hornauf<br />

Prof. Dr. Klaus Herrmann<br />

Dombert Rechtsanwälte<br />

Nenner Haferkorn<br />

Wasserverband Strausberg Erkner<br />

Rainer Werber<br />

KOWAB <strong>Brandenburg</strong>-Ost<br />

Otto Ripplinger<br />

Märkischer Abwasser- und<br />

Wasserzweckverband<br />

Rudolf Ehrhardt<br />

<strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er Haus-,<br />

Wohnungs- und Grundeigentümervereine<br />

Turgut Pencereci<br />

<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.<br />

Dr. Paul-Peter Humpert<br />

<strong>Land</strong>kreistag <strong>Brandenburg</strong> e.V.<br />

Karl-Ludwig Böttcher<br />

Städte- und Gemeindebund <strong>Brandenburg</strong> e.V.


Anlage 12<br />

Anhörung zur<br />

Formulierungshilfe des Ministeriums des Innern zur Regelung<br />

einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />

Donnerstag, 23. Mai 2013, 10.00 Uhr,<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Fragenkatalog<br />

1. Welche zentralen Aussagen trifft das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss<br />

vom 05.03.2013 (Az. BvR 2457/08)?<br />

2. Ist die Entscheidung vom 05.03.2013 auf <strong>Brandenburg</strong> übertragbar? Welche Auswirkungen<br />

hat der Beschluss des BVerfG auf <strong>Brandenburg</strong>?<br />

3. Welche verschiedenen Fallkonstellationen in Bezug auf das brandenburgische KAG<br />

sind von dem Beschluss des BVerfG betroffen?<br />

4. Ergibt sich daraus aus Ihrer Sicht ein Änderungsbedarf beim KAG des <strong>Land</strong>es<br />

<strong>Brandenburg</strong>?<br />

5. Sind im brandenburgischen KAG gesetzgeberische Änderungen notwendig, damit<br />

die Vorschriften des brandenburgischen KAG im Einklang mit höherrangigem<br />

Recht und der Rechtsprechung des BVerfG stehen?<br />

6. Wie können diese Änderungen ausgestaltet werden?<br />

7. Welche rechtlichen und tatsächlichen Folgen ziehen die in Betracht kommenden<br />

Änderungsmöglichkeiten nach sich?<br />

8. Ist die <strong>Brandenburg</strong>er Regelung in § 8 Abs. 7 S. 2 KAG unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen<br />

Grundsatz der Rechtssicherheit?<br />

9. Ist die Beitragserhebung bei Altanschließern verfassungswidrig?<br />

10. Welche allgemeinen Verjährungsregelungen gibt es im Beitrags- und Abgabenrecht<br />

des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>? Wie berechnen sich diese Fristen?<br />

11. Welche anderen Vorschläge für eine solche zeitliche Begrenzung wären aus ihrer<br />

Sicht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

ebenso denkbar?<br />

12. Halten Sie den Vorschlag einer so genannten Ablaufhemmung von 10 Jahren bis<br />

zum 3. Oktober 2000 für angemessen, welche anderen Zeiträume sind aus Ihrer<br />

Sicht ebenso angemessen? Welche praktischen Auswirkungen sind damit verbunden?<br />

13. Welcher Zeitpunkt ist bei so genannten Altanschließer-Grundstücken aus Ihrer<br />

Sicht derjenige, der einen Vorteilseintritt begründet?<br />

1


14. Inwieweit sind Beitragszahlungen für zukünftige Investitionen zur Herstellung der<br />

Anlagen rechtlich zulässig und anwendbar?<br />

15. Welche praktischen/materiellen Folgen hätten Verjährungsmodelle für das <strong>Land</strong><br />

<strong>Brandenburg</strong> mit einer Verjährungsfrist von 2030, 2020 und 2015<br />

- für Vermieter<br />

- für Mieter<br />

- für Eigenheimbesitzer?<br />

16. Was würde die Regelung einer Verjährungshöchstfrist für die kommunalen Aufgabenträger<br />

in der Praxis bedeuten?<br />

a. 10+20-Modell: Festlegung einer regelmäßigen Höchstfrist von 20 Jahren<br />

(Hemmung bis 3.10.2000)<br />

b. Festlegung einer kürzeren regelmäßigen Höchstfrist (Hemmung bis<br />

3.10.2000)<br />

17. Mit welchen Forderungen wären Sie vor Ort konfrontiert, wenn klar wäre, dass Ihre<br />

bisher noch nicht festgesetzten Beitragsforderungen in den nächsten 20 Monaten<br />

erlöschen?<br />

18. Was würde es für das Rechtsempfinden der Menschen vor Ort bedeuten, wenn eine<br />

Gruppe von Beitragsschuldnern privilegiert würde, weil sie nicht mehr zahlen<br />

muss? Würden Sie als kommunaler Aufgabenträger in diesem Fall erwägen, auch<br />

die bereits gezahlten Beiträge der sog. Neuanschließer zurückzuzahlen?<br />

19. Sind der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der verfassungsrechtliche<br />

Gleichheitssatz noch eingehalten, wenn eine nicht unerheblich große Gruppe<br />

von Beitragsschuldnern sich aus der solidarischen Finanzierung der öffentlichen<br />

Einrichtungen entziehen kann?<br />

20. Angenommen, die jetzt vorzunehmende Regelung würde zu einem Erlöschen von<br />

noch nicht festgesetzten Beitragsansprüchen in kürzer Frist (z.B. in den nächsten<br />

zwei Jahren) führen:<br />

a. Wer hat dann die Einnahmeausfälle der Gemeinden und Zweckverbände zu<br />

übernehmen?<br />

b. Sind die Einnahmeausfälle durch Umlagen der Mitgliedsgemeinden zu finanzieren?<br />

c. Wird der kommunalpolitische Druck auf die ehrenamtlichen Bürgermeister<br />

der Mitgliedsgemeinden, die Verbandsvorsteher, hauptamtlichen Bürgermeister<br />

und Gemeindevertreter etc. steigen, die bisher noch nicht festgesetzten<br />

Beitragsansprüche in die Verjährung laufen zu lassen?<br />

d. Meinen Sie in Ihrem kommunalen Aufgabenträger wäre die Vertretungskörperschaft<br />

noch bereit eine Beitragssatzung zu verabschieden?<br />

e. Kann es unter bestimmten Umständen dazu kommen, dass die Bürgermeister<br />

und Verbandsvorsteher persönlich für die nicht realisierten Beitragseinnahmen<br />

haften müssen?<br />

f. Kann es unter bestimmten Umständen dazu kommen, dass strafrechtliche<br />

Fragen aufgeworfen werden?<br />

g. Würden Sie als beratender Anwalt einer Gemeinde oder eines Zweckverbandes<br />

Ihrem Mandanten raten, die Beitragserhebung fortzusetzen? Zu welchem<br />

Vorgehen würden Sie Ihrem Mandanten raten?<br />

2


21. Angenommen, die jetzt vorzunehmende Regelung würde dazu führen, dass Ende<br />

2020 erstmalig der Vorteilsausgleich durch Beiträge aufgrund des § 19 KAG neu<br />

ausgeschlossen ist:<br />

a. Sind dann Einnahmeausfälle der Gemeinden und Zweckverbände in erheblichem<br />

Umfang zu befürchten?<br />

b. Ist mit kommunalpolitischem Druck zu rechnen, die bisher noch nicht festgesetzten<br />

Beitragsansprüche in die Verjährung laufen zu lassen?<br />

c. Hat diese Höchstfrist Auswirkung auf die Frage, ob die Vertretungskörperschaft<br />

bereit ist, eine Beitragssatzung (neu) zu verabschieden?<br />

d. Ist bei dieser Höchstfrist auch damit zu rechnen, dass Bürgermeister und<br />

Verbandsvorsteher persönlich für nicht zu realisierende Beitragseinnahmen<br />

haften müssen?<br />

e. Bei einem Erlöschen der Beitragsforderungen spätestens Ende 2020; Zu<br />

welchem Vorgehen würden Sie Ihrem Mandanten raten, wenn sie beratender<br />

Anwalt der Gemeinde oder des Verbandes wären?<br />

22. Wie konnte es dazu kommen, dass nach so vielen Jahren noch nicht alle Beitragsansprüche<br />

von den öffentlichen Aufgabenträgern festgesetzt sind? Ist dies unverschuldet<br />

oder haben die öffentlichen Aufgabenträger dafür die Verantwortung zu<br />

tragen?<br />

23. Kann die Verbandsversammlung bzw. die Gemeindevertretung den Verbandsvorsteher<br />

anweisen, die Beitragserhebung aufgrund der Entscheidung des BVerfG<br />

auszusetzen?<br />

24. Ist es sinnvoll, das Beitragsmodell bei den Wasser- und Abwasseranschlüssen auf<br />

ein reines Gebührenmodell umzustellen? Welche Probleme müssten dabei überwunden<br />

werden?<br />

25. Wie hoch sind die von den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften<br />

bzw. deren Unternehmen seit 1990 eingezogenen bzw. beschiedenen Beiträge<br />

unterteilt nach Abwasser und Trinkwasser?<br />

26. Wenn eine Beitragsforderung verjährt ist, kann diese Beitragsforderung in ihrer Höhe<br />

nachträglich in ein Gebührenmodell eingerechnet werden?<br />

27. Kann der Gesetzgeber den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften<br />

und deren Unternehmen durch Gesetz vorschreiben, generell keine Beiträge mehr<br />

zu erheben, sondern den Investitionsaufwand in die Gebührenkalkulation einbeziehen?<br />

28. Was würde, vorausgesetzt der rechtlichen Machbarkeit, der Vorschlag, alle Beiträge<br />

im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> für den Bereich Wasser und Abwasser zurückzuerstatten,<br />

um dann den Aufwand in Gebührenkalkulationsmodellen umzulegen, für die<br />

praktische Arbeit der Aufgabenträger der öffentlichen Trinkwasserver- und -<br />

entsorgung bedeuten?<br />

3


Anlage <strong>43</strong><br />

LAND BRANDENBLi RC INGEGANGEN<br />

Ministerium des Innern des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Ausschuss für Inneres<br />

Die Vorsitzende<br />

Am Havelblick 8<br />

14473 Potsdam<br />

Postfach 601165 1 14411 Polsdarr<br />

per Mail an:<br />

solveig.herrmannsen©landtag.brandenburg.de<br />

Erledigt<br />

N13/:5<br />

f•'../addific<br />

Ministerium des Innern<br />

Der Minister<br />

Henning-von-Tresckow-Straße 9-13<br />

14467 Potsdam<br />

Hausruf: 0331 866-2000<br />

Fax: 0331 866-2626<br />

Internet: www.mi.brandenburq.de<br />

Bus und StrAenbahn: Haltestelle Alter Markt<br />

Bahn und S-Bahn: Potsdam Hauptbahnhof<br />

Potsdam, 25. April 2013<br />

Formulierungshilfe zur Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich<br />

im KAG<br />

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />

in der letzten Sitzung des Innenausschusses am 11. April 2013 hat das Innenministerium<br />

die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgewertet. Fraktionsübergreifend<br />

wurde das Bedürfnis geäußert, schnellstmöglich Rechtssicherheit<br />

für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Gemeinden und Zweckverbände<br />

zu schaffen und dazu das KAG zügig zu ergänzen. Die daraufhin von mir zugesagte<br />

Formulierungshilfe übersende ich Ihnen in der Anlage.<br />

Für Fragen und Erläuterungen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Anlage<br />

Duk--Nr. N13/02600


Ministerium des Innern Potsdam, 25. April 2013<br />

Formulierungshilfe zur Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich<br />

entsprechend den Grundsätzen des Bundesverfassungsgericht<br />

A. Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013<br />

Die Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013, Az. BvR 2457/08, bezieht sich auf eine konkrete Regelung<br />

des bayerischen Kommunalabgabengesetzes. Im Kommunalabgabengesetz des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />

(KAG) findet sich keine entsprechende Regelung. In <strong>Brandenburg</strong> knüpft die Verjährungsregelung<br />

nicht wie in Bayern an den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Abgabesatzung an. Die<br />

Festsetzungsverjährung beginnt in <strong>Brandenburg</strong> - sowohl im Straßenbaubeitrags- als auch im Anschlussbeitragsrecht<br />

- stets schon, wenn die sachliche Beitragspflicht entstanden ist. Der vom BVerfG<br />

entschiedene Fall wäre nach brandenburgischem Recht bereits verjährt gewesen. Die unmittelbare<br />

Wirkung der Gerichtsentscheidung beschränkt sich daher auf den Freistaat Bayern. Das <strong>Brandenburg</strong>er<br />

KAG hat in vollem Umfang weiterhin Gültigkeit, ebenso die kommunalen Beitragssatzungen, soweit sie<br />

nicht sonst durch ein Gericht für nichtig erklärt werden.<br />

Die Grundsätze der Entscheidung des BVerfG sind auch bei der Rechtsetzung im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> zu<br />

beachten. Danach ist für alle Fälle des Vorteilsausgleichs durch Abgaben, der an zurückliegende Tatbestände<br />

anknüpft, im Ergebnis sicherzustellen, dass der einzelne Abgabenschuldner aufgrund gesetzlicher<br />

Regelungen Klarheit hat, wann er mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen hat. Der<br />

Gesetzgeber hat sicherzustellen, dass der Vorteilsausgleich nicht unbegrenzt nach Eintritt der Vorteilslage<br />

erfolgen kann.<br />

Im Straßenbaubeitragsrecht, für die Erhebung von Kur- und Tourismusbeiträgen sowie sonstigen Abgaben<br />

hat der <strong>Brandenburg</strong>er Gesetzgeber hinreichend bestimmt abgesichert, dass der Beginn der Festsetzungsfrist<br />

nicht unbegrenzt nach hinten verschoben werden kann. Im Anschlussbeitragsrecht, also<br />

bei der erstmaligen Herstellung der Trink- und Abwasseranlagen, könnte das KAG so ausgelegt werden,<br />

dass die Vorschriften über die Verjährung und die Anspruchsentstehung (§§ 169, 170 AO i.V.m. §<br />

12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b, § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG) im Ergebnis bewirken, dass die Festsetzungsfrist<br />

1


stets neu beginnen kann, wenn eine ungültige Satzung durch eine neue Satzung ersetzt wird. Daher<br />

sollten die Regelungen des KAG ergänzt werden.<br />

Dabei ist einerseits das Interesse des einzelnen Abgabeschuldners an Klarheit über seine Inanspruchnahme<br />

zu berücksichtigen. Andererseits sind die Interessen des kommunalen Aufgabenträgers und<br />

anderer Abgabenschuldner an der Abgabenerhebung zu berücksichtigen.<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat folgende Regelungsmöglichkeiten aufgezeigt:<br />

a. Regelung einer konkret bestimmbaren Obergrenze im Sinne einer Höchstfrist, wonach der Vorteilsausgleich<br />

(unabhängig vom Ablauf einer bestimmten Festsetzungsfrist) jedenfalls nach Ablauf<br />

einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen Frist ausgeschlossen ist,<br />

b. Anknüpfen des Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage,<br />

c. Rückwirkungspflicht auf den Zeitpunkt des ersten Satzungsversuchs,<br />

d. Verbindung der Maßnahmen a-c) mit der Verlängerung der Festsetzungsfrist oder Regelungen der<br />

