5/43-2 - Landtag Brandenburg - Land Brandenburg
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<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2<br />
5. Wahlperiode<br />
Ausschuss für Inneres<br />
Protokoll - Teil 2<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich)<br />
23. Mai 2013<br />
Potsdam - Haus des <strong><strong>Land</strong>tag</strong>es<br />
9.05 Uhr bis 16.15 Uhr<br />
Vorsitz:<br />
Henryk Wichmann (CDU)<br />
Protokoll:<br />
Stenografischer Dienst/Solveig Herrmannsen<br />
Anwesende Ausschussmitglieder:<br />
stellvertretend Ludwig Burkardt (CDU)<br />
Bettina Fortunato (DIE LINKE)<br />
Hans-Peter Goetz (FDP)<br />
Björn Lakenmacher (CDU)<br />
stellvertretend Sylvia Lehmann (SPD)<br />
Stefan Ludwig (DIE LINKE)<br />
Ursula Nonnemacher (GRÜNE/B90)<br />
stellvertretend Manfred Richter (SPD)<br />
Holger Rupprecht (SPD)<br />
Dr. Hans-Jürgen Scharfenberg (DIE LINKE)<br />
Datum der Ausgabe: 19.08.2013
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 2<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Tagesordnung:<br />
Teil 1:<br />
1. Gespräch mit der Vorsitzenden des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus<br />
und Fremdenfeindlichkeit, Frau Asmus<br />
in Verbindung mit<br />
Bericht des Ministeriums des Innern zur Beobachtung des Aktionsbündnisses<br />
gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit durch den Verfassungsschutz<br />
(Bezug: Beitrag in der Sendung des rbb - <strong>Brandenburg</strong> aktuell -<br />
vom 25. Februar 2013)<br />
Teil 2:<br />
10.00 Uhr<br />
2. Formulierungshilfe des Ministeriums des Innern zur Regelung einer zeitlichen<br />
Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />
Anhörung<br />
ab 13.30 Uhr<br />
3. Sechstes Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes für das<br />
<strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> (KAG), Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, Drucksache<br />
5/7128<br />
Anhörung<br />
Teil 3:<br />
4. Aktuelles<br />
5. Berichterstattung in den Medien, dass die Entscheidungsfindung des Ministers<br />
des Innern a.D., Alwin Ziel, zum Einsatz des V-Mann „Piato“ entscheidend vom<br />
Meinungsbild des zu Rate gezogenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden,<br />
Ignatz Bubis, beeinflusst gewesen sein soll<br />
Bericht des Ministeriums des Innern
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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6. Vorgehen bzw. Nichteinschreiten der Polizei bei der Konfrontation von Weiße-<br />
Flotte-Mitarbeitern und Gegnern des Flottenneubaus im Rahmen einer Demonstration<br />
am 29. April 2013<br />
Bericht des Ministeriums des Innern<br />
7. Verschiedenes<br />
Aus der Beratung:<br />
Zu TOP 2:<br />
Formulierungshilfe des Ministeriums des Innern zur Regelung einer<br />
zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />
Anhörung<br />
(Fortsetzung der Sitzung: 10.03 Uhr)<br />
Vorsitzender:<br />
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen, damit wir<br />
unsere Arbeit im Ausschuss des Innern fortsetzen können. Wir steigen in Tagesordnungspunkt<br />
2 ein: die beantragte Anhörung zur weiteren gesetzgeberischen Bearbeitung<br />
unseres Kommunalabgabenrechts in <strong>Brandenburg</strong>. Zu dieser Expertenanhörung<br />
haben sich so viele Besucher angemeldet, dass nicht alle Gäste hier im Raum<br />
Platz gefunden haben. Diese Gäste befinden sich in Raum 127 und ich möchte sie<br />
via Ton recht herzlich begrüßen. Leider können Sie dieser Sitzung nur durch Ton,<br />
nicht durch ein Bild folgen, wofür ich mich entschuldige; im neuen <strong><strong>Land</strong>tag</strong> werden<br />
wir hoffentlich so gute technische Voraussetzungen haben, dass wir in solchen Fällen<br />
nicht nur eine Audioübertragung, sondern auch eine Videoübertragung hinbekommen.<br />
Für unsere heutige Anhörung haben die Fraktionen Experten benannt. Ich freue<br />
mich, dass Sie gekommen sind; einige von Ihnen haben einen sehr weiten Weg auf<br />
sich genommen. Ich danke Ihnen, dass Sie uns mit Ihrem Sachverstand und Expertenrat<br />
zur Verfügung stehen. Die Materie ist komplex und sehr aktuell: Durch Beschluss<br />
des Bundesverfassungsgerichts müssen sich <strong>Brandenburg</strong> und einige andere<br />
Bundesländer Gedanken über die Regelung im Kommunalabgabenrecht zur Frage<br />
der Verjährung der Beiträge machen und neue gesetzgeberische Formulierungen auf<br />
den Weg bringen.
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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Für die heutige Anhörung liegt uns - wie wir es in der letzten Sitzung des Innenausschusses<br />
verabredet haben - ein entsprechender Formulierungsvorschlag des Ministeriums<br />
des Innern vom 25. April 2013 vor, der durch einen zweiten Vorschlag vom<br />
8. Mai 2013 überarbeitet und ergänzt wurde, der uns ebenfalls vorliegt und eine etwas<br />
andere Formulierung für die Frage der Verjährung vorschlägt. Die Experten hatten<br />
nicht viel, aber hoffentlich genug Zeit, sich mit beiden Vorschlägen so intensiv<br />
auseinanderzusetzen, dass sie uns heute profunde Erkenntnisse und Überlegungen<br />
mit auf den Weg geben können.<br />
Die CDU-Fraktion hat Herrn Ludwig Burkardt als Vertreter nach § 79 Absatz 1 Geschäftsordnung<br />
des <strong><strong>Land</strong>tag</strong>es (GOLT) benannt. Er nimmt an beiden Tagesordnungspunkten<br />
zum Kommunalabgabengesetz (KAG) an der Sitzung des Innenausschusses<br />
teil.<br />
Weiterhin darf ich den Städte- und Gemeindebund - vertreten durch Herrn Sebastian<br />
Kunze - sowie Herrn Dr. Steffen Iwers begrüßen; er folgt der Beratung für den <strong>Land</strong>kreistag.<br />
Wir haben eine Absage von Herrn Werber von der KOWAB <strong>Brandenburg</strong>-<br />
Ost bekommen. Die KOWAB <strong>Brandenburg</strong>-Ost hat angekündigt, dass Herr Haferkorn<br />
hier auch für die KOWAB <strong>Brandenburg</strong>-Ost prechen wird. Herzlichen Dank auch<br />
Ihnen dafür.<br />
Für unsere Anhörung schlage ich den Ablauf vor, den wir im Innenausschuss gewohnt<br />
sind: Wir werden bei den Anzuhörenden Blöcke bilden - der erste und dritte<br />
Block mit je vier Anzuhörenden; und ein zweiter Block mit drei Anzuhörenden. Alle<br />
Anzuhörenden tragen nacheinander vor und können sich zehn Minuten lang mündlich<br />
einbringen und dabei auch Dinge vortragen, die nicht Eingang in den schriftlichen<br />
Vortrag finden konnten. Wir haben dann jeweils 20 Minuten für einen Frageblock eingeplant.<br />
Wenn Sie mit dieser Vorgehensweise einverstanden sind, können wir so<br />
verfahren. - Ich sehe keinen Widerspruch.<br />
Ich würde in der Reihenfolge, die Ihnen in der schriftlichen Einladung mit der Liste<br />
der Anzuhörenden zugegangen ist, beginnen. Als Erster spricht Prof. Dr. Heinrich<br />
Amadeus Wolff von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Er hat dort<br />
den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht und Verfassungsgeschichte<br />
inne. - Herr Prof. Wolff, bitte.<br />
Herr Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff (Europa-Universität Viadrina Frankfurt<br />
[Oder], Lehrstuhl für Öffentliches Recht):<br />
Ich konnte Ihnen wegen meiner Arbeitsbelastung erst gestern die schriftliche Beantwortung<br />
meiner Fragen übersenden (Anlage 1). Ich würde gerne darauf hinweisen,<br />
dass ich vor ungefähr vier Wochen in einer ähnlich gelagerten, aber nicht völlig identischen<br />
Frage - der Ihnen sehr bekannten Frage der Verfassungsgemäßheit der<br />
Rückwirkung von § 8 Absatz 7 Satz 2 KAG - für eine Reihe von kommunalen Wohnbauunternehmen<br />
ein Gutachten fertiggestellt habe. Ich weiß nicht, ob Ihnen dieses<br />
Gutachten bekannt ist; meine Position beziehe ich teilweise aus diesem in Auftrag<br />
gegebenen Gutachten.
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Ich bin relativ sorgenfrei, was mein Gutachten und eine - weil man Geld bekommen<br />
hat - eventuelle Befangenheit angeht: Die tragenden Gedanken des Gutachtens wurden<br />
durch das später kommende Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt. Der<br />
Sache nach geht es um eine Fortführung des Gutachtens von Herrn Steiner und die<br />
Frage, ob der Vertrauensschutz angemessen berücksichtigt wurde.<br />
Nun zum Anlass der heutigen Anhörung, dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom März 2013. Dieses Urteil ist eine Sensation, erstens, weil es ein Beschluss ist -<br />
kein Urteil. Entscheidungen dieser Tragweite in Beschlussform zu fällen - das heißt<br />
ohne mündliche Verhandlung ein <strong>Land</strong>esgesetz aufzuheben - ist beim Bundesverfassungsgericht<br />
nicht üblich.<br />
Zweitens ist es ausgesprochen knapp und es gab keinen Widerspruch: Die Richter<br />
des Senats waren sich einig. Sie stützten sich auf einen tragenden Gedanken, alles<br />
andere war ihnen egal; das ist in dieser Form sehr selten.<br />
Drittens räumt das Urteil mit einem technischen Gesichtspunkt im Kommunalabgabengesetz<br />
auf, nämlich bei der Frage, inwieweit der Normgeber bei der Anknüpfung<br />
des Vertrauensgesichtspunktes flexibel ist. Die Entscheidung sagt ganz klar: Entscheidend<br />
für den rechtlichen Anknüpfungspunkt des Vertrauensgesichtspunktes ist<br />
der Zeitpunkt der Vorteilsgewährung. Damit meinen die Richter nicht die Fertigstellung<br />
der Anlage etc., sondern den Anschluss des Grundstücks an das Abwassersystem,<br />
also den Zeitpunkt, wo der Grundstückseigentümer ans System kommt. Sie äußern<br />
sich nicht zur Frage, ob der tatsächliche Anschluss oder die Anschlussmöglichkeit<br />
das Entscheidende ist - das wäre für sie Kleinkrämerei. Aber es ist ganz klar: Das<br />
ist in den Augen des Bundesverfassungsgerichts der entscheidende Zeitpunkt.<br />
Das ist übrigens auch der entscheidende Gesichtspunkt meines eigenen Gutachtens<br />
- wenn Sie es nachlesen wollen, es ist 120 Seiten dick. Der Gedanke ist einfach: Bei<br />
der Abgabenpflicht ersetzen Sie den Zeitpunkt des normalen Vertragsschlusses für<br />
eine vertraglich begründete Abwasserschuld durch Hoheitsgewalt - also Gewalt, die<br />
den anderen auch gegen seinen Willen rechtlich verpflichten und diese Pflicht notfalls<br />
mit Gewalt durchsetzen kann. Und dieser Zeitpunkt ist der des Anschlusses; deswegen<br />
muss an ihn alles geknüpft werden. Wenn Sie einen Vertrag schließen würden,<br />
geschähe das, wenn Sie mit Ihrem Grundstück an die Abwasserversorgung kommen;<br />
nicht 20 Jahre später. Deswegen müssen die Rechtsverhältnisse zu diesem Zeitpunkt<br />
klar sein. Man kann das vielleicht durch ein Gesetz strecken etc., aber all das ist begründungsbedürftig.<br />
Der tragende Gesichtspunkt aller anders lautenden Entscheidungen und wissenschaftlichen<br />
Äußerungen ist immer, der Vertrauensschutz könne gestreckt werden,<br />
weil der Betroffene, der am Abwassersystem angeschlossen sei, wisse, dass er einen<br />
Vorteil bekomme und deswegen damit rechnen müsse, dass er dafür bezahlen könne;<br />
es sei nicht schlimm, wenn das zum Zeitpunkt des Anschlusses nicht ganz klar<br />
sei.
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Das ist in dieser Form nicht richtig, denn der Betroffene zahlt die ganze Zeit Gebühren,<br />
kennt aber die Kalkulation dieser Gebühren nicht so, wie es sein müsste: Er kann<br />
sich nicht sicher sein, ob der Herstellungsbeitrag eingerechnet wurde oder nicht. Die<br />
Situation würde sich vollkommen anders darstellen, wenn man - wie im Straßenbeitragsrecht<br />
- sicher wüsste, dass man einen Beitrag zahlen muss; das wissen Sie aber<br />
bei der Abwasserbeseitigungsanlage nicht. Sie wissen nicht, ob der Verband die Herstellungskosten<br />
vollständig in die Gebühr eingerechnet hat oder ob es einen getrennten<br />
Beitrag gibt. Natürlich könnte es sein, dass sich der Zweckverband irgendwann<br />
einmal dazu geäußert hat, aber die Umstände können sich ändern, der Erschließungsbeitrag<br />
gleich bleiben.<br />
Die Kalkulationsgrundlagen sind für den Betroffenen völlig verdeckt; er weiß in der<br />
Regel nicht, ob und wie weit er - speziell für die Herstellung der Anlage - zahlen<br />
muss. Er weiß, dass er zahlen muss - er zahlt aber auch; und das darf nicht ausgeblendet<br />
werden! Ich kenne kein Urteil und keine wissenschaftliche Äußerung, die<br />
wirklich fair mit dem Umstand umgeht, dass in der Abwasserbeseitigung ein Wahlrecht<br />
zwischen Beitrag und Gebühr hinzukommt. Wenn Sie dieses Wahlrecht mit hineinnehmen,<br />
sieht der Vertrauensschutz völlig anders aus.<br />
Die Angelegenheit ist bisher nicht besonders glücklich verlaufen: <strong>Brandenburg</strong> hat<br />
mehrfach getrickst. Erstens gab es im Jahr 2000 eine Entscheidung des <strong>Brandenburg</strong>er<br />
Oberverwaltungsgericht (OVG) Frankfurt (Oder) - das ist meine Universitätsstadt;<br />
alles, was von dort kommt, ist einfach mit einem Gütesiegel versehen. Die Entscheidung<br />
war kritisierbar - das ist keine Frage -, aber sie war gut vertretbar und entsprach<br />
der Entscheidung des OVG Münster, auf die auch das Bundesverfassungsgericht<br />
ausdrücklich verweist; das ist eine verfassungsgemäße Ausformung. Auf die gleiche<br />
Entscheidung hat sich auch das OVG Frankfurt (Oder) bezogen, als es den Vertrauensgesichtspunkt<br />
nicht berücksichtigt sah. Es ist ganz klar eine der Varianten, die das<br />
Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als möglichen Weg bezeichnet. Diese Entscheidung<br />
heben Sie durch den Gesetzgeber auf - na schön, darüber kann man<br />
streiten.<br />
Jetzt orientieren Sie sich bei Ihrer Verjährungsfrist der Sache nach an 30 Jahren und<br />
sagen: Solange ich unter 30 Jahren bin, ist alles gut. - Diese 30 Jahre finden keinen<br />
Anhaltspunkt in der verfassungsgerichtlichen Entscheidung, weder in dem, was Sie<br />
sagen, noch in der Ratio. Die dreißigjährige Verjährungsfrist ist in unserer Rechtsordnung<br />
die Ausnahme; sie kommt bei titulierten Ansprüchen, bei vollständig klaren Verhältnissen<br />
vor: Wenn der andere einen Titel hat, hat er 30 Jahre Zeit, gegen mich<br />
vorzugehen. Man vergleicht aber Äpfel mit Birnen, wenn man hier analog eine dreißigjährige<br />
Verjährungsfrist möchte, obwohl nicht klar ist, ob überhaupt eine Schuld<br />
vorliegt.<br />
Das Bundesverfassungsgericht sagt dann auch ausdrücklich: Es dürfen nicht Jahrzehnte<br />
sein. 30 Jahre sind ja nun Jahrzehnte.<br />
Der dritte Trick, mit dem <strong>Brandenburg</strong> vorgeht, ist, dass Sie eine sehr vernünftige,<br />
sehr anschließerfreundliche generelle Regel aufnehmen, indem Sie sagen: Mit der
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Fertigstellung der Anlage läuft die Vierjahresfrist. Super! Abwasseranlagen sind fertiggestellt,<br />
wenn die letzte Straße gebaut ist, wenn der letzte Kanal gebaut ist. Das ist<br />
nie zu Ende. Das heißt, das ist ein echter Trick, das ist Augenwischerei. Das haben<br />
Sie gar nicht nötig, das ist nicht schön. – So weit. Vielen Dank.<br />
(Beifall der Zuschauer)<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank für Ihre Erläuterungen, Herr Prof. Dr. Wolff. - Ich möchte die anwesenden<br />
Gäste darauf hinweisen, dass es nicht zulässig und auch nicht üblich ist, Beifallsbekundungen<br />
zu dem, was Sie hier hören, mit auf den Weg zu geben. Wir wollen<br />
uns ja in aller Objektivität und Sachlichkeit mit diesem Thema beschäftigen. Emotionen<br />
- die ich nachvollziehen kann - haben an dieser Stelle nichts zu suchen.<br />
Ich erteile als Nächstem Herrn Prof. Dr. Mario Martini das Wort.<br />
Herr Prof. Dr. Mario Martini (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften<br />
Speyer):<br />
Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Die Heranziehung von<br />
Anschlussbeiträgen in <strong>Brandenburg</strong> scheint mir ein gordischer Knoten zu sein, der<br />
seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verschlungener denn je ist.<br />
Sie stehen als Gesetzgeber vor zwei Fragen, der Frage nach dem Ob, bedarf es<br />
überhaupt einer Änderung, und der Frage nach dem Wie, wie soll eine solche Änderung<br />
gegebenenfalls, wenn denn erforderlich, aussehen. Die Frage nach dem Ob<br />
kann man aus meiner Sicht mit einem klaren Ja beantworten. Da stimme ich auch<br />
Herrn Prof. Wolff vollkommen zu. Das Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit<br />
ist mit § 8 Absatz 7 KAG so nicht vereinbar. Der Bürger muss nicht<br />
unbegrenzt damit rechnen, für Vorteile eine entsprechende Ausgleichsleistung tragen<br />
zu müssen. Der Gesetzgeber muss das dann auch regeln (Anlage 2).<br />
Für eine solche Belastungsklarheit hat der Gerichtshof der Europäischen Union<br />
(EuGH) schon länger eine entsprechende Rechtsprechung, in der deutschen Judikatur<br />
ist das in dieser Form neu. In der Tat ist das auch ein Überraschungsfaktor, der<br />
diesem Urteil innewohnt. Überraschend ist für mich auch ein Punkt: Das Bundesverfassungsgericht<br />
geht mit keinem Wort auf die Lösungen ein, die die höchstrichterliche<br />
Rechtsprechung bislang für solche Konstellationen entwickelt hat. Bislang<br />
schließen Sie Gesetzeslücken für Verjährungsfristen im Wege der Analogie. Wenn<br />
sich keine analogiefähige Regelung findet, dann kommt die dreißigjährige Verjährungsfrist<br />
zur Anwendung. Das Bundesverwaltungsgericht sieht darin „eine zutreffende<br />
Konkretisierung der Gedanken von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden“. Dass<br />
das Bundesverfassungsgericht das nun nicht mehr ausreichen lässt, kann man auf<br />
zweierlei Weise erklären. Man könnte sagen: Vielleicht liegt darin die Aussage, die<br />
dreißigjährige Verjährungsfrist ist zu lang. Die zweite Erklärung halte ich aber für<br />
wahrscheinlicher, nämlich die Erklärung, dass eine ungeschriebene Frist dem Bundesverfassungsgericht<br />
nicht ausreicht, es braucht eine klare gesetzgeberische Konkretisierung.
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Das Bundesverfassungsgericht hat nun zur bayerischen Rechtslage entschieden.<br />
Das ist nicht unmittelbar übertragbar, die Bindungskraft dieser Entscheidung des Verfassungsgerichts<br />
erfasst nicht auch das brandenburgische Recht, die brandenburgische<br />
Parallelnorm. Die ist zwar auch verfassungswidrig, aber solange das Bundesverfassungsgericht<br />
sie nicht für verfassungswidrig erklärt hat, ist sie weiterhin gültiges<br />
Recht. Ist also eine Änderung tatsächlich erforderlich, stellt sich danach die Frage,<br />
wie die Ausgestaltung zu treffen ist, insbesondere die Frage nach der Frist.<br />
Eine ganz klare Aussage des Verfassungsgerichts finden wir in dem Urteil zu der<br />
Frage nicht. Im bayerischen Ausgangsfall lag zwischen der Vorteilslage und dem<br />
späteren Beitrag eine Frist von immerhin zwölf Jahren. Daraus kann man nun noch<br />
nicht zwingend herleiten, dass jede Frist, die länger als zwölf oder 15 Jahre ist, automatisch<br />
verfassungswidrig ist. Das Verfassungsgericht will dem Bürger eine klare<br />
Perspektive für das Fristende vermitteln.<br />
Immerhin findet sich aber auch an einer Stelle ein Zweifel, den Prof. Wolff auch<br />
schon angedeutet hat, die Aussage, die da lautet: „erst Jahrzehnte nach dem Eintritt<br />
einer beitragspflichtigen Vorteilslage“. Das Bundesverfassungsgericht spricht von<br />
Jahrzehnten. Damit kann man wohl ableiten, dass eine Unsicherheit, die sich über<br />
mehrere Dekaden erstreckt, sich zumindest in einem verfassungsrechtlichen Graubereich<br />
bewegt.<br />
Gleichwohl ist Ihnen ein erheblicher gesetzgeberischer Spielraum eingeräumt, sagt<br />
das Verfassungsgericht ausdrücklich. Für den gibt es zwei Korridorgrenzen, zwei<br />
Grenzen, die sich zum einen in dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />
und zum anderen in dem Gleichheitsgrundsatz, insbesondere dem Gedanken<br />
der Systemgerechtigkeit eines solchen Konzepts widerspiegeln.<br />
Zur Verhältnismäßigkeit: Die Länge der Frist darf nicht deutlich über das hinausgehen,<br />
was zur Zielerreichung, also insbesondere zur Herstellung von Abgabengerechtigkeit<br />
und Belastungsgleichheit geeignet, erforderlich und angemessen ist. Es muss<br />
einen zumutbaren Interessenausgleich zwischen den betroffenen Interessen geben<br />
und insbesondere auch die berechtigte Erwartung des Bürgers berücksichtigt werden,<br />
nicht noch nach Jahr und Tag mit der Festsetzung eines Beitrags rechnen zu<br />
müssen. Maßgeblich für die Zumutbarkeit dieser Frist ist dann die Auswirkung auf die<br />
Selbstbestimmung für den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug, eben Artikel 2<br />
Absatz 1 Grundgesetz. Daraus lässt sich wohl eines herleiten: Wenn die Frist länger<br />
ist als die durchschnittliche Restlebenserwartung eines Beitragspflichtigen, dann ist<br />
sie verfassungsrechtlich unzulässig. Das heißt, eine Frist, die sich in einem Zeitraum<br />
von 30 Jahren bewegt, ist in einem Grenzbereich verankert, bei dem man darüber<br />
nachdenken kann, ob das noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.<br />
Wer im Alter von 30 Jahren ein Haus gekauft hat, der hat bei einer dreißigjährigen<br />
Frist für den gesamten Rest seiner Erwerbstätigkeit mit einer Beitragsforderung zu<br />
rechnen. Das ist eine durchaus nicht unerhebliche Belastung, die sich über einen<br />
langen Zeitraum erstreckt. Bedenken muss man auch: 30 Jahre ist der Zeitraum einer<br />
Generation. Bei einem mobilen Lebenszuschnitt ist die Bewohnung eines Hauses<br />
über eine gesamte Generation hinweg heute eher die Ausnahme als die Regel.
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Das Interesse an Belastungsklarheit ist aber nur die eine Seite der Waagschale. Auf<br />
der anderen Seite liegen vor allem die Abgabengerechtigkeit und die Belastungsgleichheit<br />
in der Waagschale. Beide sind dann in der Abwägung zum Ausgleich zu<br />
bringen. Dabei sind insbesondere Faktoren der Anschlussbeiträge und ihrer Besonderheiten<br />
zu berücksichtigen, einmal die Komplexität der Sachmaterie, langfristige<br />
Investitionszeiträume, Fehleranfälligkeit von Satzungen, und schließlich auch die besondere<br />
Situation der Unsicherheit nach der deutschen Einheit und den Wendeerscheinungen.<br />
Deshalb sind in <strong>Brandenburg</strong> sehr viele Beitragsforderungen noch offen.<br />
Es ist durchaus ein erheblicher Einschnitt, eine solche Forderung nicht mehr eintreiben<br />
zu können. Vor allem muss man berücksichtigen: Bislang sind die Aufgabenträger<br />
davon ausgegangen, durften auch davon ausgehen, dass Sie die Beiträge<br />
noch durchsetzen dürfen. Eine Gerechtigkeitsschieflage zwischen Beitragszahlern<br />
könnte drohen. Insofern scheint mir der Gedanke im Ergebnis durchaus tragbar, eine<br />
Frist nicht so zu konstruieren, dass jede Form der Reaktionsmöglichkeit für Aufgabenträger<br />
genommen wird.<br />
Die Risiken und den Graubereich habe ich angedeutet. Ich halte die Regelung insofern<br />
für keinesfalls risikofrei, aber auch nicht für einen ganz unvertretbaren Interessenausgleich.<br />
Zu der Frage nach der Gleichbehandlung: Der Gesetzgeber muss, wenn er ein solches<br />
Konzept wählt, die Schuldner nicht formal gleich behandeln, aber er hat sie<br />
gleichmäßig zu behandeln. Insbesondere muss er ein gewähltes Konzept von Fristen<br />
auch systemkonform umsetzen, dieses System nicht vollkommen durchbrechen.<br />
Wenn man sich anschaut, was im brandenburgischen Abgabenrecht an Fristen existiert,<br />
stellt man fest, die Fristen sind im ganz überwiegenden Teil deutlich länger als<br />
15 bis 25 Jahre. Im Gebührengesetz sind es vier Jahre, im Abwasserabgabengesetz<br />
sind es fünf Jahre, im bundesrechtlichen Sozialrecht sind es konsequent vier Jahre.<br />
Wer Steuern hinterzieht, muss nach zehn Jahren nicht mehr mit der Steuerforderung<br />
rechnen. Dem steht die Frist von 30 Jahren typischerweise für titulierte Forderungen,<br />
bei denen ich also weiß, was mich erwartet, gegenüber. Insofern scheint sich ein<br />
nicht unerheblicher Wertungswiderspruch aufzutun, gerade im Verhältnis zu Steuerforderungen.<br />
Derjenige, der eine Straftat begeht, bleibt kürzer in einer Verantwortungshaftung<br />
als derjenige, der sich rechtmäßig verhalten hat, aber nicht in der Erwartung<br />
leben konnte, dass ihn diese Beiträge noch erreichen. Aus dem Grund hat<br />
das OVG Niedersachsen in einer allerdings recht frühen Entscheidung einmal zehn<br />
Jahre für die absolute Höchstfrist erklärt.<br />
Nun ist das OVG Niedersachsen als Rechtssprechungsorgan anders gebunden, der<br />
Gesetzgeber ist freier. Zum anderen, das muss man auch bedenken: Der Gesetzgeber<br />
ist nur an sein eigenes Fristenkonzept gebunden. Dabei sind insbesondere auch<br />
die Eigengesetzlichkeit und die Komplexität der jeweiligen Sachmaterie zu berücksichtigen.<br />
Dabei heißt es dann auch zu berücksichtigen, dass dadurch auch einmal<br />
längere Verjährungsfristen eingeräumt werden können. Eine ganz klare und willkürliche<br />
Ungleichbehandlung scheint mir insofern nicht geradewegs erkennbar, als es im<br />
brandenburgischen Abgabenrecht kein klares Fristenkonzept gibt, von dem man sa-
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gen kann: Das hat eine Konsistenz und lässt sich unmittelbar miteinander vergleichen.<br />
Insofern scheint es mir durchaus in einem Grenzbereich der Gleichheit zu sein,<br />
aber einem, von dem ich sagen würde, es ist noch keine klare Verfassungswidrigkeit,<br />
kein klarer Verstoß gegen ein erkennbares System oder eine willkürliche Ungleichbehandlung<br />
erkennbar.<br />
Aber einen sensiblen Punkt sehe ich. Das ist eine alte Wunde, die offen zutage tritt<br />
und die gerade auch diese Problematik und diese Komplikationen entwickelt hat,<br />
nämlich die Rechtslage bis zum Jahr 2004. Bis dahin hatte das brandenburgische<br />
Recht auch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts noch dem Urteil der<br />
Belastungsklarheit entsprochen, Beiträge konnten nicht mehr erhoben werden, wenn<br />
der erste Satzungsversuch länger als vier Jahre zurückgelegen hat. Dieser verfassungsgemäße<br />
Zustand ist durch die Änderung im Jahr 2004 in einen verfassungswidrigen<br />
verwandelt worden.<br />
Nun ist der Gesetzgeber heute nicht gehindert, nachträglich Festsetzungsfristen zu<br />
erweitern, insbesondere liegt darin keine echte, sondern eine unechte Rückwirkung.<br />
Bedenken muss man aber eines: Wenn die Forderung auf der Grundlage des alten<br />
Rechts nicht mehr durchsetzbar war, dann ist diese unechte Rückwirkung faktisch<br />
einer echten Rückwirkung gleich; denn für den Bürger macht es keinen Unterschied,<br />
ob im gleichen Moment, in dem die Beitragspflicht entsteht, die Verjährung eintritt<br />
oder ob die Beitragsforderung gar nicht entsteht oder ob sie schon verjährt war. Das<br />
ist ein nicht unerhebliches Risiko, das sozusagen über diesem Gesetzespaket<br />
schwebt, für Forderungen, die eigentlich so nicht mehr bestanden haben, die nicht<br />
mehr durchsetzbar gewesen wären. Wenn der Gesetzgeber dieses Vertrauen, das<br />
sich entwickelt haben darf, brechen will, braucht er dafür besondere Sachgründe. Es<br />
stellt sich die Frage, ob das jetzige Gesetz besondere Sachgründe dafür und für seine<br />
Ziele aufbieten kann.<br />
Bedenken muss man dafür: Wir haben ein Gesetz, das Belastungsklarheit herstellen<br />
soll. Diese Belastungsklarheit hat bis 2004 bestanden, und das Gesetz hebt sie jetzt<br />
wieder auf. Man kann die Frage stellen, ob das Bundesverfassungsgericht eine solche<br />
Anknüpfung an schon abgeschlossene Vorgänge mittragen wird. Das OVG<br />
<strong>Brandenburg</strong> wie das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht <strong>Brandenburg</strong> haben es getan. Aber<br />
darin zeichnet sich ein nicht unerhebliches Risiko ab. Will man das Risiko ausschließen,<br />
hieße das, die entsprechenden Beitragsfälle, die bis zu diesem Zeitpunkt schon<br />
nicht mehr durchsetzbar waren, auszunehmen.<br />
Der gordische Knoten, von dem ich gesprochen habe, lässt sich wohl nicht zerschlagen,<br />
er lässt sich nur ganz mühsam entwirren. Nach meiner Gesamteinschätzung ist<br />
das in dem Entwurf in einer verfassungsrechtlich vertretbaren, wenn auch nicht ganz<br />
risikofreien Weise geschehen, wie in den vorgetragenen Bedenken erläutert.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Martini. - Als Nächster hat Herr Ingo Zeutschel das Wort.<br />
Er ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Zeutschel & Schröder Rechtsanwälte.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 11<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Herr Ingo Zeutschel (Zeutschel & Schröder Rechtsanwälte):<br />
Werte Anwesende! Ich vertrete die Initiativgruppe „Altanschließer Nuthetal“. Das sind<br />
390 Altanschließer aus dem Bereich des Wasser- und Abwasserzweckverbandes<br />
(WAZV) „Mittelgraben“, gelegen vor den Toren Potsdams in der Gemeinde Nuthetal.<br />
Ich bedanke mich sehr für die Gelegenheit, hier die Sichtweise der Altanschließer<br />
aus Nuthetal darlegen zu dürfen (Anlage 3).<br />
Meine Vorredner kommen aus dem wissenschaftlichen Bereich. Ich bin Rechtspraktiker,<br />
ich muss den Leuten vor Ort erklären, was es mit den Bescheiden auf sich hat,<br />
die in ihren Briefkästen sind. Seit heute weiß ich, dass auch in Nuthetal Bescheide da<br />
sind. Die Leute werden mich fragen. Ich werde ihnen sagen: Erklären kann man das<br />
nicht. Ich weiß auch seit soeben, dass ich da nicht vollkommen falsch liege; denn ich<br />
habe sehr viel von Risiken und dergleichen gehört.<br />
Sollte der Regierungsentwurf die Zustimmung finden, was würde dann passieren?<br />
Ich bilde einmal einen Fall aus der Gemeinde Nuthetal. So wird es sich zutragen.<br />
Nehmen wir einen Nuthetaler Bürger. Dieser Nuthetaler Bürger bewohnt ein Hausanwesen,<br />
das 1930 errichtet wurde, er hat es von seinem Vater geerbt. Er wohnt jetzt<br />
seit vielen Jahren darin, ist, wie gesagt, Eigentümer. Er bekommt 2015 - es ist ja vorgesehen,<br />
bis 2015 soll es möglich sein - einen Bescheid, in dem steht Folgendes:<br />
Für die erstmalige Herstellung der Anlage ist ein Betrag in Höhe von - doppelt unterstrichen<br />
- 15 000 Euro zu bezahlen. Er hat die Zeitung nicht weiter verfolgt, Zeitung<br />
lesen ist nicht so sein Ding, und fragt beim Verband nach: Was ist denn hier los? Dort<br />
wird ihm erklärt: Na ja, hinsichtlich der Versorgungsleitungen Ihres Grundstücks sind<br />
Investitionen vorgenommen worden, das war 1995, auch schon wieder 20 Jahre her,<br />
und das hat schon alles seine Richtigkeit. - Ein Anwesen, das seit 85 Jahren entsorgt<br />
und versorgt wird und Investitionen, die 20 Jahre zurückliegen - ich rufe das noch<br />
einmal ins Gedächtnis.<br />
Was hat uns alle hier zusammengeführt? Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.<br />
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war eine Entscheidung,<br />
die die Rechtssicherheit, vor allem den Rechtssicherheitsbegriff in das Zentrum rückte.<br />
Ich sage das deshalb, weil eine Entscheidung des <strong>Land</strong>esverfassungsgerichts im<br />
September noch ganz anders aussah. Da hieß es: Das Fiskalinteresse müsse in jedem<br />
Fall vorgehen. Das ist nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts nicht so.<br />
Ich denke, alle Anwesenden können mit dem Begriff „Rechtssicherheit“ etwas anfangen.<br />
Ich erlaube mir dennoch, die Definition hier zu wiederholen: Rechtssicherheit ist<br />
die Klarheit und Beständigkeit staatlicher Entscheidungen sowie die Klärung von umstrittenen<br />
Rechtsfragen oder Verhältnissen in angemessener Zeit. In angemessener<br />
Zeit! Wenn ich in der Begründung des Regierungsentwurfes etwas von 30 Jahren<br />
zivilrechtlicher Verjährung lese, dann muss ich darauf hinweisen, dass § 195 Bürgerliches<br />
Gesetzbuch (BGB) die Regelverjährung regelt, und das sind drei Jahre. Weil<br />
es bei Einrichtungen und Behörden hin und wieder ein bisschen langsamer geht, gibt<br />
es im Kommunalabgabengesetz eine vierjährige allgemeine Verjährung. Der Staat ist<br />
schon ein bisschen privilegiert.
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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Dreißigjährige Verjährung gibt es eigentlich nur bei titulierten Ansprüchen, bei notariell<br />
festgelegten Ansprüchen. Das sind Ansprüche, über die wurde einmal geredet, da<br />
gibt es eigentlich keine Diskussion mehr. Nehmen wir unseren Nuthetaler Bürger, der<br />
erfährt das erste Mal 2015, wenn er nicht gerade die Zeitung und das Fernsehen verfolgt<br />
hat, dass er für ein Haus, das seit 85 Jahren entsorgt und versorgt wird, etwas<br />
bezahlen soll.<br />
Ich lese in der Begründung zum Regierungsentwurf etwas von Sondersituation deutsche<br />
Einheit und Transformation. Es wird ja gar nicht bestritten, dass die deutsche<br />
Einheit eine Sondersituation war, und es wird auch nicht bestritten, dass es einen<br />
Transformationsprozess gegeben hat. Die Frage ist doch aber, ob das Problem, mit<br />
dem wir uns hier zu befassen haben, wirklich etwas mit der deutschen Einheit und<br />
der Sondersituation und wirklich etwas mit den Transformationsprozessen zu tun hat.<br />
Es ist doch niemand daran gehindert worden, 1995 die technisch und finanziell sauber<br />
geplanten Einrichtungen in die Form einer Verbesserungsbeitragssatzung zu<br />
gießen, den Bürgern zu sagen: Das sind die Investitionen, die wir vorhaben, und das<br />
sollt ihr bezahlen. Das ging doch im Straßenausbaubeitragsrecht auch wunderbar.<br />
Warum denn hier nicht? Ich denke, hier muss etwas herhalten, was als Begründung<br />
gar nicht dienen kann.<br />
Ich lese in der Begründung zum Regierungsentwurf etwas von einer Altenpflegeumlage,<br />
da habe es ja auch einen Transformationsprozess gegeben, und daran könne<br />
man sich orientieren. Ich denke, es wird nicht allen geläufig sein, was es mit der Altenpflegeumlage<br />
in Thüringen auf sich hat. Mir war es auch nicht geläufig. Als ich<br />
nachgelesen habe, habe ich festgestellt, dass 1997 in Thüringen von Einrichtungen,<br />
die Altenpfleger ausbildeten, Umlagen verlangt worden sind, aber relativ zeitnah und<br />
nicht 20 Jahre später für etwas, was lange zurücklag. Ich denke, so etwas kann nicht<br />
zur Begründung eines Gesetzes herangezogen werden, insbesondere dann nicht,<br />
wenn hier von meinen Vorrednern schon Risiken genannt worden sind, die in der<br />
Begründungssituation des Gesetzes liegen.<br />
Leider liest sich die Begründung zum Regierungsentwurf wie der Aufruf zu einer maximalen<br />
Beitragserhebung. Ist das denn wirklich der Anspruch, der aus dem Urteil<br />
des Bundesverfassungsgerichts herauszulesen ist? Da ist doch die Rede von<br />
Rechtssicherheit. Warum dann maximale Beitragserhebung?<br />
Weshalb ich das sage: Ich zitiere aus der Begründung: „Die Höchstfrist für den Vorteilsausgleich<br />
durch Kommunalabgaben darf jedoch nicht so kurz sein, dass ein Anspruchsverlust<br />
wegen Überschreitens dieser Frist mehr als im Ausnahmefall zu besorgen<br />
wäre.“ - Kann das denn sein, dass der Anspruch, den sich der Gesetzgeber<br />
hier stellt, ist, über die Dörfer zu gehen und maximale Beiträge zu erheben? Rechtssicherheit<br />
steht doch im Vordergrund!<br />
Das Kommunalabgabenrecht ist mittlerweile das <strong>Land</strong> der Mythen und Legenden.<br />
Dazu haben die Verwaltungsgerichte beigetragen, deren Entscheidungen manchmal<br />
ein bisschen abgehoben klingen. Ich denke, da werden wir hier einer Meinung sein.<br />
Eine Legende ist, Altanschließer seien privilegierte Menschen, man habe ja von
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ihnen Beiträge noch nicht erhoben, die man von anderen erhoben hat. Die Altanschließer<br />
in Nuthetal, die heute einen Bescheid in ihrem Briefkasten finden, werden<br />
lesen, dass sie mit einem Beitrag in Höhe von 3,79 Euro pro Quadratmeter herangezogen<br />
werden. Eine sachverständige Arbeitsgruppe aus allen Bereichen hat zuvor<br />
ermittelt, dass der tatsächliche Aufwand, der auf die Altanschließer angefallen ist,<br />
0,47 Euro pro Quadratmeter betrug. Sie sollen also für das Achtfache dessen, was<br />
Ihr Vorteil gewesen ist, herangezogen werden.<br />
Verehrte Anwesende! 2009 wurde hier der Versuch unternommen, die Situation zu<br />
bereinigen. Man hat sich in § 8 Nummer 4a KAG für die Möglichkeit einer differenzierten<br />
Betrachtungsweise entschieden. Leider war es so, dass die Verbände davon<br />
kaum Gebrauch machten; warum, lasse ich hier einmal offen. Manche Verbände sehen<br />
sich auch ein bisschen gedrängt. Jedenfalls ist es so, dass es günstiger wäre -<br />
und das sollte noch einmal überlegt werden -, wenn diese differenzierte Berechnung<br />
grundsätzlich angewendet wird. Das wäre letztendlich genau das Ergebnis, das wir<br />
mit der Erhebung von Verbesserungsbeiträgen zeitnah in den neunziger Jahren gehabt<br />
hätten. Dann würde nämlich genau das erhoben werden, was der Vorteil der<br />
Altanschließer gewesen wäre. Ich stelle jetzt einmal die Bedenken hinsichtlich der<br />
Verjährung zurück, die für die differenzierte Berechnung genauso gelten wie in anderer<br />
Richtung.<br />
Ich habe bereits erwähnt, dass es zu Beitragserhebungen kommt, jetzt, in dem Moment,<br />
wo wir hier zusammensitzen. Ich kann nicht verstehen, dass auf so unklarer<br />
Rechtslage die Verbände gedrängt werden, Bescheide zu erlassen und tätig zu werden.<br />
Die Angelegenheit soll doch ausdiskutiert werden; deswegen sitzen wir hier zusammen.<br />
So gut wie alle Altanschließer sind bereit, den differenzierten Beitrag zu zahlen. In<br />
unserem Verband liegt die Zustimmung bei nahezu hundert Prozent. Es gibt einen<br />
Verband, der das erfolgreich gemacht hat, Nuthe-Nieplitz. Dort hat man differenziert<br />
abgerechnet. Rechtsfrieden ist hergestellt. Keiner sieht sich benachteiligt, keiner<br />
sieht sich bevorteilt.<br />
Ich werfe noch einmal das Argument in den Raum: Muss es denn unbedingt eine<br />
Obergrenze sein? Wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts liest, wird<br />
man feststellen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht allein eine Obergrenzenregelung<br />
vorgibt. Diese Diskussion hat sich jetzt ein bisschen verselbstständigt, alles<br />
diskutiert nur noch über eine Obergrenzenregelung. Das Bundesverfassungsgericht<br />
hat durchaus andere Möglichkeiten in die Hand gegeben. Auch die müssen diskutiert<br />
und überlegt und in jede Richtung abgewogen werden<br />
Wenn das Verfassungsgericht über eine Satzungssituation redete und praktisch bei<br />
Unwirksamkeit einer Satzung die Verjährungsfrist immer wieder verschoben und gesagt<br />
wird, dies dürfe nicht sein, dann kommt natürlich im Umkehrschluss auch eine<br />
Möglichkeit in Betracht, dass die in der dann geheilten Satzung vorgesehene Verjährungsfrist<br />
gelten soll. Das Fazit wäre dann aber, dass Altanschließerbeiträge nicht<br />
mehr erhoben werden dürfen.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 14<br />
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Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Zeutschel, für Ihre Ausführungen. - Wir haben zwar schon einige<br />
Wortmeldungen vorliegen, aber ich denke, wir hören erst noch den vierten Anzuhörenden<br />
dieser Runde, Herrn Sven Hornauf, an. Er ist von der Rechtsanwaltskanzlei<br />
Zarzycki & Hornauf. Danach können wir die Fragerunde einläuten. Herr Hornauf, Sie<br />
haben das Wort.<br />
Herr Sven Hornauf (Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki & Hornauf):<br />
Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich werde meine Ausführungen etwas<br />
abändern und das von meinen drei Vorrednern Gesagte ein wenig reflektieren (Anlage<br />
4). Der einzige Punkt, bei dem ich mich als Eingeborener vorbehaltlos Herrn Prof.<br />
Wolff anschließen kann, ist die Tatsache, dass alles, was aus Frankfurt kommt, besonders<br />
gut sein muss. Das ist dann aber auch schon alles an Gemeinsamkeiten.<br />
Ich möchte insbesondere seine Aussage „die Interessenlage, die die einzelnen Beteiligten<br />
an diesem Abgabenrechtsverhältnis haben“ aufgreifen. Abgabenerhebung ist<br />
nie schön, das ist ganz klar. Sie kann nicht schön sein. Niemand zahlt gerne freiwillig<br />
Abgaben. Das ist der Punkt, der aus meiner Sicht reflektiert werden muss. Das KAG<br />
ordnet nicht an, ob und wie viele Abgaben erhoben werden, sondern wie diese Abgabenerhebung<br />
verteilt wird, auf welche Art und Weise die Refinanzierung der öffentlichen<br />
Ausgaben, die in der Regel bereits seit Jahren erfolgt ist, stattfindet, also durch<br />
Beiträge, Gebühren und einige hier unerhebliche Abgabenarten. Man muss sich vergegenwärtigen:<br />
Wie sind wir überhaupt in die Situation gekommen, dass darüber<br />
Streit entsteht? Nämlich genau durch den Punkt, dass eben niemand gerne Abgaben<br />
zahlt, nur Kommunalabgaben streitiger sind als beispielsweise Abgabenbescheide,<br />
die von den Finanzämtern geschickt werden. Die haben offensichtlich in der Wahrnehmung<br />
der Bevölkerung einen anderen Status.<br />
Dann ist die Frage: Wie kommen wir konkret zu dem Problem hier? Wir kommen zu<br />
dem Problem, weil die sogenannten Neuanschließer dagegen geklagt haben, dass<br />
bestimmte Grundstücke, die denselben Vorteil wie sie haben, nämlich eine Kläranlage<br />
oder ein Wasserwerk nutzen zu können, nicht zum Beitrag veranlagt worden sind<br />
und die Rechtsprechung dem gefolgt ist und gesagt hat: Das ist eine Ungleichbehandlung.<br />
Dann haben die Altanlieger geklagt, weil Aufgabenträger sie mit einem<br />
niedrigeren, in der Regel mit einem Verbesserungsbeitrag, erhoben haben. Hier haben<br />
die Gerichte auch geurteilt, auch zugunsten dieser Anlieger, und die Erhebung<br />
von Verbesserungsbeiträgen seit dem Urteil vom 03.12.2003 untersagt. Das heißt,<br />
auch aus Gleichheitsgründen ist es den Aufgabenträgern bis zur Gesetzesänderung<br />
2009 nicht möglich gewesen, einen gesplitteten Beitrag zu erheben. Dann haben Sie<br />
die Gruppe der Gebührenzahler, die auch geklagt hat, mit derselben Begründung,<br />
nämlich, wenn alle rechtzeitig Beiträge gezahlt hätten, würden wir viel niedrigere Gebührensätze<br />
haben. Das war beispielsweise die Verfassungsgerichtsentscheidung<br />
aus 2012, die Entscheidung VfgBbg 46/11. Das heißt, sie haben nicht die eine Gruppe,<br />
die sich gegen die Abgabenerhebung wendet, sondern Sie haben insgesamt eine<br />
große Anzahl von Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelführern.
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Deswegen ist diese Beitragserhebung nicht nur nicht beliebt, sondern hoch streitig.<br />
Es mag in einzelnen kleinen Aufgabengebieten wenig Rechtsbehelfe, Rechtsmittelverfahren<br />
geben; bei der Masse gerade der großen Aufgabenträger brauchen Sie<br />
sich nur die Eingangszahlen bei den Verwaltungsgerichten ansehen: Wenn etwas<br />
mehr Welle macht als Asylverfahren, dann sind es Abgabenstreitverfahren in <strong>Brandenburg</strong>.<br />
Vor dem Hintergrund dieser Interessenlage kann man auch nicht davon<br />
reden, dass die Regelung Akzeptanz finden wird. Sie wird so oder so keine Akzeptanz<br />
finden, es wird weiterhin Klagen geben. Die Frage ist jetzt nur, welche Folgen<br />
sich aus bestimmten gesetzlichen Eingriffen ergeben. Das würde ich Ihnen gern etwas<br />
plastischer und weniger rechtlich abstrakt erläutern. Das alles konnten Sie schon<br />
in den Stellungnahmen lesen, ich glaube aber, dass die praktischen Folgen auf der<br />
kommunalen Ebene bisher nicht oder nicht ausreichend deutlich gemacht worden<br />
sind.<br />
Leider muss ich damit beginnen, den Unterschied zwischen der Rechtslage in Bayern<br />
und der in <strong>Brandenburg</strong> noch einmal aufzurufen. Was hat das Bundesverfassungsgericht<br />
entschieden? Das Bundesverfassungsgericht hat gerade nicht entschieden,<br />
dass die rückwirkende Inkraftsetzung einer Satzung bzw. die rückwirkende<br />
Inkraftsetzung der sachlichen Beitragspflicht anstößig oder verfassungswidrig sei -<br />
nein, sondern das Auseinanderfallen der rückwirkenden Herstellung der sachlichen<br />
Beitragspflicht durch eine entsprechende Satzungsanordnung und der abstrakt davon<br />
greifenden Verjährungsfrist. Vereinfacht gesagt: In Bayern konnte man bisher<br />
eine Satzung Jahrzehnte zurückreichen lassen mit der Folge, dass zu diesem Zeitpunkt<br />
die sachliche Beitragspflicht entstanden ist, der damalige Eigentümer, der<br />
längst verkauft hatte, beitragspflichtig wurde, die Verjährung aber erst in der Zukunft,<br />
am Ende des Jahres, begonnen hat, in dem diese Satzung veröffentlicht wurde.<br />
Dieses sogenannte Auseinanderfallen von Vorteilslage und Verjährungsbeginn - das,<br />
und nur das - hat das Bundesverfassungsgericht beanstandet. Das haben wir in<br />
<strong>Brandenburg</strong> nicht. In <strong>Brandenburg</strong> ist es so: Wenn Sie eine Satzung rückwirkend in<br />
Kraft setzen, dann tickt die Uhr am Ende des Jahres los, in dem diese Satzung in<br />
Kraft trat. Hätten wir diesen Fall aus Bayern gehabt, dann wäre der Bescheid von<br />
vorn herein vom Verwaltungsgericht aufgehoben worden. Das heißt, diese Veranlagung<br />
hätte in <strong>Brandenburg</strong> gar nicht stattfinden können, auch deshalb nicht, weil es<br />
sich um einen ehemaligen Eigentümer gehandelt hat. Bei uns bekommt immer nur<br />
derjenige den Beitragsbescheid, der im Zeitpunkt der Bekanntgabe - wenn Sie quasi<br />
den Briefkasten öffnen und den Bescheid entnehmen - im Grundbuch als Eigentümer<br />
eingetragen ist.<br />
Das ist nämlich auch der Punkt: Wann ist eine Vorteilslage entstanden, wann hat<br />
man überhaupt den Vorteil? Wir erheben mit den Beiträgen keine abstrakte Abgabe,<br />
sondern die Abgeltung eines Vorteils. Der Gesetzgeber fiktionalisiert eine Vorteilslage<br />
in dem Augenblick, wo ein Grundstückseigentümer eine öffentliche zentrale Anlage<br />
benutzen kann, das heißt, vor seiner Tür liegt ein Kanal oder eine Hauptversorgungsleitung<br />
- im Regelfall Trinkwasser.
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Das ist aber nicht alles, um eine Vorteilslage zu haben. Sie brauchen die rechtlich<br />
gesicherte Anschlussmöglichkeit, und diese haben Sie nur dann, wenn diese öffentliche<br />
Anlage Ihrerseits rechtlich gesichert ist, konstitutiv ist. Sie hatten in <strong>Brandenburg</strong><br />
jahrzehntelang das Problem, dass die Aufgabenträger gar nicht wirksam gegründet<br />
waren. Ich erinnere an das Sicherungs-, das Heilungsgesetz. Die Stabilisierungsbescheide<br />
sind in der Regel erst Ende der neunziger Jahre, teilweise bis 2004/2005<br />
ergangen. Erst dann gab es überhaupt einen wirksam gegründeten Zweckverband,<br />
und nur jemand, der existent ist, kann auch eine rechtlich existente öffentliche Anlage<br />
haben, an die dann wiederum ein Anschlussvorteil vermittelt werden kann. Was es<br />
nicht gibt, können Sie nicht als Vorteil bezeichnen. Auch da haben wir diesen signifikanten<br />
Unterschied zu Bayern, wo das einfach jahrzehntelang zurück in die Vergangenheit<br />
fiktionalisiert wird.<br />
Ich möchte Ihnen die Wirkung und auch die Unterscheidung an einem konkreten<br />
Beispiel erläutern - es ist frisch aus der Rechtsprechung gekommen -: Die Behörde<br />
erlässt am 09.11.2006 einen Beitragsbescheid. Der Beschiedene ist Miteigentümer<br />
eines Grundstücks - es gehört einem Ehepaar - und legt Widerspruch ein. Am<br />
22.11.2006, nach nur 14 Tagen, ergeht der Widerspruchsbescheid. Der Bürger geht<br />
noch im Dezember 2006 zum Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) und gewinnt mit<br />
Urteil vom 5. Mai 2009 - auch das geht ziemlich schnell; denn zweieinhalb Jahre<br />
Prozessdauer für eine erste Instanz sind wirklich gut in <strong>Brandenburg</strong>. Die Behörde<br />
legt Rechtsmittel ein, dann dauert es ein bisschen. Am 18. April dieses Jahres entscheidet<br />
der Abgabensenat des OVG gegen die Behörde und lehnt die Zulassung<br />
der Berufung ab mit der Begründung: Die Satzung habe einen zur Nichtigkeit führenden<br />
Veröffentlichungsfehler, weil das Amtsblatt, in dem die Beitragssatzung abgedruckt<br />
war, die Nummer 7.1 hat. Zur Erläuterung: Normalerweise nummeriert die Behörde<br />
ihre Amtsblätter fortlaufend mit 1, 2, 3, 4 usw.. Da jedoch in der Juni-Sitzung<br />
vor der Sommerpause derart vieles beschlossen wurden, wofür das normale Amtsblatt<br />
nicht ausreichte und man nicht bis September warten wollte, wurde ein Sonderamtsblatt<br />
mit der Nummer 7.1 herausgegeben.<br />
Nun kann man sich darüber unterhalten, ob es rechtsstaatswidrig ist, das Amtsblatt<br />
7.1 in Zeiten von Web 2.0 usw. zu nennen. Jedenfalls meint das Oberverwaltungsgericht,<br />
dass das ein zur Nichtigkeit führender beachtlicher Fehler sei - trotz der Heilungsvorschriften,<br />
die wir seit 6 Jahren in § 3 Absatz 4 Kommunalverfassung haben.<br />
Also steht die Behörde ohne etwas da. Nach der bisherigen Rechtslage, die vom<br />
Oberverwaltungsgericht, vom Bundesverwaltungsgericht und auch vom <strong>Land</strong>esverfassungsgericht<br />
ausdrücklich bestätigt wurde, würde die Vertretungskörperschaft die<br />
Satzung noch einmal beschließen, dann gibt es ein neues Amtsblatt, dieses Mal ohne<br />
Punkt oder irgendetwas, die Satzung tritt in Kraft, der Mensch bekommt einen<br />
neuen Bescheid - fertig.<br />
Würden Sie eine starre Grenze in das Gesetz einziehen - ob mit Hemmung plus ein<br />
paar Jahre Verjährung oder nur mit Verjährung nach Vorteilslage -, greift also eine<br />
starre Grenze, kann die Behörde nicht mehr veranlagen. Jetzt könnte man sagen:<br />
Gut, der hat ja schon einen Bescheid bekommen, es ist Hemmung eingetreten. Aber<br />
wie das Leben so spielt, hat sich das Pärchen mittlerweile scheiden lassen und die
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Frau hat das Haus bekommen - Ergebnis: ein neuer Eigentümer.<br />
Da haben wir den Unterschied zu Bayern. In Bayern wäre es völlig egal, dass der<br />
Mann das Grundstück nicht mehr hat; in <strong>Brandenburg</strong> ist es nicht egal, in <strong>Brandenburg</strong><br />
wäre das Grundstück damit beitragsfrei. Das ist ein ganz normaler Fall. Ich hebe<br />
noch nicht einmal auf die Fälle ab, in denen man gezielt versucht, sich der Beitragspflicht<br />
zu entziehen. Stellen Sie sich vor, irgendein Cleverer bestellt ein Erbbaurecht<br />
oder überträgt das Grundstück einfach, er berechnet es billiger, das kostet dann<br />
nicht so viel beim Grundbuchamt und beim Notar. Schon ist das Grundstück aus der<br />
Beitragspflicht heraus. Jetzt werden Sie sagen: Na gut, Oma Minchen mit 500 Euro<br />
Beitragsbescheid wird das nicht machen. - Das ist richtig. Jetzt nehme ich aber mal<br />
die Klientel, die das Gutachten von Prof. Wolff in Auftrag gegeben hat: 6 Wohnungsgesellschaften<br />
mit einer Motivlage zwischen 160 000 und 500 000 Euro Beitragsbescheid.<br />
Da sind die 5 000 oder 10 000 Euro beim Notar gut angelegtes Geld, wenn<br />
ich dafür von meinem Beitragsbescheid herunterkomme.<br />
Das ist jetzt der Punkt: Schaffen Sie eine starre Grenze, wird es unweigerlich zu Beitragsausfällen<br />
kommen. Je näher diese zeitliche Grenze definiert ist, je mehr diese<br />
zeitliche Grenze sich dem aktuellen Erhebungszustand nähert, desto eher tritt der<br />
Ausfall ein. In dem von mir erläuterten Beispiel hat der Vorgang - obwohl die Behörde<br />
nur 14 Tage gebraucht hat, ihrerseits den Rechtsbehelfsvorgang zu bearbeiten - sieben<br />
Jahre gedauert. Das ist in <strong>Brandenburg</strong> völlig normal. Das heißt, wenn Sie eine<br />
Heilungsrunde einleiten müssen, haben Sie, - selbst wenn Sie 2020 als gegriffene<br />
Zahl nehmen - als Aufgabenträger maximal noch einen Schuss frei. Wenn sich dann<br />
Änderungen in der Eigentümerstruktur ergeben haben - Sie müssen auch die normale<br />
Fluktuation im Grundstücksverkehr berücksichtigen, ohne dass versucht wird, Manipulationen<br />
vorzunehmen -, bekommen Sie damit ein Problem, das darin liegt, dass<br />
Sie dann eine Gruppe von an sich Beitragspflichtigen haben, die denselben Vorteil<br />
haben wie diejenigen, die schon gezahlt haben, dann aber nicht mehr herangezogen<br />
werden. Das wirkt sich dann nicht nur auf die Gleichbehandlungsfrage zwischen diesen<br />
Grundstückseigentümern aus, sondern wirkt bis in die Gebühr hinein. Die Beitragserhebung<br />
beeinflusst die Gebührenhöhe. Wenn Sie Beiträge erheben, senkt das<br />
automatisch die Gebühr. In dem Augenblick, in dem Beiträge ausfallen, hat das Einfluss<br />
auf die Gebührenhöhe, das heißt: weniger Beiträge - höhere Gebühren. Jetzt<br />
wird natürlich derjenige, der seinen Beitrag bereits bezahlt hat, wieder zum Verwaltungsgericht<br />
gehen - genau wie das in dem von mir zitierten Fall auch war - und sagen:<br />
Es kann doch nicht sein, ich habe den Beitrag bezahlt, mein Nachbar nicht, und<br />
wir haben die gleiche Gebühr. - Was wird das Verwaltungsgericht in diesem Fall machen?<br />
Artikel 3 Grundgesetz bzw. das Äquivalenzprinzip als Ausprägung im Abgabenrecht<br />
des Gleichheitssatzes - das Verwaltungsgericht wird genau diesen Punkt<br />
beanstanden. Ergo hat der Aufgabenträger zwei Probleme: Er hat weniger Beiträge<br />
und voraussichtlich weniger Gebühren.<br />
Sie dürfen nicht denken, dass diese Argumentation immer nur von denen geführt<br />
wird, die sich darauf berufen. Mittlerweile haben 95 % der von uns betreuten Beitragsklagen<br />
- wir stehen in der Regel aufseiten der Aufgabenträger - genau diese<br />
Begründung des Verfassungsgerichts angeführt - witzigerweise nicht nur Beitragskläger,<br />
sondern auch Gebührenkläger, die davon gar nicht betroffen sind. Also wird
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 18<br />
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das Verwaltungsgericht so oder so sich mit dieser Sache intensiv befassen müssen.<br />
Dann haben Sie diese Beitrags-, Abgabenausfälle auch im Gebührenbereich, dann<br />
haben Sie Streit, dann haben Sie Verfahrenskosten, die nicht abgabenfähig sind, und<br />
dann haben Sie auch Streit innerhalb der Zweckverbände als Folge dessen, weil in<br />
der Regel sich die Altanlieger gerade in den größeren Zweckverbänden in bestimmten<br />
Bereichen ballen, nämlich diejenigen, die vor der Wende schon überhaupt etwas<br />
hatten. Wenn erst nach der Wende gebaut wurde, gibt es logischerweise keine Altanlieger.<br />
Also wird es auch innerhalb der Mitgliedskommunen, beispielsweise der größeren<br />
Zweckverbände, zum Streit kommen, wie diese Ausfälle getragen werden. Es<br />
ist doch klar: Wenn Sie Bürgermeister sind und überhaupt keine Altanlieger haben,<br />
haben Sie natürlich überhaupt kein Interesse, dass Ihre Leute Neuanliegerbeiträge<br />
gezahlt und die gleichen Gebühren haben, während ein Bürgermeister, der nur Altanlieger<br />
hat, natürlich immer gegen eine Altanliegererhebung sein wird, denn er will ja<br />
wieder gewählt werden. Diese rechtliche Problematik schlägt auf die Ortspolitik durch<br />
und wird dazu führen, dass die Streitigkeiten und Spannungen innerhalb der Zweckverbände<br />
automatisch zunehmen - das nächste Problem, das damit bereitet wird.<br />
Warum es aus meiner Sicht gar nicht erforderlich ist, hier tätig zu werden: zum einen<br />
das „Ob“, das hier auch kam. Wir haben diese Regelung nicht, wir haben § 8 Absatz<br />
7 Satz 2 KAG, was zwar die sachliche Beitragspflicht erst mit der ersten rechtswirksamen<br />
Satzung entstehen lässt, aber danach immer - in vier Jahren - die Festsetzungsverjährung<br />
folgen lässt. Wenn Sie jetzt eine gesetzliche Grenze einfügen,<br />
heben Sie diese Regelung auf. Diese Regelung gibt es seit 1991, seit Anbeginn des<br />
KAG. Es gab dann im Jahre 2000 eine Rechtsprechung des OVG, die diese Regelung<br />
modifizierte. Es ist eben nicht so - es ist falsch, was mein Vorredner, Prof. Wolff,<br />
gesagt hat -, dass das OVG Frankfurt (Oder) angeordnet habe, dass es auf die erste<br />
Satzung ankomme. Es kam immer, auch vor der Rechtsänderung 2003 mit dem<br />
Zweiten Gesetz zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben, darauf an,<br />
dass es eine rechtswirksame Satzung gibt - nur die musste sich Rückwirkung auf den<br />
ersten Satzungsversuch beimessen. Das ist ein großer rechtlicher Unterschied.<br />
Deswegen hat unser OVG - nachfolgend auch das Bundesverwaltungsgericht und<br />
das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht - den Unterschied und den Rechtsfehler auch in dem<br />
Steiner-Gutachten, das immer durch den Raum geistert, herausgestellt. Es galt auch<br />
vor 2003/2004 nicht, dass es auf die erste Satzung überhaupt ankam, sondern immer<br />
auf die erste rechtswirksame Satzung. Deshalb gab es auch per 2004 keine<br />
Rechtsänderung, die diesen Status verändert hat. Aus diesem Grund hat das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht<br />
gesagt, dass es keine unzulässige Rückwirkung gibt.<br />
Daher wäre meine Empfehlung: Es gibt derart viele Rechtsmittel und Rechtsbehelfsverfahren,<br />
dass Sie jeden Monat Nichtzulassungsentscheidungen des Oberverwaltungsgerichtes<br />
haben, wo die betroffenen Kläger ohne Weiteres das Bundesverfassungsgericht<br />
anrufen könnten. Das ist nach meiner Kenntnis auch für den Fall, der<br />
dem Urteil des OVG vom 12.11.2008 zugrunde liegt, passiert. Da kam der berühmte<br />
Satz zurück, „die Verfassungsbeschwerde werde nicht zur Entscheidung angenommen.“
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Die Frage ist: Warum hat sich das durch die Bayern-Entscheidung geändert, da sich<br />
die Rechtslage derart evident ändert? Warum kann man nicht die Zeit geben, bis tatsächlich<br />
diese Verfassungsgerichtsentscheidung eintritt? - Wenn unser eigenes <strong>Land</strong>esverfassungsgericht<br />
sagt, die Regelung in <strong>Brandenburg</strong> sei chic und das Bundesverwaltungsgericht<br />
das drei Mal ebenso gesehen hat - warum kann nicht zugewartet<br />
werden? Könnte es vielleicht daran liegen, dass die Betroffenen selber nicht wirklich<br />
davon ausgehen können, dass das Bundesverfassungsgericht die Rechtslage in<br />
<strong>Brandenburg</strong> anders beurteilt als in Bayern? Das ist die Frage. - Danke.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Hornauf. - Ich möchte die Anzuhörenden darum bitten, sich etwas<br />
zurückzuhalten mit der Bewertung der Ausführungen der anderen Anzuhörenden.<br />
Der politische Schlagabtausch obliegt in diesem Haus den Abgeordneten. Wir haben<br />
Sie eingeladen, Ihren rechtlichen und fachlichen Sachverstand für unsere gesetzgeberische<br />
Beratung miteinzubringen.<br />
Ich eröffne die erste Fragerunde. Die Abgeordnete Nonnemacher beginnt.<br />
Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90):<br />
Ich hätte gern Herrn Prof. Martini gefragt. Sie haben in Ihren Ausführungen mehrfach<br />
erläutert, dass man das so machen könne, und haben auf den Referentenentwurf<br />
Bezug genommen. Ich würde aber trotzdem gern ganz konkret nach den Fristen fragen:<br />
Beziehen Sie sich auf die 15 Jahre, beziehen sich auf die 20 Jahre, und wie<br />
stehen Sie zu der Verjährungshemmung, die bis zum 03.10.2000 eingebaut worden<br />
ist? Ich bitte noch einmal um ein klares Statement zu den unterschiedlichen Fristen,<br />
weil diese Thematik für uns so schwierig zu verstehen ist.<br />
Dann hätte ich gern an Herrn Prof. Wolff eine Frage gestellt. Ihr Kollege Rechtsanwalt<br />
Zeutschel ist auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Urteil des <strong>Land</strong>esverfassungsgerichts<br />
<strong>Brandenburg</strong> vom 21.09.2012 und dem des Bundesverfassungsgerichts<br />
eingegangen - also dem Spannungsverhältnis zwischen dem Gleichheits- und<br />
Gleichbehandlungsgrundsatz einerseits, den das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht klar herausgestellt<br />
hat, und der Rechtssicherheit in Bezug auf die Fragen der Verjährungsfristen.<br />
Würden Sie dazu bitte noch einmal ausführen?<br />
An Herrn Rechtsanwalt Hornauf habe ich die Frage: Habe ich Sie richtig verstanden,<br />
dass Sie die Frage nach dem „Ob“, die Herr Prof. Martini mit Ja beantwortet hat -<br />
also: Ja, wir müssen aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil eine Schlussfolgerung<br />
ziehen -, mit Nein beantworten würden?<br />
Abgeordneter Goetz (FDP):<br />
Eine meiner Fragen richtet sich an alle bisher Angehörten. Es ist gesagt worden,<br />
dass es, wenn Beiträge ausfallen, zu einer Ungleichbehandlung führt, die Ihrerseits<br />
wieder gerügt werden könnte. Führt Verjährung letztlich nicht immer zu Ungleichbe-
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
handlungen, führt Verjährung eigentlich nicht immer dazu, dass einige nicht mehr<br />
zahlen, während andere in vergleichbaren Situationen bezahlt haben. Ergibt sich daraus<br />
umgekehrt ein Anspruch des dann gezahlt Habenden, gegen die anderen vorzugehen,<br />
weil aus der Ungleichbehandlung heraus sich ein Verfassungswiderspruch<br />
ergäbe? Das wäre die erste Frage.<br />
Eine zweite Frage. Die Verbände haben teilweise angeführt, dass für die Verbesserungen<br />
nach 1990, für neue Kläranlagen, neue Kanalisationen, für Pumpwerke und<br />
alles Mögliche, jetzt die erweiterten Beiträge erhoben werden sollen, weil irgendwann<br />
später etwas passiert ist und damit die Anschluss-, die Versorgungs- und Entsorgungssicherheit<br />
zugenommen hat. Wenn das so ist und wenn vor 1990 auch schon<br />
Anlagen vorhanden waren - müsste das nicht zwingend dazu führen, dass differenzierte<br />
Beiträge erhoben werden? Wobei das Ergebnis wäre, dass man - wenn gesagt<br />
wird, ich habe neue Anlagen und zahle den gleichen Beitrag - die Neuanschließer im<br />
Grunde genommen anders behandelt als die Altanschließer, weil diese schon eine<br />
Anlage hatten und nur die Verbesserung umgelegt werden soll. Das heißt, die Neuanschließer<br />
bekommen praktisch die alte Anlage umsonst mit, und die Altanschließer<br />
wären irgendwo zweimal herangezogen worden.<br />
Prof. Wolff, Sie sprachen den Vertrauensschutz an, dass man mal Rechtssicherheit<br />
haben müsse und sich die Frage stellen würde, ob überhaupt noch jemand mit Anschlussbeiträgen<br />
rechnen musste. Wie sehen Sie das für diejenigen, die vor 1990<br />
schon angeschlossen waren - vor Inkrafttreten eines Kommunalabgabengesetzes,<br />
vor der deutschen Einheit, in einer völlig anderen Situation, mit Blick auf das von<br />
Herrn Zeutschel angesprochene Beispiel aus den dreißiger Jahren und im Grunde<br />
über Jahrzehnte, teilweise schon über Generationen, an einer Ver- und Entsorgung<br />
hingen - mussten diejenigen überhaupt noch damit rechnen, dass Jahrzehnte später<br />
eine Mauer fällt, es dann ein Kommunalabgabengesetz gibt und nochmals 25 Jahre<br />
später möglicherweise Beiträge erhoben werden, oder sehen Sie dort einen stärkeren<br />
Vertrauensschutz für diese älteren Anschließer?<br />
Prof. Martini, Sie sagten, man müsse die Beitragserhebung an der Restlebenszeit<br />
des Angeschlossenen orientieren. Ist das so zu verstehen: Je älter der Angeschlossene,<br />
desto geringer sein Beitrag? - Es erschiene mir kurios, wenn das die Schlussfolgerung<br />
aus Ihren Darlegungen sein sollte.<br />
Von mehreren Rednern wurde gesagt, dass wir bis zum Jahre 2004 eigentlich schon<br />
einmal eine gewisse Klarheit hatten. Es gab die OVG-Entscheidung aus <strong>Brandenburg</strong>,<br />
die, wie hier angeführt wurde, für Rechtssicherheit sorgte und Belastungsklarheit<br />
herstellte. Wie geht man nun mit denen um, die in der Annahme des vollen Vertrauensschutzes<br />
2001/2002/2003 meinten, nie wieder herangezogen werden zu können?<br />
Müsste man nicht vor dem Hintergrund dieser OVG-Entscheidung, wenn man<br />
heute Regelungen trifft, diese so gestalten, dass diejenigen, die schon immer<br />
Rechtssicherheit hatten, nämlich bis 2004, diese Rechtssicherheit wieder erhalten<br />
und nicht auf eine feste Frist abheben, sondern auf das Vertrauen, das bei diesen<br />
Angeschlossenen seinerzeit bestanden hat?
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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Das trifft sich auch mit Ihren Ausführungen, Herr Hornauf, weil vieles von dem, was<br />
Sie sagten, völlig richtig ist. Wenn Geld ausfällt, ist das für einen Verband immer<br />
schlimm, das verstehe ich auch. Es ändert aber nichts daran, dass Verjährungsregelungen<br />
greifen müssen und der Vertrauensschutz aus meiner Sicht dazu führen kann<br />
- da würde ich Sie fragen, wie Sie das sehen -, dass es irgendwann auch mal gut<br />
sein muss und Beiträge auch mal nicht mehr erhoben werden können, auch wenn es<br />
zu Ungleichbehandlungen führt.<br />
Sie sagten, wenn man es mit 15 Jahren mache, dann habe man nur noch einen Freischuss.<br />
- Wie viele Freischüsse wollen Sie denn noch haben, bis irgendwann mal die<br />
Verjährung eintreten soll? Irgendwann muss es aus meiner Sicht doch mal vorbei<br />
sein.<br />
Ein bisschen zugespitzt vielleicht die Frage - weil man sagt, man habe mit unwirksamen<br />
Satzungen immer wieder die Möglichkeit, neue Bescheide zu erheben -: Ist das<br />
letztlich nicht auch ein Stück Belohnung eigener Dummheit? Das von Ihnen genannte<br />
Beispiel „7.1“ ist natürlich ein extremes Beispiel. Wir haben aber durchaus die Situation<br />
- das jedenfalls erlebe ich -, dass Verbände sich heute massenhaft auf ihre<br />
eigenen Fehler aus früheren Jahren berufen. Kann es denn den Leuten angesonnen<br />
werden, ihnen zu sagen: Es tut mir leid, dass ich früher nicht durchgesehen habe,<br />
jetzt mache ich das neu, und du bist derjenige, der zahlt? - Wie wollen Sie das erklären?<br />
Das erscheint mir auch etwas schwierig.<br />
Abgeordneter Burkardt (CDU):<br />
Ich habe an die Verfassungsrechtler zunächst eine allgemeine Frage nach der Bedeutung<br />
von Leitsätzen. Es erschließt sich dem sich nicht ständig im verfassungsrechtlichen<br />
Bewegenden nicht unmittelbar, weil ich - jedenfalls in diesem Leitsatz -<br />
eine klare Aussage sehe, bei der mich der Hinweis, ich möge doch mal abwarten,<br />
was das Verfassungsgericht im weiteren Verlauf der derzeit anhängigen Rechtsverfahren<br />
vielleicht doch noch mal sagt, überhaupt nicht tröstet. Ich führe in meinem<br />
Portemonnaie immer einen kleinen Zettel mit, auf dem der Artikel 20 Absatz 3<br />
Grundgesetz steht: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung ()<br />
gebunden.“ - Dementsprechend betrachte ich es als Auftrag, zu handeln, wenn ein<br />
Verfassungsgericht feststellt, bestimmte Auswirkungen von Normen seien verfassungswidrig.<br />
Mich würde interessieren, was wir von dem Leitsatz zu halten haben.<br />
Die andere Frage richte ich an Herrn Prof. Martini. Sie haben das Fazit gebracht, die<br />
Regelung, die die <strong>Land</strong>esregierung vorschlägt, sei zwar verfassungsrechtlich noch<br />
hinnehmbar, sie sei aber risikobehaftet. Gilt das auch für die Konsequenzen aus der<br />
derzeit geltenden bzw. der dann zu schaffenden gesetzlichen Regelung für die Problematik,<br />
die Sie hinsichtlich der Auswirkungen für die bereits verjährten Forderungen<br />
sowohl in Ihrem Gutachten wie auch hier angesprochen haben, indem Sie sagten,<br />
das habe die Bedeutung einer echten Rückwirkung?
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 22<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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Das Zweite ist die Addition von Festsetzungsverjährung und Ablaufhemmung. Wir<br />
haben nun nach dem Entwurf - 25 Jahre, die dabei herauskommen - eine geringfügige<br />
Verbesserung - die Verbände würden sagen: Verschlechterung - gegenüber den<br />
dreißig Jahren. Die Regelung ist in der faktischen Auswirkung viel weitergehend. Für<br />
diejenigen, die schon lange vor dem 3. Oktober 1990 angeschlossen waren, bedeutet<br />
das, dass sie über einen Zeitraum zu Beiträgen herangezogen werden können,<br />
der weit darüber hinaus liegt. Ich habe das Gefühl, dass der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts<br />
in seinem Beschluss - das ist meine nächste Frage -, welche Wege<br />
man denn beschreiten könnte, jedenfalls im Zusammenspiel zwischen Festsetzungsverjährung<br />
und Ablaufhemmung, additiv verstanden wird unter der Überschrift „Festsetzungsverjährung<br />
darf einen bestimmten Zeitraum nicht überschreiten“, und wenn<br />
das nicht reicht, nehme ich die Ablaufhemmung noch dazu.<br />
Ich würde um eine Aussage bitten, zu dem Thema Verantwortungsbereich für die<br />
Gründe, die zur Ablaufhemmung führen, und wie man eine 10-jährige Ablaufhemmung<br />
- das heißt, die haben 10 Jahre gebraucht, bis sie gelernt haben, wie man eine<br />
Satzung macht, wie man einen Beitragsbescheid erlässt - tatsächlich begründen will.<br />
Abgeordneter Wichmann (CDU):<br />
Als Letzter habe ich noch eine Bitte an Herrn Prof. Martini und eine Frage an Herrn<br />
Zeutschel.<br />
Herr Prof. Martini, Sie haben davon gesprochen, dass Sie bei dem uns vorliegenden<br />
Gesetzentwurf der <strong>Land</strong>esregierung mit der 15-jährigen Verjährungsfrist und der 10-<br />
jährigen Hemmung Risiken sehen, zumindest was einen Einklang mit der Verfassung<br />
angeht.<br />
Ich möchte es so formulieren: Wir haben nun eine sehr lange Geschichte hinter uns,<br />
was das Thema der Altanschließerbeiträge in <strong>Brandenburg</strong> betrifft. Wir befinden uns<br />
im Jahre 2013 und sprechen über Beiträge, die unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung<br />
hätten erhoben werden müssen, sollen oder können. Wenn wir im<br />
Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts uns heute hier versammelt<br />
haben, um zu beraten, wie wir mehr Rechtssicherheit in diese Materie bekommen<br />
können, wäre es aus meiner Sicht sehr wichtig, dass wir am Ende des Tages einen<br />
Gesetzgebungs- und Formulierungsvorschlag haben, wonach keine weiteren Risiken<br />
und Nebenwirkungen bezüglich der Verfassungsgemäßheit des Entwurfs bzw. des<br />
Vorschlages vorlägen.<br />
Ich möchte Sie bitten, noch etwas näher auszuführen, was Sie mit der Formulierung<br />
der Risiken gemeint haben. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht<br />
deutlich gemacht hat, dass eine Verjährung nicht erst nach Jahrzehnten<br />
- was der Plural von Jahrzehnt ist - eintreten kann. Wir sind ja bei dem vorliegenden<br />
Entwurf bei 25 Jahren. Ich denke, das Bundesverfassungsgericht wird<br />
nicht differenzieren zwischen der Hemmung der Verjährung und der Verjährung, sondern<br />
es wird eine Gesamtschau machen, wenn dort in Zukunft ein entsprechender<br />
<strong>Brandenburg</strong>er Fall vorgelegt würde. Deshalb möchte ich Sie bitten, auf diese Risi-
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<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
ken noch etwas konkreter einzugehen.<br />
Zum anderen möchte ich Herrn Zeutschel fragen - Sie sind in Ihren Ausführungen<br />
nicht so richtig darauf eingegangen -, vor welcher Herausforderung wir als Gesetzgeber<br />
hinsichtlich des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts stehen, nämlich<br />
dem Aspekt der Rechtssicherheit in der Gesamtbetrachtung der Erhebung der Beiträge<br />
im Abgabenrecht etwas stärker Genüge zu tun.<br />
Wir haben jetzt die Situation, dass die Verjährung unter Umständen nie zu laufen beginnt,<br />
wenn eine Satzung nicht rechtswirksam ist. Ich möchte mich den Ausführungen<br />
meines Kollegen Burkardt anschließen; ich denke, es sind sich auch alle hier im<br />
Raum einig - das habe ich auch allen schriftlichen Stellungnahmen entnehmen können<br />
-, dass auf jeden Fall Handlungsbedarf in Bezug auf die Klarstellung eines Endes<br />
einer Verjährung besteht. Es kann nicht sein, dass es nie zu laufen beginnt. Insofern<br />
besteht ein Handlungsbedarf, wenn auch nicht unmittelbar durch das Urteil des<br />
Bundesverfassungsgerichts, aber zumindest mittelbar, sonst würden wir heute hier<br />
nicht zusammensitzen.<br />
Ich bitte Sie, Herr Zeutschel, uns noch einmal Ihre Sicht der Dinge mit auf den Weg<br />
zu geben, was wir als Gesetzgeber tun können, um dem Aspekt der Rechtssicherheit<br />
künftig in dem KAG stärker zur Geltung zu verhelfen. Ich habe von Ihnen nur gehört,<br />
wir sollten einfach mal zuwarten, bis der Fall irgendwann in Karlsruhe liegt. - Es kann<br />
nicht das Verständnis eines ordnungsgemäßen Gesetzgebers sein, die Dinge einfach<br />
noch weiter laufen zu lassen. Deshalb bitte ich Sie, uns noch mal einen Hinweis zu<br />
geben, wie Sie sich vorstellen, die Rechtssicherheit bei der Gesetzgebung stärker zu<br />
berücksichtigen.<br />
Das waren meine beiden Fragen bzw. Hinweise. - Dann würden wir mit Herrn Prof.<br />
Wolff beginnen und in der Reihenfolge des Blocks der Anzuhörenden Stück für Stück<br />
mit der Beantwortung der Fragen fortfahren.<br />
Herr Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff (Europa-Universität Viadrina Frankfurt<br />
[Oder], Lehrstuhl für Öffentliches Recht):<br />
Zur ersten Frage, wie die beiden verfassungsgerichtlichen Entscheidungen miteinander<br />
zu vereinbaren sind: Die brandenburgischen landesverfassungsgerichtlichen<br />
Entscheidungen beziehen sich auf einen anderen Fall als die Entscheidungen des<br />
Bundesverfassungsgerichts. Deshalb liegen sie in gewisser Form nebeneinander,<br />
aber sie haben Überschneidungsbereiche, die nicht miteinander verträglich sind.<br />
Die Entscheidung von <strong>Brandenburg</strong> - die Frage, wie verfassungsrechtlich die Änderung<br />
von § 8 Absatz 7 Satz 2 KAG zu beurteilen ist, und der tragende Gesichtspunkt<br />
des Verfassungsgerichts auf <strong>Brandenburg</strong> waren zwei Gesichtspunkte. Erstens: Die<br />
Festsetzungsverjährungsfrist hat noch nicht angefangen, deswegen liegt keine echte<br />
Rückwirkung vor. Insofern irre Herr Udo Steiner in seinem Rechtsgutachten, weil er<br />
übersehen habe, dass die Festsetzungsverjährung eine gültige Satzung voraussetzt.<br />
Das ist die erste wesentliche Aussage. Daran hat sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />
nichts geändert. Diese Aussage ist weiterhin gültig.
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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Die zweite Aussage war: Ist denn - abgesehen von der Festsetzungsverjährungfrage<br />
- eine Rückwirkung eingetreten oder nicht? Da sagt das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht:<br />
Nein. Es ist zwar eine Rückwirkung eingetreten, aber das ist eine unechte<br />
Rückwirkung und mit Vertrauensgesichtspunkten sei das alles noch vereinbar. Hier<br />
besteht materiell eine Fiktion mit der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung,<br />
weil das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht einen Gesichtspunkt übersehen hat, den das<br />
Bundesverfassungsgericht deutlicher sieht: Nämlich die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts<br />
Frankfurt (Oder) hat der Sache nach eine Frist für den Erlass einer<br />
gültigen Satzung eingeführt. Wenn Sie einen wirksamen Beitragsbescheid erlassen<br />
wollen, müssen Sie nach dem Entscheid des OVG Frankfurt (Oder), wenn ein erster<br />
ungültiger Satzungsversuch vorliegt, die nächste gültige Satzung innerhalb von vier<br />
Jahren erlassen, sonst geht es schief. Das hat das OVG Frankfurt (Oder) der Sache<br />
nach gesagt. Das ist eindeutig. Das ist auch die Kernaussage meines Gutachtens.<br />
Dieses Problem bzw. den Gesichtspunkt, dass der Sache nach eine Frist für den Erlass<br />
einer wirksamen Satzung eingeführt wurde, hat Potsdam leider übersehen; das<br />
kommt wertungsmäßig nicht vor. Diesen Gesichtspunkt sieht das Bundesverfassungsgericht,<br />
weil es nämlich auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Vorteilsgewährung<br />
abstellt.<br />
Darf ich noch einmal sagen, was wirklich zentral ist: Es geht hier um Hoheitsgewalt.<br />
Das ist eine sehr sensible Sache; ich weiß, dass Sie das wissen, weil Sie das jeden<br />
Tag handhaben.<br />
Noch einmal: Es ist wirklich etwas anderes, ob Sie einen Vertrag schließen oder<br />
nicht. Sie müssen, wenn Sie mit der Hoheitsgewalt umgehen, vorsichtig sein.<br />
Wie wäre die Lage, wenn Sie mit dem Betroffenen einen Vertrag schließen würden?<br />
Dann müssten in dem Moment, indem die Leistung vereinbart wird, die Vertragsbedingungen<br />
klar sein. Der Zeitpunkt des Vertragsschlusses wäre der Anschluss an die<br />
Abwasseranlage; zu dem Zeitpunkt muss es klar sein. Wenn Sie jetzt den Vertragsschluss<br />
durch eine Abgabe substituieren, muss zum Zeitpunkt des - sonstigen - Vertragsschlusses<br />
klar sein, in welcher Form die Abgabe kommt. Wenn Sie es mehrstufig<br />
machen - Gesetz, Satzung, Verwaltungsakt -, dann muss auf jeder dieser Stufen<br />
eine Frist da sein oder eben eine Frist für alles. Aber Sie hatten auf der Stufe der<br />
Satzung keine Frist, und das hat das OVG Frankfurt (Oder) der Sache nach eingeführt.<br />
Die haben sie jetzt wieder weggenommen. Da sagt das Bundesverfassungsgericht<br />
vollständig klar: Es muss der Sache nach eine Frist für diese Satzung her. Und<br />
das haben Sie in <strong>Brandenburg</strong> nicht. Deswegen teilweise Vereinbarung, teilweise<br />
Nichtübereinstimmung zwischen den beiden Verfassungsgerichtsentscheiden.<br />
Zu den Fragen von Herrn Goetz: Ist jeder Verjährung eine Ungleichbehandlung immanent?<br />
Antwort: Ja.<br />
Zweitens: Das Bundesverfassungsgericht sagt immer, wenn sich jemand gegen<br />
Steuern wehrt, dass diejenigen, die sich dagegen wehren, weil Rechtsschutzverfah-
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ren laufen, von der verfassungsrechtlich notwendigen Änderung noch einbezogen<br />
werden, und die anderen, die haben bestandskräftig werden lassen, müssen halt<br />
zahlen. Das ist auch eine Ungleichbehandlung. Das ist nicht schön, ist im Rechtsstaat<br />
wirklich nicht schön, dass diejenigen, die sich nicht wehren, die Doofen sind,<br />
und die, die sich wehren, gut wegkommen. Aber ich weiß auch keine bessere Lösung.<br />
Und immanent ist es sicher.<br />
Zweite Frage: Wie ist es mit den Beiträgen, wenn die Anlage fortgeführt wird und<br />
man verschiedene Anlagen hat? Der Beitrag muss sich auf die Anlage beziehen, an<br />
die ich angeschlossen werde. Wenn die Anlage sich ändert, wird es ganz kompliziert,<br />
Herr Goetz, da wäre ich gern von einer substanziellen Antwort befreit. Da unterläuft<br />
mir bestimmt ein Fehler, wenn ich jetzt sachlich darauf antworte.<br />
Drittens, der Vertrauensschutz: Wie ist das denn mit den Anlegern, die vor 1990<br />
schon angeschlossen waren? Haben die nicht einen anderen Vertrauensschutz als<br />
diejenigen, die erst 1995 angeschlossen waren? „Gefühlt“ haben sie einen anderen<br />
Vertrauensschutz. Sachlich haben sie eigentlich keinen anderen Vertrauensschutz,<br />
wenn man die Rechtsprechung ernst nimmt, denn die Rechtsprechung sagt: Sie dürfen,<br />
auch wenn Sie 1990 angeschlossen waren, nur für eine neue Anlage herangezogen<br />
werden. Jetzt tricksen Sie ein bisschen mit der Feinheit „neu“, weil Sie „neu“<br />
nicht auf die Anlage beziehen, sondern auf den Rechtsträger, der die Anlage hat, weil<br />
Sie sagen: Es gibt keine Zweckverbände. - Das ist ein Trick. Ich glaube, den muss<br />
man bei so etwas wie der deutschen Wiedervereinigung mitmachen. Das muss<br />
schon auch erlaubt sein, dass man jetzt trickst und sagt: „Neu ist auch, wenn der<br />
Rechtsträger “ - Aber dann bitte nur für Investitionen, die ab 1990 kommen. Das ist<br />
auch die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong>. Deswegen: Emotional kann ich es nachvollziehen,<br />
dass man sagt, das ist eine andere Rechtslage. Andererseits würde ich sagen:<br />
Diesen Hemmschuh muss man schon tragen, wenn man eine deutsche Wiedervereinigung<br />
stemmen will.<br />
Die vierte Frage: War der Vertrauensschutz im Jahr 2001 nicht relativ klar? Haben<br />
wir den Vertrauensschutz nicht aufgehoben, und müssten bei einer Rechtsänderung<br />
nicht diejenigen, die im Jahr 2001 durch die Rechtsprechung des OVG Frankfurt<br />
(Oder) geschützt wären, geschützt werden? Die Antwort: Ja! Selbstverständlich.<br />
Meines Erachtens ja, vom Vertrauensgrundsatz her ja. Ich weiß, dass ich damit entgegen<br />
sämtlicher Rechtsprechung der Gerichte in <strong>Brandenburg</strong> stehe und der Sache<br />
nach auch dem Gutachten von Steiner. Es ist trotzdem richtig. Herr Steiner macht<br />
einen formalen Fehler. Er macht aber keinen materiellen Fehler. Man stützt sich immer<br />
nur auf den formalen Fehler, den er macht.<br />
Zu der Frage von Herrn Burkardt: Was ist die allgemeine Wirkung zu den Leitsätzen?<br />
Das ist eine dogmatische und eine sehr schöne Frage. Die Antwort ist: Das ist nicht<br />
ganz eindeutig. Es ist deswegen nicht eindeutig, weil verschiedene Gesichtspunkte<br />
mitspielen. Die Leitsätze sind beim Entstehungsprozess - vielleicht darf ich das kurz<br />
einschieben, um es verständlicher zu machen - keine sehr wesentliche Frage. Der<br />
Senat berät die Entscheidung, fällt die Urteilsentscheidung. Dann kommt der Berichterstatter<br />
- ich war mal bei einem solchen Ding beteiligt - zu einem der wissenschaftlichen<br />
Mitarbeiter: „Mach‘ mal die Leitsätze!“ Unter den Mitarbeitern ist es dann derje-
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nige, der sich am meisten reingehängt hat; das ist ein Adelsschlag für ihn. Die Leitsätze<br />
werden dann noch einmal im Senat beraten, und wenn sie nicht stimmen, auch<br />
umformuliert. Aber sie sind der Sache nach nur von minderer Bedeutung. Rechtlich<br />
hätten sie eine erhebliche Bedeutung, wenn man sie als eine Konkretisierung des<br />
Senats, der sogenannten tragenden Grundsätze in § 31 Absatz 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz<br />
(BVerfGG) erstehen würde. Aufhebende Entscheidungen des<br />
Bundesverfassungsgerichts haben Gesetzeskraft. Das Bundesverfassungsgericht<br />
hat rechtswidrig diese Gesetzeskraft auf tragende Grundsätze erstreckt - das ist verfassungswidrig,<br />
aber ständige Rechtspraxis. Was „tragende Grundsätze“ sind, weiß<br />
kein Mensch. Bei der Frage, was tragende Grundsätze sind, hätten die Leitsätze<br />
aber eine juristische Funktion, das ist unbestreitbar.<br />
Könnten die tragenden Grundsätze so weit reichen, dass ein tragender Grundsatz<br />
auch auf eine andere gesetzliche Entscheidung als die, die angegriffen ist, übertragen<br />
wird? Das wäre die für uns relevante Frage. Es sprechen schon gute Gründe<br />
dafür, dass man das so tun kann. Es ist aber nicht zwingend.<br />
Wie ist das Verhältnis Verjährung, festsetzende Hemmung? - 25 Jahre. Das ist Herr<br />
Prof. Martini noch einmal gefragt worden. Er hat das vorhin so schön gemacht, so<br />
schön kann ich es nicht. Deshalb schließe ich mich ihm vollständig an - bis auf seine<br />
Conclusio, da ist er noch ein bisschen zu freundlich; er ist auch noch etwas jünger.<br />
Zu der Frage bezüglich der Addition: Natürlich wird das Bundesverfassungsgericht<br />
alle Fristen zusammenaddieren.<br />
Wie ist das mit den 25 Jahren? Würde das Bundesverfassungsgericht das halten?<br />
Ich glaube nicht, dass es das halten würde, aber niemand kann seriös eine verfassungsgerichtliche<br />
Entscheidung vorhersagen. Wenn das jemand behauptet: Glauben<br />
Sie ihm kein Wort! Aber die Risiken, die Sie eingehen, sind wirklich hoch.<br />
Zu der Frage der Ablaufhemmung hat sich das Verfassungsgericht nicht geäußert. Zu<br />
der Frage „Ist die Situation der Wiedervereinigung ein Gesichtspunkt für eine längere<br />
Frist?“ hat sich das Gericht bei dem bayerischen Fall nicht geäußert. Das Verfassungsgericht<br />
würde <strong>Brandenburg</strong> einen längeren Zeitraum einräumen als Bayern; da<br />
bin ich sicher. Würde es so weit einräumen, dass die zentralen Aussagen aufgehoben<br />
werden? - Nein. Die zentralen Aussagen bleiben. Dass im Normalfall keine Jahrzehnte<br />
herauskommen dürfen und es für den Normalfall so ist, dass das Verfassungsgericht<br />
gesagt hat: wenn du die Lösung vom OVG Münster übernimmst und<br />
der Sache nach die Festsetzungsverjährung auch Gesamtverjährung wird - weil nämlich<br />
die Festsetzungsverjährung durch die Rückwirkungspflicht gleichzeitig zu einer<br />
Satzungserlasspflicht in den Fällen wird, in denen noch keine Beiträge erlassen wurden.<br />
Um die Fälle geht es. Denn wenn Beiträge erlassen wurden, ist es ja anders.<br />
Aber für die Fälle, für die noch kein Beitragsbescheid erlassen wurde, ist die Festsetzungsverjährungsfrist<br />
nach dem OVG Münster gleichzeitig eine Satzungserlassfrist,<br />
und für den Fall, sagt das Bundesverfassungsgericht, sind mir die vier Jahre ein<br />
bisschen kurz. Wenn man also Festsetzungsverjährung und Satzungsverjährung<br />
nimmt, spricht es von einer Verlängerung der Festsetzungsverjährung. Es spricht<br />
nicht von einer Verdoppelung, Verdreifachung, Vervierfachung - es spricht von einer
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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Verlängerung. Deswegen: Wenn Sie eine vierjährige Frist verlängern, sind Sie maximal<br />
bei acht, sonst ist es eine Verdoppelung. Dann nehmen Sie noch Ihre Hemmungen<br />
dazu, dann sind Sie aber deutlich unter 25 Jahren.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Wolff. Wir müssen auch etwas darauf achten, dass die Antworten<br />
nicht zu lang ausfallen, sonst reicht die Zeit nicht für die weiteren Anzuhörendenblöcke.<br />
- Herr Prof. Martini hat das Wort.<br />
Herr Prof. Dr. Mario Martini (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften<br />
Speyer):<br />
Von Risiken und Nebenwirkungen war vielfach die Rede. Juristen und Mediziner haben<br />
da sicher eines gemeinsam: Bei dem, was sie tun, ist nichts ohne Risiken. Das<br />
gilt auch bei der Einschätzung von Gesetzen. Vielleicht gibt es einen Unterschied:<br />
Wenn ein Jurist einem Sarg folgt, dann folgt da vielleicht weniger oft die Ursache der<br />
Wirkung, als wenn ein Mediziner einem Sarg folgt. Aber ganz sicher kann das auch -<br />
wie Prof. Wolff sagte - nur eine Prognose sein, die auf einer ganz großen Unsicherheit<br />
beruht, wenn wir uns ein Urteil darüber erlauben: Wie wird das Bundesverfassungsgericht<br />
wahrscheinlich entscheiden?<br />
Da bin ich auch gleich bei der Frage der Abgeordneten Nonnemacher. Wie sieht die<br />
Fristenkonzeption genau aus, und kann man sich nicht konkreter äußern, wann noch<br />
eine Frist zulässig ist und wann nicht? Hier ist der Ball vor allem im Spielfeld des Gesetzgebers.<br />
Der breite Spielraum steht aus meiner Sicht zunächst im Vordergrund.<br />
Eine konkrete Frist „Genau bis hierhin und nicht weiter!“ dürfte man wohl kaum so<br />
dem Urteil entnehmen können, wenn man sie auf einen Punkt herunterbricht. Es geht<br />
um Zonen und deren Eingrenzung. Aus meiner Sicht liegt eine kritische Grenze dort,<br />
wo die 30-Jahres-Frist berührt ist.<br />
Wie schätze ich die Risiken konkret ein? Die Risiken sind aus meiner Sicht in dem<br />
Bereich vertretbar, wo man sich unterhalb der 30 Jahre bewegt, weil es Gründe dafür<br />
geben kann, in einem Interessenausgleich dafür zu sorgen, den Gedanken der Beitragsgerechtigkeit<br />
gegen den Gedanken der Belastungsklarheit so abzuwägen, dass<br />
man sagen kann: In diesem Zeitraum ist das noch vertretbar. Ich halte es zumindest<br />
nicht für völlig unangemessen.<br />
Wie verhält sich die Verjährungshemmung zu der Frage der Verjährungsfrist im eigentlichen<br />
Sinne? Das kam zweimal zur Sprache und ist im Wesentlichen von Herrn<br />
Wichmann und Herrn Prof. Wolff schon beantwortet worden. Die Gesamtdauer ist es,<br />
die zählt, wie der Gesetzgeber das konzipiert, ob er das Hemmung nennt oder er sie<br />
als eine Form der Verjährungsfrist gestaltet. Letztlich ist zweitrangig, dass eine Verjährungshemmung<br />
durchaus denkbar ist, deutet das Verfassungsgericht in Randnummer<br />
50 des Beschlusses an. Es spricht ausdrücklich davon, der Gesetzgeber<br />
kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist und dann Regelungen der<br />
Verjährungshemmung usw. verbinden. Klar muss dem Bürger sein: Ich habe eine<br />
Perspektive, wann die Frist endet. - Wie die genannt wird, ist zunächst zweitrangig.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 28<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Die Trennung des Konzepts zwischen Hemmung und festem Lauf der Frist halte ich<br />
durchaus für sinnvoll, weil man sagen kann: Für diese Zeit der deutschen Einheit und<br />
der Wende gab es eine große Unsicherheit. Das rechtfertigte auch, von einer Verjährung<br />
zu sprechen, aber für die Zukunft in einem konsequenten Konzept klarzustellen:<br />
15 Jahre sind für uns das Maß der Dinge, wenn man sich das als politischen Konsens<br />
auf die Fahnen schreibt. Insofern: Die Gesamtlage ist entscheidend.<br />
Zu der Frage des Abgeordneten Goetz hat Herr Prof. Wolff den Leitsatz, den ich nicht<br />
schöner ausdrücken könnte, gesagt: Die Verjährung führt zu Ungerechtigkeiten.<br />
In einem Punkt war ich konkret angesprochen - wie verhält es sich mit der Lebenserwartung,<br />
mit der ich argumentiert habe, von der ich Schlüsse herzuleiten versucht<br />
habe. Die Frage war: Kann das richtig sein: Je älter der Anschlussnehmer, desto weniger<br />
darf er belastet werden? - Das kann nicht richtig sein. So ist es aber auch nicht<br />
zu verstehen. Es geht nur um eine Typisierungsberechnung. Der Gesetzgeber hat<br />
eine bunte Vielfalt von Lebenssachverhalten vor Augen und muss sich fragen: In<br />
welchen Fällen erwartet einen Anschlussnehmer typischerweise ein solcher Beitragsbescheid,<br />
und welche Lebenserwartung hat er typischerweise? Da sollte man<br />
nicht von null Jahren ausgehen, denn das ist nicht die reale Situation, sondern: Etwa<br />
30 Jahre scheinen mir ein guter Anknüpfungspunkt zu sein, um von dort aus zu fragen:<br />
Wie stark ist die Auswirkung auf die Lebensentwürfe des Betroffenen? Von hier<br />
aus kann man sicher sagen: Wenn die über die eigene Lebenszeit hinaus reicht,<br />
dann ist das nicht mehr vertretbar. Vertretbar heißt im Grunde: Du bist für deine gesamte<br />
Lebensdauer in der Haftung. - Das wäre dem Verfassungsgericht insofern<br />
auch zu lange.<br />
Einen weiteren Punkt hatten Sie bei mir konkret angesprochen: Wie war die Rechtslage<br />
bis 2004? Wie ist damit umzugehen? Auch dazu ist schon Entscheidendes gesagt<br />
worden. Bis 2004 war die Gesetzeslage in <strong>Brandenburg</strong> verfassungskonform.<br />
Aus heutiger Perspektive würde man auch klar sagen müssen, das <strong>Brandenburg</strong>ische<br />
KAG wäre verfassungskonform auszulegen gewesen, hätte man diesen Aspekt<br />
so schon gesehen. Nun soll diese Regelung, die verfassungskonform war, mit einer<br />
gewissen Rückwirkung - ich sage das vorsichtig, weil es eine unechte Rückwirkung<br />
ist - verknüpft werden. Es hat ganz sicher ein Risiko, wenn man einen verfassungskonformen<br />
Zustand nachträglich mit einer Zusatzbelastung versieht.<br />
Ich habe die Vermutung, dass das Bundesverfassungsgericht die Frage anders beantworten<br />
wird, als es das Verfassungsgericht <strong>Brandenburg</strong> im letzten Jahr getan<br />
hat. Auch das ist nur eine Prognose, die auf einer großen Unsicherheit beruht. Aber<br />
das Betonen von Belastungsklarheit und Vorhersehbarkeit deutet mir an, dass das<br />
Verfassungsgericht dem ein solches Gewicht einräumt, dass für solche Fälle nicht<br />
sozusagen im Nachhinein der Boden für das Vertrauen, das entsteht, entzogen werden<br />
soll. Das OVG <strong>Brandenburg</strong> hat argumentiert: Es ist ja erst viel später überhaupt<br />
Vertrauen entstanden, weil so spät entschieden worden ist. - Darauf kommt es aus<br />
meiner Sicht nicht entscheidend an. Entscheidend muss die objektive Gesetzeslage<br />
sein, wie sie bestanden hat, und auf der Grundlage darf ich dann auch die entsprechende<br />
Vertrauensüberlegung aufbauen, sonst kann man genau diesen Vertrauensschutz<br />
mit der gleichen Argumentation auch umkehren.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 29<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Zur Frage des Abgeordneten Burkardt zur Bedeutung von Leitsätzen: Auch dazu ist<br />
alles gesagt worden, ich kann dem nichts hinzufügen.<br />
Noch einmal zu dem Punkt „Es gibt keine Regelung ohne Risiko“, den Sie thematisiert<br />
hatten. Das berührte auch die Frage: Wie verhalten sich Verjährungshemmung<br />
und Verjährungsfrist zueinander? Da wiederhole ich etwas: Auch hier der Gedanke<br />
des Gesamtkonzepts.<br />
Den Verantwortungsbereich hatten Sie angesprochen. Das ist durchaus ein wichtiger<br />
Gesichtspunkt: Wem fällt das Risiko eigentlich zur Last? Welche Verantwortungsund<br />
Risikosphäre ist betroffen? Das ist eigentlich diejenige des Staates und das<br />
rechtfertigt durchaus, diese Last auch demjenigen zuzusprechen, der es verantwortet.<br />
Auf der anderen Seite ist es ein ganzes Tableau unterschiedlicher Aspekte. Die<br />
Beitragsgerechtigkeit als einer der ganz wichtigen Aspekte, die Langfristigkeit von<br />
Investitionen im Bereich der Anschlussbeiträge, das sind alles Gesichtspunkte, die<br />
sozusagen in die Waagschale fallen und aus meiner Sicht nicht ein ganz klares Abwägungsergebnis<br />
dahin gehend hervorbringen, dass man sagen kann: Es kann nur<br />
ein Zeitraum von fünf Jahren sein. Da würde ich dem Gesetzgeber genau diese<br />
Prämisse und seinen Gestaltungsspielraum auch in vollem Umfang zugestehen.<br />
Zu der Frage von Herrn Wichmann: Rückwirkung war dort ein Stichwort und die Frage:<br />
Würde das Bundesverfassungsgericht anders entscheiden? Ich denke: Ja. Auch<br />
den Gesichtspunkt der Jahrzehnte hatten Sie angesprochen. Da würde ich den Wortlaut<br />
nicht so stark beim einzelnen Buchstaben nehmen. Es ist ja ein Kontext der Entscheidung,<br />
in dem es heißt: Es entsteht dann ein Risiko, dass über Jahrzehnte hinweg<br />
jemand in Anspruch genommen wird. Daraus würde ich noch nicht herleiten,<br />
dass unbedingt jede Jahrzehnteüberschreitung gleich zur Verfassungswidrigkeit<br />
führt, sondern sagen: Das ist ein Grenzbereich, wo das Verfassungsgericht Sorgenfalten<br />
hat, die aber noch nicht aussagen: Da, wo es um mehr als zwei Jahrzehnte<br />
geht, ist eine ganz klare Verfassungswidrigkeit ausgesprochen. Denn entscheidend<br />
ist: Ich brauche eine klare Perspektive, eine Frist, mit der ich rechnen muss, die nicht<br />
meine Lebenserwartung übersteigen darf. Aber damit darf dann auch die Grenze hinreichend<br />
definiert werden.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Prof. Martini. Bevor ich Herrn Zeutschel das Wort gebe, muss ich<br />
den Adressaten meiner zweiten Frage korrigieren: Nicht Herr Zeutschel war gemeint,<br />
sondern Herr Hornauf. Ich denke, aus dem Kontext meiner Frage hat sich das auch<br />
ergeben.<br />
Herr Zeutschel hat jetzt die Gelegenheit, auch noch auf die an ihn gerichteten Fragen<br />
zu antworten.<br />
Herr Ingo Zeutschel (Zeutschel & Schröder Rechtsanwälte):<br />
Zu den Lösungsmöglichkeiten - der Frage auch von Herrn Goetz -: Die Lösungsmög-
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 30<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
lichkeiten müssen da her, wo die Probleme am größten sind. Aus meiner Sicht ist das<br />
größte Problem im Regierungsentwurf die Frage der Verjährungshemmung. Darum<br />
habe ich vorhin auch etwas zu der Sondersituation der deutschen Einheit und zu der<br />
Frage des Transformationsprozesses gesagt. Ich habe ausgeführt, dass sich eine<br />
solche Hemmungsfrist, die ja damit begründet wurde, eben nicht begründen lässt.<br />
Wenn man hinter vorgehaltener Hand mit Vertretern von Aufgabenträgern spricht,<br />
dann erfährt man drei grundsätzliche Aussagen:<br />
Erstens: Eigentlich wollten wir lange Zeit die Altanschließer gar nicht in Anspruch<br />
nehmen.<br />
Zweitens: Wir sind von den Urteilen der Verwaltungsgerichte sehr überrascht worden.<br />
Drittens: Na ja, jetzt müssen wir.<br />
Wollen Sie denen wirklich eine Hemmung für zehn Jahre einrichten, die Sie im Prinzip<br />
nie auf dem Schirm hatten? Ich denke, dass das nicht gerechtfertigt wäre. Hinzu<br />
kommt: Wenn es jetzt eine Obergrenzenregelung sein soll, dann sollte man bitte<br />
nicht daran denken, die vielleicht wegfallende Hemmung - weil die sich dann nicht<br />
begründen lässt - mit einer Verlängerung dann doch wieder auf 25 Jahre zu reparieren,<br />
nach dem Motto: 10 plus 15 - machen wir doch 25. - Da schließe ich mich Herrn<br />
Prof. Wolff an, der auch gesagt hat: Das wäre dann wesentlich mehr als die allgemeine<br />
Verjährungsfrist. Also: eine Obergrenzenregelung vielleicht, aber maximal das<br />
Doppelte der üblichen Verjährung und nicht eine so lange Zeit. Und: Die Hemmung<br />
lässt sich überhaupt nicht begründen.<br />
Herr Goetz hatte auch etwas zu Verbesserungsbeiträgen gesagt. Ich habe ja auch<br />
ausgeführt: Warum hat man denn nicht wie in so vielen Bereichen Anfang der neunziger<br />
Jahre Lösungsmöglichkeiten gefunden für vieles, hat auch einmal in andere<br />
Bundesländer geschaut? Dann hätte man vielleicht im Bereich der Aufgabenträger<br />
sehen können, dass in den alten Bundesländern in den achtziger Jahren für ähnliche<br />
Situationen durchaus Lösungen gefunden worden sind. Da wurde von mechanischer<br />
auf vollbiologische Klärung umgestellt. Da gab es auch altangeschlossene Grundstücke<br />
aus den Jahren 1930, 1940, 1950. Dann hat man denen mitgeteilt, was das kosten<br />
wird. Dann hat man eine Verbesserungsbeitragssatzung gemacht, und nachher<br />
waren alle zufrieden. Auch diese Möglichkeit hätte Anfang der neunziger Jahre bestanden;<br />
man hätte also nichts Neues erfinden müssen.<br />
Herr Sven Hornauf (Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki & Hornauf):<br />
Herr Vorsitzender, ich beginne mit Ihrer Frage: Rechtssicherheit irgendwann oder<br />
irgendwann nicht? Was haben wir denn im Augenblick? Wir haben im Augenblick ein<br />
Gesetz, was offensichtlich sogar - wenn man sich den jüngsten Beschluss des Verwaltungsgerichtes<br />
(VG) Cottbus ansieht - von einem Gericht, was meint, dass hier<br />
ein verfassungsrechtliches Problem liegt, weiter angewandt wird, und das einen Beitragsbescheid<br />
durchgelassen hat. Insofern muss ich die Frage so beantworten, dass<br />
das bisher das einzige Judikat ist, was sich überhaupt in Bezug auf eine mögliche<br />
Verfassungswidrigkeit der <strong>Brandenburg</strong>er Regelung bestätigend äußert. Da stellt sich
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 31<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
die Frage, wie damit umzugehen ist, wenn das Gericht selber aber hier weiterhin die<br />
Rechtsanwendung zulässt und auch verlangt. Auf der anderen Seite haben zwei<br />
Kammern des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) das genau anders gesehen und<br />
auf die Unterschiede der Rechtslage in Bayern und <strong>Brandenburg</strong> abgestellt und gerade<br />
keinen Eingriff gesehen. Wenn man es ganz platt macht, steht es 2:1 für ein<br />
schickes <strong>Brandenburg</strong>er KAG.<br />
Nehmen Sie beispielsweise das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin, das ich<br />
auch angeführt habe, was sich ja sehr umfassend und tief mit den Unterscheidungen<br />
befasst. Gut, da könnte man sagen: Rechtslage Mecklenburg-Vorpommern. Aber<br />
immerhin ist Mecklenburg-Vorpommern wortgleich, was die Frage der Entstehung<br />
der sachlichen Beitragspflicht und der Verjährung betrifft, mit <strong>Brandenburg</strong>, also doch<br />
wesentlich näher als Bayern. Dann kann man eben sagen: Diese Rechtssicherheit<br />
besteht aktuell. Auch unsere Gerichte sehen keinen Anlass, hier die Beitragserhebung<br />
zu stoppen oder einzugreifen. Deshalb und gerade weil ohnehin immer wieder<br />
Verfassungsbeschwerden anhängig gemacht werden, die ja jetzt automatisch diesen<br />
Inhalt mit tragen, den Vorhalt, das das KAG hier fehlerhaft wäre oder eine Lücke hat,<br />
gerade weil es bereits anhängige Verfahren gibt, braucht man nicht bis sonst wann<br />
zuwarten, sondern muss diese Entscheidung tatsächlich nur zur Kenntnis nehmen.<br />
Was ich als Problem ansehe, ist: Was passiert, wenn es wieder - wie beim letzten<br />
Mal - einfach nur zurückgeschickt wird? Wenn offensichtlich dann Karlsruhe bisher<br />
kein Problem mit <strong>Brandenburg</strong> hatte, nämlich einfach einen Nichtannahmebeschluss<br />
in der Kammer gefasst hat - wird nicht zur Entscheidung angenommen; da kriegen<br />
Sie keine Gründe, das ist nicht so charmant wie in <strong>Brandenburg</strong> beim <strong>Land</strong>esverfassungsgericht,<br />
wo Sie sogar bei einer völlig unsinnigen Verfassungsbeschwere noch<br />
eine Begründung für die Ablehnung bekommen -, sondern da steht dann nichts drin.<br />
Das hilft Ihnen nicht weiter. Dann werden sich die Betroffenen wieder - so haben wir<br />
es die letzten Jahre erlebt - an den Strohhalm klammern: Das Verfassungsgericht hat<br />
ja noch gar nicht darüber befunden! Das haben wir die letzten Jahre immer wieder<br />
gesehen. Immer, wenn ein Gericht die <strong>Brandenburg</strong>er Regelung bestätigt hat, kam<br />
dann die Durchhalteparole „Aber mein Beitragsbescheid und diese spezielle Beitragssatzung<br />
und unsere Konstellation, die war ja noch nicht bei Verfassungsgericht!“<br />
Wenn alle zum Verfassungsgericht gingen, die einen Beitragsbescheid bekommen -<br />
im letzten Jahr hatten wir 150 000 Beitragsbescheide in <strong>Brandenburg</strong> -, könnten sie<br />
in Karlsruhe für uns ein eigenes Gericht aufmachen. Aus diesem Grund würde ich<br />
Ihre Frage glatt verneinen, dass wir aus Gründen der Rechtssicherheit jetzt sofort<br />
tätig werden müssen. Wir könnten uns durchaus diese Zeitschiene, die ja auch der<br />
Freistaat Bayern vom Bundesverfassungsgericht bekommen hat, ohne Weiteres zubilligen<br />
und sehen, wie die Rechtsprechung tatsächlich damit umgeht. Denn das ist<br />
aus meiner Sicht der Knackpunkt, der hier beachtet werden muss: Wie wird unsere<br />
Rechtsprechung mit einem Eingriff des Gesetzgebers umgehen?<br />
Antizipieren wir das einmal: Sie fügen irgendeine Grenze ein. Es ist völlig egal, ob<br />
das Ablaufhemmung oder Begrenzung der Verjährungsfrist heißt. Wir haben irgendwann<br />
eine starre Grenze, wie auch immer begründet. Die wirkt irgendwann, und das<br />
ist der Punkt. Sie können, wenn es sich als „schädlich“ oder gar überflüssig herausstellt,<br />
diese Rechtsfolge, die Sie dann setzen, nicht mehr rückgängig machen, denn
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 32<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
dann haben Sie einen echten Vertrauenstatbestand. Wenn Sie jetzt eine Zahl ins<br />
Gesetz schreiben oder eine Regelung, die letztlich zu einer konkreten Zahl, einer<br />
Jahreszahl führt, in das Gesetz aufnehmen, dann - ich glaube, da sind wir uns ausnahmsweise<br />
alle einig - würde sich jeder Abgabepflichtige auf diese Zahl berufen<br />
können. Das vermittelt ihm Vertrauensschutz. Und das ist der Punkt, wo ich etwas<br />
von Ihnen abweiche. Ich weiß, ich soll nicht werten - aber um das klar zu machen.<br />
Das OVG und auch das Bundesverwaltungsgericht haben die Nichtverjährung und<br />
die Nichtrückwirkung damit begründet, dass das, was bis 2004 bei uns verjährt war,<br />
verjährt bleibt, und nur das, was bis 2004 noch nicht verjährt war, dann auch nur<br />
nach der neuen gesetzlichen Regelungen zum 01.02.2004 verjähren kann. Das<br />
heißt, niemand würde nach Meinung der Gerichte schlechter gestellt oder in seinem<br />
Vertrauen enttäuscht. Das ist der maßgebende Punkt. Das würden wir jetzt erstmalig<br />
begründen, wenn wir eine starre Frist hineinnähmen. Deswegen - da komme ich zu<br />
der Frage von Frau Nonnemacher - gehe ich davon aus, dass ich das „Ob“ verneine.<br />
Wir haben derzeit eine klare Rechtslage, und die sollte auch beibehalten werden.<br />
Herr Goetz, Herr Burkardt, ich denke, es kommt letztlich auf das Gleiche heraus. Wie<br />
sollte man begründen, dass man jetzt zeitlich noch so viel Luft gibt; ob 15, 20, 30<br />
Jahre ist völlig egal. Herr Goetz hat es auf den Punkt gebracht: Belohnt man damit<br />
nicht die Aufgabenträger? Ich denke, das greift zu kurz, weil das auch Bestandteil der<br />
Problematik ist, die letztlich diese „Differenzierung“ zwischen Festsetzungsverjährungslauf<br />
oder -frist und Ablaufhemmung begründen kann.<br />
Wir haben zunächst tatsächlich besondere Verhältnisse gehabt. Wir hatten zehn Jahre<br />
Rechtsunsicherheit - und zwar geschaffen durch den Gesetzgeber der frühen<br />
neunziger Jahre -, ob ein Zweckverband überhaupt existiert. Zwei Mal musste der<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> durch das Zweckverbandsheilungs- und das Zweckverbandssicherungsgesetz<br />
nachsteuern, damit die Zweckverbände überhaupt rechtlich existent sind. Das<br />
sind genau die zehn Jahre, die hier in Rede stehen. Die Stabilisierungsbescheide<br />
sind zwischen 1999 und 2005 ergangen. Erst mit diesem Bescheid nach § 14 Gesetz<br />
zur rechtlichen Stabilisierung der Zweckverbände für Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung<br />
(Stabilisierungsgesetz) gilt ein Zweckverband in <strong>Brandenburg</strong> kraft<br />
der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung als rechtswirksam gegründet. Wenn Sie<br />
den erst 2005 bekommen haben und rechtlich gar nicht existent waren, konnten sie<br />
vorher keine wirksame Satzung machen. Es ist auch etwas verknappt zu sagen: Die<br />
Zweckverbände sind selber schuld, denn sie haben die Satzung, die technischen<br />
Satzungen und die Abgabensatzungen nicht wirksam hingekriegt.<br />
Sie müssen bedenken: Unsere Verwaltungsgerichte sind wirklich kreativ. Was wir all<br />
die Jahre erlebt haben! Ich möchte jetzt nicht sagen, die Farbe des Amtsblatts war<br />
schuld, aber der Text des Inhaltsverzeichnisses des Amtsblatts, der Name. Da hieß<br />
es zum Beispiel „Amtsblatt der Stadt Frankfurt“. Das ist falsch, führt zur Nichtigkeit.<br />
Es muss heißen „Amtsblatt für die Stadt Frankfurt“. Ich wette mit Ihnen, kein Bürger<br />
hätte diesen Unterschied überhaupt bemerkt, wenn man eine Straßenumfrage gemacht<br />
hätte. Gleichwohl sagt das Verwaltungsgericht: Nichtigkeit, fängt alles von<br />
vorne an!