Verjährungshemmung oder der Erhebung von Vorausleistungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen.<br />

B. Regelungsbedarf<br />

Aufgrund der in einigen Teilen des <strong>Land</strong>es noch nicht abgeschlossenen bzw. noch ausstehenden Beitragserhebungen<br />

für die noch andauernde erstmalige Herstellung der kommunalen Trink- und Abwasseranlagen<br />

benötigen die Beitragsschuldner schnellstmöglich Rechtssicherheit über die Inanspruchnahme<br />

und die kommunalen Aufgabenträger schnellstmöglich Rechtssicherheit über das Bestehen ihrer<br />

Beitragsansprüche.<br />

Dies sollte mit der Regelung einer konkret bestimmbaren Obergrenze im Sinne einer Höchstfrist, wonach<br />

der Vorteilsausgleich - unabhängig vom Ablauf einer bestimmten Festsetzungsfrist - ausgeschlossen<br />

ist, erreicht werden. Im Interesse einer zügigen und vor allem rechtssicheren und allgemeinverständlichen<br />

Regelung sollte von komplexen Veränderungen der Grundsystematiken (Entstehen der<br />

sachlichen Beitragspflicht, Neuanknüpfung der Festsetzungsverjährung, Länge der Verjährungsfristen,<br />

Rückwirkungsgebote, Umstellung auf Vorausleistungen) abgesehen werden.<br />

In Abwägung aller Interessen sollte die zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich regelmäßig 20<br />

Jahre betragen und mit Ende des Jahres beginnen, in dem die Vorteilslage eintritt. Aufgrund der Son-<br />

2


dersituation im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> nach der deutschen Einheit sollte der Fristablauf jedoch 10 Jahre -<br />

also bis zum 3. Oktober 2010 - gehemmt sein.<br />

Zugleich sollte der Gesetzgeber in § 12 Absatz 4 KAG klarstellen, dass bei erstmaliger Herstellung von<br />

Trink- und Abwasseranlagen die Festsetzungsfrist spätestens mit Beendigung der endgültigen Herstellung<br />

beginnt. Im Straßenbaubeitragsrecht ist der Grundsatz, dass der Anwendungsbereich der Beitragssatzung<br />

stets den Zeitpunkt der endgültigen Herstellung umfassen muss, bereits obergerichtlich<br />

geklärt. Im Anschlussbeitragsrecht gilt dieser Grundsatz zwar ebenfalls, ist jedoch mangels abschließend<br />

hergestellter Anlagen noch nicht obergerichtlich bestätigt. Im Ergebnis bedeutet dies, dass spätestens<br />

vier Jahre nach Beendigung der beitragspflichtigen Maßnahme die Festsetzungsfrist abgelaufen<br />

ist.<br />

3


C. Regelungsvorschlag<br />

KAG aktuell<br />

§1<br />

Kommunalabgaben<br />

(3) Die Bestimmungen der §§ 12 bis 16 gelten<br />

auch für Steuern, Gebühren, Beiträge und sonstige<br />

Abgaben, die von den Gemeinden und Gemeindeverbänden<br />

aufgrund anderer Gesetze erhoben<br />

werden, soweit diese keine Bestimmung treffen.<br />

§12<br />

Anwendung der Abgabenordnung<br />

(4) Die in Absatz 1 genannten Vorschriften sind mit<br />

der Maßgabe anzuwenden, dass<br />

a. anstelle der Finanzbehörde oder des Finanzamtes<br />

die Körperschaft, der die Abgabe zusteht,<br />

tritt,<br />

b. die Vorschriften anstelle für Steuern für Abgaben<br />

gelten,<br />

c. die Vorschriften anstelle der Besteuerung für<br />

die Heranziehung zu Abgaben gelten,<br />

d. die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe<br />

und die durch eingetragene Lebenspartnerschaft<br />

verbundenen Personen den Eheleuten<br />

gleichstehen.<br />

Vorschlag<br />

§1<br />

Kommunalabgaben<br />

(3) Die Bestimmungen der §§ 12 bis 16 und 19 gelten<br />

auch für Steuern, Gebühren, Beiträge und sonstige<br />

Abgaben, die von den Gemeinden und Gemeindeverbänden<br />

aufgrund anderer Gesetze erhoben werden,<br />

soweit diese keine Bestimmung treffen.<br />

§12<br />

Anwendung der Abgabenordnung<br />

(4) Die in Absatz 1 genannten Vorschriften sind mit<br />

der Maßgabe anzuwenden, dass<br />

a. unverändert<br />

b. unverändert<br />

c. unverändert<br />

d. unverändert<br />

e. für Beiträge die Festsetzungsfrist gemäß §§ 169<br />

bis 171 Abgabenordnung spätestens mit Ablauf<br />

des Jahres der endgültiger Herstellung, Anschaffung,<br />

Erweiterung, Erneuerung oder Verbesserung<br />

der öffentlichen Einrichtung oder Anlage beginnt.<br />

Tritt der wirtschaftliche Vorteil in einem<br />

späteren Jahr ein, beginnt die Festsetzungsfrist<br />

davon abweichend spätestens mit Ablauf dieses<br />

Jahres.<br />

§19<br />

Zeitliche Begrenzung des Vorteilsausgleichs<br />

Der Vorteilsausgleich durch Abgaben ist ausgeschlossen<br />

mit dem Ende des 20. Jahres, das auf den<br />

Eintritt der Vorteilslage folgt. Nach Ablauf dieser Frist<br />

können Abgaben nicht mehr festgesetzt werden. §<br />

171 Abgabenordnurmilt in der in § 12 Absatz 1 Satz<br />

1 Ziffer 4 Buchstabe b angeordneten Weise entsprechend.<br />

Aufgrund der Sondersituation der Deutschen<br />

Einheit ist der Lauf der Frist bis zum 3. Oktober 2000<br />

gehemmt. Die allgemeine Festsetzungsfrist bleibt<br />

unberührt.<br />

4


D. Begründung der zeitlichen Obergrenze, Abwägung<br />

1. Der Gesetzgeber hat einen weiten Ermessensspielraum. Insbesondere, wenn der erlangte Vorteil des<br />

Abgabeschuldners in der Zukunft fortwirkt, wie es regelmäßig durch die Erschließung eines Grundstücks<br />

und die Schaffung der erstmaligen Anschließbarkeit an die Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung<br />

der Fall ist, ist die Beitragserhebung auch noch sehr lange Zeit nach Eintritt der Vorteilslage<br />

zulässig.<br />

2. Da es sich bei der Obergrenze um eine Höchstfrist handelt, hat sich die Frist an erlangten Dauervorteilen<br />

auszurichten, In der Abwägung der Interessen ist daher der Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem sich<br />

- trotz andauernder Vorteilslage — die Legitimation zum Vorteilsausgleich aufgrund des zeitlichen Abstandes<br />

zum Eintritt der Vorteilslage so stark verflüchtigt hat, dass das Interesse des Einzelnen an der<br />

Gewissheit über seine Inanspruchnahme überwiegt.<br />

3. Eine Obergrenze im Sinne einer Höchstfrist sollte sich zunächst an der rechtlich hergebrachten absoluten<br />

Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren orientieren. Das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesfinanzhof<br />

gehen von dem im öffentlichen Recht bestehenden Rechtsgedanken aus, wonach Rechtssicherheit<br />

und Rechtsfrieden eine Verjährung nach 30 Jahren erfordern, aber auch genügen lassen (Urteil<br />

des BVerwG vom 11. Dezember 2008, Az. 3 C 37/07; ebenso BFH im Urteil vom 7. Juli 2009, Az. II R<br />

24/06, zit. nach juris Rn. 46 ff.; vgl. auch F. Kirchhof, Fs. Selmer, 2004, 725, 726 f, zur analogen Geltung<br />

einer allgemeinen dreißigjährigen Verjährungsfrist, sofern speziellere Verjährungsfristen nicht analogiefähig<br />

sind.). Diese objektive Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren stellt nach gefestigter Rechtsprechung<br />

des Bundesverwaltungsgerichts eine zutreffende Konkretisierung des Grundsatzes der<br />

Rechtssicherheit in Abwägung gegen den Grundsatz der gesetzmäßigen Verwaltung dar, der einer<br />

Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche widerstreitet. Da das KAG sowohl die Festsetzungs- als<br />

auch die Zahlungsverjährung bereits durch Verweis auf die Abgabenordnung regelt und vorliegend unabhängig<br />

hiervon eine absolute Obergrenze (Höchstfrist) geregelt werden soll, ist eine Orientierung an<br />

der hergebrachten absoluten Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren sachgerecht.<br />

30-jährige Verjährungsfristen gelten beispielsweise auch für öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche<br />

nach § 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG oder generell für unanfechtbare Verwaltungsakte (§ 53 Absatz 2 Satz1<br />

VwVfG). Auch titulierte Forderungen sowie Herausgabeansprüche aus Eigentum oder aus familien- und<br />

erbrechtlichen Ansprüchen verjähren in 30 Jahren, § 197 BGB.<br />

5


4. Es ist vertretbar, die hergebrachte absolute Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren aus Gründen des<br />

Interesses der Beitragsschuldner an Rechtssicherheit im Bereich des Kommunalabgabenrechts um 10<br />

Jahre zu verkürzen. Die Höchstfrist für den Vorteilsausgleich durch Kommunalabgaben darf jedoch<br />

nicht so kurz sein, dass ein Anspruchsverlust wegen Überschreitens dieser Frist mehr als im Ausnahmefall<br />

zu besorgen wäre. Die Gefahr, dass die Ansprüche auf Vorteilsausgleich erlöschen, bevor die<br />

kommunalen Aufgabenträger angemessen Zeit hatten, das Finanzierungsmodell auszuwählen, die Kalkulationen<br />

durchzuführen, die erforderlichen Satzungen zu erlassen, die Abgaben festzusetzen und ggf.<br />

nach gerichtlichen Entscheidungen neu zu kalkulieren oder Satzungen neu zu erlassen, bevor die Festsetzung<br />

fortgesetzt und abgeschlossen werden kann, muss auf ein hinnehmbares Maß beschränkt sein.<br />

Auch mit Blick darauf, dass die Rechtswirksamkeit von Abgabesatzungen und damit die für die kommunalen<br />

Aufgabenträger zur Verfügung stehende Zeit für die Festsetzung auch stark von der teilweise<br />

differenzierten Rechtsprechung und Rechtsfortbildung der Verwaltungsgerichte abhängig ist, erscheint<br />

eine Verkürzung der hergebrachten absoluten Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren um 10 Jahre noch<br />

interessengerecht.<br />

5, Eine kommunalabgabenrechtliche Höchstfrist von 20 Jahren berücksichtigt auch die Interessen des<br />

Abgabeschuldners an Rechtssicherheit über seine Inanspruchnahme in angemessenem Verhältnis. So<br />

wiegt beispielsweise das Schuldnerinteresse daran, Belege nicht unbefristet aufbewahren zu müssen,<br />

um einer Beweisnot zu begegnen, in den Fällen des Vorteilsausgleichs durch Abgaben geringer, da der<br />

abgabenrechtliche Tatbestand nur in geringem Umfang an Tatsachen anknüpft, deren Vorliegen von<br />

Belegen des Angabenschuldners abhängt oder durch sie erschüttert werden kann, Dem Abgabeschuldner<br />

kann auch kein besonderes wirtschaftliches Interesse an einer möglichst zeitnahen Geltendmachung<br />

des Abgabeanspruchs zugeordnet werden. Insofern liegt das zu berücksichtigende Interesse des<br />

Abgabeschuldners lediglich darin, erkennen zu können, wann mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu<br />

rechnen ist.<br />

6. Die Regelung einer Obergrenze entfaltet ihre Wirkung im Anschlussbeitragsrecht, also im Bereich der<br />

zentralen Trink- und Abwasseranlagen, Hier ist die Situation der kommunalen Aufgabenträger — anders<br />

als in den alten Bundesländern - dadurch geprägt, dass sich die zentralen Trink- und Abwasseranlagen<br />

weitgehend noch in der Phase der erstmaligen Herstellung befinden. Die meisten kommunalen Aufgabenträger<br />

verfügen bisher noch nicht über eine — im rechtlichen Sinne - endgültig hergestellte Einrichtung.<br />

Das Konzept des kommunalen Aufgabenträgers zur erstmaligen Herstellung der Anlage umfasst<br />

in der Regel einen Zeitraum zwischen 20 und 30 Jahren. Dementsprechend dienen die Beitragsansprüche,<br />

die gem. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG — anders als im Straßenbaubeitragsrecht — nicht erst nach endgül-<br />

6


tiger Herstellung, sondern bereits mit der Anschließbarkeit des Grundstücks, frühestens mit dem Inkrafttreten<br />

der Satzung entstehen, auch der Finanzierung eines erst in der Zukunft anfallenden Investitionsaufwandes.<br />

7. Die außergewöhnlichen Umstände in den neuen Ländern aufgrund des Transformationsprozesses<br />

sind in besonderer Weise zu berücksichtigen. Die umfassenden Transformationsaufgaben in den neuen<br />

Ländern stellen ein zulässiges rechtfertigendes Interesse bei der Abwägung des Gesetzgebers dar (vgl.<br />

BVerfG zur Altenpflegeumlage des <strong>Land</strong>es Thüringen, Beschluss vom 17. Juli 1999, Az. 2 BvL 1/99, zit.<br />

nach juris Rn. 145). Dieses besondere Interesse kann jedoch nur im Sinne einer einmaligen Ergänzung<br />

der grundsätzlichen kommunalabgabenrechtlichen Höchstgrenze für den Vorteilsausgleich berücksichtigt<br />

werden, denn der Zweck begrenzt zugleich den Zeitraum der besonderen Berücksichtigung im Verhältnis<br />

zum Interesse des einzelnen Beitragsschuldners. Daher ist die Hemmung des Fristablaufs der<br />

kommunalabgabenrechtlichen zeitlichen Obergrenze ein geeignetes Mittel, das Interesse der Allgemeinheit<br />

am Aufbau der kommunalen Strukturen in besonderer Weise zu berücksichtigen. Aufgrund der<br />

Sondersituation in den neuen Ländern ist es zum Wohle der Allgemeinheit auch erforderlich, dem <strong>Land</strong><br />

und den Kommunen eine zehnjährige Schonfrist zum Aufbau ihrer Verwaltungsträger und zur Sammlung<br />

von Erfahrungen einzuräumen, bevor die allgemeine Konkretisierung des Grundsatzes der Rechtssicherheit<br />

zum alleinigen Maßstab wird. Beim Fehlen einer entsprechenden Ablaufhemmung wären<br />

erhebliche Nachteile für das Gemeinwohl zu besorgen. In der Zeit bis zum 3. Oktober 2000 hatte der<br />

Gesetzgeber des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> die rechtlichen Grundlagen für die Errichtung der kommunalen<br />

Aufgabenträger als auch die gesetzlichen Grundlagen für die Abgabenerhebung erst zu schaffen, die<br />

kommunalen Aufgabenträger waren rechtswirksam zu errichten. So konnten beispielsweise die rechtlichen<br />