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 33<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Vorsitzender:<br />
Ich muss Sie bitten, etwas auf die Zeit zu achten. Wir sind 40 Minuten in Verzug. Um<br />
13.30 Uhr beginnt die nächste Anhörung. Wir haben noch zwei Anzuhörendenblöcke<br />
und die entsprechenden Fragerunden abzuarbeiten.<br />
Herr Sven Hornauf (Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki & Hornauf):<br />
Ich würde gern noch ein Beispiel bringen, auch in materieller Hinsicht, ganz frisch:<br />
vom letzten Jahr. Kann ein Zweckverband materielle Änderungen der Rechtsprechung<br />
vorhersehen? Wir reden nicht von dem Formalismus, nicht von Rechenfehlern<br />
usw. Letztes Jahr hat das Oberverwaltungsgericht eine Rundungsregelung in einer<br />
Beitragssatzung beanstandet. Wenn Sie Bebauungsplangebiete haben, haben Sie<br />
manchmal - in sehr seltenen Ausnahmefällen - in den Bebauungsplansatzungen<br />
nicht die Festsetzung der Geschosse durch eine Zahl, sondern durch eine Baumassenbestimmung.<br />
Da müssen Sie rechnen, da ergibt sich ein Bruch. Da enthalten Beitragssatzungen<br />
eine Rundungsbestimmung. Das OVG hat letztes Jahr im Juni - nach<br />
22 Jahren - die Auffassung vertreten, dass das Aufrunden unzulässig ist. Die Folge:<br />
In dem konkreten Fall hatte der Zweckverband 22 000 Grundstücke zu veranlagen.<br />
Ein einziges Grundstück hat es betroffen. Trotzdem müssen Sie die gesamte Kalkulation<br />
ändern, wenn dieser Fall eintritt. Das dauert etwa sechs bis neun Monate, denn<br />
Sie müssen sich ja alle Grundstücke angucken, ob sich auch etwas anderes geändert<br />
hat, wenn so ein Fall eintritt. Der konkrete Fall ist übrigens davon nicht affektiert.<br />
Bei dem blieb der Beitragsbetrag genau gleich.<br />
Die Satzung muss geändert werden, und Sie können nicht wissen, dass das Oberverwaltungsgericht<br />
oder das Verwaltungsgericht eine solche Änderung vornimmt.<br />
Das war auch der Anlass, beispielsweise das Urteil vom 08.06.2000, wo alle Satzungen<br />
in <strong>Brandenburg</strong> mit einem Schlag nichtig waren, weil es plötzlich eine Innenbereichs-,<br />
Außenbereichsabgrenzung gab, die es vorher nicht gegeben hatte, weil die<br />
Anzahl der Vollgeschosse anders bestimmt wurde. Wenn Sie zu solchen materiellen<br />
Änderungen kommen, ist der Aufgabenträger erschossen. Er muss komplett neu anfangen.<br />
Er muss eine komplett neue Satzung machen, darauf gestützte neue Kalkulationen<br />
und dann eine Neubescheidung. Und wenn Sie dann 10 000, 20 000 oder in<br />
Extremfällen 40 000 Bescheide machen müssen, haben Sie gar keine andere Chance<br />
als dafür drei, vier Jahre in der Rechtsumsetzung zu brauchen und nicht davor<br />
gefeit zu sein, dass sich das Verwaltungsgericht das nicht in einem obiter dictum<br />
schon wieder anders überlegt, vielleicht mit der Rundung, und eine neue Senatsoder<br />
Kammerbesetzung das in fünf Jahren schon wieder ganz anders sieht. Das hatten<br />
wir nämlich auch im vergangenen Jahr. Da wurde plötzlich die Satzung Fürstenwalde,<br />
die am 12.12.2007 zu den bekannten Grundsatzurteilen geführt hat, die hinterher<br />
auch vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt wurden, plötzlich vom Verwaltungsgericht<br />
wieder für nichtig erklärt, unter der Ansage: Na, da wurde doch was<br />
übersehen. - Wenn Sie einen solchen Fall haben: Wie wollen Sie als Aufgabenträger<br />
das antizipieren? Das können Sie nicht, und das ist das Problem. Das muss in der<br />
Rechtslage dann auch gewürdigt werden, denn ansonsten kommen Sie tatsächlich<br />
zu den Ausfällen. Da liegt dann auch die Ungleichbehandlung. Wenn Sie normale
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 34<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Verjährungsfälle haben - wird es immer geben -, haben Sie etwa 4, 5 % der Beiträge,<br />
die nicht eintreibbar sind. Die sind dann nicht da. Dann haben Sie logischerweise<br />
immer eine Ungleichbehandlung. Aber in dem Augenblick, wo eine starre Grenze zu<br />
einer signifikanten Anzahl von Ausfällen führt, überschreitet das die sogenannte Typengrenze.<br />
Sie haben im Abgabenrecht nach Meinung unseres OVG eine Maßgabe, dass 90 %<br />
sowohl von den Fällen als auch von den Beiträgen veranlagt werden müssen, damit<br />
man davon reden kann, dass sie ungefähr gleich veranlagt worden sind, weil praktisch<br />
nie 100 % veranlagt werden. In dem Augenblick aber, wo Sie diese Grenze<br />
überschreiten, müssen Sie zwangsweise ausgleichen, damit am Ende alle Nutzer<br />
oder Nutzermöglichkeiten dieser Anlage ungefähr den gleichen Anteil an der Refinanzierung<br />
tragen, und da liegt das Problem.<br />
Vorsitzender:<br />
Danke. Wir haben jetzt noch eine Frage des Kollegen Dr. Scharfenberg. Da können<br />
Sie gleich darauf antworten. - Danach eröffnen wir den zweiten Anzuhörendenblock.<br />
Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE):<br />
Vielleicht können wir so verfahren, dass wir uns wirklich nur auf Fragen beschränken<br />
und keine Erklärungen abgeben und auch die Anzuhörenden sich auf konkrete Antworten<br />
beschränken.<br />
Zwei Fragestellungen habe ich trotzdem. Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen,<br />
dass Herr Hornauf völlig im Widerspruch zu seinen drei Kollegen der Auffassung<br />
ist, dass diese Bundesverfassungsgerichtsentscheidung, dieser Beschluss<br />
nicht auf <strong>Brandenburg</strong> anwendbar sei.<br />
Ich habe Ihren Ausführungen entnommen, dass Sie der Auffassung sind, dass sogenannte<br />
Altanschließergrundstücke, die weiterveräußert worden sind, dann nicht mehr<br />
veranlagt werden. Habe ich das falsch verstanden? Das müssten Sie noch einmal<br />
erklären. Ihre Erklärung lief in diese Richtung, dass man das annehmen könnte.<br />
Meine zweite Frage richte ich an Herrn Zeutschel. Sie haben dargestellt: Differenzierte<br />
Beiträge sind im Gesetz enthalten, werden aber praktisch kaum zur Anwendung<br />
gebracht, und in Ihrem konkreten Fall, den Sie hier vertreten, sind sie auch nicht zur<br />
Anwendung gebracht worden. Welche Möglichkeiten sehen Sie, differenzierte Herstellungsbeiträge<br />
besser anwendbar, besser durchsetzbar zu machen?<br />
Herr Sven Hornauf (Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki & Hornauf):<br />
Zur Erklärung muss man sich Folgendes vergegenwärtigen: Wenn Sie innerhalb der<br />
Verjährungsfrist jemandem rechtzeitig einen Beitragsbescheid schicken, dann ist dieser<br />
Person gegenüber der Lauf der Festsetzungsverjährung so lange gehemmt, bis<br />
irgendwann diese Abgabe bestandskräftig festgesetzt ist. Das ergibt sich aus § 171<br />
Absatz 3a Abgabenordnung, der durch § 12 KAG übergeleitet wird. Das Problem ist:
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 35<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Wenn Sie nach Eintritt der allgemeinen Verjährungsgrenze für den Aufgabenträger in<br />
der Pflicht sind, einen neuen Bescheid zu machen, und zu diesen Zeitpunkt das Eigentum<br />
gewechselt hat oder beispielsweise ein Erbbaurecht dazugekommen ist,<br />
dann sagt § 8 Absatz 2 KAG, dass immer nur derjenige beitragspflichtig ist, der im<br />
Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheids Eigentümer, Erbbauberechtigter<br />
etc. ist. Das heißt: Tritt zwischenzeitlich ein Wechsel im Eigentum ein - es gibt ja<br />
schöne Statistiken, zwischen 8 und 12 Jahren wechselt statistisch jedes Grundstück<br />
einmal den Eigentümer -, dann können Sie hochrechnen, wann theoretisch jeder einen<br />
neuen Eigentümer hat und wann dann die Veranlagung damit ausgeschlossen<br />
ist. Das ist das Problem: Wenn Sie eine relativ nahe zeitliche Grenze haben - nehmen<br />
wir einmal 2015 -, dann würde ich natürlich, wenn ich Anwalt des Betroffenen<br />
wäre, dem sagen: Klage mal! Ich habe zwar noch keine Idee, wie und warum, aber<br />
das Verwaltungsgericht ist immer sehr kreativ. Die Wahrscheinlichkeit, dass die was<br />
finden, beträgt ja 50:50. Und dann schiebst du das Grundstück mal irgendwie weiter<br />
oder bestellst ein Erbbaurecht - und schon sind wir den Beitrag los. Ab einer gewissen<br />
Größenordnung für den Beitrag macht das richtig Sinn. Die Motivlage, so zu<br />
handeln, ist natürlich umso größer, je näher dieses statistische Endziel - sprich: eine<br />
fixe Jahreszahl - ist. Wenn Sie 2020 sagen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass das<br />
gemacht wird, natürlich deutlich geringer. Bei 2030 wäre es ausgeschlossen. Also<br />
wenn man etwa sagt, Sie nehmen ab jetzt, aber der Verfassungsgerichtsentscheidung<br />
20 Jahre und machen den Deckel drauf, dann kann man mit hoher Sicherheit<br />
sagen, dass der Beitragsausfall so gering sein wird, dass er die Typengrenze nicht<br />
erreicht.<br />
Vorsitzender:<br />
Jetzt erhält Herr Zeutschel das Wort zur Beantwortung der Frage von Herrn<br />
Dr. Scharfenberg.<br />
Herr Ingo Zeutschel (Zeutschel & Schröder Rechtsanwälte):<br />
Ja, es ist in unserem Verbandsgebiet so, dass auch hier die Möglichkeit der Abrechnung<br />
nach differenzierter Berechnung nicht wahrgenommen wird. Irgendwann ging<br />
die Kunde um, dass diese Abrechnungsart und -weise zu schwierig sei und vielleicht<br />
auch nicht verfassungsgemäß. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen. Ich meine,<br />
dass die gut gemeinte Neuregelung 2009 vielleicht nicht konsequent genug gewesen<br />
ist. Vielleicht wäre es günstiger gewesen, für altangeschlossene Grundstücke grundsätzlich<br />
die differenzierte Berechnung einzuführen. Man wäre dann auch in Übereinklang<br />
mit dem, was ich sagte. Es wäre nämlich wie eine Art nachgeholte Einziehung<br />
von Verbesserungsbeiträgen, also desjenigen, was man von Anfang an hätte machen<br />
können: Man holt es dann nach. Wenn man bei den Verjährungsfristen dann<br />
nicht zu weit greift, könnte das funktionieren und würde sicherlich die Akzeptanz der<br />
Altanschließer finden.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank. - Kollege Goetz hat jetzt Gelegenheit, eine Nachfrage zu stellen.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 36<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Abgeordneter Goetz (FDP):<br />
Herr Hornauf, Sie sagten, im Grunde haben wir keinen unmittelbaren Handlungsbedarf.<br />
Wir können uns ruhig Zeit nehmen. Sie sagten dann aber auch, dass das Bundesverfassungsgericht<br />
den Bayern auch Zeit gegeben hätte. Das Bundesverfassungsgericht<br />
hat den Bayern aber nur eine begrenzte Zeit gegeben, nämlich bis April<br />
nächsten Jahres. Was sollen wir nach Ihrer Auffassung denn tun? Wenn ich mir diese<br />
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nehme und sage, was die Bayern dort<br />
vorgegeben bekommen haben, gilt für uns auch, heißt das für uns als <strong>Land</strong>esgesetzgeber<br />
schon, dass wir sofort anfangen müssen, denn für das Ding braucht man<br />
schon eine Weile, um es durchzubekommen. Das widerspricht, glaube ich, dem, was<br />
Sie sagten: Lasst es ruhig liegen, bis irgendwann mal eine Entscheidung kommt.<br />
Herr Sven Hornauf (Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki & Hornauf):<br />
Herr Goetz, das sehe ich nicht so, sonst hätte ich das ja nicht gesagt. Der Knackpunkt<br />
ist, dass die Rechtslage nicht vergleichbar ist. Wir haben keine Beitragserhebung<br />
von Nichteigentümern. Diese Verknüpfung: Das Verfassungsgericht sagt - und<br />
das ist der tragende Grund der Entscheidung -: Es muss bei vorteilsbezogenen Abgaben<br />
eine strikte Verknüpfung zwischen der Erhebung dieser Abgabe und dem Bestehen<br />
- auch in zeitlicher Hinsicht - dieser Vorteilslage existieren. Ist die Vorteilslage<br />
weg wie in Bayern - der hat das Grundstück 1996 verkauft und bekommt 2004 einen<br />
Beitragsbescheid -, wird die Verjährung sogar noch weiter, nämlich fast 20 Jahre<br />
dann, zurückgeschoben. Das hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung<br />
bemängelt.<br />
Diese Situation ist bei uns ausgeschlossen. Bei uns kann niemand rückwirkend einen<br />
Beitragsbescheid bekommen. Bei uns kann niemand in diesem zeitlichen Auseinanderklaffen<br />
veranlagt werden. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass - wie bisher die<br />
Rechtsprechung wirklich einheitlich - vor dem Verfassungsgerichtsbeschluss und<br />
auch jetzt nach dem Verfassungsgerichtsbeschluss - alle sagen: Nein, wir haben diesen<br />
Handlungsbedarf nicht, weil unser Gesetz gerade diese Lücke, diese Entkopplung<br />
nicht enthält. Dies abgesehen von dem Ausreißer aus Cottbus - das ist ja die<br />
einzige Entscheidung aus Cottbus, die sich dazu zustimmend verhält. Bei uns besteht<br />
diese Anknüpfung. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir eben nicht nur bis<br />
01.04.2014, wie die Bayern, Zeit haben. Die Bayern haben jetzt das Problem, dass<br />
sie gar keine Verjährungsregelung haben, denn die Verjährungsregelung - dieser<br />
zweite Spiegelstrich der Norm, der weggeschossen wurde - ist ja in Bayern weg. Bei<br />
denen gibt es jetzt gar nichts, was die Verjährung regelt, und deswegen müssen die<br />
auch zwingend - egal, wie sie es machen - dringend bis 01.04.2014 die Regelung<br />
wieder schaffen. Wir nicht!<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank. - Wir eröffnen den zweiten Anzuhörendenblock mit Herrn Prof. Dr. Klaus<br />
Herrmann von der Rechtsanwaltskanzlei Dombert aus Potsdam.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 37<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Prof. Dr. Klaus Herrmann (Dombert Rechtsanwälte):<br />
Ich möchte die Bitte von Herrn Dr. Scharfenberg aufnehmen und mich kurz fassen<br />
und mich auf einige wenige Punkte konzentrieren (Anlage 5). Der Anlass, aus dem<br />
wir zusammengekommen sind, ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom 05.03.2013, der erst Anfang April 2013 durch Pressemitteilungen verkündet<br />
wurde. Das Innenministerium hat binnen Tagesfrist, möchte man fast sagen, auf bestehende<br />
Probleme hingewiesen. Man kann sicherlich eine rechtliche Bewertung anknüpfen<br />
und sagen: Das geht uns alles nichts an, weil - wenn ich das jetzt einmal<br />
herunterdekliniere - wir eine ganz andere Rechtslage haben oder das sowieso nur<br />
die Fälle betrifft, in denen das Grundstück nach der Feststellung der Unwirksamkeit<br />
einer Beitragssatzung veräußert wurde und dann trotzdem noch einmal jemand, der<br />
das Grundstück gar nicht mehr hat, herangezogen werden soll usw.<br />
Das sind alles Feinheiten in der Anwendung des Kommalabgabenrechts, die einen<br />
wesentlichen Punkt übersehen: Diese Entscheidung, dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts,<br />
der die Begründung formuliert hat: Abgabenrechtliche Ansprüche<br />
müssen verjähren können. Ich finde die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> schon so<br />
ausgestaltet in § 8 Absatz 7 Satz 2 KAG, dass es - die Vorgehensweise der Verwaltungsgerichte<br />
und der Verbände belegt das ja - tatsächlich zu der Ralley um die unwirksamste<br />
Satzung gekommen ist, dass also in <strong>Brandenburg</strong> die Aufgabenträger die<br />
Gefahr verwirklichen, die das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom<br />
08.06.2000 beschrieben hat, dass sich die Verbände, die eigentlich an die Rechtmäßigkeit<br />
gebunden sind, auf die Rechtswidrigkeit ihres Satzungsrechts berufen. Das ist<br />
aus meiner Sicht keine gute Verwaltung. Deshalb sitzen wir zu Recht hier und machen<br />
uns Gedanken darüber. Dass das alles unter einem enormen Zeitdruck geschieht,<br />
trägt natürlich der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts Rechnung,<br />
dass bis April 2014 für Bayern dort eine Regelung getroffen werden muss. Die muss<br />
das Gericht auch treffen, weil es sagen sollte, was, wenn nicht die Unwirksamkeit der<br />
Regelung denn für das konkrete Rechtsverhältnis für den Beschwerdeführer gelten<br />
soll, und dass die Aussetzung der Verfahren eine der Möglichkeiten ist, die stattfindet.<br />
Im Übrigen lohnt für jeden ein Blick auch in den im Internet kostenfrei veröffentlichten<br />
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Das würde vielleicht mit der einen oder<br />
anderen Behauptung aufräumen, das Bundesverfassungsgericht habe keine jahrzehntelange<br />
Verjährungsfrist verboten - Randnummer 46! Der Gesetzgeber soll es<br />
regeln, aber eine jahrzehntelange Verjährungsfrist ist nicht verboten. Es müssen nur<br />
Gründe dafür her. Sie müssen abwägen. Was müssen Sie abwägen? Sie müssen<br />
das Finanzierungsinteresse der Aufgabenträger mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutz<br />
und dem Interesse am Rechtsfrieden auf der Seite der Abgabengläubiger<br />
abwägen.<br />
Es fehlt übrigens auch noch die Vorgabe oder die Pflicht, die das Bundesverfassungsgericht<br />
vermeintlich aufgestellt haben soll, eine zeitliche Obergrenze im Gesetz<br />
zu verankern. Es hat die Regelung in Bayern, die eine zeitliche Obergrenze für die<br />
Vorteilsabgeltung nicht enthält, in der Tat mit der Begründung für verfassungswidrig
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 38<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
erklärt, dass eine zeitliche Obergrenze fehlt. Es hat aber nicht gesagt, dass die<br />
Kommunalabgabengesetze eine zeitliche Obergrenze für die Vorteilsabgeltung regeln<br />
müssen. Sie müssen eine rechtsstaatliche Regelung finden, die dem Interesse<br />
der Abgabengläubiger Rechnung trägt. „Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet<br />
vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen<br />
kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen<br />
muss.“ Sie müssen Klarheit schaffen, rechtsstaatliche Klarheit: Abgabenrechtliche<br />
Ansprüche sollen verjähren, und wenn ja, innerhalb welcher Zeit. Dass das in<br />
den vorliegenden Fällen nicht passiert ist, in Bayern nicht passiert ist, hat das Bundesverfassungsgericht<br />
gestört. Dass das in <strong>Brandenburg</strong> ähnlich läuft, stört sehr viele<br />
Kläger auf der Seite der Altanschließer.<br />
Ich möchte nicht damit hinter dem Berg halten, dass ich die Altanschließer grundsätzlich<br />
für beitragspflichtig halte, auch noch im Jahr 2013. Das tut hier aber nichts zur<br />
Sache.<br />
Nimmt man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und fragt „Was folgt<br />
daraus für <strong>Brandenburg</strong>?“, kann ich dem Kollegen Hornauf nicht zustimmen. Schauen<br />
Sie auch in den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 08.05.2013. Das<br />
Verwaltungsgericht Cottbus sagt: § 8 Absatz 7 KAG ist verfassungswidrig. Entschuldigung!<br />
Es sagt nicht: Es ist verfassungskonform. Es sagt: Die Vorschrift ist verfassungswidrig.<br />
Es wird nur von einer Richtervorlage nach § 100 des Grundgesetzes<br />
Abstand genommen, weil in verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren verwaltungsprozessual<br />
keine Pflicht zur Normenkontrolle, zur Vorlage besteht, weil die Normenkontrolle<br />
das Eilverfahren verzögern würde. Es ist also aus verwaltungsprozessualen<br />
Gründen davon Abstand genommen worden, das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht anzurufen.<br />
Ich möchte Ihnen auch noch sagen, dass sich das Verwaltungsgericht Cottbus auch<br />
sehr intensiv mit der Frage beschäftigt hat: Warum? Was muten wir dem Antragsteller<br />
in dem Eilverfahren eigentlich zu, indem wir jetzt nicht vorlegen? Er hat darauf<br />
verwiesen: Der Gesetzgeber ist am Zug. Sie sind am Zug. Sie sollen sich bitte erst<br />
zusammensetzen und sollen abwägen. Wortlaut: „Er (der Gesetzgeber) könnte auch<br />
das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen<br />
oder die Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene<br />
wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens<br />
der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zusetzen“ usw. - Hinweise, Hinweise,<br />
Hinweise - vielen Dank, Verwaltungsgericht Cottbus. Dort stehen Regelungsmöglichkeiten,<br />
wie man es machen kann. Es steht definitiv nicht darin, dass die Rechtslage<br />
zu § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG in <strong>Brandenburg</strong> verfassungskonform sei. Handlungsdruck,<br />
Handlungszwang besteht. Das ist der Anlass, weshalb wir uns heute hier treffen.<br />
Ich will es kurz machen. Ich habe einen schriftlichen Vorschlag unterbreitet: die verjährungsrechtlichen<br />
Bestimmungen, die es im Kommunalabgabengesetz gibt - § 12<br />
nimmt auf die Verjährungsvorschriften in der Abgabenordnung, §§ 169, 170, 172,<br />
Bezug -, diese Regelungen in Gebrauch zu nehmen, um eine zeitliche Obergrenze<br />
oder jedenfalls eine hinreichende Klarheit zu gewinnen, wann Abgabenansprüche<br />
verjähren.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 39<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Der Schuldner einer Abgabe sucht ebenso wie der Bearbeiter des Abgabenvorgangs<br />
im Zweckverband oder in der Gemeinde, im Kommunalabgabengesetz bei den Verjährungsvorschriften<br />
danach: Wo ist die Grenze der Durchsetzung dieses Abgabenanspruchs?<br />
Dafür sind die Verjährungsvorschriften da. Dafür sind die Verjährungsvorschriften<br />
in allen Abgabegesetzen, die die Hoheitsträger mit der Befugnis ausstatten,<br />
einseitig Zahlungspflichten der Bürger festzusetzen. Da teile ich die Auffassung<br />
von Herrn Prof. Wolff: Diese hoheitliche Befugnis muss aus rechtsstaatlichen Gründen<br />
zeitlich beschränkt sein. Wenn Sie in diese Abgabengesetze schauen - ich nehme<br />
den ganzen Bereich der Rentenversicherung hinzu, von dem Herr Prof. Wolff sicher<br />
viel mehr versteht als ich - stellen Sie fest: Eine zehnjährige Verjährungsfrist ist<br />
dort das höchste der Gefühle. Regelmäßig: vier Jahre.<br />
Auch der <strong>Land</strong>esgesetzgeber hat das bei der Verabschiedung des Kommunalabgabengesetzes<br />
für <strong>Brandenburg</strong> so empfunden und gesagt: Beitragsansprüche sollen<br />
in <strong>Brandenburg</strong> innerhalb von vier Jahren verjähren. - Im Übrigen passiert das auch<br />
mit Ansprüchen zum Beispiel bei Straßenbaumaßnahmen, Verbesserung von Verkehrsanlagen<br />
zusammen; dort verjähren die Beitragsansprüche in vier Jahren.<br />
Kommt die Gemeinde nicht vier Jahre nach Fertigstellung der Straße mit den Bescheiden<br />
rum, ist Sense. Und um das gleich noch einmal zu sagen, weil alle in einem<br />
Boot sitzen: Ist für die Rechtsaufsichtsbehörde erkennbar, dass die Gemeinde - es<br />
gibt eine Satzungsgebungspflicht innerhalb der vier Jahre -, keine Satzung erlässt,<br />
um diese Abgaben zu erheben, muss wohl oder übel das <strong>Land</strong> ran, die untere<br />
Rechtsaufsichtsbehörde, die durch Ersatzmaßnahmen eine Satzung in Kraft setzen<br />
und möglicherweise als Ersatzmaßnahme die Beiträge erheben muss. Das ist bisher<br />
im Hinblick auf die Anschlussbeiträge nicht passiert. Im Hinblick auf die Ausbaubeiträge<br />
gibt es dazu Beispiele aus anderen Bundesländern, wo das passiert ist, was<br />
von den Verwaltungsgerichten auch bestätigt wurde.<br />
Ich meine, das bestehende Verjährungsregime, die im Kommunalabgabengesetz<br />
bestehenden Verjährungsregelungen sind gut und sollten genutzt werden, um dafür<br />
diesen Vorteilsausgleich mit einer zeitlichen Obergrenze zu versehen. Das Werben<br />
um eine kurze Verjährungsfrist hängt nicht nur damit zusammen, dass die Aufgabenträger<br />
eben Schwierigkeiten haben, oder wie lange es denn bei den Aufgabenträgern<br />
dauert, um Bescheide zu erlassen. Es hängt in erster Linie damit zusammen, dass<br />
die Verwaltungsgerichte auch Tatsachen klären. Die Verwaltungsgerichte klären zum<br />
Beispiel die Frage nach einer Bebauung: War ein Grundstück in einer bestimmten Art<br />
und Weise zu einem Zeitpunkt bebaut oder war es das nicht? Ich kann mir nicht vorstellen,<br />
dass zehn Jahre erst recht nach einem Eigentumswechsel rechtsstaatlich<br />
verlässliche Feststellungen dazu getroffen werden können, wie ein Grundstück vor<br />
zehn Jahren bebaut war. Luftbilder - gut, können Sie alles auswerten. Zweifel bleiben.<br />
Das Werben für eine kurze Verjährungsfrist hängt damit zusammen. Da kriegen<br />
Sie womöglich noch Zeugenbeweise, jedenfalls haben Sie noch Unterlagen, auf die<br />
Sie zurückgreifen können, die nicht vernichtet sind - auch nicht nur aufseiten der<br />
Verwaltung, auch aufseiten der Abgabenschuldner. Die sollen den Ordner „Hausbau“<br />
auch irgendwann einmal wegwerfen können. Dieses Interesse ist durch die vierjährige<br />
Verjährungsfrist, die schon im Kommunalabgabengesetz steht, verwirklicht worden.<br />
Da fand schon einmal eine Abwägung statt. Die finde ich immer noch gut.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 40<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Den Vorschlag des Innenministeriums, über dieses geltende Abgabenregime eine<br />
zweite Verjährungsebene zu legen, eine absolute Obergrenze, die auch wieder<br />
hemmbar ist, die auch mit einer Ablaufhemmung versehen werden kann, halte ich<br />
aus Anwendersicht für fatal. Das geht nicht, das schafft Unruhe, schafft Verwirrung.<br />
Das stellt gerade nicht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Klarheit her,<br />
wann denn die Abgaben - bzw. bis wann - durchgesetzt werden können.<br />
Ich werbe dafür, noch einmal darüber nachzudenken, wie man es hinkriegt, möglichst<br />
auf der Grundlage eines geringstmöglichen Eingriffs in das Kommunalabgabenrecht<br />
Rechtssicherheit auch im Hinblick auf diese Verjährungsfragen zu schaffen. Deshalb<br />
hatte ich vorgeschlagen, wie das Verwaltungsgericht Cottbus das auch tut, den<br />
§ 8 Absatz 7 Satz 2 KAG dahingehend zu ändern, dass Entstehen der sachlichen<br />
Beitragspflicht ausschließlich an den Eintritt der tatsächlichen Vorteilslage zu knüpfen.<br />
Derzeit enthält die Vorschrift zwei Tatbestandsvoraussetzungen für das Entstehen<br />
der sachlichen Beitragspflicht. Erstens: Das Grundstück muss angeschlossen oder<br />
anschließbar sein. Zweitens: Es muss eine formell und materiell rechtswirksame Satzung<br />
in Kraft getreten sein. Mit dem Satzungsbedürfnis, und zwar nach einer rechtswirksamen<br />
Satzung, haben wir genau die Regelung, die Artikel 13 Bayerisches KAG<br />
zur Folge hat. Wir brauchen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht eine<br />
wirksame Satzung. Damit können wir es hinausschieben. Ich meine, wenn man es<br />
durchschneidet, wenn man sagt, wir nehmen das Satzungsbedürfnis dort heraus,<br />
machen wir auch nichts falsch. Die Satzung brauchen wir sowieso für die Durchsetzung<br />
der Beitragsbescheide. Man schafft nur einen präzisen Zeitpunkt, an dem die<br />
Vorteilslage abgegolten werden muss, zu dem die Bescheide erlassen werden müssen.<br />
Ich hatte dazu noch, weil das alles auch ganz brisant ist und die Altanschließer da<br />
auch ihren Vorteil haben wollen, eine Klarstellung des Gesetzgebers vorgeschlagen,<br />
dass man sagt: Achtung! Der frühestmögliche Zeitpunkt für das Entstehen sachlicher<br />
Beitragspflichten in Fällen, in denen bisher noch keine Bescheide erlassen sind, ist<br />
der 31.12.2011. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 12 Absatz 3a KAG im<br />
Jahre 2010 schon zum Ausdruck gebracht: Achtung, vor dem 31.12.2011 möchte ich,<br />
dass in <strong>Brandenburg</strong> kein Anschlussbeitrag verjährt, der noch nicht festgesetzt worden<br />
bzw. der nicht verjährt ist. Ich meine, dass es auch konsequent ist, im Laufe dieser<br />
Zeit zu sagen: Gut, der Gesetzgeber musste sich zunächst einmal Luft verschaffen,<br />
um diese Regelung zu finden, mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts umzugehen,<br />
aber für die Zukunft muss es auch eine verlässliche zeitliche Klarheit darüber<br />
geben, dass es nach dem 31.12.2015 keine Festsetzungen von Beitragspflichten<br />
mehr geben kann für Vorteile, die bis zu diesem Zeitpunkt entstanden sind. Ich<br />
finde - da folge ich der Einschätzung des Innenministeriums -, dass es den Verbänden<br />
zumutbar ist, bis zum 31.12.2015 solche Bescheide zu erlassen. Ich will gar<br />
nicht darauf eingehen, vielleicht gibt es nachher eine Diskussion darüber: Altanschließer<br />
hin oder her oder wie man damit umgeht. Jetzt ist Klarheit, wie man das<br />
machen kann.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 41<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Ich meine, dass die vorliegende Regelung, dieser Regelungsvorschlag, zu § 12 und<br />
§ 19 KAG Änderungen vorzunehmen, überdacht werden sollte. Ich hatte vorgeschlagen,<br />
§ 8 Absatz 7 Satz 2 KAG zu ändern. Ich meine, dass man damit eher Rechtssicherheit<br />
und Klarheit schafft.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank. - Als Nächster hat Herr Haferkorn vom Wasserverband Strausberg Erkner<br />
das Wort.<br />
Herr Henner Haferkorn (Wasserverband Strausberg Erkner):<br />
Ich bedanke mich, dass der Wasserverband Strausberg Erkner (WSE) hier kurz seine<br />
Meinung sagen darf (Anlage 6). Es liegen ein Entwurf auf dem Tisch mit einer<br />
Obergrenze im Jahr 2015 und ein Entwurf 2020. Mir ist nicht klargeworden, warum<br />
es einen Entwurf 2015 gibt. Bei dem Entwurf 2020 ist mir das noch halbwegs verständlich.<br />
Aber vielleicht gibt es heute noch Aufklärung, warum dann einen Tag später<br />
2015 dazukam.<br />
Beim Wasserverband Strausberg Erkner war es wie folgt: Er hatte sich wie alle anderen<br />
Verbände vor den Verwaltungsgerichten bemüht, eine wirksame Satzung zu bekommen.<br />
Geglückt ist es ihm im Jahre 2009 mit einer rückwirkend in Kraft gesetzten<br />
Satzung zu 2006. In meinem Verbandsgebiet wäre aufgrund der vierjährigen Verjährungsfrist<br />
2010 Ende der Fahnenstange gewesen. Der <strong>Land</strong>esgesetzgeber - wie wir<br />
eben gehört haben - wollte unbedingt, dass uns der 31.12.2011 ermöglicht wird - also<br />
diejenigen, die schon eine wirksame Satzung hatten; das waren damals noch nicht<br />
so viele. Der WSE hat Altanlieger erheben müssen, und zwar haben wir uns für eine<br />
gleichhohe Beitragserhebung entschieden, weil wir das als einzige rechtssichere<br />
Möglichkeit sehen.<br />
Der Verband hat im Jahr 2011 alle Beitragspflichtigen veranlagt. Ich will, bevor ich auf<br />
die Summen und einige Statistiken komme, kurz sagen: Warum hat ein Verband<br />
überhaupt eine Mischfinanzierung? Da sollten wir uns daran erinnern: Es ging nach<br />
der Wende darum, Investitionskosten gleichmäßig und sozialverträglich auf alle Abgabenpflichtigen<br />
zu verteilen und keinen mit sozial unangemessenen Gebühren zu<br />
überlasten. Denken wir an die Mieter in den Wohnblöcken aus DDR-Zeiten bei uns in<br />
Strausberg, Rüdersdorf und Erkner. Da haben die Politiker gesagt, es sei nicht einzusehen,<br />
dass das hohe Investitionsvolumen, was in den Eigenheimgebieten und in<br />
den anderen Gemeinden getätigt wird, zu sozialen Verwerfungen führt, dass die<br />
neuen Investitionen nur über Gebühren bezahlt werden. Andererseits konnte man die<br />
Eigenheimer nicht mit 100 Prozent Investitionskosten überziehen; das wäre auch<br />
unangemessen gewesen. Also haben wir eine Mischfinanzierung beschlossen, so<br />
wie es das Gesetz in <strong>Brandenburg</strong> auch vorgibt.<br />
Wir haben also 2011 eingezogen. Als ich vor fünf Jahren hier saß, habe ich gesagt:<br />
Wir denken, dass wir 21,6 Millionen Euro erheben müssen. Erhoben hat der Verband<br />
22,6 Millionen Euro. Die Schätzung war ganz gut. Was hat der Verband damit ge-
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 42<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
macht? Er hat bei auslaufenden Zinsbindungsfristen Kredite zurückgezahlt, er tut es<br />
auch dieses Jahr. Und so, wie es die Rechtsprechung fordert, hat der Verband seine<br />
Gebühr von 3,12 Euro auf 2,82 Euro, also um 30 Cent, gesenkt. Wie es aussieht,<br />
können wir am Jahresende mit unseren Bürgermeistern wieder darüber reden, ein<br />
paar Cent nachzulassen.<br />
Wir mussten nicht Bescheide in der Größenordnung, von der wir heute gehört haben<br />
- 2 400 - erstellen. Die Widerspruchsquote beträgt in meinem Verbandsgebiet<br />
72 %. Bis zur Bundesverfassungsgerichtsentscheidung gab es bei 2 400 Bescheiden<br />
etwa 100 Klagen. Meist haben die großen Wohnungsgesellchaften und andere Gewerbetreibende,<br />
die hohe Beiträge zu zahlen haben, Klage eingereicht. Nach dem<br />
Verfassungsgerichtsurteil zog es sprunghaft an. Man konnte tageweise im Posteingang<br />
sehen: Jetzt wird losgeklagt! Da sind noch einmal 50 Klagen dazu gekommen.<br />
Interessant ist folgende Zahl: Von den 2 400 Bescheiden sind 1 850 Bescheide bestandskräftig<br />
geworden.<br />
Das ist eine Prozentzahl von 78,2 %. Das heißt, von 22,6 Millionen Euro sind<br />
12,6 Millionen Euro bestandskräftig eingegangen. Die beklagte Summe beträgt<br />
10 Millionen Euro und ist sozusagen risikobehaftet, offen.<br />
Die andere Zahl, die Sie bestimmt interessiert, ist: Wie viel von den<br />
22,6 Millionen Euro ist denn gezahlt worden? 22 Millionen Euro sind tatsächlich eingezahlt<br />
worden. 400 000 Euro sind mit Ratenzahlung belegt, sodass für uns bei<br />
200 000 Euro richtig Arbeit beim Geldeintreiben besteht. Das Geld ist recht gut eingezahlt<br />
worden.<br />
Wie hat der Verband seine Investitionskosten nach der Wende tatsächlich finanziert?<br />
Wir hatten bis heute Investitionskosten von 306 Millionen Euro in die Erneuerung und<br />
die Erstellung der abwassertechnischen Anlagen. Davon sind 57 Millionen Euro Fördermittel<br />
und 190 Millionen Euro Beiträge. Nach dem jetzigen Stand sind es noch<br />
29 Millionen Euro, die kreditfinanziert sind. Der Fördermittelanteil - nur, damit man es<br />
einmal gehört hat - beträgt 18,6 %, der Anteil der Beiträge 62 %.<br />
Von den Beiträgen haben wir bei uns noch den guten Umstand: Im Berliner Umland<br />
sind viele Investoren tätig gewesen. Die haben mit einem Beitragsvolumen von<br />
55 Millionen Euro dafür gesorgt, dass Anlagen erstellt oder Beiträge gezahlt werden,<br />
sodass die Grundstückseigentümer - um auch diese Zahl zu nennen - von den<br />
190 Millionen Euro 135 Millionen Euro an den erstellten und sanierten Anlagen bezahlt<br />
haben. Die verteilen sich auf Neuanschließer mit 112,5 Millionen Euro - das<br />
macht etwa 88 % - und die Altanlieger mit 22,6 Millionen Euro - macht 11,9%. Das<br />
sind die Ist-Zahlen.<br />
Sie wollten wissen, welche Meinung wir zu 2015 und 2020 haben. Die Juristen - Sie<br />
haben es gehört - sind unterschiedlicher Meinung. Was soll ein Praktiker machen?<br />
Ich hatte zu vollziehen. Ich habe es vorhin gesagt. Wir waren gezwungen. Die<br />
Rechtslage war so. Wir waren „nicht ganz so dumm“ und haben eine wirksame Satzung.<br />
Aber nun ist die Frage, wie es weitergeht. Das Verwaltungsgericht hat etwas<br />
ganz Einfaches gemacht: Es hat im Moment sämtliche Verfahren ausgesetzt, weil die
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Beitragssatzung vor dem OVG beklagt und noch nicht entschieden ist.<br />
Bei der heutigen Verfahrensdauer - das haben Sie heute schon gehört und kennen<br />
das auch - ist Folgendes gar nicht so abwegig: Der Verband kommt mit seinem<br />
Hauptsacheverfahren, von den Wohnungsgesellschaften in Strausberg, Rüdersdorf,<br />
Erkner beklagt, vielleicht in 2016 dran und das Gericht sagt doch: „Du liebe Güte,<br />
irgend so ein kleines Ding finden wir schon“ - wir haben gehört, die Chance steht<br />
50:50, dass die Satzung durchgeht -, dann hätte der WSE bei einer Festlegung auf<br />
2015 als absolute Grenze rückwirkend keine Möglichkeit mehr, das auszugleichen.<br />
Das würde bedeuten: Bei der absoluten Grenze in 2015 könnte es ein Verband, der<br />
schon einmal eine wirksame Satzung hatte und der eingezogen hat und der ganz<br />
schnell zum Handeln gezwungen war, gar nicht schaffen, die beklagten<br />
10 Millionen Euro als Einnahme zu realisieren. Würden die Wohnungsgesellschaften<br />
obsiegen, müsste ich, ob ich wollte oder nicht, die 10 Millionen Euro mit Zinsen wieder<br />
auszahlen.<br />
Man kann sich an drei Fingern abzählen, was der Verbandsvorsteher machen würde,<br />
um die 10 Millionen Euro wieder reinzuholen. Die Neuanlieger können - das haben<br />
wir heute schon gehört - dieses Loch nicht tragen. Ich würde hundertprozentig versuchen,<br />
eine Haftungsklage zu erheben oder dem <strong>Land</strong> sagen: Kinder, ihr habt gewusst,<br />
2015 ist nicht zu schaffen, dieses Geld hätte ich ganz gerne. Ich kann nicht<br />
erwarten - die Bürgermeisterin von Strausberg ist heute da -, dass meine Kommunen<br />
sagen: Die 10 Millionen Euro legst du jetzt im Rahmen eines Umlagebescheides um;<br />
das werden wir schon überweisen. Das wird nicht gehen. Die Kommunen werden<br />
das auch nicht bezahlen. Das kann ich auch verstehen.<br />
Nun sagen die Rechtsprecher: Wenn du so ein Loch hast, müsstest du eigentlich<br />
unterschiedliche Gebühren einführen, denn irgendwo muss das Geld herkommen,<br />
bis du es vom <strong>Land</strong> hast. Eine zweite Gebühr für die Mieter einzuführen, graut uns,<br />
weil das vor den Gerichten auch wieder nicht halten wird. Umlagen hatten wir. Also<br />
bleibt das <strong>Land</strong>.<br />
Quintessenz für den WSE: Man könne aus dem Bauch heraus denken: Na, der hat<br />
das alles vollzogen, 2015 wird für den schon passen. Ich wollte Sie darauf aufmerksam<br />
machen, dass es selbst für meinen Verband, der die Erhebung komplett vollzogen<br />
hat, ganz schwierig ist, mit 2015 zu leben. 2020 könnte eher dazu führen, dass<br />
die Beiträge vollständig reinkommen.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Haferkorn. Ihre Redezeit ist auch erschöpft. - Als Nächstem räume<br />
ich Herrn Otto Ripplinger vom Märkischen Abwasser- und Wasserzweckverband die<br />
Gelegenheit einräumen.<br />
(Herr Haferkorn: KOWAB darf nicht?)<br />
- Wenn Sie dazu noch Ausführungen machen wollen, machen wir mit Ihnen gleich<br />
weiter.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 44<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Herr Henner Haferkorn (KOWAB <strong>Brandenburg</strong>-Ost):<br />
Schönen Dank. - Hier sitzen auch einige Kollegen aus dem KOWAB-Ost-Gebiet im<br />
Saal, die natürlich erwarten, dass wir, wenn wir eingeladen sind, einige Worte sagen<br />
dürfen (Anlage 6).<br />
Ich werde versuchen, rechtlich nicht mehr allzu viel zu sagen. Aber man sollte daran<br />
denken, wie die Situation im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> ist. Erstens. Ein Drittel der Aufgabenträger<br />
hat erhoben. Wir haben eine zweite Klasse von Aufgabenträgern, die jetzt dabei<br />
sind zu erheben. Denn die müssen sich beeilen, weil sie die Drohung 2015 im<br />
Nacken haben. Und wir haben eine Klientel von Aufgabenträgern, die partout gedacht<br />
haben: Das werden wir nie tun müssen. Das heißt, die dritte Kategorie muss<br />
noch erheben.<br />
Zunächst ist für uns als Geschäftsführer, Verbandsvorsteher nachvollziehbar, dass<br />
das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: Mensch, dem Kunden und dem Bürger<br />
müsst ihr doch sagen, wann einmal Schluss ist. Das ist nachvollziehbar. Das ist logisch.<br />
Das zu regeln, auch. Bei der Frage, ob es jetzt hier geregelt werden muss,<br />
sind wir eher bei Herrn Hornauf. Als KOWAB-Mitglieder sehen wir keinen Handlungsbedarf.<br />
Wie verhalten sich die Zweckverbände zu der Zahl 2015? Ich glaube, das wurde zum<br />
Teil deutlich. Diejenigen, die in der Erhebung sind, würden sich ganz toll beeilen, sie<br />
mit zusätzlichen Arbeitskräften, mit Technik, mit Know-how und so weiter durchzuziehen.<br />
Aber was würde passieren? Natürlich würde jeder, der einen Bescheid kriegt,<br />
zunächst Widerspruch einlegen - ganz klar, wenn er die Zahl 2015 kennt. Unserer<br />
Meinung nach würde die Klagequote gegen 100 % hochgehen, weil alle Abgabepflichtigen<br />
davon ausgehen: Irgendetwas werden die Gerichte schon finden, dann<br />
kann rückwirkend nicht mehr geheilt werden, und dann ist die Sache zu Ende.<br />
Die dritte Kategorie hat praktisch noch gar nicht angefangen, die Auflagen der Gerichte<br />
zu erfüllen, grundstücksbezogene, Geschoss- und Datenerhebungen zu erstellen,<br />
um überhaupt Beitragsbescheide zu verschicken, um die Kalkulation fit zu machen<br />
und, und, und. Das dauert bei einem fitten Verband schon zwischen einem halben<br />
und einem dreiviertel Jahr. Bei kleineren Verbänden dauert das halt noch länger.<br />
Wir wollen damit sagen: Es wird Verbände geben, die sich selbst bis 2020 noch<br />
mächtig sputen müssen, um das überhaupt zu schaffen.<br />
Ein Hauptproblem im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> stellt dar, dass viele Verbände noch keine<br />
wirksame Satzung haben. Wir haben das heute schon an sehr vielen Stellen gehört.<br />
In den ganzen Diskussionen der vergangenen Jahre wurde das auch schon diskutiert.<br />
Wir sind im Grunde der Meinung: Der Innenminister und der Justizminister<br />
müssten sich schon einmal mit der Gerichtsbarkeit hinsetzen und uns als Zweckverbänden<br />
sagen, wie eine wirksame Satzung aussieht.<br />
Sie können die renommiertesten Anwälte der Welt hier in <strong>Brandenburg</strong> bezahlen und<br />
beauftragen, sich eine rechtswirksame Satzung schreiben zu lassen. Es wird Ihnen
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
nicht gelingen. Aber das ist unserer Meinung nach zweieinhalb Jahrzehnten nach der<br />
Wende nicht normal. Wir wollen natürlich auch eine rechtswirksame Satzung haben.<br />
Ohne diese Voraussetzung - das haben wir gehört - kann man nicht erheben. Wie<br />
sollen also die, die jetzt noch keine wirksame Satzung haben, so schnell eine gerichtsfeste<br />
Beitragseinziehung organisieren? Das ist wohl schlecht möglich. Das ist<br />
die erste Anregung, die wir haben, dass man in <strong>Brandenburg</strong> offen darüber redet.<br />
Nach der Wende - ich erinnere daran -, hat uns das Innenministerium Mustersatzungen<br />
zur Verfügung gestellt. Wir sollten wieder zu so einem Zustand kommen. Man<br />
sollte aber auch einmal ganz deutlich mit der Gerichtsbarkeit sprechen und die ganze<br />
Sache nicht immer wieder an Formalien scheitern lassen.<br />
Wenn die Richter zu den jährlich stattfindenden Beitrags-/Gebührentagen einladen,<br />
fanden sie es bisher immer ganz schick, auch einmal darüber zu reden: Ist eine Kirche<br />
oder ein Sportplatz mit oder ohne Klo beitragspflichtig? Wir sollten uns um die<br />
wichtige Frage kümmern: Wie kommt man zu einer wirksamen Satzung?<br />
Natürlich warnen unsere Verbände und Aufgabenträger vor der Geschichte, die<br />
durch die Rechtsanwälte schon angesprochen wurde: Eine ungleiche Erhebung, egal<br />
wie sie zustande kommt, wird im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> natürlich zu Problemen führen.<br />
Ich male mir einmal aus: Ein Drittel der Aufgabenträger, die schon erhoben haben,<br />
kommen irgendwie durch und haben das Geld eingezogen, die Beiträge sind da.<br />
Zwei Drittel der Aufgabenträger im <strong>Land</strong> haben aber nicht eingezogen bzw. bekommen<br />
das rechtswirksam nicht hin. Was passiert mit dem Loch? Wir haben es heute<br />
schon gehört und werden es wahrscheinlich noch einmal hören. Umlagen werden<br />
unsere Kommunen dafür nicht zahlen. Wir gucken immer wieder zum <strong>Land</strong> und sagen:<br />
Dieses Loch muss ausgeglichen werden, die Neuanschließer erwarten das aufgrund<br />
der Rechtsprechung. Ansonsten bleibt die ganze Sache ungerecht.<br />
Das sind - da denke ich in Zahlen - ganz, ganz viele Millionen Euro. Hier sind ja<br />
schon dreistellige Millionenzahlen genannt worden. Das Gleiche passiert, wenn uns<br />
Beitragsforderungen verlorengehen bzw. nicht einziehbar sind. Wir werden immer<br />
wieder zum <strong>Land</strong> gucken und nachfragen: Wie wollen wir das denn lösen? Es wird<br />
vielleicht nicht Schuldenmanagementfonds heißen, aber irgendwie muss man es regeln.<br />
Sie wissen, ich persönlich habe das auch nicht gut gefunden. Im öffentlichen<br />
Recht geht eine Forderung offensichtlich nicht unter. Wir alle müssen dafür sorgen,<br />
dass wir in den nächsten Jahren keine allzu großen Verwerfungen kriegen.<br />
Ich denke daran - damit will ich schließen -, dass wir im <strong>Land</strong> eine Leitbilddiskussion<br />
angefangen haben, wie wir Aufgabenträger besser organisieren können usw. Wie<br />
wollen wir das machen, wenn der eine Beiträge eingezogen hat und der andere<br />
nicht? Wir haben jetzt schon große Unterschiede bei den Gebühren. Wir werden es<br />
nie hinbekommen, bessere Strukturen zu organisieren. Das ist für mich auch ein<br />
Grund, der ganz praktikabel zu bedenken ist. - Danke schön.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Haferkorn, dass Sie auch diesen Part übernommen haben. - Jetzt
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
hat Herr Otto Ripplinger vom Märkischen Abwasser- und Wasserzweckverband das<br />
Wort. Ich bitte auch Sie darum, die zehn Minuten einzuhalten. Daran werden wir die<br />
Fragerunde gleich anschließen.<br />
Herr Otto Ripplinger (Märkischer Abwasser- und Wasserzweckverband):<br />
Vielen Dank, Herr Vorsitzender. - Ich will versuchen, mich in Anbetracht dessen, dass<br />
die Zeit etwas vorangeschritten ist, kurz zu fassen. In meinem Vortrag will ich gar<br />
nicht so sehr auf das Juristische eingehen. Ich bin kein Jurist. Wir haben hier im<br />
Raum eine Menge Juristen, die das mit Sicherheit besser beurteilen können als ich.<br />
Ich will aus der Sicht eines Zweckverbandes mehr auf das Praktische eingehen (Anlage<br />
7).<br />
Wir haben vorhin gehört, man überlegt, ob eine zeitliche Obergrenze überhaupt in<br />
das KAG eingearbeitet werden sollte. Was für uns als Praktiker wichtiger ist, ist: Welche<br />
Grenze ist für uns am sinnvollsten und am praktikabelsten? Wir als Märkischer<br />
Abwasser- und Wasserzweckverband (MAWV) gehören, wenn ich mich auf den Vortrag<br />
von Herrn Haferkorn beziehen darf, zu der Kategorie 2. Wir sind ein Zweckverband,<br />
der die Beitragsbescheidung als solche bisher nicht vor sich hergeschoben<br />
hat, sondern die Aufgabe, wenn sie anstand, angegangen ist.<br />
Der MAWV ist im Jahre 1994 gegründet worden. Dem MAWV gehören 18 Städte und<br />
Gemeinden mit ca. 105 000 Einwohnern an, die ver- und entsorgt werden. Bei uns<br />
liegt der Erschießungsgrad mittlerweile bei fast 100 %. Wie viel Bescheide produziert<br />
ein Zweckverband? Welche Größenordnungen sind denn da zu bewältigen? Wir haben<br />
bis zum 31. Dezember 2010, seit der Gründung des Zweckverbandes, gegenüber<br />
den Bürgern 45 000 Bescheide erlassen. Aus diesen 45 000 Bescheiden haben<br />
wir 140 Millionen € eingenommen, die wir zur Finanzierung der neu errichteten Anlagen<br />
eingesetzt haben. Wir haben vorhin gehört, es gibt ein Zusammenspiel zwischen<br />
Anschlussbeiträgen und Gebühren. Die Auswirkung daraus ist, dass wir bei uns im<br />
Verbandsgebiet relativ sozialverträgliche, angemessene Gebühren haben. Die Widerspruchsquote,<br />
was die Gebühren in unserem Verbandsgebiet anbetrifft, ist im<br />
Vergleich zu den Anschlussbeiträgen, die wir erheben müssen, nahe null. Wir streiten<br />
uns selten über die Gebühren, die wir erheben. Wir streiten uns aber oft über die Anschlussbeiträge,<br />
weil wir seitens der Verbandsversammlung einstimmig festgelegt<br />
haben: Wir wollen einen relativ hohen Anschlussbeitrag erheben.<br />
Ein Punkt zwischendurch: Seit der Gründung des Zweckverbandes sind dem MAWV<br />
weitere neun Städte, Gemeinden, Eigenbetriebe, Ortsteile entweder freiwillig oder mit<br />
Hilfe des Schuldenmanagementfonds beigetreten. Viele haben vor dem Verbandsbeitritt<br />
auch eine Bescheidung durchgeführt und sind anschließend dem MAWV beigetreten.<br />
Daraus ergibt sich das Problem, dass nach Ansicht der Gemeinden die Bescheidung<br />
an sich so weit abgeschlossen, also nichts mehr anzufassen war. In Vorbereitung<br />
der Altanschließerbescheidung haben wir festgestellt: Dem ist nicht so. Da<br />
gibt es eine Menge Lücken, die noch klärungsbedürftig sind. Wir haben uns vorgenommen,<br />
auch diese Flurstücke zu klären und ein Grundstück, wenn es aus welchen<br />
Gründen auch immer von wem auch immer nicht beschieden worden ist, zur Wahrung<br />
des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu bescheiden. Wir wollten diese Lücken
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
angehen, nachdem wir die Neuanschließerbescheidung abgeschlossen haben.<br />
Dann gab es seitens der Rechtsprechung die Aussage: Altanschließer sind nicht zu<br />
vergessen. Auch diese sind zu bescheiden. Also haben wir gesagt, wir stellen das<br />
andere zurück, stürzen uns auf die Altanschließer. Durch die Verbandsversammlung<br />
ist ein einstimmiger Beschluss gefasst worden: Wir wollen die Altanschließer bescheiden,<br />
und die sollen den gleichen Anschlussbeitragssatz zahlen wie die Neuanschließer,<br />
einfach um die daraus möglichen resultierenden negativen Auswirkungen<br />
auf Gebühren oder was auch immer zu vermeiden. Die Verbandsversammlung hat<br />
sich unter Abwägung der Risiken damals entschieden: Altanschließer zahlen den<br />
gleichen Anschlussbeitragssatz. Also haben wir mit der Bescheidung der Altanschließer<br />
begonnen. Gegenüber den sogenannten Altanschließern haben wir<br />
19 000 Bescheide erlassen müssen, Widerspruchsquote nahe 100 %.<br />
Begonnen haben wir am 1. Januar 2011. Jetzt haben wir Mitte 2013. Von den<br />
19 000 Bescheiden haben wir zwischenzeitlich 6 000 Widerspruchsbescheide abgearbeitet.<br />
Also haben wir noch ungefähr 13 000 Bescheide, die abzuarbeiten sind. Wir<br />
haben einmal hochgerechnet, wie lange wir mit unserem Personalbestand brauchen,<br />
um eine fundierte, kontrollierte Abarbeitung auch in Kommunikation mit dem Bürger<br />
durchzuführen, und sind bei vier Jahren gelandet. Das bedeutet, wenn eine Festlegung<br />
der endgültigen Verjährungsfrist auf das Jahr 2015 erfolgt, werden wir das nicht<br />
schaffen. Da sind die 10 000 Lücken, die wir bisher vor uns hergeschoben haben,<br />
noch gar nicht drin.<br />
Wenn denn eine Festlegung auf 2015 erfolgt, werden wir, um den Schaden so gering<br />
wie nur irgend möglich zu halten, gezwungenermaßen nur noch Bescheide produzieren.<br />
Dann gibt es keine Kommunikation mit dem Bürger. Wir werden dann einfach<br />
zusehen, dass so viele Bescheide wie nur irgend möglich in die Welt gesetzt werden<br />
in der Hoffnung, dass wir diese Bescheide nicht irgendwann aufheben müssen.<br />
Wenn der Fall eintritt - die Wahrscheinlichkeit ist momentan relativ hoch -, werden<br />
dem Verband eine Menge Einnahmen verlorengehen, die er dann in irgendeiner<br />
Form refinanzieren muss. Da wird man sich auf jeden Fall die Frage stellen müssen,<br />
woher das Geld genommen werden soll. Man kann nicht sagen, dass der MAWV<br />
bisher untätig gewesen ist. Man kann auch nicht sagen: Okay, wir wollen jetzt eine<br />
kurzfristige Regelung. Ihr habt sechs Mitarbeiter, die momentan für euch tätig sind<br />
und die ganze Abarbeitung machen, verdoppelt den Personalbestand. Das geht auch<br />
nicht. Die Bescheidung und die Widerspruchsbescheidung als solche sind anspruchsvoll.<br />
Da müssen Sie schon ausgebildete Fachkräfte einsetzen und nicht Mitarbeiter<br />
einer Zeitarbeitsfirma. Wenn die Entscheidung 2015 fällt, wird man überhaupt<br />
keine Fachkräfte mehr bekommen, weil viele Zweckverbände gezwungenermaßen<br />
unter Zugzwang geraten, insbesondere die, die mit der Bescheidung noch<br />
gar nicht angefangen haben, und nach entsprechenden Fachkräften suchen.<br />
Quintessenz aus dem Ganzen ist, dass eine Festlegung der endgültigen Verjährungsfrist<br />
auf 2015 dem MAWV und vielen anderen Zweckverbänden im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
erhebliche Probleme bereiten, zu erheblichen Einnahmeausfällen und bei<br />
den Bürgern nicht unbedingt zu Verständnis führen würde. Deswegen unser Vorschlag,<br />
wenn denn schon eine zeitliche Regelung eingearbeitet werden muss, dann
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frühestens 2020 zu wählen.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Ripplinger. - Wir sind am Ende des zweiten Anzuhörendenblocks<br />
angekommen. Ich kann die Fragerunde eröffnen. Frau Nonnemacher hat sich zuerst<br />
zu Wort gemeldet, dann Herr Dr. Scharfenberg.<br />
Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90):<br />
Danke schön, Herr Vorsitzender. - Herr Haferkorn, Sie haben in Ihren Ausführungen<br />
schon angesprochen, dass bei der Regelung 2015 dem Verband Strausberg Erkner<br />
praktisch Einnahmeverluste von 10 Millionen Euro drohen würden. Wie hoch schätzen<br />
Sie das denn für das ganze Verbandsgebiet ein?<br />
Die gleiche Frage an Herrn Ripplinger. Sie haben gesagt, es stünden noch<br />
13 000 Bescheide aus, gegen die Widerspruch eingelegt werden könnte. Wie hoch<br />
ungefähr sind die zu erwartenden Ausfälle für Ihren gesamten Zweckverband?<br />
Jetzt meine Fragen an Herrn Prof. Herrmann. Sie hatten sich, ausgehend von der<br />
Stichtagsregelung, also bis zum 31. Dezember 2012 muss eine Satzung erlassen<br />
sein, dafür ausgesprochen, den 31. Dezember 2015 als nahe liegenden Termin zu<br />
wählen. Sie haben die Stellungnahmen der Vertreter der Zweckverbände gehört.<br />
Was meinen Sie, wie mit den Einnahmeverlusten umzugehen wäre? Wer trägt die<br />
Kosten? Entsteht durch das Konnexitätsprinzip in <strong>Brandenburg</strong> ein Anspruch gegenüber<br />
dem <strong>Land</strong>, dass die Kommunen sagen können: Wenn ihr euch per Gesetzgebung<br />
auf diese Frist festlegt, seid ihr auch verpflichtet, den Zweckverbänden oder<br />
den beteiligten Kommunen diese Kosten zu ersetzen? Welche anderen Finanzierungsvorschläge<br />
gibt es, die rechtskonform wären, um diese Einnahmeausfälle zu<br />
kompensieren?<br />
Vorsitzender:<br />
Ich möchte nun die Liste der Fragesteller vorlesen. Nach Frau Nonnemacher wird<br />
zunächst Herr Dr. Scharfenberg das Wort bekommen, dann Herr Burkardt und dann<br />
Herr Goetz. Ich frage an dieser Stelle: Gibt es weiteren Fragebedarf? Ich möchte nur<br />
eine Fragerunde zulassen, um der fortgeschrittenen Zeit Rechnung zu tragen. - Ich<br />
sehe, das ist nicht der Fall. Dann arbeiten wir diese vier Fragen ab. Die drei Kollegen<br />
bekommen jetzt Gelegenheit, ihre Fragen zu stellen. - Herr Dr. Scharfenberg.<br />
Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE):<br />
Ich denke, dass die Vertreter der Verbände hier deutlich gemacht haben, dass sie<br />
ihre wirtschaftlichen Interessen vertreten. Das ist auch legitim. Das ist ihre Verantwortung.<br />
Aber das Bundesverfassungsgericht hat ja gerade mit seiner Entscheidung<br />
darauf aufmerksam gemacht, dass es einen anderen Aspekt gibt, nämlich den der<br />
Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für zu Veranlagende. Vielleicht können<br />
Sie diesen Aspekt in Ihre Überlegungen einbeziehen. Ich weiß, dass ich Ihnen damit
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
etwas zumute. Ich bitte Sie trotzdem, sich dazu zu äußern.<br />
An Herrn Haferkorn noch folgende konkrete Frage: Der bisherige Prozess, wie mit<br />
Satzungen verfahren worden ist, ist uns sehr geläufig. Wie kann man das in geeigneter<br />
Weise abstellen? Könnten Sie sich vorstellen, Satzungen über ein verbindliches<br />
Normenkontrollverfahren rechtssicher zu machen? Oder gibt es andere Vorschläge?<br />
Ansonsten laufen wir Gefahr, dass dieser Prozess immer weitergeht. Ich will gar nicht<br />
ausschließen, dass Verbände auch das Interesse entwickeln können, dass ihre Satzungen<br />
nicht rechtswirksam sind.<br />
Abgeordneter Burkardt (CDU):<br />
Schönen Dank, Herr Dr. Scharfenberg, für die Vorlage, was die Frage anbelangt. Da<br />
bin ich bei meiner Frage angelangt, die ich Herrn Prof. Herrmann stelle. Möglicherweise<br />
besteht kein Interesse daran, Satzungen bestandskräftig oder rechtswirksam<br />
werden zu lassen, weil man sich damit der Befristungen, die denkbar sind, entledigen<br />
kann.<br />
Ich will die Frage weglassen, ob jedes Mal dann, wenn das <strong>Land</strong> ein Gesetz gemacht<br />
hat, das vor dem Verfassungsgericht nicht Bestand hat, die Konnexitätspflicht des<br />
<strong>Land</strong>es auslösen würde. Das wäre ein hoch interessanter Ansatz, den wir einmal diskutieren<br />
könnten.<br />
Ich habe eine ganz schlichte Frage. Es wäre durchaus nicht außergewöhnlich, Herr<br />
Prof. Herrmann, wenn der Gesetzgeber Ihren Überlegungen, nämlich die Bedingungen<br />
der rechtswirksamen Satzungen zu streichen, nicht folgen würde. Deswegen<br />
meine Frage: Woran erkennt man eigentlich eine rechtswirksame Satzung?<br />
Abgeordneter Goetz (FDP):<br />
Prof. Herrmann, Sie haben anhand der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Cottbus,<br />
die relativ frisch ist, einen Formulierungsvorschlag unterbreitet. Als Praktiker der<br />
Rechtsetzung frage ich mich, ob man nicht auch eine rechtssichere Formulierung<br />
finden würde, wenn man einfach wieder den Zustand herstellt, wie er bis 2004 bestanden<br />
hat. Würden Sie mir zustimmen, dass das auch eine Variante wäre, um<br />
Rechtssicherheit und eine verfassungsfeste Rechtslage herzustellen?<br />
Zweitens. Von mehreren ist gerügt worden, dass man, wenn es eine Verjährungsfrist<br />
nur bis 2015 gäbe, nicht mehr reparieren könnte. Ist es nicht eigentlich so, dass im<br />
Verwaltungsgerichtsverfahren eine gewisse Verjährungshemmung eintritt, dass man<br />
also, wenn in so einem Verfahren offensichtlich wird, dass die eigene Satzung nicht<br />
hält, nachbessern könnte? Das würde einen Teil der Argumente, der hier gekommen<br />
ist, entfallen lassen. Die Behörden sind ja eh privilegiert, weil sie fortlaufend nachbessern<br />
können, was sie Bürger im Regelfall nicht können.<br />
Herr Haferkorn, Sie haben darauf hingewiesen, dass gleiche Beträge für alle die einzige<br />
rechtssichere Erhebungsmöglichkeit seien. Ich weiß nicht, ob Ihnen das Beispiel<br />
Rheinsberg bekannt ist. Die machen das ja anders. Die haben im Grunde gar keine<br />
Beiträge, die erhoben werden. Sie haben alles über Gebühren geregelt und sagen,
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die Diskussion, die wir führen, geht sie nichts an, weil sie eine rechtssichere Variante<br />
haben. Wäre das nicht auch eine Möglichkeit, für Rechtssicherheit zu sorgen - natürlich<br />
mit dem Hintergrund, dass dann zwangsläufig die Gebühren höher werden? Das<br />
muss man wissen. Das ist bereits angesprochen worden. In Rheinsberg haben sie es<br />
einmal auf einer Fachtagung des Innenministeriums vorgerechnet. Es war erstaunlicherweise<br />
sehr überschaubar, was dort an zusätzlichen Gebühren erhoben worden<br />
ist.<br />
Herr Haferkorn, Sie sagen, wenn Sie 10 Millionen Euro zurückzahlen müssten, wäre<br />
das nach vier Jahren Verfahrensdauer bitter. Vier Jahre Verfahrensdauer bedeuten<br />
bei 10 Millionen Euro auch 2,4 Millionen Euro Zinsen. Was machen Sie mit denen?<br />
Haben Sie die irgendwo eingepreist? Wie wollen Sie damit umgehen? Die müssen ja<br />
oben draufkommen. Sie müssen dann ja verzinsen. 2,5 Millionen Euro obendrauf ist<br />
ja kein Pappenstiel.<br />
Herr Ripplinger, Sie haben darauf verwiesen, dass Sie nicht nur Altanschließer veranlagen<br />
müssten, sondern auch aus beigetreten Gemeinden viele Lücken haben. Sind<br />
das nicht eigentlich die klassischen Verjährungsfälle, wo man sagen würde: Es ist<br />
ganz typisch, dass man, wenn eine Gemeinde, eine Stadt 20, 30, 40 Leute vergessen<br />
hat, irgendwann nicht mehr kommen. Kann es Anliegen des Gesetzgebers sein,<br />
dass Schlamperei, die durch Lücken in der eigenen Satzungsfindung entstanden ist,<br />
die sich im Nachhinein auswirkt, zu einer Veranlagung zu führt? Kann das wirklich<br />
unser Ansatz sein?<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank. - Wir gehen in die Beantwortung der Fragen über. Herr Prof. Herrmann<br />
beginnt.<br />
Prof. Dr. Klaus Herrmann (Dombert Rechtsanwälte):<br />
Vielen Dank. - Ich habe aus den Fragen vier Komplexe herausgenommen. Von Herrn<br />
Burkardt kam die allgemeine Frage: „Woran erkenne ich eine wirksame Satzung?“.<br />
Es ist dem normalen Bürger, dem normalen Abgabengläubiger schlichtweg nicht<br />
möglich, die Wirksamkeit einer Satzung zu erkennen. Ich glaube auch, dem Beschluss<br />
des Verfassungsgerichts das Verständnis für die Situation des Bürgers entnehmen<br />
zu können - ich sage nicht, dass es das gesagt hat; ich sage, es entnehmen<br />
zu können -, dass die Frage der Wirksamkeit einer Satzung das denkbar ungeeignetste<br />
Mittel ist, Klarheit hinsichtlich des rechtsstaatlichen Geltungszeitraums einer<br />
solchen Vorteilsabgeltung zu schaffen. Deshalb war mein Vorschlag - meiner Meinung<br />
nach auch der konsequenteste -, zu sagen: Dann lasst die Beitragspflicht in<br />
dem Moment entstehen, in dem das Grundstück angeschlossen werden kann.<br />
Zur zweiten Ebene. Herr Goetz fragt nach der Ablaufhemmung in gerichtlichen verwaltungsgerichtlichen<br />
Verfahren. Ja, in der Tat sieht die Rechtslage jetzt schon durch<br />
den in Bezug genommenen § 171 Abs. 3 a der Abgabenordnung vor, dass derjenige,<br />
der gegen einen Abgabenbescheid Widerspruch erhebt und klagt, nicht in dem gleichen<br />
Maße in seinem Vertrauen geschützt ist, nicht mehr in Anspruch genommen zu
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werden wie derjenige, der nicht klagt oder gar keinen Bescheid bekommt, denn er<br />
bringt mit seinem Widerspruch oder seiner Klage ja zum Ausdruck: Das akzeptiere<br />
ich nicht. Damit verlassen wir den Normalfall. Wir gehen jetzt in eine Klärung des<br />
Einzelfalls, für die der Gesetzgeber in der Abgabenordnung schon einen Interessenausgleich<br />
geschaffen hat. Der heißt: Bis zum rechtskräftigen Ende des Klageverfahrens<br />
verjährt hier überhaupt nichts. Das ist eine Regelung, die den Charme hat, den<br />
Aufgabenträgern im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Nachbesserungsmöglichkeiten<br />
zu eröffnen.<br />
Ich darf sowohl die Anmerkungen von Herrn Hornauf, der sich jetzt leider nicht wehren<br />
kann, als auch zu den Anmerkung von Herrn Haferkorn über die Umstände der<br />
verwaltungsgerichtlichen Verfahren Folgendes nachschieben: Wir haben hier heute<br />
leider keinen Verwaltungsrichter hier. Die können sich nicht wehren. Die werden sich<br />
wehren, wenn das Innenministerium oder das Justizministerium auf sie zukommen<br />
und sagt: Geht bitte mit den verwaltungsgerichtlichen Verfahren anders um. Denn es<br />
gibt auch im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> richterliche Unabhängigkeit.<br />
Ich weiß nicht, ob das Meckern mit den Verwaltungsgerichten zielführend ist. Man<br />
muss immerhin die Frage stellen, was zuerst da war, das Huhn oder das Ei. Solange<br />
die Verwaltungsrichter wissen, der Verband kriegt neue Hausaufgaben auf, muss<br />
nach Hause gehen, macht eine neue Satzung und kann dann sowieso neu heranziehen,<br />
trägt das auch dem Erwartungshorizont an die eigene Arbeitsleistung des Verwaltungsrichters:<br />
„Wie werde ich am schnellsten mit dem Fall fertig?“, Rechnung. Ist<br />
dem Verwaltungsrichter klar, er muss hier entscheiden, und zwar über alles oder<br />
nichts, auch für den Verband? Ich kenne alle Abgabenkammern im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong>,<br />
ich kenne den Abgabensenat des Oberverwaltungsgerichts. Es gibt Äußerungen<br />
dazu, was sie von der Arbeit der Verwaltungsträger halten. Die will ich hier nicht<br />
wiedergeben. Ich halte es für zu erwarten, dass, wenn man in einem solchen Fall als<br />
Aufgabenträger sagt: „Hallo, hör zu, auch wenn ihr meine Satzung beim Oberverwaltungsgericht<br />
im Berufungsverfahren für unwirksam erklärt, gehe ich gegenwärtig von<br />
der Wirksamkeit der Satzung aus“, das einen Gehörsverstoß darstellen kann, dass<br />
der Aufgabenträger, wenn es darum geht, die ganze Abgabe zu verlieren, die nur<br />
wegen eines Satzungsfehlers im Streit steht, zukünftig verlangen kann, dass das Gericht<br />
rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung, auf deren Grundlage es über den<br />
Fall entscheiden möchte, auf Satzungsmängel hinweist, um dem Verband die Möglichkeit<br />
zu geben, seine Satzung zu korrigieren.<br />
Herr Hornauf hat folgenden Fall gebracht: In dem Moment, in dem das Verwaltungsgericht<br />
sagt: „Es liegt ein Veröffentlichungsmangel vor, weil wir das Amtsblatt 7.1 genannt<br />
haben“, wäre meine Beratung möglicherweise anders ausgefallen als zu sagen:<br />
Lass das bitte vor dem Oberverwaltungsgericht klären. Es wäre für den Verband<br />
die billigere Lösung gewesen, bekanntzumachen. Egal! So weit zu der Frage, wie<br />
man gerichtliche Verfahren schneller machen kann. Ich will Herrn Haferkorn aber<br />
nicht vorgreifen.<br />
Dritte Ebene, Frau Nonnemacher! Wie komme ich auf den Termin 2015? Ich komme<br />
auf den Termin 2015, weil ich dem Vorschlag, der Formulierungshilfe und dem Referentenentwurf<br />
des Innenministeriums entnommen habe, dass man sich dort über die
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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Abwägung des Vertrauensschutzes mit der speziellen strukturellen Situation im <strong>Land</strong><br />
<strong>Brandenburg</strong> und der speziellen Situation des Anschlussbeitragsrechts schon Gedanken<br />
gemacht hat. Es ist nicht so - wenn ich das einmal aus meiner persönlichen<br />
Erfahrung reflektieren darf -, dass die Frage der Altanschließerheranziehung bis zur<br />
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Jahr 2000 vollkommen selbstverständlich<br />
war. Es war von Anbeginn, von 1995 an umstritten, ob die Altanschließer<br />
herangezogen werden dürfen.<br />
Keiner, weder die Verantwortlichen bei den Verbänden, noch die Grundstückseigentümer,<br />
können bei einer solch ungewissen Rechtslage darauf vertrauen, dass das<br />
Recht nun gerade auf das Feld, auf dem sie stehen, das Licht wirft. Es war unsicher.<br />
Durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts im Dezember 2001 wurde gesagt, die<br />
Altanschließer sollen herangezogen werden. Damit ist eine letztverbindliche Auslegung<br />
des <strong>Land</strong>esrechts herbeigeführt worden, zehn Jahre nach Schaffung der ersten<br />
Verbände. Das ist eine enorme Zeitdauer, die mit den besonderen Bedingungen des<br />
Aufbaus der Verwaltungsgerichtsbarkeit zusammenhängt. Sie sehen, das Berufungsverfahren<br />
beim Oberverwaltungsgericht hat ein 98er-Aktenzeichen, als es im Dezember<br />
2000 entschieden wurde. Also es dauert auch beim Oberverwaltungsgericht<br />
zwei, drei Jahre, bis so etwas passiert. Das sind Zeiträume, die der Gesetzgeber für<br />
die Frage: „Wie sollen heute Herstellungsbeiträge, die noch ausstehen, festgesetzt<br />
werden?“, natürlich berücksichtigen muss. Daher komme ich dazu und sage: Der<br />
Gesetzgeber hat sich doch schon einmal Gedanken gemacht. Wir sind vom Oberverwaltungsgericht<br />
mit dem Urteil vom 12. Dezember 2007 darauf hingewiesen worden,<br />
dass wir bei der Änderung des § 8 Absatz 7 Satz 2 KAG im Dezember 2003 mit<br />
Wirkung zum 1. Februar 2004 die Auswirkungen nicht richtig bedacht haben. Wir gingen<br />
damals davon aus, alle haben rechtswirksame Satzungen, das hat überhaupt<br />
gar keine Auswirkungen. Nein, das Gegenteil war der Fall.<br />
Jetzt hat man gesagt: Die Beitragspflichten, die ihr braucht, um euch zu refinanzieren<br />
und möglicherweise die Altanschließer heranzuziehen, sind noch gar nicht entstanden.<br />
Wir schreiben es rein, weil wir das immer schon so verstanden haben: Wir wollen<br />
rechtswirksame Satzungen für das Entstehen des sachlichen Beitragspflicht haben.<br />
Das weckt natürlich auch Begehrlichkeiten.<br />
Das Oberverwaltungsgericht hatte schon im Jahr 2000 in dem Urteil, in dem es gesagt<br />
hat, es komme auf das In-Kraft-Setzen, nicht das Inkrafttreten der ersten Satzung<br />
an, versucht, diese Unsicherheiten im Wege der Rechtsanwendung vorwegzunehmen.<br />
Es konnte nicht das Gesetz ändern. Es konnte nicht sagen: Ich verschließe<br />
die Augen vor den Worten, dass die Beitragspflicht erst entsteht, wenn eine Satzung<br />
in Kraft tritt; das berücksichtige ich gar nicht. Das darf das Oberverwaltungsgericht<br />
natürlich nicht. Die haben versucht, diesen Tatbestand so weit als möglich verfassungskonform<br />
auszulegen, zu sagen: Da muss ich den Vertrauensschutz der Bürger<br />
hineinlesen. Ich kann nicht mit dem einen Tatbestandsmerkmal Anschlussmöglichkeit<br />