Probleme bei der Errichtung der kommunalen Zweckverbände erst im Jahr 2000 durch das Urteil<br />

des <strong>Land</strong>esverfassungsgerichts zum Zweckverbandsstabilisierungsgesetz und den daraufhin ergangenen<br />

Errichtungsbescheiden abschließend geklärt werden (vgl. Urteil des LVerfG vom 20. Januar 2000,<br />

Az. VfGBbg 53/98 und 3/99).<br />

Entschließt sich der Gesetzgeber, die allgemeine zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich in der<br />

Form zu ergänzen, dass der Fristablauf bis zum 3. Oktober 2000 gehemmt ist, darf er im Ergebnis die<br />

absolute Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren nicht überschreiten. Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz<br />

wird mit der Ergänzung durch die zehnjährige Ablaufhemmung eingehalten. Der Eintritt der Vorteilslage<br />

beginnt frühestens mit dem Eintritt des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> in den Geltungsbereich des Grundgesetzes.<br />

Ein Ablauf der kommunalabgabenrechtlichen Höchstfrist 20 Jahre nach dem 3.10.2000 kann daher<br />

im Ergebnis nicht die absolute dreißigjährige Verjährungshöchstfrist überschreiten,<br />

7


EINGEGANGEN<br />

2 1. MAI 2 013 1SZO<br />

Haus &Grund"<br />

Eigentümerschutz-Gemeinschaft<br />

Berlin, 16. Mai 2013<br />

Erledigt:<br />

Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen in das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />

Ausgangslage<br />

Die CDU-Fraktion im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> hat den Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen<br />

in das KAG <strong>Brandenburg</strong> vorgelegt. Der Gesetzentwurf beabsichtigt, das Musterklageverfahren auf<br />

das Widerspruchsverfahren im Kommunalabgabenrecht auszuweiten. Von einer Musterklage<br />

spricht man , wenn ein Verfahren beispielhaft betrieben wird, um daraus die Rechtsauffassung des<br />

Gerichtes bzw. der höheren Instanzen für andere Streitfälle mit gleich gelagertem Sachverhalt abzuleiten.<br />

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Vielzahl von Verwaltungsakten auf der<br />

Grundlage einer Satzung gegen die Anlieger einer zu errichtenden Anlage erlassen wird. Die dagegen<br />

eingereichten Widersprüche werden in der Regel die gleiche Rechtsfrage betreffen. Um<br />

unterschiedliche Entscheidungen im Widerspruchsverfahren bezüglich der gleichen Rechtsfrage zu<br />

vermeiden bietet sich an , einzelne exemplarische Verfahren herauszugreifen, um eine einheitliche<br />

Entscheidung herbeizuführen. Die anderen Widerspruchsverfahren bleiben bis zur Entscheidung<br />

ruhen , es sei denn, der Widerspruchsführer beantragt die Fortsetzung des Widerspruchsverfahren.<br />

Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong> bestätigt ausdrücklich die in der Gesetzesbegründung gemachten<br />

Feststellung , dass die Wasser- und Abwasserzweckverbände sich der Möglichkeit von Musterklagen<br />

weitest gehend verschließen. Es erweckt sich der Eindruck, dass durch den Kostenaufwand für<br />

den Grundstückseigentümer dieser abgehalten werden soll zu klagen. Unsere Beratungspraxis bestätigt<br />

dass, insbesondere ältere Hauseigentümer verzichten auf ihr Recht. So werden die Bescheide<br />

rechtskräftig und ein späteres Urteil ist nicht mehr anwendbar.<br />

II. Stellungnahme und Bewertung<br />

Haus & Grund Deutschland, Mohrenstraße 33, D-10117 Berlin<br />

Telefon +49 30 20216-0, Telefax +49 30 20216-555, zv@hausundgrund.de , www.hausundgrund.de


Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG <strong>Brandenburg</strong> und Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen in<br />

das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />

Haus & Grund begrüßt daher grundsätzlich den Vorstoß, Hürden für Grundstückseigentümer, die Adressat von kommunalen<br />

Abgabenbescheiden geworden sind abzubauen. In Anbetracht der hohen Rechtsverfolgungskosten und auch der bestehenden<br />

Unsicherheit bei problematischen Rechtsfragen ist ein Musterverfahren durchaus sinnvoll.<br />

Musterverfahren können dazu beitragen auch zusätzliche Kosten z.B. zur Überprüfung von Kalkulationsgrundlagen erstmals<br />

durch Kostenteilung bezahlbar zu machen. Ein Rechtsanwalt eines Einzelverfahrens müsste das 1 : 1 auf seinen Einzelmandanten<br />

umlegen, was schon aufgrund der Kosten abschrecken könnte das Verfahren weiterzuführen.<br />

Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong> befürwortet ausdrücklich eine Ausdehnung des Musterklageverfahren auf das Widerspruchsverfahren<br />

im Kommunalabgabenrecht. Im Gerichtsverfahren gibt es bereits die Möglichkeit von Sammel- und Musterklagen. Der<br />

vorliegende Gesetzentwurf ist ein Beitrag für mehr Rechtssicherheit. Teilweise ermöglicht er erst Grundstückseigentümern<br />

ihr Recht geltend zu machen. Wichtig ist auch die Möglichkeit des Einzelnen einen Einzelprozess zu führen. Das ist nach<br />

dem Gesetzentwurf möglich .<br />

Rudolf Ehrhardt<br />

Vorsitzender<br />

Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong><br />

Postanschrift<br />

Friedrich-Engels-Str.42<br />

16792 Zehdenick<br />

Tel. 01717478135<br />

Email info@hausundgrundbrbq.de<br />

www.hausundgrundbrbg.de<br />

2


BBU i Behlertstraße 13 14469 Potsdam<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Ausschuss für Inneres<br />

Die Vorsitzende<br />

Am Havelblick 8<br />

14473 Potsdam<br />

EINGEGANGEN<br />

21. MAI 2013<br />

Erledigt . (CQ • 1)9 ' kiz<br />

t<br />

ki-Ct<br />

/<br />

1e4<br />

Anlage 45<br />

BBU<br />

VERBAND BERLIN • BRANDENBURGISCHER<br />

WOHNUNGSUNIERNEHMEN E.V.<br />

LANDESGESCHÄFTSSTELLE<br />

POTSDAM<br />

16-05-2013<br />

Dr. Wolfgang Schönfelder<br />

Fon 033112 71 83-0<br />

Fax 0331/2 71 83-18<br />

wolfgang.schoenfeldeebbu.de<br />

Anhörung zum Gesetzentwurf der CDU-Fraktion zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />

für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong>, Drucksache 5/7128<br />

Stellungnahme des Verbandes Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen<br />

e.V. zur Anhörung im Innenausschuss am 23.05.2013<br />

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />

mit Drucksache 5/7128 hat die CDU-Fraktion einen Gesetzentwurf zur Änderung des<br />

Kommunalabgabengesetzes für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> vorgelegt.<br />

Der Verband Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen e.V. begrüßt die<br />

erneute Initiative und stimmt dem Gesetzentwurf voll inhaltlich zu.<br />

Musterverfahren sind ein bewährtes Mittel, in vielen Rechtsbereichen Verfahren abzukürzen,<br />

die Klärung offener Fragen zu beschleunigen und somit Zeit, Aufwand und<br />

Kosten zu begrenzen.<br />

Die verbindliche Festlegung, solche Verfahren zuzulassen, unterstützt das Transparenzgebot<br />

im Bereich der Wasserver- und Abwasserentsorgung und führt aus unserer<br />

Sicht zu Vorteilen für alle beteiligten Partner.<br />

Wir gehen davon aus, dass damit das Zusammenwirken der Streitbeteiligten gefördert<br />

und das Vertrauen in transparentes Verwaltungshandeln und seine Überprüfbarkeit<br />

gestärkt wird.<br />

Verband Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen e.V. Behlertstraße 13 14469 Potsdam<br />

Vorstand: Maren Kern, Dr. Klaus-Peter Hillebrand<br />

I Fon 03 3112 71 83-0 ; Fax 03 31/2 71 83-18 I info©bbu.de www.bbu.de


Nach Informationen unseres Schwesterverbandes in Mecklenburg-Vorpommern ist<br />

die dort geltende Regelung auf positive Resonanz gestoßen.<br />

Eine zügige Umsetzung des Gesetzentwurfes würde die Vielzahl von anhängigen<br />

Verfahren unmittelbar beschleunigen.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Dr. Wolfgang Schönfelder<br />

Seite 2 von 2


Anlage 4<br />

..,MriGimilLe. Verband Deutscher Grundstücksnutzer e.V.<br />

VDGN, Irmastraße 16, 12683 Berlin<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Vorsitzende Frau Britta Stark<br />

Am Havelblick 8<br />

14473 Potsdam<br />

Vorab per Fax 49 (331) 966 —1222<br />

E1NGEGANGSI<br />

1 6. MAI 7013 IS'e-<br />

Erledigt:<br />

Hauptgeschäftsstelle/Postanschrift:<br />

Irmastraße 16, 12683 Berlin<br />

Tel.: 0 30-514 888-0, Fax: 0 30-514 888-78<br />

Internet: www.vdgn.de<br />

E-Mail: info@vdgn.de<br />

St.-Nr.: 27 / 680 / 53478<br />

U2tL IL9<br />

erlin, 15. Mai 2013<br />

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />

anliegend erhalten Sie die Stellungnahmen des Verbandes Deutscher<br />

Grundstücksnutzer (VDGN) für die Anhörung am 23. 05. 2013 im Innenausschuss.<br />

Der VDGN wird an der Anhörung teilnehmen und wird dabei durch den Präsidenten<br />

Herrn Peter Ohm vertreten sein.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Ire Fischer.<br />

Präsidiumsmitglied<br />

Interessenvertreter der Eigentümer von Eigenheimen, Wohnungen und Grundstücken<br />

sowie der Pächter von Wochenend-, Kleingarten- und Garagengrundstücken<br />

Bankverbindung: HypoVcrcinsbank Konto-Nr. 54 7015 76 68 BLZ 100 208 90


YELCIZIL Verband Deutscher Grundstücksnutzer e.V.<br />

VDGN, Irinastraße 16, 12683 Berlin<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Ausschuss für Inneres<br />

Die Vorsitzende<br />

Am Havelblick 8<br />

14473 Potsdam<br />

HauptgeschäftssteLle/Postanschrift:<br />

Irmastraße 16, 12683 Berlin<br />

Tel.: 0 30-514 888-0, Fax: 0 30-514 888-78<br />

Internet: www.vdgn.de<br />

E-Mail: info@vdgn.de<br />

St.-Nr.: 27 / 680 / 53478<br />

Berlin,15. Mai 2013<br />

Anhörung zu dem Gesetzentwurf der CDU- Fraktion zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />

für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong>, Drucksache 6/7128<br />

Stellungnahme des Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer zur Anhörung im<br />

Innenausschuss am 23. Mai 2013<br />

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />

mit Drucksache 5/7128 hat die CDU- Fraktion einen Gesetzentwurf zur Änderung des<br />

Kommunalabgabengesetzes für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> vorgelegt.<br />

Der VDGN begrüßt die erneute Initiative der CDU, durch eine verbindliche Regelung<br />

die Aufgabenträger zu verpflichten, Musterverfahren zur Sicherung der rechtlichen<br />

Teilhabe von Bescheidempfängern zuzulassen, ausdrücklich.<br />

Damit könnten Musterprozesse, die in allen anderen 15 Bundesländern tägliche Praxis<br />

sind, endlich auch in <strong>Brandenburg</strong> Normalität werden. Für viele Menschen, die<br />

nicht über einen entsprechenden finanziellen Rückhalt verfügen, keine Prozesskostenhilfe<br />

in Anspruch nehmen können und sich deshalb keinen Rechtsstreit mit<br />

ungewissem Ausgang leisten können, wird über die Beteiligung an einer Prozessgemeinschaft<br />

und das Führen eines Musterprozesses der Zugang zu einer rechtsstaatlichen<br />

Prüfung eines an sie gerichteten Bescheides erst ermöglicht.<br />

Der VDGN fordert für <strong>Brandenburg</strong> schon seit langem die gesetzliche Verankerung<br />

von Musterverfahren in gleich gelagerten Fällen. Vor allem die Erhebung sogenannter<br />

Altanschlussbeiträge in <strong>Brandenburg</strong> hat einen hohen Bedarf an gerichtlicher<br />

Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen gezeigt.<br />

Die Widerspruchsquoten zu den Beitragsbescheiden betrugen in den Zweckverbänden<br />

immerhin bis zu 90 Prozent.<br />

Hinzu kommt, dass sich die Bürger dieses <strong>Land</strong>es durch den Beschuss des Bundesverfassungsgerichts<br />

in ihren grundsätzlichen Bedenken gegen die Beitragserhebung<br />

der Zweckverbände bestärkt fühlen.<br />

Interessenvertreter der Eigentümer von Eigenheimen, Wohnungen und Grundstücken<br />

sowie der Pächter von Wochenend-, Kleingarten- und Garagengrundstücken<br />

Bankverbindung: Hypo Vereinsbank • Konto-Nr. 54 70 15 76 68 • BLZ 100 208 90


Keineswegs beschränken sich die Auswirkungen der Entscheidung auf Bayern. Begriffe<br />

wie Leistungsfähigkeit, Übermaßverbot, Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit<br />

gelten überall in der Bundesrepublik, selbstverständlich auch in <strong>Brandenburg</strong>.<br />

Der VDGN unterstützt ausdrücklich, dass mit der erneuten Gesetzesinitiative der<br />

CDU wieder Bewegung in die Sache kommt.<br />

Wir sehen gerade vor dem Hintergrund der Karlsruher Entscheidung diese Initiative<br />

als Signal an das Parlament, durch eine bürgerfreundliche Gesetzgebung Verwaltungshandeln<br />

transparenter und vor allem überprüfbar zu gestalten und damit<br />

letztlich den Rechtsstaat zu stärken.<br />

Der vorliegende Entwurf entspricht diesem Anspruch. Grundsätzlich stimmen wir<br />

dem Entwurf der CDU-Fraktion ausdrücklich zu.<br />

Im August 2012 entsprach der damals von der CDU-Fraktion eingereichte Gesetzentwurf<br />

nicht den praktischen Erfordernissen und wurde in der damals vorliegenden<br />

Fassung von uns abgelehnt. Der nun vorliegende Entwurf ist schlanker und aus unserer<br />

Sicht rechtlich korrekt und praktikabel.<br />

Wir halten es aber für sinnvoll, einerseits die Mitspracherechte der Widerspruchsführer<br />

in einem Musterverfahren klarer zu bestimmen und andererseits die Zweckverbände<br />

vor unkalkulierbaren Risiken zu schützen, denn diese Risiken hat letztlich<br />

wiederum der Beitragszahler finanziell zu tragen. Die Bearbeitung der Widersprüche<br />

von Widerspruchsführern, die nicht einer Prozessgemeinschaft angehören, darf nicht<br />

durch Führung eines Musterprozesses gehemmt werden. Bei Widerspruchsquoten<br />

von 80 oder mehr Prozent sind die Risiken für die Zweckverbände ohne eine Vereinbarung<br />

mit einer Prozessgemeinschaft nur schwer kalkulierbar. Im Zweifelsfall gilt<br />

das Ergebnis eines ohne Vereinbarung geführten Musterverfahrens für alle Widerspruchsführer.<br />