des Grundstücks sagen: „Hier hast du etwas vor Augen gesetzt, das siehst du, ab<br />
jetzt läuft die Uhr vier Jahre“, das gleiche Tatbestandsmerkmal aber durch die Auslegung<br />
des anderen Tatbestandsmerkmals: „Es kommt aber immer noch auf die für<br />
dich unsichtbare Wirksamkeit der Satzung an“, völlig entfallen lassen. Das ist der
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 53<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Zustand, den wir jetzt haben.<br />
Ich meine, der Gesetzgeber hat die Abwägung schon einmal getroffen und gesagt:<br />
Vor dem 31. Dezember 2011 verjähren Beitragspflichten bei den Altanschließern<br />
nicht. Jetzt ist es ein wenig hin und hergeschoben, denn es gibt Feinheiten. Da steht<br />
Satz 2 in § 12 Abs. 3 a KAG: Sie verjähren nur dann nicht, wenn sie nicht bereits verjährt<br />
sind. Das muss man mit bedenken. Das bezieht sich nach meinem Verständnis<br />
aber auf die damalige Rechtslage, dass die Beitragspflichten gegenüber den Altanschließern<br />
schon deshalb nicht verjähren konnten, weil sie nach dem selbst gesetzten<br />
Recht des Gesetzgebers gar nicht verjähren konnten, weil sie noch nicht entstanden<br />
waren. Kompliziert!<br />
Ich meine, mit dem Gesetzesbeschluss 2010 zu sagen, bis zum 31. Dezember 2011<br />
verjährt hier überhaupt nichts, die Aufgabenträger sollen sich darauf einstellen, sollen<br />
das machen können, kann man einen zeitlichen Anknüpfungspunkt festmachen zu<br />
sagen: Ab dem 31. Dezember 2011 mussten die Verantwortlichen bei den Verbänden<br />
bösgläubig sein.<br />
Lassen wir einmal die Frage Mustersatzung, Unterstützung des Innenministeriums,<br />
allgemeine Richtigkeitszweifel an den Satzungen außen vor. Das ist - Entschuldigung<br />
- Betriebsrisiko der Verbände. Ab dem Zeitpunkt musste man sich darauf einstellen:<br />
Wir müssen etwas tun. Ich halte es für vertretbar, wenn man sagt, dass spätestens<br />
zu diesem Zeitpunkt Beitragspflichten so entstanden sind, dass sie, wie das Bundesverfassungsgericht<br />
fordert, auch irgendwann mal wirklich beendet sind, das wir darüber<br />
nicht mehr reden. Dafür werbe ich noch einmal.<br />
In diesen verwaltungsgerichtlichen Verfahren findet in jedem Einzelfall - lassen Sie es<br />
500 oder 1 000 oder 50 000 im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> sein; das ist mir im Moment egal -<br />
irgendwann die letzte mündliche Verhandlung statt. Daraufhin ergeht ein Urteil. Dieses<br />
Urteil ist mit Rechtsmitteln angreifbar. Auch das Berufungsgericht ist irgendwann<br />
fertig. Danach ist die Frage: Gibt es eine Nichtzulassungsbeschwerde? Gibt es eine<br />
Verfassungsbeschwerde? Auch das ist irgendwann fertig. Meine Bitte: Setzen Sie<br />
heute den Stein in das Mosaik ein, um in 15 Jahren nicht wieder über entstandene<br />
Beitragspflichten debattieren zu müssen. Setzen Sie heute den Stein ein, der notwendig<br />
ist, um auch das Thema Altanschließer für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> abzuschließen.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Prof. Herrmann. - Jetzt hat Herr Haferkorn die Möglichkeit, auf<br />
Fragen einzugehen. - Noch eine Nachfrage?<br />
Prof. Dr. Klaus Herrmann (Dombert Rechtsanwälte):<br />
Sie hatten noch die Frage nach dem Konnexitätsprinzip. Beinahe wäre ich aus Zeitgründen<br />
nicht dazu gekommen, sie zu beantworten.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 54<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Ich gehe davon aus, dass gegenwärtig Abgabenpflichten durchsetzbar sind und dass<br />
es in den Händen der Verbände liegt, diese Beitragspflichten durchzusetzen. Ich gehe<br />
davon aus, dass das Satzungsrisiko, dass das Risiko der verwaltungsgerichtlichen<br />
Verfahren Betriebsrisiken der Verbände sind, mit denen sie umgehen müssen.<br />
Ich halte es für ein sehr schmales Brett zu sagen, dass für alle Rahmenbedingungen,<br />
die irgendwie zu Defiziten bei den Verbänden führen, der Gesetzgeber zuständig ist<br />
oder gar die Aufsichtsbehörde. Bei der Aufsichtsbehörde hätte ich vielleicht noch ein<br />
paar Ansatzpunkte, wenn man sagt: Die haben aber gesagt, die haben uns in die und<br />
die Richtung laufen lassen.<br />
Gibt es spezielle Regelungen? Das Staatshaftungsgesetz lassen wir außen vor. Der<br />
Gesetzgeber ist mit drohenden Schadensersatzansprüchen nicht erpressbar. Sie<br />
müssen berücksichtigen: In dem Moment, in dem Sie den Kommunen für die ihnen<br />
übertragenen Aufgaben die Entgelte abschneiden, sind Sie durch das Konnexitätsprinzip<br />
in der Tat verpflichtet, eine Ersatzfinanzierung zur Verfügung zu stellen. Ich<br />
meine aber, es ist wiederum ein schmales Brett, das vielleicht daneben liegt, zu sagen,<br />
wenn ich heute, im Jahr 2013, eine gesetzliche Regelung schaffe, ermöglicht<br />
das den Aufgabenträgern, innerhalb von noch immer zwei Jahren Festsetzungsbescheide<br />
zu erlassen, vor Ablauf von Verjährungsfristen oder zeitlichen Obergrenzen;<br />
das ist eine für die Aufgabenträger zumutbare Zeit. Ich spreche nicht davon, dass<br />
möglicherweise Personal gesucht oder eingestellt oder qualifiziert werden muss. Ich<br />
spreche auch nicht davon, dass in dieser Zeit Widerspruchsverfahren oder ähnliches<br />
bearbeitet werden muss. Ich spreche davon, dass es zum Betriebsrisiko der Verbände<br />
zählt, auch vor Abschluss eines Musterverfahrens beim Oberverwaltungsgericht<br />
über die Wirksamkeit der Satzung ein Risiko einzugehen und Beitragspflichten durch<br />
Bescheid festzusetzen.<br />
Kommt die Widerspruchsquote oder Klagequote 100 %, kann man sich auf Seiten<br />
der Verbände getrost zurücklehnen und sagen: In den Fällen ist die Verjährung in<br />
ihrem Ablauf gehemmt. Das sieht das geltende Recht ja schon vor. Bitte lassen Sie<br />
sich nicht bedrohen mit: „Das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> muss jetzt die ganzen Abwasserund<br />
Trinkwasseranlagen als Schadensersatzanspruch für eine ganz kurze Verjährungsfrist<br />
noch einmal finanzieren“. Das ist wohl nicht der Fall. Bei den Verbänden<br />
sitzen Fachleute. Die wissen, wie man Bescheide schreibt. Die können auch einen<br />
Katasterauszug lesen. Die wissen, wo man Grundbuchauszüge herbekommt. Die<br />
wissen inzwischen auch, dass man eine GbR heranziehen muss und nicht die Gesellschafter.<br />
Wir sind im Jahr 2013. Da sollten die sich nicht bescheidener beschreiben,<br />
als sie eigentlich sind. Die können das. Das sind die Fachleute. Die zeigen das<br />
mit Bescheiden tausendfach. Ich meine, dass es eine zumutbare Zeit ist, das bis<br />
2015 zu machen. Ich sehe geringe Risiken für Forderungen, die sich auf das Konnexitätsprinzip<br />
stützen, sofern Sie es regeln, dass die Beitragspflichten erst in Zukunft<br />
nicht mehr durchsetzbar sind. Sollten Sie regeln, dass die Beitragspflichten im<br />
Falle der Altanschließer ad hoc nicht mehr durchsetzbar sind, dass die alle wieder<br />
rausfallen, mag es Lücken geben. Ob das hinterher drei- oder vierstellige Millionenbeträge<br />
sind, steht auf einem anderen Blatt.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 55<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Prof. Herrmann. - Jetzt hat Herr Haferkorn die Möglichkeit, auf die<br />
Fragen zu antworten, die an ihn gerichtet waren. Ich bitte Sie, sich möglichst kurz zu<br />
fassen.<br />
Herr Henner Haferkorn (Wasserverband Strausberg Erkner/KOWAB <strong>Brandenburg</strong>-Ost):<br />
Frau Nonnemacher fragte mich nach den Millionen im gesamten Verbandsgebiet.<br />
Das waren schon die 10 Millionen Euro die für das gesamte Verbandsgebiet beklagt<br />
sind. Bestandskräftig sind 12,6 Millionen Euro für das gesamte Verbandsgebiet.<br />
Die Frage von Herrn Goetz nach der Umstellung auf reine Gebühren schließe ich<br />
gleich an. Das ist ein Riesenproblem. Als Verbände wollen wir eine bürgernahe und<br />
sozialverträgliche Politik mit unseren Bürgermeistern und Abgeordneten machen. Wir<br />
haben vorhin erklärt, warum wir überhaupt Beiträge eingeführt haben. Wenn wir das<br />
auf den Kopf stellen, geht die Gebühr hoch und die Mieter zahlen die Investitionen<br />
gleich hoch mit wie der Eigenheimbesitzer. Das kann unserer Meinung nach politisch<br />
nicht gewollt sein. Aber selbst wenn es gewollt wäre, frage ich: An wen wollen Sie die<br />
55 Millionen Euro Investorenzuschüsse zurückzahlen? Wir haben keine Erschließungsträger,<br />
keine Bauträger mehr. Wir wüssten gar nicht, wohin wir die<br />
55 Millionen Euro überweisen sollten.<br />
Wir haben gehört, dass es häufig Grundstückswechsel gibt. Sollen wir, wenn wir auf<br />
Gebühren umstellen, die Beiträge dem jetzigen Grundstückseigentümer überweisen?<br />
Na, wunderbar; da würde ich mich auch freuen. Da kriegen Sie Verwerfungen ohne<br />
Ende. Eine Umstellung im Nachhinein funktioniert unserer Meinung nach nicht. Das<br />
mag in einem kleinen Verbandsgebiet anders sein. Beim MAWV oder bei uns in<br />
Strausberg und bei anderen Verbänden ist das undenkbar.<br />
Es gibt viele Politiker, die stark daran interessiert sind - man merkt es auch an den<br />
Nachfragen -, dass die ganze Geschichte auch wirklich verjährt. Hat man 2015 vor<br />
Augen, ist die Motivationslage bei dem einen oder anderen Politiker bestimmt nicht<br />
so hoch. Vielleicht einigt man sich. Man tut und macht, als habe man Aufwand, und<br />
trotzdem schafft man es nicht. Diese Motivationslage ist, wenn man 2020 oder noch<br />
später - noch besser -, natürlich nicht da. Dann müssen alle Aufgabenträger bemüht<br />
sein, sämtliche Einnahmen zu realisieren.<br />
Zu der Frage von Herrn Dr. Scharfenberg zu Normenkontrollverfahren: Sie haben die<br />
Lehrbuchantworten meiner Nachbarn gehört. Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen.<br />
Wir sind aufgrund von Rechtsprechungen immer wieder angehalten, unsere<br />
Satzung in Schrittchen zu verbessern. Ein Muster, wie eine wirksame Satzung aussehen<br />
soll, hilft gar nichts. Ich habe die Richter auch schon gefragt. Sie haben geantwortet,<br />
ich solle rechtsberatende Berufe fragen, sie dürften keine Auskunft geben.<br />
Die wissen das auch nicht. Aber sie finden immer wieder Geschichten, die uns das<br />
Leben schwer machen. Wer meint, das geht in Ordnung - okay. Wir meinen, es ist<br />
zweieinhalb Jahrzehnte nach der Wende überhaupt nicht in Ordnung, dass die Ver-
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 56<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
bände in so hoher Anzahl keine wirksamen Satzungen haben. Deswegen unsere Bitte,<br />
von der <strong>Land</strong>espolitik mehr darauf hinzuwirken. Dass Richter ihr Schild hochhalten<br />
und unabhängig sind, ist uns wohl bewusst.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Haferkorn. - Herr Ripplinger hat jetzt die Möglichkeit, auf die Fragen<br />
einzugehen.<br />
Herr Otto Ripplinger (Märkischer Abwasser- und Wasserzweckverband):<br />
Frau Nonnemacher, zu den möglichen Ausfällen: Ich habe vorhin gesagt, wir haben<br />
schon 6 000 Widerspruchsbescheide erlassen. Da sind 150 Verfahren vor den Gerichten<br />
anhängig, sowohl vor dem Verwaltungsgericht wie auch vor dem Oberverwaltungsgericht<br />
mit einem relativ geringen Streitwert von 500 000 Euro. Was in den<br />
13 000 noch offenen Bescheiden enthalten ist, sind die großen Wohnungsbaugesellschaften.<br />
Denen gegenüber haben wir noch keinen Widerspruchsbescheid erlassen.<br />
Erst mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides müssen sie sich entscheiden, ob<br />
sie klagen. Da sieht es so ähnlich aus wie in Strausberg. Die Summe aller größeren<br />
Wohnungsbaugesellschaften macht bei uns ungefähr 5 Millionen Euro aus. Wie sie<br />
sich letztlich entscheiden, kann ich heute nicht abschätzen.<br />
Aus den restlichen 10 000 Flurstücken, die wir noch bescheiden, zumindest klären<br />
wollten, schätzen wir Einnahmen in Höhe von 3 oder 4 Millionen Euro. Wie da die<br />
Widerspruchsquote sein wird, wissen wir nicht. Unserer Ansicht nach wird sich die<br />
Widerspruchsquote bei der Festlegung einer endgültigen Verjährungsfrist auf 2015<br />
erhöhen. Insbesondere bei den Wohnungsbaugesellschaften oder den Grundstückseigentümern,<br />
die über eine Rechtsschutzversicherung verfügen - das ist ein relativ<br />
hoher Anteil -, ist das Risiko relativ gering. Sie werden mit Sicherheit versuchen, auf<br />
dem Rechtswege darauf zu hoffen, dass nach der festgelegten Verjährungsfrist der<br />
Bescheid als solcher vom Verband aufgehoben werden muss und dann gegenüber<br />
dem Grundstückseigentümer nicht neu aufgemacht werden kann.<br />
Zu den Lücken: Es mag sein, dass in der Vergangenheit vor dem Beitritt zum MAWV<br />
von wem auch immer etwas versäumt worden ist. Wir wollen gegenüber den Vorgängern<br />
keine Schuldzuweisung betreiben. Wir haben ein bestimmtes Problem festgestellt,<br />
und wir haben uns vorgenommen, dieses Problem anzugehen, um am Ende<br />
sagen zu können, dass alle bescheidpflichtigen Grundstücke bei uns im Verbandsgebiet<br />
tatsächlich zu einem Anschlussbeitrag herangezogen worden sind.<br />
Vorsitzender:<br />
Sind die Fragen aus Ihrer Sicht alle beantwortet? - Dann können wir die Fragerunde<br />
schließen und eröffnen den letzten Anzuhörendenblock. Wir beginnen mit Herrn Rudolf<br />
Ehrhardt von Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong>. Ich bitte Sie um Ihr Statement und<br />
bitte Sie, auf die zehn Minuten zu achten.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 57<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Herr Rudolf Ehrhardt (<strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er Haus-, Wohnungsund<br />
Grundeigentümervereine):<br />
Ich möchte mich erst einmal vorstellen. Mein Name ist Rudolf Ehrhardt, Haus &<br />
Grund <strong>Brandenburg</strong>. Wir sind eine Eigentümerorganisation in <strong>Brandenburg</strong> mit<br />
3 200 Mitgliedern und 19 Ortsvereinen. Ich bin auch Mitglied im Bundesverband. Dort<br />
sind wir immerhin 900 000 Eigentümer. Wir sind in jedem Bundesland vertreten. Dort<br />
bin ich seit 2010 tätig und seit 16. März 2013 Vorsitzender von Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong>.<br />
Ich habe die Diskussion hier heute sehr aufmerksam verfolgt. Wir vertreten mehr die<br />
Klientel der Mehrfamilienhausbesitzer und fühlen uns auch immer ein bisschen für<br />
unsere Mieter verantwortlich. Ich bin erschrocken über das, was ich gehört habe. Ich<br />
glaube nicht, dass jemand mit der jetzigen Situation zufrieden ist.<br />
Wir wollen konstruktiv mitwirken. Ich bin seit 20 Jahren im Kreis Oberhavel in der<br />
Beratung tätig. Ich habe das mit den überdimensionierten Klärwerken miterlebt. Das<br />
war bundesweit zu hören. Ich höre, es gibt Widerspruchsraten von knapp 100 % bei<br />
den Altanschließern. Das ist für den Abwasserzweckverband und für die Bürger eine<br />
unerträgliche Situation.<br />
Es wurde nach einer zeitlichen Regelung und den Auswirkungen des Urteils des<br />
Bundesverfassungsgerichts gefragt. Wir haben eine schriftliche Stellungnahme erarbeitet<br />
(Anlage 8). Sie ist zusammen mit meinen Kollegen in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern<br />
und dem Zentralverband in Deutschland erfolgt. Wir begründen<br />
aus der Sicht des Bürgers. Die Fragen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes,<br />
die ich für außerordentlich wichtig halte, sind im Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />
hervorgekehrt worden. Politik sollte auch für die Bürger sein. In diesem<br />
Fall sind es die Hauseigentümer, die Teil der Bürger sind. Da muss sich auch in<br />
<strong>Brandenburg</strong> viel ändern. Der Weg ist mir nicht immer klar.<br />
Ich will Ihnen zumindest sagen, was für einen Bürger, also einen Hauseigentümer,<br />
nachvollziehbar wäre und wo eine Widerspruchsrate von 3 oder 4 % zu erwarten wäre.<br />
Das wäre, wenn z. B. ein Bescheid nicht nach 15 oder 20 Jahren kommt, sondern<br />
nach vier Jahren. Eine Verjährung nach vier Jahren halten wir für optimal. Wir haben<br />
die Probleme schon gehört: Es muss eine wirksame Satzung geben usw. Das ist natürlich<br />
alles zu erledigen. Da gibt es eine Menge zu tun, denke ich. Gefragt sind die<br />
Politik, die Rechtswissenschaft. Sie sehen in dem Bereich, aus dem ich komme,<br />
Oberhavel: Da wird eine Straße gebaut. Die Kommune macht eine Einwohnerversammlung,<br />
fragt nach. Dann wird die Satzung gemacht. Teilweise haben Bürger,<br />
Bürgerinitiativen oder Haus & Grund Mitspracherecht. Die Straße wird gebaut. Der<br />
Bescheid kommt. Vier Jahre sind da eigentlich immer machbar. Dann wird in der Regel<br />
auch gezahlt. Es wird immer jemanden geben, der nicht zahlen will. Das ist wie<br />
mit einer Rechnung von einem Handwerker. Es ist klar, für eine Leistung ist zu bezahlen,<br />
und dann wird bezahlt.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 58<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Mit den Altanschließern ist das ein bisschen anders. Wir haben das Urteil des Verfassungsgerichts<br />
2001 in <strong>Brandenburg</strong> gehabt. Es geht um Beiträge. Ich kriege<br />
manchmal Anrufe von Leuten aus Konstanz oder anderswo, die Grundstücke haben.<br />
Das ist nicht vermittelbar - selbst wenn wir sagen, dass zwischen den Neuanschließern<br />
und den Altanschließern eine Gebührengerechtigkeit notwendig ist. Sie verstehen<br />
das nicht, und dann wird geklagt. Das ist gesellschaftspolitisches Potenzial, das<br />
verloren geht. Ich finde es untragbar, wenn das solche Größenordnungen hat und die<br />
Wohnungsbaugesellschaften noch mitmachen. Es ist auch eine Frage der Gebührengerechtigkeit.<br />
Was ist mit denen, die zahlen oder nicht zahlen? Verjährt das? Ich<br />
stehe voll auf Ihrer Seite: Das geht nicht. Das kann nicht so sein.<br />
Wir haben Ihnen einen Entwurf für eine Formulierung für eine Verjährung vorgelegt.<br />
Die jetzige Situation ist sehr kompliziert und schwer zu lösen. Ich plädiere für eine<br />
Lösung, wie wir sie in Rheinsberg haben. Das ist bei mir in der Nähe. Ich weiß, dass<br />
zwei weitere kleinere Abwasserzweckverbände das machen. Ich stehe auch in Diskussionen<br />
mit ihnen. Klar ist, das geht nur dann, wenn man viele Altanschließer und<br />
wenig Neuanschließer hat. Sie müssen an die Neuanschließer zurückzahlen. Das<br />
wird in bestimmten Größenordnungen gar nicht möglich sein; das ist mir vollkommen<br />
klar. Für kleinere ist das eine hervorragende Lösung. Sie ist plausibel. Wenn Sie gucken,<br />
wo es Berechnungen gibt, in Rheinsberg, Löwenberg und Zehdenick, stellen<br />
Sie fest, dass das nicht so schlimm ist. Das ist den Bürgern vermittelbar. Ich bin prinzipiell<br />
dafür, Lösungen zu finden, die bürgervermittelbar sind, wo Rechtssicherheit<br />
und Vertrauensschutz da sind, wo nicht nach zehn Jahren von einem Eigentümer,<br />
der vielleicht auch noch neu ist und gar nichts damit zu tun hatte, Gebühren verlangt<br />
werden.<br />
Wir haben also einen Vorschlag gemacht. Ich bin für Transparenz. Ich will auch meine<br />
Redezeit nicht weiter in Anspruch nehmen. Ich werbe dafür, das in <strong>Brandenburg</strong><br />
durchzusetzen, und bedanke mich.<br />
Vorsitzender:<br />
Herzlichen Dank, Herr Ehrhardt. - Als Nächster ist Herr Pencereci für den <strong>Land</strong>eswasserverbandstag<br />
<strong>Brandenburg</strong> e.V. dran und hat jetzt das Wort.<br />
Herr Turgut Pencereci (<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />
Vielen Dank, Herr Vorsitzender. - Wir sind nicht für 10+15, sondern wir sind für<br />
10+20. Das will ich gleich vorwegnehmen. Das hat ganz praktische Gründe (Anlage<br />
9, Seiten 6-18).<br />
Wir führen heute eigentlich eine Altanschließerdiskussion, auch wenn wir es nicht so<br />
laut sagen. Die sogenannten Neuanschließer machen uns keine Sorgen. Da funktioniert<br />
auch die Veranlagung. Das ist alles okay. Es geht schlichtweg um die Frage, ob<br />
möglicherweise die Altanschließer mit ihren Beiträgen sogar in die Verjährung treten.<br />
Ich denke, das schwingt immer mit.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 59<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Warum haben wir diese Diskussion erst jetzt? - Es lohnt sich vielleicht, mit ein paar<br />
Sätzen darauf einzugehen. Wir haben in <strong>Brandenburg</strong> schon eine sehr - ich will es<br />
vorsichtig sagen - heterogene Rechtsprechung. Die Vorredner sind darauf mehr oder<br />
weniger deutlich eingegangen. Das Verdikt 1996 vom OVG, dass die Zweckverbände<br />
plötzlich nicht wirksam entstanden waren und was es alles so gab, hat uns um Jahre<br />
zurückgeworfen, teilweise fünf, sechs, sieben Jahre, bis man überhaupt weitermachen<br />
konnte. Und dann änderte sich ständig etwas. Das ist nun einmal ein bisschen<br />
das Wesen der abgabenrechtlichen Rechtsprechung in <strong>Brandenburg</strong>. Das KAG ist<br />
mehrfach geändert worden. Das sind alles Ursachen dafür, dass wir immer noch über<br />
diese Fragen diskutieren.<br />
Rechtlich ein kurzer Einwurf: Wir haben es hier gar nicht so sehr mit einer Verjährungsproblematik<br />
zu tun, sondern wir haben es mit dem Entstehen der sachlichen<br />
Beitragspflicht zu tun. Darum geht es. Das sind Feinheiten, die wir in der Stellungnahme<br />
angesprochen haben. Wenn man sich den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts<br />
anguckt, stellt man fest, er hat eine Quintessenz, und die heißt - ich<br />
sage es einmal sehr umgangssprachlich und einfach -: Es ist ja alles gut, was ihr<br />
macht, aber irgendwann muss auch einmal Schluss sein, irgendwann muss der Bürger<br />
einmal wissen: Jetzt kann mir nichts mehr passieren.<br />
Es steckt eine bayerische Besonderheit dahinter. Wenn ich das Ganze nur mechanisch<br />
betrachtete, könnte ich sagen: Das ist Bayern, und da ist alles ganz anders,<br />
und das betrifft einen besonderen Altfall; ja, da hat das Bundesverfassungsgericht<br />
zutreffend so entschieden.<br />
Aber wir gehen an solche eine Entscheidung nicht mechanisch, sondern wir prüfen:<br />
Was ist überhaupt der Sinn der ganzen Veranstaltung, was haben die damit gesagt?<br />
Die haben nichts anderes gesagt als: Auch der Bürger muss wissen, dass irgendwann<br />
einmal Schluss ist.<br />
Das ist für das Klientel, das ich vertrete, relativ unangenehm. Der Kollege Haferkorn<br />
hat es angesprochen. Wenn man sich vorstellt, dass zu einem gewissen Jahreszeitpunkt<br />
- wann auch immer, 2015, 2020 - eine Beitragserhebung nicht mehr möglich<br />
ist, werden Sie - ich gehöre auch zu den von Herrn Haferkorn genannten Beratern -<br />
zwei, drei Jahre vor Ablauf dieser Frist keinen Berater mehr finden, der Ihnen eine<br />
Satzung schreibt, weil alle sagen: Um Himmels willen, zum Schluss war ich es, der<br />
die letzte Satzung geschrieben hat. Wenn das Gericht dann sagt: „Die ist nichts“,<br />
zahlt die Haftpflichtversicherung. Ich kann Ihnen Brief und Siegel darauf geben: Die<br />
wird meistens nicht ausreichen. Das heißt also, der eine oder andere von uns wird<br />
dann hier vielleicht in einem etwas älteren Anzug sitzen müssen, weil er pleite ist.<br />
Das ist die Konsequenz. Das ist aber nun einmal so. Das hat das Bundesverfassungsgericht<br />
eben entschieden.<br />
Ein ganz kurzer Hinweis auf den Sinn der Beitragserhebung. Den sollten wir uns<br />
wirklich vor Augen führen. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Beitragserhebung<br />
in das KAG hineingeschrieben und bis heute nicht rausgenommen. Das gibt es nirgendwo,<br />
dass sie herausgenommen wäre. Alle Bundesländer haben sie. Dahinter<br />
stecken zwei wesentliche Gedanken.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 60<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Der eine ist: Die Beitragserhebung führt dazu, dass die Gebühren entsprechend<br />
niedriger werden, je mehr an Beiträgen erhoben worden ist. Das gibt es die berühmte<br />
Interdependenz zwischen Beiträgen und Gebühren. Das andere ist, dass die Lasten<br />
verteilt werden sollen zwischen auf der einen Seite den Eigentümern und auf der anderen<br />
Seite den Nutzern. Einen gewissen Teil zahlen die Mieter, aber einen gewissen<br />
Teil soll auch der Eigentümer zahlen. Das ist der Sinn dieser Sache. Das ist übrigens<br />
nicht neu. Die Beiträge gab es schon früher. Die gab es sogar schon im Preußischen<br />
Kommunalabgabengesetz. Da hießen die allerdings Einmalanschlussgebühren. Aber<br />
sonst war das gar nicht so sehr unterschiedlich.<br />
Diese Beitragszahlung - das haben übrigens die Sachsen sehr klug gemacht, die<br />
haben ihr KAG etwas anders formuliert - ist eigentlich nichts anderes, als dass sich<br />
ein Grundstückseigentümer mit einer Art Aktie an dem Unternehmen Wasserversorgung<br />
oder Abwasserentsorgung beteiligt. Er legt Geld auf den Tisch. Der Unterschied<br />
ist, dass man Aktien auch wieder verkaufen und rausgehen kann. Das kann man hier<br />
nicht.<br />
Der Punkt Altanschließer/Neuanschließer ist schon angesprochen worden. Um den<br />
geht es heute unter anderem. Das schwingt immer mit. Ich möchte kurz auf das Bundesverfassungsgericht<br />
eingehen. Ich habe schon gesagt, ich halte die Grundsätze,<br />
die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, für anwendbar. Mir wäre sehr<br />
wohl, wenn man wie Herr Hornauf ranginge und sagte: Für <strong>Brandenburg</strong> ist weiter<br />
nichts entschieden, deshalb müssen wir nichts tun. Das ist nicht so mit durchaus von<br />
mir nachvollziehbaren und verständlichen Gründen. Allerdings vertrete ich diese Auffassung<br />
aus anderen Gründen. Es gibt eine ganze Menge Kläger in dem Verfahren,<br />
die ich selber auch als Anwalt führe, in denen immer vorgetragen wird, das Bundesverfassungsgericht<br />
habe entschieden, deshalb sei das KAG nicht wirksam und deshalb<br />
müsse man sich darauf einstellen, dass im Moment keine Beiträge gezahlt würden.<br />
Das Verwaltungsgericht (VG) Cottbus hat hier eine Vorlage geliefert. Das VG<br />
Cottbus ist immerhin das VG Cottbus. Das hat sich geäußert und gesagt - das ist,<br />
glaube ich, wichtig -, es hält das KAG in der jetzigen Ausprägung im Lichte der Entscheidung<br />
des Bundesverfassungsgerichts schon für verfassungswidrig, ist aber der<br />
Meinung, weil es hier um eine Eilentscheidung ging, dass es nicht durchentscheiden<br />
muss. Es hat noch etwas gesagt. Es hat gesagt: Im Hinblick auf die Aktivitäten des<br />
Gesetzgebers, die nach außen bekannt geworden sind, hält es sich mit einer Prüfung<br />
der Verfassungswidrigkeit zurück. Das ist das, was das VG Cottbus gesagt hat.<br />
Wenn diese Entscheidung vom OVG nicht aufgehoben wird, heißt das nichts anders,<br />
als dass das VG Cottbus gesagt hat: Liebe Leute, ihr müsst etwas tun. - Ich sage das<br />
einmal ein bisschen lax und umgangssprachlich.<br />
Wie viele Jahre? Wir haben es heute mehrfach angesprochen: 15 oder 20 oder sogar<br />
25 Jahre. Wir sehen 20 Jahre als notwendig, aber auch als ausreichend und<br />
sinnvoll an. Wir sehen die Risiken für die Aufgabenträger, wenn nichts passieren<br />
würde, wenn wir uns vor Augen führten, dass nicht gehandelt würde. Der Gesetzgeber<br />
ist ja Souverän. Sie hören uns „nur“ als Sachverständige an. Letztlich ist es Ihre<br />
Entscheidung. Wenn der Gesetzgeber nichts täte, müsste man damit auch leben.<br />
Aber man müsste damit leben, dass irgendwann ein Gericht - das VG Cottbus hat
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 61<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
das vorhergesagt - die ganze Sache dem Bundesverfassungsgericht vorlegt. Das<br />
dauert dann fünf, sechs, sieben Jahre. Dann sitzen wir in sechs oder sieben oder<br />
acht Jahren nicht mehr hier, sondern ein Stückchen weiter und diskutieren dieselben<br />
Fragen. Dann wird es politisch immer schwieriger. Das Thema Altanschließer anzusprechen,<br />
ist - das sehe ich auch - politisch eine verdammt schwierige Sache. Da<br />
müsste wohl was getan werden. Wenn man nichts tut, kommen diese ellenlangen<br />
Prozesse, und dann stehen wir da.<br />
Es ist aber auch so: Wenn Sie etwas tun, besteht das Risiko, dass man irgendwann<br />
nicht mehr erheben kann, dass man in die Verjährung läuft. Es gibt § 171 Absatz 3 a<br />
Abgabenordnung. Den hat Herr Prof. Herrmann angesprochen. Das sehe ich genauso.<br />
Er hilft in den allermeisten Fällen, Verjährungsproblematiken nicht zu umgehen,<br />
aber damit umgehen zu können. Allerdings heißt das im Ergebnis, dass möglicherweise<br />
gerade bei sehr kurzen Fristen sehr viele Forderungen in die Verjährung laufen.<br />
Man muss einfach wissen: Verjährte Forderungen sind im öffentlichen Recht,<br />
anders als im Zivilrecht, erloschen. Das steht auch in § 232 der Abgabenordnung<br />
ausdrücklich drin. Auf den wird im KAG Bezug genommen.<br />
Stellen Sie sich vor, dass erloschene Forderungen aus Beiträgen vorhanden sind.<br />
Das heißt nichts anderes, als dass ich die hinterher nicht mehr als Gebühren kassieren<br />
kann. Es wäre eine zu einfache Sache zu sagen: Wir nehmen keine Beiträge, wir<br />
lassen das bewusst in die Verjährung laufen. Die Kommunalpolitik unterliegt da sicher<br />
einer gewissen Versuchung. Nur, dann ist der Anspruch erst einmal erloschen.<br />
Einen erloschenen Anspruch plötzlich über Gebühren, die dann auch noch differenziert<br />
ausgeprägt sind, kassieren zu wollen, halte ich zumindest für schwierig. Das hilft<br />
uns alles nicht.<br />
Es ist mehrfach das Rheinsberger Modell angesprochen worden. Daran haben wir<br />
sogar mitgewirkt - ich sage aber auch offen; das darf ich auch sagen - mit gewissen<br />
Bauchschmerzen. Rheinsberg funktioniert deshalb - der ehemalige Bürgermeister<br />
sitzt da, er kennt das -, weil nur sehr gering Beiträge erhoben worden sind. Diese<br />
Beiträge werden durch eine Darlehensaufnahme ersetzt. Das funktioniert überall da<br />
nicht, wo die Beträge größer werden. Der Kollege Haferkorn hat das angesprochen.<br />
Das geht dann in die Hose.<br />
Unabhängig davon gibt es unwahrscheinlich schwierige bilanztechnische Probleme.<br />
Ich müsste eine Bilanzvorlesung von mehreren Stunden halten, um darzustellen, was<br />
da alles passiert. Da sind in der Vergangenheit Beiträge erhoben worden. Die sind<br />
aktiviert worden. Sie haben einen Einfluss in die Bilanz, in die Gewinn- und Verlustrechnung<br />
genommen. Wenn wir die nachträglich zurückzahlen, ist die spannende<br />
Frage, ob nicht möglicherweise alle Bilanzen wieder eröffnet werden müssen. Das<br />
hat zum Glück noch keiner entschieden. Vielleicht wird es auch nie entschieden, und<br />
vielleicht sind alle zufrieden mit dem reinen Gebührenerhebungsmodell. Da gibt es<br />
so viel Arbeit, dass Sie alle, die hier als Anwälte in der Anhörung sitzt, gar nicht mehr<br />
zur Anhörung laden könnten, weil wir nur noch Probleme lösen müssten. Wir wären<br />
Tag und Nacht beschäftigt. Das kann nicht der Sinn der Übung sein.
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Konklusion aus dem Ganzen: 10+20 ist das, von dem wir meinen, dass man damit<br />
arbeiten kann. Wir sehen den entsprechenden Handlungsbedarf und würden uns<br />
freuen, wenn eine entsprechende Gesetzesregelung käme. - Vielen Dank.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Pencereci. - Als Nächster ist Herr Steffen Iwers vom <strong>Land</strong>kreistag<br />
<strong>Brandenburg</strong> mit seinem Statement dran. - Sie haben das Wort.<br />
Herr Dr. Steffen Iwers (<strong>Land</strong>kreistag <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />
Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte<br />
Damen und Herren Abgeordnete! Wir dürfen uns zunächst bedanken, dass wir hier<br />
Gelegenheit erhalten, in der Anhörung Stellung zu nehmen (Anlage 10, Seiten 1-2).<br />
So viel Zeit muss sein. Ich werde mich kurz fassen; es ist bereits ausreichend berichtet<br />
und Stellung genommen worden.<br />
Vorweg: Wir als <strong>Land</strong>kreistag bzw. die <strong>Land</strong>kreise sind nicht unmittelbar von der<br />
Thematik betroffen. Wir sehen, dass die Zielstellung des Gesetzentwurfs in Reaktion<br />
auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013, Rechtssicherheit in<br />
der Angelegenheit herzustellen, berechtigt ist. Wir können damit leben. Wir haben<br />
keine Bedenken gegen die vorgeschlagene Verjährungshöchstfrist. Im Grunde genommen<br />
geht es damit eigentlich nur darum, wie die Zielstellung des Gesetzes,<br />
Rechtssicherheit herzustellen, am besten erreicht werden kann.<br />
Da werden zwei Modelle nach vorne gebracht. Das eine ist das Modell 10+15, also<br />
zehn Jahre Hemmung plus 15 Jahre Verjährung, das andere ist das Modell 10+20,<br />
dito zehn Jahre Hemmung und 20 Jahre Verjährung. Wenn man die Herstellung von<br />
Rechtssicherheit bei möglichst geringen Verlusten verfolgt, sind wir der Auffassung,<br />
dass das Modell 10+20 trägt und nachdrücklich befürwortet werden sollte.<br />
Sie haben in beiden Modellen die Möglichkeit, die erforderliche Rechtssicherheit herzustellen,<br />
weil irgendwann die Verjährungshöchstgrenze erreicht ist. Da tun sich die<br />
beiden Modelle gar nichts. Aber Sie haben bei dem Modell 10+15 die Gefahr - ich<br />
denke, sie ist heute recht eindrucksvoll dargelegt worden -, dass bei den kommunalen<br />
Aufgabenträgern erhebliche Einnahmeverluste entstehen. Diese Gefahr können<br />
Sie weitgehend vermeiden, wenn Sie das Modell 10+20 wählen.<br />
Wenn man das Modell 10+20 wählt, hat man gegenüber dem Vorteil, dass kommunale<br />
Einnahmeverluste nicht eintreten, den Nachteil, dass für die betroffenen Anschließer<br />
ein längerer Zeitraum besteht, innerhalb dessen sie damit rechnen müssen,<br />
zu den Beiträgen für gewährte Vorteile - das sollte man vielleicht auch noch einmal<br />
deutlich sagen - herangezogen zu werden. Wir halten diesen längeren Zeitraum, in<br />
dem die Anschließer herangezogen werden können, für zumutbar, da wir auch sehen,<br />
dass die Frage der Altanschließer von Anbeginn an strittig war. Das heißt also,<br />
der Vertrauensschutz, der immer wieder angesprochen worden ist, ohne in die Details<br />
zu gehen, hat - Herr Prof. Herrmann hat darauf hingewiesen - von Anfang an in
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dem Maße nicht bestanden, als dass wir der Meinung wären, man müsse ihn so<br />
hoch gewichten, dass Einnahmeausfälle auf der kommunalen Seite kompensiert<br />
werden könnten. Das Modell 10+20 ist bereits ein Zugeständnis im Vergleich zur jetzigen<br />
Rechtslage, sodass ein vernünftiger Ausgleich geschaffen würde.<br />
Auf die Wahrung des Gleichheitssatzes zwischen den verschiedenen Anliegergruppen<br />
und auf die Frage, ob man das über Gebühren kompensieren kann, ist ja bereits<br />
eingegangen worden. Wir halten die Argumente für stichhaltig. Das möchte ich aber<br />
jetzt nicht weiter in den Vordergrund stellen.<br />
Noch einen Hinweis, der insoweit in unserer schriftlichen Stellungnahme nicht enthalten<br />
ist. In der Diskussion ist die Einhaltung des Konnexitätsprinzips angesprochen<br />
worden. Sie dürfte in der Tat bei jedweder Regelung, egal ob 10+15 oder 10+20, berührt<br />
sein. Sie haben das im Urteil des <strong>Land</strong>esverfassungsgerichts aus 2002. Da betraf<br />
es Kostenerstattungsregelungen. Hier würden Möglichkeiten abgeschnitten werden,<br />
Beiträge zu erheben. Von daher sehen wir die Ausgestaltung parallel.<br />
Zu dem Hinweis von Herrn Prof. Herrmann: „Die können das, die haben dafür den<br />
Sachverstand, die haben dafür das Personal“! Ich denke, das würde den Anforderungen,<br />
die das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht an die Kostenfolgeabschätzung stellt,<br />
nicht gerecht werden. Wir haben bei dem Kindertagesstätten-Urteil gelernt, dass da<br />
schon ein bisschen mehr geleistet werden muss. Da war schon mehr geleistet worden<br />
als nur der Hinweis: „Die können das ja wohl“.<br />
Das Konnexitätsprinzip verlangt schon, dass man jedem Aufgabenträger, jeder Gemeinde<br />
die Möglichkeit verschafft, mit der neu übertragene Aufgabe bzw. dem Regelwerk<br />
so umzugehen, dass man auf seine Kosten kommt bzw. keine Ausfälle hat.<br />
Sie müssten also, wenn Sie diese Regelung auch unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung<br />
des Konnexitätsprinzips betrachten, durch die gesetzliche Regelung gewährleisten,<br />
dass wirklich jeder Aufgabenträger, wie er sich im Augenblick darstellt, die<br />
Möglichkeit erhält, die drohenden Einnahmeausfälle zu vermeiden. Da scheint mir die<br />
Regelung 10+20 deutlich rechtssicherer zu sein. - Vielen Dank. Das waren meine<br />
Ausführungen.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Dr. Iwers. - Jetzt schließt Herr Sebastian Kunze vom Städte- und<br />
Gemeindebund nahtlos an den Vortrag an.<br />
Herr Sebastian Kunze (Städte- und Gemeindebund <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />
Meine Damen und Herren! Zunächst vielen Dank, dass wir als Städte- und Gemeindebund<br />
hier als Sachverständige geladen sind. Mit Blick auf die Zeit möchte ich mich<br />
relativ kurz fassen. Es ist auch schon viel gesagt worden. Ich möchte den grundsätzlichen<br />
Standpunkt des Städte- und Gemeindebundes darlegen. Wir sind mit dem Gesetzgeber<br />
einer Meinung, dass in Auswertung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom 5. März 2013 eine Regelung getroffen werden sollte. Wir sind auch der<br />
Meinung, dass die Regelung 10+20 die richtige ist insbesondere - darauf komm ich
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noch kurz zu sprechen - im Hinblick auf Konnexität und vor dem Hintergrund der Abgabengerechtigkeit,<br />
worauf ich noch ein bisschen eingehender eingehen möchte.<br />
Wenn man abwägt, was man tun will, hat man auf der einen Seite das fiskalische<br />
Interesse, Beiträge einzutreiben, auf der anderen Seite hat man die Rechtssicherheit.<br />
Das haben wir vorhin gehabt. Das hat der zweite Redner dargelegt.<br />
Die Abgabengerechtigkeit muss hier noch einmal ganz besonders in den Vordergrund<br />
gestellt werden. Wir haben ja Folgendes: In den Fällen, in denen bisher nur<br />
Neuanschließer veranlagt worden sind, habe ich auf der einen Seite die Ungerechtigkeit,<br />
dass ich nicht alle veranlagt habe, die von der Vorteilslage profitieren, und auf<br />
der anderen Seite habe ich die Ungerechtigkeit, dass die Neuanschließer zu höheren<br />
Abgaben veranlagt werden, als sie zahlen müssten, wenn alle veranlagt würden. Also<br />
nicht nur, dass die Altanschließer nichts zahlen müssen, sondern dass die Neuanschließer<br />
sogar mehr zahlen müssen. Diese Ungerechtigkeit haben wir als Städteund<br />
Gemeindebund schon immer angeprangert. Es ist in der Rechtsprechung in<br />
<strong>Brandenburg</strong> obergerichtlich eigentlich konsistent dahin gehend geurteilt worden,<br />
dass Altanschließer zu veranlagen sind. Letztlich ist das mit der Entscheidung des<br />
<strong>Land</strong>esverfassungsgerichts endgültig bestätigt worden. Von daher sollte den Aufgabenträgern<br />
ausreichend die Möglichkeit geboten werden, dies mit 10+20 umzusetzen.<br />
Wir sehen keinen Anhaltspunkt, das auf die 15 Jahre zu verkürzen. Dann schlittert<br />
man in die „2015-Falle“ rein, dass die Aufgabenträger das nicht umsetzen können.<br />
Ich komme zur Konnexität. Da stellt sich die Frage: Ist das <strong>Land</strong> verpflichtet, den<br />
Aufgabenträger und den Kommunen die Ausfälle zu erstatten, die daraus entstehen<br />
können? Wenn ich die Zahlen, die von den Praktikern genannt worden sind, auf das<br />
<strong>Land</strong> hochrechne, dürften das Ausfälle im mindestens dreistelligen Millionenbereich<br />
sein, die irgendwie zu ersetzen wären. Von daher werbe ich noch einmal für die<br />
10+20-Regelung. Ich denke, damit ist allen Interessen Rechnung getragen. - Danke<br />
schön.<br />
Vorsitzender:<br />
Ich rufe jetzt die Fragerunde auf. Gibt es Fragen zu dem, was wir im dritten Block<br />
gehört haben? Ich würde gern alle gleich auf einmal registrieren. Frau Nonnemacher<br />
und Herr Burkardt. War es das? Dann haben wir zwei Fragesteller. Frau Nonnemacher<br />
fängt an.<br />
Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90):<br />
Vielen Dank. - Herr Pencereci, ich habe in der ersten Runde an Herrn Prof. Wolff die<br />
Frage gestellt, wie er das Spannungsverhältnis zwischen dem Urteil des <strong>Land</strong>esverfassungsgerichts<br />
bezüglich des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Bundesverfassungsgerichts<br />
interpretiert. Er ist darauf eingegangen, aber sehr stark in Richtung<br />
der Verjährungsfristen. Ich wollte das grundsätzliche Spannungsverhältnis Beitragsgerechtigkeit/Verjährungsanspruch<br />
auch in dieser Runde noch einmal zur Diskussion<br />
stellen.
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Sie hatten auf das Problem hingewiesen, dass erloschene Beiträge nicht durch Gebühren<br />
refinanziert werden können. Die Ihnen nachfolgenden Redner von den kommunalen<br />
Spitzenverbänden haben sich ja da ziemlich eindeutig in Richtung Konnexität<br />
geäußert. Wie sehen Sie das mit der Konnexität bei den entstehenden Deckungslücken?<br />
Abgeordneter Burkardt (CDU):<br />
Ich habe eine Frage an die Vertreter der Wasser- und Abwasserverbände. Es mag<br />
für den jeweiligen Verband, den Sie vertreten, nicht zutreffen, aber möglicherweise<br />
für den einen oder anderen Ihrer Kollegen. Was machen eigentlich die Verbände, die<br />
den Beitrag nur auf die Neuanschließer kalkuliert haben und irgendwann durch die<br />
Rechtsprechung und das, was wir im Gesetz gemacht haben, gehalten sind, auch die<br />
Altanschließer heranzuziehen? Die Frage liegt nahe: Haben die neu kalkuliert und<br />
zurückgezahlt? Oder haben die das einfach vereinnahmt unter der Überschrift<br />
„Schön, dass wir zusätzliche Liquidität haben“? Haben Sie einen Überblick, was da<br />
passiert ist?<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Burkardt. - Wer will mit der Beantwortung der Fragen von Frau<br />
Nonnemacher anfangen? - Herr Pencereci.<br />
Herr Turgut Pencereci (<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />
Das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht ist dazu befragt worden, wie es die Situation der Altanschließer<br />
sieht, und hat gesagt: Es besteht ein Anspruch darauf, dass alle gleich<br />
behandelt werden, sofern denn Beiträge gehoben werden. Das ist die erste Voraussetzung.<br />
Wenn ich Beiträge erhebe, wird gesagt, es müssen alle gleich behandelt<br />
werden. Das heißt, es ist in Ordnung, wenn auch die Altanschließer Beiträge zahlen,<br />
und zwar wohl auch in voller Höhe. Das Bundesverfassungsgericht hat die Altanschließerthematik<br />
nicht behandeln müssen, weil es sich mit Bayern beschäftigt hat.<br />
Da gibt es die in der Form jedenfalls so nicht.<br />
Meines Erachtens beißt sich das beides aber nicht. Es führt nur dazu, dass das Bundesverfassungsgericht,<br />
wenn denn das <strong>Land</strong>esverfassungsgerichtsurteil umgesetzt<br />
wird, mit den Ideen, die dahinter steckten, nichts anders gesagt hat als: Bitte sputet<br />
euch und zieht es zügig durch - je nachdem, wie der <strong>Land</strong>esgesetzgeber die Fristen<br />
setzt. Das ist der Druck, der entsteht.<br />
Ich habe es ja gesagt: Wenn wir 2020 im Gesetz stehen haben, wird zwei, drei Jahre<br />
vorher kaum einer mutig genug sein und eine Satzung machen. Das heißt, man<br />
muss sich schon erheblich sputen, weil 2016, 2017 die Erhebung durchgezogen sein<br />
muss.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 66<br />
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<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Wie sieht es mit erloschenen Beiträgen und Gebühren aus? In der Tat ist es so:<br />
Wenn die Beitragsansprüche wegen Verjährung erloschen sind, habe ich eine Deckungslücke.<br />
Die muss ich ausfüllen. Wenn ich die über Gebühren nicht mehr ausfüllen<br />
kann, fehlt mir in meinem allgemeinen Haushalt, im Wirtschaftsplan Geld. Das<br />
Geld muss irgendwo herkommen. Für das Konnexitätsprinzip sind die beiden Herren<br />
links von mir sicherlich die größeren Spezialisten. Aber wenn einer eine Aufgabe<br />
kriegt, muss man auch gucken, wie er die finanzieren kann. Eventuell wird es so<br />
sein, dass, wenn - ich lehne mich jetzt sehr weit aus dem Fenster - bewusst Verjährung<br />
herbeigeführt würde, diejenigen, die sie bewusst herbeigeführt haben, zur Kasse<br />
zu gebeten werden könnten. Das kann ganz bitter für die Handelnden vor Ort<br />
werden. Wenn die nicht zur Kasse zu bitten sind, ist spätestens dann der <strong>Land</strong>eshaushalt<br />
im Geschäft. Dann wird aus <strong>Land</strong>esmitteln gezahlt werden müssen. Ob das<br />
gerecht, ob das politisch in Ordnung ist, müssen andere entscheiden. Das weiß ich<br />
nicht.<br />
Herr Burkardt hatte gefragt, wie es mit dem Beitrag nur auf Neuanschließer aussieht,<br />
wenn die Altanschließer hinzukommen. Es muss kalkuliert werden. In den Fällen, die<br />
mir bekannt sind, haben wir häufig die Situation gehabt, dass die möglichen Beitragsansprüche<br />
durch entsprechende Festsetzung von Beitragssätzen bei Weitem<br />
nicht ausgeschöpft worden sind. Das heißt also, wenn ich hingehe und für die Altanschließer<br />
zusätzliche Gebühren - ich muss deren Flächen einstellen und deren Einnahmen<br />
entsprechend berücksichtigen - festsetze, habe ich meistens die Situation,<br />
dass sich der höchstzulässige Beitragssatz durch hinzukommende Altanschließerflächen<br />
insgesamt senkt, aber immer noch im Rahmen des Zulässigen erhoben wird.<br />
Dann habe ich Mehreinnahmen. Die muss ich berücksichtigen entweder bei der Gebühr<br />
oder ich muss etwas zurückzahlen. Da gibt es in der Praxis die wenigsten Modelle,<br />
die mir bekannt sind, bei denen tatsächlich ein Rückzahlungsanspruch entstanden<br />
ist, weil man meistens die Gebühren für die Zukunft entsprechend senken<br />
konnte. Ich glaube, Herr Haferkorn hat es auch angesprochen.<br />
Abgeordneter Burkardt (CDU):<br />
Ich hatte an die Vertreter der Verbände die Frage gestellt, ob Ihnen solche Fälle bekannt<br />
sind, nicht die Frage, wie es theoretisch zu bewerten ist. Das hätte ich selbst<br />
tun können; so weit reichen meine Rechtskenntnisse noch aus.<br />
Herr Otto Ripplinger (Märkischer Abwasser- und Wasserzweckverband):<br />
Es gibt auch in der Praxis solche Fälle, in denen durch die Berücksichtigung der sogenannten<br />
Altanschließer plötzlich ein Problem mit dem Anschlussbeitragssatz entsteht.<br />
Das trifft u. a. auf den MAWV und einem Nachbarzweckverband, dem KMS,<br />
zu. Dazu ist es so gekommen, dass unmittelbar nach der Wende - so die Rechtsauffassung<br />
- galt, dass die Investitionskosten für die neu errichteten Anlagen nur auf die<br />
sogenannten Neuanschließer zu verteilen sind.<br />
Variante A: Sie entscheiden sich als Zweckverband, einen relativ geringen Anschlussbeitrag<br />
zu ergeben. Kein Problem. Variante B: Sie sagen: Ich will einen relativ<br />
hohen Anteil meiner Investitionen über den Anschlussbeitrag refinanzieren. Damals
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hatten Sie erst einmal kein Problem. Sie durften eben nur nicht über die 100 % kommen.<br />
Irgendwann kam die Entscheidung: Auch Altanschließer sind mit den entsprechenden<br />
Flächen zu berücksichtigen, allerdings nicht bei den Investitionskosten, weil<br />
gesagt worden ist, Investitionen vor 1990 sind im Rahmen der Beitragskalkulation<br />
nicht zu berücksichtigen. Das bedeutet, Investitionskosten sind nicht dazugekommen,<br />
aber die Flächen. Das bedeutet, plötzlich hatten Sie einen wesentlich geringeren<br />
Anschlussbeitragssatz. Wenn Sie sich also für die Variante A entschieden haben,<br />
also einen relativ niedrigen Anschlussbeitragssatz, und bei der neuen Kalkulation<br />
unter Berücksichtigung der Altanschließer mit dem kalkulierten Anschlussbeitragssatz<br />
immer noch über dem tatsächlich erhobenen Anschlussbeitragssatz lagen, hatten Sie<br />
kein Problem, weil Sie sowohl den alten wie auch den neuen Anschlussbeitragssatz<br />
als solchen rechtfertigen konnten. Sie hatte Mehreinnahmen, und diese Mehreinnahmen<br />
sind im Rahmen der Gebührenkalkulation zu berücksichtigen gewesen, haben<br />
in der Regel zu Gebührensenkungen geführt. Ein Problem hatte der, der einen<br />
relativ hohen Anschlussbeitragssatz gewählt hat, weil er plötzlich nach Berücksichtigung<br />
der Altanschließer eben einen niedrigeren Anschlussbeitragssatz rausbekommen<br />
hat.<br />
Gesplitteten Gebühren erheben zu müssen, ist etwas, das jeder Zweckverband nach<br />
Möglichkeit vermeiden würde, nämlich langfristig aufgrund einer unterschiedlichen<br />
Behandlung bei den Anschlussbeiträgen unterschiedliche Gebühren erheben zu<br />
müssen. Alle Beitragszahler im Verbandsgebiet müssen zu einem gleichen Anschlussbeitrag<br />
veranlagt werden, um sagen zu können, dass es keine unterschiedliche<br />
Behandlung gegeben hat und keine unterschiedliche Gebühr zu erheben ist. Die<br />
Konsequenz ist, dass die Einnahmen von den Altanschließern plus 10 Millionen Euro<br />
eigentlich zur Rückzahlung der damals zu hoch erhobenen Anschlussbeiträge verwendet<br />
werden müssen. Wir führen sozusagen eine Umverteilung durch, die daraus<br />
resultiert, dass sich die Rechtsauffassung, was die Altanschließer anbetrifft, geändert<br />
hat.<br />
Abgeordneter Burkardt (CDU):<br />
Passiert das tatsächlich? Machen das die Verbände?<br />
Herr Otto Ripplinger (Märkischer Abwasser- und Wasserzweckverband):<br />
Definitiv ja.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank. - Ich stelle fest, dass auf alle Fragen in dieser dritten Runde umfangreich<br />
eingegangen wurde und alle Fragen beantwortet sind. Ich denke, wir können<br />
für die erste Anhörung am heutigen Tag zum Schluss kommen.<br />
Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Anzuhörenden, dass sie bei uns waren und<br />
uns etwas Licht ins Dunkel gebracht haben vor allem hinsichtlich der Frage der<br />
Rechtsfolgenabschätzung, die wir als Gesetzgeber bei all unseren Entscheidungen<br />
immer im Auge haben müssen. Am Ende wird es sicher auch eine politische Ent-
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scheidung sein, wie wir mit dem Kommunalabgabenrecht in <strong>Brandenburg</strong> umgehen<br />
und im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einer Änderung<br />
kommen werden.<br />
Die Zeitschiene ist relativ klar. Wir werden den Entwurf der <strong>Land</strong>esregierung wahrscheinlich<br />
in der Kabinettssitzung im Juli 2013 haben und können in der Sitzung des<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong>es nach der Sommerpause die erste Lesung durchführen. Dann werden wir<br />
uns in den Ausschüssen wieder damit zu beschäftigen haben, sodass wir bis zum<br />
Ende des Jahres - davon gehe ich und davon geht auch die <strong>Land</strong>esregierung aus -<br />
eine entsprechende Regelung und Änderung unseres Kommunalabgabenrechts auf<br />
den Weg gebracht haben.<br />
Wir als CDU-Fraktion haben diese Anhörung heute im Eilverfahren beantragt, weil<br />
uns wichtig war, dass wir zügig zu Erkenntnissen und Entscheidungen kommen.<br />
Deshalb bedanke ich mich ausdrücklich bei allen. Auch für die konstruktive Zusammenarbeit<br />
hier in der Sitzung sage ich herzlichen Dank. Ich wünsche Ihnen einen<br />
guten Nachhauseweg.<br />
Wir gehen jetzt in eine 30-minütige Mittagspause, um dann in die zweite Anhörung<br />
einzusteigen.<br />
(Unterbrechung der Sitzung: 13.50 bis 14.20 Uhr)<br />
Zu TOP 3: Sechstes Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes für<br />
das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> (KAG), Gesetzentwurf der CDU-Fraktion,<br />
Drucksache 5/7128<br />
Vorsitzender:<br />
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Zeit ist fortgeschritten, und die Mittagspause<br />
ist vorbei. Ich bitte Sie alle, wieder Platz zu nehmen, sodass wir in den nächsten<br />
Tagesordnungspunkt einsteigen können. Wir haben für heute eine weitere Anhörung<br />
auf der Tagesordnung. Eine Lehre, die wir aus diesem Tag mitnehmen werden,<br />
ist sicherlich, nicht zwei Anhörungen an einem Tag zu machen. Bei dem Zeitdruck,<br />
den wir heute Vormittag hatten, ist es besser, man macht nur eine Anhörung an einem<br />
Tag.<br />
Wir kommen zur Anhörung zu dem Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, Drucksache<br />
5/7128. Wir hatten diesen Gesetzentwurf bereits in der 75. Sitzung des <strong><strong>Land</strong>tag</strong>es<br />
auf der Tagesordnung und haben ihn in den Innenausschuss überwiesen. Wir<br />
hatten uns in einem Eilverfahren darauf verständigt, eine Anhörung zu dem Gesetzentwurf<br />
durchzuführen.
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Ich begrüße vor allem unsere Anzuhörenden. Schön, dass Sie alle da sind. Auch hier<br />
weise ich darauf hin, dass Herr Dr. Steffen Iwers als Vertreter des <strong>Land</strong>kreistags und<br />
Herr Sebastian Kunze für den Städte- und Gemeindebund da sind.<br />
Wir haben Absagen von Herrn Michael Grubert vom Wasser- und Abwasserzweckverband<br />
„Der Teltow“ und Herrn Rechtsanwalt Dr. Wilfried Ballaschk bekommen.<br />
Schriftlich sind Unterlagen eingegangen, sodass wir sie vorliegen haben und für unsere<br />
weitere Diskussion nutzen können (Anlage 20).<br />
Ich schlage wie bei der Anhörung eben folgenden Ablauf vor: Wir bilden Blöcke von<br />
zwei bis vier Anzuhörenden, sodass wir nach und nach allen die Gelegenheit geben,<br />
hier vorzutragen. Nach jedem Block folgt ein Frage- und Antwortblock von maximal<br />
20 Minuten. Jeder Anzuhörende - darauf weise ich hin - hat maximal zehn Minuten<br />
Zeit, seine Position mündlich vorzutragen. Die schriftlichen Stellungnahmen liegen<br />
uns allen ja vor.<br />
Wenn Sie mit der Verfahrensweise einverstanden sind, eröffne ich die Anhörung und<br />
erteile Herrn Dr. Steffen Iwers das Wort. Eben waren die Spitzenverbände am Ende<br />
der Anhörung, jetzt sind sie am Anfang. Das ist die ausgleichende Gerechtigkeit des<br />
Innenausschusses. - Sie haben das Wort.<br />
Herr Dr. Steffen Iwers (<strong>Land</strong>kreistag <strong>Brandenburg</strong> e. V.):<br />
Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte<br />
Damen und Herren Abgeordnete! Abermals dürfen wir uns bedanken, dass wir hier<br />
Gelegenheit erhalten, zu dem Gesetzentwurf der CDU-Fraktion Stellung zu nehmen<br />
(Anlage 10, Seiten 2-3). Herr Vorsitzender, Sie haben es schon angesprochen. Der<br />
Vorschlag ist gewissermaßen im Eilverfahren, um nicht zu sagen, im Sauseschritt auf<br />
den Tisch gebracht worden. Der Entwurf ist am 8. Mai 2013 bei uns eingegangen.<br />
Deshalb haben wir bisher nur sehr kursorisch Stellung nehmen können. Eine vertiefte<br />
Prüfung müsste ggf. noch nachgeholt werden und erfolgen.<br />
Dies vorausgeschickt, bewerten wir die Kernregelung, die da lautet: „Hemmung der<br />
Widersprüche und Einführung eines Musterverfahrens in verpflichtender Natur“, eher<br />
zurückhaltend bis kritisch, alldieweil hier tatsächlich eine Verpflichtung aufgestellt<br />
werden soll, wohingegen einer freiwilligen Ausgestaltung der Vorzug zu geben wäre.<br />
Anders als vorhin, als ich gesagt habe, die <strong>Land</strong>kreise seien nicht unmittelbar von<br />
der Thematik betroffen, sieht es hier anders aus. Der Gesetzentwurf ist offensichtlich<br />
mit Blick auf die Problematik, über die wir in der Anhörung zuvor gesprochen haben,<br />
also Trink- und Abwasserbereich, aufgelegt worden. So wie er ausgestaltet ist, betrifft<br />
er auch Gebührenerhebungen durch die <strong>Land</strong>kreise beispielsweise im Bereich der<br />
Abfallwirtschaft, wo wir massiv Gebühren erheben, aber auch im Bereich des Rettungsdienstes,<br />
also immer da, wo das Kommunalabgabengesetz zur Anwendung zu<br />
bringen ist. Da befürchten wir, dass die Einführung derart verpflichtender Widerspruchsverfahren<br />
und die Hemmung der Rechtskraft, die dadurch für diejenigen entsteht,<br />
denen ansonsten Rechtskraft erwachsen würde, zu erheblichen Rechtsunsicherheiten<br />
bei der Gebührenerhebung für die <strong>Land</strong>kreise führen würde, auch zu ei-
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 70<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
ner erheblichen Zunahme an gerichtlichen Verfahren, alldieweil die Frage, ob man<br />
ein gewisses Kostenrisiko eingeht, anders beantwortet würde, als es derzeit der Fall<br />
ist.<br />
Vor Gericht sähen wir auch nicht nur eine einzelne Satzungsregelung in einem Fall,<br />
sondern dass wir - die Möglichkeit eröffnet der Gesetzentwurf ja - verschiedenste<br />
Regelungen der jeweiligen Satzung eines kommunalen Aufgabenträgers in verschiedensten<br />
Musterverfahren zur Überprüfung gestellt hätten. Ich selber habe in<br />
den vergangenen fast 20 Jahren mehrere Satzungsmuster für den <strong>Land</strong>kreistag<br />
<strong>Brandenburg</strong> aufgelegt. Sie können versichert sein: Es ist wirklich schwierig, an verschiedensten<br />
Stellen rechtssichere Formulierungen zu finden. Es gibt in jedem dieser<br />
Satzungsmuster, die wir fertiggestellt haben, Punkte, an denen man sehr lange gesessen<br />
hat, um zu versuchen, Rechtssicherheit reinzubringen. Wir befürchten, dass<br />
diese Neuregelung an allen möglichen Stellen, im Bereich der Abfallgebührensatzung,<br />
im Bereich der Abfallentsorgungssatzung oder vielleicht auch im Bereich der<br />
Rettungsdienstgebührensatzung, dazu führen könnte, dass eine Vielzahl verschiedener<br />
satzungsrechtlicher Regelungen auf die lange, auf die gerichtliche Bank geschoben<br />
werden wird. Damit wären für die Aufgabenträger finanzielle Unsicherheiten verbunden,<br />
Unsicherheiten bezüglich des Bestands der Satzung. All das würde im Vergleich<br />
zum heutigen Zustand erhöht werden, wohingegen wir nicht zu erkennen vermögen,<br />
dass im Gegenzug Rechtssicherheit - ich glaube, das steht so im Gesetzentwurf<br />
- eintreten würde. Von daher plädieren wir eher dafür, von dem Gesetzentwurf<br />
Abstand zu nehmen. - So viel von meiner Seite. Vielen Dank.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Dr. Iwers. - Ich erteile dann an Herrn Sebastian Kunze vom Städteund<br />
Gemeindebund <strong>Brandenburg</strong> e.V. das Wort.<br />
Herr Sebastian Kunze (Städte- und Gemeindebund <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />
Meine Damen und Herren! Auch wir bedanken uns dafür, auch in der zweiten Anhörung<br />
anwesend sein zu dürfen und gehört zu werden. Das Ergebnis vorab: Wir lehnen<br />
den Gesetzvorschlag der CDU-Fraktion ab. Wir sehen als Städte- und Gemeindebund<br />
keine Notwendigkeit, verpflichtend Musterverfahren anzuordnen. Auch nach<br />
derzeitiger Rechtslage haben die Aufgabenträger die Möglichkeit, Musterverfahren<br />
durchzuführen. Sie sollten weiterhin im Rahmen kommunaler Selbstverwaltung in<br />
eigener Entscheidung entscheiden, ob sie Musterverfahren wollen. Aus meiner Sicht<br />
besteht für die Aufgabenträger kein Hindernis, wenn 20 gleichgelagerte Fälle vorliegen,<br />
ein Musterverfahren durchzuführen, um nicht 20 einzelne Verfahren durchzuführen.<br />
Es kann auch Erwägungen geben, gleiche Sachverhalte parallel in Gerichtsverfahren<br />
abzuhandeln. Gerade bei größeren Verbänden kann es sein, dass aus taktischen<br />
Gesichtspunkten, um Zeit ins <strong>Land</strong> ziehen zu lassen, geklagt wird. Dann ist es notwendig,<br />
die anderen Verfahren in eigener Regie weiterführen und beenden zu können.<br />
Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Im Rahmen kommunaler Selbstverwaltung<br />
soll von den Aufgabenträgern entschieden werden, ob sie es wollen.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 71<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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Aus unserer Sicht gibt es zu diesem Entwurf eigentlich nicht viel mehr zu sagen. Das<br />
ist der entscheidende Punkt. Wir haben unsere Stellungnahme dazu relativ kurz gefasst.<br />
Dabei möchte ich es belassen. - Danke schön.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Kunze. - Als Nächster hat Herr Pencereci das Wort.<br />
Herr Turgut Pencereci (<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />
Herr Vorsitzender, vielen Dank. - Unsere Stellungnahme ist ähnlich kurz ausgefallen<br />
(Anlage 9, Seiten 2-5) und wird auch jetzt ähnlich kurz ausfallen. Es wird nicht verwundern,<br />
dass wir dieselbe Auffassung vertreten wie die Herren Kunze und Dr. Iwers.<br />
Was will man erreichen? Man möchte mehr Rechtssicherheit haben und man will mit<br />
Musterverfahren Kosten sparen. Das sind ordentliche Ziele - das ist überhaupt keine<br />
Frage.<br />
Die Frage ist: Wie erreicht man das? Da muss man ganz klar feststellen: Das erreicht<br />
man auch jetzt schon, denn die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften für Musterverfahren<br />
gibt es. Im Übrigen kann man in der Praxis sehr schön sehen, wie solche<br />
Verfahren sehr ähnlich und nahe am Gesetz tatsächlich praktiziert werden. Ein<br />
Fall ist der des MAWV. Herr Ripplinger war heute schon hier. Dort wird es wie folgt<br />
praktiziert: Man schaut sich an, welches Verfahren geeignet sein könnte, um gewisse<br />
Rechtsfragen zu klären. Alle anderen, die einen Widerspruch eingelegt haben, bekommen<br />
eine Mitteilung: Wir möchten gerne abwarten, was das Gericht zu dieser<br />
Sache entscheidet; solange werden wir keinen Widerspruchsbescheid erlassen.<br />
Dann gibt es keine Widerspruchsbescheide, es entstehen keine weiteren Kosten,<br />
und die Sache ist gut.<br />
Ich sage Ihnen, wo der Haken liegt. Sowohl bei einer gesonderten gesetzlichen Regelung<br />
als auch bei Anwendung der jetzigen gesetzlichen Regelung liegt der Haken<br />
darin, dass wir im Abgabenrecht häufig keine vergleichbaren Fälle haben, also dass<br />
bei jedem die Situation etwas anders ist. Sie haben ganze Straßenzüge, die Widerspruch<br />
einlegen. Es ist übrigens im Straßenbaubeitragsrecht noch etwas deutlicher<br />
als im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen, dass die Leute plötzlich nicht<br />
miteinander, sondern gegeneinander stehen, denn der eine zahlt weniger und der<br />
andere mehr; das ist sogar eher unangenehm. Das heißt, unter dem Strich ist nicht<br />
jedes Verfahren geeignet, so etwas zu klären. Wenn man beispielsweise sagt, man<br />
möchte die Verfassungsgemäßheit einer Vorschrift klären, ist so etwas selbstverständlich<br />
Musterverfahren zugänglich. Das lässt sich aber auch jetzt schon so praktizieren.<br />
Deshalb sind auch wir der Meinung, dass man ein besonderes Gesetz, ein<br />
neues Gesetz für diese Fälle nicht braucht. - Vielen Dank.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 72<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Pencereci, für Ihre Einschätzung zu diesem Gesetzentwurf. - Ich<br />
eröffne die erste Fragerunde. Gibt es Nachfragebedarf zu dem, was wir gehört haben?<br />
- Herr Dr. Scharfenberg, Sie haben das Wort.<br />
Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE):<br />
Eine Frage an Herrn Pencereci. Es gibt Verbände, die das praktizieren. Ich bedaure<br />
sehr, dass Herr Grubert heute nicht hier ist, denn dieser Verband hat sich für diesen<br />
Weg entschieden. Wie sind denn aus Ihrer Sicht die Erfahrungen in einem solchen<br />
Verband? Spielt das eher keine Rolle? Oder hat man Probleme damit?<br />
Herr Turgut Pencereci (<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />
Ich antworte einmal wie folgt: Zu Mecklenburg-Vorpommern werden wir sicherlich<br />
noch etwas hören. Wir haben Erfahrungen in erster Linie beim MAWV gemacht. Es<br />
funktioniert wunderbar. Es ist aus Sicht des Verbandes völlig problemlos. Wir bekommen<br />
interessanterweise kaum Beschwerden von Betroffenen. Wenn man denen<br />
sagt: „Ihr könnte euer Verfahren ausgesetzt bekommen, und das kostet nichts extra“,<br />
sagen die: „Ja, das ist in Ordnung, das machen wir mit“. Dann kehrt ziemlich schnell<br />
Ruhe ein. Ich denke, dass es sehr vernünftig und praktikabel ist, was da gemacht<br />
wird. Es gibt durchaus Verbände, die nach außen ihr eigenes Handeln als besonders<br />
erfolgreich verkaufen bei der Frage, was mit Musterverfahren gemacht wird. So ganz<br />
anders als das, was wir praktizieren, ist das nicht. Wir sehen in der Praxis, dass eine<br />
gesonderte Regelung nicht notwendig ist, weil man nach den bestehenden gesetzlichen<br />
Vorschriften verfährt und weil das im Abgabenrecht schwierig ist.<br />
Vorsitzender:<br />
Herr Dr. Scharfenberg, ist Ihre Frage damit ausreichend beantwortet, oder haben Sie<br />
noch Nachfragebedarf?<br />
Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE):<br />
Ich habe eine Nachfrage. Wenn man diesen Weg gehen würde, dass man in das<br />
KAG eine solche Regelung aufnimmt und das möglichst verpflichtend vorschreibt -<br />
wie müssten denn aus Ihrer Sicht die Rahmenbedingungen für eine solche Regelung<br />
aussehen?<br />
Herr Turgut Pencereci (<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.):<br />
Wenn man so etwas überhaupt täte, müsste man es zumindest so machen, dass der<br />
Verband aus dem Verfahren auch wieder raus käme und dass es keine zwingenden<br />
Vorschriften gäbe. Man könnte eventuell gesetzlich die Möglichkeit einräumen, dass<br />
es so etwas geben kann und die Verbände handeln können, aber z. B. nicht die Ver-
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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pflichtung besteht, so etwas zwingend bis zum Ende durchzuziehen und nicht mehr<br />
rauszukommen. Wir wissen gar nicht, wie sich die Verfahren im Übrigen ergeben.<br />
Ich mache einen kleinen Schlenker. Diese Musterverfahren haben auch Wirkungen<br />
auf die Gerichte. Gerichte gucken: Da ist ein Musterverfahren, das vorgeschoben<br />
werden soll. Herr Ring sitzt hier. In Schwerin ist das Gericht sehr sachverständig und<br />
klärt auch Fragen, die man geklärt haben möchte - meistens jedenfalls. Diese Erfahrung<br />
haben wir in <strong>Brandenburg</strong> nicht so. Das heißt, Sie stiefeln los, sagen: „Wir haben<br />
hier ein Musterverfahren und wollen die Frage A geklärt haben“. Letztlich kommen<br />
Sie dann raus - das haben wir vorhin gehört - und kriegen gesagt, dass die Veröffentlichung<br />
leider wegen 7.1 falsch war. Dann haben Sie gar nichts gewonnen. Das<br />
geht schlichtweg gesagt in die Hose.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank. - Gibt es weitere Fragen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann können<br />
wir den zweiten Anzuhörendenblock eröffnen. Herr Rudolf Erhardt von Haus & Grund<br />
<strong>Brandenburg</strong> hat das Wort.<br />
Herr Rudolf Ehrhardt (<strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er Haus-, Wohnungsund<br />
Grundeigentümervereine):<br />
Ich bedanke mich noch einmal für die Einladung. Bei diesem Thema bin ich ein bisschen<br />
besser gelaunt als bei dem, das zuvor besprochen wurde. Ich sage klipp und<br />
klar: Wir sind von dem Gesetzentwurf nahezu begeistert. Wir können die Begründung<br />
sehr gut nachvollziehen.<br />
In der Regel wird derzeit von dem Abwasserzweckverband - insbesondere geht es<br />
um Altanschließer grundsätzlich ein Musterverfahren abgelehnt. Die haben natürlich<br />
ihre Hintergedanken. Das ist meine klipp und klare Erfahrung. Da können Sie viele<br />
fragen. Ein älteres Mütterchen, das mit einmal 1 000 Euro oder wie viel an Gerichtsgebühren<br />
vorschießen soll, macht das nicht. Sie einigt sich sonst irgendwie oder was<br />
weiß ich. Es ist eine Frage von mehr Recht für Bürger, sich vor Gericht überhaupt<br />
erst einmal wehren zu können. Das muss ich für <strong>Brandenburg</strong> sagen.<br />
Ich habe mich mit meinem Kollegen aus Mecklenburg-Vorpommern in Verbindung<br />
gesetzt, weil dort bereits eine Regelung im KAG besteht. Er selbst führt ein Verfahren<br />
im Bereich Boizenburg. Fragen bestehen noch, wie das konkret durchgesetzt wird.<br />
Probleme beginnen im Detail bei der Durchführung des Verfahrens. Das habe ich mit<br />
meinem Nachbarn, der in <strong>Brandenburg</strong> ein Musterverfahren führt, gerade in der Pause<br />
besprochen. Wenn Sie etwas für die Bürger und die Hauseigentümer tun wollen,<br />
ist das ein super Gesetzentwurf.<br />
Noch einmal: Ich denke nicht, dass es Massenklagen im Bereich des Gebührenrechts<br />
für Krankentransporte und Müll gibt. Da hat es sich sehr beruhigt. Diese Befürchtung<br />
kann ich nicht nachvollziehen, muss ich ganz offen sagen. Das geht aus<br />
den vielen Gesprächen und Diskussionen, die wir seit Jahren im Verband führen,<br />
hervor.