Diese könnten sich dann überlegen, ihrerseits Einzelklagen gegen<br />

den Zweckverband zu führen.<br />

Das Gesetz sollte den Prozessgemeinschaften daher den Vorrang geben. Es sollte<br />

im Weiteren klarer regeln, dass Prozessgemeinschaften das Verfahren aktiv mitbestimmen<br />

können.<br />

Wir schlagen zur Präzisierung die nachfolgenden Änderungen und Ergänzungen vor:<br />

Zu § 12 Absatz 1 Nr. 7 Buchstabe c wird vorgeschlagen, die Formulierung des Gesetzestextes<br />

wie folgt zu fassen:<br />

Bei Widersprüchen in gleich gelagerten Fällen soll die Widerspruchsbehörde geeignete<br />

Verfahren als Musterverfahren auswählen und vorrangig entscheiden. Die<br />

Widerspruchsbehörde bestimmt, unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten,<br />

den oder die Widerspruchsführer.<br />

Haben sich Widerspruchsführer zu einer Prozessgemeinschaft zusammengeschlossen,<br />

bedarf die Bestimmung des Widerspruchsführers des Musterverfahrens<br />

der Zustimmung der Prozessgemeinschaft. Dies gilt auch für den Fall, dass mehrere<br />

Musterverfahren zu verschiedenen Rechtsfragen durchgeführt werden sollen.<br />

Einigen sich die Widerspruchsbehörde und die Prozessgemeinschaft nicht auf die<br />

Bestimmung eines Widerspruchsführers für das Musterverfahren, hat die Wider-


spruchsbehörde das von der Prozessgemeinschaft vorgeschlagene Verfahren als<br />

Musterverfahren durchzuführen.<br />

Sie kann daneben ein von ihr vorgeschlagenes Verfahren als Musterverfahren durchführen.<br />

Der Widerspruchsbescheid in dem von der Prozessgemeinschaft vorgeschlagenen<br />

Musterverfahren darf nicht später als der in dem von der Widerspruchbehörde ausgewählten<br />

Musterverfahren ergehen.<br />

Zu § 12 Absatz 1 Nr. 7 Buchstabe d wird vorgeschlagen, die Formulierung des Gesetzestextes<br />

wie folgt zu ändern:<br />

Die verbleibenden Widerspruchsverfahren der der Prozessgemeinschaft angehörenden<br />

Widerspruchsführer ruhen bis zur Rechtskraft der Entscheidung in den<br />

Musterverfahren.<br />

Wir hoffen, dass die Fraktionen sich für das Ziel einer gesetzlichen Verankerung der<br />

Pflicht zur Führung von Musterverfahren mit Prozessgemeinschaften in <strong>Brandenburg</strong><br />

aktiv im <strong>Land</strong>esparlament einsetzen werden.<br />

Ziel muss es sein, allen <strong>Brandenburg</strong>ern die Möglichkeit zu selbstbestimmter rechtsstaatlicher<br />

Teilhabe zu eröffnen, wenn die Rechtmäßigkeit staatlicher Entscheidungen<br />

in Zweifel steht.<br />

In letzter Zeit war das Vertrauen vieler Betroffener in den Rechtsstaat erschüttert<br />

worden, indem ihnen das freiwillige Einverständnis zu Musterverfahren in konzertiert<br />

wirkenden Aktionen von den Zweckverbänden fast flächendeckend verwehrt worden<br />

ist.<br />

Für die anstehende Diskussion stehen wir ihnen gern mit unserer Erfahrung als Gesprächspartner<br />

zur Verfügung<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Peter Ohm<br />

Präsident des VDGN


Anlage Al<br />

-<br />

Zweckverband<br />

Komplexsanierung mittlerer Süden<br />

Körperschaft des öffentlichen Rechts<br />

Der Verbandsvorsteher<br />

Zweckverband KMS Zossen, Berliner Allee 30-32, 15806 Zossen<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Ausschuss für Inneres<br />

Frau Vorsitzende Britta St<br />

Am Havelblick 8<br />

14473 Potsdam<br />

EINGEGANGEN<br />

Krk<br />

2 4. MA1 20131S.A6<br />

Erledigt.<br />

VO<br />

Auskunft: Frau Nicolaus<br />

Zimmer 2.40<br />

Telefon: 033702 2006-41<br />

Telefax: 033702 2006-30<br />

Datum: 17.05.2013<br />

Aktenz.:<br />

Vorab per Mail: solveig.herrmannsen@landtag.brandenburg.de<br />

Anhörung am 23.05.2013<br />

zur möglichen Änderung des Kommunalabgabengesetzes des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />

(KAG)<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />

der Zweckverband KMS Zossen bedankt sich für die Einladung zur Anhörung am<br />

23.05.2013 um 13:30 Uhr. Die Teilnahme von Frau Nicolaus wird hiermit bestätigt.<br />

Nachfolgend gibt der Verband folgende Einschätzung zu der Drucksache 5/7128:<br />

Musterverfahren / Musterklagen<br />

Der Zweckverband KMS lehnt die Durchführung von Musterverfahren ab.<br />

Begründung:<br />

So viele Grundstücke es gibt, so viele Möglichkeiten der Klagen gibt es auch. Kein<br />

Grundstück ist wie das andere.<br />

Folgende Klagegründe bzw. - unterschiede gibt es:<br />

1. Trinkwasser /Schmutzwasser<br />

2. Grundstücksfläche, hier sind alleine in der Satzung des KMS Zossen unter § 3<br />

mehrere Fallkonstellationen verankert: z.B. Innenbereich und Außenbereich<br />

teilweise oder total, B-Plan Gebiete, beplanter Innenbereich, unbeplanter Innenbereich,<br />

gewerblich genutzte Grundstücke usw.<br />

3. Geschossigkeit: auch hier mehrere Fallkonstellationen wie z.B. Grundstücke innerhalb<br />

eines B-Plangebietes, bebaute oder unbebaute Grundstücke innerhalb<br />

eines im Zusammenhang bebauten Ortsteil (§ 34 BauGB), bebaute oder unbebaute<br />

Grundstücke im Außenbereich, Gewerbegrundstücke usw.<br />

Wünsdorf Tel. 033702 2006-0 Sprechzeiten: VR-Bank Fleming eG<br />

Berliner Allee 30-32 Fax 033702 2006-30 Dienstag 09:00-12:00 und 13:00-18:00 Uhr BLZ 160 620 08<br />

15806 Zossen post@zv-kms.de Donnerstag 09:00-12:00 und 13:00-16:00 Uhr Konto-Nr. 110 69384 00<br />

Internet: www.zv-kms.de Steuernr.: 0501144/01913<br />

*Die Abwicklung rechtsverbindlichen Schriftverkehrs über diese E-Mail-Adresse ist nicht möglich.


2<br />

Fraglich erscheint, wann Fälle als "gleich gelagert" anzusehen sind. In der Praxis<br />

begründen Widerspruchsführer vielfach ihre Widersprüche nicht nur mit einer bestimmten<br />

Rechtsfrage (zum Beispiel der Zulässigkeit der Heranziehung von Altanschließern),<br />

sondern darüber hinaus auch mit individuellen Besonderheiten. Soll die Behörde<br />

entscheiden, welche Widerspruchsverfahren gleich gelagert sind und damit ruhen<br />

oder ruhen automatisch alle Widerspruchsverfahren, wenn ein Musterverfahren ausgewählt<br />

wurde?<br />

Die verwaltungsgerichtlichen Verfahren dauern oftmals sehr lange. In den Musterverfahren<br />

ist damit zu rechnen, dass der gesamte Instanzenzug, möglicherweise noch mit<br />

Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts und/oder des Bundesverfassungsgerichts<br />

ausgeschöpft wird. Da die Bürger trotz des Ruhens des Verfahrens zur Zahlung verpflichtet<br />

sind, verbleibt das Geld bei der Gemeinde, ohne das es verwendet werden<br />

kann. Der Bürger erhält für die Zeit des Ruhens des Verfahrens selbst bei einer Rückzahlung<br />

nach Aufhebung keine Zinsen. Eine Verzinsung erfolgt nur während der Prozessanhängigkeit<br />

für den Kläger selbst. Dies will der Gesetzentwurf der CDU offensichtlich<br />

mit der Regelung in § 12 Abs. Ziffer 6 letzter Satz ändern, wonach die Rechtsfolgen<br />

der Rechtshängigkeit des Musterklageverfahrens auch für die ruhenden Widerspruchsverfahren<br />

gelten. Dann müsste die Stadt oder der Verband nach einer Niederlage<br />

im Musterverfahren - egal aus welchem Grund - für alle widerspruchsbehafteten<br />

Bescheide Prozesszinsen zahlen?<br />

Es kann dem Gericht nicht vorgeschrieben werden, die für die Widerspruchsführer<br />

maßgebliche Rechtsfrage zu klären. Es können daher Urteile ergehen, ohne überhaupt<br />

die entscheidende Frage geklärt zu haben. Sollen dann alle an ein solches Urteil<br />

gebunden sein? In Mecklenburg-Vorpommern z.B. stellt sich diese Frage nicht, da die<br />

Regelungen nur die Durchführung der Widerspruchsverfahren bzw. deren Ruhen betrifft.<br />

Die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern spricht keine Bindungswirkung aus<br />

und befasst sich auch nicht mit der Durchführung einer Musterklage. Dort kann nach<br />

der Rechtskraft eines Musterverfahrens von beiden Seiten (Widerspruchsführer und<br />

Behörde) das Widerspruchsverfahren fortgeführt werden. Dies bedeutet aber auch,<br />

dass dann nach vielen Jahren durch den Instanzenzug die einzelnen Widerspruchsverfahren<br />

doch weitergeführt werden.<br />

Eine gesetzliche Regelung zum Ruhen von Widerspruchsverfahren bei Gerichtsverfahren<br />

zu gleich gelagerten Fällen (wenn es gleich gelagerte Fälle gäbe) wäre sinnvoll,<br />

wenn dadurch Untätigkeitsklagen ausgeschlossen sind. Hier ist aber die VwGO Bund<br />

einschlägig und daher ist eine solche Regelung in <strong>Brandenburg</strong> wahrscheinlich nicht<br />

möglich.<br />

Zurzeit informiert der Verband die Widerspruchsführer über die anhängigen Normenkontrollklagen<br />

zu den Beitragssatzungen und bietet an, das Einverständnis vorausgesetzt,<br />

über den Widerspruch nach Abschluss der Normenkontrollverfahren zu entscheiden.<br />

Dies wird von den Widerspruchführern auch angenommen.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

A .<br />

,<br />

H. Nicolaus<br />

stellv. Verbandsvorsteherin


Wolf-Michael Ring<br />

Verwaltungsgericht Schwerin<br />

Wismarsche Straße 323a<br />

19055 Schwerin<br />

ENGEGANGEN<br />

Erledigt: ( (_'<br />

2 1. MM 2013 K4.7<br />

( I<br />

r<br />

‘(% Ckylr<br />

Anlage Ae<br />

16.05.2013<br />

Anhörung zum<br />

Sechsten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />

für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> (KAG),<br />

Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, Drucksache 5/7128<br />

0. Vorbemerkung<br />

Schriftliche Beantwortung des Fragenkatalogs:<br />

Das KAG Mecklenburg-Vorpommern enthält eine spezielle Regelung über die Durchführung<br />

von Musterverfahren in Abgabenprozessen. § 12 Abs. 3 KAG Mecklenburg-Vorpommern<br />

lautet:<br />

„§ 363 Abs. 2 der Abgabenordnung ist mit den in den Sätzen 2 bis 6 genannten zusätzlichen<br />

Maßgaben anzuwenden. Ist wegen der Gültigkeit einer Abgabensatzung ein Verfahren<br />

bei dem Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, einem obersten<br />

Bundesgericht oder beim Europäischen Gerichtshof anhängig und wird der Widerspruch<br />

hierauf gestützt, ruht das Widerspruchsverfahren insoweit bis zu dessen rechtskräftigem<br />

Abschluss. Gleiches gilt, wenn bei den genannten Gerichten, den Verwaltungsgerichten<br />

des <strong>Land</strong>es oder dem Bundesverfassungsgericht ein Verfahren wegen einer Rechtsfrage<br />

anhängig ist, die in einem Widerspruchsverfahren entscheidungserheblich ist. Bei Widersprüchen<br />

in gleich gelagerten Fällen soll die Widerspruchsbehörde geeignete Verfahren<br />

als Musterverfahren auswählen und vorrangig entscheiden. Die verbleibenden Widerspruchsverfahren<br />

ruhen bis zur Rechtskraft der Entscheidungen in den Musterverfahren.<br />

Das Ruhen ist dem Widerspruchsführer mitzuteilen. Das Widerspruchsverfahren ist fortzusetzen,<br />

wenn der Widerspruchsführer dies beantragt oder die abgabenberechtigte<br />

Körperschaft dies dem Widerspruchsführer mitteilt."<br />

Diese Regelung knüpft an § 363 AO an und modifiziert sie in dem für das Kommunalabgabenrecht<br />

gebotenen Umfang.<br />

Für den Finanzprozess nimmt der Bundesfinanzhof an, dass der Gesetzgeber § 363 AO eingeführt<br />

hat, weil er davon ausgeht, es entspreche in der Regel den Interessen des Einspruchsführers<br />

und der Finanzbehörde, den Ausgang des Musterverfahrens abzuwarten<br />

(BT-Drucks 12/7427, S. 37). Hieraus sei zu schließen, dass die gesetzliche Zwangsruhe<br />

nicht allein der Entlastung des Verwaltungsverfahrens diene und die Finanzbehörde deshalb<br />

bei ihrer Entscheidung, die gesetzliche Zwangsruhe zu beenden, die Belange des Einspruchsführers<br />

mit berücksichtigen müsse. Soweit in der Gesetzesbegründung zu § 363<br />

Abs. 2 Satz 4 AO 1977 darauf abgestellt werde, dass (auch) die Finanzbehörde ein berechtigtes<br />

Interesse an der Fortsetzung des Verfahrens haben könne, sei dieses an der Grundentscheidung<br />

über die gesetzliche Zwangsruhe auszurichten. Insbesondere müsse die Finanzbehörde<br />

zum Ausdruck bringen, weshalb sie im Rahmen ihres Ermessens im konkreten<br />

Einzelfall die gesetzliche Zwangsruhe beendet, in anderen Fällen aber den Ausgang des<br />

Musterverfahrens abwartet. Denn auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht müssen staatliche<br />

Einrichtungen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG beachten (BFH, Urt. v.<br />

26.9.2006 - X R 39/05 - BStBI II 2007, 222 = NVwZ-RR 2007, 69).<br />

1


1, Welche Erfahrungen gibt es mit solchen Musterverfahren aus Ihrer Kenntnis, wenn<br />

sie gesetzlich vorgeschrieben sind?<br />

Aus der Erfahrung mit Musterverfahren im Sinne des § 12 Abs. 3 KAG M-V seit dem Jahr<br />

2005 halte ich die Durchführung von Musterverfahren gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 7 Buchstabe b)<br />