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Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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Ich habe schriftlich etwas eingereicht, das meinen Ausführungen entspricht (Anlage<br />
14). - Danke.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank für Ihre Anmerkungen. - Herr Dr. Wolfgang Schönfelder vom Verband<br />
Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen e.V., Sie haben jetzt das Wort.<br />
Herr Wolfgang Dr. Schönfelder (Verband Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen<br />
e.V.):<br />
Herr Vorsitzender, vielen Dank. Wir wollen alle Zeit aufholen. Ich will es relativ kurz<br />
machen in Ergänzung zu dem, was wir schriftlich eingereicht haben (Anlage 15). Es<br />
ist wahrscheinlich völlig klar, dass wir meinem Vorredner zustimmen. Wir meinen ergänzend<br />
zu dem, was Sie schriftlich haben, dass die Diskussion vor allen Dingen<br />
heute Vormittag gezeigt hat: Wenn wir diese verkorkste Situation haben, wenn wir<br />
über Regelungen wie 20+10 Jahre nachdenken und es dann noch ins Belieben der<br />
Verbände setzen, machen wir wieder die Erfahrung: Die Verbände, die dazu bereit<br />
sind, so etwas zu machen, sind extrem in der Minderzahl. Wir gehen davon aus,<br />
dass das Zusammenwirken, das es automatisch geben muss, dazu führt, dass man<br />
in den wenigen Fällen, in denen wir das wissen, vernünftig miteinander umgeht und<br />
im Miteinander den entsprechenden Fall raussucht. Pauschal zu sagen, das würde<br />
nie funktionieren, geht nicht. In anderen Ländern funktioniert es. Warum es ausgerechnet<br />
in <strong>Brandenburg</strong> nicht funktionieren soll, ist für uns nicht nachvollziehbar. Ich<br />
kann bestätigen, dass sich unser Schwesterverband zu der Regelung in Mecklenburg-Vorpommern<br />
nicht negativ geäußert hat. - Vielen Dank.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Dr. Schönfelder. - Jetzt ist Herr Peter Ohm, der Präsident des Verbandes<br />
Deutscher Grundstücksnutzer, dran.<br />
Herr Peter Ohm (Verband Deutscher Grundstücksnutzer [VDNG]):<br />
Auch von meiner Seite herzlichen Dank für die Einladung zu der heutigen Anhörung.<br />
Ich will zu Beginn gleich ganz klar feststellen, dass wir als Verband sehr erfreut sind,<br />
dass der Gesetzentwurf in der jetzt vorliegenden Fassung diskutiert wird. Wir stimmen<br />
ihm grundsätzlich zu (Anlage 16).<br />
Wir haben zwei kleine korrigierende Anmerkungen, um in der Praxis einiges praktikabler<br />
gestalten zu können. Dazu komme ich nachher. In Anbetracht der Anhörung,<br />
die wir heute Vormittag miterlebt haben, möchte ich festhalten, dass mir der Zeitablauf<br />
jetzt ein bisschen zu schnell ist. Wir haben jahrelange Erfahrung als Verband<br />
nicht nur in <strong>Brandenburg</strong>, sondern insbesondere auch in anderen Bundesländern.<br />
Die Altanschließerproblematik hat ja in Mecklenburg-Vorpommern begonnen, wo wir<br />
dank der dortigen Gesetzeslage sofort mit Musterverfahren in das Geschehen eingreifen<br />
und vielen Bürgern die rechtliche Teilhabe gewähren konnten. Ich freue mich,
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 75<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
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dass Herr Ring mit am Tisch sitzt und seine Erfahrungen einbringen kann. Deswegen<br />
halte ich mich bei einigen Dingen, bei denen ich seine Stellungnahme kenne, zurück.<br />
Das kann er aus berufenem Munde selber einflechten.<br />
Ich würde Ihnen gern eine kleine Schilderung zukommen lassen, damit Sie sich vorstellen<br />
können, was hinter jedem Beitragsbescheid für den betroffenen Bürger, für<br />
viele gerade in Flächenländern steckt. Es ist für uns an vielen Stellen, sowohl in<br />
Mecklenburg-Vorpommern als auch in <strong>Brandenburg</strong>, oftmals erschreckend festzustellen<br />
gewesen: Hinter jedem Bescheid steckt ein persönliches Schicksal. Die Leute<br />
haben dort mit ihren Grundstücken keine Möglichkeit, zusätzliche Finanzquellen aufzumachen,<br />
weil sie zu alt sind oder keine Arbeit haben, also von Krediten ausgeschlossen<br />
sind. Viele, die von den größeren Städten abgelegene Gehöfte haben, die<br />
schon jetzt leer stehen, haben keine Chance, ihr Grundstück zu teilen oder Teile ihres<br />
Grundstücks zu verkaufen. Für diese sind 3 000, 5 000 Euro - die oftmals die untere<br />
Grenze sind - ein großes Problem. Der Umgang der Zweckverbände mit ihren<br />
Regelungen hinsichtlich der Stundung ist auch nicht immer für alle eine tatsächliche<br />
Hilfe.<br />
Tauscht man sich mit diesen Leuten in Informationsveranstaltungen aus und sagt<br />
Ihnen, dass sie die Möglichkeit haben, sich juristisch dagegen zu wehren, und sagt<br />
man ihnen dann, dass, wenn sie einen Beitragsbescheid von 2 500 Euro haben,<br />
noch einmal ein Prozesskostenrisiko von ungefähr 1 400 Euro auf sie zukommt, fallen<br />
90 % nach hinten um, weil sie sagen: Ich weiß schon nicht, wie ich die<br />
2 500 Euro und dann noch einmal 1 400 Euro oben drauf bestreiten soll. Für die Leute<br />
ist an der Stelle Ende der Fahnenstange. Das heißt, diese Leute können nicht klagen.<br />
Deswegen ist es fast zynisch, dass einige Zweckverbandschefs, die heute nicht<br />
anwesend sind, mir gesagt haben: „Was wollt ihr denn? Die Leute können doch alle<br />
einzeln klagen.“ An dieser Stelle fallen viele von der Stange ab. Deswegen unterstützen<br />
wir als Verband seit vielen Jahren die Möglichkeit der Bildung von Prozessgemeinschaften,<br />
die sich gemeinsam ein entsprechendes Musterverfahren finanzieren<br />
können.<br />
Das hat positive Auswirkungen in zwei Richtungen. Die erste ist: Für die Leute ist es<br />
erschwinglich, sich die rechtliche Teilhabe zu sichern. Die zweite ist: Wir haben in<br />
Mecklenburg-Vorpommern die Erfahrung gemacht, dass es durchaus sehr umfangreiche<br />
Gruppen gibt, die gleich gelagerten Fällen zuzuordnen sind.<br />
Was wird in einem juristischen Verfahren geprüft? Das, was das eigene Grundstück<br />
betrifft, schießen wir bei den Musterverfahren natürlich aus. Nach unserer Erfahrung<br />
wird es in der Regel im Widerspruchsverfahren von den Zweckverbänden gelöst,<br />
wenn es um Streitigkeiten über die Grundstücksgröße oder Bebaubarkeit oder ähnliche<br />
Sachen geht. Es geht gegen die Satzung. Das trifft für alle zu. Es geht gegen die<br />
Kalkulation und die Flächenermittlung. Auch das trifft für alle zu. Als dritten Punkt<br />
geht es - wir sehen uns durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bestätigt<br />
- um die verfassungsrechtlichen Fragen, die sich stellen, warum eine Gruppe<br />
überproportional mit entsprechenden Beiträgen als Grundstücksbesitzer belastet<br />
werden soll, und es, wenn die Gebühren eingefahren sind, eine Gebührensenkung<br />
gibt, von der nicht nur die Grundstückseigentümer, sondern auch andere Gruppen
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 76<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
profitieren. Das sind für uns Fragen, die verfassungsrechtlich zusätzlich zu der Verjährungsfrage<br />
nach wie vor völlig ungeklärt sind.<br />
Ein zweiter Vorteil der Musterverfahren besteht auch für denjenigen, der einzeln<br />
klagt. Bleiben wir einmal bei dem Beispiel mit den 2 500 Euro plus 1 400 Euro. Die<br />
1 400 Euro Verfahrensgebühr teilen sich ungefähr so auf, dass beide beteiligten Anwälte<br />
mit ungefähr 500 Euro Honorar rechnen können und der Rest sind Gerichtsgebühren<br />
und was da noch so an Kleinigkeiten ist. Wir haben es in Mecklenburg-<br />
Vorpommern und in <strong>Brandenburg</strong> an vielen Stellen erlebt: Wenn sie zur Akteneinsicht<br />
kommen und die Flächen prüfen wollen, stehen im Regal 18 dicke Leitz Ordner.<br />
Dann stellen Sie sich einmal den Rechtsanwalt vor, der für 500 Euro Honorar 18<br />
Ordner mit den Flächen des gesamten Verbandsgebietes durcharbeiten soll, um entsprechende<br />
Fehler zu finden. Ich sage Ihnen aus unserer Erfahrung: Diese Kalkulation,<br />
diese Flächenermittlungen strotzen vor Fehlern. Die Fehler sind so offensichtlich,<br />
dass man sie auch wirklich findet. Aber man muss einen Haufen Zeit investieren. Das<br />
ist in einem solchen Einzelverfahren überhaupt nicht möglich. Deswegen gibt es in<br />
<strong>Brandenburg</strong> bei den Zweckverbänden eine massive Ablehnung, solchen Musterverfahren<br />
zuzustimmen.<br />
Unter Frage 9 haben Sie gefragt, ob es notwendig ist, solche Musterverfahren zwingend<br />
vorzuschreiben. Ich möchte das am Beispiel des MAWV erklären. Da stellt sich<br />
die Geschichte des Musterverfahrens im MAWV-Gebiet etwas anders dar, als Herr<br />
Pencereci das eben geschildert hat. Wir haben dort als Verband eine Prozessgemeinschaft<br />
mit über 600 Mitgliedern gebildet und haben in den einzelnen Kommunen<br />
dafür geworben, dass durch den Zweckverband in der Zweckverbandsversammlung<br />
einem entsprechenden Musterverfahren mit dieser Gruppe von 600 Leuten zugestimmt<br />
wird. In dieser Zweckverbandsversammlung, in der auch Herr Pencereci anwesend<br />
war, wurde behauptet, dass Musterverfahren mit Prozessgemeinschaften in<br />
<strong>Brandenburg</strong> nicht zulässig seien - nachzulesen im Protokoll dieser Versammlung.<br />
Daraufhin haben sich die Bürgermeister von diesem Musterverfahren abgewendet.<br />
Diese Leute wurden vor die Tür gesetzt.<br />
Dann hat der Zweckverband ein Musterverfahren ins Leben gerufen. Ich frage Sie:<br />
Welches Vertrauen haben denn die Bürger, wenn der Zweckverband ein eigenes<br />
Musterverfahren gegen sich selber anschiebt? Sie können sich selber eine Meinung<br />
darüber bilden.<br />
Um beim MAWV zu bleiben: Vielleicht sollte man sich einmal unters Volk mischen<br />
und nicht nur behaupten, die Stimmung sei gut. Wenn die Leute im MAWV-<br />
Verbandsgebiet in der Zeitung lesen, dass ihr Verbandsvorsteher gerade wegen Korruptionsverdachts<br />
hinter schwedischen Gardinen gelandet ist, können Sie sich vorstellen,<br />
was sie davon halten, wie sicher oder solide die Kalkulation dieses Zweckverbandes<br />
ist.<br />
Nun zu den zwei Vorschlägen, die wir gern einbringen wollen. Sie betreffen einerseits<br />
das Mitspracherecht, das unter § 12 Absatz 1 Nummer 7 Buchstabe c) gefasst ist.<br />
Dort haben wir den Vorschlag, Buchstabe c) zu ergänzen. Der erste Teil wird der Sache<br />
gerecht:
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 77<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
„Bei Widersprüchen in gleich gelagerten Fällen soll die Widerspruchsbehörde<br />
geeignete Verfahren als Musterverfahren auswählen und vorrangig entscheiden.<br />
Die Widerspruchsbehörde bestimmt unter Berücksichtigung der Interessen<br />
der Beteiligten, den oder die Widerspruchsführer.“<br />
Dann würden wir gern ergänzen; dies würde zu einer in der Praxis klareren Formulierung<br />
führen:<br />
„Haben sich Widerspruchsführer zu einer Prozessgemeinschaft zusammengeschlossen,<br />
bedarf die Bestimmung des Widerspruchsführers des Musterverfahrens<br />
der Zustimmung der Prozessgemeinschaft. Dies gilt auch für den Fall,<br />
dass mehrere Musterverfahren zu verschiedenen Rechtsfragen durchgeführt<br />
werden sollen. Einigen sich die Widerspruchsbehörde und die Prozessgemeinschaft<br />
nicht auf die Bestimmung eines Widerspruchsführers für das Musterverfahren,<br />
hat die Widerspruchsbehörde das von der Prozessgemeinschaft<br />
vorgeschlagene Verfahren als Musterverfahren durchzuführen. Sie kann daneben<br />
ein von ihr vorgeschlagenes Verfahren als Musterverfahren durchführen.<br />
Der Widerspruchsbescheid in dem von der Prozessgemeinschaft vorgeschlagenen<br />
Musterverfahren darf nicht später als der in dem von der Widerspruchsbehörde<br />
ausgewählten Musterverfahren ergehen.“<br />
Diesen Passus haben wir aus der Erfahrung mit dem MAWV gewählt. Es tut mir leid,<br />
dass ich diesen Verband immer wieder erwähnen muss. Wir haben auf Solidarbasis<br />
von den Leuten, die nicht zu einer Prozessgemeinschaft in einem Musterverfahren<br />
zugelassen wurden, ein Verfahren eröffnet und über den Anwalt beim Zweckverband<br />
um einen entsprechenden Widerspruchsbescheid nachgefragt. Der ist dem von uns<br />
ausgewählten Kläger verweigert worden. Wir mussten erst mit einer entsprechenden<br />
Klage versuchen, einen Widerspruchsbescheid zu bekommen. Den haben wir bis<br />
heute nicht. Deswegen von unserer Seite eine kleine Ergänzung, dass die Einleitung<br />
eines Musterverfahrens, wenn ein paralleles Verfahren eingeschlagen wird, auch einer<br />
anderen Prozessgemeinschaft gewährt werden darf. Das ist die eine Ergänzung.<br />
Die zweite ist noch kürzer. Sie betrifft § 12 Absatz 1 Nummer 7 Buchstabe d), auch in<br />
unserer schriftlichen Stellungnahme nachzulesen, die Ihnen allen vorliegt. Hier wollen<br />
wir bezüglich der Bearbeitung der Widersprüche von Widerspruchsführern, die<br />
nicht einer Prozessgemeinschaft angehören, klarstellen, dass diese nicht von der<br />
Führung eines Musterprozesses gehemmt werden. Deswegen würden wir im ersten<br />
Satz des Buchstabens d) gern einfügen:<br />
„Die verbleibenden Widerspruchsverfahren der der Prozessgemeinschaft angehörenden<br />
Widerspruchsführer ruhen bis zur Rechtskraft der Entscheidungen<br />
in den Musterverfahren.“<br />
So weit zu unseren Ergänzungen.<br />
Ich schließe mich meinem Vorredner an, dass aus unserer Erfahrung keine Befürchtungen<br />
hinsichtlich der Müllgebühren bestehen. Dort hat sich nach unseren Erfah-
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 78<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
rungen als Verband eine relative Ruhe eingestellt, insbesondere was den Bereich<br />
Berlin und <strong>Brandenburg</strong> betrifft - abgesehen von Einzelklagen. Aber ich halte Musterverfahren<br />
für öffentlich-rechtliche Gebühren nicht unbedingt für das, was mit diesem<br />
Gesetzentwurf bezweckt wird.<br />
Ich hoffe sehr, dass Sie sich als Abgeordnete dafür entscheiden werden, ein entsprechendes<br />
Gesetz auf den Weg zu bringen und zu bestätigen, dass es zwingend zu<br />
Musterverfahren kommen wird auch, um einigen Rechtsanwälten, die im Auftrage der<br />
Zweckverbände tätig sind, Einhalt zu gebieten, die sich vehement gegen Musterverfahren<br />
wehren, denn jedes Musterverfahren, das zustande kommt, ist für sie ein entgangenes<br />
Mandat. - Danke schön.<br />
Vorsitzender:<br />
Herzlichen Dank, Herr Ohm. - Auf meiner Frageliste stehen zunächst der Abgeordnete<br />
Goetz und der Abgeordnete Burkardt. Gibt es weiteren Nachfragebedarf zu diesem<br />
zweiten Anzuhörendenblock? - Das ist nicht der Fall. Dann kann der Kollege Goetz<br />
beginnen.<br />
Abgeordneter Goetz (FDP):<br />
Ich habe nur eine Nachfrage an die drei eben Angehörten. Ihre Begeisterung habe<br />
ich zur Kenntnis genommen. Ein Punkt ist trotzdem offen. Wenn Bescheide ergehen,<br />
haben Widersprüche keine aufschiebende Wirkung. Das heißt, die jeweiligen Beschiedenen<br />
müssen zunächst einmal zahlen. Zahlen sie nicht, zahlen sie 1 % im Monat<br />
an Zinsen. Vereinbaren sie sich mit dem jeweiligen Verband, zahlen sie 0,5 %<br />
oder 6 % im Jahr. Das ist, gemessen am heutigen Zinsniveau, relativ viel.<br />
Umgekehrt, wenn gezahlt ist und sich im Nachhinein herausstellt, dass der Bescheid<br />
aus irgendwelchen Gründen rechtswidrig war, erfolgt eine Verzinsung erst ab<br />
Rechtshängigkeit. In der Regel liegt ein langer Zeitraum zwischen Bescheid, Zahlung<br />
nach einem Monat und Entscheidung der Musterklage. Bis mein Verfahren zum Abschluss<br />
kommt, sind möglicherweise Jahre vergangen, in denen mein Geld unverzinst<br />
bei den Verbänden liegt. Finden Sie das in Ordnung?<br />
(Herr Erhardt: Natürlich nicht!)<br />
Vorsitzender:<br />
Das ist eine rhetorische Frage. Die Antwort darauf kommt erst, wenn Herr Burkardt<br />
seine Frage gestellt hat.<br />
Abgeordneter Burkardt (CDU):<br />
Danke. - In Fortsetzung von Herrn Goetz: Wenn wir das problematisch finden, sind<br />
wir nicht gehindert, genau diese Regelung zu ändern.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 79<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Ich will auf das Argument kommunale Selbstverwaltung und die Frage der Zulassung<br />
von Musterklagen kommen. Ich bin ein überzeugter Anhänger der kommunalen<br />
Selbstverwaltung. Ich bin vor über 40 Jahren das erste Mal in eine kommunale Vertretungskörperschaft<br />
gewählt worden. Das Argument der kommunalen Selbstverwaltung<br />
- das stelle ich fest, wenn ich auf die <strong><strong>Land</strong>tag</strong>sarbeit zurückblicke - wird politikmissbräuchlich<br />
oft dann verwandt, wenn ich eine Regelung nicht haben möchte, oder<br />
dann, wenn ich eine Regelung - wie bei der Fremdenverkehrsabgabe - haben möchte.<br />
Das Problem besteht bei unseren Wasserverbänden einfach darin, dass sie nicht<br />
nahe genug am Bürger sind. Schaue ich mir die Wirklichkeit an, stelle ich fest: Wir<br />
haben auf der einen Seite die Stadtverordnetenversammlung und die Gemeindevertretung,<br />
auf der anderen Seite die Abwasser- und Wasserverbände. Dort wird zwar in<br />
öffentlicher Verbandsversammlung entschieden. Aber da ist niemand zu sehen. Deshalb<br />
können die sich auch Dinge erlauben, die sich eine Vertretungskörperschaft einer<br />
Gemeinde bei Gebühren und Beiträgen, wenn sie unmittelbar tätig wird, nicht<br />
erlauben kann. Deswegen meine Frage: Gibt es außer den beiden genannten Beispielen,<br />
die wir hier jetzt gehört haben - Sie haben den MAWV Königs Wusterhausen,<br />
aus Ihrer Sicht ein wenig relativiert, und es gibt den Verband Wasser- und Abwasserzweckverband<br />
(WAZV) Kleinmachnow, Teltow -, andere Wasser-, Abwasserverbände,<br />
die irgendeine Form von Musterklage praktizieren oder auf solche Anregungen<br />
eingehen? Das, was Sie dazu gesagt haben, war sehr verbal: „überwiegend“,<br />
oder: „geringerer Teil“. Damit kann ich relativ wenig anfangen. Ich frage also:<br />
Gibt es andere Verbände, und wenn ja, in welchem Umfang?<br />
Vorsitzender:<br />
Es ist jetzt keiner direkt angesprochen. Sie können sich überlegen, wer auf die Fragen<br />
antworten möchte. Am besten alle drei.<br />
Herr Peter Ohm (Verband Deutscher Grundstücksnutzer [VDNG]):<br />
Ich möchte mit der letzten Frage von Herrn Burkardt anfangen. Ich hatte ja gesagt,<br />
dass uns insbesondere in <strong>Brandenburg</strong> von den Zweckverbänden eine Welle der Ablehnung<br />
entgegengeschlagen ist. Das kann man eigentlich verallgemeinern. Mir ist<br />
noch ein weiterer Fall bekannt, den wir als Verband betreuen. Das ist der Zweckverband<br />
Wasser- und Abwasserverband Westniederlausitz (WAZ) in Doberlug-<br />
Kirchhain. Auch dort läuft nach langem Kampf ein Musterverfahren. Die Vertreter der<br />
örtlichen Bürgerinitiative sind leider nicht mehr hier. Sie haben sich sehr lange mit<br />
den Bürgermeistern der Zweckverbandsversammlung, insbesondere dem Zweckverbandsvorsteher,<br />
auseinandersetzen müssen, ehe dieses Musterverfahren zustande<br />
gekommen ist, welches jetzt vor dem Oberverwaltungsgericht als Normenkontrollklage<br />
geführt wird.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 80<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Herr Wolfgang Dr. Schönfelder (Verband Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen<br />
e.V.):<br />
Wir haben Kenntnis von vier Fällen oder der Möglichkeit der Zusage. Zwei davon<br />
sind identisch mit den hier genannten. Wir haben Kenntnis von einem Fall, in dem es<br />
eine Zusage gegeben hat, die dann wieder zurückgezogen worden ist. Es ist also<br />
aus unserer Erfahrung die absolute Minderheit.<br />
Herr Rudolf Ehrhardt (<strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er Haus-, Wohnungsund<br />
Grundeigentümervereine):<br />
Ich habe ja schon von der Ablehnung in unserem Bereich erzählt. Im Cottbuser<br />
Raum, in Angermünde, in Gransee wurde das einfach richtig abgewiegelt - trotz intensiver<br />
Versuche auch von uns und obwohl wir dorthin Kontakte haben.<br />
Ich sehe einen Unterschied zwischen Abwasserzweckverbänden und Eigenbetrieben<br />
Abwasser von Kommunen. Wenn die Kommunen mehr Einfluss haben, ist immer<br />
eine bürgerfreundlichere Lösung in Sicht. Das muss ich einmal klar sagen.<br />
Vielerorts habe ich den Eindruck: Bei den Abwasserzweckverbänden sitzt einer in<br />
Schwedt und macht für Angermünde eine Satzung. Da gibt es in diesem Stadtteil<br />
Riesengrundstücke. Da wird vielleicht das Gleiche gemacht wie in Schwedt oder was<br />
weiß ich wo. Da kommen manchmal Beträge für die Bewohner raus, die nicht bezahlbar<br />
sind. Das ist sicher auch nachvollziehbar: Es sind größere Grundstücke, es<br />
sind längere Leitungen usw. Ich will das nur einmal so sagen. Das ist für die Bürger<br />
immer nicht so richtig nachvollziehbar, wenn nach Jahren Riesensummen kommen.<br />
Aber das hatten wir vorhin schon.<br />
Ich sehe es als Mittel - wie Sie das in der Begründung des Gesetzentwurfes selbst<br />
geschrieben haben -, dem Einhalt zu bieten, dass die Abwasserzweckverbände das<br />
als Mittel nutzen, um Klagen zu verhindern. Die Gebühren der Rechtsanwälte sind<br />
hier ja auch deutlich geworden.<br />
Abgeordneter Goetz (FDP):<br />
Es war nicht rein rhetorisch gemeint, was ich vorhin sagte. Die Abgabenordnung<br />
sieht vor, dass, wenn man Steuern zahlt und etwas wiederbekommt, wenn man also<br />
eine Vorausleistung erbringt, voll verzinst wird - ob ich beim Gericht bin oder nicht.<br />
Also, irgendwann ergeht ein Bescheid, ich habe eine Vorauszahlung geleistet, zu viel<br />
gezahlt, dann kriege ich Geld mit Zinsen wieder. Das Kommunalabgabengesetz verweist<br />
auf die Abgabenordnung mit zwei kleinen Unterschieden. Gerade die Verzinsungsregelung<br />
aus der Abgabenordnung, die für Steuern, die ich gezahlt habe, gilt,<br />
gilt für Beiträge und Gebühren eben nicht. Das ist bewusst ausgenommen worden.<br />
Wenn wir ein Musterverfahren anstrengen, wird das jahrelang dauern. Da sind wir<br />
uns, glaube ich, einig. Da liegt das eben drei, vier Jahre, manchmal auch mehr. Das<br />
Verfahren ruht, solange die Musterverfahren laufen. Möglicherweise geht es durch
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 81<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
mehrere Instanzen; dann dauert es noch länger. So lange liegt das Geld dort. Meinen<br />
Sie nicht, dass der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion zumindest insoweit ergänzt<br />
werden müsste, dass da auch eine Verzinsung der bei den Verbänden liegenden Beträge<br />
erfolgen müsste, vergleichbar damit, wie es bei Steuern ist?<br />
Herr Rudolf Ehrhardt (<strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er Haus-, Wohnungsund<br />
Grundeigentümervereine):<br />
Sie haben natürlich recht. Wenn Sie eine Steuerrückzahlung erhalten und die Bearbeitung<br />
des Steuerbescheides beim Finanzamt ein Dreivierteljahr dauert, habe ich<br />
noch nie erlebt, dass das Finanzamt Zinsen dafür zahlt. Ich würde es natürlich sehr<br />
begrüßen, wenn in das Gesetz noch so eine Regelung reinkäme. Aber ich weise<br />
auch darauf hin, dass es die Möglichkeit gibt - das kommt z. B. gerade bei den Eigenbetrieben<br />
vor, die ich immer noch bevorzuge -, Anträge auf aufschiebende Wirkung<br />
der Zahlung zu berücksichtigen und zu genehmigen. Das ist alles schon vorgekommen.<br />
(Zuruf Abgeordneter Goetz [FDP]): - Unterschiedlich.<br />
Herr Peter Ohm (Verband Deutscher Grundstücksnutzer [VDNG]):<br />
Ich schließe mich dem an, dass wir es natürlich begrüßen würden, wenn es dort eine<br />
gerechtere Regelung gäbe. Aber ich warne davor, den Bogen zu stark zu spannen.<br />
Ich weiß aus den Gesprächen mit den Betroffenen, dass es den Leuten dort nicht<br />
vorrangig um eine Verzinsung geht - so schön es wäre. Deswegen würde ich es begrüßen,<br />
wenn es die Möglichkeit gäbe. Aber letztlich entsteht damit ein hohes finanzielles<br />
Risiko für die Zweckverbände. Wenn wir eine sehr entscheidende Diskussion<br />
führen, ist das ein Punkt, von dem man sagen könnte: Okay, erst einmal ein Musterverfahren<br />
für den Betroffenen überhaupt. Sonst kriegt er auch keine Zinsen. Dann<br />
zahlt er, und das Geld ist auf ewig weg. Dann hat er zumindest die Möglichkeit auf<br />
eine Rückzahlung, wenn er unter Vorbehalt gezahlt hat. Ich würde es nicht unbedingt<br />
in den Vordergrund stellen wollen, um es einmal so zu formulieren.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Ohm. Damit ist die Frage beantwortet. Wir können den Frage- und<br />
Antwortblock schließen und kommen zum dritten Anzuhörendenblock. Da beginnt<br />
jetzt Frau Heike Nicolaus vom Zweckverband Komplexsanierung Mittlerer Süden. Sie<br />
haben das Wort.<br />
Frau Heike Nicolaus (Zweckverband Komplexsanierung Mittlerer Süden [KMS]):<br />
Vielen Dank für die Einladung. Ich bin das erste Mal in solcher Runde. Kurze Vorstellung!<br />
Meine Vorredner haben sich ja schon vorgestellt. Ich heiße Heike Nicolaus und<br />
bin seit 13 Jahren beim Zweckverband Komplexsanierung Mittlerer Süden (KMS)<br />
Zossen, seit drei Jahren amtierende Verbandsvorsteherin (Anlage 17). Wir betreuen<br />
42 000 Einwohner, liefern Trinkwasser und Abwasser. Wir sind einer der Verbände,<br />
von denen Herr Burkardt vorhin nachfragte: Wer zahlt denn eigentlich Beiträge zu-
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 82<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
rück? Wir machen das. Wir haben 2010 unser gesamtes Satzungsrecht einschließlich<br />
Kalkulation auf völlig neue Füße gestellt, weil in der Vergangenheit verschiedene<br />
Beitragserhebungen vorgenommen wurden. In den neunziger Jahren wurden bloß<br />
25 % der Beitragslast erhoben, weil man sagte, der DDR-Bürger hat noch nicht so<br />
viel Geld, um die volle Beitragslast zu tragen. Das hatte zur Folge, dass der Verband<br />
1996 zahlungsunfähig war. Dann passierte bis 2000 gar nichts. Bis 2001 hatten wir<br />
die Tiefenbegrenzung. Danach wurde voll erhoben. Dies haben wir mit der neuen<br />
Kalkulation unter Einbeziehung der Altanlieger und dem Sonderfall Konversionsfläche<br />
Waldstadt Wünsdorf nivelliert. Dadurch haben wird die Beträge insbesondere im<br />
Trinkwasserbereich um mehr als die Hälfte senken können, im Abwasserbereich um<br />
ein Sechstel. Wir erheben nach. Wir erheben Altanlieger. Und wir zahlen Beiträge<br />
zurück. Das sind jetzt schon Millionenbeträge.<br />
Bevor ich etwas zum Musterverfahren sage, muss ich erst einmal sagen: Ich bin<br />
fürchterlich erschrocken, wie die Verbände als marodierende Monster dargestellt<br />
werden, die durch die <strong>Land</strong>e ziehen und den Bürgern das Geld aus der Tasche ziehen.<br />
Das hat mich in der vorherigen Anhörung und insbesondere hier fürchterlich erschreckt.<br />
Wir erfüllen kommunale Aufgaben. Wir müssen kostendeckende Beiträge<br />
und Gebühren erheben. Wir sind überwiegend ländliche Verbände. Dort haben wir<br />
höhere Kosten als in einer großen Stadt. Wir haben z. B. gar keine große Stadt. Da<br />
sind die Beiträge höher. Wenn ich von 85 Cent Beitragssatz im Trinkwasser oder<br />
3 Euro Beitragssatz im Abwasserbereich auf den Quadratmeter rede, glaube ich<br />
nicht, dass das Beiträge sind, die man als exorbitant hoch bezeichnen kann. Wir liegen<br />
damit voll im Trend.<br />
Zu den Musterklagen: Auch unsere Verbandsversammlung hat sich gegen Musterklagen<br />
ausgesprochen. Ich muss dazu aber auch sagen: Wir hatten eine einzige Anfrage<br />
von meinem Nachbarn. Es wurde einmal angefragt, einmal negativ beschieden.<br />
Seitdem ist nie wieder ein anderer Anwalt oder ein anderer mit der Frage auf uns zugekommen,<br />
ob eine Musterklage durchgeführt werden kann. Es ist nicht so, dass die<br />
Verbände das vehement ablehnen. Wie gesagt, ich habe in den drei Jahren einen<br />
Brief geschrieben. Seitdem hat noch nie jemand nachgefragt. Das sollte man auch<br />
einmal sagen.<br />
Warum sind wir dagegen? - Ganz einfach. Wir sagen: So viele Grundstücke, wie es<br />
gibt, so viele Möglichkeiten der Klage gibt es auch. Schauen wir uns einfach einmal<br />
die Satzung der Verbände an. Wir haben einmal Trinkwasser/Abwasser. Da teilt sich<br />
das schon. Wir haben die Grundstücksfläche. Jeder Verband hat mehrere Paragrafen<br />
und Unterparagrafen in seinen Satzungen zu Fallkonstellationen bezüglich der<br />
Grundstücksfläche verankert. Wir haben Innen- und Außenbereiche, teilweise oder<br />
total, wir haben Bebauungsplangebiete, wir haben beplanten und unbeplanten Innenbereich.<br />
Unsere Grundstücke liegen zum Teil in beiden Bereichen. Wir haben<br />
gewerblich genutzte Grundstücke. Diese ganze Palette wird von den Satzungen erschlagen.<br />
Wir haben die Fallkonstellationen der Geschossigkeit. Hier haben wir auch wieder die<br />
Grundstücke innerhalb eines Bebauungsplangebietes, bebaute oder unbebaute<br />
Grundstücke innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils - § 34 Bauge-
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 83<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
setzbuch -, bebaute und unbebaute Grundstücke im Außenbereich und Gewerbegrundstücke.<br />
Sie sehen, diese Palette muss über die Satzung abgedeckt werden. Wir<br />
Verbände erleben es täglich live: Jeden Tag steht ein Richter auf und hat eine neue<br />
Idee, was wir noch in die Satzungen einbringen können. Wir als Verbände hecheln<br />
der Rechtsprechung hinterher. Uns wird gern mangelndes Wissen oder Doofheit<br />
nachgesagt. Aber es ist wirklich ein Hinterherhecheln.<br />
Für uns als Verband erscheint also fraglich, wann Fälle gleich gelagert sind. In der<br />
Praxis begründen Widerspruchsführer ihre Widersprüche vielfach nicht nur mit einer<br />
bestimmten Rechtsfrage, z. B. Zulässigkeit der Altanlieger, sondern es gibt immer<br />
individuelle Besonderheiten, die wir in der Diskussion nicht außer Acht lassen sollten.<br />
Ein paar Beispiele für Klagegründe: „Ich fühle mich ungerecht behandelt“, „Mein<br />
Nachbar zahlt weniger“, „Eltern haben Beiträge schon in Reichsmark bezahlt“, „Ich<br />
nutze mein Grundstück nicht“, und aktuell: „Querfinanzierung Flughafen“. Das sind<br />
die Sachen, die uns im Moment angeboten werden.<br />
Vorhin sind ein paar Zahlen genannt worden. Wir haben 400 Klagen am Verwaltungsgericht<br />
Potsdam und 27 Normenkontrollverfahren anhängig. Wenn ich 2015<br />
höre, wird mir ganz schlecht. Eine längere Frist wäre auch im Sinne unseres Verbandes.<br />
Ich habe unterschiedlich gelagerten Grundstücke und Fälle. Wer soll nun eigentlich<br />
entscheiden, welche Widerspruchsverfahren gleichgelagert sind? Ruhen eigentlich<br />
automatisch alle Widerspruchsverfahren, wenn ein Musterverfahren ausgewählt wurde?<br />
Hier ist die Frage: Soll die Behörde das entscheiden? Das sind die Fragen, die<br />
bei uns anfallen.<br />
Nächster Punkt - das hatten wir schon öfter -: Verwaltungsrechtliche Verfahren dauern<br />
oftmals sehr lange. In Musterverfahren ist damit zu rechnen, dass der gesamte<br />
Instanzenzug, möglicherweise mit Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts oder<br />
Bundesverfassungsgerichts, ausgeschöpft wird. Da reden wir über einen Zeitraum<br />
von fünf, sechs Jahren.<br />
Da die Bürger trotz des Ruhens des Verfahrens zur Zahlung verpflichtet sind, verbleibt<br />
das Geld bei der Gemeinde, ohne dass es verwendet werden kann. Der Bürger<br />
erhält für die Zeit des Ruhens des Verfahrens selbst bei einer Rückzahlung nach<br />
Aufhebung keine Zinsen. Eine Verzinsung erfolgt nur während der Prozessanhängigkeit<br />
für die Kläger selbst. Dies wird aus unserer Sicht offensichtlich der Gesetzentwurf<br />
der CDU mit der Regelung in § 12 Nummer 6 letzter Satz ändern, wonach die<br />
Rechtsfolgen der Rechtsanhängigkeit des Musterverfahrens auch für die ruhenden<br />
Widerspruchsverfahren gelten. Die Konsequenz daraus wäre: Die Stadt oder der<br />
Verband müsste nach einer Niederlage im Musterverfahren - egal, aus welchem<br />
Grund - für alle widerspruchsbehafteten Bescheide Prozesszinsen zahlen. Ich weiß<br />
nicht, ob das im Sinne des Erfinders ist.<br />
Außerdem - ganz wichtig - kann dem Gericht nicht vorgeschrieben werden, die für<br />
die Widerspruchsführer maßgebliche Rechtsfrage zu klären. Sie gehen rein und wol-
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 84<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
len die Geschossigkeit geklärt haben, und der Richter klappt das Thema zu, weil etwas<br />
verjährt ist oder die Veröffentlichung der Satzung nicht richtig war. Es können<br />
daher Urteile ergehen, ohne überhaupt die entscheidende Frage geklärt zu haben.<br />
Das sollte man sich auch vor Augen führen.<br />
Ob alle an ein solches Urteil gebunden sein sollen, ist die nächste Frage. In Mecklenburg-Vorpommern<br />
stellt sich diese Frage nicht, da die Regelung nur die Durchführung<br />
des Widerspruchsverfahrens bzw. dessen Ruhen betrifft. Die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern<br />
spricht keine Bindungswirkung aus und befasst sich auch nicht<br />
mit der Durchführung einer Musterklage. Das sollte man auch bedenken. Dort kann<br />
das Widerspruchsverfahren nach der Rechtskraft eines Musterverfahrens von beiden<br />
Seiten, Widerspruchsführer wie Behörde, fortgeführt werden. Das bedeutet aber<br />
auch, dass nach vielen Jahren nach dem Instanzenzug die einzelnen Widerspruchsverfahren<br />
noch weitergeführt werden können.<br />
Eine gesetzliche Regelung zum Ruhen von Widerspruchsverfahren bei in Gerichtsverfahren<br />
gleichgelagerten Fällen wäre sinnvoll, wenn dadurch Untätigkeitsklagen<br />
ausgeschlossen sind. Das haben wir auch noch. Untätigkeitsklagen sind bei uns<br />
ganz groß. Hier ist die Verwaltungsgerichtsordnung Bund einschlägig. Daher ist eine<br />
solche Regelung in <strong>Brandenburg</strong> in unseren Augen eher nicht möglich.<br />
Wie verfährt unser Verband im Moment? Wir schicken die Bescheide raus. Wir reden<br />
über die Kleinigkeit von 33 000 Bescheiden, die wir in vier Jahren abarbeiten müssen.<br />
Wir haben am 1. Januar 2011 angefangen. Ich habe dieses Jahr sechs Leute<br />
eingestellt. Ich habe jetzt 13 Leute, die nur Beitragsbescheidung machen. Prof.<br />
Herrmann hat vorhin schon Ausführungen dazu gemacht. Es ist mit einem erheblichen<br />
personellen Aufwand verbunden, den wir stemmen müssen. Wie gesagt, wir<br />
schicken die Bescheide raus. Meistens wollen die, die eine Nacherhebung kriegen,<br />
Widerspruch erheben; die, die Geld wiederkriegen, gehen eigentlich nicht in Widerspruch.<br />
Wir informieren den Widerspruchsführer über die anhängigen Normenkontrollklagen<br />
- ich habe gesagt, wir haben 27 Stück - und bieten an, das Einverständnis<br />
des Widerspruchsführers vorausgesetzt, über den Widerspruch erst nach Abschluss<br />
des Normenkontrollverfahrens zu entscheiden. Diese Verfahrensweise wird größtenteils<br />
angenommen. Damit spart der Bürger Kosten. Er muss nicht den Klageweg eingehen.<br />
Sicherlich spart auch der Verband Kosten - das muss man ganz klar sagen.<br />
Das ist eine Lösung, die wir gefunden haben, die eigentlich recht gut läuft.<br />
Wir haben eine Widerspruchsquote von 50 %. Ich habe ungefähr 4 000 Widersprüche<br />
und 400 Klagen. Das Verhältnis geht noch und bringt mich nicht um meine<br />
Nachtruhe, weil irgendwann darüber entschieden wird.<br />
Wir schließen uns voll und ganz der Stellungnahme des <strong>Land</strong>eswasserverbandstages<br />
zu diesem Punkt und zur Verjährungsfrage an und hoffen, dass im Sinne aller<br />
entschieden wird. Das ist doch hier die Frage. Wir erfüllen hier eine kommunale Aufgabe.<br />
Es ist für mich erschreckend, wie wir hier dargestellt werden, möchte ich noch<br />
einmal sagen. Wir müssen es tun. Wenn wir es nicht machen, macht es ein anderer.<br />
- So viel dazu.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 85<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Frau Nicolaus. - Als Nächstes Herr Wolf-Michael Ring - er wurde von<br />
Frau Nicolaus schon indirekt angesprochen - als Vorsitzender Richter des Verwaltungsgerichts<br />
Schwerin. Er ist nicht mit den <strong>Brandenburg</strong>er Fällen betraut. Aber in<br />
Mecklenburg-Vorpommern haben wir viele ähnlich gelagerte Fälle. Mecklenburg-<br />
Vorpommern ist eines der Bundesländer, in denen es für das Widerspruchsverfahren<br />
Musterverfahren im <strong>Land</strong>esrecht gibt. Schön, dass Sie da sind. Sie haben jetzt das<br />
Wort.<br />
Herr Wolf-Michael Ring (Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Schwerin):<br />
Herzlichen Dank für die Einladung. Ich habe meine schriftliche Stellungnahme abgegeben.<br />
Ein Kollege vom Oberverwaltungsgericht, Prof. Dr. Sauthoff, hat mir noch zugearbeitet.<br />
Deshalb werden Sie noch eine erweiterte schriftliche Stellungnahme bekommen,<br />
in der noch ein paar Punkte mehr enthalten sind (Anlage 18).<br />
Wir haben seit 2005 die Regelung zu den ruhenden Widerspruchsverfahren. Ich bin<br />
erst seit 2007 in der Abgabenkammer. Ich kann also den Effekt Vorher-Nachher nicht<br />
aus eigener Anschauung erzählen. Ich weiß aber, dass wir Anfang der 2000er-Jahre<br />
in unserer damaligen Abgabenkammer über 2 000 Verfahren hatten. Wir mussten Sie<br />
damals in zwei Abgabenkammern aufsplitten, um das überhaupt bewältigen zu können.<br />
Seit der neuen Geschäftsverteilung 2013 führe ich allein eine Abgabenkammer<br />
mit unter 800 Verfahren. Ich will das nicht monokausal auf diese Regelung zurückführen.<br />
Es kann auch sein, dass die Verbände mit der Beitragserhebung weiter durch<br />
sind. Aber es ist für uns gefühlt so - wir führen keine Statistiken darüber -, dass die<br />
großen Ketten abgenommen haben.<br />
Aus meiner Sicht ist es so, dass die Regelung nicht hundertprozentig gelebt wird.<br />
Aber wenn sie gelebt wird, funktioniert sie gut. Ich erinnere mich an eine Handhabung<br />
bei einem Zweckverband, der einmal mit seiner Beitragssatzung nicht die Gnade<br />
des Gerichts gefunden hatte, weil sich eklatante Fehler darin befunden haben.<br />
Die haben sofort die Beitragserhebung gestoppt, haben die Bescheide aufgehoben,<br />
sind in eine neue Erhebung gegangen, haben eine neue Satzung gemacht, vor allen<br />
Dingen eine neue Kalkulation vorgelegt und haben uns dann signalisiert, dass es<br />
mehrere Anwälte gibt, die jeweils mehrere hundert Widersprüche auf sich vereinigen.<br />
Sie hatten sich mit denen abgesprochen, ein Musterverfahren durchzuführen. Es war<br />
uns signalisiert. Das ist aus richterlicher Sicht eine ganz wichtige Sache. Das muss<br />
dem Gericht bekannt sein. Wir haben immer wieder das Phänomen, dass erst in der<br />
mündlichen Verhandlung gesagt wird: Das stehen noch 30 Verfahren im Straßenbaubeitragsrecht<br />
hinter. Dann guckt man ein bisschen traurig in die Gegend und<br />
sagt: Vielleicht hätten wir es vorgezogen, wenn wir die besondere Bedeutung des<br />
Falles erkannt hätten. In diesem Fall war es so. Es war angezeigt. Wir haben uns<br />
dann das Recht rausgenommen, die vielen Verfahren, die dahinterstehen, zu beachten<br />
und die Sache vorzuziehen. Sie haben relativ schnell eine Entscheidung des Ge-
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 86<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
richts gekriegt, sind zum Oberverwaltungsgericht gegangen und haben dann einen<br />
Befund über ihre Satzung bekommen. Die Satzung hat vor dem Oberverwaltungsgericht<br />
gehalten. Das zeigt mir, dass so ein Verfahren sehr gut funktionieren kann.<br />
Ich muss Folgendes dazu sagen: Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern eine weiche<br />
Regelung. Sowohl der Zweckverband also auch die Widersprechenden können<br />
aussteigen. Wichtig ist aus der Wahrnehmung, die ich im Gerichtssaal habe: Das<br />
muss fair laufen. Der Zweckverband muss ankündigen: In deinem Fall wollen wir weitermachen,<br />
Widersprechender, und zwar aus den und den Gründen. Dieser Zweckverband<br />
hat es z. B. so gemacht, dass sie die Verfahren von Klägern aussortiert hatten,<br />
die nicht an Rechtsanwälte gebunden waren und die zusätzlich keine inhaltliche<br />
Begründung abgegeben hatten, die einfach nur das Wort „Widerspruch“ auf einen<br />
Zettel geschrieben und damit formell den Widerspruch erhoben, aber keine inhaltlichen<br />
Einwendungen gebracht hatten, weder grundstücksbezogen noch genereller<br />
Natur auf die Satzung bezogen. Da haben sie sich das Recht genommen, diese vorab<br />
zu bescheiden, haben das den Leuten angekündigt, eine Nachfrist gesetzt, gefragt,<br />
ob sie eine weitere Erklärung zu ihrem Widerspruch abgeben wollten. Wenn die<br />
nicht kam, sind die beschieden worden und sind nach dem, was uns berichtet wurde,<br />
praktisch zu 100 % bestandskräftig geworden.<br />
Das ist Selektion. Ich kann einen Zweckverband nachvollziehen, dass sie die Halden<br />
ein bisschen kleiner gestalten wollen. Das ist eine Handhabung, die ihnen aufgrund<br />
der Ausstiegsmöglichkeit eröffnet wird, die wir in Mecklenburg-Vorpommern haben.<br />
Ich habe dem Entwurf hier entnommen, dass so eine Ausstiegsmöglichkeit den<br />
Zweckverbänden nicht zugestanden werden soll. Man muss einfach gucken, wie man<br />
das handhaben will.<br />
Wenn das mit Musterverfahren so gehandhabt wird, sind wir von Gerichtsseite aus<br />
immer darauf bedacht, einen möglichst großen Brain Trust zusammenzubringen,<br />
d. h. alle maßgeblichen Anwälte, die inhaltlich etwas dazu beizusteuern haben. Wir<br />
maßen uns wirklich nicht an, aus eigener Wassersuppe alles ermessen zu können,<br />
was an Problematiken nicht nur in der Satzung, sondern vor allen Dingen in der Kalkulation,<br />
die bei uns in Mecklenburg-Vorpommern über den Beitragssatz zentraler<br />
Satzungsbestandteil ist, enthalten ist. Das heißt, wir machen es so, dass wir gern<br />
drei, vier, fünf Musterverfahren haben, die wir in einem fürchterlichen Marathon<br />
durchziehen, um alle Argumente vor Beschlussfassung mit den ehrenamtlichen Richtern<br />
auf dem Tisch zu haben. Das gibt eine relativ große Gewähr dafür, dass man<br />
wirklich alle Ecken ausgekehrt hat und zu einer inhaltlich richtigen Entscheidung<br />
kommt.<br />
Gleichwohl kann es immer wieder passieren, dass jemand nachklappt, weil die<br />
Zweckverbände zwangsläufig so vorgehen müssen, dass sie regional nach und nach<br />
erheben. Dann ist in irgendeiner Ortschaft eine neue Anwältin, ein neuen Anwalt tätig,<br />
die oder der gute Ideen hat. Dann muss man das sportlich nehmen. Dann werden<br />
die Verfahren nachgeführt. Deshalb sind wir jetzt mit unserer Entscheidung nach der<br />
Bundesverfassungsgerichtsentscheidung so schnell aus den Büschen gekommen.<br />
Da war gerade das passiert. Eine engagierte Anwältin hat eine neue Facette aufgemacht.<br />
Da haben wir gesagt: Wir machen noch einmal eine Kammersitzung. Die war
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terminiert, bevor wir von der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung wussten. Dann<br />
haben wir das mit eingearbeitet.<br />
Das ist aus unserer Sicht kein Problem. Wichtig ist nur, dass es dann möglichst zentral<br />
abgearbeitet wird, damit man wirklich alle guten Argumente mit in die Entscheidung<br />
reinbringen kann, weil das wieder dem Verfremdungseffekt dient. Heutzutage<br />
ist es ja so: Entweder der Zweckverband tut es in seine Verbandspostille rein, oder<br />
es geistert durch die Blocks der Bürgerinitiativen, oder es geht in die Zeitung. Es wird<br />
sehr schnell in guter Weise transparent, was das Gericht entschieden hat. Insofern<br />
ist es uns wichtig, dass es eine möglichst umfangreiche, möglichst verständliche Erklärung<br />
ist, die für die anderen Widersprechenden in ihrer Entscheidung hilfreich sein<br />
kann, die dann sagen: „Wir machen weiter, wir wollen den Widerspruchsbescheid<br />
haben“, oder sagen: „Okay, jetzt haben wir eine Erklärung, und jetzt lassen wir es gut<br />
sein“, wenn manchmal auch grummelnder Weise. Es ist häufig pure Not. Das nehmen<br />
wir auch wahr. Die Leute wissen häufig nicht, wie sie das bezahlen sollen. Aber<br />
das ist für uns Richter leider nicht das zentrale Thema. Wir müssen das Gesetz anwenden,<br />
wie es ist.<br />
Aus unserer Sicht: Es funktioniert. Ob man es machen muss, ist eine politische Entscheidung.<br />
Bevor ich zum Gericht kam, war ich in der Deregulierungsstabstelle des<br />
Justizministeriums. Zwangsläufig ist es nicht. Das Bundesverfassungsgericht wird<br />
Ihnen nicht vorschreiben, dass Sie so etwas haben müssen. Das ist Geschmackssache.<br />
Ich habe, als ich gerade den Vortrag von Frau Nicolaus hörte, noch einmal darüber<br />
nachgedacht. Aus unserer Sicht ist es natürlich so: Eine Ausstiegsmöglichkeit für einen<br />
Zweckverband erscheint vor dem finanziellen Hintergrund zunächst einmal nicht<br />
geboten, weil die ja das Geld kriegen, weil es sofort vollziehbar ist. Frau Nicolaus hat<br />
wahrscheinlich zu Recht darauf hingewiesen: Möglicherweise muss das in separate<br />
Töpfe, weil es sich um einen im Widerspruch befindlichen und deshalb nicht endgültig<br />
im Haushalt verbleibenden Vermögenswert handelt. Ich kenne mich in den Bilanzen<br />
nicht aus. Ich weiß aber, dass es möglicherweise Probleme gibt. Das müssten<br />
Sie eventuell in Ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen: Wie geht ein Zweckverband<br />
eigentlich mit dem Geld um, das er erst einmal nur unter Vorbehalt hat? Kann<br />
er damit schon finanzieren? Oder muss er trotzdem in die Fremdfinanzierung gehen<br />
und hat dann höhere Gebühren, weil er Finanzierungskosten bei den Gebühren einrechnet?<br />
Das mag für oder gegen Musterverfahren sprechen, ist aber eine ganz andere<br />
Facette als die, die ich als Richter zu betrachten habe.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Ring, für Ihrer Einlassungen und Erläuterungen. - Als Letzter ist<br />
jetzt Herr Dr. Andreas Beutin, Rechtsanwälte Schütte, Horstkotte & Partner, dran. Sie<br />
haben jetzt auch das Wort.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 88<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Herr Dr. Andreas Beutin (Rechtsanwälte Schütte, Horstkotte & Partner):<br />
Vielen Dank, Herr Vorsitzender. - Vielen Dank für die Einladung. Ich versuche, mich<br />
stichpunktartig kurz zu halten in Ergänzung zu dem, was wir schriftlich eingereicht<br />
haben (Anlage 19). Vieles ist schon angesprochen worden.<br />
Mehrfach angesprochen worden ist das Zusammenspiel der Verfahrensruhe mit der<br />
Frage der Aussetzung der Vollziehung bzw. der sofortigen Vollziehbarkeit von Abgabenforderungen.<br />
<strong>Land</strong>läufig, muss man sagen, geht die Erwartung von Widerspruchsführern<br />
bei der Verfahrensruhe einher mit der Erwartung, dass erst einmal<br />
nicht zu zahlen ist. Das führt in der Praxis - zumindest nach unserer Erfahrung in<br />
Mecklenburg-Vorpommern - zu einem ganz erheblichen Aufwand, weil zunächst einmal<br />
vielen Widerspruchsführern klargemacht werden muss, dass die Verfahrensruhe<br />
nicht zur Aussetzung der Vollziehung führt. Dann ist die Frage, wie das gelöst wird.<br />
Entweder führt das dazu, dass einzelne Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung<br />
von den Beitragsschuldnern angestrengt werden, die auch in gerichtliche Auseinandersetzen<br />
münden, und zwar individuellen, die überhaupt nichts mit der Frage Musterverfahren<br />
zu tun haben, oder der Zweckverband bzw. die abgabenerhebende Körperschaft<br />
fühlt sich faktisch gezwungen, um eine Gleichbehandlung herzustellen, alle<br />
Verfahren auszusetzen. Das wirkt sich natürlich ganz erheblich auf die Refinanzierung<br />
der Körperschaft aus, beinhaltet also durchaus Probleme. Da muss man in dem<br />
Zusammenspiel einfach im Blick haben.<br />
Die Frage ist ein Problem bei der Auswahl von Musterverfahren. Die Anfragen kommen<br />
sehr häufig gerade von den Anwälten, die Widerspruchsführer vertreten. Auch<br />
das ist eine Frage, über die lange und intensiv gestritten wird, wo viel Zeit investiert<br />
werden muss und nicht immer eine Einigung erzielt werden kann, was faktisch dazu<br />
führt, dass oftmals doch eine sehr große Anzahl an Verfahren zu Gericht geht, die<br />
alle Musterverfahren sind. Man kann natürlich auch sagen: Ab einer Verfahrensanzahl<br />
von zehn, 15 Verfahren noch von Musterverfahren zu sprechen, ist auch schon<br />
nicht mehr ganz passend.<br />
Ein weiteres Problem ist auch schon mehrfach diskutiert worden. Der Entzug der Verfahrenshoheit<br />
gegenüber der Widerspruchsbehörde, dass sie das Ruhen des Verfahrens<br />
nicht einseitig beenden kann, muss man schon als problematisch ansehen. Die<br />
Finanzausstattung kann dadurch gefährdet sein, gerade bei der Gebührenerhebung.<br />
Auch wenn das kein streitanfälliges Thema ist, könnte das problematische Folgen<br />
nach sich ziehen.<br />
Ein weiteres Ziel des Gesetzentwurfs ist die Befriedung. Auch da muss man sehen:<br />
Selbst bei ruhenden Verfahren führt das nicht zwangsläufig zur Befriedung. Jeder<br />
Widerspruchsführer kann individuell irgendwann eine Klage einreichen. Es gibt eine<br />
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, die sagt: Das<br />
ist faktisch der Antrag des Widerspruchsführers, das Verfahren wieder aufzugreifen.<br />
Damit ist die Klage zulässig. Mit anderen Worten: Eine Sicherheit, dass die ruhenden<br />
Verfahren wirklich ruhend bleiben, kann man damit auch nicht schaffen.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 89<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Ein weiteres Ziel, das angesprochen worden ist, ist die Vereinheitlichung der Rechtsprechung.<br />
Auch das wird man, glaube ich, über dieses Instrument nicht erreichen.<br />
Wir haben es schon gehört: Musterverfahren können sehr unterschiedlich ausgehen.<br />
Es kann durch zeitlichen Ablauf natürlich immer wieder Änderungen in der Rechtsprechung,<br />
in der Rechtslage geben.<br />
Auch die Ziele von Prozessgemeinschaften sind sehr unterschiedlich. Es gibt Prozessgemeinschaften,<br />
die darauf abzielen, einen günstigen Vergleich zu erreichen. Es<br />
gibt Prozessgemeinschaften, die darauf abzielen, grundsätzlich die Frage gerade im<br />
Anschlussbeitragsrecht der Beitragserhebung in Zweifel zu ziehen. Auch da können<br />
die Ergebnisse sehr stark voneinander abweichen.<br />
Zwei konkrete Überlegungen müsste man sich noch zur Formulierung des Gesetzentwurfs<br />
bei der Regelung zu den Musterverfahren stellen. Die eine ist: Wie geht<br />
man mit Widerspruchsverfahren um, die unter die Regelung des § 12 Absatz 1<br />
Nummer 7 Buchstaben a) oder b) fallen, nämlich die auf ein sozusagen vorgreifliches<br />
Gerichtsverfahren Bezug nehmen und gleichzeitig Widersprüche in gleichgelagerten<br />
Fällen nach § 12 Absatz 1 Nummer 7 Buchstabe c) darstellen? Dann haben wir ja die<br />
Konstellation, dass die Verfahren nach Buchstabe a) und b) von Gesetzes wegen<br />
ruhen. Nach c) soll trotzdem unter den ruhenden Verfahren ein Musterverfahren ausgewählt<br />
werden, das entschieden werden soll. Das passt meines Erachtens nicht<br />
ganz zusammen. Da müsste man noch einmal überlegen, wie man eine klarere Abgrenzung<br />
schafft.<br />
Die nächste Frage betrifft § 12 Absatz 1 Nummer 7 Buchstabe d). Er beginnt mit den<br />
Worten: „Die verbleibenden Widerspruchsverfahren ruhen ...“ Mit der Formulierung<br />
„Die verbleibenden Widerspruchsverfahren“ wird nach meinem Verständnis auf die<br />
Regelung des Buchstaben c) Bezug genommen, in dem davon gesprochen wird,<br />
dass ein oder mehrere Musterverfahren ausgewählt werden, sprich: nach Buchstabe<br />
d) ruhen die verbleibenden. Das heißt, die Regelung unter d) passt nach meinem<br />
Verständnis nicht für die Regelung der Buchstaben a) und b), weil es da faktisch keine<br />
verbleibenden Verfahren gibt. Insofern muss man sich fragen: Wie geht man mit<br />
den ruhenden Verfahren nach Buchstabe a) und b) um? Gibt es da auch eine Mitteilungspflicht?<br />
Gibt es eine Beendigungsmöglichkeit? Das sagt Buchstabe d) meines<br />
Erachtens zumindest nicht eindeutig aus.<br />
Dann muss man sich noch überlegen: Musterverfahren machen aus unserer praktischen<br />
Erfahrung nur dann Sinn, wenn sie von einer individuellen Verfahrensvereinbarung<br />
begleitet werden. Darauf zielt auch § 12 Absatz 1 Nummer 7 Buchstabe e)<br />
ab. Denn nur, wenn man eine entsprechende Verfahrensvereinbarung zu diesen<br />
Musterverfahren abgeschlossen hat, hat man Regelungen dazu, wie die Ergebnisse<br />
auf konkrete Verfahren übertragen werden, wie die anderen Widerspruchsverfahren<br />
entschieden werden, ob man hinterher einzelne individuell behandelt oder nicht. Nur<br />
dann kann es letzten Endes tatsächlich zu einer endgültigen Befriedung kommen.<br />
Ansonsten ist das Musterverfahren beendet, die Widerspruchsverfahren müssen<br />
aufgegriffen und entschieden werden. Dann kann sozusagen der Reigen von vorne<br />
losgehen.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 90<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Dann muss man sich überlegen - das wurde vorhin auch schon angesprochen -,<br />
dass entsprechende Verfahrensvereinbarungen unabhängig davon, ob es eine gesetzliche<br />
Regelung gibt, abgeschlossen werden. Die Erfahrungen, über die teilweise<br />
hier berichtet worden sind, können wir nicht so ganz teilen. Wir beraten sehr viele<br />
Aufgabenträger, die meistens eher geneigt sind, sich diesem Verfahren anzuschließen,<br />
weil es auch für sie selbst eine Verringerung der Komplexität herbeiführt. Wir<br />
haben eher positive Erfahrungen, insbesondere aus Mecklenburg-Vorpommern, auch<br />
schon vor 2005, also bevor es diese Regelung gab.<br />
Zwei, drei Überlegungen noch zur Praxis einer solchen Regelung. Ich habe es schon<br />
angedeutet: Aus meiner Sicht führt eine solche Verfahrensruhe nicht unbedingt zu<br />
weniger Verwaltungsaufwand. Erst einmal müssen die Tatbestandsvoraussetzungen<br />
sehr genau geprüft werden. Welches Widerspruchsverfahren fällt in welche Gruppe,<br />
in welche Prozessgemeinschaft? Beruht es auf dem Verfahren? Wird darauf verwiesen?<br />
Auswahl des Musterverfahrens: Welches führt man gemeinsam zu einer Entscheidung?<br />
Das habe ich auch schon angesprochen. Ohne eine Musterverfahrensvereinbarung<br />
macht ein Musterverfahren nach unserer Einschätzung in der Regel<br />
keinen Sinn. Die Frage der Aussetzung der Vollziehung muss in nahezu jedem Fall<br />
individuell geprüft und eventuell durch entsprechende Verfahren geklärt werden.<br />
Ein weiteres Ziel, Kosteneinsparung, sehe ich aus meiner Sicht nur in sehr geringem<br />
Maße für möglich. Auf Seiten der Widerspruchsführer kann es unter dem Strich meines<br />
Erachtens am Ende zu einer relevanten Kosteneinsparung dann kommen, wenn<br />
diejenigen, deren Verfahren ruhend gestellt worden sind, eine Gerichtsentscheidung,<br />
die irgendwann kommt, die vielleicht die Abgabenerhebung bestätigt, hinnehmen und<br />
sagen: Ich nehme Abstand von einer individuellen Klage. Das passiert in der Praxis<br />
aber selten, jedenfalls nicht in den überwiegenden Fällen.<br />
Auf Seiten der Behörden kann es dann zu einer Kosteneinsparung kommen, wenn<br />
sozusagen das Gericht im Musterverfahren zu dem Ergebnis kommt, die Abgabenerhebung<br />
ist rechtswidrig, und die Behörde nimmt erst einmal Abstand von der Abgabenerhebung<br />
und hat keine weiteren Kosten bzw. Kostenrisiken aus mehreren Gerichtsverfahren.<br />
Das ist aber etwas, das in der Praxis selten vorkommt.<br />
Man sollte sich noch Gedanken machen, ob man die beabsichtigen Regelungen auf<br />
alle Abgabenarten nach dem Kommunalabgabengesetz erstreckt. Angesprochen<br />
wurden schon Straßenbaubeiträge, auch die Gebühren. Aus unserer Sicht sind das<br />
keine Abgabenarten, bei denen solche Vorbehalte bestehen, die wahrscheinlich dazu<br />
geführt haben, diese Überlegungen hier anzustellen. Denn in aller Regel geht es bei<br />
solchen Massenverfahren um die Frage der Anschlussbeiträge. Deshalb ist die Frage,<br />
ob man die anderen Abgabenarten einbezieht.<br />
Wenn man die Anschlussbeiträge in Betracht zieht, muss man sich auch noch einmal<br />
die Frage stellen: Kann man das Ziel der endgültigen Befriedung wirklich erreichen?<br />
Eine nicht geringe Zahl der Widerspruchsführer zumindest gerade bei den sogenannten<br />
altangeschlossenen Grundstücken stellt die Abgabenerhebung vom Grundsatz<br />
her infrage und ist weniger daran interessiert, dass ein Gericht am Ende des Tages
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 91<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
sagt: Die Abgabenerhebung ist rechtmäßig erfolgt. Daran, dass man das Ziel der Befriedung<br />
mit einer solchen Regelung wirklich erreicht, habe ich meine Zweifel.<br />
Zusammenfassend meine vier Thesen: Eine gesetzliche Regelung über das Ruhen<br />
von Widerspruchsverfahren sollte aus meiner Sicht stets unter Berücksichtigung der<br />
faktischen Auswirkungen auf die Frage der Aussetzung der Vollziehung erwogen<br />
werden. Problematisch ist aus meiner Sicht weiter die Entziehung der Verfahrenshoheit<br />
der Widerspruchsbehörde. Vor allen Dingen verfassungsrechtliche Gründe sprechen<br />
dafür, davon Abstand zu nehmen. Die Erstreckung der Ruhensregelung auf Abgabenarten<br />
erscheint mir zweckwidrig, zumindest aber nicht erforderlich. Aus anwaltlicher<br />
Sicht muss ich sagen - das divergiert vielleicht ein bisschen -, dass die Ziele<br />
durch die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern aus meiner Sicht nicht erreicht<br />
worden sind. Es wurden vorher Musterverfahrensvereinbarungen abgeschlossen.<br />
Auch heute noch werden welche abgeschlossen. Dass sich die Fallzahlen deswegen<br />
erheblich reduziert haben, sehe ich eher nicht. Ich sehe es eher so, dass in der Zwischenzeit<br />
einfach viele Verbände in Mecklenburg-Vorpommern mit der Beitragshebung<br />
durch sind und deshalb die Fallzahlen bei Gericht weniger geworden sind. -<br />
Vielen Dank.<br />
Vorsitzender:<br />
Vielen Dank, Herr Dr. Beutin. - Ich schaue in die Runde. Gibt es Nachfragebedarf zu<br />
den letzten drei Anzuhörenden, die wir gehört haben? - Frau Nonnemacher hat das<br />
Wort.<br />
Abgeordnete Nonnemacher (GRÜNE/B90):<br />
Ich habe eine Nachfrage an Herrn Dr. Beutin und an Herrn Ring. Sie haben nun die<br />
Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern, ein bisschen unterschiedlich akzentuiert,<br />
geschildert. Wie würden Sie das denn vor unserer Diskussion heute Vormittag zu<br />
der Verjährung sehen? Ich weiß nicht, ob sich dieses Problem in Mecklenburg-<br />
Vorpommern auch stellen wird. Sie haben unsere erste Anhörung am Rande mitbekommen.<br />
Was sagen Sie denn zum Thema Musterklagen vor dem Hintergrund Verjährungsfristen?<br />
Herr Wolf-Michael Ring (Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Schwerin):<br />
Ich habe heute Vormittag in der Tat zugehört. Mir ist am Rande klar geworden, dass<br />
es heikel werden kann, die Leute ruhig zu halten, dass sie auf den Abschluss eines<br />
Musterverfahrens vertrauen, ohne dass es vom Gericht eine feste Zusage geben<br />
kann, in welcher Frist das Musterverfahren nun durchgehen wird. Ich kann prognostisch<br />
schwer beurteilen, wie sich das darstellen wird. Bei uns in Mecklenburg-<br />
Vorpommern ist die glückliche Stunde die, dass wir im April unter Einbeziehung der<br />
Bundesverfassungsgerichtsentscheidung entschieden haben. Das wird jetzt zum<br />
OVG raufgehen. Insofern sind wir früh dabei und haben bezüglich dieser konkreten<br />
Wegweisung Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Regelung im KAG Mecklenburg-Vorpommern,<br />
nämlich Entstehen der Beitragspflicht mit Anschlussmöglich-
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 92<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
keit und erster wirksamer Satzung, eine Rechtsmeinung geäußert, haben ein Urteil<br />
gefällt. Da wird man bei uns im <strong>Land</strong> jetzt relativ schnell Klarheit gewinnen. Das ist<br />
aus meiner richterlichen Sicht eine glückliche Fügung. Die Betroffenen sehen das<br />
teilweise vielleicht anders, zumindest im Hinblick auf die Entscheidung, die wir gefällt<br />
haben. Das wird vielleicht die Problematik von Musterverfahrensvereinbarungen oder<br />
von gesetzlicher Anordnung von Musterverfahren erschweren. Da gebe ich Ihnen<br />
recht.<br />
Zu Herrn Dr. Beutin muss ich noch sagen: Musterverfahrensvereinbarungen sind in<br />
der Tat aus meiner Sicht das Beste. Die sind dezidiert, wenn sie gut gemacht sind.<br />
Sie werden in der Regel nur von Fachleuten gemacht, die es wirklich können. Damit<br />
haben Sie ganz selten Probleme. Wir haben jetzt neulich einen Fall von Untätigkeitsklagen<br />
gehabt. Da war die angedachte Vereinbarung aus dem Jahr 2004 von der<br />
gesetzlichen Regelung aus 2005 quasi überlagert worden. Dann hatte man das<br />
Thema fallen lassen. Dann ist 2009 bei den Klägern der Faden gerissen; die haben<br />
Untätigkeitsklagen erhoben. Das war eine unklare Situation, in der uns als Gericht<br />
aber auch bewusst geworden ist: Eine saubere Vereinbarung hält diese Probleme<br />
komplett außen vor.<br />
Herr Dr. Andreas Beutin (Rechtsanwälte Schütte, Horstkotte & Partner):<br />
Der <strong>Land</strong>esgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern ist nicht so schnell wie hier in<br />
<strong>Brandenburg</strong>. Die Überlegungen sind da wohl erst ganz am Anfang, was man mit<br />
dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts macht. Ein Problem ist natürlich da.<br />
Herr Ring hat es angedeutet. Wenn man über eine Regelung nachdenkt, die sozusagen<br />
als absolute Erhebungsgrenze eingreifen soll und die gesetzliche Einführung von<br />
Musterverfahrensregelungen nicht dazu führt, dass solche Verfahren, die ruhend gestellt<br />
worden sind, unter diese absolute Grenze fallen, steuert man in ein Problem.<br />
Man steuert sehenden Auges eventuell in die Situation hinein, dass Beitragsforderungen<br />
wegen des Ruhens des Verfahrens im großen Stil untergehen. Gerade unter<br />
diesem Gesichtspunkt ist es problematisch, wenn man der Widerspruchsbehörde<br />
nicht die Möglichkeit einräumt, die Verfahrensruhe einseitig zu beenden.<br />
Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE):<br />
Frau Nicolaus, Sie haben sehr anschaulich die Problemlage in Ihrem Verband geschildert,<br />
das praktische Leben aufgezeigt. Ich habe aus Ihren Bemerkungen herausgehört,<br />
dass Sie eine Unsicherheit im Umgang mit Musterverfahren sehen. Sie<br />
haben verschiedene konkrete Probleme aufgezeigt, z. B. die Frage: Was können angesichts<br />
der Vielfalt überhaupt gleichgelagerte Fälle sein? Das veranlasst mich zu<br />
der Frage an Herrn Ring: Wie kann man dem begegnen, wie kann man so eine Bündelung<br />
ermöglichen? Oder kommt man zu dem Schluss, es geht bei der konkreten<br />
Situation, die man hat, überhaupt nicht? Erste Frage.<br />
Zweite Frage an Sie, Frau Nicolaus. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es die Ausstiegsmöglichkeit.<br />
Das ist hier noch einmal gesagt worden. Wie sehen Sie das? Wie<br />
könnte man die Musterverfahren unter der Voraussetzung sehen, dass sowohl der<br />
Verband als auch die Kläger die Möglichkeit hätten auszusteigen?
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 93<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Herr Wolf-Michael Ring (Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Schwerin):<br />
Zur Frage gleichgelagerter Verfahren muss ich aus richterlicher Sicht sagen: Das<br />
kann man ziemlich leicht erkennen. Was nicht gleichgelagert ist, ist das grundstücksbezogene.<br />
Diese Verfahren - das ist vorhin schon gesagt worden - enden häufig in<br />
Widerspruchsverfahren. Ich gehe davon aus, dass das kompetente Behörden sind,<br />
die, wenn sie einen Berechnungsfehler gemacht haben, den einräumen, und, wenn<br />
sie nur etwas nicht hinreichend erklärt haben, das im Widerspruchsverfahren hinreichend<br />
erklären können, dass der Beitragspflichtige erkennt, warum er so viel zahlen<br />
muss. Sie haben gelegentlich insofern nicht gleichgelagerte Verfahren, weil irgendwelche<br />
formellen Sachen gekommen sind, verfristeter Widerspruch oder so. Aber die<br />
kann man auf den ersten Blick problemlos aussortieren.<br />
Gleichgelagert ist für uns alles, das den Kernangriff auf die Satzung oder das noch<br />
höherrangige Recht, das KAG M-V, macht. Das sind auf wenige Punkte reduzierte<br />
Rechtsprobleme. Außerdem geht es um die Überprüfung der Kalkulation. Bei uns in<br />
Mecklenburg-Vorpommern wird die Kalkulation über die Beschlussfassung des Beitrages<br />
zum zentralen Thema der Wirksamkeit der Satzung. Da spielt die Musik. Da<br />
geht die ganze Flächenberechnung rein, die Nachprüfung, ob alles erfasst ist. Da<br />
gehen die ganzen Kosten rein. Das sind für uns gleichgelagerte Fälle.<br />
Man muss manchmal klar sehen, dass das Gericht Sachen hervorkehrt, die nicht<br />
vorgefunden worden sind. Ich habe ein Verfahren erlebt, in dem ein Anwalt in der<br />
mündlichen Verhandlung sechs Gewerbegebiete präsentiert hat, die nicht in der Kalkulation<br />
drin waren. Darauf kommen Sie auch als Gericht nicht, denn wir fliegen nicht<br />
mit dem Hubschrauber über das Verbandsgebiet, um uns die Liegenschaft anzugucken,<br />
bevor wir entscheiden. Man mag das als abstrusen Einzelfall abtun. Aber das<br />
erklärt natürlich, warum das in eine neue Runde gehen muss. Das erklärt auch, dass<br />
in der nächsten Runde, wenn es wieder zu Gericht geht, die Intensität der Überprüfung<br />
der Kalkulation wahnsinnig zunimmt. Bei dem Zweckverband war es so, dass<br />
wir in der ersten Runde einen Rechenfehler hatten, 0,25 als Faktor in der Satzung,<br />
0,4 in der Kalkulation. In der zweiten Runde waren es die sechs Gewerbegebiete.<br />
Und in der dritten Runde wurde dann alles hinterfragt. Das ist klar. Das können Sie<br />
vom Gericht aus auch nicht stoppen, weil Sie selbst neutral Recht finden müssen.<br />
Wenn eklatante Fehler an Stellen, wo man sie nicht vermutet hat, gefunden worden<br />
sind, muss man sich noch mehr Mühe geben, damit man sich hinterher als Gericht<br />
nicht den Vorwurf gefallen lassen muss: Ihr habt oberflächlich gearbeitet. Es kann<br />
sein, dass das in anderen Satzungen durchgegangen ist. Das will ich überhaupt nicht<br />
in Abrede stellen. Wir können aufs Blaue hinein nicht jeden Stein umkrempeln.<br />
Zu lange Verfahrenszeiten sind ja häufig schon zu Recht moniert worden. Diesen<br />
Aufwand muss man einfach sehen. Das ist das, was ich in der schriftlichen Stellungnahme<br />
auch gesagt habe: Der richterliche Aufwand bleibt für uns total gleich. Da<br />
muss man sich nichts vormachen. Durch Musterverfahren wird die Frage der richterlichen<br />
Überprüfungsdichte überhaupt nicht beeinflusst. Was bei uns hilft, ist die Situation<br />
auf den Geschäftsstellen. Dort hängen nicht Hunderte von Akten herum. Und
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 94<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
man konzentriert sich auf diese Verfahren. Das ist auch bei der Terminabstimmung<br />
einfacher.<br />
Aus richterlicher Sicht muss ich Folgendes sagen: Ich muss als Richter - aber ich<br />
mache das eigentlich nicht gern -, wenn man das Musterverfahren durchgeführt hat,<br />
die anderen anhängigen Verfahren entscheiden. Wir haben letztes Jahr 120 Klagen<br />
durchgezogen, die auf den gleichen Rechtsfragen beruhten. Das ist nicht schön,<br />
denn die Kläger fühlen sich in einem Massenbetrieb abgefertigt. Als Richter können<br />
Sie aber nicht sagen: Ich nehme mir für jedes Verfahren noch einmal vier Stunden<br />
und erkläre denen alles vom Anfang bis zum Ende. Sie wissen, dass die in der Bürgerinitiative<br />
vernetzt sind, dass sie die Ursprungsentscheidung kennen. Die können<br />
sie auch von uns zugeschickt bekommen. Dann geht das wie beim Amtsgericht im<br />
Viertelstundentakt. Das führt in der Außendarstellung dazu: Das brutale Verwaltungsgericht<br />
bügelt alle Einwände ab. Das mögen wir auch nicht gern. Deswegen<br />
habe ich eine Tendenz zu sagen: Musterverfahren sind gut für uns. Wir können uns<br />
konzentrieren. Wir können die wirklichen Argumentationen bündeln. Aber ob das gesetzlich<br />
vorgeschrieben ist oder auf Verfahrensabreden beruht, ist politischer Geschmack.<br />
Wir versuchen bei Gericht, wenn wir mehrere Verfahren anhängig haben, zu kanalisieren<br />
und ein Musterverfahren zu machen. Nur, wir haben keine Handhabe mehr.<br />
Wenn eine Seite sagt: „Das soll durchentschieden werden“, dann muss es durchentschieden<br />
werden. Da können wir nicht sagen: Wir warten ab, bis es nach zwei Jahren<br />
vom OVG wiederkommt.<br />
Man muss auch ehrlich zum Beziehungsgeflecht Normenkontrollklagen und schlichte<br />
Verwaltungsklagen sagen: Ich habe es mehrfach erlebt, dass wir uns auf eine Normenkontrollklage<br />
eingelassen haben in dem Sinn, dass wir alle Verfahren ausgesetzt<br />
haben. Und dann endet die mit der Einstellung des Verfahrens. Dann erklären Sie<br />
den 200 Klägern nach zwei Jahren, dass leider nichts dabei herausgekommen ist<br />
und wir umsonst gewartet haben. Das ist nicht schön. Ich nehme das gerne auf mich.<br />
Dafür bin ich Richter. Aber man muss sehen: Man geht da auch ein Risiko ein. Sie<br />
kennen die Hintergründe nicht. Ich habe hinterher erfahren: Das war ein Ex-<br />
Bürgermeister, der die Klage eingereicht hatte. Der hatte mit der Sache plötzlich<br />
nichts mehr zu tun. Dann hat er kein Interesse mehr am Normenkontrollverfahren<br />
gehabt und die Klage zurückgezogen. Da stecken Sie nicht drin. Das ist das Problem<br />
von Musterverfahren.<br />
Deshalb: Ein Musterverfahren ist mir als Richter definitiv zu wenig. Ich will immer drei<br />
bis vier haben, weil noch eine Klagerücknahme vor der Verhandlung kommen kann;<br />
das ist mir auch schon passiert. Man sollte auch eine Gewähr dafür haben, dass etwas<br />
dabei herauskommt.<br />
Frau Heike Nicolaus (Zweckverband Komplexsanierung Mittlerer Süden [KMS]):<br />
Ergänzend dazu: Ich hatte ja gesagt, wir haben 400 Verfahren vor dem Verwaltungsgericht<br />
in Potsdam und 27 Normenkontrollverfahren. Sämtliche Verfahren am Verwaltungsgericht<br />
Potsdam werden im Moment im Hinblick auf die anhängigen Normen-
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 95<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
kontrollverfahren ausgesetzt. Bei den Normenkontrollverfahren geht es, wie Herr<br />
Ring sagte, um den Beitragssatz, um den Flächenmaßstab. Der eine macht Geschossigkeit,<br />
der andere macht Trinkwasser, der andere macht Abwasser. Wir haben<br />
die ganze Palette abgedeckt.<br />
Zu den Musterverfahren: Bei uns im Verband läuft es eigenartigerweise so, dass sich<br />
Anwälte auf bestimmte Orte stürzen, dort ihre Einwohnerversammlung machen, die<br />
Leute darüber informieren, wie böse wir sind und was wir machen, insbesondere unter<br />
dem Gesichtspunkt des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Im Prinzip akquirieren<br />
sie Mandanten, vertreten sie, legen einzeln Widersprüche ein und erheben<br />
einzeln Klagen. Von diesen Rechtsanwälten ist der Gedanke Musterklage nicht aufgekommen.<br />
Man kann ja einzeln mehr verdienen.<br />
Ich sage immer gern, das Kommunalabgabengesetz ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßname<br />
für die Anwälte in <strong>Brandenburg</strong>. Sie haben zu tun. Bei uns im Verband -<br />
das weiß ich auch von meinen Amtskollegen aus den Nachbarverbänden - stellt es<br />
nicht das große Problem dar, dass uns von Rechtsanwälten mit der Forderung, ein<br />
Musterverfahren durchzuführen, die Türen eingerannt wird. Dem ist nicht so.<br />
Der Schwerpunkt liegt hier wohl beim MAWV. Dort gibt es die entsprechenden Vereinbarungen.<br />
Wie gesagt: 400 Klagen sind anhängig. Jetzt passiert das, was Herr<br />
Ring sagte. Ein Normenkontrollverfahren ist letztes Jahr einmal durch eine Satzungsänderung<br />
eingestellt worden. Es wurde sofort neu Klage erhoben. Die Klagen<br />
sind seit März letzten Jahres anhängig. Wann Sie verhandelt werden, wissen wir<br />
nicht. Da trommeln wir alle und können nur Kaffeesatzleserei machen. Unabhängigkeit<br />
der Gerichte - mehr kann ich dazu nicht sagen.<br />
Vorsitzender:<br />
Herr Dr. Scharfenberg, haben Sie noch eine Nachfrage? Dann haben Sie jetzt die<br />
Gelegenheit, sie zu stellen.<br />
Abgeordneter Dr. Scharfenberg (DIE LINKE):<br />
Welche Auswirkungen hätte es aus Ihrer Sicht, wenn man das Gesetz so anlegt,<br />
dass es wie in Mecklenburg-Vorpommern eine Ausstiegsmöglichkeit des Verbandes<br />
oder der Kläger im Verfahren gibt?<br />
Frau Heike Nicolaus (Zweckverband Komplexsanierung Mittlerer Süden [KMS]):<br />
Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich mir darüber noch gar keine Gedanken gemacht<br />
habe.<br />
Vorsitzender:<br />
Eine ehrliche Antwort zum Schluss. - Ich gucke in die Runde. Weiteren Fragebedarf<br />
hat keiner angemeldet. Dann sind wir am Ende unserer Anhörung und am Ende des<br />
Tagesordnungspunktes 3 angelangt.
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 96<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Ich darf den Anzuhörenden ganz ausdrücklich für ihre erhellenden Informationen,<br />
Ratschläge und Hinweise für unser weiteres Gesetzgebungsverfahren danken, wünsche<br />
Ihnen allen einen guten Nachhauseweg und einen schönen Feierabend.<br />
(Dieses Protokoll wurde durch Beschluss des Ausschusses gemäß § 83 Satz 3 GOLT in der 44. Sitzung<br />
am 15.08.2013 bestätigt.)
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> P-AI 5/<strong>43</strong>-2 S. 97<br />
Ausschuss für Inneres 23.05.2013<br />
<strong>43</strong>. Sitzung (öffentlich) Stenografischer Dienst/he-we<br />
Anlage 7:<br />
Anlagen<br />
Anlage 1: Stellungnahme von Prof. Dr. Wolff, Europa-Universität Viadrina Frankfurt<br />
(Oder) (zu TOP 2)<br />
Anlage 2: Stellungnahme von Prof. Dr. Martini, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften<br />
Speyer (zu TOP 2)<br />
Anlage 3: Stellungnahme von Herrn Zeutschel, Zeutschel & Schröder Rechtsanwälte<br />
(zu TOP 2)<br />
Anlage 4: Stellungnahme von Herrn Hornauf, Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki &<br />
Hornauf (zu TOP 2)<br />
Anlage 5: Stellungnahme von Prof. Dr. Herrmann, Dombert Rechtsanwälte (zu<br />
TOP 2)<br />
Anlage 6: Stellungnahme von Herrn Haferkorn, Wasserverband Strausberg Erkner/KOWAB<br />
<strong>Brandenburg</strong>-Ost (zu TOP 2)<br />
Stellungnahme von Herrn Ripplinger, Märkischer Abwasser- und Wasserzweckverband<br />
(zu TOP 2)<br />
Anlage 8: Stellungnahme von Herrn Ehrhardt, <strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er<br />
Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümervereine (zu TOP 2)<br />
Anlage 9: Stellungnahme von Herrn Pencereci, <strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong><br />
e.V. (zu TOP 2 und 3)<br />
Anlage 10: Stellungnahme des <strong>Land</strong>kreistages <strong>Brandenburg</strong> e.V. (zu TOP 2 und 3)<br />
Anlage 11: Liste der Anzuhörenden zu TOP 2<br />
Anlage 12: Fragenkatalog zu TOP 2<br />
Anlage 13: Formulierungshilfe des Ministeriums des Innern zur Regelung einer zeitlichen<br />
Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG (zu TOP 2)<br />
Anlage 14: Stellungnahme von Herrn Ehrhardt, <strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er<br />
Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümervereine (Zu TOP 3)<br />
Anlage 15: Stellungnahme von Herrn Dr. Schönfelder, Verband Berlin-<br />
<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen e.V. (Zu TOP 3)<br />
Anlage 16: Stellungnahme von Herrn Ohm, Verband Deutscher Grundstücksnutzer<br />
(VDNG) (Zu TOP 3)<br />
Anlage 17: Stellungnahme von Frau Nicolaus, Zweckverband Komplexsanierung<br />
Mittlerer Süden (KMS) (Zu TOP 3)<br />
Anlage 18: Stellungnahme von Herrn Ring, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht<br />
Schwerin (Zu TOP 3)<br />
Anlage 19: Stellungnahme von Herrn Dr. Beutin, Rechtsanwälte Schütte, Horstkotte<br />
& Partner (Zu TOP 3)<br />
Anlage 20: Schriftliche Stellungnahme von Herrn Dr. Ballaschk, Rechtsanwalt (Zu<br />
TOP 3)<br />
Anlage 21: Liste der Anzuhörenden zu TOP 3<br />
Anlage 22: Fragenkatalog zu TOP 3
EINGEGANGEN<br />
2 2. MAI 7013 1,S2(3<br />
Erledigt: (.«<br />
tzwe.<br />
_ipt)<br />
Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff<br />
Lehrstuhl für Öffentliches Recht,<br />
sondere Staatsrecht und Verfassungsgeschichte<br />
Europa-Universität Viadrina<br />
Große Scharrnstr. 59<br />
15230 Frankfurt (Oder)<br />
Anlage<br />
21. Mai 2013<br />
Schriftliche Stellungnahme zur Anhörung vor dem<br />
Ausschuss der Inneren des <strong><strong>Land</strong>tag</strong>s <strong>Brandenburg</strong> am 23.<br />
April 2013 zur Einführung einer Regelung einer zeitlichen<br />
Obergrenze zum Vorteilsausgleich im Bdg KAG<br />
Vorbemerkung:<br />
Der Einladung zur Anhörung vom 07. Mai 2013 lag eine Formulierungshilfe<br />
des Ministeriums des Inneren zur Regelung einer zeitlichen Obergrenze<br />
zum Vorteilsausgleich im KAG vom 25. April 2013 bei. Mit Email<br />
vom Freitag, den 17.Mai 2013 kam die Information, die absolute Verjährungsfrist<br />
solle auf 15 Jahre beschränkt werden. Mit Email vom gleichen<br />
Tag wurde ein Gesetzentwurf der <strong>Land</strong>esregierung mit Stand 08. Mai<br />
2013 versendet. Die Beantwortung des Fragenkatalogs wird daher nicht<br />
mehr auf die Formulierungshilfe, sondern auf den Gesetzentwurf der<br />
<strong>Land</strong>esregierung vom 08. Mai 201e bezogen.<br />
Angesichts des umfangreichen Fragenkatalogs beschränkt sich die<br />
schriftliche Stellungnahme auf die Beantwortung der Fragen.<br />
Die Antwort auf die Fragen<br />
Frage 1: Zentrale Aussagen der Entscheidung vom 05.03.2013:<br />
Die bisherigen Regelungen zum kommunalen Abgabengesetz sehen Verjährungsregelungen<br />
in bestimmten Konstellationen vor, Die bekannteste<br />
ist die Festsetzungsverjährung, die allerdings an die Entstehung der<br />
Abgabenschuld anknüpft. Nicht gesichert ist, dass die Gemeinden verpflichtet<br />
werden, die Entstehung der Abgabenschuld selbst zur Entstehung<br />
zu bringen. Diese Lücke im Vertrauensschutz hat das Bundesver-
2<br />
fassungsgericht durch den genannten Beschluss geschlossen. Den Gemeinden<br />
steht es nicht mehr frei, die Entstehung der Situation, ab der<br />
die Verjährungsfrist läuft, unendlich hinauszuzögern. Für das Bundesverfassungsgericht<br />
ist entscheidend der Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung<br />
des Vorteils. Das ist bei Entwässerungsanlagen der Anschluss<br />
an die Anlage.<br />
Die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist in mehrfacher<br />
Hinsicht bemerkenswert. Zunächst ist sie ein Beschluss und kein<br />
Urteil, was darauf beruht, dass das Bundesverfassungsgericht die Fragen<br />
offensichtlich für vollständig eindeutig hält. Weiter ist die Begründung<br />
ausgesprochen knapp und präzise. Auch dies deutet darauf hin, dass das<br />
Bundesverfassungsgericht in einer ungewöhnlichen Einmütigkeit die<br />
zugrunde liegenden Gedanken getroffen hat. Drittens erklärt das Bundesverfassungsgericht<br />
tragende Gedanken der gegenwärtigen Auslegung<br />
des kommunalen Abgabenrechts für verfassungswidrig. So ist in<br />
gängigen Kommentaren zum Abgabenrecht, beispielsweise zum Straßenrecht,<br />
zu lesen, dass die Abgabenschuld nicht etwa mit Herstellung<br />
des Vorteils, sondern erst mit Erlass der Abgabensatzung entsteht und<br />
erst ab dann die Festsetzungsverjährung zu laufen beginnt, ohne dass<br />
irgendeine zeitliche Grenze für den Erlass der Abgabensatzung eingeführt<br />
wird. Diese Sichtweisen sind nun rechtlich nicht mehr haltbar.<br />
Frage 2 — Teilfrage 1: Übertragbarkeit auf <strong>Brandenburg</strong><br />
Die Entscheidung bezieht sich auf eine bayerische Norm, die in dieser<br />
Form in <strong>Brandenburg</strong> nicht existiert. Der tragende Gedanke ist allerdings<br />
auf <strong>Brandenburg</strong> übertragbar. Auch in <strong>Brandenburg</strong> ist es möglich,<br />
das KAG so auszulegen, dass den Gemeinden unter bestimmten Situationen<br />
keine Frist für den Erlass einer Abgabensatzung gesetzt wird. Dies<br />
ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut von § 8 Abs. 7 S. 2 Bdg KAG.<br />
Der tragende Gedanke des Bundesverfassungsgerichts ist, dass eine solche<br />
grenzenlose zeitliche Verschiebung der Entstehung der Abgabenschuld,<br />
gemessen an der tatsächlichen Gewährung des Vorteils, nicht<br />
möglich ist.<br />
Es gibt ein Urteil des VGs Schwerin vom 11. April 2013, das die Übertragbarkeit<br />
der Gedanken auf das Recht für Mecklenburg-Vorpommern<br />
verneint. Das Urteil wird nach der persönlichen Einschätzung des Unterzeichners<br />
keinen Bestand haben. Die Gründe, auf die das Urteil die fehlende<br />
Übertragbarkeit stützt, greifen nicht den tragenden Gedanken der<br />
verfassungsgerichtlichen Entscheidung auf. Es stützt sich auf Unterschiede,<br />
die für die Entscheidung des BVerfG irrelevant sind. Das Urteil<br />
beruht gerade auf einer Form der Auslegung der Abgabennormen, die<br />
das Verfassungsgericht nicht möchte.<br />
2
3<br />
Frage 2: Teilfrage 2 - Auswirkungen auf <strong>Brandenburg</strong><br />
Das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> muss ausschließen, dass die Gemeinden und die<br />
kommunalen Abgabenverbände keine zeitliche Grenze für den Erlass<br />
der Abgabensatzung besitzen, bezogen auf den Zeitpunkt der Anschlussfähigkeit<br />
des Grundstücks.<br />
Frage 3: Betroffene Fallkonstellationen<br />
Von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind all die Fallkonstellationen<br />
betroffen, bei denen mit Zeitpunkt des Eintritts des Vorteils<br />
die formelle Festsetzungsverjährungsfrist nicht zu laufen beginnt.<br />
Frage 4: Änderungsbedarf<br />
Am Änderungsbedarf des KAG des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> bestehen keine<br />
ernsthaften Zweifel. Die Annahme, es läge keine Übertragbarkeit vor,<br />
wäre grob fahrlässig.<br />
Frage 5: Bedarf der gesetzesgeberischen Änderungen<br />
Es kann keine vernünftigen Zweifel geben, dass Maßnahmen des Gesetzgebers<br />
erforderlich sind.<br />
Im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> besteht die Besonderheit, dass mit Entscheidung<br />
des Oberverwaltungsgerichts <strong>Brandenburg</strong> im Jahr 2000 durch richterliche<br />
Rechtsfortbildung eine Situation eingetreten ist, die für die wichtigsten<br />
Fallgruppen dem Anliegen des Bundesverfassungsgerichts Genüge<br />
getan hat. Das OVG <strong>Brandenburg</strong> hat der Sache nach, in der Konstellation,<br />
in der ein unwirksamer Satzungserlass vorlag, eine Frist für den<br />
Erlass einer gültigen Satzung im Wege der Rechtsinterpretation dem § 8<br />
Abs. 7 KAG entnommen und die Frist für diesen Erlass der Satzung parallel<br />
zur Festsetzungsverjährungsfrist festgelegt. Diese rechtsstaatlich gebotene<br />
Begrenzung, die einer der Gestaltungsmöglichkeiten entspricht,<br />
die das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss nennt (Rn. 50). In<br />
Satz 3 wird dort als zweite Variante die Verpflichtung des Gesetzgebers<br />
genannt, die zur Heilung der der Rechtsmängel erlassene wirksame Satzung<br />
rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens<br />
der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zusetzen. Das Bundesverfassungsgericht<br />
führt dafür ausdrücklich die Rechtsprechung des OVG<br />
Münster an, an die das OVG <strong>Brandenburg</strong> seine Rechtsprechung angeknüpft<br />
hat. Im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> existierte daher eine verfassungsgemäße<br />
Lage, die durch den Gesetzgeber des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> durch<br />
die Änderung des § 8 Abs. 7 verfassungswidrig wurde. Es besteht daher<br />
3
4<br />
eine gesteigerte Pflicht des Gesetzgebers, die vom ihm herbeigeführte<br />
Verfassungswidrigkeit möglichst schnell wieder rückgängig zu machen.<br />
Frage 6: Gestaltungsmöglichkeiten<br />
Das Bundesverfassungsgericht nennt in seinem Beschluss in Randnummer<br />
50 drei unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten:<br />
Höchstverjährung/Koppelung der Beitragspflicht an die Vorteilslage/<br />
Pflicht zur Rückwirkung. Der Gesetzentwurf des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />
nimmt diese Gestaltungsmöglichkeiten auf. Eine nochmalige ausdrückliche<br />
ausführliche Wiederholung der Gestaltungsmöglichkeiten bringt<br />
keinen zusätzlichen Gewinn. Eine weitere nicht genannte Möglichkeit<br />
besteht darüber hinaus und zwar die Einführung einer Frist für den Erlass<br />
der Abgabensatzung aber Herstellung des Vorteils.<br />
Frage 7: Tatsächliche und rechtliche Folgen der in Betracht<br />
kommenden Änderungsmöglichkeiten der Regelung einer<br />
konkreten Obergrenze im Sinne einer Verjährungshöchstfrist:<br />
a) Verjährungshöchstfrist<br />
Die Verjährungshöchstfrist hat den Vorteil der höchsten Rechtsklarheit.<br />
Vom Zeitpunkt der Entstehung des Vorteils, das heißt, vom Zeitpunkt<br />
der Anschlussmöglichkeit an, fängt sie Verjährungshöchstfrist an zu laufen.<br />
Die tatsächlichen Folgen hängen von der Länge der Verjährungshöchstfrist<br />
ab.<br />
b) Entstehung der Beitragspflicht an die Verwirklichung der<br />
Vorteilslage<br />
Würde die Entstehung der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage<br />
anknüpfen, unabhängig davon, ob eine gültige Satzung erlassen<br />
wurde oder nicht, würde der Interessenlage der Betroffenen in realistischster<br />
Weise entgegengekommen werden. Für den Betroffenen ist<br />
der wesentliche Gesichtspunkt für seine Vertrauenslage der Zeitpunkt<br />
des Eintritts der Vorteilslage. Gerade im Beitragsrecht für Abwasseranlagen<br />
muss der Betroffene bei Gewährung des Vorteils nicht notwendig<br />
mit einem Herstellungsbeitrag rechnen, weil der Gemeinde/Kommunalverband<br />
die Kosten auch über Gebühren umlegen darf<br />
und der Betroffene in der Regel nicht ersehen kann, welche Variante die<br />
für ihn zuständige Gemeinde/Zweckverband verfolgt. Gerade hierin liegt<br />
ein erheblicher Unterschied zum Straßenbeitragsrecht. Dieser Unterschied<br />
kommt in der bisherigen Diskussion und Bewertung der Interessenslage<br />
von Abwasserbeseitigungsanlagen nicht vor. Dies ist schwer<br />
nachvollziehbar. Würde man die Beitragspflicht an die Verwirklichung<br />
4
5<br />
der Vorteilslage anknüpfen, wären sämtliche Probleme aus der Welt.<br />
Die Folgen wären für die Gemeinden und Zweckverbände allerdings von<br />
unglaublicher Reichweite, da der Sache nach vier Jahre nach Eintritt der<br />
Anschlussmöglichkeit sämtliche Beitragsmöglichkeiten verjährt wären.<br />
c) Rückwirkung auf den Zeitpunkt des ersten Satzungsversuchs<br />
Die Folgen dieser Variante sind in <strong>Brandenburg</strong> hinreichend bekannt. Sie<br />
entsprechen dem grundlegenden Urteil der OVG Brandenbug, das der<br />
Gesetzgeber durch die Änderungen des § 8 Abs. 7 S. 2 Bdg KAG ausdrücklich<br />
missbilligt hat. Diese Missbilligung bot dabei auf eine Wertung,<br />
die das Bundesverfassungsgericht in oben genanntem Beschluss<br />
ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt hat.<br />
d) Einführung einer Frist für den Erlass der Satzung<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht ausdrücklich eine weitere Variante<br />
genannt. Diese bestünde darin, für den Erlass der Satzung eine<br />
ausdrückliche Frist vorzulegen. Diese Fristsetzung hätte den Vorteil,<br />
dass die Gemeinden/Zweckverbände nicht in gleicher Weise wie bei<br />
einer Anknüpfung der Entstehung der Beitragspflicht eine Verwirklichung<br />
der Vorteilslage unter Zeitdruck geraten würden. Sie hätten vielmehr<br />
die Möglichkeit, zunächst für den Erlass der Satzung ab dem Zeitpunkt<br />
der Herstellung des Vorteils einen gewissen Zeitraum zur Verfügung<br />
zu haben und dann, nach Erlass der Satzung, würde die Verjährungsfrist<br />
zu laufen beginnen. Diese Regelung hätte den Vorteil, dass die<br />
die Mehrstufigkeit der Entstehung der Beitragspflicht gut abgebildet<br />
würde. Sie wäre daher die systematisch überzeugendste Regelung, allerdings<br />
wegen der Mehrstufigkeit für den Bürger nicht immer leicht zu<br />
überblicken.<br />
e) Kombination der Möglichkeit mit der Verlängerung der<br />
Festsetzungsfrist<br />
Eine Verlängerung der Festsetzungsfrist ist nur dann sachlich geboten,<br />
wenn die Frist für den Erlass der Abgabensatzung unmittelbar an die<br />
Festsetzungsfrist gekoppelt wird. Dies wäre nur bei der Variante der<br />
Entstehung der Beitragspflicht ab Verwirklichung der Vorteilslage der<br />
Fall. Für diese Variante wäre eine Verlängerung der Frist sinnvoll und<br />
denkbar. Für alle anderen Varianten hat das Bundesverfassungsgericht<br />
nicht ernsthaft eine Verlängerung ins Spiel bringen wollen.<br />
Frage 8: Unvereinbarkeit von § 8 Abs. S. 2 KAG<br />
Antwort: Ja, daran kann kein ernsthafter Zweifel bestehen.<br />
5
6<br />
Frage 9: Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung bei<br />
Altanschließern<br />
Sofern sich die Beitragserhebung auf § 8 Abs. 7 S. 2 KAG stützt, stützt sie<br />
sich auf eine verfassungswidrige Norm und ist insofern verfassungswidrig.<br />
Darüber hinaus hat der Unterzeichner in einem langen Gutachten die<br />
Ansicht vertreten, dass auch die Änderung des § 8 Abs. 7 S. 2 KAG verfassungswidrig<br />
ist, da sie die Heranziehung von Altanschließern auch<br />
dann zulässt, wenn zum Zeitpunkt der Änderung des § 8 Abs. 7 S. 2 im<br />
Jahre 2007 eine Heranziehung wegen der Auslegung des OVG <strong>Brandenburg</strong><br />
nicht mehr möglich gewesen wäre. Es entspricht ständiger Rechtsprechung<br />
der brandenburgischen Gerichte, die Heranziehung des geänderten<br />
§ 8 Abs. 7 S. 2 Bdg KAG nicht für verfassungswidrig zu halten.<br />
Die Begründung dafür stützt sich auf den Gedanken, dass wegen Fehlens<br />
einer wirksamen Satzung die Festsetzungsfrist noch nicht zu laufen<br />
beginnt. Es wird dabei übersehen, dass das OVG <strong>Brandenburg</strong> der Sache<br />
nach eine Frist für den Erlass der Satzung geschaffen hat. Diese Fristbindung<br />
des Satzungsgebers entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />
im Beschluss vom 05.März 2013. Diese Fristbindung<br />
für den Erlass der Abgabensatzung war in manchen Konstellationen<br />
schon abgelaufen. Diese Fristbindung wurde durch die Änderung des § 8<br />
Abs. 7 S. 2 Bdg KAG aufgehoben. Die dadurch zu beurteilende Situation<br />
der Rückwirkung wird nur deswegen in der Rechtsprechung der Gerichte<br />
des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> nicht angemessen gesehen, weil sie die<br />
Mehrstufigkeit der Entstehung der Abgabenschuld nicht richtig im Blick<br />
haben. Die maßgebliche Neuerung der Entscheidung des OVG <strong>Brandenburg</strong><br />
beruht darin, dass sie den Erlass der Satzung zeitlich eingrenzten,<br />
genau das ist der Gedanke, den das Bundesverfassungsgericht nun allgemeingültig<br />
durchgesetzt hat. Nach der Überzeugung des Unterzeichners<br />
sollte daher eine Änderung des kommunalen Abgabengesetzes<br />
auch mit einer Klarstellung verbunden werden, dass die Änderung des §<br />
8 Abs. 7 S. 2 KAG nicht für die Fallkonstellationen gilt, bei denen zum<br />
Zeitpunkt der Rechtsänderung eine Heranziehung ausgeschlossen war.<br />
Möglich wäre auch die Streichung des Wortes „gültig" in § 8 Abs. 7 S. 2<br />
KAG.<br />
Frage 10: Allgemeine Verjährungsregeln<br />
Dem Unterzeichner sind die allgemeinen ,Verjährungsregeln im <strong>Land</strong><br />
<strong>Brandenburg</strong> nicht ohne Recherche verfügbar. Für eine Recherche besteht<br />
angesichts des Zeithorizonts der Anhörung keine Möglichkeit.<br />
6
7<br />
Frage 11: Alternative Regelungsmöglichkeiten<br />
Über die bei der Beantwortung der Frage 7 genannten Varianten hinaus<br />
sind dem Unterzeichner keine weiteren Varianten bekannt.<br />
Frage 12 — Teilfrage 1: Ablaufhemmung bis 03. Oktober 2000<br />
Eine Ablaufhemmung für die Sondersituation der deutschen Einheit im<br />
Umfang von 10 Jahren ist isoliert gesehen für die Gemeinden und Gemeindeverbände<br />
ausgesprochen großzügig, andererseits für sich genommen,<br />
nach der nicht maßgeblichen persönlichen Einschätzung des<br />
Unterzeichners, noch nicht verfassungswidrig. Mit einer so großzügigen<br />
Ablaufhemmung beseitigt der Gesetzgeber dann aber faktisch die Nachteile,<br />
die im Osten durch die Sondersituation bestanden. Die Gemeinden<br />
und Zweckverbände müssen sich daher ab dem Zeitraum der Ablaufhemmung<br />
dann so behandeln lassen, wie alle anderen Gemeinden<br />
und Zweckverbände.<br />
Bei diesen wird von der Rechtsprechung des OVGs Münster der Sache<br />
nach eine Klärung der Abgabenpflicht für Abwasseranlagen innerhalb<br />
von vier Jahren verlangt. Man wird kaum die großzügige 10-jährige Ablaufhemmungsfrist<br />
dann noch einmal mit einer großzügigen Gesamtverjährungsfrist<br />
von über zehn Jahren kombinieren können.<br />
Frage 12 — Teilfrage 2: Welche praktischen Auswirkungen sind damit<br />
verbunden?<br />
Sofern die Ablaufhemmung von zehn Jahren auf die Gesamtverjährungszeit<br />
bezogen wird, und so wird sie vom Unterzeichner verstanden,<br />
sind die Auswirkungen so, dass der Vertrauensschutz für die Betroffenen<br />
zehn Jahre lang ausgesetzt wird. Keine Auswirkungen hätte die Ablaufhemmung<br />
für den Lauf der Festsetzungsverjährung.<br />
Frage 13: Zeitpunkt des Vorteileintritts<br />
Als Zeitpunkt des Vorteileintritts können zwei Anknüpfungspunkte gewählt<br />
werden, zum einen die konkreten Anschlüsse an die Altwasseranlage<br />
oder die Entstehung der Anschlussmöglichkeit. Von der Vertrauenslage<br />
her läge es nahe, an den tatsächlichen Anschluss und nicht schon<br />
an die Anschlussmöglichkeit anzuknüpfen. Da das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />
aber ausdrücklich an die Anschlussmöglichkeit anknüpft, kann auch die<br />
Verjährung nur an die Anschlussmöglichkeit anknüpfen und darf nicht<br />
erst den tatsächlichen Anschluss heranziehen. Es wäre nicht vertretbar,<br />
einerseits in § 8 Abs. 7 S. 2 Bdg KAG an die Möglichkeit der Anschließung<br />
anzuknüpfen, für die Frage des Laufes der Gesamtverjährung jedoch<br />
dann den tatsächlichen Anschluss.<br />
7
8<br />
Keinesfalls vertretbar wäre es, den Zeitpunkt auf die Entstehung der<br />
gesamten Abwasserbeseitigungsanlage zu beziehen. Entscheidend muss<br />
das konkrete Grundstück des Beitragspflichtigen sein.<br />
Die in der Gesetzesbegründung stark in den Vordergrund gestellte Fertigstellung<br />
einer Anlage erscheint dem Unterzeichner gerade bei der<br />
Abwasserentsorgung ausgesprochen vage zu sein. Rechtssicherheit wird<br />
hier nicht vermittelt. Aus wissenschaftlicher Sicht erscheint unklar, wie<br />
dem Argument, das Entwässerungssystem sei nie abgeschlossen, eigentlich<br />
begegnet werden soll.<br />
Frage 14: künftige Investitionskosten<br />
Die Beitragspflicht für die Herstellung einer Anlage knüpft an die Kosten<br />
für die Herstellung der Anlage an. Wenn der Beitrag zu einem Zeitpunkt<br />
eingezogen wird, in dem die Anlage noch nicht vollständig hergestellt<br />
wird, dürfte es verfassungsrechtlich zulässig sein, künftige Investitionskosten<br />
mit einzubeziehen. Andererseits muss die künftige Herstellung<br />
einen konkreten Bezug zum Vorteil des Grundstücks auch schon im<br />
Zeitpunkt der Abgabenerhebung haben. Dies stellt aber nur eine erste<br />
Einschätzung dar, da für die erforderliche Recherche keine Zeit bestand.<br />
Frage 15: Praktische Folgen für Verjährungsmodelle von 2013, 2020<br />
und 2015<br />
Gemäß Unterzeichner sind die konkreten Situationen der Vermieter,<br />
Mieter und Eigenheimbesitzer in Brandburg nicht bekannt. Die Herstellungsbeiträge<br />
sind nach Kenntnis des Unterzeichners nicht auf die Mieter<br />
abwälzbar, sodass die Vermieter auf den entsprechenden Kosten<br />
sitzen bleiben.<br />
Es ist wahrscheinlich, dass die Vermieter mit den Erschließungsbeitragskosten<br />
großteils nicht gerechnet haben. Es kann sein, dass Verkäufer<br />
von Grundstücken, die die bestehende Erschließung zugesichert haben,<br />
gegebenenfalls diese Kosten den Käufern gegenüber ersetzen müssen.<br />
Sofern die Verjährung eingetreten ist, wären die Betroffenen geschützt,<br />
bis zum Eintritt der Verjährung würde sich an der Rechtslage im Vergleich<br />
zu der geltenden Praxis, die vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />
galt, nicht ändern.<br />
Ein Eintritt einer Verjährung für 2020 oder für 2030 dürfte verfassungsrechtlich<br />
illusionär sein; mit der Wahl eines solch weit in der Zukunft<br />
liegenden Zeitraums wurde das BVerfG sich nicht ernst genommen fühlen.<br />
8
9<br />
Frage 16: Konkrete Situationen verschiedener Modelle - Teilfrage a:<br />
10 + 20-Modell<br />
Die Festsetzung einer regulären Höchstfrist von 20 Jahren und einer<br />
Hemmung von bis zum 03.10.2000 würde dazu führen, dass die Gemeinden/Zweckverbände<br />
bis zum 03.10.2020 gültige Satzungen erlassen<br />
könnten, auch wenn Sie schon ein eine ungültige Abgabensatzung in<br />
den frühen 90er-Jahren erlassen hat. Für die Betroffenen hieße dies,<br />
dass es auch für Altanschlüsse beispielsweise aus dem Jahr 1992<br />
Rechtssicherheit für die Frage, ob eine Abgabenpflicht und falls ja in<br />
welcher Höhe auf sie zukommt, gegebenenfalls bis zum Jahre 2020 hinausgezögert<br />
wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem oben genannten<br />
Beschluss ausdrücklich davon gesprochen, dass eine Hinauszögerung<br />
von mehreren Jahrzehnten nicht möglich wäre. In diesem Fall<br />
läge aber eine Hinauszögerung von Jahrzehnten vor. Es ist nicht sehr<br />
wahrscheinlich, dass eine solche Umsetzung der tragenden Gründe der<br />
Entscheidung die Billigung des Bundesverfassungsgerichts finden würde.<br />
Frage 16: Teilfrage b: Festlegung einer kürzeren regulären<br />
Verjährungsfrist, Hemmung bis 03.10.2000<br />
Das Bundesverfassungsgericht lässt dem Gesetzgeber einen großen Gestaltungsspielraum,<br />
wie den, der eine erforderliche Rechtssicherheit<br />
herbeiführt. Kein ganz so großer Spielraum besteht dagegen bei der<br />
Frage, wie lange dieser Zeitraum wohl sein kann. Dies ergibt sich aus<br />
den verschiedenen Aspekten, die das Gericht nennt; gemeint sind folgende<br />
Gesichtspunkte:<br />
Zunächst der Vertrauensschutz des Betroffenen, irgendwann<br />
einmal wissen zu dürfen, ob und in welcher Höhe der Beitrag auf<br />
ihn zukommt.<br />
Weiter der Umstand, dass mit weitergehendem Zurückliegen des<br />
Anschlusses die Legitimation solcher Beiträge verpflichtet. Auch<br />
wenn der Vorteil des Anschlusses länger dauere, bezöge sich der<br />
Beitrag jedoch auf die einmalige Abgeltung der Einräumung des<br />
Vorteils und könne sich daher nicht auf den Umstand berufen,<br />
dass die Abgeltung dauerhaft fortgelte.<br />
Die Klarheit müsse in zumutbarem Rahmen bestehen (Rn. 45).<br />
Kein zumutbarer Rahmen läge vor, wenn die Verjährung erst<br />
Jahrzehnte nach Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage<br />
beginnen würde (Rn. 47).<br />
Für den Fall, dass man die Beitragspflicht an eine Verwirklichung<br />
der Vorteilslage anknüpft und somit gewissermaßen eine<br />
vierjährige absolute Verjährungsfrist eintreten würde, hält das<br />
Gericht eine Verlängerung der Festsetzungsfrist für möglich.<br />
9
10<br />
Weiter lässt das Gericht dem Gesetzgeber knapp ein Jahr Zeit für<br />
die gesetzliche Umsetzung der Vorgaben.<br />
Aus diesen Summen von Einzelpunkten ergibt sich, dass relevant die<br />
Frage der Zumutbarkeit für den Betroffenen ist. Er muss in zumutbarer<br />
Weise wissen können, ob und in welcher Höhe Beiträge auf ihn zukommen.<br />
Eine Hinauszögerung von Jahrzehnten ist unzulässig. Ein Zeitraum,<br />
der der Sache nach auf eine Verlängerung der Festsetzungsfrist von vier<br />
Jahren beruht, ist dagegen zulässig. Man wird daher sagen können, dass<br />
das Verfassungsgericht von einer Verjährungsfrist, die ungefähr bei acht<br />
Jahren liegt, für unproblematisch halten dürfte.<br />
Die Begründung des Gesetzentwurfs knüpft an die bestehende Möglichkeit<br />
der dreißigjährigen Verjährungsfrist an. Dies ist kaum nachvollziehbar.<br />
Die Rechtsordnung kennt die dreißigjährige Verjährungsfrist in Situationen,<br />
in denen klar ist, dass eine Schuld besteht. Wenn ein Rechtstitel<br />
der einen Personen gegen eine andere vorliegt, ist sowohl das Ob<br />
der Schuld als auch die Höhe der Schuld hinreichend klar. Der Betroffene<br />
muss daher mit seiner Zahlungspflicht rechnen und diese einkalkulieren.<br />
Er kann von dieser ganz klaren Zahlungsfrist erst befreit werden,<br />
wenn dreißig Jahre lang nichts geschieht. In den Situationen, die hier<br />
vorliegen, ist die Situation völlig anders. Die Betroffenen, die ihre<br />
Grundstücke an die Altwasseranlage anschließen, müssen nicht sicher<br />
mit einer Abgabenpflicht für die Herstellung der Anlage rechnen. Sie<br />
können von einer Umsetzung im Rahmen der Gebühren ausgehen. Weiter<br />
ist die Höhe vollständig ungewiss, da sie kein Einfluss in die Kalkulation<br />
haben. Die dreißigjährige Verjährung, die für konkrete Schuld und<br />
sichere Schuldtitel bestehen, auf die Situation des Anschlusses von Altwasseranlagen<br />
zu übertragen, hieße einseitig die Gemeinden und die<br />
Zweckverbände zu privilegieren.<br />
Weiter würde bei einer vierjähren Forstsetzungsverjährungsfrist, einer<br />
vierjährigen Frist ab Fertigstellung der Anlage und einer fünfzehnjährigen<br />
nach Anschluss bei fehlender Satzung eine gesetzesintern nicht<br />
nachvollziehbare Ungleichgewichtung hergestellt werden.<br />
Frage 17: Konkrete Herausforderungen für ein Erlöschen der<br />
Beitragsforderung der nächsten 20 Monate<br />
Die Frage geht offenbar an kommunale Verantwortungsträger und ist<br />
nicht an den Unterzeichner gerichtet.<br />
10
11<br />
Frage 18: Rechtsempfinden der Menschen vor Ort, wenn eine<br />
Gruppe von Beitragsschuldnern und privilegiert würde<br />
Der Eintritt einer Verjährung ist ein allgemeiner Rechtsgedanke, von<br />
dem jeder profitieren kann, und ist im allgemeinen Rechtsempfinden<br />
tief verwurzelt. Profitieren würden die Altanschließer, die im Gegensatz<br />
zu vielen anderen Neuanschließern schon sehr lange Abwassergebühren<br />
bezahlen und auf diese Weise schon lange zur Konsolidierung der kommunalen<br />
Einrichtung beitragen. Es ist daher nicht sehr wahrscheinlich,<br />
dass das Gefühl der Bevorzugung aufkommen wird.<br />
Frage 19: Entzug der Pflicht<br />
Die Gruppe der betroffenen Alteigentümer leben seit Jahrzehnten mit<br />
der Ungewissheit des Eintritts der Beitragspflicht. Das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
hat eine vom OVG <strong>Brandenburg</strong> hergestellte verfassungsrechtliche<br />
Rechtslage verfassungswidrig umgewandelt. Die Zurücksetzung der Betroffenen<br />
auf die verfassungsrechtliche Rechtslage kann nicht als Entzug<br />
von einer Beitragspflicht verstanden werden.<br />
Frage 20: Für den Fall des Löschens, von noch nicht festgesetzten<br />
Beitragsansprüchen - Teilfrage a) Übernahme der Einnahmeausfälle<br />
Die Nichteintreibbarkeit von Beiträgen trifft denjenigen, der zum Einzug<br />
des Beitrags berechtigt ist. Das ist die Körperschaft, die die Einrichtung<br />
errichtet hat.<br />
Frage 20: Teilfrage b) Finanzierungswürdigkeit der Umlagen der<br />
Mitgliedsgemeinden<br />
Diese Frage lässt sich im vorgegebenen Zeitrahmen nicht beantworten.<br />
Frage 20: Teilfrage c) kommunalpolitischer Druck der Nichteintreibung<br />
Es ist gut vorstellbar, dass auf die Kommunalverantwortlichen Druck<br />
ausgeübt wird, die ausstehenden Beiträge nicht mehr einzutreiben,<br />
sondern verjähren zu lassen. Dies liegt daran, weil angesichts der langen<br />
Gebührenbeitragszahlung der betroffenen Alteigentümer das Gefühl,<br />
sie hätten, für die Abwasseranlagen schon genug geleistet, weit verbreitet<br />
ist.<br />
Frage 20: Teilfrage d:<br />
Die Frage richtet sich an kommunale Auftragsträger.<br />
11
12<br />
Frage 20: Teilfrage e: Persönliche Haftung<br />
Nach allgemeinem Beamtenrecht ist eine persönliche Haftung der Beamten<br />
nicht ausgeschlossen. Verantwortlich für den Erlass von Abgabensatzungen<br />
ist aber nicht der Bürgermeister.<br />
Frage 20: Teilfrage f:<br />
Strafrechtliche Folgen sind dem Unterzeichner nicht bekannt.<br />
Frage 20: Teilfrage g:<br />
Sofern eine Beitragserhebung rechtlich möglich ist, würde ich die Beitragserhebung<br />
empfehlen. In meinen Augen ist aber schon die Änderung<br />
von § 8 Abs. 7 S. 2 KAG eine unzulässige Rückwirkung gewesen. Die<br />
Durchsetzung dieser unzulässigen Rückwirkung würde ich nicht empfehlen.<br />
Frage 21:<br />
Für den Fall der Verjährung Ende 2020<br />
Teilfrage a: Befürchtete Einnahmeausfälle:<br />
Die Frage richtet sich an Amtsträger.<br />
Teilfrage b:<br />
Siehe Antwort auf Frage 20, Teilfrage b.<br />
Teilfrage c:<br />
Ein unmittelbarer Konnex zwischen Beitragssatzungsverabschiedung<br />
und Verjährungsfrist dürfte nicht bestehen, andererseits führt jede klare<br />
Festlegung einer zeitlichen Grenze zu einer erhöhten Aktivität all der<br />
Handlungen, die zu verjähren drohen.<br />
Teilfrage d: Haftungsfrage,<br />
siehe oben.<br />
Teilfrage e:<br />
Siehe oben.<br />
12
13<br />
Frage 22: Ursachenforschung<br />
Die fehlende Festsetzung aller Beitragsansprüche beruht auf einer ganzen<br />
Reihe unterschiedlichster Gesichtspunkte, der tragende Umstand<br />
dürfte jedoch darauf beruhen, dass ein separater Erschließungsbeitrag<br />
für die Herstellung einer Anlage für die Altanschließer nicht unmittelbar<br />
vom Rechtsgefühl aller für billig erachtet wird. Keine Verantwortung für<br />
die fehlende Festsetzung tragen die Betroffenen. Der öffentlichen Hand<br />
als solche, insbesondere den verantwortlichen Körperschaften<br />
<strong>Land</strong>/Gemeinde/Zweckverbände trifft die Verantwortung für die fehlende<br />
Festsetzung der Beitragsansprüche.<br />
Frage 23: Möglichkeit der Aussetzung<br />
Die gegenwärtige Grundlage für die Beitragspflicht in § 8 Abs. 7 S. 2 KAG<br />
ist verfassungswidrig. Die Gemeinden sind nicht berechtigt, bei einer so<br />
offensichtlichen Verfassungswidrigkeit die Norm anzuwenden. Sie müssen<br />
über die <strong>Land</strong>esregierung eine abstrakte Normkontrolle dieser<br />
Norm anregen.<br />
Eine Umstellung auf ein reines Gebührenmodell erscheint angesichts<br />
der enormen Probleme, die das Beitragsmodell bei Wasser- und Abwasseranschlüssen<br />
hervorruft, ausgesprochen naheliegend. Die Ungerechtigkeiten,<br />
die von den Betroffenen für die Beiträge empfunden werden,<br />
beruhen gerade darauf, dass nicht eindeutig mit einem Beitrag gerechnet<br />
werden muss und auch die Kalkulation dieses Beitrags alles andere<br />
als transparent ist.<br />
Welche Probleme mit einem Gebührenmodell verbunden sind, kann der<br />
Unterzeichner nicht abschließend beurteilen.<br />
Frage 25: Anteil der verabschiedeten Beiträge seit 1990?<br />
Keine Antwort.<br />
Frage 26: Verhältnis von Beitrag und Gebühr<br />
Diese Frage lässt sich ohne Recherche einschlägiger Entscheidungen<br />
nicht beantworten.<br />
Frage 27:<br />
Eine Anweisung auf gesetzlicher Grundlage ist möglich.<br />
Frage 28: Rückzahlung mit Umstellung<br />
Eine nachträgliche Umstellung der Gebühren aufgrund einer veränderten<br />
Gebührenkalkulation dürfte rechtlich kaum durchsetzbar sein.<br />
13
14<br />
21.05.2013<br />
Prof. Heinrich Amadeus Wolff<br />
{Der Text wurde per Mali übermittelt und ist nicht unterschrieben)<br />
14
EINGEGANGEN<br />
2 3. MAI 2[1131M<br />
Ueci . LSL hu.a<br />
Erledigt:<br />
Anlage<br />
■ 2 • Deutsche Universität für<br />
' 1 Verwaltungswissenschaften<br />
n um@ Speyer<br />
▪ ■<br />
Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer<br />
Postfach 14 09 • D-67324 Speyer<br />
Univ.-Prof. Dr. Mario Martini<br />
An den <strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausschuss für Inneres<br />
Die Vorsitzende<br />
Lehrstuhl für<br />
Verwaltungswissenschaft,<br />
Staatsrecht Verwaltungsrecht<br />
und Europarecht<br />
Am Havelblick 8<br />
14473 Potsdam<br />
22. Mai 2013<br />
Stellungnahme für den Ausschuss für Inneres des <strong><strong>Land</strong>tag</strong>es<br />
<strong>Brandenburg</strong> zur Formulierungshilfe des Ministeriums des Inneren<br />
»Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen«<br />
Sehr geehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte Frau Stark,<br />
sehr geehrte Damen und Herren,<br />
für das Vertrauen, das Sie mir mit der Einladung zur Anhörung entgegengebracht<br />
haben, danke ich Ihnen sehr. Ich habe mich bei meiner Beantwortung<br />
auf die Antworten zu den Fragen 1-12, insbesondere die staatsrechtlichen<br />
und kommunalabgabenrechtlichen Grundprobleme, konzentriert. Ich<br />
hoffe, damit zur Klärung der Fragen beizutragen, sehe der Anhörung mit<br />
Spannung entgegen.<br />
Postfach 14 09 • 67324 Speyer<br />
Freiherr-vom-Stein-Str. 2 • 67346 Speyer<br />
Telefon: +49(0)6232-654-403<br />
Sekretariat +4910)6232-654-338<br />
Telefax: +49(0)6232-654-305<br />
E-Mail: martini@uni-speyer.de<br />
Internet: www.uni-speyer.de
Prof. Dr. Martini Stellungnahme 2eitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
— Überblick —<br />
1. Welche zentralen Aussagen trifft das BVerfG in seinem Beschluss vom 5.3.2013 (Az. BM<br />
2457/08)? 2<br />
a) Aussagen des Bundesverfassungsgerichts 2<br />
b) Vergleich zu ähnlichen Konstellationen und Aussagen anderer Gerichte 2<br />
aa) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 3<br />
bb) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts 3<br />
cc) Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte 4<br />
dd) Rechtsprechung des des Gerichtshofs zu Einheinlischenfällen 4<br />
2. a) Ist die Entscheidung vom 5.3.2013 auf <strong>Brandenburg</strong> übertragbar? 5<br />
2. b) Welche Auswirkungen hat der Beschluss des BVerfG auf <strong>Brandenburg</strong>? 9<br />
aa) Unmittelbare Auswirkungen 9<br />
bb) Mittelbare Auswirkungen 10<br />
3. Welche verschiedenen Fallkonstellationen in Bezug auf das brandenburgische<br />
Kommunalabgabengesetz sind von dem Beschluss des BVerfG betroffen? 10<br />
4. Ergibt sich daraus aus Ihrer Sicht ein Änderungsbedarf beim KAG des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>?11<br />
5. Sind im brandenburgischen KAG gesetzgeberische Änderungen notwendig, damit die<br />
Vorschriften des brandenburgischen KAG im Einklang mit höherrangigem Recht und der<br />
Rechtsprechung des BVerfG stehen? 11<br />
6. Wie können diese Änderungen ausgestaltet werden? 12<br />
7. Welche rechtlichen und tatsächlichen Folgen ziehen die in Betracht kommenden<br />
Änderungsmöglichkeiten nach sich? 12<br />
8. Ist die <strong>Brandenburg</strong>er Regelung des § 8 Abs. 7 S. 2 KAG unvereinbar mit dem<br />
verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit? 13<br />
9. Ist die Beitragserhebung bei Altanschließern verfassungswidrig? 13<br />
10. Welche allgemeinen Verjährungsregelungen gibt es im Beitrags- und Abgabenrecht des<br />
<strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>? Wie berechnen sich diese Fristen? 14<br />
a) Verjährungsregelungen im brandenburgischen Abgabenrecht 14<br />
b) <strong>Brandenburg</strong>ische Verjährungsregelungen außerhalb des Abgabenrechts: 15<br />
c) Verjährungsregelungen im allgemeinen Öffentlichen Recht 16<br />
11. Welche anderen Vorschläge für eine solche zeitliche Begrenzung wären aus Ihrer Sicht<br />
nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> ebenso<br />
denkbar? 17<br />
a) Rechtstechnische Gestaltungsmöglichkeiten 17<br />
b) Fristlänge 18<br />
aa) Verhältnismäßigkeit —Abwägung zwischen den berechtigten Interessen der Beitragsschuldner und der<br />
Aufgabenträger bzw. des Staates 19<br />
bb) Gleichheitssatz — Systemgerechtigkeit 24<br />
1
Prof. Dr. Martini - Stellu nahrne „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
12. Halten Sie den Vorschlag einer so genannten Ablaufhemmung von 10 Jahren bis zum<br />
3.10.2000 für angemessen, welche anderen Zeiträume sind aus Ihrer Sicht ebenso<br />
angemessen? Welche praktischen Auswirkungen sind damit verbunden? 28<br />
1. Welche zentralen Aussagen trifft das BVerfG in seinem<br />
5.3.2013 (Az. Eite 2457/08)?<br />
a) Aussagen des Bundesverfassungsgerichts<br />
Der Gesetzgeber darf Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung<br />
des Vorteils festsetzen. Er muss einen Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit<br />
an der Beitragserhebung und dem Interesse des Beitragsschuldners an Rechtssicherheit<br />
herstellen. Der Bürger hat die berechtigte Erwartung, geraume Zeit nach entstehender<br />
Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen. Diese<br />
Erwartung darf der Gesetzgeber nicht vollkommen unberücksichtigt lassen. Vielmehr muss<br />
ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Weise Klarheit darüber gewinnen können, ob und in<br />
welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.' Denn das Gebot<br />
der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit schützt den Einzelnen davor, dass lange<br />
zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung<br />
neuer Lasten herangezogen werden können.<br />
Auf den Gedanken der Rechtssicherheit hat das BVerfG auch in früheren Entscheidungen rekurriert,<br />
die sich mit Verjährungsfristen auseinandersetzen, und der Verfassung die normative<br />
Grundentscheidung entnommen, »dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit<br />
geklärt werden«, so etwa in seiner Entscheidung zum Institut der unvordenklichen Verjährung.<br />
2 Die konkreten Schlussfolgerungen, die das BVerfG in seinem Beschluss vom 5.3.2013<br />
für die Erhebung von Vorteilsausgleichsabgaben gezogen hat, haben die Rechtspraxis und<br />
Rechtswissenschaft jedoch überrascht.<br />
b) Vergleich zu ähnlichen Konstellationen und Aussagen anderer Gerichte<br />
Auch in der sonstigen Rechtsprechung fanden sich vereinzelt ähnliche Aussagen durchaus<br />
bereits früher: So darf nach Einschätzung des Niedersächsischen OVG im Jahr 1970 eine Gemeinde<br />
»jedenfalls nach Ablauf von 10 Jahren nicht mehr zum Ersatz der Kosten beanspruchen,<br />
die sie für den Anschluss eines Grundstücks an die Kanalisation aufgewendet hat«. 3<br />
Das Schweigen des KAG könne »nicht dahin ausgelegt werden, dass es für solche Ansprüche<br />
bei der Kraft Gewohnheitsrecht oder in entsprechender Anwendung des § 195 BGB geltenden<br />
Verjährungsfrist von 30 Jahren sein Bewenden haben solle«. 4 Ähnlich formulierte Guckelberger<br />
im Jahr 2004 allgemein, (wenn auch ohne Bezug auf die Fälle von Kommunalab-<br />
1 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn, 45 a. E.<br />
2 BVerfG, Beschl. v. 15.4.2009 —1 I3vR 3478/08 — Rn. 37.<br />
3 OVG Niedersachsen, KStZ 1970, 12 (13).<br />
4 OVG Niedersachsen, KStZ 1970, 12 (13).<br />
2
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme °Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
gaben) allerdings vorsichtiger: »Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte der Einzelne im Übrigen<br />
unmittelbar dem Gesetz entnehmen können, innerhalb welcher Frist sein Anspruch<br />
verjährt. 5 Als ein verfassungsrechtliches Gebot ist eine Höchstfrist in der deutschen Rechtsprechung<br />
des EuGH (unten aa), des BVerwG und des BSG (unten bb), der (sonstigen) Oberverwaltungsgerichte<br />
(unten cc) und des BGH (unten dd) sowie der Literatur in dieser Klarheit<br />
aber nur vereinzelt formuliert worden.<br />
aa) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs<br />
Anders demgegenüber in der Rechtsprechung des EuGH: Er hat »dem Grundsatz der Rechtssicherheit«<br />
entnommen, »dass die Lage des Wirtschaftsteilnehmers im Hinblick auf seine<br />
Rechte und Pflichten gegenüber der nationalen Behörde nicht unbegrenzt offen bleiben<br />
kann«. 6 Vielmehr müsse die Verjährungsfrist im Voraus festgelegt sein, um ihren Zweck zu<br />
erfüllen, die Rechtssicherheit zu gewährleisten.' Jede »analoge« Anwendung einer Verjährungsfrist<br />
müsse für den Betroffenen hinreichend vorhersehbar sein, d. h auf eine hinreichend<br />
vorhersehbare Rechtsprechungspraxis zurückgehen. 9 Die Länge in diesem Sinne vorhersehbarer<br />
Verjährungsfristen misst der EuGH am Prinzip der Verhältnismäßigkeit: Die Frist<br />
darf nicht offensichtlich über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. 9<br />
bb) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts<br />
Im Bereich des Allgemeinen Verwaltungsrechts und des Sozialrechts findet sich eine ausgefeilte<br />
Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte (v. a. am Beispiel der Rücknahme von<br />
Verwaltungsakten) zur Möglichkeit einer Verjährung und einer Geltendmachung von Forderungen:<br />
Sowohl das BVerwG als auch das BSG haben für die ihrer Rechtsprechung unterworfenen<br />
Teilbereiche der Rechtsordnung einen allgemeinen Rechtsgrundsatz hergeleitet:<br />
»Nach Ablauf von 30 Jahren darf eine einmal getroffene Regelung keinesfalls mehr infrage<br />
gestellt werden.«'° Dass sich das BVerfG in seiner Entscheidung vom 5.3.2013 mit diesen<br />
Aussagen nicht auseinandergesetzt und die sonst in der Rechtsprechung übliche (auch für<br />
die zu entscheidende Fallgestaltung denkbare) analoge Anwendung von Verjährungsvorschriften<br />
anderer Rechtsmaterien in seiner Entscheidung vom 5.3.2013 nicht ventiliert hat,<br />
überrascht. Es hätte nahe gelegen, dass das BVerfG klärt, ob sich eine solche allgemeine Verjährungsfrist,<br />
wie sie das Gericht fordert, dem geltenden Recht im Wege der analogen Anwendung<br />
bereits entnehmen lässt. Stattdessen geht es lediglich auf das Instrument der Verwirkung<br />
ein, 11 das anderen Voraussetzungen folgt. Entbehrlich ist eine solche Auseinandersetzung<br />
nur in zwei Fällen: (1.) wenn das BVerfG eine 30-jährige Verjährungsfrist nicht mehr<br />
für angemessen hält oder (2.) eine ungeschriebene, der Rechtsprechung zu entnehmende<br />
5 Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 2004, S. 366.<br />
6 EuGH, Urt. v. 21.1.2010, C-472/0 8, SIg. 2010,1-623, Rn. 16.<br />
7 EuGH, Urt. v. 15.7.1970, Rs. 41/69, Sig. 1970, S. 661, Rn. 19; Urt. v. 11.7.2002, Rs. C-62/00, SIg. 2002,1-6325, Rn. 39; Urt. v.<br />
5.5.2011, C-201/10 et al., 2011,1-3545, Rn. 32.<br />
8 EuGH, Urt. v. 24.3.2009, C-445/0 6, 51g. 2009,1-2119, Rn. 34.<br />
9 EuGH (Vierte Kammer), Urt. v. 5.5.2011, SIg. 2011,1, 3545, Rn. 37.<br />
1° Hervorhebungen cl. Verf.; BSGE 72, 139 (145 f.) = NVwZ-RR 1994, 628; dazu kritisch Erfmeyer, VR 1999, 48; BVerwG,<br />
NVwZ 2011, 949 (950).<br />
11 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013 Rn. 48.<br />
3
Prof. Dr. Martini - S ellungnahme ‚Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
Frist nicht als ausreichend, insbesondere nicht hinreichend konsistent und für den Bürger<br />
verlässlich, erachtet, um dem Gebot der Rechtssicherheit zu genügen.<br />
cc) Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte<br />
Die neuere Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte sprach Beitragsschuldnern bisher<br />
für den Bereich des Abgabenrechts das schutzwürdige Vertrauen darauf ab, von einer Abgabenerhebung<br />
verschont zu bleiben. Eine konkrete Höchstfrist, bis zu der die Ansprüche geltend<br />
gemacht werden müssen, haben die Gerichte - mit Ausnahme des OVG Niedersachsen'<br />
- nicht gefordert. Nach dem Inkrafttreten des KAG habe jeder, der einen Anschlussvorteil<br />
erhalten habe, damit rechnen müssen, dass die Gemeinde eine Beitragssatzung erlässt<br />
und für die in Rede stehenden Maßnahmen Beiträge erheben werde. 13 Die Oberverwaltungsgerichte<br />
verstehen Beiträge als Ausgleich für gewährte Sondervorteile, bei denen es allenfalls<br />
unter ganz ungewöhnlichen Voraussetzungen denkbar und rechtfertigbar ist, dass<br />
eine ihrem Wesen nach beitragspflichtige Leistung gleichwohl beitragsfrei gewährt wird. 14<br />
dd) Rechtsprechung des BGH zu Einheimischenmodellen<br />
In der Rechtsprechung des BGH hat es lange vor der Entscheidung des BVerfG bereits eine<br />
Vielzahl von Judikaten zur Begrenzung von Bindungsfristen gegeben. Insbesondere die<br />
Rechtsprechung zu den Bindungsfristen bei Einheimischenmodellen weist insoweit eine interessante<br />
Parallelität zu der hier relevanten Sachverhaltsgestaltung auf: Gemeinden haben<br />
Grund und Boden an Familien in der Vergangenheit vielfach zu verbilligten Konditionen abgegeben,<br />
sich dafür aber im Interesse der subventionsgerechten Verwendung nicht selten<br />
ein Wiederkaufsrecht für die Dauer von 90 Jahren ausbedungen.' Dieses sollte die Gemeinde<br />
ausüben dürfen, wenn der Käufer oder sein Rechtsnachfolger das Wohnhaus seit mehr<br />
als drei Jahren nicht mehr bewohnte oder über das Vermögen des Eigentümers das Konkursverfahren<br />
eröffnet wird. Der BGH judizierte inzwischen wiederholt, dass das Wiederkaufsrecht<br />
mehr als 30 Jahre nach seiner Begründung nicht mehr ausgeübt werden dürfe. 16<br />
Er orientiert sich dabei insbesondere an dem Leitbild des § 462 S. 1 BGB und stützt diese Beschränkung auf die<br />
Überlegung, dass das Wiederkaufsrecht nur soweit verhältnismäßig ist, wie es zur Sicherung des Subventionszwecks<br />
angemessen erscheint. Das Wiederkaufsrecht soll nach seinem Verständnis insbesondere verhindern,<br />
dass Familien den vergünstigten Erwerb als Grundlage einer Bodenspekulation auf Kosten der Allgemeinheit<br />
missbrauchen, statt — entsprechend dem eigentlichen Förderzweck — bestimmten Familien den Zugang zu verbilligten<br />
Grund und Boden als Lebensgrundlage zu eröffnen. Nach einem Zeitraum von 30 Jahren, nachdem die<br />
Familie das Grundstück für die Dauer einer Generation, also für etwa 30 Jahre, selbst genutzt hatte, sah der<br />
BGH das mit dem verbilligten Verkauf verbundene Ziel erreicht und damit eine längere Bindung als unangemes-<br />
12 Oben Fn. 3.<br />
13 Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 11.8.2004, 2 M 154/03; BayVGH, Beschl. v. 18.8.2004, 6 Cs 04.1320, juris; OVG<br />
Thüringen, Beschl. v. 29.9.1999 4 Z E 0 844/98, LKV 2000, 258 (259).<br />
14 In diesem Sinne auch BVerwG, NVwZ 1983, 612 (612).<br />
15 BGH, Urt. v. 21.7.2006, ZfIR 2007, 5. 32 (mit zust. Anm. v. Grziwotz); ähnlich die Vorinstanz, die gar von einer Nichtigkeit<br />
nach § 138 BGB aufgrund eines Verstoßes gegen das Anstandsgefühl aller gerecht und billig Denkenden ausging, OLG<br />
Hamm, Urt. v. 19.9.2005, — 5 Z 57/05 —, juris; a.A. noch BGH, WM 1984, S. 1252 ff.<br />
16 Vgl. BGH, NJW-RR 2006, 1452 (1453), vgl. etwa auch BGH, NJW-RR 2006, 298 ff. mit weiteren Nachweisen. Anders demgegenüber<br />
für voraussetzungslos gewährte Wiederkaufsrechte (BGH, NJW 2011, 515 ff.; a. A. Kämmerer/Martini, BauR<br />
2007, 1337 ff. sowie für schuldrechtliche Verfügungsverbote nach § 137 5. 2 BGB (BGH, NJW 2012, 3162 ff.).<br />
4
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleic bei Anschlussbeiträgen"<br />
sen an. 17 Da es heutigem Lebenszuschnitt entspricht, dass Häuser kaum über einen Zeitraum von 30 Jahren von<br />
ein und derselben Familie genutzt werden, liegt ein Bindungszeitraum von 30 Jahren in der Tat regelmäßig jenseits<br />
der Grenzen dessen, was als Subventionsrückbindung angemessen ist. Ein Verkauf des Grundstücks nach<br />
einer solchen Zeitspanne stellt dann keinesfalls eine dem Subventionszweck zuwiderlaufende Bodenspekulation<br />
auf Kosten der Allgemeinheit dar.<br />
Der Ausübung von Wiederkaufsrechten und der zeitlich verzögerten Erhebung von Beiträgen ist gemeinsam,<br />
dass die öffentliche Hand in beiden Fällen den Bürger lange Zeit, nachdem dieser einen Vorteil empfangen hat,<br />
auf eine Zahlung in Anspruch nimmt. In beiden Fällen ist dem Interesse des Bürgers, irgendwann Rechtssicherheit<br />
über die Inanspruchnahme zu erlangen, durch die Festsetzung einer Schutzfrist Rechnung zu tragen. Beide<br />
Konstellationen weisen gleichwohl Unterschiede auf: In dem Fall von Wiederkaufsrechten steht die Gewährung<br />
von Subventionen im Raum, die durch ein Wiederkaufsrecht abgesichert werden, welches grundsätzlich (in den<br />
Bindungen des öffentlichen Rechts, insbesondere der allgemeinen Bindung des Staates an Verhältnismäßigkeitsprinzipien)<br />
der Vertragsfreiheit unterworfen ist. Die Erhebung von Beiträgen ist demgegenüber keinerlei<br />
Dispositionsfreiheit unterworfen. Den durch die Beitragsschuld entstandenen Vorteil hat der Beitragsschuldner<br />
auch nicht auf eigene Veranlassung erzielt. Dieser wird ihm vielmehr aufgrund gesetzlicher Entscheidung zuteil.<br />
Während demjenigen, der im Rahmen eines Einheimischenmodells ein Grundstück zu vergünstigten Konditionen<br />
unter Vereinbarung eines Wiederkaufsrechts erhält, entgegengehalten werden kann, dass er sich im Rahmen<br />
eines Vertrages aus freien Stücken auf die Vereinbarung eingelassen hat, gilt das für den Beitragsschuldner<br />
nicht. Das rechtfertigt es, ihm erhöhten Vertrauensschutz zuzusprechen.<br />
2. a) Ist die Entscheidung gram 5.3.2013 auf <strong>Brandenburg</strong> übertragbar?<br />
Die Entscheidung des BVerfG vom 5.3.2013 ist im Wesentlichen übertragbar. Wie in Bayern<br />
(und Thüringen 18) setzt in <strong>Brandenburg</strong> die Entstehung der Beitragspflicht und damit der<br />
Lauf der Festsetzungsfrist für Anschlussbeiträge im Sinne des § 8 Abs. 7 S. 2 i.V.m. § 8 Abs. 4<br />