KAG-Entwurf im Anschlussbeitragsrecht (Trinkwasser, Schmutzwasser-, Niederschlagswasserbeiträge)<br />

für ein sinnvolles Instrument zur Straffung der Verfahren neben der gesetzlichen<br />

Möglichkeit der Erhebung des Normenkontrollantrages zur Überprüfung der Beitragssatzung<br />

gemäß § 47 VwGO. Im Straßenbaubeitragsrecht ist die Durchführung von Musterverfahren<br />

bei deutlich kleineren Fallzahlen gleichgelagerter Verfahren (zumeist zwischen 5 bis 30)<br />

ebenfalls sinnvoll, zumal hier Anträge gemäß § 47 VwGO zumeist nicht angezeigt sind. Die<br />

Verständigung auf die Bescheidung ausgewählter Widersprüche vermag grundsätzlich den<br />

Organisationsaufwand bei Gericht zu reduzieren und damit auch die Verfahrenslaufzeiten zu<br />

verringern.<br />

2. Welche Wasser- und Abwasserverbände in <strong>Brandenburg</strong> führen bereits jetzt Musterverfahren<br />

durch und welche nicht?<br />

Keine Erkenntnisse<br />

3. Lassen sich durch das Musterverfahren Kosten bei den Bürgern als Kläger sowie in<br />

der Verwaltung/bei den Wasser- und Abwasserverbänden als Beklagte einsparen?<br />

Erfahrungsgemäß werden bei der Abstimmung von Musterverfahren insbesondere Verfahren<br />

mit relativ geringem Streitwert ausgesucht, so dass nur niedrigere Gerichtsgebühren und<br />

Anwaltskosten entstehen. Aus gerichtlicher Sicht entsteht der Eindruck, dass die betroffenen<br />

Bürger sich zu Prozessgemeinschaften zusammenschließen und anteilig die Kosten des<br />

Musterverfahrens mit tragen. Genaueres ist insoweit hier aber nicht bekannt. Auf Behördenseite<br />

dürfte eine Senkung der internen Betriebskosten zu verzeichnen sein, wenn ein Großteil<br />

der Widersprüche frühzeitig zum Ruhen gebracht wird.<br />

4. Kann die Einführung des Musterverfahrens zu weniger Arbeitsaufwand in der Verwaltung<br />

und bei den Gerichten führen?<br />

Mit der Einführung des Musterverfahrens ist — sofern es von den Verfahrensbeteiligten gelebt<br />

wird — ein Strukturwandel der abgabenrechtlichen Rechtsstreite von zuvor häufig anzutreffenden<br />

Verfahrensketten zu relativ schwierigen bzw. umfangreichen Einzelverfahren bei Gericht<br />

verbunden. Der richterliche Aufwand der vollumfänglichen Überprüfung der Rechtslage<br />

nach dem Amtsermittlungsprinzip bleibt im Hinblick auf die Überprüfung des Satzungsrechts<br />

als hinreichende Rechtsgrundlage einschließlich — in Mecklenburg-Vorpommern — der Kalkulation<br />

des Beitragssatzes im Anschlussbeitragsrecht gleich hoch. Der organisatorische Aufwand<br />

der Abarbeitung bisweilen hunderter gleichgelagerter Gerichtsverfahren sinkt hingegen<br />

deutlich. Dies gilt insbesondere auch für richterliche Nebenentscheidungen wie nachklappende<br />

Anträge auf Zuerkennung der Notwendigkeit eines Bevollmächtigten im Vorverfahren<br />

bis hin zu Kostenerinnerungen. Auch der organisatorische Aufwand bei den Behörden dürfte<br />

deutlich sinken.<br />

Da der Aufwand der Bearbeitung von Verfahren für den nichtricherlichen Dienst unabhängig<br />

davon, wie aufwändig das Verfahren für Richterinnen und Richter ist, gleich ist, bringt die<br />

Vereinbarung von Musterverfahren in diesem Bereich erhebliche Entlastungen.<br />

2


5. Welche weiteren Vorteile bringt die Einführung des Musterverfahrens im KAG mit<br />

sich?<br />

Die Konzentration auf ein oder wenige Musterverfahren, in denen alle Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte beteiligt werden, die zuvor sachhaltige Argumente in die Diskussion gebracht<br />

haben, erhöht die Gewähr dafür, dass wirklich alle maßgeblichen Facetten der Problematik<br />

beleuchtet werden und die gelegentlich umfangreichen Rechtsprobleme des Satzungsrechts<br />

vollständig abgearbeitet werden.<br />

Bislang war das Gericht an das beiderseitige Einverständnis zum Ruhen des Verfahrens<br />

gebunden. Wurde dies nicht erteilt, waren die Sachen zu entscheiden. In der Regel erfolgte<br />

dies so, dass nach der Grundsatzentscheidung der Kammer die gleich gelagerten Verfahren<br />

auf die Einzelrichterin/den Einzelrichter übertragen und in dieser Weise terminiert wurden.<br />

Diese „massenhafte" Abarbeitung birgt in der Außendarstellung die Gefahr, dass dem Gericht<br />

eine festgelegte Rechtsmeinung und eine fehlende Würdigung des Einzelfalls vorgehalten<br />

wird, auch wenn dies objektiv nicht der Fall ist. Die gestraffte Leitung von gleichgelagerten<br />

Gerichtsverfahren, in denen weder tatsächlich noch rechtlich Neues bzw. Einzelfallbezogenes<br />

vorgetragen wird, ist allerdings aus Gründen der Verfahrensökonomie geboten.<br />

6. Welche rechtlichen und tatsächlichen Probleme bringt die Einführung des Musterverfahrens<br />

im KAG mit sich? Wie lassen sich diese Probleme lösen?<br />

Die gesetzliche Anordnung des Ruhens der gleichgelagerten Verfahren könnte der Rechtsweggarantie<br />

des Art. 19 Abs. 4 GG zuwiderlaufen, wenn dadurch effektiver Rechtsschutz<br />

des Widersprechenden bei langer Verfahrensdauer gefährdet würde. Durch das Recht des<br />

Abgabenschuldners auf Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens auf seinen Antrag hin<br />

gern. § 12 Abs. 1 Nr. 7 Buchstabe d) Satz 4 KAG-Entwurf dürfte diesem Problem Rechnung<br />

getragen sein.<br />

Sofern sich eine Behörde nicht an die gesetzliche Ruhensanordnung hält und dennoch Widerspruchsbescheide<br />

erlässt, dürfte dies sanktionslos sein. Die Abgabenschuldner sind in<br />

diesen Fällen ggf. gezwungen, Klage zu erheben. Eine isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides<br />

allein im Hinblick auf den Verstoß gegen die gesetzliche Ruhensanordnung,<br />

die lediglich als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist, erscheint rechtlich problematisch. Eher<br />

angezeigt erscheint eine Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen der Kostenentscheidung<br />

nach § 155 Abs. 4 VwGO wegen Verschulden eines Beteiligten. Im Übrigen dürfte dieses<br />

Problem im Rahmen der Behördenaufsicht zu lösen sein.<br />

In tatsächlicher Hinsicht ist festzustellen, dass in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen<br />

bei den Abgabenschuldnern die Vorstellung besteht, dass für die Zeit des Ruhens ihres Widerspruchs<br />

zugleich die Vollziehbarkeit der Abgabenschuld ausgesetzt sei. Dies ist tatsächlich<br />

nicht der Fall, wenn es nicht ausdrücklich durch Aussetzungsentscheidung der Behörde<br />

nach § 80 Abs. 4 VwGO oder in einer Vereinbarung gem. § 12 Abs. 1 Nr. 7 Buchstabe e)<br />

KAG-Entwurf geregelt wird. Der Gesetzgeber sollte deshalb in den Gesetzesmaterialien eindeutig<br />

Stellung beziehen, dass er im Hinblick auf die Finanzierungsfunktion der Abgaben an<br />

dem System der sofortigen Vollziehbarkeit der Abgabenbescheide festhält.<br />

7. Welche weiteren Voraussetzungen sollten bei der pflichtigen Einführung von Musterverfahren<br />

beachtet werden?<br />

In § 12 Abs. 3 Satz 7 KAG M-V ist auch der Behörde das Recht zugestanden, nach vorheriger<br />

Ankündigung das Widerspruchsverfahren fortzusetzen. Rechtlich zwingend geboten erscheint<br />

dies nicht, weil der Behörde aufgrund der sofortigen Vollziehbarkeit der Abgabenbescheide<br />

aufgrund der gesetzlichen Ruhensanordnung keine finanziellen Nachteile entstehen,<br />

die ihre Aufgabenwahrnehmung gefährden könnten.<br />

3


8. Ist es sinnvoll, das Ruhen der Widerspruchsverfahren gesetzlich anzuordnen, wenn<br />

Gerichtsverfahren in gleichgelagerten Fällen anhängig sind?<br />

Die Beschränkung der gesetzlichen Ruhensanordnung auf anhängige Normenkontrollen der<br />

maßgeblichen Abgabensatzung dürfte einen beachtlichen Teil des Anwendungsbereichs<br />

abschneiden. Dies dürfte für das gesamte Straßenbaubeitragsrecht gelten. Auch im Anschlussbeitragsrecht<br />

wird in Mecklenburg-Vorpommern nach meinem Eindruck nicht zu jeder<br />

Beitragssatzung neben Anfechtungsklagen auch immer ein Normenkontrollantrag gemäß §<br />

47 VwGO gestellt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Normenkontrollantrag auch<br />

unzulässig sein könnte, etwa wegen Ablauf der Antragsfrist von einem Jahr nach § 47 Abs. 2<br />

S. 1 VwGO, so dass die Abgabensatzung nur noch inzident im Anfechtungsprozess gegen<br />

den Heranziehungsbescheid zur Überprüfung gestellt werden kann.<br />

Es ist ein unbestreitbarer Vorzug der Entscheidung im Verfahren gemäß § 47 VwGO, dass<br />

dort formell über den Fortbestand der Abgabensatzung mit Wirkung auch für nicht Verfahrensbeteiligte<br />

entschieden wird. Es ist aber nicht zwangsläufig, diesen Unterschied zur Anfechtungsklage<br />

beim Verwaltungsgericht, die immer nur mit Wirkung unter den Verfahrensbeteiligten<br />

ergeht, als Grund für eine eingeschränkte Regelung der gesetzlichen Ruhensanordnung<br />

zu nehmen.<br />

9. Ist es erforderlich, den kommunalen Aufgabenträgern vorzuschreiben, wie sie mit Widerspruchsverfahren<br />

umzugehen haben? Sollte dies nicht den Kommunen und<br />

Zweckverbänden vor Ort überlassen bleiben?<br />

Dies ist eine wohl eher politische Fragestellung zum Themenkreis Deregulierung/gewollter<br />

Regulierungsdichte, zu der ich keine Bewertung abgeben möchte. Insbesondere habe ich<br />

keine Kenntnis darüber, ob die betroffenen Behörden eine solche Regelung selbst als hilfreich<br />

ansehen.<br />

10. Hat sich die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern in der Praxis bewährt?<br />

Soweit die Regelungen des § 12 Abs. 3 KAG M-V angewendet worden sind, haben sie sich<br />

nach meinem Eindruck bewährt. In den Fällen, in denen sich die Verfahrensbeteiligten frühzeitig<br />

auf die Durchführung von Musterverfahren geeinigt und dies dem Gericht mitgeteilt<br />

hatten, konnten auch in einem aus meiner Sicht vertretbaren zeitlichen Rahmen Gerichtsentscheidungen<br />

in den Musterverfahren ergehen. Der Befriedungseffekt ist nach meinem Eindruck<br />

hoch.<br />

Die Regelungen werden aber nach meinem Eindruck immer noch nicht konsequent angewendet<br />

bzw. gelebt. Trotz der Geltung der Regelung seit dem Jahr 2005 ist es auch in jüngerer<br />

Zeit noch gelegentlich vorgekommen, dass dem Gericht erst im Gerichtssaal offenbart<br />

wird, dass hinter dem zu verhandelnden Verfahren noch eine Anzahl ruhender gleichgelagerter<br />

Fälle steht. Ohne die Kommunikation der Fallgestaltung an das Gericht kann dieses aber<br />

nicht effektiv auf die Musterverfahrensregelung durch Terminierung unter Berücksichtigung<br />

der Bedeutung der Sache eingehen. Es sind auch Fälle bekannt, in denen Zweckverbände<br />

trotz anhängiger Verfahren in gleichgelagerten Fällen in größerem Umfang Widersprüche<br />

bescheiden. Ich bezweifele schließlich, dass den Widerspruchsführern flächendeckend mitgeteilt<br />

wird, dass ihre Widerspruchsverfahren im Hinblick auf ein bei Gericht anhängiges Verfahren<br />

ruhen.<br />

4


11. Was halten Sie davon, dass der Aufgabenträger oder der Beitragsschuldner das Ruhen<br />

— anders als in Mecklenburg-Vorpommern — nach dem Gesetzentwurf nicht beenden<br />

kann?<br />

Ich entnehme dem Gesetzentwurf, dass der Beitragsschuldner das Ruhen gem. § 12 Abs. 1<br />

Nr. 7 Buchstabe d) Satz 4 KAG-Entwurf beenden kann. Eine entsprechende Regelung für<br />

die betroffenen Behörden halte ich nicht für erforderlich, weil der Behörde im Hinblick auf die<br />

sofortige Vollziehbarkeit der Abgabenbescheide aus der gesetzlichen Ruhensanordnung<br />

keine finanziellen Nachteile entstehen, die ihre Aufgabenwahrnehmung gefährden könnten.<br />

Auch sonstige Nachteile sind für mich nicht erkennbar. Werden in einem später erhobenen<br />

Widerspruch neue grundsätzliche Gesichtspunkte vorgetragen, kann dies entweder im anhängigen<br />

Musterverfahren eingebracht werden oder die Behörde bescheidet — nach Absprache<br />

diesen Widerspruch ebenfalls, um ein weiteres Musterverfahren zu ermöglichen.<br />

Allerdings mag es Gesichtspunkte geben, derentwegen die Behörde ein Interesse an der<br />

Entscheidung hat, etwa weil erkennbar wird, dass der Widerspruch unabhängig von der Beantwortung<br />

der Frage, derentwegen das Musterverfahren durchgeführt wird, erfolglos bleiben<br />

muss. Lässt man, wie in Mecklenburg-Vorpommern, die Möglichkeit der Beendigung des<br />

Ruhens zu, dürfte für die Entscheidung der Behörde die Vorgaben maßgeblich sein, die der<br />

Bundesfinanzhof a.a.O. formuliert hat.<br />

Wolf-Michael Ring<br />

5


Anlage 49<br />

SCHÜTTE HORSTKOTTE &PARTNER<br />

RECHT SANWÄLTE<br />

SIE' Rechtsanwälte Kröpeliner Str. 91 18055 Rostock<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Ausschuss des Inneren<br />