BbgKAG (in seiner seit dem 2.2.2004 geltenden Fassung) eine rechtswirksame Satzung voraus.<br />
19 In Bayern wie in <strong>Brandenburg</strong> sind die Beitragsschuldner nicht hinreichend sicher davor<br />
geschützt, auch noch nach sehr langer Zeit zur Zahlung eines Anschlussbeitrages herangezogen<br />
zu werden.<br />
Das gegenwärtige brandenburgische Kommunalabgabenrecht lässt sich auch nicht dahin verfassungskonform<br />
auslegen, dass die vierjährige Festsetzungsfrist bereits zu dem Zeitpunkt zu<br />
laufen beginnt, zu dem die erste Satzung in Kraft getreten ist. Die Änderung des § 8 Abs. 7<br />
S. 2 BbgKAG im Jahr 2004 hatte bewusst ein anderes Ziel. Sie sollte sicherstellen, dass die<br />
17 BGH, NJW-R 2006, 1452 {1453); vgl. auch BVerwG, NJW-RR 2006, 298.<br />
18 § 15 Abs, 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. cc zweiter Spiegelstrich thüringisches KAG. Die Vorschrift erklärt die Festsetzungsfrist<br />
des § 170 Abs. 1 AO mit der Maßgabe für anwendbar, »dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im<br />
Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit dem Ablauf des Kalenderjahres<br />
beginnt, in dem die Berechnung möglich ist und dass im Falle der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst<br />
mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung beschlossen worden ist«. Die Regelung entspricht<br />
damit der bayerischen Vorschrift.<br />
19 Anders im Wortlaut § 7 Abs. 7 5. 1 thüringisches KAG (vgl. aber Fn. 18) sowie § 6 Abs. 6 S. 3 SachsAnhKAG. Die Vorschriften<br />
knüpfen an das Inkrafttreten der Satzung, nicht an deren Wirksamkeit an. § 7 Abs, 7 5. 2 thürKAG lässt auch eine Abweichung<br />
von dem Satzungserfordernis zu. Die Beitragspflicht entsteht nach § 7 Abs. 7 5. 2 (abweichend von 5, 1) 1. für unbebaute<br />
Grundstücke, sobald und soweit das Grundstück bebaut und tatsächlich angeschlossen wird, und 2. für bebaute<br />
Grundstücke in Höhe der Differenz, die sich aus tatsächlicher und zulässiger Bebauung ergibt, erst, soweit und sobald die<br />
tatsächliche Bebauung erweitert wird. In Mecklenburg-Vorpommern entsteht die sachliche Beitragspflicht frühestens mit<br />
dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung {§ 9 Abs. 3 KAG Mecklenburg-Vorpommern) dazu VG Schwerin, Urt. v.<br />
14.4.2013 —4 A 1052/12, S. 7; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 8,4.1999 —1 M 41/99.<br />
5
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme ,Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
Frist für die Festsetzungsverjährung erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem eine<br />
wirksame Beitragssatzung vorliegt.<br />
Bis zum 31.1.2004 kam es für die Festlegung des Zeitpunkts, ab dem die sachliche Beitragspflicht<br />
entsteht, (jedenfalls in der durch die brandenburgischen Gerichte gewählten Lesart<br />
der Vorschrift) nicht auf die Gültigkeit der ersten erlassenen Satzung, sondern ausschließlich<br />
auf den formalen Akt des Satzungserlasses an. 20 Entscheidend war, wann der Satzungsgeber<br />
die Beitragssatzung in Kraft setzen wollte. An diesem Zeitpunkt setzte dann auch der Lauf<br />
der Festsetzungsfrist an, wenn sich die erste Satzung später als unwirksam erwies, aber<br />
durch eine andere (rückwirkend in Kraft tretende) wirksame Satzung ersetzt wurde.<br />
Der Gesetzgeber sah in der Ergänzung des Gesetzes um das Wort »rechtswirksam« zwar lediglich<br />
eine »Klarstellung« einer ohnehin schon bestehenden Gesetzeslage, die künftige Beitragsausfälle<br />
vermeiden sollte. 21 Dass die gesetzliche Vorschrift die Rechtslage umgestaltete,<br />
insbesondere die Festsetzungsfrist bis dahin nicht notwendig erst an den Zeitpunkt anknüpfte,<br />
zu dem eine wirksame Satzung vorlag, ändert das jedoch nicht. 22 Denn die Vorschrift war<br />
anders zu verstehen.<br />
Ein berechtigtes Vertrauen der Altanschließer auf die bis zum 31.1.2004 bestehende Rechtslage<br />
hat insbesondere das OVG <strong>Brandenburg</strong> 23 den Altanschließern nicht zugestanden. Vielmehr<br />
sah es eine Bescheidung der Altanlieger so lange als rechtlich zulässig an, wie in dem<br />
betroffenen Verbandsgebiet bis zum 1.2.2004 keine wirksame Beitragssatzung vorhanden<br />
war. Das Gericht erkennt kein berechtigtes Vertrauen auf die Aufrechterhaltung der Rechtslage.<br />
Kritikwürdig ist daran, dass es für den Lauf der Festsetzungsverjährung auf ein Vertrauen<br />
der Betroffenen nicht ankommt. Die Festsetzungsverjährung knüpft an objektive Rechtstatsachen<br />
an.' Insofern ist ihr Lauf auch unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt das OVG<br />
<strong>Brandenburg</strong> über die Auslegung des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG verbindlich entschieden und<br />
damit die bis dahin bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt hat.<br />
Im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG liest sich die verjährungsrechtliche Rechtslage für Anschlussbeiträge<br />
in <strong>Brandenburg</strong> neu. § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG ist in seiner bis zum 31.1.2004 geltenden Fassung<br />
namentlich einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Eine solche verfassungskonforme Auslegung ist<br />
dann möglich und geboten, wenn eine gesetzliche Bestimmung im Rahmen ihres Wortlauts unterschiedliche<br />
Auslegungen ermöglicht, aber nicht alle mögliche Auslegungen mit dem GG vereinbar sind: »Lässt eine Norm<br />
mehrere Auslegungen zu, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis<br />
führen, so ist diejenige vorzuziehen, die mit dem GG in Einklang steht.« 25<br />
Die Norm des § 8 Abs. 7 S. 2 a. F. BbgKAG formulierte nicht eindeutig, ob für das Entstehen der Anschlussbeitragspflicht<br />
auf die rechtswirksame oder auf die erste verkündete (wenn auch unwirksamen) Satzung abzustellen<br />
ist. Die Vorschrift ist aber nur in einer Auslegung, die für den Lauf der Festsetzungsfrist nicht auf die Wirksamkeit<br />
der Satzung, sondern auf das Inkrafttreten der (ersten) Satzung abstellt, verfassungskonform. Denn sie<br />
20 OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2001, 132 ff.; erneut bestätigt durch OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2008, 369 (371).<br />
21 LT-Drucks. 3/6324, 5. 31.<br />
22 In diesem Sinne auch zu Recht OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2008, 369 (371).<br />
23 OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2008, 369 ff.<br />
24 In diesem Sinne zu Recht Steiner, LKV 2009, 254 (256).<br />
25 BVerfGE 32, 373 (383 f.); 51, 304 (323); 64, 229 (242). Grenzen setzen der verfassungskonformen Auslegung allerdings<br />
der Wortlaut der Norm, ihre Entstehungsgeschichte und der Gesetzeszweck.<br />
6
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme °Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
trägt dann dem in der Verfassung angelegten Gedanken der Rechtssicherheit, namentlich Belastungsklarheit<br />
und -vorhersehbarkeit, Rechnung: Sie zwingt den Aufgabenträger, innerhalb eines bestimmten Zeitraums von<br />
seiner Festsetzungsfrist Gebrauch zu machen. Er kann sie nicht zeitlich unbegrenzt geltend machen. Die Norm<br />
verhindert insbesondere, dass der Zeitpunkt der Geltendmachung einer Beitragsschuld zeitlich sehr stark von<br />
dem Zeitpunkt des Vorteilseintritts abweicht und das Risiko der Rechtsunsicherheit, das sich mit der Frage der<br />
Wirksamkeit von Satzungen verknüpft, einseitig in die Risikosphäre des Beitragsschuldners fällt." Das BVerfG<br />
hat die Möglichkeit einer rückwirkenden Inkraftsetzung auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der<br />
ursprünglichen nichtigen Satzung in seinem Beschluss vom 5.3.2013 ausdrücklich als eine der verfassungskonformen<br />
Gestaltungsmöglichkeiten bezeichnet.' Die Auslegung, wie sie das brandenburgische OVG dem § 8<br />
Abs. 7 S. 2 a. F. BbgKAG seit dem Jahr 2001 unterlegt hat," erweist sich damit als gebotene verfassungskonforme<br />
Auslegung, die der Gesetzgeber mit der Änderung der Vorschrift zum 1.2.2004 in einen verfassungswidrigen<br />
Zustand verwandelt hat.<br />
Nach dem Verständnis der meisten Norminterpreten hat der Gesetzgeber die (verfassungs-<br />
widrige) Norm des § 8 Abs. 7 S. 2 n.F. aber auch auf diejenigen Sachverhalte erstrecken wollen,<br />
für die eine Festsetzungsverjährung auf der Grundlage des § 8 Abs. 7 S. 2 a. F. BbgKAG<br />
bereits eingetreten wäre, wenn eine erste wirksame Satzung vorgelegen hätte. 29 Solange in<br />
einer Gemeinde oder einem Zweckverband bis zum 31.1.2004 noch keine rechtswirksame<br />
Beitragssatzung vorlag, geht davon keine echte, sondern eine unechte Rückwirkung bzw.<br />
eine tatbestandliche Rückanknüpfung aus. Denn eine Beitragspflicht kann ausweislich des<br />
§ 2 Abs. 1 BbgKAG erst mit einer (wirksamen) Satzung entstehen. 3° Solange das noch nicht<br />
der Fall ist, fehlt es an einem vollständig abgeschlossenen Sachverhalt, der den Lauf einer<br />
Frist in Gang setzen kann. Es ist insoweit zwischen den Entstehungsvoraussetzungen und<br />
dem Entstehungszeitpunkt der sachlichen Beitragspflicht zu unterscheiden: 31 Die Forderung<br />
war noch nicht entstanden. Wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene<br />
Sachverhalte für die Zukunft einwirkt, ist dies grundsätzlich zulässig.' Denn der Bürger kann<br />
nicht damit rechnen und darauf vertrauen, dass das bestehende Recht auch in Zukunft erhalten<br />
bleibt. Auch eine unechte Rückwirkung ist aber nicht grenzenlos verfassungsrechtlich zulässig.<br />
Die Grenzen der Zulässigkeit vertrauensschutzbeschränkender Regelungen ist auch<br />
bei unechten Rückwirkungen insbesondere dann überschritten, wenn die vom Gesetzgeber<br />
angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder<br />
erforderlich ist oder die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des<br />
Gesetzgebers überwiegen. Gleiches muss grundsätzlich dann gelten, wenn die unechte einer<br />
echten Rückwirkung im Ergebnis gleichkommt oder einen verfassungsgemäßen in einen verfassungswidrigen<br />
Zustand verwandelt. 33 Für den von einer Beitragspflicht betroffenen Bürger<br />
macht es keinen Unterschied, ob eine Beitragspflicht erst mit dem Inkraftsetzen einer<br />
wirksamen Satzung erstmals entsteht und im gleichen Moment verjährt ist, weil die Festsetzungsfrist<br />
rückwirkend zu laufen beginnt, oder die erste erlassene Satzung bereits wirksam<br />
war, die Festsetzungsfrist aber inzwischen verstrichen ist. Für ihn und seinen Vertrauens-<br />
26<br />
In diese Richtung auch bereits OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2001 132 (134).<br />
27<br />
Voraussetzung ist dabei, dass der Lauf der Festsetzungsfrist mit dem Datum des Inkrafttretens der ersten Satzung beginnt.<br />
BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 50.<br />
28 OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2001, 132 ff.<br />
29 Vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, NVwZ-RR 2000, 535 (537); Steiner, LKV 2009, 254 ff.; Hentschke, LKV 2009, 248 ff.<br />
3° In diesem Sinne zu Recht VfGBbg, Beschl. v. 21.9.2012, — 46/11 —; Hentschke, LKV 2004, 447 (449); derselbe LKV 2009,<br />
248 (249); a. A. Steiner, LKV 2009, 256 ff.<br />
31 Becker/Schiebold, LKV 2001, 94 (94).<br />
32 BVerfGE 101 5. 239 ff., 263; 103 S. 392 ff., 403; st. Rspr.<br />
BVerfGE 101, 5. 239 (263).<br />
7
Prof. Dr. Martini Stellungnahme ‚Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
schutz kommt es vielmehr darauf an, ob er auf der Grundlage der geltenden Rechtslage noch<br />
mit einer Heranziehung zu einem Beitrag rechnen musste. Sofern das geltende Recht die<br />
rückwirkende Inkraftsetzung einer Satzung für einen Zeitpunkt vorschreibt, der länger zurückliegt<br />
als die Festsetzungsfrist von vier Jahren, ist das nicht der Fall.<br />
Bezieht man in § 8 Abs. 7 S. 2 n.F. BbgKAG — wie von den meisten Norminterpreten vorgeschlagen<br />
— auch diejenigen Sachverhalte mit ein, bei denen auf der Grundlage der alten Fassung<br />
Festsetzungsverjährung eingetreten wäre, 34 gerät das in Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen<br />
Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, den § 8 Abs. 7 S. 2 a. F. —<br />
jedenfalls in verfassungskonformer Auslegung — sicherstellen wollte. Denn ein bis dahin verfassungsgemäßer<br />
(weil dem Gebot der Rechtssicherheit genügender) Rechtszustand wandelte<br />
sich dann (durch das nicht rückwirkende Ingangsetzen der Festsetzungsfrist zum ersten<br />
Satzungsversuch) in einen verfassungswidrigen Zustand um, der den Bürger einer verfassungswidrigen<br />
Rechtsunsicherheit aussetzt. Eine solche Interpretation ist einer Norm bei<br />
mehreren denkbaren Auslegungsvarianten grundsätzlich nicht zu unterlegen. § 8 Abs. 7 S. 2<br />
n.F. BbgKAG gibt in seinem Wortlaut nicht zweifelsfrei zu erkennen, dass er auch solche Fälle<br />
erfassen möchte, in denen eine Geltendmachung der Forderung auf der Grundlage der Vorläuferfassung<br />
(in dem Moment, in dem eine erste wirksame Satzung in Kraft tritt) nicht mehr<br />
möglich gewesen wäre. Die Vorschrift ist interpretationsoffen und insoweit einer verfassungskonformen<br />
Auslegung grundsätzlich zugänglich. Gute Argumente sprechen dafür, dass<br />
sie diejenigen Konstellationen nicht erfassen darf, in denen auf der Grundlage der alten Regelung<br />
eine Durchsetzung der Forderung nicht mehr möglich wäre. Zulässig ist eine solche<br />
verfassungskonforme Auslegung aber nur, soweit die Interpretation dadurch nicht »in Widerspruch<br />
zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers« tritt. 35 Dafür gibt es<br />
durchaus Anhaltspunkte. Darauf kommt es aber im Ergebnis nicht an.<br />
Denn dem Gesetzgeber ist es verfassungsrechtlich nicht vollständig versagt, in nicht vollständig<br />
abgeschlossene Sachverhalte (wie die vorliegenden) durch (heutiges) Gesetz einzugreifen.<br />
Der Gedanke der Belastungsgleichheit und -vorhersehbarkeit verleiht dem Bürger<br />
keinen absoluten Schutz des Inhalts, dass dem Gesetzgeber jede spätere Änderung verwehrt<br />
ist. Dieser muss für eine Änderung aber besondere Gründe vorbringen können, die dem verfassungsrechtlichen<br />
Gewicht der für den Vertrauensschutz geltenden Gründe angemessen<br />
Rechnung tragen. Streiten sowohl der Gesichtspunkt der Belastungsgleichheit und<br />
-vorhersehbarkeit als auch des Vertrauensschutzes (in Gestalt des Rückwirkungsverbots) im<br />
Verbund dafür, dass eine bestimmte Personengruppe nicht mehr zur Zahlung von Beiträgen<br />
herangezogen werden kann, ergibt sich daraus ein verfassungsrechtliches Schwellengewicht,<br />
das nicht leicht überwindbar ist. In denjenigen Fällen, in denen auf der Grundlage des § 8<br />
Abs. 7 S. 2 a. F. BbgKAG eine Abgabenerhebung nicht mehr möglich wäre, lassen sich für eine<br />
heutige Heranziehung nicht ohne Weiteres hinreichende verfassungsrechtliche Gründe für<br />
34 In Sachverhaltskonstellationen, für die diese Festsetzungsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war, weil eine<br />
wirksame Satzung bestanden hatte, können Abgaben nicht mehr erhoben werden. In diesen Fällen liegt ein Fall<br />
der echten Rückwirkung vor, der regelmäßig verfassungsrechtlich unzulässig ist.<br />
35 BVerfGE 112, 164 (183). Ist eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung möglich, dann kommt es<br />
nicht darauf an, ob dem subjektiven Willen des Gesetzgebers die weitergehende, mit dem Grundgesetz nicht zu<br />
vereinbarende Auslegung eher entsprochen hätte. BVerfG, NJW 1982, 1375 (1378).<br />
8
Prof. Dr. Martini Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen<br />
eine Heranziehung der Beitragszahler finden. Der Gesetzgeber wagt sich in eine verfassungsrechtlich<br />
problematische Zone vor, wenn er die Heranziehung dieser Gruppe von Beitragspflichtigen<br />
zulässt. Der verfassungsrechtlich sichere Weg bestünde darin, die Erhebung von<br />
Anschlussbeiträgen für diejenige Gruppe auszuschließen, für die auf der Grundlage der Geltung<br />
des § 8 Abs. 7 S. 2 a. F. BbgKAG die Festsetzungsfrist deshalb abgelaufen wäre, weil seit<br />
dem ersten Satzungsversuch bis zum 21.2.2004 bereits mehr als vier Jahre verstrichen waren.<br />
2. b) Welche Auswirkungen hat der Beschluss des BVerfG auf <strong>Brandenburg</strong>?<br />
aa j Unmittelbare Auswirkungen<br />
Unmittelbar hat die Entscheidung nur für das <strong>Land</strong> Bayern Bedeutung. Es bindet zwar alle<br />
Hoheitsträger — auch die Verfassungsorgane der Länder sowie alle Gerichte und Behörden<br />
(§ 31 Abs. 1 BVerfGG). Die Unvereinbarkeitserklärung mit der Verfassung, die das BVerfG auf<br />
die Verfassungsbeschwerde hin ausgesprochen hat, hat nach § 31 Abs. 2 S. 2 BVerfGG auch<br />
Gesetzeskraft. Die Bindungswirkung der Entscheidung reicht aber nur so weit, wie das<br />
BVerfG in der Sache entschieden hat.<br />
Die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG erstreckt sich auf die Entscheidungsformel<br />
und die tragenden Entscheidungsgründe, d. h. diejenigen Begründungsteile, die nicht hinweggedacht<br />
werden können, ohne dass die Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts seine<br />
Grundlage verliert. Entsprechend beschränkt sich die Gesetzeskraft der Entscheidung nach<br />
§ 31 Abs. 2 S. 2 BVerfGG auf die verfahrensgegenständlichen, in der Entscheidungsformel<br />
genannten Normen (in der Auslegung, die sich aus den Entscheidungsgründen ergibt)<br />
also Rechtssätze anderer Normgeber, die der streitbefange-—nichnen, für nichtig erklärten Norm inhaltlich gleichen. 36 Anderenfalls würde dem BVerfG ein Ini-<br />
aber auf Parallelnormen,<br />
tiativrecht für die allgemeine Normprüfung zugestanden. Die Normgeber paralleler Normen<br />
trifft also nicht schon aufgrund des § 31 Abs. 1 oder Abs. 2 BVerfGG eine Normaufhebungspflicht.<br />
Erst recht sind parallele Normen anderer <strong>Land</strong>esgesetzgeber nicht automatisch unwirksam.<br />
Gegenstand der Entscheidung des BVerfG vom 5.3.2013 war die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1<br />
Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG. Diese Norm dürfen die Gerichte<br />
und Verwaltungsbehörden nicht mehr anwenden. Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren,<br />
die die fragliche Norm des bayerischen <strong>Land</strong>esrechts betreffen, bleiben bis<br />
zur gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 1.4.2014 ausgesetzt bzw. sind auszusetzen.<br />
37 Zur brandenburgischen Gesetzeslage hat das BVerfG jedoch nicht judiziert, insbesondere<br />
nicht die Unvereinbarkeit der Normen des BbgKAG mit der Verfassung ausgesprochen.<br />
Ergebnis: Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erfasst nicht automatisch alle Normen<br />
des deutschen Rechts, die an dem gleichen Fehler leiden.<br />
36 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, 39. Erglfg. 2013, Rn. 162,<br />
164.<br />
BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 51.<br />
9
Prof. Dr. Ma<br />
Stellungnahme 2eitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
Als rechtsfehlerhaft erweist es sich daher auch, die dem bayerischen Gesetzgeber bis zum<br />
1.4.2014 gesetzte Frist — mit dem VG Cottbus 38 - auf die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> zu übertragen<br />
und an diesem Zeitpunkt unmittelbare Folgerungen für die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong><br />
zu knüpfen.<br />
bb) Mittelbare Auswirkungen<br />
Mittelbar hat der Beschluss aber auch für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> Bedeutung. Das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
sieht für solche Anschlussbeitragsfälle, in denen keine wirksame Satzung in Kraft<br />
getreten ist, — ebenso wie das <strong>Land</strong> Bayern — keine Höchstfrist für die Geltendmachung von<br />
Anschlussbeiträgen für leitungsgebundene Einrichtungen und Anlagen vor, die der Versorgung<br />
oder der Abwasserbeseitigung dienen. Die Beitragspflicht für diese Abgaben entsteht<br />
erst, sobald eine rechtswirksame Satzung in Kraft getreten ist (§ 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG). Wurde<br />
keine Satzung in Kraft gesetzt oder erweist sich diese als unwirksam, beginnen die Fristen<br />
zur Geltendmachung von Abgaben, auf die das Kommunalabgabengesetz in § 12 Abs. 1 Nr. 4<br />
Buchst. b verweist, nicht zu laufen. Diese Gesetzeslage erweist sich als verfassungswidrig.<br />
Bescheide, die auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhen, sind rechtswidrig,<br />
können aber in Bestandskraft erwachsen. Die Verfassungswidrigkeit festzustellen, steht nicht<br />
jedem Gericht zu. Vielmehr ist das Recht, die Unvereinbarkeit einer Norm mit dem GG festzustellen,<br />
beim BVerfG monopolisiert. Der Richter hat das Verfahren auszusetzen und die<br />
Entscheidung des BVerfG vorzulegen, soweit es für seine Entscheidung auf die Verfassungsmäßigkeit<br />
der Norm ankommt und er die Norm für verfassungswidrig hält (Art. 100 Abs. 1<br />
S. 1 GG).<br />
3. Welche verschiedenen Fallkonstellationen in Bezug auf das brandenburgische<br />
Kommunalabgabengesetz sind von dem Beschluss des BVerfG betroffen?<br />
Betroffen sind diejenigen Konstellationen, in denen die Festsetzungsfrist nicht zu laufen begonnen<br />
hat, weil<br />
• über einen sehr langen Zeitraum überhaupt keine Satzung in Kraft getreten ist,<br />
• die in Kraft getretene Satzung sich als rechtsunwirksam erweist<br />
(§ 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG),<br />
seit Eintritt der Vorteilslage aber erhebliche Zeit verstrichen ist.<br />
38 In diese Richtung aber wohl VG Cottbus, Beschl. v. 8.5.2013 — VG 6 L 328/12, S. 18 A.U.<br />
10
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme “Zettliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeit agen"<br />
4. Ergibt sich daraus aus Ihrer Sicht ein Änderungsbedarf beim KAG des <strong>Land</strong>es<br />
<strong>Brandenburg</strong>?<br />
5. Sind im brandenburgischen KAG gesetzgeberische Änderungen notwendig,<br />
damit die Vorschriften des brandenburgischen .KAG im Einklang mit höherrangigem<br />
Recht und der Rechtsprechung des BVerfG stehen?<br />
Ja, gegenwärtig genügt das brandenburgische KAG, wenn man die Rechtsprechung des<br />
BVerfG zugrunde legt, nicht den Anforderungen an eine zeitliche Befristung, die das Rechtsstaatsprinzip<br />
in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienende Gebot der Belastungsklarheit<br />
und -vorhersehbarkeit verlangt. Der Gesetzgeber muss eine Regelung vorsehen, die<br />
der Erhebung der Abgabe (jedenfalls im Ergebnis) eine zeitlich bestimmte Grenze setzt.'<br />
Für den Fall unwirksamer oder fehlender Satzungen sieht das brandenburgische Gesetz gegenwärtig<br />
grundsätzlich keine solche Höchstfrist vor, die sich dem Gesetz mit hinreichender<br />
Klarheit entnehmen lässt.<br />
In der Ausgestaltung der abgabenrechtlichen Fristenregelungen ergibt sich bisher eine<br />
Schieflage: Nach Inkrafttreten einer wirksamen Satzung ist die Festsetzungsfrist auf vier Jahre<br />
begrenzt. Besteht keine wirksame Satzung, endet die Möglichkeit zur Geltendmachung<br />
von Ansprüchen nicht.<br />
Davon geht zum einen eine bedenkliche Anreizstruktur aus: Erlassen die Aufgabenträger eine<br />
fehlerhafte Satzung, steht ihnen ein deutlich längerer Zeitraum zur Geltendmachung ihrer<br />
Ansprüche aus Beiträgen zur Verfügung, als wenn sie eine wirksame Satzung erlassen. Es ist<br />
in der Öffentlichkeit der Verdacht entstanden, dass dies den einen oder anderen Zweckverband<br />
dazu veranlasst hat, bewusst rechtsfehlerhafte Satzungen zu erlassen, um hinreichend<br />
Zeit zur Geltendmachung der Forderung zur Verfügung zu haben. Nicht nur erweist sich diese<br />
Anreizstruktur als sachwidrig, sondern vor allem als mit dem Gedanken der Rechtssicherheit<br />
in Gestalt des Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht vereinbar.<br />
Zwar wäre grundsätzlich eine verfassungskonforme Auslegung methodisch denkbar, die -<br />
entsprechend der Rechtsprechung des BVerwG 4° - der Anwendung der Sachverhalte in Anlehnung<br />
an die Verjährungsfrist des § 195 BGB a. F. eine Höchstfrist von 30 Jahren als »eine<br />
zutreffende Konkretisierung« der Gedanken von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden unterlegt.<br />
41 Das BVerfG lässt das aber nicht ausreichen, sondern nimmt den Gesetzgeber selbst in<br />
die Pflicht: »Es ist Aufgabe des Gesetzgebers,' die berechtigten Interessen der Allgemeinheit<br />
am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung<br />
von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.« <strong>43</strong><br />
Nimmt man die Rechtsprechung des BVerfG beim Wort, sind nicht nur Regelungen des kommunalen Abgabenrechts,<br />
sondern auch andere Sachbereiche betroffen und womöglich dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit<br />
unterworfen, in denen der Staat gegenüber dem Bürger Zahlungsansprüche geltend machen kann, welche bis-<br />
" BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 46.<br />
4° BVerwG, LKV 2009, 129 (131, Rn. 13).<br />
" Hervorhebung d. Verf.<br />
42 Hervorhebung d. Verf.<br />
<strong>43</strong> BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 46.<br />
11
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme ‚Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
lang keiner ausdrücklichen Höchstfrist unterworfen sind. Das betrifft insbesondere den Rückforderungsanspruch"<br />
nach § 1 Abs. 1 BbgVwVfG I. V. m. § 49a Abs. 1 BVwVfG. Wie im Falle des brandenburgischen KAG<br />
hängt die Geltendmachung des Anspruchs hier von einem Akt der Behörde, nämlich der Festsetzung einer Zahlungsverpflichtung<br />
auf der Grundlage einer rückwirkenden Aufhebung eines vorangegangenen begünstigenden<br />
Verwaltungsaktes, ab. Zwischen der Gewährung des staatlichen Vorteils und der Forderung nach einem Ausgleich<br />
kann ein sehr langer Zeitraum liegen, der das Bedürfnis nach Rechtssicherheit auslöst. 45<br />
Das BVerwG hat sich in seiner Rechtsprechung mit diesen Konstellationen in der Vergangenheit bereits auseinandergesetzt.<br />
Es sieht den Rückforderungsanspruch" einer 30-jährigen Verjährungsfrist unterworfen. Das<br />
Gesetz formuliert diese nicht ausdrücklich. Das BVerwG entnimmt diese Frist einem allgemeinen (auch nach<br />
Inkrafttreten der Schuldrechtsreform fortgeltenden) Rechtsgedanken. 47 Dieser allgemeine Rechtsgedanke, den<br />
das BVerwG für das öffentliche Recht entwickelt hat, beansprucht grundsätzlich auch für die Verjährung abgabenrechtlicher<br />
Ansprüche Geltung. Das BVerfG verlangt dem Gesetzgeber aber eine klare normative Entscheidung<br />
ab. Soweit im Rahmen des §§ 49a Abs. 2 VwVfG Rechtssicherheit nicht durch andere Faktoren sichergestellt<br />
ist, ist er womöglich ebenso dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit unterworfen. Denn der Gesetzgeber<br />
selbst ist danach aufgerufen, eine klare, hinreichend konkrete Frist zu setzen: »Der Grundsatz der Rechtssicherheit<br />
verbietet es dem Gesetzgeber, (...) ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe<br />
eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.« 48<br />
6. Wie können diese Änderungen ausgestaltet werden?<br />
7. Welche rechtlichen und tatsächlichen Folgen ziehen die in Betracht kommenden<br />
Änderungsmöglichkeiten nach sich?<br />
Für die beiden virulenten Problemfälle (vgl. oben 3.) muss der Gesetzgeber sicherstellen,<br />
dass die Beiträge nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können.<br />
Der Empfänger des Vorteils muss »in zumutbarer Zeit darüber Klarheit gewinnen können, ob<br />
und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss«. 49 Dem<br />
44 Für die Befugnis zur Rücknahme selbst sehen die meisten Autoren in den gesetzlichen Rücknahmeregelungen des § 48<br />
Abs. 2 und 4 VwVfG ein differenziertes und abgewogenes Vertrauensschutzkonzept, das den Faktor Zeitablauf in hinreichend<br />
rechtssicherer Weise rechtlich umsetzt. Vgl. BeckRS 2009, 41534; Erfmeyer, VR 1999, 48 (51 f.). Für den Bereich des<br />
Sozialrechts ist das BSG demgegenüber zu dem Ergebnis gelangt, dass ein rechtswidriger Sozialleistungsbescheid mit Dauerwirkung<br />
30 Jahre nach seinem Erlass selbst dann nicht mehr mit Rückwirkung zurückgenommen kann, wenn er durch arglistige<br />
Täuschung erwirkt worden ist (BSGE 72, 139 [145<br />
45 Für das Sozialrecht enthält § 50 Abs. 4 SGB X zwar eine Verjährungsfrist von 4 Jahren. Sie beginnt nach Ablauf des Kalenderjahres,<br />
in dem der Rückforderungsbescheid unanfechtbar geworden ist, Auch sie schließt es aber nicht aus, dass zwischen<br />
der Gewährung und der Rückforderung des Vorteils eine zeitlich nicht bestimmbare, für den Bürger unsichere Zeitspanne<br />
verstreichen kann. Um dem Gedanken der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen, müsste der Gesetzgeber das Rücknahmerecht<br />
der Verwaltung selbst einer Verjährung unterwerfen. Anderenfalls hätte die Verwaltung die Möglichkeit und<br />
einen Anreiz, die Verjährung dadurch beliebig nach hinten zu schieben, dass sie nach der Rücknahme den Festsetzungsbescheid<br />
für die Rückforderung zeitlich aufschiebt. In diesem Sinne kritisch auch Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen<br />
Recht, 5. 375 f.<br />
48 Für den Zinsanspruch nach § 49 Abs. 2 VwVfG gilt etwas anderes. Die Verwaltungsgerichte wenden auf diesen Fall die<br />
Dreijahresfrist des § 195 BGB n.F. analog an. BVerwG, NVwZ 2011, 949 (954, Rn. 50); OVG Sachsen, NVwZ-RR 2013, 82; HessVGH,<br />
BeckRS 2012, 46951; OVG Thüringen, BeckRS 2011, 53681,<br />
47 BVerwG, NVwZ 2011, 949 ff.<br />
48 BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 46. Daraus ergeben sich zwei mögliche Interpretationswege: Entweder ist mithin<br />
dem BVerfG der allgemeine Rechtsgedanke als dem Rechtsstaatsprinzip genügender Fristrahmen nicht hinreichend präzise<br />
und ausreichend, um Rechtssicherheit herzustellen (dann ist konsequenterweise auch § 49a VwVfG dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit<br />
ausgesetzt) oder es hält für den konkreten Fall des Abgabenrechts eine 30-jährige Verjährungsfrist für verfassungsrechtlich<br />
unzureichend.<br />
49 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 50.<br />
12
Prof. Dr, Martini - Stellungnahme ,Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
Gesetzgeber stehen mehrere Möglichkeiten offen, um diesem Gebot zu entsprechen. Siehe<br />
dazu im Einzelnen die Antwort auf Frage 11.<br />
8. Ist die <strong>Brandenburg</strong>er Regelung des § 8 Abs. 7 5. 2 KAG unvereinbar mit<br />
dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit?<br />
Ja, in ihrer gegenwärtigen Form stellt sie nicht sicher, dass ein Vorteilsempfänger immer in<br />
zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten<br />
Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss (vgl. auch die Antwort zu Frage 4 und 5)<br />
9. Ist die Beitragserhebung bei Altanschließern verfassungswidrig?<br />
Nicht generell. Als Altanschließer gelten gemeinhin solche Personen, die vor dem Inkrafttreten<br />
des KAG an eine leitungsgebundene Wasserversorgung oder Abwasserentsorgungseinrichtung<br />
angeschlossen waren oder angeschlossen werden konnten. 5° Für diese Altanlagen<br />
sind dem Aufgabenträger keine Kosten entstanden, Denn diese Altanlagen waren den Gemeinden<br />
und Verbänden kostenlos zu übertragen (§ 1 Abs. 1 S. 3 des Gesetzes zur Privatisierung<br />
und Reorganisation des volkseigenen Vermögens i. V. m. § 1 5. 1 und § 6 Abs. 1 des<br />
Kommunalvermögensgesetzes). Viele Verbände haben davon abgesehen, alt angeschlossene<br />
Grundstücke zu bescheiden.<br />
Altanschließer werden aber (abgesehen von der Übernahme von Verbindlichkeiten) nicht für<br />
Investitionen in leitungsgebundene Einrichtungen oder Anlagen herangezogen, die vor dem<br />
3.10.1990 entstanden sind. Das stellt § 18 BbgKAG ausdrücklich klar. Vielmehr werden die<br />
Altanschließer für den ihnen nach dieser Zeit tatsächlich entstandenen Investitionsaufwand<br />
der Aufgabenträger herangezogen.<br />
Im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> war geraume Zeit unklar, ob die Altanschließer zu Beiträgen herangezogen<br />
werden können. Auch das Innenministerium des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> sowie zahlreiche<br />
Aufgabenträger haben über einen längeren Zeitraum die Ansicht vertreten, alt angeschlossene<br />
Grundstücke seien nicht zu einem erstmaligen Herstellungsbeitrag heranzuziehen.<br />
51<br />
Das OVG <strong>Brandenburg</strong> hat die Erhebung von Anschlussbeiträgen von Altanschließern im Jahr<br />
2001 als rechtmäßig eingestuft. 52 Es hebt dabei vor allem auf den Dauervorteil ab, der den<br />
Grundstücken durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen entsteht<br />
(§ 8 Abs. 2 S. 2 BbgKAG). Außerdem sieht es erst mit dem Einigungsvertrag die Wasserversorgung<br />
und Abwasserbeseitigung wieder als kommunale Aufgaben hergestellt. Es sieht<br />
»vor dem Hintergrund einer gleichmäßigen und gerechten Beteiligung aller durch die An-<br />
5° Vgl. dazu etwa Schmidt-Wottrich, LKV 2008, 355 (355).<br />
sl Schmidt-Wottrich, LKV 2008, 355 (355).<br />
52 OVG <strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 12. 4. 2001 — 2 D 73/O0.NE —; OVG <strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 5.12.2001 — 2 A 611/00; vgl. auch VG<br />
Schwerin, Urt. v. 11.4.2013 —4 A 1250/12, S. 20 ff A.U.<br />
13
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
schlussmöglichkeit zu der öffentlichen Einrichtung bevorteilten Grundstücke« die Beteiligung<br />
der Altanschließer an den dadurch entstandenen Kosten als geboten an.'<br />
Für die Grundstücke, die am 3.10.1990 bereits bebaut und an eine leitungsgebundene Einrichtung<br />
oder Anlage tatsächlich angeschlossen oder anschließbar waren, lässt das Gesetz als<br />
Ausgleich zu, verminderte Herstellungsbeiträge zu erheben (§ 8 Abs. 4a BbgKAG). Darüber<br />
hinaus besteht allgemein die Möglichkeit der Stundung und des Erlasses von Ansprüchen aus<br />
dem Abgabeschuldverhältnis vor, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig<br />
wäre (§ 12c BbgKAG).<br />
Eine andere Frage ist es, ob Altanschließer aufgrund des Ablaufs von Festsetzungs- bzw.<br />
Verjährungsfristen — insbesondere unter Geltung des § 8 Abs. 2 S. 2 a. F. BbgKAG — noch zu<br />
Beitragszahlungen herangezogen werden können (vgl. dazu im Einzelnen die Antwort auf die<br />
Frage 2. a)<br />
10. Welche allgemeinen Verjährungsregelungen gibt es im Beitrags- und Abgabenrecht<br />
des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>? Wie berechnen sich diese Fristen?<br />
Im brandenburgischen Recht finden sich verschiedene gesetzliche Spezialregelungen zur Verjährung<br />
von Ansprüchen. Sie sind ein geeigneter Anknüpfungspunkt zur systemgerechten<br />
Festlegung einer Verjährungsfrist für Beitragsforderungen im Sinne des § 8 Abs. 7 S. 2 Bbg-<br />
KAG.<br />
Als Regelfall kennt das brandenburgische Recht — so lässt sich allgemein sagen — eine Verjährungsfrist<br />
von vier bzw. fünf Jahren.<br />
a) Verjährungsregelungen im brandenburgischen Abgabenrecht<br />
• § 23 Abs. 1 und 2 Gebührengesetz <strong>Brandenburg</strong> (GebGBbg) setzt für die Festsetzung und<br />
den Anspruch auf Zahlung festgesetzter Gebühren oder Auslagen eine vierjährige Frist<br />
fest. Die Festsetzungsverjährung beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem die Gebühren- o-<br />
der Auslagenschuld entstanden ist. Die Zahlungspflicht beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres,<br />
in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 23 Abs. 1 S. 2; § 23<br />
Abs. 2 S. 2 GebGBbg).<br />
• Den Anspruch auf Zahlung der Abgabe und der Anspruch auf Erstattung überzahlter Beträge<br />
lässt das brandenburgische Abwasserabgabengesetz in einem Zeitraum von fünf<br />
Jahren verjähren. »Die Verjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe<br />
fällig geworden oder in dem der Erstattungsanspruch entstanden ist.« (§ 12 Abs. 2<br />
<strong>Brandenburg</strong>isches Abwasserabgabengesetz [BbgAbwAG]).<br />
• Ansprüche aus der Verordnung über die Feldes- und Förderabgabe im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
verjähren binnen fünf Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres,<br />
in dem der Anspruch erstmalig fällig geworden ist, jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahres,<br />
in dem die Festsetzung oder die Aufhebung oder Änderung der Festsetzung des<br />
53 OVG <strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 3.12.2003 — 2 A 733/03 —.<br />
14
Prof. Dr. Martini Stellungnahme ‚Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
Anspruchs wirksam geworden ist (§ 9 Abs. 1 und 2 <strong>Brandenburg</strong>ische Förderabgabeverordnung<br />
[BbgFördAV]).<br />
Wie im allgemeinen Kommunalabgabenrecht knüpft der Gesetzgeber den Verjährungsbeginn<br />
für Ansprüche aus der Verordnung über die Feldes- und Förderabgabe an die Festsetzung<br />
des Anspruchs an. § 9 Abs. 1 und 2 <strong>Brandenburg</strong>ische Förderabgabeverordnung<br />
ist damit grundsätzlich ähnlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln unterworfen wie § 8<br />
Abs. 7 5. 2 BbgKAG. Denn der Abgabeschuldner hat keinen sicheren Anhaltspunkt für den<br />
Zeitpunkt, ab dem er mit einer Zahlungspflicht nicht mehr zu rechnen braucht, sofern der<br />
Anspruch nicht festgesetzt worden ist.<br />
• Für die Verjährung der Beitragsforderung für den Rundfunkbeitrag verweist § 7 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages<br />
vom 9.6.2011 auf die Vorschriften des BGB.<br />
b) <strong>Brandenburg</strong>ische Verjährungsregelungen außerhalb des Abgabenrechts:<br />
• Ansprüche aus dem <strong>Brandenburg</strong>ischen Nachbarrechtsgesetz verjähren nach § 4 des Gesetzes<br />
nach den Vorschriften des BGB.<br />
• Entschädigungsansprüche für Schäden, die jemand durch Maßnahmen der Ordnungsbehörden<br />
erleidet, verjähren nach § 40 des Ordnungsbehördengesetzes in drei Jahren von<br />
dem Zeitpunkt an, in welchem der Geschädigte von dem Schaden und von der zur Entschädigung<br />
verpflichteten Körperschaft Kenntnis erlangt; ohne Rücksicht auf diese Kenntnis<br />
in 30 Jahren von der Entstehung des Entschädigungsanspruchs an.<br />
• Schadensersatzpflichten der Beamtinnen und Beamten gegenüber ihrem Dienstherrn wegen<br />
vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung ihrer Pflichten verjähren grundsätzlich<br />
in drei Jahren. Die Frist beginnt zu dem Zeitpunkt, in dem der Dienstherr von dem Schaden<br />
und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Hat er keine Kenntnis, verjährt<br />
der Anspruch in zehn Jahren von der Begehung der Handlung an (§ 60 brandenburgisches<br />
<strong>Land</strong>esbeamtengesetz). Gleiches gilt für die Haftung ehrenamtlich Tätiger gegenüber ihrer<br />
Gemeinde (§ 25 Abs. 3 S. 1 Kommunalverfassung des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>).<br />
Das Regelungskonzept dieser Vorschriften ist prima facie als Vorbild für die Verjährung von<br />
Forderungen des Kommunalabgabenrechts geeignet. Ihr liegt ein gestuftes Regelungskonzept<br />
zugrunde: Ist der Anspruchsgegner bekannt, greift eine kurze Frist. Kann der Anspruchsgläubiger<br />
den Anspruch nicht geltend machen, weil dafür die tatsächlichen Grundlagen<br />
fehlen, greift eine 10-jährige Frist. Legt man die gleiche Wertung an das Kommunalabgabenrecht<br />
an, spricht zunächst viel für eine kürzere Frist als eine 10-jährige Frist. Denn dass<br />
der Beitragsgläubiger seinen Anspruch nicht geltend machen kann, liegt bei der Geltendmachung<br />
von Beiträge nach dem KAG — anders als die Unkenntnis über die Person des Schadensersatzpflichtigen<br />
im Beamtenrecht — in der Zurechnungs- und Verantwortungssphäre<br />
des Anspruchsgläubigers, nicht des Anspruchsgegners. Allerdings ist das Verhältnis zwischen<br />
dem Dienstherrn und seinem Beamten von einer Fürsorgepflicht getragen, die dem Verhältnis<br />
zwischen Beitragsschuldner und Beitragsgläubiger im Kommunalabgabenrecht in dieser<br />
Form nicht vergleichbar ist. Darüber hinaus sind die Sachgesetzlichkeiten und die Komplexität<br />
der Festsetzung von Anschlussbeiträgen von anderer Qualität als die Geltendmachung<br />
von Schadensersatzansprüchen gegenüber Beamten.<br />
15
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme :Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
c) Verjährungsregelungen im allgemeinen Öffentlichen Recht<br />
Zur Länge der Verjährung im allgemeinen öffentlichen Recht finden sich sehr facettenreiche<br />
Gestaltungen, die - je nach Materie - eine Verjährungsfrist von 6 Monaten, einem Jahr, 18<br />
Monaten, 2, 3, 4, 5, 10 und 30 Jahren umfassen» Ausschließlich relative Verjährungsfristen,<br />
die erst ab Kenntnis oder Erkennbarkeit für den Berechtigten beginnen, sind dabei im Öffentlichen<br />
Recht selten. 55 Das BVerwG hält sie auch für problematisch. 56<br />
Soweit es an einer expliziten gesetzlichen Regelung der Verjährung im Öffentlichen Recht<br />
fehlt, schließt die Rechtsprechung die Lücke regelmäßig im Wege der Analogie. 57 Welche<br />
Verjährungsregelung als die »sachnächste« analog heranzuziehen ist, beurteilt das BVerwG<br />
nach dem Gesamtzusammenhang der für den jeweiligen Anspruch maßgebenden Rechtsvorschriften<br />
und der Interessenlage 58 .<br />
Allerdings sind die meisten zivilrechtlichen Verjährungsfristen nicht analogiefähig, da sie spezifisch<br />
auf Privatrechtsverhältnisse und ihre Ausgangslagen zugeschnitten sind.'<br />
Denkbar ist für den Fall einer Geltendmachung von Forderungen, die dem Anspruchsgläubiger<br />
ein von ihm abhängiges Recht verleihen, allenfalls eine Analogie zum Rechtsgedanken<br />
des § 200 BGB a. F. Die Vorschrift hat für solche Fälle, in denen die Entstehung eines Anspruchs<br />
davon abhängt, dass der Berechtigte von einem Anfechtungsrecht Gebrauch macht,<br />
das ihm zusteht, die Verjährungsfrist bereits zu dem Zeitpunkt laufen lassen, von dem an die<br />
Anfechtung zulässig ist. Der Sachgesetzlichkeit und Komplexität der verschiedenen Regelungsmaterien<br />
des Zivilrechts und des Öffentlichen Rechts wird das aber wohl nicht vollständig<br />
gerecht.<br />
Für diejenigen Konstellationen, in denen der Anspruchsgläubiger eine Forderung deshalb<br />
nicht geltend machen kann, weil er den Anspruch oder seinen Schuldner nicht kennt, hält<br />
das Gesetz durchaus analogiefähige Regelungen vor: Nach § 199 Abs. 4 BGB verjähren Ansprüche<br />
auch dann, wenn der Anspruchsinhaber keine Kenntnis oder in grob fahrlässiger<br />
Unkenntnis über den Anspruch oder seinen Anspruchsgegner war, in 10 Jahren von ihrer<br />
Entstehung an. 60 Der Anspruchsgegner soll dadurch davor geschützt werden, »nach Jahr und<br />
Tag« noch in Anspruch genommen zu werden, obwohl er damit nicht mehr rechnen musste.<br />
Eine Analogie zu der 10-jährigen Verjährungsfrist des § 199 Abs. 4 BGB erweist sich für das<br />
öffentliche Recht als allgemeine Regelfrist grundsätzlich als sachgerecht. 61<br />
54 Vgl. dazu umfassend Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 2004.<br />
55 Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 5. 357.<br />
56 BVerwGE 132, 324.<br />
57 In diesem Sinne ausdrücklich BVerwG, Teilurt. v. 21.10.2010, NVwZ 2011, 949 (949); Bundesfinanzhof, Urt. v. 7.7.2009 —<br />
VII R 24/06, BeckRS 2009, 24003766; Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 5. 362 f. mit zahlreichen weiteren<br />
Nachweisen,<br />
58 BVerwG, Teilurt. v. 21.10.2010, NVwZ 2011, 949 (949).<br />
59 Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, S. 365.<br />
6° Kritisch zur analogen Anwendbarkeit der Vorschrift auf das Öffentliche Recht Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen<br />
Recht, 5.593 f.<br />
61 In diese Richtung auch Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, S. 595<br />
16
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
Der Situation eines späten Laufs der Festsetzungsfrist als Folge einer fehlenden rechtlichen<br />
Möglichkeit zur Geltendmachung eines Beitragsanspruchs gleicht auch die Konstellation bei<br />
Altlasten. Hier stellt sich die ähnliche Frage, wann die Verjährung beginnt, wenn die Geltendmachung<br />
des Anspruchs aus tatsächlichen Gründen früher nicht möglich gewesen ist. 62<br />
Für diese Konstellation finden sich in der Literatur sehr unterschiedliche Lösungsvorschläge.<br />
Während manche eine 30-jährige Verjährung - beginnend mit dem Vorliegen sämtlicher<br />
Tatbestandsvoraussetzungen, die für das Handeln der Behörde notwendig sind - vorschlagen,'<br />
sehen andere den Gesetzgeber zur Festsetzung einer Frist gefordert. 64<br />
Soweit spezielle Verjährungsfristen, sei es aus dem BGB, sei es aus anderen gesetzlichen Regelungen,<br />
nicht analogiefähig sind, hat das BVerwG ebenso wie das BSG 65 und der BFH in der<br />
30-jährigen Regelverjährung des § 195 BGB a. F. - auch nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform<br />
im Zivilrecht, die bewusst keine Änderungen für das öffentliche Recht bewirken wollte'<br />
- den Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens gesehen: 6' Nach Ablauf von 30<br />
Jahren dürfe eine einmal getroffene Regelung keinesfalls mehr infrage gestellt werden. 68<br />
Ergebnis: Analogien zu Sonderregelungen von Verjährungsfristen sind bei der Festsetzung<br />
von Anschlussbeiträgen nur bedingt möglich. Die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte<br />
zieht im Zweifel die 30-jährige Verjährungsfrist des § 195 a. F. BGB heran. Mindestens<br />
ebenso sachgerecht ist aber eine Anknüpfung an die 10-jährige Verjährungsfrist des § 199<br />
Abs. 4 BGB als allgemeiner Regelverjährungsfrist.<br />
11. Welche anderen Vorschläge für eine solche zeitliche Begrenzung wären<br />
aus Ihrer Sicht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für das<br />
<strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> ebenso denkbar?<br />
Dem Gesetzgeber steht eine breite Palette von Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Er<br />
muss dabei aber im Ergebnis sicherstellen, dass die Behörden Abgaben zeitlich nicht unbegrenzt<br />
nach Eintritt der Vorteilslage festsetzen können.<br />
a) Rechtstechnische Gestaltungsmöglichkeiten<br />
In Betracht kommen insbesondere folgende rechtstechnische Gestaltungsmöglichkeiten':<br />
62 Vgl. dazu Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 2004, S. 381 ff.; Martensen, NVwZ 1997, 442 (445)<br />
63 Wieland, Die Verjährungsproblematik im Altlastenrecht, 1999, 5. 175.<br />
63<br />
Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 5. 383.<br />
bs BSGE 72, 139 (145 f.) = NVwZ-RR 1994, 628; kritisch Erfmeyer, VR 1999, 48<br />
66 »Dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz lässt sich nichts dafür entnehmen, dass das Verhältnis von Rechtssicherheit<br />
und Rechtsfrieden einerseits und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung andererseits neu bestimmt werden müsste.«<br />
BVerwGE 132, 324, Rn. 13.<br />
67 BVerwGE 132, 324 = LKV 2009, 129 (130); BVerwG, Teilurt. v. 21.10.2010, NVwZ 2011, 949 (949); zustimmend BFHE 225,<br />
524 (534 ff.)<br />
BSGE 72, 139 (145 f.) = NVwZ-RR 1994, 628; kritisch Erfmeyer, VR 1999, 48.<br />
69 Vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 50.<br />
17
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
• die Festsetzungsfrist einheitlich mit dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, zu dem die<br />
Vorteilslage verwirklicht worden ist. Der Lauf der Festsetzungsfrist ist dann vom Inkrafttreten<br />
einer Beitragssatzung entkoppelt.<br />
• die Festsetzungsfrist zwar nicht unmittelbar mit der Verwirklichung der Vorteilslage<br />
beginnen zu lassen, sondern weiter an das Inkrafttreten einer wirksamen Satzung anzuknüpfen,<br />
aber eine auf den Eintritt der Vorteilslage bezogene, für den Beitragsschuldner<br />
konkret bestimmbare Verjährungshöchstfrist festzusetzen, nach deren Ablauf<br />
der Beitragsanspruch verjährt.<br />
• die Festsetzungsfrist zu dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, zu dem die erste Satzung<br />
formell in Kraft getreten ist (selbst wenn diese Satzung sich später nicht als rechtswirksam<br />
erweist). Eine spätere zur Heilung eines Rechtsmangels erlassene wirksame<br />
Satzung ist dann rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der<br />
ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen. 7° Dem Gesetzgeber steht es dann<br />
frei, in diesem Fall die Festsetzungsfrist zu verlängern, Regelungen der Verjährungshemmung<br />
oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen<br />
unwirksamer Satzungen zu verbinden.' Der Gesetzgeber ist damit nicht darauf festgelegt,<br />
die bisherige brandenburgische Vierjahresfrist für die Festsetzung auf die Fälle<br />
einer unwirksamen Satzung unbesehen zu übertragen.<br />
Zusätzlich ist dann für den Fall, dass über lange Zeit überhaupt keine Abgabensatzung<br />
erlassen wird, ergänzend eine Verjährungsfrist vorzusehen, die sicherstellt, dass der<br />
Beitragsschuldner nicht unbegrenzt zur Zahlung herangezogen werden kann.<br />
b) Fristkingc<br />
Der Gesetzesentwurf des brandenburgischen Ministeriums des Innern sieht ein gestuftes<br />
Fristensystem vor, das eine absolute Festsetzungsfrist für die Abgabeerhebung nach endgültiger<br />
Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Erneuerung oder Verbesserung der öffentlichen<br />
Einrichtung oder Anlage (§ 12 Abs. 4 Buchst. e BbgKAG-E) sowie eine absolute Verjährungshöchstfrist<br />
von 15 Jahren i. V. m. einer 10-jährigen Hemmungsregelung statuiert (§ 19 Bbg-<br />
KAG-E). Zur Vermeidung von Missverständnissen des Normanwenders sollte dabei die Vorschrift<br />
des § 19 BbgKAG-E statt der Bezeichnung »Zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich«<br />
den Titel »Verjährung von Abgaben zum Vorteilsausgleich« tragen. So lässt sich das<br />
systematische Verhältnis der Vorschrift zu den Neuregelungen § 12 Abs. 4 und zu den anderen<br />
Vorschriften des brandenburgischen Kommunalabgabengesetzes sauber abbilden.<br />
Bei der Festsetzung der Fristlänge kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum<br />
zu. 72 Der politischen Willensentscheidung der zur Gestaltung der gesellschaftlichen<br />
Rahmensetzung legitimierten Entscheidungsträger ist es überlassen, den Grundkonsens zu<br />
finden, der einer gerechten Abwägung der widerstreitenden Interessen entspricht. Eine absolute<br />
Grenze lässt sich insoweit verfassungsrechtlich nur schwer ziehen. Allgemein gilt: Je<br />
größer der politische Konsens, auf dem die Festsetzung der Verjährungsfrist in einem gesetz-<br />
70 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 50.<br />
BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 50.<br />
72 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 46.<br />
18
Prof. Dr. Martini — Stellungnahme “Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
lichen Akt fußt, umso eher geht davon eine Vermutung aus, dass der gefundene Kompromiss<br />
dem politischen Gestaltungswillen des Volkes und einer gerechten Abwägung entspricht.<br />
Die Festsetzung der Frist ist dabei aber dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und dem Gedanken<br />
der Systemgerechtigkeit sowie dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unterworfen:<br />
Die Länge der Frist darf nicht deutlich über das hinausgehen, was zur Zielerreichung,<br />
insbesondere zur Herstellung von Abgabengerechtigkeit und Belastungsgleichheit, geeignet,<br />
erforderlich und angemessen ist.' Die Frist ist darauf zu überprüfen, ob sie einen zumutbaren<br />
und angemessenen Interessenausgleich herstellt. Der Gesetzgeber darf dabei nicht einzelne<br />
Gruppen von Schuldnern gegenüber anderen Schuldnern ohne erkennbaren Sachgrund<br />
unterschiedlich behandeln. Bei der Ausgestaltung der Verjährungsfrist hat der Gesetzgeber<br />
den Gleichheitssatz dadurch zu beachten, dass er willkürliche Benachteiligungen einzelner<br />
Beitragsschuldner gegenüber anderen ausschließt. 74 Unterschiedliche Fristen müssen von<br />
einem sachlich rechtfertigenden Grund getragen sein. Die Differenzierung von Verjährungsfristen<br />
darf insbesondere nicht im inneren Widerspruch zur Gesamtkonzeption des Regelungssystems<br />
stehen, dem sie angehört und welches sich der Gesetzgeber selbst vorgegeben<br />
hat." Ein einmal gewähltes System muss der Gesetzgeber konsequent und folgerichtig fortführen.<br />
Gleichbehandlung verlangt dabei nicht Uniformität, sondern Gleichmäßigkeit des<br />
Maßstabes. Differenzierungen müssen sich auf einen sachlich nachvollziehbaren Grund zurückführen<br />
lassen. Jede Systemdurchbrechung erhöht die Rechtfertigungslast. 76<br />
aa) Verhältnismäßigkeit — Abwägung zwischen den berechtigten Interessen der Beitragsschuldner<br />
und der Aufgabenträger bzw. des Staates<br />
Bei der Festsetzung der Frist in Abwägung der unterschiedlichen Interessen sind insbesondere<br />
zu berücksichtigen:<br />
- das Interesse an der Durchsetzung von normativen Gestaltungsentscheidungen des Gesetzgebers.<br />
Der Gesetzgeber des KAG drückt an verschiedenen Stellen dem normativen Willen<br />
deutlich aus, auf die Erhebungsmöglichkeit für Beiträge nicht verzichten zu wollen. So<br />
sieht etwa § 12 Abs. 3a S. 1 BbgKAG vor, dass bei der Erhebung von Anschlussbeiträgen im<br />
Bereich der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung die Festsetzungsfrist frühestens mit<br />
Ablauf des 31.12.2011 endet, es sei denn, es war bereits zum 2.10.2008 Festsetzungsverjährung<br />
eingetreten (§ 12 Abs. 3 S. 2 BbgKAG).<br />
- die grundsätzliche Verpflichtung, Herstellungsmaßnahmen über Abgaben zu finanzieren<br />
und das öffentliche Interesse daran, Beitragsausfälle zu vermeiden sowie Abgabengerech-<br />
73 In diesem Sinne BVerfG, Beschl. v. 10.10.2012, 1 BVL 6/07, NJW 2013, 145 (Rn. 63) — bezogen auf einen Fall unechter<br />
Rückwirkung; für das Unionsrecht ausdrücklich etwa EuGH (Vierte Kammer), Urt. v. 5.5.2011, C-201/10, Sig. 2011, 1-3545,<br />
Rn. 37.<br />
Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, S. 359 f.<br />
75 Vgl. etwa BVerfGE 9, S. 20 (28); 34, 5. 103 (115); 36, 5. 383 (394); zum Gebot der Folgerichtigkeit staatlichen Handelns<br />
etwa BVerfGE 115, S. 276 ff.; EuGH, EuZW 2011, 5. 841 (845, Rn. 56); Cornils, Rationalitätsanforderungen an die parlamentarische<br />
Rechtsetzung im demokratischen Rechtsstaat, DVBI 2011, S. 1053 (1054 ff.); Grzeszick, Grundsatzfragen der Rechtsetzung<br />
und Rechtsfindung, VVDStRL 71 (2012), 5. 51 ff.; Payandeh, Das Gebot der Folgerichtigkeit: Rationalitätsgewinn o-<br />
der Irrweg der Grundrechtsdogmatik?, AöR 136 (2011), S. 579 ff.<br />
76 Martini, der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, 2008, 5. 638.<br />
19
Prof. Dr. Martini'- Stellungnahme ,Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
tigkeit als »Höchstwert der Abgabengestaltung« 77 unter den Abgabeschuldnern (Art. 3<br />
Abs. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 <strong>Brandenburg</strong>ische Verfassung) herzustellen.<br />
Nach der Wertung des Gesetzgebers sollen öffentliche Einrichtungen und Anlagen, die<br />
dem Vorteil einzelner Personen oder Personengruppen dienen, nicht aus dem allgemeinen<br />
Haushalt, sondern durch den bevorteilten Personenkreis finanziert werden<br />
(Konzept der Gesamtfinanzierung). 78 Wirtschaftliche Vorteile, die konkret abgrenzbaren<br />
Personengruppen zukommen, sollen diese selbst, nicht aber die Allgemeinheit<br />
ausgleichen. In der gleichmäßigen Heranziehung der Vorteilsempfänger drückt sich der<br />
Gedanke der Solidarität aller Anschlussnehmer im Hinblick auf die Finanzierung des<br />
Gesamtaufwandes aus." Werden Altanlieger nicht zur Beitragsleistung herangezogen,<br />
subventionieren die Neuanlieger die Gebühren der Altanlieger. 8° Es besteht dann namentlich<br />
die Gefahr, dass es durch ihre Heranziehung zu Benutzungsgebühren zu einer<br />
Doppelbelastung für Anteile am Gesamtaufwand kommt, 81 die sie bereits mit der Beitragsleistung<br />
entgolten haben. 82<br />
Der Gesetzgeber hat aber die Möglichkeit und ggf. die Pflicht, durch einen gespaltenen<br />
Gebührensatz zwischen denjenigen zu differenzieren, die zum Investitionsaufwand<br />
durch Beiträge Leistungen erbracht haben, und denjenigen, bei denen das nicht der<br />
Fall ist. 83 Es besteht auch grundsätzlich die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Finanzierungsmodellen,<br />
also Anschlussbeiträgen oder Gebühren zu wählen. Unter welchen<br />
rechtlichen Voraussetzungen das Finanzierungssystem von einem Beitragsmodell<br />
auf ein Gebührenmodell umgestellt werden darf, hat das OVG <strong>Brandenburg</strong> in seinem<br />
Urt. v. 6.6.2007 dargelegt: 84 Die einmal getroffene Entscheidung bindet den Einrichtungsträger<br />
nicht für alle Zeit. Vielmehr kann er auch nachträglich zwischen beiden<br />
Modellen wechseln. Ein schutzwürdiges Vertrauen in die Aufrechterhaltung eines einmal<br />
gewählten Finanzierungssystems besteht grundsätzlich nicht. 85<br />
- die Möglichkeit zum Gesetzesvollzug innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit. Die<br />
Festsetzungsfrist sollte so bemessen sein, dass ein effektiver Gesetzesvollzug gewährleistet<br />
ist und ein Anspruchsverlust nur im Ausnahmefall zu besorgen ist. 88 Angesichts der langen<br />
77 Steiner, LKV 2009, 254 (257).<br />
78 OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2008, 369 f.<br />
79 Vgl. Steiner, LKV 2009, 254 (257).<br />
80 Schmidt-Wottrich, LKV 2008, 355 (356).<br />
81 Vgl. auch § 6 Abs. 2 5. 5 BbgKAG: Das Beitragsaufkommen, das der Aufgabenträger neben Gebühren zur Refinanzierung<br />
seiner Investitionen erhält, ist bei der Kalkulation als Abzugskapital zu berücksichtigen.<br />
82 OVG <strong>Brandenburg</strong>, BeckRS 2008, 32295; Hentschke, LKV 2009, 248 (253)..<br />
83 BVerwG, NVwZ 1992, 668; OVG <strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 3.12.2003 — 2 A 417/0 1 — juris; OVG <strong>Brandenburg</strong>, BeckRS 2008,<br />
32295; OVG Nordrhein-Westfalen, DVBI. 1981, 831.<br />
84 OVG <strong>Brandenburg</strong> — 9 A 77/05 —, BeckRS 2008, 32295.<br />
85 OVG <strong>Brandenburg</strong>, BeckRS 2008, 32295.<br />
86 In diesem Sinne auch BFH, Urt. v. 7.7.2009 — VII R 24/0 6 —, BeckRS 2009, 240037 66. Aufschlussreich insoweit und möglicherweise<br />
für eine Übertragung auf die Konstellation der <strong>Brandenburg</strong>er Altanschließer geeignet sind Erwägungen des<br />
BVerwG zu der Frage, inwieweit eine kurze Verjährungsfrist gerechtfertigt ist, wenn Behörden anderenfalls keine Möglichkeit<br />
zur Geltendmachung von Ansprüchen hatten: »Damit soll nicht gesagt werden, dass eine Anwendung des neuen Verjährungsrechts<br />
unter dem Vorbehalt der zur Realisierung bestehender Ansprüche notwendigen obligatorischen Vorkehrungen<br />
der Klägerin entsteht. Es versteht sich im Gegenteil von selbst, dass die Klägerin die Folgen entsprechender Versäumnisse<br />
tragen müsste. Der Umstand, dass die zuständige Behörde zu einer kurzfristigen Geltendmachung aller in Betracht<br />
20
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen'<br />
Investitionszeiträume, auf die Anschlussbeiträge angelegt sind, und angesichts der Komplexität<br />
des Verteilungsmechanismus, der der Erhebung von Beiträgen zugrunde liegt, ist bei Anschlussbeiträgen<br />
eine längere Frist als bei anderen Abgabenerhebungen sachlich gerechtfertigt.<br />
- die Fehleranfälligkeit der Satzungen, auf die die Beitragserhebung gründet,<br />
- die Komplexität des Verfahrens, das der Ermittlung der Forderung und des ihr zugrunde<br />
liegenden Sachverhalts vorausgeht, sowie die Zahl der Beteiligten und Verfahrensschritte,<br />
die in das Verfahren integriert sind.<br />
- die Zurechenbarkeit des Fehlers, der zur zeitverzögerten Belangung des Zahlungspflichtigen<br />
führt. Dass eine Beitragsschuld mangels wirksamer Satzung nicht entstanden ist, fällt<br />
grundsätzlich in die Verantwortungssphäre des Beitragsgläubigers.<br />
Für die Festsetzung einer kurzen Frist sprechen im Allgemeinen:<br />
• das Interesse der Beitragsschuldner an Herstellung von Rechtssicherheit, namentlich<br />
Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit. Von einer als Satzung verkündeten Norm<br />
kann ein Rechtsschein ausgehen, der ein Vertrauen auf die Wirksamkeit der Norm und<br />
darauf auslöst, nur auf der Grundlage dieser Norm zur Beitragserhebung herangezogen<br />
zu werden. Bereits früh hat das BVerfG aber auch ausgesprochen, dass der Staatsbürger<br />
sich nicht immer auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen<br />
darf, vielmehr der Gesetzgeber unter Umständen eine nichtige Bestimmung rückwirkend<br />
durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Norm ersetzen darf. 87 Ebenso haben<br />
die Oberverwaltungsgerichte, etwa auch das OVG <strong>Brandenburg</strong>, den Beitragspflichtigen<br />
ein Vertrauen darauf abgesprochen, eine öffentliche Leistung auf Dauer ohne Gegenleistung<br />
zu erhalten.'<br />
• das Bestreben, ausstehende Geldzahlungen sich nicht langfristig summieren zu lassen,'<br />
• die Höhe der bei Anschlussbeiträgen typischerweise durchzusetzenden Zahlungsverpflichtungen,<br />
die den Schuldner zu langfristigen Dispositionen zwingt,<br />
• das Bedürfnis nach einer Sicherung des Gleichgewichts sowie einer Ordnung und Planbarkeit<br />
öffentlicher Haushalte sowie allgemein einer Abwicklung offener Rechtsverhältnisse,<br />
9°<br />
kommenden Ansprüche nicht ohne Weiteres in der Lage wäre, lässt jedoch den Schluss zu, dass eine analoge Heranziehung<br />
der neuen Verjährungsbestimmungen nicht im Sinne des Gesetzgebers wäre; denn es kann nicht ernstlich angenommen<br />
werden, dass er sehenden Auges einen Rechtszustand herbeiführen wollte, der die Geltendmachung eines großen Teils dieser<br />
Ansprüche praktisch ausschlösse.« BVerwG, Urt. v. 11.12.2008, LKV 2009, 129 (132); ähnlich Guckelberger, Die Verjährung<br />
im Öffentlichen Recht, 5. 356 und 594: »Der Gesetzgeber würde sich widersprüchlich verhalten, wenn er einen Anspruch<br />
einer so kurzen Verjährungsfrist unterwirft, dass ihn der Berechtigte meistens nicht rechtzeitig geltend machen<br />
kann. Unzulänglich wäre daher eine gesetzliche Regelung, nach welcher bestimmte Ansprüche in der Regel schon vor ihrer<br />