-Die Vorsitzende-<br />

Postfach 60 10 64<br />

14410 Potsdam<br />

BAD DOBERAN<br />

DIETER B. SCHÜTTE*<br />

RECHTSANWALT,<br />

LEHRBEAUFTRAGTER<br />

HOCHSCHULE WISMAR<br />

OLAF HÜNEMÖRDER*<br />

RECHTSANWALT<br />

BEN BUDER<br />

RECHTSANWALT<br />

ROSTOCK<br />

MICHAEL HORSTKOTTE*<br />

RECHTSANWALT, FACHANWALT<br />

FÜR VERWALTUNGSRECHT,<br />

MEDIATOR (DAA)<br />

Rostock, 17.05.2013<br />

DR. ANDREAS BEUTIN*<br />

RECHTSANWALT<br />

DR. MARTIN DIMIEFF<br />

RECHTSANWALT<br />

> BERLIN<br />

Anhörung zum Sechsten Gesetz zur Änderung des<br />

Kommunalabgabengesetzes für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

LT-DrS 5/7128<br />

MATTHIAS VEIHELMANN*<br />

RECHTSANWALT, FACHANWALT<br />

FÜR ARBEITSRECHT<br />

REINHARD A. LAU, LL.M.<br />

RECHTSANWALT<br />

IN COOPERATION:<br />

PROF. DR. STEFAN GÖBEL<br />

UNIVERSITÄT ROSTOCK<br />

SHP Rechtsa nwä lte<br />

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,<br />

für die Gelegenheit zur Stellungnahme sowie Teilnahme an der Anhörung<br />

des Innenausschusses bedanken wir uns.<br />

Gegenstand des Gesetzentwurfes ist die Einführung von Regelungen über<br />

das Ruhen von Widerspruchsverfahren im Bereich der Abgabenerhebung<br />

kommunaler Aufgabenträger. Nachfolgend teilen wir Ihnen unsere<br />

Überlegungen zu dem gesetzgeberischen Ziel sowie den hierzu gestellten<br />

Fragen mit.<br />

ROSTOCK<br />

KRÖPEL1NER STR. 91<br />

18055 ROSTOCK<br />

TEL: 0381/4930260<br />

FAX: 0381/49302620<br />

hro@sh-partner.de<br />

■ BAD DOBERAN BERLIN<br />

GOETHESTRASSE 27<br />

18209 BAD DOBERAN<br />

TEL: 038203/77690<br />

FAX: 038203/776928<br />

dbr©sh-partnende<br />

PLAUENER STR. 163- 165, HAUS G<br />

13053 BERLIN<br />

TEL: 030/24625386<br />

FAX: 030/24628082<br />

b@sh-partner.de<br />

DR. MATHIAS SCHUBERT<br />

ROSTOCK<br />

DR. ULRICH KRAUB<br />

WIRTSCHAFTSPRÜFER-<br />

STEUERBERATER<br />

LÜBECK<br />

www.sh-partner.de<br />

www.wasser-recht.de<br />

Geschäftskonten:<br />

Deutsche Bank AG Bad Doberan<br />

(BLZ 13070024 KTO 2036366)<br />

HypoVereinsbank Rostock<br />

(BLZ 20030000 KTO 19632<strong>43</strong>0)<br />

Anderkonto:<br />

Deutsche Bank AG Bad Doberan<br />

(BLZ 13070024 KTO 2059392)<br />

*Partner<br />

Rechtsform: Partnerschaft<br />

Sitz: Bad Doberan<br />

Registergericht: AG Rostock PR 54<br />

FinA Rostock<br />

St.Nr.: 079/164/12902


SCHÜTTE HORSTROTTE & PARTNER<br />

ECHT,SANWÄLTI:<br />

Zusammenfassend ist folgendes zum Gesetzentwurf zu sagen:<br />

Die Einführung von Regelungen über eine gesetzliche Anordnung des Ruhens von<br />

Widerspruchsverfahren sollte nicht ohne eine Berücksichtigung der faktischen Auswirkungen auf<br />

die Vollziehung der angegriffenen Abgabenbescheide erwogen werden, da sie hierdurch<br />

erhebliche Auswirkungen auf die Finanzausstattung der kommunalen Aufgabenträger haben<br />

können. Der Entzug der Verfahrenshoheit der Widerspruchsbehörde erweist sich als<br />

problematisch. Eine Erstreckung solcher Ruhensregelungen auf alle Abgabenarten nach dem<br />

KAG erscheint zweckwidrig und nicht erforderlich. Die Existenz einer ähnlichen Regelung in<br />

Mecklenburg-Vorpommern hat bislang nicht bzw. nicht in nennenswertem Umfang die im<br />

Gesetzentwurf benannten Regelungsziele herbeigeführt.<br />

Im Einzelnen beantworten wir die von den Ausschussmitgliedern formulierten Fragen wie folgt:<br />

1. Welche Erfahrungen gibt es mit solchen Musterverfahren aus Ihrer Kenntnis, wenn sie<br />

gesetzlich vorgeschrieben sind?<br />

In Mecklenburg-Vorpommern ist seit dem 31.03.2005 mit § 12 Abs. 3 KAG M-V eine dem<br />

hier vorliegenden Gesetzentwurf ähnliche Regelung in Kraft. Auf dieser Grundlage konnten<br />

umfangreiche Erfahrungen mit Musterverfahren gesammelt werden.<br />

Ein wesentlicher Unterschied zu der für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> vorgesehenen Regelung<br />

besteht darin, dass nach § 12 Abs. 3 Satz 7 KAG M-V neben dem Widerspruchsführer auch<br />

die abgabenberechtigte Körperschaft jederzeit die Verfahrensruhe beenden kann und beide<br />

insoweit gemeinsam „Herren des Verfahrens" bleiben.<br />

Als problematisch hat sich oftmals die Auswahl von Musterverfahren erwiesen. Dies vor<br />

allem dann, wenn die Widerspruchsführer von verschiedenen Rechtsanwälten vertreten<br />

werden. Nicht selten will jeder beteiligte Rechtsanwalt mindestens an einem Musterverfahren<br />

beteiligt sein. Gerade im Anschlussbeitragsrecht treten auch häufig verschiedene<br />

Prozessgemeinschaften im Sinne des Gesetzentwurfes auf, weshalb es wegen der oftmals sehr<br />

unterschiedlichen Zielstellungen im Ergebnis schwer fällt, die streitigen Rechtsfragen<br />

umfassend, einheitlich und verbindlich zu klären. Auch örtliche und sachliche Besonderheiten<br />

(Ortslagen mit besonders vielen Widersprüchen oder bestimmten Gruppen von<br />

Seite 2 von 12


SCHÜTTE HORSTKOTTE erPARTNER<br />

RECH TS ANWÄL T E<br />

Widerspruchsführern) sowie durchaus auch die Sachkunde der beteiligten Rechtsanwälte<br />

können für die Auswahl der Musterverfahren eine Rolle spielen. Dadurch kommt es in der<br />

Regel zu einer sehr hohen Zahl an Musterverfahren. Von „Musterverfahren" im eigentlichen<br />

Sinn kann man dann nicht mehr sprechen. In der Praxis ist daher der Abschluss individueller<br />

Musterklagevereinbarungen von wesentlicher Bedeutung.<br />

Dort, wo eine Verfahrensruhe von Gesetzes wegen eintreten soll, kommt es nicht selten vor,<br />

dass die Tatbestandsvoraussetzungen unklar sind. Denn die Regelungen setzen voraus, dass<br />

der Widerspruchsführer seinen Widerspruch auf eines der genannten Gerichtsverfahren stützt.<br />

Häufig und gerade auch dann, wenn keine anwaltliche Vertretung vorliegt oder wenn bewusst<br />

Unklarheiten provoziert werden, bereitet es den Behörden Schwierigkeiten, die Bezugnahme<br />

auf ein anhängiges Verfahren oder auf eine in einem solchen Verfahren zu klärende<br />

entscheidungserhebliche Rechtsfrage (wobei die Entscheidungserheblichkeit häufig wiederum<br />

selbst fraglich ist) dem Widerspruch zu entnehmen. Viele Widersprüche enthalten hierzu auch<br />

keine Aussage, weil den Widerspruchsführern solche Verfahren unbekannt sind. Im Ergebnis<br />

hat die Widerspruchsbehörde trotz der gesetzlichen Regelung jeden einzelnen Fall zu prüfen<br />

und den Widerspruch hinsichtlich der Ruhensvoraussetzungen auszulegen, so dass bereits<br />

hierdurch ein nicht unerheblicher Verwaltungsaufwand entsteht.<br />

Es hat sich ferner gezeigt, dass nicht alle Widerspruchsführer, auch nicht alle, die an einer<br />

Prozessgemeinschaft im Sinne des Gesetzentwurfes beteiligt sind, mit einer passiven Rolle<br />

einverstanden sind. Hierdurch kommt es nicht selten zu einer „Zerfaserung" der Verfahren.<br />

Auch dadurch steigt der Verwaltungsaufwand.<br />

Als sehr problematisch erweist es sich, wenn ein Musterverfahren anders als durch ein<br />

klageabweisendes oder -stattgebendes Urteil beendet wird. Die Übertragung von Regelungen<br />

eines verfahrensbeendenden Vergleichs stößt regelmäßig nicht auf ungeteilte Zustimmung;<br />

häufig lassen sich solche Regelungen auch gar nicht übertragen. Ferner kann die Klagepartei<br />

des Musterverfahrens ihr Interesse am Verfahren verlieren und eine Klagerücknahme erklären<br />

(etwa bei Grundstücksverkauf, Umzug, im Erbfall etc.). Derartige Situationen führen in aller<br />

Regel nicht zu einer Befriedung. Zudem sehen sich die Widerspruchsbehörden dann<br />

unvorhergesehen einer Vielzahl gleichzeitig wieder aufzunehmender Verwaltungsverfahren<br />

ausgesetzt, die unter dem Druck von Untätigkeitsklagen nach § 75 VwGO in einem engen<br />

Zeitfenster zu bearbeiten sind.<br />

Schließlich ist zu beachten, dass die verwaltungsgerichtlichen Verfahrensdauern nicht<br />

unerheblich sind. Ein Zeitrahmen von drei bis fünf Jahren für die erste Instanz ist nicht<br />

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SCHÜTTE HORSTKOTTE & PARTNER<br />

ItY,CHTS ANWÄLTE<br />

unüblich. Schließt sich noch ein Berufungsverfahren an, kommen in der Regel mindestens<br />

zwei weitere Jahre hinzu. Während dieses Zeitraumes verlieren manche Widerspruchsführer<br />

deren Verfahren ruhen das Interesse an der gerichtlichen Klärung.<br />

Nach alledem ist zusammenfassend festzustellen, dass nach unserer Erfahrung unabhängig<br />

von den gesetzlichen Voraussetzungen gerade in den Fällen, die der Gesetzgeber vor Augen<br />

hatte, individuelle Musterklagevereinbarungen geschlossen wurden. In der Regel besteht auch<br />

bei den Rechtsanwälten der Widerspruchsführer ein solches Interesse, weil gerade dann,<br />

wenn eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle vertreten wird, auch sie Überschaubarkeit,<br />

Verlässlichkeit und Arbeitserleichterung anstreben. Eine solche Verfahrensgestaltung liegt<br />

indes auch ohne gesetzliche Regelung zur Verfahrensruhe nahe bzw. wurde so auch schon<br />

häufig vor Inkrafttreten des neuen § 12 Abs. 3 KAG M-V praktiziert.<br />

2. Welche Wasser- und Abwasserverbände in <strong>Brandenburg</strong> führen bereits jetzt<br />

Musterverfahren durch und welche nicht?<br />

Da wir im Rahmen unserer Mandatsverhältnisse zur Verschwiegenheit verpflichtet sind,<br />

können wir hierzu keine Auskunft geben.<br />

3. Lassen sich durch das Musterverfahren Kosten bei den Bürgern als Kläger sowie in der<br />

Verwaltung/bei den Wasser- und Abwasserverbänden als Beklagte einsparen?<br />

Die Beantwortung dieser Frage hängt entscheidend davon ab, welchen Ausgang das<br />

Musterverfahren gefunden hat.<br />

Wird die Abgabenerhebung in einem Musterverfahren für rechtmäßig erachtet, kann es zu<br />

einer — theoretischen — Kosteneinsparung kommen, wenn die Widerspruchsführer der<br />

ruhenden Verfahren nach Wiederaufnahme und Abschluss des Widerspruchsverfahrens von<br />

einer eigenen Klageerhebung absehen. Denn dann fallen für diese Widerspruchsführer<br />

zumindest keine Kosten aus einem Gerichtsverfahren an. Soweit ein Rechtsanwalt im<br />

Widerspruchsverfahren für die Widerspruchsführer tätig war, ist aber jeweils eine volle<br />

Geschäftsgebühr nach § 2 Abs. 2 RVG iVm. VV 2301 durch die Widerspruchsführer zu<br />

tragen. Der kommunale Aufgabenträger würde weder die Kosten des Widerspruchs- noch des<br />

Gerichtsverfahrens tragen.<br />

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SCHOTTE HO RSTKOTTE- & PARTNER<br />

R R C li TS AN W ÄlrT<br />

Wird die Abgabenerhebung in einem Musterverfahren hingegen für rechtswidrig erachtet, ist<br />

danach zu differenzieren, wie der kommunale Aufgabenträger hierauf reagiert.<br />

Nimmt er die Entscheidung zunächst hin, werden Abhilfebescheide erlassen, so dass die<br />

Kosten des gerichtlichen Musterverfahrens und der ruhenden Widerspruchsverfahren<br />

(einschließlich der Rechtsanwaltskosten der Widerspruchsführer nach dem RVG) vom<br />

kommunalen Aufgabenträger zu tragen sind. Zu einer Kosteneinsparung seitens der<br />

Widerspruchsführer kommt es also nicht, da diese genau so gestellt werden, wie sie stünden,<br />

wenn sie selbst das Klageverfahren betrieben hätten. Lediglich beim kommunalen<br />

Aufgabenträger kann es zu einer Kosteneinsparung kommen, da Kosten aus einem<br />

gerichtlichen Verfahren nur in dem Musterverfahren angefallen sind. Diese Einsparung fällt<br />

hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten allerdings etwas geringer aus, da in einem<br />

Klageverfahren nach § 2 Abs. 2 RVG iVm. VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 eine Anrechnung der<br />

im Widerspruchsverfahren angefallenen Geschäftsgebühr auf die im Gerichtsverfahren<br />

anfallende Verfahrensgebühr vorzunehmen ist.<br />

Entschließt sich der kommunale Aufgabenträger hingegen, die vom Gericht monierten<br />

(Satzungs- oder Kalkulations-) Fehler schnell zu heilen, wird er anschließend in den bislang<br />

ruhenden Verfahren Widerspruchsbescheide erlassen, mit denen die Widersprüche<br />

zurückgewiesen werden. Das ist auch praktisch möglich, da die Verfahrensruhe mit der<br />

Rechtskraft der Entscheidung über das Musterverfahren enden würde und anschließend die<br />

Dreimonatsfrist gemäß § 75 Satz 3 VwGO für die Entscheidung über den Widerspruch zu<br />

laufen beginnt. In dieser Situation könnte es also grundsätzlich nur zu einer — theoretischen —<br />

Kosteneinsparung seitens der Widerspruchsführer hinsichtlich der Kosten aus einem<br />

Gerichtsverfahren kommen, wenn diese anschließend von einer eigenen Klageerhebung<br />

absehen. Dann käme es auch beim kommunalen Aufgabenträger zu einer Kosteneinsparung,<br />

da Kosten aus einem gerichtlichen Verfahren nur im Musterverfahren angefallen wären.<br />

Kommt es hingegen zu anschließenden Klageverfahren, sind Kosteneinsparungen durch das<br />

Musterverfahren jeweils nicht eingetreten.<br />

4. Kann die Einführung des Musterverfahrens zu weniger Arbeitsaufwand in der<br />

Verwaltung und bei den Gerichten führen?<br />

Unsere Erfahrungen mit der entsprechenden Regelung in Mecklenburg-Vorpommern lassen<br />

eine wesentliche Reduzierung von gerichtlichen Verfahren nicht erkennen. Oftmals werden<br />

selbst dann die zuvor ruhenden Widerspruchsverfahren fortgesetzt bzw. gerichtliche<br />

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SCHÜTTE HORSTKOTTE & PARTNER<br />

REC HTS WÄLTE<br />

Verfahren eingeleitet, wenn ein Musterverfahren zugunsten des kommunalen<br />

Aufgabenträgers ausgegangen ist. Dies scheint darin begründet zu liegen, dass insbesondere<br />

die Eigentümer von sog. altangeschlossenen Grundstücken eine Beitragserhebung<br />

grundsätzlich ablehnen und nicht lediglich die rechtskonforme Anwendung einer<br />

rechtswirksamen Beitragskalkulation und -satzung sicherstellen wollen.<br />

Von besonderer Bedeutung ist, dass das Ruhen der Widerspruchsverfahren noch nicht die<br />

Zahlungspflicht der Abgabenschuldner berührt. Denn gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO haben<br />

Widersprüche gegen Abgabenbescheide keine aufschiebende Wirkung. Diese wird auch nicht<br />

durch eine Verfahrensruhe herbeigeführt. Folglich entbrennen oftmals trotz des Ruhens der<br />

Widerspruchsverfahren Streitigkeiten über die Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung<br />

nach § 80 Abs. 4 VwGO. Damit sind regelmäßig doch in einer Vielzahl an Einzelfällen<br />

weitere Entscheidungen durch die Behörde zu treffen.<br />

Zudem führt die vorgenannte Situation in der Regel dazu, dass zahlreiche Anträge nach § 80<br />

Abs. 5 VwG() auf gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt werden,<br />

wenn nicht der kommunale Aufgabenträger in allen Fällen der Verfahrensruhe von sich aus<br />

die Vollziehung aussetzt. Denn die Widerspruchsführer haben oftmals kein Verständnis dafür,<br />

dass trotz ruhender Widerspruchsverfahren die Fälligkeit satzungsgemäß eintritt (idR. sehr<br />

zeitnah). Dann kommt es eher zu einer stärkeren Belastung der Verwaltungsgerichte. Setzt<br />

der kommunale Aufgabenträger hingegen die Vollziehung jeweils aus, was aber schon aus<br />

rechtlichen Gründen sehr fragwürdig wäre, muss er Vorkehrungen für einen umfassenden und<br />

ggf. über viele Jahre hinweg eintretenden Einnahmeausfall treffen.<br />

Ferner führen individuelle Abweichungen zu einem erheblichen Zusatzaufwand bei den<br />

Behörden. Neben der Zuordnung aller Verfahren zu bestimmten Musterverfahren bzw. zu<br />

bestimmten Prozessgemeinschaften im Sinne des Gesetzentwurfes ist jeweils einzeln zu<br />

prüfen, ob über die verallgemeinerungsfähigen Gesichtspunkte hinaus weitere, individuelle<br />

Einwände vorgebracht wurden. Es bedarf daher gleichzeitig einer weiteren Differenzierung<br />

zwischen der inhaltlichen Reichweite der Einwände. In der Praxis ist also parallel ein höherer<br />

Verwaltungsaufwand zu bewältigen, als wenn nur nach der „klassischen" Arbeitsweise der<br />

Bearbeitung streng nach Eingang bzw. ortsweise vorgegangen würde oder aber individuelle<br />

Musterklagevereinbarungen geschlossen werden, in denen auch eine abschließende Einigung<br />

hinsichtlich der inhaltlichen Bindungswirkung und Bezugnahmen herbeigeführt wird.<br />

Schließlich ist zu beachten, dass der Eintritt der Verfahrensruhe nicht dazu führt, dass von<br />

den Widerspruchsführern keine zulässigen Untätigkeitsklagen nach § 75 VwG() erhoben<br />

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SCHÜTTE HORSTROTTE ST _PARTNER<br />

RECHTSANWÄLTE<br />

werden können. Denn eine solche Klageerhebung wird als eine Beendigung der<br />

Verfahrensruhe seitens des Widerspruchsführers angesehen (vgl. OVG Mecklenburg-<br />

Vorpommern, Urt. v. 10.10.2012, Az. 1 L 27/09, juris-Rn. 57). Folglich kann die<br />

Verfahrensruhe nicht garantieren, dass es in den ruhenden Verfahren nicht schon während<br />

eines laufenden Musterverfahrens zu weiteren Klageverfahren kommt. Eine Reduzierung des<br />

behördlichen und gerichtlichen Aufwands ist somit nicht sicher zu gewährleisten.<br />

5. Welche weiteren Vorteile bringt die Einführung des Musterverfahrens im KAG mit<br />

sich?<br />

Durch die gesetzliche Anordnung der Verfahrensruhe nach dem vorliegenden Gesetzentwurf<br />

hätten die kommunalen Aufgabenträger keine Möglichkeit, ihre Widerspruchsverfahren<br />

anders zu gestalten. Demzufolge könnten sie auf eine gleiche, gesetzlich vorgegebene<br />

Verfahrensweise verweisen. Die dadurch erhoffte Verbesserung der allgemeinen Akzeptanz<br />

dürfte indes nicht eintreten. Denn die oftmals mangelnde Akzeptanz der mit der<br />

Aufgabenerfüllung korrespondierenden Abgabenerhebung liegt in aller Regel nicht in den<br />

Handlungsformen oder Verfahrensweisen der abgabenerhebenden Behörde begründet,<br />

sondern vielmehr in der verbreiteten Ablehnung bestimmter Abgabenansprüche an sich.<br />

Zum Teil sind die Verwaltungsgerichte bereit, ausgewählte Musterverfahren vorrangig zu<br />

entscheiden. Dann kommt es in einem kürzeren zeitlichen Rahmen zur gerichtlichen Klärung.<br />

Hierauf besteht jedoch kein Anspruch und manche Gerichte gehen bei der Bearbeitung der<br />

Verfahren auch streng historisch vor. Ist ein Normenkontrollverfahren anhängig, gehen die<br />

Verwaltungsgerichte nach unserer Erfahrung in der Regel in eine „Wartestellung" über und<br />

terminieren jedenfalls dann, wenn es auf die Wirksamkeit der Satzung und nicht auf die<br />

Zulässigkeit der Klagen ankommt, erst nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts.<br />

6. Welche rechtlichen und tatsächlichen Probleme bringt die Einführung des<br />

Musterverfahrens im KAG mit sich? Wie lassen sich diese Probleme lösen?<br />

Divergierende Gerichtsentscheidungen im Instanzenzug bzw. Änderungen der<br />

Rechtsprechung bei später eingeleiteten Klageverfahren oder nach einem Wechsel in der<br />

Besetzung des zuständigen Spruchkörpers sind durch die Regelungen des Gesetzentwurfes<br />

nicht auszuschließen. Die Stattgabe oder Zurückweisung einer Anfechtungsklage durch die<br />

Verwaltungsgerichte ist stets nur zwischen den Prozessparteien verbindlich. Eine<br />

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SCHÜTTE HORSTKOTTE Sr PARTNER<br />

RECHTSANWÄLTE<br />

allgemeinverbindliche Rechtslage wird dadurch nicht geschaffen. Dies ist auch bei einer sog.<br />

abstrakten Normenkontrolle nach § 47 VwGO der Fall, wenn der Antrag zurückgewiesen<br />

wird. Lediglich dann, wenn eine abstrakte Normenkontrolle dazu führt, dass das<br />

Oberverwaltungsgericht die Abgabensatzung für unwirksam erklärt, liegt nach § 47 Abs. 5<br />

Satz 2 VwGO eine allgemeinverbindliche Entscheidung vor. Demzufolge kann es stets dazu<br />

kommen, dass weitere gerichtliche Entscheidungen nach Abschluss des Musterverfahrens zu<br />

einem anderen Ergebnis kommen. Dieses Problem lässt sich grundsätzlich nicht lösen, da der<br />

<strong>Land</strong>esgesetzgeber keine Kompetenz zur Änderung der Bestimmungen der VwGO hat und<br />

hinsichtlich der Bindungswirkung auch verfassungsrechtliche Grenzen bestünden. Mit<br />

individuell abgeschlossenen Vereinbarungen über die Folgen des Musterverfahrens lassen<br />

sich hingegen — zumindest für die Parteien der Vereinbarungen — verbindliche Rechtsfolgen<br />

mit dem Ziel der Vereinheitlichung erreichen.<br />

Wann die Voraussetzungen erfüllt sind, dass sich ein Widerspruch auf ein anderes<br />

Gerichtsverfahren zur Abgabensatzung „stützt" bzw. dass eine<br />

„entscheidungserhebliche" Rechtsfrage in einem anderen Gerichtsverfahren anhängig ist,<br />

lässt sich nicht stets mit abschließender Sicherheit sagen. Hier besteht die Gefahr, dass die<br />

Widerspruchsbehörden einen solchen Zusammenhang nicht sehen und folglich — in<br />

unzulässiger Weise — einen isoliert anfechtbaren Widerspruchsbescheid erlassen. Eine weitere<br />

Präzisierung der entsprechenden Regelungen im Gesetzentwurf dürfte ohne ausufernde<br />

Formulierungen jedoch unmöglich sein, sie bleibt folglich der Rechtsprechung vorbehalten.<br />

Ferner ist zu beachten, dass der Ablauf der Zahlungsverjährung nach §§ 12 Abs. 1 Nr. 5 lit. a)<br />

KAG, 228 ff. AO nicht durch den Eintritt einer Verfahrensruhe gehemmt oder unterbrochen<br />

wird. Ohne eine ausdrückliche Aussetzung der Vollziehung würde ein bloßes Absehen von<br />

der Vollziehung somit die Durchsetzbarkeit des Abgabenanspruchs gefährden. Unabhängig<br />

von der Frage des Ruhens des Widerspruchsverfahrens muss der kommunale Aufgabenträger<br />

folglich in jedem Einzelfall die Frage der Vollziehung oder deren Aussetzung prüfen und<br />

entsprechend umsetzen.<br />

Indem den kommunalen Aufgabenträgern keine Möglichkeit zur Beendigung der<br />

Verfahrensruhe eingeräumt wird, wird diesen die Hoheit über ihr eigenes<br />

Widerspruchsverfahren entzogen. Dies erscheint vor dem Hintergrund des<br />

verfassungsrechtlichen Schutzes der kommunalen Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG<br />

jedenfalls als problematisch. Wie bereits aufgezeigt, besteht aus ganz unterschiedlichen<br />

sachlichen Gründen ein Bedarf der kommunalen Aufgabenträger, die Verwaltungsverfahren<br />

gestalten zu können. Die Aufgabenträger wären in ganz erheblicher Weise in ihrer<br />

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SCHÜTTE HORSTKOTTE St- PARTNER<br />

RECHTS ANWÄLTE<br />

Gestaltungsfreiheit eingeschränkt, wenn ohne Rücksicht auf die konkreten Umstände<br />

umfangreiche Verfahrensruhen gesetzlich angeordnet würden. Daher sollte auch ihnen wie in<br />

Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit eingeräumt werden, die Verfahrensruhe zu<br />

beenden. Dass eine solche Entscheidung willkürfrei getroffen werden muss, ergibt sich, wenn<br />

dem Aufgabenträger durch eine „Kann-Bestimmung" ein Ermessen eingeräumt wird, bereits<br />

aus allgemeinen verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Grundsätzen.<br />

Die im Gesetzentwurf für den Verlust der Verfahrenshoheit gesehene Rechtfertigung wegen<br />

einer gleichzeitigen Stärkung der Rechte der betroffenen Abgabenschuldner bzw. des<br />

Ausbleibens finanzieller Nachteile durch Musterverfahren ist ebenfalls nicht frei von<br />

Zweifeln. Berücksichtigt man insofern, dass das Regelungsziel des Gesetzentwurfes nur dann<br />

erreicht werden dürfte, wenn nicht nur die Widerspruchsverfahren ruhen, sondern jeweils<br />

auch die Aussetzung der Vollziehung gewährt wird, stellt sich durchaus die Frage nach<br />

finanziellen Nachteilen. Denn dann stehen die kommunalen Aufgabenträger vor der<br />

Herausforderung, teilweise erhebliche Einnahmeausfälle über längere Zeit hinweg anders zu<br />

refinanzieren. Wie und ob die daraus resultierenden zusätzlichen Kosten (idR.<br />

Darlehenszinsen) selbst refinanziert werden können, ist rechtlich umstritten. Ob die<br />

Aussetzung der Vollziehung allgemein gewährt werden dürfte, ist überdies sehr fraglich.<br />

Davon abgesehen, dass die sofortige Vollziehbarkeit finanzielle Nachteile durch<br />

Fremdfinanzierung vermeiden soll, begründet die bloße Existenz von Musterverfahren allein<br />

noch keine erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides im Sinne des<br />

§ 80 Abs. 4 VwGO. Mangels Normverwerfungskompetenz und nach den haushaltsrechtlichen<br />

Bestimmungen sind die kommunalen Aufgabenträger zudem gehalten, ihr Satzungsrecht auch<br />

umzusetzen bzw. ihre Abgabenansprüche effektiv zu realisieren. Unabhängig davon<br />

rechtfertigt eine Stärkung der Rechte Dritter — selbst wenn sie dem Leitbild einer geordneten<br />

Verwaltungspraxis entspricht — nicht im Umkehrschluss die Einschränkung grundgesetzlich<br />

geschützten Rechte betroffener Aufgabenträger. Eine Lösung dieser Problemlage ist nur<br />

durch eine Ergänzung des Gesetzentwurfes um die Möglichkeit zur Beendigung der<br />

Verfahrensruhe auch seitens der Widerspruchsbehörde denkbar.<br />

Besonders problematisch würde eine gesetzlich angeordnete Verfahrensruhe ohne<br />

Beendigungsmöglichkeit durch die Widerspruchsbehörde im Bereich der Gebührenerhebung<br />

sein. Danach könnte bereits ein einziges Klageverfahren ausreichen, dass alle<br />

Widerspruchsverfahren zu Gebührenbescheiden zum Ruhen kommen. Würde dann, um dem<br />

Entlastungsgedanken des Gesetzentwurfes effektiv Rechnung zu tragen, gleichzeitig die<br />

Aussetzung der Vollziehung angeordnet werden, wäre eine Gebührenerhebung kaum noch<br />

möglich. Im Ergebnis könnte es zu einem umfassenden Einbruch bei der Refinanzierung der<br />

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scnürTE HORSTKOTTE &- PARTNER<br />

RECHTS ANWÄLTE<br />

laufenden Kosten des Betriebs der jeweiligen öffentlichen Einrichtung kommen. Dass dies<br />

durch Aufnahme von Darlehen auffangbar wäre, erscheint zumindest fraglich. Zu lösen wäre<br />

diese Problemlage, indem die Vorschriften über die Verfahrensruhe auf Beitragsansprüche<br />

beschränkt werden.<br />

Die Effizienz von Musterverfahren steht und fällt mit dem begleitenden Abschluss von<br />

Verfahrensvereinbarungen. Nur damit kann für einige Fälle eine verbindliche Regelung zur<br />

entsprechenden Beendigung der ruhenden Verfahren getroffen werden. Der Gesetzentwurf<br />

fordert solche Vereinbarungen mit einer „Soll"-Regelung. Mehr kann — bei Beachtung der<br />

verfassungsrechtlich geschützten Vertragsfreiheit — nicht wirksam gesetzlich angeordnet<br />

werden. Gleichwohl könnte die Wahrscheinlichkeit für eine große Zahl an<br />

Verfahrensvereinbarungen erhöht werden, wenn mit einem begleitenden Erlass ein<br />

ausgewogenes und umfassendes Muster für eine entsprechende Vereinbarung veröffentlicht<br />

würde. Denn damit wäre der Einigungsdruck höher und die Möglichkeit zur jeweils<br />

individuellen Verhandlung über Detailfragen eingeschränkt.<br />

7. Welche weiteren Voraussetzungen sollen bei der pflichtigen Einführung von<br />

Musterverfahren beachtet werden?<br />

Aus den bereits genannten Gründen sollte es zumindest die Möglichkeit geben, dass auch die<br />

Widerspruchsbehörde das Ruhen des Verfahrens beenden kann.<br />

Ferner sollte der Gesetzgeber die finanziellen Folgen der mit einer Verfahrensruhe faktisch<br />

bei den Abgabenschuldnern geweckten Erwartung zur Gewährung der Aussetzung der<br />

Vollziehung berücksichtigen. Eine Enttäuschung dieser Erwartung könnte den vom<br />

Gesetzgeber unter anderem beabsichtigten Zweck, „Ruhe" in eine Vielzahl von Verfahren zu<br />

bringen, in sein Gegenteil verkehren. Die daraus resultierenden finanziellen Risiken sollten<br />

nicht allein zu Lasten der kommunalen Aufgabenträger gehen.<br />

Um nicht das Risiko eines völligen Einnahmeausfalls herbeizuführen, sollten die Regelungen<br />

des Gesetzentwurfes allenfalls auf die Beitragsansprüche nach § 8 Abs. 1 KAG beschränkt<br />

werden. Weiter sollte diese Beschränkung unter Ausklammerung von Straßenbaubeiträgen<br />

nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KAG erwogen werden, da die Erhebung von Straßenbaubeiträgen<br />

üblicherweise nur hinsichtlich individueller Einzelfragen streitanfällig ist.<br />

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SCHÜTTE HORSTROTTE ir PARTNER<br />

RECHTS AN WA 1. "CE<br />

8. Ist es sinnvoll, das Ruhen der Widerspruchsverfahren gesetzlich anzuordnen, wenn<br />

Gerichtsverfahren in gleichgelagerten Fällen anhängig sind?<br />

Geht man hier davon aus, dass als „gleichgelagerte Fälle" Situationen verstanden werden, in<br />

denen mehrere Widerspruchsführer identische Vorlagen für Ihre Widersprüche verwenden<br />

bzw. mit identischer rechtlicher Argumentation durch einen einzigen Rechtsanwalt vertreten<br />

werden, ist eine einheitliche Behandlung dieser Verfahren durchaus sinnvoll. In der Praxis<br />

wird dies in aller Regel durch den Abschluss von Verfahrensvereinbarungen gelöst. Dabei<br />

spielt es keine Rolle, ob eine gesetzliche Ruhensregelung besteht oder nicht — diese allein<br />

führt jedenfalls nicht zu den gewünschten Kosteneinsparungen. Da diese Vorgehensweise<br />

aber nur dann sinnvoll und im Ergebnis auch zielführend ist, wenn eine entsprechende<br />

Einigungsbereitschaft auf beiden Seiten vorhanden ist, ändert das Vorhandensein einer<br />

gesetzlichen Ruhensanordnung daran nichts. Demzufolge lässt sich die gesetzliche<br />

Anordnung einer Verfahrensruhe nicht allein mit dem Wunsch nach einer effizienteren<br />

Verfahrensgestaltung begründen.<br />

9. Ist es erforderlich, den kommunalen Aufgabenträgern vorzuschreiben, wie sie mit<br />

Widerspruchsverfahren umzugehen haben? Sollte dies nicht den Kommunen und<br />

Zweckverbänden vor Ort überlassen bleiben?<br />

Hierzu wurde das Wesentliche bereits unter 6. gesagt. Aus unserer Sicht birgt es nicht<br />

unwesentliche Risiken, wenn den kommunalen Aufgabenträgern jede eigenständige<br />

Möglichkeit genommen wird, die eigenen Erhebungsverfahren durch den Erlass von<br />

Widerspruchsbescheiden abzuschließen.<br />

10. Hat sich die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern in der Praxis bewährt?<br />

Wie schon unter 1. angesprochen, hat die in Mecklenburg-Vorpommern geltende Regelung<br />

des § 12 Abs. 3 KAG M-V nicht die erhofften Effekte gezeigt. Eine maßgebliche<br />

Reduzierung der Fallzahlen ist jedenfalls aus anwaltlicher Sicht nicht zu bemerken. Auch ist<br />

es in den uns bekannten Fällen im Ergebnis nicht zu einer weitreichenden Befriedung oder<br />

Akzeptanz der gerichtlichen bzw. behördlichen Entscheidungen gekommen. Die<br />

Kostenrisiken der betroffenen Abgabenschuldner konnten in aller Regel auch nicht reduziert<br />

werden, da der Ausgang der gerichtlichen Musterverfahren nicht dazu geführt hat, dass die<br />

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SCHÜTTE HORSTKOTTESrPARTNER<br />

RECHTS ANWÄLTE<br />

kommunalen Aufgabenträgem anschließend gänzlich von einer Abgabenerhebung abgesehen<br />

haben.<br />

11. Was halten Sie davon, dass der Aufgabenträger oder der Beitragsschuldner das Ruhen -<br />

anders als in Mecklenburg-Vorpommern - nach dem Gesetzentwurf nicht beenden<br />

kann.<br />

Eine solche Regelung erachten wir als höchst problematisch. Hierzu sei auf die Ausführungen<br />

unter 6. und 9. verwiesen.<br />

r. dreas Beutin<br />

htsanwalt<br />

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Anlage 20<br />

(sa<br />

EINGEGANGEN<br />

Von: Kanzlei [mailto:kanzleieballaschk.de]<br />

Gesendet: Mittwoch, 22. Mai 2013 17:16<br />

An: Herrmannsen Solveig<br />

Betreff: Anhörung zur Änderung des KAG<br />

E-rlediat:<br />

2 Z MAI 20134-36<br />

kej ('(1.Zi<br />

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oder andere Rechte geschützt sein. Falls Sie die Nachricht versehentlich erhalten haben, bitten wir Sie, diese mit einem<br />

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D 10245 Berlin - Friedrichshain,<br />

Grünberger Straße 54<br />

Telefon (+4930) 280 65 76<br />

Fax (+4930) 250 95 815<br />

e-mail kanzleieballaschk.de<br />

Dr. Wilfried Ballaschk<br />

Rechtsanwalt<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Frau Stark,<br />

für die Einladung zur Anhörung zur Änderung des brandenburgischen KAG bedanke ich mich.<br />

Leider kann ich an der Anhörung wegen anderweitiger Termine nicht teilnehmen. Da Ihr Schreiben<br />

erst kurzfristig hier eingegangen ist, kann ich leider auch Ihren Fragenkatalog nicht ausführlich<br />

beantworten.<br />

Der Gesetzesentwurf ist sehr zu begrüßen. Der ausführlichen Begründung gibt es aus meiner Sicht<br />

nichts hinzuzufügen.<br />

Ich halte die im Entwurf vorgeschlagenen Regelungen für verfassungs- und gesetzeskonform.<br />

Die vorgeschlagene Regelung dürfte aus meiner Sicht vor allem dazu beitragen, die Rechte der<br />

Bürger zu stärken. Es ist zu erwarten, dass die Akzeptanz der Satzungen bei den betroffenen Bürgern<br />

selbst dann zu erhöhen, wenn diese - was der Regelfall sein dürfte - aufgrund der Bestimmungen der<br />

Satzungen finanzielle Belastungen zu tragen haben.<br />

Tatsächlich ist es nach meiner Erfahrung so, dass die Bürger, die nur über ein geringes Einkommen<br />

und Vermögen verfügen, grollend Satzungen hinnehmen, die sie selbst für ungerecht halten, weil sie<br />

sich die Durchführung eines Verwaltungsgerichtsverfahrens nicht leisten können.<br />

Bereits im Rechtsmittelverfahren unterbleibt oft die vielfach nötige Einschaltung eines Rechtsanwalts,<br />

um Kosten zu sparen.<br />

Durch die Möglichkeit der Durchführung von Musterverfahren haben nunmehr auch solche Bürger die<br />

Möglichkeit, ihre Rechte qualifiziert wahrzunehmen, weil sie nur einen Bruchteil der Kosten aufbringen<br />

müssten, die bei der Durchführung eines einzelnen Verfahrens aufzubringen wären.<br />

Die Regelungen können aus meiner Sicht auch dazu beitragen, die kommunalen Aufgabenträger zu<br />

veranlassen, die Bürger frühzeitiger und umfangreicher in die Erarbeitung von Satzungen<br />

einzubeziehen.<br />

Zu Ihrem Fragenkatalog - ausgewählte Fragen:<br />

3. Die Kosteneinsparung bei den Bürgern liegt auf der Hand (s.o.). Mindestens für den Fall, dass die<br />

Verwaltungsgerichte die Unwirksamkeit einer Satzung feststellen, sparen auch die Verwaltungen und<br />

Zweckverbände in erheblichem Umfang Kosten. Haben z.B. 20 Bürger gegen Bescheide, die aufgrund<br />

einer Satzung ergangen sind, geklagt, und wird die Unwirksamkeit der Satzung festgestellt, müssen<br />

die Verwaltungen bzw. Zweckverbände die Kosten von 20 Gegnern (einschließlich Rechtsanwälten)<br />

und ggf. ihrer 20 eigenen Anwälte bezahlen. Wird die Unwirksamkeit im Musterverfahren festgestellt,<br />

sind die Kosten erheblich geringer.


4. Wird die Zahl der Verfahren reduziert, verringert sich der Arbeitsaufwand bei den Gerichten<br />

offensichtlich.<br />

5. s.o.<br />

8. hier verweise ich auf die zutreffende Begründung im Gesetzesentwurf.<br />

9. Meine bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die kommunalen Aufgabenträger oftmals<br />

bürgerunfreundlich agieren. Insofern halte ich die vorgeschlagene Regelung für angemessen und<br />

erforderlich.<br />

11. Auch nach dem Mecklenburgischen KAG kann der Aufgabenträger das Ruhen des Verfahrens<br />

nicht von sich aus beenden. Nach der hier vorgeschlagenen Regelung (§ 12 Abs. 1 Nr. 7 lit. d) kann<br />

der Beitragsschuldner - wie in Mecklenburg - die Fortsetzung des Verfahrens verlangen.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Dr. Ballaschk<br />

Rechtsanwalt


Anlage 24<br />

Anhörung zum<br />

Sechsten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />

für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> (KAG),<br />

Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, Drucksache 517128<br />

Donnerstag, 23. Mai 2013, 13.30 Uhr,<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Liste der Anzuhörenden - Eingeladener Teilnehmerkreis<br />

Dr. Paul-Peter Humpert<br />

<strong>Land</strong>kreistag <strong>Brandenburg</strong> e.V.<br />

Karl-Ludwig Böttcher<br />

Städte- und Gemeindebund <strong>Brandenburg</strong> e.V.<br />

Turgut Pencereci<br />

<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.<br />

Rudolf Ehrhardt<br />

<strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er Haus-,<br />

Wohnungs- und Grundeigentümervereine<br />

Dr. Wolfgang Schönfelder<br />

Verband Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer<br />

Wohnungsunternehmen e.V.<br />

Peter Ohm<br />

Verband Deutscher Grundstücksnutzer<br />

(VDGN)<br />

Heike Nicolaus<br />

Zweckverband Komplexsanierung mittlerer<br />

Süden (KMS)<br />

Michael Grubert<br />

Wasser- und Abwasserzweckverband „Der<br />

Teltow"<br />

Wolf-Michael Ring<br />

Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht<br />

Schwerin<br />

Dr. Wilfried Ballaschk<br />

Rechtsanwalt<br />

Dr. Andreas Beutin<br />

Rechtsanwälte Schütte, Horstkotte & Partner


Anlage 22,<br />

Anhörung zum<br />

Sechsten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />

für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> (KAG),<br />

Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, Drucksache 511128<br />

Donnerstag, 23. Mai 2013, 13.30 Uhr,<br />

<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />

Fragenkatalog<br />

1. Welche Erfahrungen gibt es mit solchen Musterverfahren aus Ihrer Kenntnis, wenn<br />

sie gesetzlich vorgeschrieben sind?<br />

2. Welche Wasser- und Abwasserverbände in <strong>Brandenburg</strong> führen bereits jetzt Musterverfahren<br />

durch und welche nicht?<br />

3. Lassen sich durch das Musterverfahren Kosten bei den Bürgern als Kläger sowie in<br />

der Verwaltung/bei den Wasser- und Abwasserverbänden als Beklagte einsparen?<br />

4. Kann die Einführung des Musterverfahrens zu weniger Arbeitsaufwand in der Verwaltung<br />

und bei den Gerichten führen?<br />

5. Welche weiteren Vorteile bringt die Einführung des Musterverfahrens im KAG mit<br />

sich?<br />

6. Welche rechtlichen und tatsächlichen Probleme bringt die Einführung des Musterverfahrens<br />

im KAG mit sich? Wie lassen sich diese Probleme lösen?<br />

7. Welche weiteren Voraussetzungen sollten bei der pflichtigen Einführung von Musterverfahren<br />

beachtet werden?<br />

8. Ist es sinnvoll, das Ruhen der Widerspruchsverfahren gesetzlich anzuordnen, wenn<br />

Gerichtsverfahren in gleichgelagerten Fällen anhängig sind?<br />

9. Ist es erforderlich, den kommunalen Aufgabenträgern vorzuschreiben, wie sie mit<br />

Widerspruchsverfahren umzugehen haben? Sollte dies nicht den Kommunen und<br />

Zweckverbänden vor Ort überlassen bleiben?<br />

10. Hat sich die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern in der Praxis bewährt?<br />

11. Was halten Sie davon, dass der Aufgabenträger oder der Beitragsschuldner das<br />

Ruhen - anders als in Mecklenburg-Vorpommern - nach dem Gesetzentwurf nicht<br />

beenden kann?<br />

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