Entstehung verjährt wären.«<br />
BVerfGE 7, 89 (94); BVerfG, NJW 1962, 291 (291).<br />
88 OVG <strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 12.12.2007 — 9 B 44/06 und 9 B 45/06 —, LKV 2008, 369 (372 f.). Zustimmend, BVerwG, Beschl.<br />
v. 14.7.2008 — 9 B 22/08 — BeckRS 2008, 37336.<br />
89 Vgl. etwa BVerwGE 102, 33 (37).<br />
9° BVerwG, LKV 2009, 129 (130); BVerwG, BeckRS 2009, 31187, Rn. 7.<br />
21
of. Dr. Martini S ellungnahme ,Zeitliche Obergre ze Kir einen Vorteilsausgleich bei A schlussbeiträgen"<br />
• Das Bedürfnis, den Schuldnern nicht über Gebühr zu einer Aufbewahrung von Belegen<br />
und Nachweisen zu verpflichten, und das Risiko einer Verschlechterung der Beweissituation<br />
zu minimieren sowie Schwierigkeiten bei der tatsächlichen Aufklärung des Sachverhalts<br />
zu begrenzen, welche auf ein Verhalten des Verpflichteten zurückzuführen sind.<br />
Im Öffentlichen Recht spielt dieser Gesichtspunkt im Allgemeinen deshalb eine weniger<br />
große Rolle, da die Vorgänge anhand von Akten nachvollziehbar sind und der Staat als<br />
Anspruchsgläubiger zum Nachweis der Forderung und ihrer Grundlagen verpflichtet ist.<br />
• Die kontraproduktive Anreizwirkung, die von einer langen Frist für die Verwaltungstätigkeit<br />
der Behörden ausgeht. In einer verwaltungsverfahrensrechtlichen Konstellation<br />
hat der EuGH eine 30-jährige Verjährungsfrist, die Deutschland seinen Behörden zum<br />
Vollzug des Unionsrechts eingeräumt hat, als nicht mehr erforderlich erachtet. Er ist der<br />
Auffassung, »dass es über das für eine sorgfältige Verwaltung Erforderliche hinausgeht,<br />
den Behörden« für die Maßnahme eine Rückforderung »eine Frist von 30 Jahren einzuräumen«.<br />
91 Der Gerichtshof sah dabei insbesondere die Gefahr, dass »ein derart langer<br />
Zeitraum, wie ihn eine 30-jährige Verjährungsfrist bietet«, einer Trägheit der nationalen<br />
Behörden bei der Verfolgung von Unregelmäßigkeiten Vorschub zu leistet. Diese unionsrechtlichen<br />
Erwägungen lassen sich auf die Geltendmachung von Beiträgen gegenüber<br />
Bürgern auf der Grundlage des nationalen Rechts grundsätzlich übertragen, geht doch<br />
von einer 30-jährigen oder längeren Möglichkeit zur Einforderung von Beiträgen ein Anreiz<br />
aus, eine wirksame Beitragssatzung erst mit erheblicher Verzögerung zu erlassen<br />
und Fehler einer früheren Satzung später heilen zu lassen.<br />
Der Gesetzgeber darf die gesetzliche Höchstfrist — bei aller gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit<br />
— nicht so großzügig ausrichten, dass der Beitragsschuldner dauerhaft im Unklaren<br />
darüber bleibt, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Vielmehr muss er in zumutbarer<br />
Zeit Klarheit darüber gewinnen können, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile<br />
durch Beiträge ausgleichen muss. 92 Jedenfalls eine Verjährungsdauer, die der gesamten<br />
durchschnittlichen Lebensspanne eines Menschen entspricht, wäre damit nicht vereinbar.<br />
Was das BVerfG im Detail als zumutbar ansieht, konkretisiert es nicht, begrenzt diesen Zeitraum<br />
nur vorsichtig durch Andeutungen:<br />
»Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er<br />
[s. c. der Gesetzgeber] die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen<br />
der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt.<br />
Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen<br />
Vorteilslage beginnen.«'<br />
Den Beginn einer Verjährung »Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vor-<br />
teilslage« 94 stuft das BVerfG damit als einseitige Lösung des Interessenkonflikts zulasten der<br />
• EuGH, Urt, v, 5.5.2011, C-201/10, 51g, 2011,1-3545, Rn. <strong>43</strong>.<br />
92 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 46.<br />
93 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 57 a. E.<br />
" Hervorhebung d. Verf.<br />
22
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
Beitragsschuldner' und damit als verfassungsrechtlich bedenklich ein. Das deutet darauf<br />
hin, dass eine Verjährungsfrist, die mehrere Dekaden einer Lebensspanne erfasst, in einen<br />
verfassungsrechtlich bedenklichen Grenzbereich vorstößt, der die berechtigte Erwartung einer<br />
Herstellung von Rechtsklarheit innerhalb »geraumer Zeit« grundsätzlich nicht mehr erfüllt.<br />
Darauf kann auch der Umstand hindeuten, dass in dem bayerischen Fall, über den das<br />
BVerfG entschieden hat, zwischen dem rückwirkenden Inkrafttreten der wirksamen Satzung<br />
und dem Beitragsbescheid 9 Jahre (bzw. zwischen der Herstellung der Vorteilslage und dem<br />
Beitragsbescheid 12 Jahre) verstrichen waren. Umgekehrt gibt das BVerfG in seiner Entscheidung<br />
auch zu erkennen, dass es eine Verlängerung der Festsetzungsfrist über einen<br />
Zeitraum von vier Jahren hinaus auch in den Fällen als verfassungsrechtlich unproblematisch<br />
erachtet, in denen sich eine Satzung als unwirksam erweist. 96<br />
Maßgeblich für die Zumutbarkeit der Frist ist ihre Auswirkung auf die Selbstbestimmung<br />
über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug. Das Gebot der Rechtssicherheit steht<br />
insoweit in engem Zusammenhang mit der Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit<br />
des Art. 2 Abs. 1 GG. Auf sie hebt das BVerfG bei seiner Entscheidung auch ab. 97<br />
Eine Zeitdauer von insgesamt 30 Jahren für die Geltendmachung einer Beitragsforderung<br />
nach Entstehen der Vorteilslage bewegt sich an der Grenze einer zumutbaren Erwartungsspanne.<br />
30 Jahre bilden den Zeitraum einer Generation. Heutigem mobilen Lebenszuschnitt<br />
entspricht es, dass Häuser oft nicht mehr über einen Zeitraum von 30 Jahren von ein und<br />
derselben Familie genutzt werden.' Wer im Alter von 30 Jahren ein Haus erworben hat,<br />
muss unter Zugrundelegung einer 30-jährigen Frist bis zur Geltendmachung des Beitragsanspruchs<br />
während nahezu seines gesamten Erwerbslebens mit einer Beitragserhebung rechnen.<br />
Dem berechtigten Bedürfnis des Bürgers nach Belastungsklarheit stehen neben den oben<br />
genannten Aspekten vor allem das Interesse der Rechtsgemeinschaft an Abgabengerechtigkeit<br />
und Belastungsgleichheit gegenüber, insbesondere das nachvollziehbare Verlangen der<br />
anderen Beitragsschuldner, die Lasten der Finanzierung nicht anstelle der nicht veranlagten<br />
Beitragsschuldner schultern müssen. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Aufgabenträger<br />
(nach der ab dem 1.2.2004 geltenden Rechtslage) davon ausgehen konnten, dass sie<br />
Beitragsschuldner - auch Altanschließer - noch lange Zeit nach Eintritt einer Vorteilslage in<br />
Anspruch nehmen, insbesondere unwirksame Satzungen durch Inkraftsetzen einer wirksamen<br />
Satzung heilen können, ohne den Beitragsanspruch zu verlieren. Es erweist sich als<br />
nicht völlig unangemessener Interessenausgleich, wenn der Gesetzgeber den kommunalen<br />
Aufgabenträgern die Möglichkeit eröffnet, nach dem für die bisherige Rechtspraxis und<br />
Rechtsprechung überraschenden Urteil des BVerfG noch offene Beitragsforderungen binnen<br />
knapper Frist durchzusetzen, die - wie sie der Gesetzesentwurf des Innenministeriums vorsieht<br />
- auch heute noch eine Geltendmachung der Forderungen möglich macht, und nach<br />
99 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 40: »Der Gesetzgeber hat damit den Ausgleich (...) in verfassungsrechtlich nicht mehr<br />
hinnehmbarer Weise einseitig zulasten der Beitragsschuldner entschieden.«<br />
96<br />
BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 50.<br />
97 BVerfG, Beschl. v. 5.3.2013, Rn. 40 f.<br />
98 Vgl. dazu und zu den rechtlichen Konsequenzen bereits Kämmerer/Martini, BauR 2007, 1337 (1346).<br />
23
Prof. Dr. Martini — Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen'<br />
Ablauf dieser Frist für die Zukunft eine Höchstfrist vorzusehen, die für die Betroffenen Beitragsschuldner<br />
Rechtssicherheit herstellt und für die betroffenen Aufgabenträger Handlungsdruck<br />
für die Beitragseinforderung aufbaut. Die im Gesetzesentwurf vorgesehene Frist<br />
erweist sich angesichts ihrer Länge als verfassungsrechtlich nicht ohne Risiko, aber auch<br />
nicht als klar verfassungswidrig.<br />
bb) Gleichheitssatz — Systemgerechtigkeit des Fristensystems<br />
Bisher blieb der Beitragsschuldner auf der Grundlage des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG sowohl hinsichtlich<br />
des »Ob« als auch des »Wie« der Beitragsforderung für unbestimmte Zeit im Unklaren<br />
darüber, wann und ggf. ob er noch zur Beitragszahlung herangezogen wird. Insbesondere<br />
blieb die entsprechende Forderung untituliert. Die Situation unterscheidet sich insoweit<br />
substanziell von den klassischen Fallkonstellationen, in denen der Gesetzgeber eine lange,<br />
insbesondere 30-jährige Verjährungsfrist anordnet. Eine lange 30-jährige Verjährungsfrist<br />
sieht das Recht für solche Ansprüche vor, deren Höhe feststeht und die bereits tituliert sind,<br />
insbesondere rechtskräftig festgestellte Ansprüche (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB), Ansprüche aus<br />
vollstreckbaren Vergleichen oder vollstreckbaren Urkunden (§ 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB). Insoweit<br />
stellen das öffentliche Recht wie das Zivilrecht ähnliche Wertungen an: Das Allgemeine<br />
Verwaltungsrecht kennt für bestandskräftige Verwaltungsakte eine Verjährungsfrist von 30<br />
Jahren (§ 53 Abs. 2 5. 1 VwVfG)<br />
Für andere Sachverhalte sieht der Gesetzgeber regelmäßig kürzere Verjährungsfristen vor.<br />
Dem liegt die gesetzgeberische Wertung zugrunde, dass der Pflichtige in diesen Fällen sich<br />
auf die Verpflichtung nicht ohne Weiteres einstellen kann. Insbesondere ist ihm die Höhe<br />
der Schuld nicht unbedingt bekannt. Diese muss vielmehr erst festgestellt werden. Daher<br />
verjährt der Anspruch auf Zahlung von Kosten nach dem Verwaltungskostengesetz des Bundes<br />
nach 3 Jahren, spätestens mit dem Ablauf des vierten Jahres nach der Entstehung (§ 20<br />
Abs. 1 S. 1 VwKostG). Ähnlich verjähren Ansprüche auf Zahlung bzw. Rückerstattung von Gerichtskosten<br />
regelmäßig innerhalb von vier Jahren (§ 5 Abs. 1 und 2 GKG; § 17 Abs. 1 und 2<br />
Kost(); § 8 Abs. 1 und 2 GVKostG).<br />
Im Sozialrecht beträgt die Verjährungsfrist regelmäßig vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres,<br />
in das ein bestimmtes Ereignis fällt (§ 45 Abs. 1 SGB I). Die Sozialgerichte wenden die<br />
sozialrechtliche Regelverjährungsfrist von vier Jahren auch dann an, wenn eine sozialrechtliche<br />
Vorschrift die Verjährungsfrage nicht ausdrücklich regelt.' Eine vierjährige Frist sieht<br />
der Gesetzgeber grundsätzlich auch für die Rückforderung von Schadensausgleichsleistungen<br />
vor (§ 349 Abs. 5 5. 4 und 5 des Lastenausgleichsgesetzes). w°<br />
Für Situationen, in denen — ähnlich wie im Falle der Altanschließer-Problematik — der rechtserhebliche<br />
Sachverhalt erst nach langer Zeit geklärt werden kann, sieht das Öffentliche Recht<br />
verlängerte Verjährungsfristen vor — so auch im Recht des Lastenausgleichs: Kommt der<br />
Verpflichtete einer Anzeigepflicht und der Verpflichtung, die zur Rückforderung erforderlichen<br />
Angaben zu machen, nicht nach, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre (§ 349 Abs. 5<br />
Lakkis, in: jurisPK-BGB, Band 1, 6. Aufl. 2012, Rn 19.<br />
1°° BVerwG, NVwZ-RR 2008, 732.<br />
24
'rof. Dr. Martini — Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
5. 4 des Lastenausgleichsgesetzes), Eine solche Regelung findet sich etwa in § 169 Abs. 2 5. 2<br />
AO. Danach beträgt die Festsetzungsfrist im Falle der Steuerhinterziehung zehn Jahre und im<br />
Falle der Steuerverkürzung fünf Jahre. In diesen Fällen können die Steuerbehörden den<br />
Steueranspruch zum einen nur unter erheblichen Schwierigkeiten feststellen und zum anderen<br />
ist der Anspruchsschuldner in diesen Fällen auch nicht schutzwürdig. lm Es handelt sich<br />
zwar um eine bundesrechtliche, nicht um eine landesrechtliche Norm. Sie kann aber als Wertung<br />
einen Anhaltspunkt für die Festsetzung der Frist bieten.<br />
Eine 30-jährige Verjährungsfrist oder ein sehr langer Zeitraum bis zur Vollendung der Verjährung<br />
ist insoweit im öffentlichen Recht keineswegs typisch. 1°2 Immerhin entnimmt aber<br />
das BVerwG der Rechtsordnung des öffentlichen Rechts, dass nach Ablauf von 30 Jahren<br />
einmal getroffene Regelungen keinesfalls mehr infrage gestellt werden dürfen.' Nach<br />
seiner Auffassung erfordern Rechtssicherheit und Rechtsfrieden eine Verjährung nach<br />
30 Jahren, lassen sie aber auch genügen. 104 In der 30-jährigen Verjährungsfrist des § 195<br />
BGB a. F. sieht das BVerwG »eine zutreffende Konkretisierung« der Gedanken von Rechtssicherheit<br />
und Rechtsfrieden »in Abwägung gegen den Grundsatz der gesetzmäßigen Verwaltung,<br />
der einer Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche widerstreitet« 105 . So sieht es etwa<br />
den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch des § 49a Abs. 2 VwVfG einer 30-<br />
jährigen Verjährungsfrist unterworfen.wa<br />
Wiewohl das BVerwG dem öffentlichen Recht regelmäßig eine 30-jährige Verjährung als<br />
Höchstfrist entnimmt, hielt das BVerfG in seinem Beschluss vom 5.3.2013 eine gesetzliche<br />
Regelung einer Höchstfrist für erforderlich. Das könnte einerseits heißen, dass dem BVerfG<br />
eine 30-jährige Verjährungsfrist für diese Fälle nicht mehr als zumutbare Erwartung einer<br />
rechtssicheren Frist erscheint. Wahrscheinlicher ist aber, dass das BVerfG eine gesetzliche<br />
Regelung, die (statt einer Verweisung auf eine unsichere und dem Wandel unterworfene<br />
Rechtsprechung) Vorhersehbarkeit schafft und mögliche Zweifel ausräumt, für geboten gehalten<br />
hat.<br />
Bei einem Vergleich der gesetzlich normierten Verjährungsvorschriften, insbesondere im<br />
brandenburgischen Recht (siehe Frage 10, S. 14 ff.), fällt auf, dass die dort festgesetzten Fristen<br />
sich zum Teil fühlbar unterhalb der Schwelle bewegen, die nunmehr für die Verjährung<br />
von Beitragsforderungen vorgesehen wird. Nicht nur ist der Unterschied gegenüber der 4-<br />
jährigen Festsetzungsfrist des Beitragsrechts hoch. Damit gehen für den Beitragsschuldner<br />
angesichts der Unberechenbarkeit der Satzungswidrigkeit hohe Unsicherheiten einher - Unsicherheiten,<br />
auf die er selbst keinen Einfluss hat. Auch die sonstigen Fristen des brandenburgischen<br />
Rechts, insbesondere des Kommunalabgabenrechts, bewegen sich regelmäßig<br />
zwischen fünf und zehn Jahren. Als Regelfrist für diejenigen Fälle, in denen die Geltendmachung<br />
eines Anspruchs unsicher ist, haben sich zehn Jahre etabliert (vgl. oben die Antwort<br />
auf Frage 10, S. 14). Dass der Steuerhinterzieher zehn Jahre nach seiner Tat nicht mehr zur<br />
1 °1 Guckelberger, Die Verjährung im öffentlichen Recht, S. 362.<br />
1° 2 So ausdrücklich Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, S. 361.<br />
103 BVerwGE 132, 324.<br />
104 BVerwGE 132, 324 = LKV 2009, 129 (130, Rn. 10); a. A. OVG Niedersachsen, KStZ 1970, 12 (13).<br />
1°5 BVerwG, LKV 2009, 129 (131, Rn. 13).<br />
106 BVerwGE 132, 324, Brr. 10.<br />
25
Prof. Dr. Martini — Stellungnahme «Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei A schlussbeiträgen'<br />
Steuerzahlung herangezogen werden kann, wohl aber der Beitragsschuldner nach § 8 Abs. 7<br />
S.2 BbgKAG, mag wie ein Wertungswiderspruch erscheinen. Aus dem Vergleich mit den<br />
sonstigen kurzen abgabenrechtlichen Verjährungsfristen, insbesondere der kurzen Verjährungsfrist<br />
für Steuern hat etwa das OVG Niedersachsen in einer Entscheidung über den Ersatz<br />
von Kosten für den Anschluss eines Grundstücks an die Kanalisation abgeleitet, dass<br />
»die Verjährungsfrist für Erstattungsansprüche oder öffentlich-rechtliche Leistungsentgelte«<br />
(...) »keinesfalls länger« als diese sein könne. 107 »Daraus, dass für alle abgabenrechtlichen<br />
Ansprüche eine erheblich kürzere Verjährungsfrist bestimmt worden ist«, ergebe sich, dass<br />
auch für Erstattungsansprüche oder öffentlich-rechtliche Leistungsentgelte eine 30-jährige<br />
Verjährungsfrist nicht rechtens sein könne.« 108 Das OVG Niedersachsen hat diese Überlegungen<br />
als Teil seiner Suche nach dem gesetzgeberischen Willen für solche Konstellationen<br />
entwickelt, in denen sich dem Gesetz keine ausdrückliche Frist entnehmen ließ. 109 Der Gesetzgeber<br />
ist — im Rahmen seiner Bindung an den Gleichheitssatz und das Gebot der Sachgerechtigkeit<br />
— in der Gestaltung seiner Verjährungsfristen freier. Zu berücksichtigen ist auch,<br />
dass es bei der Festlegung von Verjährungsfristen für Steuern einerseits und Kommunalabgaben<br />
andererseits unterschiedliche Legislativebenen — einmal der Bund, einmal das <strong>Land</strong> —<br />
zuständig sind, und damit unterschiedliche Fristen nicht notwendig einen Wertungswiderspruch<br />
eines Gesetzgebers begründen. Zum anderen hängt die Festsetzung einer Steuerschuld<br />
— anders als die Festsetzung einer Beitragsschuld — von dem Mitwirkungsbeitrag des<br />
Bürgers ab und unterliegt kürzeren Berechnungsintervallen als den Investitionszyklen des<br />
Anschlussbeitragsrechts.<br />
Die verjährungsrechtlichen Sachverhalte, die das landesrechtliche Kommunalabgabenrecht<br />
regelt, betreffen sehr unterschiedliche Konstellationen und sind insoweit nur bedingt miteinander<br />
vergleichbar. Ein konsistentes System verjährungsrechtlicher Fristsetzungen lässt<br />
sich dem brandenburgischen Recht nicht entnehmen (ebenso wenig wie dem Recht des<br />
Bundes). Zu unterschiedlich sind dafür die betroffenen Konstellationen und gesetzlichen Regelungsziele.<br />
Die abgabenrechtliche Beitragsfestsetzung von Anschlussbeiträgen zeichnet<br />
sich durch eine hohe Komplexität, eine Beitragsgemeinschaft der betroffenen Vorteilsempfänger,<br />
die als Kosten- und Verantwortungsgemeinschaft in besonderer Weise von der Erwartung<br />
an die Wahrung der Belastungsgleichheit getragen ist, und durch Rechtsunsicherheiten<br />
aus, die dadurch entstehen, dass die Beitragserhebung eine rechtswirksame Satzung<br />
voraussetzt. Das kann es rechtfertigen, Beitragsschulden einer längeren Verjährungsfrist als<br />
andere Sachverhalte zu unterwerfen. Die Praxis der brandenburgischen Beitragsfestsetzung<br />
in der Nachwendezeit hat insbesondere deutlich gemacht, wie schwierig es sein kann, durch<br />
rechtswirksame Satzungen Bürger an den durch öffentliche Einrichtungen geschaffenen Vorteilen<br />
zu beteiligen und Beitragsgerechtigkeit herzustellen.<br />
1" OVG Niedersachsen, KStZ, 1970, 12 (13).<br />
108 OVG Niedersachsen, KStZ, 1970, 12 (13).<br />
109 »Die Dauer der Verjährungsfrist für Ansprüche bestimmter Art festzulegen, muss dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.<br />
Es würde nicht mehr im Rahmen der den Gerichten gestellten Aufgabe liegen, durch Richterspruch Verjährungsfristen zu<br />
bestimmen. (...) Aus dem Zusammenhang der Bestimmungen eines Gesetzes, das sich zwar nicht unmittelbar mit einem<br />
Anspruch der erhobenen Art befasst, aber doch insgesamt gesehen einschlägig ist, kann sich vielmehr ergeben, dass eine<br />
Verjährungsfrist von so langer Dauer keinesfalls dem Willen des Gesetzgebers entsprechen kann«; OVG Niedersachsen,<br />
KStZ, 1970, 12 (13).<br />
26
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
Im Ergebnis sprechen gute Gründe dafür, dass die gesetzgeberische Anordnung einer 15-<br />
jährigen Verjährungsfrist im Verbund mit einer 10-jährigen Hemmungsdauer nicht als verfassungsrechtlich<br />
unvertretbarer Ausgleich der betroffenen Interessen anzusehen ist.<br />
Als verfassungsrechtlich nicht unproblematisch erweist sich dabei allerdings die Behandlung<br />
derjenigen Fälle, in denen auf der Grundlage der bis zum 31.1.2004 geltenden Rechtslage<br />
(die den Vorstellungen des BVerfG von einer verfassungskonformen Regelung entspricht) 110<br />
die erste wirksame Satzung rückwirkend in Kraft zu setzen und die Festsetzungsfrist deshalb<br />
bereits abgelaufen war bzw. wäre, weil der erste Satzungsversuch bereits mehr als vier Jahre<br />
zurück lag (dazu bereits im Einzelnen oben 2. a, S. 5 ff.). Die Anwendung des § 8 Abs. 7 S. 2<br />
n.F. BbgKAG und einer 25-jährigen »Schonfrist« für die Aufgabenträger auf diese Konstellation<br />
begründen zwar in den Fällen keine echte Rückwirkung, in denen bis zur Neuregelung des<br />
§ 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG noch keine wirksame Satzung existierte. Denn die Entstehung der Beitragspflicht<br />
setzt eine wirksame Satzung voraus. Nicht zuletzt hat das BVerfG hat dem Gesetzgeber<br />
in seiner Entscheidung vom 5.3.2013 insbesondere auch grundsätzlich die Möglichkeit<br />
zugestanden, die Festsetzungsfrist in den Fällen zu verlängern, in denen eine Satzung<br />
rückwirkend in Kraft gesetzt wird.'<br />
Soweit auf der Grundlage einer alten Rechtslage die Forderung aber deshalb nicht mehr<br />
durchsetzbar war, weil der erste Satzungsversuch mehr als vier Jahre zurücklag, rückt der<br />
Gesetzgeber damit in eine verfassungsrechtlich problematische Zone vor. Um die Geltendmachung<br />
der Forderung nachträglich zuzulassen, muss der Gesetzgeber besonders hohe Anforderungen<br />
erfüllen, die die Zulässigkeit der Beitragserhebung noch rechtfertigen. Nachdem<br />
die Regelung des § 8 Abs. 2 5. 7 a. F. BbgKAG eine verfassungskonforme Gestaltung vorgesehen<br />
hat, die dem Gedanken der Belastungsgleichheit und -vorhersehbarkeit - anders als<br />
die heutige Rechtslage - Rechnung trägt, lassen sich nicht ohne Weiteres Sachgründe finden,<br />
die eine heutige Beitragserhebung und die damit einhergehende unechte Rückwirkung<br />
rechtfertigen. Aus der Perspektive des Bürgers kommt die Geltendmachung von Forderungen<br />
in seinem Fall in ihrer grundrechtlichen Wirkung sowie in dem Bruch von Vertrauen einer<br />
echten Rückwirkung gleich. 112 Das Verfassungsgericht des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> hat die<br />
Verfassungsmäßigkeit des § 8 Abs. 7 S. 2 n.F. BbgKAG noch bejaht und seine Anwendung auf<br />
Fallgestaltungen, in denen der erste Satzungsversuch vor dem Jahr 2000 gelegen hat, sich<br />
die Satzung aber als nicht wirksam erwiesen hat, für verfassungsrechtlich zulässig erklärt. 113<br />
Das verfassungsrechtliche Risiko, dass das BVerfG eine Geltendmachung von Beitragsforderungen<br />
in diesen Fällen als mit der Verfassung nicht vereinbar einstuft, ist als nicht gering<br />
einzuschätzen. Soll dieses Risikopotenzial und die damit verbundene Unsicherheit vermieden<br />
zu werden, empfiehlt es sich, diese Fälle von einer Durchsetzung noch offener Forderungen<br />
auszunehmen (vgl. dazu bereits im Einzelnen oben 2. a, S. 5 ff.).<br />
11° BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 50.<br />
BVerfG, Beschluss vom 5.3.2013, Rn. 50.<br />
112<br />
Vgl. oben S. 9.<br />
113 VfGBbg, Beschl. v. 21.9.2011 — 46/11.<br />
27
Prof. Dr. Martini - Stellungnahme „Zeitliche Obergrenze für einen Vorteilsausgleich bei Anschlussbeiträgen"<br />
12. Halten Sie den Vorschlag einer so genannten Ablaufhemmung von 10 Jahren<br />
bis zum 3.10.2000 für angemessen, welche anderen Zeiträume sind aus<br />
Ihrer Sicht ebenso angemessen? Welche praktischen Auswirkungen sind damit<br />
verbunden?<br />
Grundsätzlich ja. Eine Hemmung der Verjährung ordnet der Gesetzgeber regelmäßig dann<br />
an, wenn die notwendigen Handlungen für die Durchsetzung eines grundsätzlich bestehenden<br />
Anspruchs wegen bestimmter, typischerweise verschuldensunabhängiger Umstände<br />
nicht vorgenommen werden können. Der Gesetzgeber nimmt damit Rücksicht auf ihm nicht<br />
zurechenbare Umstände, die den Anspruchsinhaber eine Geltendmachung seiner Forderung<br />
erschweren. Die Hemmung soll praktische Konkordanz zwischen dem sich aus dem Rechtsstaatsprinzip<br />
ergebenden Gedanken der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit<br />
herstellen.' Klassischer Hemmungsgrund ist die Hinderung an der Rechtsverfolgung<br />
»durch höhere Gewalt« (vgl. § 206 BGB) sowie der Stillstand der Rechtspflege. Die Hemmung<br />
schiebt den weiteren Lauf der Frist auf; die Unterbrechung setzt eine neue Frist in Gang.<br />
In <strong>Brandenburg</strong> war lange Zeit ungeklärt, ob zu DDR-Zeiten an zentrale Ver- oder Entsorgungseinrichtungen<br />
angeschlossene Grundstücke (so genannte Altanschließer) zur Herstellungsbeiträgen<br />
auf der Grundlage des KAG herangezogen werden können. 115 Die Gründung<br />
der Aufgabenträger und der Erlass wirksamer Satzungen hat sich darüber hinaus als ein außerordentlich<br />
schwieriger, mit vielen Rechtsunsicherheiten und Ungültigerklärungen verbundener<br />
Prozess erwiesen. Auch das Innenministerium des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> sowie<br />
zahlreiche Aufgabenträger haben über einen längeren Zeitraum die Ansicht vertreten, alt<br />
angeschlossene Grundstücke seien nicht zu einem erstmaligen Herstellungsbeitrag heranzuziehen.<br />
116 Erst in seinem Urt. v. 5.12.2001 — 2 A 611/00 — hat das OVG <strong>Brandenburg</strong> die<br />
rechtliche Zulässigkeit einer Heranziehung der Altanschließer bejaht und damit Rechtssicherheit<br />
geschaffen.<br />
Dass die Möglichkeit zur Heranziehung von Altanschließern in <strong>Brandenburg</strong> zuvor über lange<br />
Jahre nicht abschließend in rechtssicherer Weise geklärt war, fällt grundsätzlich in die Risikound<br />
Verantwortungssphäre des Staates und seiner Aufgabenträger. Typischerweise<br />
schließt jedes auch geringe eigene Verschulden die Möglichkeit zur Berufung auf einen<br />
Hemmungstatbestand, insbesondere etwa die »höhere Gewalt« aus. Allerdings kommt dem<br />
Gesetzgeber bei der Festlegung der Verjährungsfristen und ihrer Gestaltung ein weiter Spielraum<br />
zu; er ist bei der Festlegung von Hemmungsfristen insbesondere nicht an bekannte<br />
Rechtsfiguren gebunden — solange er insgesamt sicherstellt, dass er den Gedanken der<br />
Rechtssicherheit und dem berechtigten Vertrauen Betroffener insgesamt angemessen Rechnung<br />
trägt (vgl. dazu die Antwort auf Frage 11, S. 17 ff.).<br />
114 Guckelberger, Die Verjährung im Öffentlichen Recht, 2004, 5. 387.<br />
115 In diesem Sinne ausdrücklich etwa OVG <strong>Brandenburg</strong>, LKV 2008, 369 (372).<br />
116 Schmidt-Wottrich, LKV 2008, 355 (355).<br />
28
Prof. Dr. Martini Stellungnahme ,Zettliche Obergrenze für einen Vortedsausglerch bei Anschlussbeiträgen'<br />
Eine Verjährungshemmung hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 5.3.2013 grundsätzlich<br />
ausdrücklich als einen der Wege bezeichnet, auf denen der Gesetzgeber eine mit dem<br />
Rechtsstaatsprinzip vereinbare Lösung herstellen kann'''.<br />
117 BVerfG, a. a. 0., Rn. 50.<br />
29
Anlage 3<br />
ZEUTSCHEL & SCHRÖDER<br />
Rechtsanwälte<br />
EINGEGANGEN<br />
2 2. MAI 2013IS-A<br />
Erledigt: lb"<br />
--<br />
RAe Zeutschel & Schröder Dortustraße 27 14467 Potsdam<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausschuss für Inneres<br />
Am Havelblick 8<br />
14473 Potsdam<br />
Ingo Zeutschel<br />
Rechtsanwalt<br />
Thomas Schröder<br />
Rechtsanwalt<br />
Dortustraße 27<br />
14467 Potsdam<br />
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Anhörung zur Regelung einer zeitlichen<br />
Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />
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17.05.2013<br />
1328-11<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
bitte steh angeben<br />
sehr geehrte Frau Stark,<br />
ich bestätige meine Teilnahme bei der oben genannten Anhörung und<br />
übersende in der Anlage meine schriftliche Stellungnahme.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
go<br />
7(3<br />
eutschel<br />
Rechtsanwalt<br />
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I.J5t-id Nr. DE 212619939
Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 2 von 9<br />
Stellungnahme<br />
Die zentrale Aussage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom<br />
5. März 2013 lautet, Rechtssicherheit gehe dem Fiskalinteresse vor. Diese Aussage ist der<br />
vollkommene Gegensatz zu den Grundsätzen des Beschlusses des <strong>Brandenburg</strong>ischen<br />
Verfassungsgerichts vom September 2012, wonach der Bürger gegenüber Fiskalinteressen, sofern sie<br />
auf einem wirtschaftlichen Vorteil zurückzuführen sind, nicht schutzwürdig sein könne. Die<br />
Verjährung — so das Bundesverfassungsgericht — könne nach gegenwärtiger Rechtslage „unter<br />
Umständen erst Jahrzehnte" nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen, was<br />
mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit unvereinbar sei. Die Entscheidung ist auf <strong>Brandenburg</strong><br />
übertragbar. § 8 Abs. 7 Satz 2 des <strong>Brandenburg</strong>ischen KAG knüpft den Beginn der Verjährungsfrist an<br />
den Erlass einer rechtswirksamen Satzung. Nach gegenwärtiger Regelung steht es auch in<br />
<strong>Brandenburg</strong> im Belieben des jeweiligen Satzungsgebers, wann die Festsetzungsfrist letztlich beginnt.<br />
Die Unterschiede in den bayerischen und brandenburgischen Regelungen sind gering. Gleichsam ist<br />
den Regelungen, dass der Bürger nicht absehen kann, ob noch mit einer Beitragsfestsetzung zu<br />
rechnen ist.<br />
Es besteht Änderungsbedarf. Nimmt man es mit der Rechtsstaatlichkeit in der <strong>Land</strong>esverfassung ernst,<br />
(Art 2 Abs. 1 <strong>Land</strong>esverfassung <strong>Brandenburg</strong>) können die gegenwärtigen Regelungen des<br />
brandenburgischen KAG nicht Grundlage des derzeitigen Verwaltungshandelns sein. Befremdlich ist,<br />
dass aus dem Ministerium des Innern heraus dennoch die Aufgabenträger aufgerufen wurden, zu<br />
handeln und Bescheide zu versenden. Rechtssicherheit ist stets vor weiterem Verwaltungshandeln<br />
herzustellen. In jedem Fall müssen weitere — möglicherweise — rechtswidrige Verbescheidungen<br />
unterbleiben, anstatt seitens des Ministeriums des Innern dazu aufgefordert wird.<br />
Die von der <strong>Land</strong>esregierung vorgeschlagenen Festlegungen von Verjährungshöchstfristen<br />
verursachen einen hohen Begründungsaufwand des Gesetzgebers. Auch die Festlegung einer<br />
Verjährungshemmung verursacht einen enormen Begründungsaufwand.
Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 3 von 9<br />
Nicht alles wird sich mit der deutschen Einheit begründen lassen, vor allem wenn der<br />
brandenburgische Gesetzgeber ein Gesetz erlassen will, dass für einen langen Zeitraum u. a. auch<br />
Fallgestaltungen abdeckt, wie sie dem vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelten bayerischen<br />
Fall zugrunde gelegen haben. Gerechter wäre eine Regelung, die dem, was die Satzungsgeber<br />
ursprünglich vorhatten, am nächsten kommt. Der völlig willkürlichen Nennung von Jahreszahlen,<br />
(10 Jahre Hemmung + 15 Jahre Verjährung oder 10 + 20) die unter Umständen wieder nur eine<br />
jahrzehntelange Rechtsunsicherheit hinterlassen, ist eine Regelung vorzuziehen, wonach die<br />
„heilende" Satzung zurückwirkt auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der<br />
ursprünglichen nichtigen Satzung, mithin der Lauf der Verjährung mit deren vorgesehenen<br />
Inkrafttreten übereinstimmt.<br />
Die vorgenannte Regelung macht das Ende der Heranziehung zu einer Beitragszahlung durchaus zu<br />
einer vorhersehbaren Größe.<br />
Die derzeitige Regelung im brandenburgischen KAC ist verfassungswidrig, weil der Grundsatz der<br />
Rechtssicherheit verletzt ist. Hinzu kommt die juristisch abenteuerliche Konstruktion, nach der<br />
deutschen Einheit habe man mit der erstmaligen Herstellung einer Anlage begonnen und diese<br />
erstmalige Herstellung sei in den Verbandsgebieten noch nicht einmal abgeschlossen. Damit meint<br />
man die Wasser- und Abwasserkonzeptionen der Verbände, welche für die Zukunft eher<br />
Darstellungen von Entwicklungsmöglichkeiten sein sollten. Im WAZV Mittelgraben z.B. (Nuthetal —<br />
Michendorf) sieht eine solche vor Jahren aufgestellte Konzeption den Bau von Leitungen zum<br />
entlegenen Ortsteil Tremsdorf vor. Niemand hat aber wirklich vor, die dafür erforderlichen<br />
kilometerlangen Leitungen zu bauen, zumal das Umweltministerium für die Zukunft eher zu<br />
dezentralen Lösungen rät. Das Ministerium des Innern würde in diesem Fall wohl von einer nicht<br />
fertig gestellten Anlage sprechen, tatsächlich handelt es sich um nicht zu realisierende Vorstellungen,<br />
die nicht einmal den Charakter einer Planung haben.<br />
Wenn das Ministerium des Innern mit landesweit nicht fertiggestellten Anlagen argumentiert,<br />
weshalb konnte dann seit Jahrzehnten Abwasser abgeleitet und geklärt in die Gewässer entlassen<br />
werden?
Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 4 von 9<br />
Sofern der Gesetzentwurf der <strong>Land</strong>esregierung eine Verjährungshemmung vorsieht, welche mit der<br />
Sondersituation nach der deutschen Einheit begründet wird, ist bisher nicht schlüssig dargetan,<br />
welche Hemmnisse wirklich maßgebend gewesen sein sollen.<br />
Andere Vorschläge für eine zeitliche Begrenzung nach der Entscheidung des<br />
Bundesverfassungsgerichts sind, wie bereits ausgeführt, nicht praktikabel. Sehr lange Fristen, die das<br />
Altanschließerproblem noch mit einbeziehen würden, sind nicht verfassungsgemäß. Solche langen<br />
Fristen — etwa 10, 20 oder gar 30 Jahre — können nicht begründet werden. Resultierend aus der<br />
deutschen Einheit kann ebenfalls keine Begründung stattfinden, weil es nicht zu erklären ist, weshalb<br />
im Straßenausbau Verbesserungsbeiträge seit Beginn der 90er Jahre professionell von den<br />
Aufgabenträgern erhoben werden, von den Aufgabenträgern des Wasser- und Abwasserrechts bis<br />
zum Urteil des OVG <strong>Brandenburg</strong> im Jahr 2001 keine ernsthaften Versuche unternommen wurden,<br />
sich dieser Thematik zu nähern.<br />
Der Vorschlag einer Ablaufhemmung von 10 Jahren ist nicht angemessen, weil er fälschlich einen<br />
Zusammenhang zwischen später Beitragserhebung und deutscher Einheit suggeriert. Die fehlende<br />
Erhebung von Verbesserungsbeiträgen bei Altanschließern hatte indes nichts mit der Deutschen<br />
Einheit zu tun. Man wollte es nicht bzw. hat es schlicht vergessen. Keinerlei Widrigkeiten,<br />
resultierend aus der deutschen Einheit, können herangeführt werden, um dieses Versäumnis zu<br />
begründen. Wie im Westen in den 80er Jahren hat man Anlagen geplant, man hätte die<br />
Verbesserungen in Verbesserungsbeitragssatzungen beschreiben und den Verbesserungsaufwand<br />
erheben können.<br />
Die von der geplanten Festsetzung betroffenen Grundstücke z.B. im Verbandsgebiet des WAZV<br />
Mittelgraben, wo der Unterzeichner die Vertretung einer Bürgerinitiative von Altanschließern<br />
übernommen hat, ist der Vorteil mit dem Anschluss eingetreten, mithin ab 1930. Die „Nachwende"-<br />
Investitionen konzentrieren sich auf die Jahre 1995 — 2000 und sind eher geringfügig. Sie sind<br />
sachverständig mit 0,47 Euro/ qm bewertet worden. Dem steht der vom Aufgabenträger auch für<br />
Altanschließer begehrte Beitrag für Neuanschlüsse von 3,79 Euro/ qm entgegen. Die Altanschließer<br />
würden hier mehr als 3,00 Euro/ qm für etwas zahlen, was sie unstreitig nicht erhalten haben, ihrer<br />
Zahlung stünde in dieser Höhe keine adäquate Gegenleistung gegenüber.
Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 5 von 9<br />
Wenn die <strong>Land</strong>esregierung Gerechtigkeitserwägungen in die Debatte um die Heranziehung der<br />
Altanschließer heranführt, möge berücksichtigt werden, dass in sämtlichen Verbandsgebieten der<br />
Aufwand, der auf die Altanschließergrundstücke angefallen ist, den ihnen in fast allen Fällen<br />
abgeforderten global kalkulierten Beitrag für Neuanschlüsse nicht erreicht. Den Altanschließern wird<br />
so ein Sonderbeitrag abgerungen und der Gerechtigkeitsgedanke tritt in den Hintergrund.<br />
Wie bereits dargestellt, hat es Lösungsmöglichkeiten im Rahmen des Verbesserungsbeitragsrechts —<br />
gegeben .<br />
Beispiel:<br />
Ein Verband beschließt den Neubau eines Klärwerkes. Er lässt planen, in finanzieller und technischer<br />
Hinsicht. Sodann wird der Verbesserungsaufwand für jedes angeschlossene Grundstück ermittelt und<br />
in einer Verbesserungsbeitragssatzung der konkrete Aufwand beschrieben und danach auch erhoben.<br />
An der Anwendung dieses im Westen Deutschlands gängigen Procederes bereits zu Beginn der 90er<br />
Jahre, insbesondere 1 995 — 2000 wie in unserem Verbandsgebiet, war niemand gehindert.<br />
Wenn verschiedentlich auf ein etwa gestörtes Rechtsempfinden der Menschen vor Ort hingewiesen<br />
wird, wenn eine Gruppe von Beitragsschuldnern privilegiert würde, weil sie nicht mehr zahlen muss,<br />
soweit folgendes:<br />
Unter dieser Gruppe der angeblich privilegierten befinden sich die Erben und Rechtsnachfolger von<br />
Bauherren der Fertigstellungsjahrgänge 1930 und später. Diese haben damals die Ihnen in Rechnung<br />
gestellten Kosten für die Herstellung der Anschlüsse in der jeweils geltenden Währung beglichen.<br />
Weshalb sollte man Sie privilegiert nennen? Mit ihren Wasser — und Abgabengebühren waren Sie seit<br />
Jahrzehnten ebenso eine Finanzierungsgrundlage für Reparaturen und Investitionen, wie die<br />
Neuanschließer. Das Rechtsempfinden ist wohl eher durch die Inanspruchnahme dieser langjährig<br />
angeschlossen Haushalte gestört und dies nicht nur bei den Altanschließern.<br />
Folgender Fall:<br />
Stellen Sie sich einen Stuttgarter Rentner vor. Er hat das Einfamilienhaus von seinem Vater geerbt,<br />
der es 1930 erbaute.
Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 6 von 9<br />
Nun erhält er im Jahre 2013 einen Bescheid über eine Herstellungsgebühr mit der Begründung, die<br />
Investitionen um das Jahr 1990 herum, als von mechanischer auf vollbiologische Klärung umgestellt<br />
wurde, hätten den Anschluss zu einem quasi neu hergestellten Anspruch werden lassen. Dieser<br />
Bescheid würde dort allenfalls für Belustigung und Kopfschütteln sorgen. Vielleicht würde man nach<br />
einer versteckten Kamera suchen oder an einen Streich denken.<br />
Wenn von der Notwendigkeit, im Falle der Nichtberücksichtigung von Altanschließern<br />
Rückzahlungen an Neuanschließer vornehmen zu müssen, gesprochen wird, soweit folgendes:<br />
Es gibt keinen Grund für Rückzahlungen. Der Zahlungsforderung steht eine adäquate Leistung<br />
gegenüber. Altanschließer hatten einen Anschluss. Das man Sie für Verbesserungen nicht<br />
herangezogen hat, ist deren Schuld nicht. Gegenüber dem Fiskalinteresse, in der Verbesserung der<br />
Anlagen im Osten nun noch einen beitragsfähigen Aufwand zu sehen und diesen festzusetzen, geht<br />
die Rechtssicherheit vor, so dass Bundesverfassungsgericht.<br />
Die Gruppe der Altanschließer zahlt, wie bereits dargetan, seit vielen Jahren Gebühren. Sie entzieht<br />
sich somit nicht aus der Verantwortung für die Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen.<br />
Soweit seitens der Aufgabenträger und seitens der <strong>Land</strong>esregierung mögliche Einnahmeausfälle<br />
beklagt oder befürchtet werden, soweit Altanschließer nicht herangezogen werden, folgendes:<br />
Einnahmeausfälle sind nicht entstanden, weil nur ausfallen kann, womit geplant und gerechnet<br />
wurde und worauf ein Anspruch bestand. Ein Anspruch ist nie entstanden, weil Verbesserungen am<br />
Netz nicht — wie bereits ausgeführt — in Verbesserungsbeitragssatzungen mündeten. Mit den<br />
Altanschließerbeiträgen haben die Aufgabenträger nie gerechnet. Die Urteile der<br />
Oberverwaltungsgerichte waren für sämtliche Beteiligten überraschend. Im Ergebnis stellt sich die<br />
Frage nach Einnahmeausfällen nicht.<br />
Im Bereich des WAZV Mittelgraben bestand bis zuletzt eine hohe Bereitschaft zur Zahlung von<br />
Beiträgen nach differenzierter Berechnung, somit der Investitionen, in deren Genuss die<br />
Altanschließer tatsächlich gekommen sind. Diese Investitionen waren hier sachverständig mit<br />
0,47 Euro/ qm ermittelt worden.
Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 7 von 9<br />
Stattdessen wurde vom Innenministerium die rasche Liquidation des global kalkulierten Beitrages von<br />
3,79 Euro/ qm bei allen Altanschließern gefordert. Gleichzeitig wurde behauptet, die Erhebung von<br />
Beiträgen nach differenzierter Berechnung berge Rechtsrisiken, man möge davon absehen. Wo<br />
sollen diese Rechtsrisiken liegen? Im Bereich des Verbandes Nuthe — Nieplitz wurde nach<br />
differenzierter Berechnung verbeschieden, also tatsächlich nur das festgesetzt, was den<br />
Altanschließern zugutegekommen ist. Selbstverständlich ist dies viel weniger, als bei Anwendung der<br />
globalen Kalkulation. Im Bereich des genannten Verbandes herrscht jedoch Rechtsfrieden. Niemand<br />
fühlt sich benachteiligt oder bevorteilt.<br />
In einer grundsätzlichen und alleinigen Anwendung der differenzierten Berechnung gern. § 8 Abs. 4a<br />
KAG liegt möglicherweise eine Lösungsmöglichkeit für das Grundproblem. Nach bisheriger Regelung<br />
ist es den Aufgabenträgern freigestellt, sich hinsichtlich der altangeschlossenen Grundstücke für eine<br />
Anwendung der Globalkalkulation — bedeutet Heranziehung wie ein Neuanschließer — oder für eine<br />
differenzierte Berechnung zu entscheiden, die eine Festsetzung allein auf der Grundlage der den<br />
altangeschlossenen Grundstücke zugeflossenen Vorteils erlaubt. Die Aufgabenträger sahen<br />
nachfolgend Ihre Aufgabe in der maximalen Ausschöpfung ihrer finanziellen Möglichkeiten mit dem<br />
Ergebnis, dass die differenzierte Berechnung kaum angewendet wurde. Würde man die<br />
Heranziehung nach differenzierter Berechnung jetzt gesetzlich als alleinige Möglichkeit vorgeben,<br />
altangeschlossene Grundstücke noch heranziehen zu können, wären Streitigkeiten innerhalb der<br />
Verbände genauso vermieden wie eine Spaltung der Bürgerschaft in Neuanschließer und<br />
Altanschließer<br />
Soweit verschiedentlich behauptet wird, dass es unter bestimmten Umständen dazu kommen kann,<br />
dass die Bürgermeister und Verbandsvorsteher persönlich für die nicht realisierten<br />
Beitragseinnahmen haften müssen, soweit folgendes:<br />
Es besteht keine Gefahr der Haftung, weil kein Anspruch bestand, besteht, nichts ausgefallen ist und<br />
deshalb auch keinem Aufgabenträger etwas entgangen ist.
Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 8 von 9<br />
Die von der <strong>Land</strong>esregierung geforderte Fortsetzung der Beitragserhebung ist umgehend einzustellen.<br />
Da über alle Lager hinweg Einigkeit darüber besteht, dass die derzeitige hier in Rede stehende<br />
Regelung im brandenburgischen Kommunalabgabengesetz verfassungswidrig ist, darf, auch seitens<br />
der <strong>Land</strong>esregierung nicht, kein Aufruf zu verfassungswidrigem Verwaltungshandeln erfolgen.<br />
Verwaltungshandeln sollte dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit folgen. Das Ministerium des Innern<br />
mag auf eine spätere Legitimation durch den Gesetzgeber hoffen, mag sie sogar erwarten. Aber zum<br />
Zeitpunkt des Verwaltungshandelns muss eine Legitimation vorliegen, dies entspricht dem Grundsatz<br />
der Rechtmäßigkeit der Verwaltung.<br />
Es empfiehlt sich zudem noch, aus folgenden Gründen von der Beitragserhebung abzuraten:<br />
Verbeschiedene Beiträge, gleich, ob eingenommene oder nicht, müssen in die Kalkulation des<br />
Verbandes einfließen. Selbst wenn also diese Beiträge im Streit stehen bzw. sogar zurückgezahlt<br />
werden müssen, sind sie für einen bestimmten Zeitraum in der Kalkulation als vorhandene Mittel<br />
einzustellen. Das wirkt sich bei späterer Rücknahme der Bescheide nachteilig aus.<br />
Verschiedentlich wird gefordert, das Beitragsmodell bei den Wasser- und Abwasseranschlüssen auf<br />
ein reines Gebührenmodell umzustellen. Wenn aber Neuanschließer Anschlusskosten zahlen und im<br />
Übrigen wesentliche Verbesserungen über Verbesserungsbeiträge eingefordert werden, kann die<br />
jahrelange Übung beibehalten bleiben. Der Fehler lag in der Vergangenheit im Versäumnis, nicht im<br />
System.<br />
Sofern der Gesetzgeber den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften und deren<br />
Unternehmen durch Gesetz vorschreiben will, generell keine Beiträge mehr zu erheben, sondern<br />
den Investitionsaufwand in die Gebührenkalkulation einbeziehen, wäre aber auch eine solche<br />
Regelung zulässig und durchsetzbar; indes nur für den künftigen Investitionsaufwand, nicht aber den<br />
bereits bewältigten Aufwand.<br />
Zusammenfassend:<br />
Es gibt keine gerichtsfeste Obergrenzenregelung für die Verjährungsfrist im KAG, die die<br />
Heranziehung der Altanschließer noch ermöglicht.
Rechtsanwälte Zeutschel & Schröder 17.05.13 Seite 9 von 9<br />
Sollte sich eine Heranziehung noch als verfassungsgemäß erweisen, könnte eine grundsätzliche<br />
Festlegung, nur differenziert abrechnen zu dürfen, eine gute Möglichkeit sein, um Rechtsfrieden und<br />
Rechtssicherheit herzustellen. Die Beitragsfestsetzung würde dann in die Nähe dessen rücken, was<br />
durch die Erhebung von Verbesserungsbeiträgen hätte generiert werden können.<br />
Rechtsanwalt Ingo Zeutschel<br />
für die Initiativgruppe Altanschließer Nuthetal
ZARZYCKT & HORNAUF<br />
Anlage if<br />
RECHTSANWÄLTE<br />
Zarzycki & Hornauf • Bachgasse 2 • 15230 Frankfurt (0.)<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
— Ausschuß für Inneres —<br />
z. Hd. der Vorsitzenden<br />
Frau Britta Stark<br />
Am Havelblick 8<br />
14473 Potsdam<br />
— vorab per E-Mail —<br />
Unser Zeichen: V-allg Ho/Schl<br />
Bei Zuschriften und Zahlungen bitte angeben<br />
EINGEGANGEN<br />
2 2• MAI 201315-22<br />
ErIedigt :_kijet ri4y1ILQ4)<br />
Frankfurt (0.), 21,05.2013<br />
Innenausschuß1 gdoc<br />
Anhörung zum 6. Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />
für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> am 23.05.2013,<br />
Ihr Schreiben vom 07.05.2013<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />
in der vb. Angelegenheit danke ich für die Einladung zur Anhörung<br />
am 23.05.2013 und übermittele Ihnen vorab die gewünschte Stellungnahme.<br />
Bevor ich jedoch zur Beantwortung des Fragenkatalogs komme,<br />
gestatten Sie mir bitte eine einleitende Bemerkung.<br />
Anlaß der Formulierungshilfe des MI zur Regelung einer zeitlichen<br />
Obergrenze zum Vorteilsausgleich im BbgKAG<br />
Anlaß der nunmehrigen Diskussion ist die Entscheidung des BVerfG<br />
vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08. Aus diesem Beschluß wird die —<br />
allerdings rein politisch motivierte — grundlegend unzutreffende Annahme<br />
hergeleitet, daß für das <strong>Brandenburg</strong>ische Kommunalabgabengesetz<br />
ein (vermeintlicher) Ergänzungsbedarf durch (erstmalige) Einführung<br />
einer zeitlichen Obergrenze für die Beitragserhebung besteht.<br />
Diese Annahme ist unzutreffend, da sich die <strong>Brandenburg</strong>er Rechtslage<br />
von den Besonderheiten des Bayrischen Kommunalabgabengesetzes<br />
(BayKAG), die offenkundig allein zur Entscheidung des BVerfG<br />
führten, wesentlich unterscheidet und die Vorschriften der §§ 8, 12<br />
BbgKAG bereits eine solche „Obergrenze" beinhalten. Zwar kann<br />
man bei bloßer Lektüre des Leitsatzes der Entscheidung des BVerfG<br />
durchaus einen Handlungsbedarf für <strong>Brandenburg</strong> annehmen; bei<br />
Auswertung der vollständigen Entscheidungsgründe und einem entsprechenden<br />
Rechtsvergleich wird dies aber klar widerlegt.<br />
FRANKFURT (ODER)<br />
Bachgasse 2<br />
15230 Frankfurt (Oder)<br />
Telefon: 03 35 / 56 53 40<br />
Telefax: 03 35 / 32 21 67<br />
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Internet www.hornauf.de<br />
E Mail frankfurehornauEde<br />
RA SVEN HORNAUF<br />
Verwaltungsrecht<br />
/& Kommrmalrr Satzungs- u. Abgabenrecht<br />
RAin ANNEDORE MEIßNER<br />
Familien- u. Erbrecht<br />
Arbeitsrecht<br />
RA ANSGAR ROEDER<br />
Lehrbeauftragter der Europa-Universität<br />
Strafrecht<br />
Presserecht<br />
Vertragsrecht<br />
RA u. Mediator BERND SCHUTZA<br />
Strafrecht<br />
Ordnungswidrigkeitenrecht<br />
Verwaltungsrecht<br />
RAM ANTJE GROTH-SIMONIDES<br />
Arbeits- u. Sozialrecht<br />
Recht der Kindereinrichtungen<br />
RAin BIANCA HORNAUE<br />
Kommunales Satzungs- u. Abgabenrecht<br />
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Zivilrecht<br />
RA MATTHIAS SIMONIDES<br />
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Umweltrecht<br />
Kommunales Satzungs- u. Abgabenrecht<br />
RAin KATJA HERRLICI I<br />
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Verwaltungsrecht<br />
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Verwaltungsrecht<br />
Kommunales Satzungs-u. Abgabenrecht<br />
RAM ANJA SEL13-SOSTARIC, M.E.S.<br />
Öffentliches und privates Baurecht<br />
Vertragsrecht<br />
Verwaltungsrecht<br />
POTSDAM<br />
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E-Mail: poixclam@homauf de<br />
RA Ing. Ing. WOLFGANG ZARZYCKI<br />
Privatdozent Architekten- und Baurecht<br />
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Verkehrszecbt<br />
Vertragsrecht<br />
RA RALF scHör-siu<br />
Öffentliches la. privates Baurecht<br />
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Sozialrecht<br />
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Arbeitsrecht<br />
St.-Nr.: 061/233/00813<br />
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Soweit die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> mit den Normierungen des BayKAG übereinstimmt, hat<br />
das BVerfG die Rechtslage in Bayern ausdrücklich als verfassungsgemäß bekräftigt. Das BVerfG<br />
verlangt indes Regelungen, „... die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich<br />
unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können." Damit soll der Beitragsschuldner<br />
„... irgendwann Klarheit ... erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem<br />
Beitrag herangezogen werden kann.". Im Einzelnen:<br />
1. Das BVerfG hat in der vz. Entscheidung allein die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b)<br />
cc), 2. Spiegelstrich BayKAG für verfassungswidrig erachtet. Diese Regelung lautet:<br />
"Art. 13,<br />
cc) § 170 Abs. I AO mit der Maßgabe ...<br />
— dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres<br />
zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekanntgemacht worden ist."<br />
Diese Vorschrift existiert in <strong>Brandenburg</strong> nicht. Vielmehr gilt bei uns über § 12 Abs. 1 Nr. 4 lit.<br />
b) BbgKAG der §§ 169, 170 Abs. 1 AO uneingeschränkt, d.h. die Verjährung läuft immer an dem<br />
Ende des Jahres los, in dem die sachliche Beitragspflicht entstanden ist und dauert immer 4 Jahre<br />
(§ 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG i.V.m. §§ 169, 170 Abs. 1 AO).<br />
2. Der zweite wesentliche Unterschied liegt in der Person des Beitragspflichtigen begründet. In<br />
<strong>Brandenburg</strong> ist immer nur derjenige beitragspflichtig, der zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des<br />
Beitragsbescheides — also immer nur aktuell — als Eigentümer (Erbbaupflichtiger oder qualifizierter<br />
Nutzer) aus dem Grundbuch aufscheint, § 8 Abs. 2 BbgKAG. Abweichungen sind nicht zulässig.<br />
Vereinfacht: Ohne Eigentum — kein Beitrag.<br />
In Bayern kann auch Derjenige beitragspflichtig sein, der — auch etwa vor Jahrzehnten — einmal<br />
Eigentümer war, das Grundstück aber bereits vor Jahren/Jahrzehnten verkauft hat.<br />
Der streitgegenständliche Fall aus Bayern (Eigentümer verkauft grundbuchwirksam 1996 das<br />
Grundstück, erhält aber erst 2004 einen Beitragsbescheid, auf Grundlage der erstmals wirksamen<br />
Beitragssatzung, BGS 2005) ist also in <strong>Brandenburg</strong> ausgeschlossen.<br />
Die Abgeltungsmöglichkeit (= Beitragserhebung) für die Vorteilslage (die durch wirksame Satzung<br />
rechtlich dauerhaft gesicherte Anschlußmöglichkeit eines Grundstücks an eine öffentliche<br />
zentrale Anlage) besteht in <strong>Brandenburg</strong> also immer nur aktuell für den aktuellen Eigentümer, in<br />
Bayern können Vorteilslage (= Eigentümerstellung) und Heranziehung (= Bescheidung) zeitlich<br />
und personell weit auseinanderfallen.<br />
3. Im bayrischen Fall konnte mit der vb. Rechtslage der Ex-Eigentümer, der schon 1996 sein<br />
Grundstück verkauft hatte, noch 2004 einen Bescheid bekommen Dazu diente die Beitragssatzung<br />
aus 2005 als Rechtsgrundlage, die zum 01.04.1995 rückwirkend in Kraft trat, während die<br />
Verjährungsfrist erst am 01.01.2006 begann und am 31.12.2009 endete.<br />
Dieselbe Verfahrensweise (Heranziehung) war und ist in <strong>Brandenburg</strong> wiederum unmöglich. Der<br />
Ex-Eigentümer konnte seit 1996 schon keinen Bescheid (mehr) erhalten. Wäre bei uns die Satzung<br />
2005 mit Rückwirkung nach 1995 versehen worden, lief die Festsetzungsfrist am<br />
01.01.1996 los und endete am 31.12.1999. Wiederum wäre die rechtmäßige Heranziehung ausgeschlossen.<br />
2
4. Abstrakt wirken für alle Beitragspflichtigen die unterschiedlichen Gesetzesanordnung (von der<br />
ebenfalls abweichenden persönlichen Beitragspflicht hier abgesehen) also wie folgt:<br />
Bayern: Beitragsbescheid rechtmäßig<br />
Beginn der Ende der Ver-<br />
BGS Verkauf Grund- Bescheid Erlaß Verjährungsfrist jährungsfrist<br />
2005 stück BGS<br />
in 2005<br />
Kraftt<br />
t 14<br />
I<br />
t<br />
1995 1996 1999 2004 2001 2006 2009<br />
BGS Verkauf Ende der Ver- Bescheid Erlaß<br />
2005 + jährungsfrist BGS<br />
in Beginn der 2005<br />
Kraft Verjährungsfrist<br />
<strong>Brandenburg</strong>: Beitragsbescheid rechtswidrig<br />
5. Fazit: Die vom BVerfG beanstandete Fallkonstellation und Rechtslage ist in <strong>Brandenburg</strong> daher<br />
grundsätzlich ausgeschlossen.<br />
Das BVerfG bejaht vielmehr ausdrücklich die bisherige Rechtsprechung, die u.a. zur soweit identischen<br />
Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> erging: Kein Vertrauensschutz (s. Rn 46), keine Verwirkung<br />
(s. Rn 58) und keine Rückwirkung, erst Recht keine unzulässige (s. Rn 47 f.), kein geschütztes<br />
Interesse des Abgabenpflichtigen (s. Rn 49).<br />
Die Auflagen des BVerfG erfüllt die Rechtslage in Bbg vollständig: Nach Eintritt der Vorteilslage<br />
(= Entstehung der sacht. Beitragspflicht) darf es keine unbegrenzte Erhebungsmöglichkeit<br />
geben (Rn 50); in <strong>Brandenburg</strong> sind das ab diesem Zeitpunkt immer max. 4 (weitere) Jahre ab<br />
dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung. Wirkt diese Satzung zurück, mindert<br />
dies den Erhebungszeitraum vor Verjährungseintritt — bei mehr als 4 Jahren Rückwirkung wäre<br />
mit dem Inkrafttreten dieser Heilungssatzung zwar nominell wieder eine Erhebungsgrundlage für<br />
Beitragsbescheide vorhanden, die dadurch begründeten Beitragsansprüche aber in derselben juristischen<br />
Sekunde des Inkrafttretens verjährt.<br />
In Bayern beginnen diese 4 Jahre — völlig unabhängig von dem Zeitpunkt der Entstehung der<br />
sacht. Beitragspflicht durch die Rückwirkungsanordnung — immer erst mit Ablauf des Veröffentlichungsjahres<br />
einer wirksamen BGS. Der Unterschied: Die Rückwirkung in Bbg ist zeitlich begrenzt<br />
und im Verjährungsbeginn sowie -ende strikt an der Vorteilslage (Entstehung der sacht.<br />
Beitragspflicht) ausgerichtet (wie in Rn 55 der Entscheidung). Da in Bbg auch keine ehemaligen,<br />
sondern nur aktuelle Eigentümer herangezogen werden können, ist ein Ex-Eigentümer bei uns<br />
schlichtweg gar nicht (mehr) zu veranlagen. Mit der Veräußerung des Grundbesitzes u. dem<br />
3
Wegfall der persönlichen Vorteilslage erlischt in Bbg auch „die Gefahr", noch zum Beitrag herangezogen<br />
zu werden.<br />
6. Ein rechtliches Erfordernis, sofort gesetzgeberisch tätig zu werden, ergibt sich auch nicht aus<br />
der sonstigen Rspr. der Verwaltungsgerichte. Außer dem B. v. 08.05.13, 6 L 328/12, des VG CB<br />
im summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO sieht offenbar keine der mit Beitragssachen<br />
befaßten Kammern der drei VG hier Handlungsbedarf; vielmehr wird offensichtlich davon ausgegangen,<br />
daß nach der Entscheidung des <strong>Land</strong>esverfassungsgerichts vom 21.09.12, VfgBbg<br />
46/11, die aktuelle Rechtslage in den §§ 8, 12 BbgKAG verfassungsgemäß ist, zumal bereits das<br />
BVerwG die Beitragserhebung in <strong>Brandenburg</strong> aus verfassungs- und bundesrechtlichen Erwägungen<br />
ausdrücklich billigte (siehe B. v. 14.07.08, 9 B 22.08 und B. v. 24.09./05.11.09, 9 BN 1<br />
und 4.09) und das BVerfG nachfolgende Beschwerde nicht zur Entscheidung annahm.<br />
Selbst das VG CB hat es unterlassen, das BbgKAG für verfassungswidrig zu erklären und folglich<br />
auch konsequent davon abgesehen, dies dem BVerfG zur Entscheidung vorzulegen. Interessant<br />
ist dementgegen das aktuelle Urteil des VG Schwerin (v. 11.04.13, 4 A 1250/12), daß die<br />
Nichteinschlägigkeit der Entscheidung des BVerfG (für das zum Bbg insoweit wortlautidentische<br />
KAG-MV) gut verständlich erläutert. Im UA S. 7 ff. heißt es dazu wörtlich:<br />
„... Zunächst handelt es sich bei der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelung des Art 13 Abs.<br />
1 Nr. Buchst b) cc) um eine Verjährungsregelung, die in gleicher oder ähnlicher Weise im Kommunalabgabengesetz<br />
M-V nicht existent ist. Die Besonderheit der beanstandeten Regelung ist darin zu sehen, dass<br />
nach bayerischem <strong>Land</strong>esrecht augenscheinlich eine Anschlussbeitragssatzung rückwirkend in Kraft gesetzt<br />
werden muss, damit sie — bislang „in satzungsloser Zeit" ergangene — Abgabenbescheide heilen kann. Vom<br />
Bundesverfassungsgericht ist nunmehr beanstandet worden, dass der Satzungsgeber zwar praktisch in beliebig<br />
lange Zeiträume rückwirkend eine Satzung erstmalig in Kraft setzen kann, ohne dabei gegen das verfassungsrechtliche<br />
Rücicwirkungsverbot zu verstoßen, die Regelung des Art 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) cc) Bay-KAG,<br />
der zu Folge die Verjährungsfrist immer erst in der Zukunft nach dem Erlass der ersten wirksamen Satzung zu<br />
laufen beginnt, hingegen dazu führen kann, dass zwischen Entstehung der sachlichen Beitragspflicht und dem<br />
Eintritt der Festsetzungsverjährung ein nicht mehr mit dem Verfassungsgrundsatz der Rechtssicherheit zu vereinbaren<br />
der Zeitraum liegen kann. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach dem bayerischen <strong>Land</strong>esrecht<br />
beitragspflichtig derjenige ist, der im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht Eigentümer oder<br />
sonstiger Beitragspflichtiger ist oder war. Es kommt hingegen nach der dortigen Regelung nicht darauf an, ob<br />
er im Zeitpunkt des Erlasses des Anschlussbeitragsbescheides noch Eigentümer oder sonstiger Beitragspflichtiger<br />
ist. ... Eine vergleichbare Verjährungsregelung gibt es im Kommunalabgabengesetz M-V nicht. § 12<br />
Abs. 2 KAG M-V i.V.m. § 169 AO setzt die Verjährungsfrist für alle Fälle auf vier Jahre ab dem Entstehen<br />
der sachlichen Beitragsfrist fest. Ein beliebiges Auseinanderklaffen von Entstehung der Beitragspflicht<br />
und Eintritt der Verjährung ist damit ausgeschlossen....<br />
Die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern und die Regelungen im BayKAG unterscheiden sich insofern,<br />
da das Entstehen der sachlichen und persönlichen Beitragspflicht nach Artikel 5 Abs. 6 BayKAG zusammenfällt.<br />
Nach dem <strong>Land</strong>esrecht von M-V ist nach § 7 Abs. 2 KAG M-V hingegen beitragspflichtig immer derjenige,<br />
der im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides die persönlichen Kriterien der Beitragspflicht<br />
als Grundstückseigentümer oder sonstiger Pflichtiger erfüllt. Eine „Verflüchtigung" des Vorteils<br />
wie im bayerischen <strong>Land</strong>esrecht, das unter Umständen — wie im Fall des Bundesverfassungsgerichts -<br />
an eine längst vergangene Eigentümerstellung anknüpft, ist deshalb nicht möglich. ...<br />
Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Rechtssicherheit zuwiderlaufende Regelung ist in § 9 Abs. 3<br />
KAG M-V ist auch insoweit nicht zu erkennen, als dort nicht das Erfordernis der rückwirkenden Inkraftsetzung<br />
der Beitragssatzung oder aber eine starre äußerste zeitliche Grenze für das zulässige Entstehen<br />
der sachlichen Beitragspflicht durch Erlass einer wirksamen Beitragssatzung geregelt ist. Eine derartige<br />
Regelung gebietet das Verfassungsrecht nicht und lässt sich aus der Entscheidung auch nicht herauslesen. ...<br />
Schließlich ist im Hinblick auf die „Verflüchtigung" des Vorteils für das Anschlussbeitragsrecht nach Maßgabe<br />
des <strong>Land</strong>esrechts in M-V zu berücksichtigen, dass der Anschlussvorteil ein weitaus länger währender ist als<br />
beispielsweise der Anliegervorteil aus einer Straßenbaumaßnahme. Die Konzeption und Realisierung einer<br />
Trinkwasserversorgungs- bzw. Abwasserbeseitigungsanlage ist — der Materie geschuldet — weitaus aufwändiger<br />
als z. B. die Erneuerung einer Straße. So ist im konkreten Fall noch nicht einmal der bis in das<br />
Jahr 2014 reichende Investitionszeitraum für die zentrale Abwasserbeseitigungseinrichtung abgelaufen. Unter<br />
diesen Rahmenbedingungen kann eine zeitliche Höchstgrenze in Ansehung der konkreten Planungsund<br />
Realisierungserfordernisse nicht gezogen werden, ohne auf der anderen Seite den ebenfalls verfas-<br />
4
sungsrechtlich geschützten Bereich der gemeindlichen Selbstverwaltung zu verletzen. Eine Rechtssicherheit<br />
im o.g. Sinne beginnt daher, wenn die Vorteile, die die Anlage bietet, den Eigentümern vollständig<br />
zugeflossen sind. Bezug zu nehmen ist dabei auf die konkrete Anlage, für die die Vorteile abgeschöpft<br />
werden. ..."<br />
Dieser rechtlichen Wertung ist vorbehaltlos zuzustimmen, zumal die Einfügung einer starren<br />
Grenze (2015/2020) dazu führt, daß nicht (mehr) alle Grundstücke mit derselben Vorteilslage zu<br />
derselben Vorteilsabgeltung (Anschlußbeitrag) herangezogen werden (können). Ausgehend von<br />
der Feststellung, daß alle anschließbaren Grundstücke dauerhaft derselben Vorteilslage unterfallen<br />
(st. Rspr. seit OVG Frankfurt (0.), Urt. v. 05.12.01, 2 A 611/00 u. OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong>,<br />
Urt. v. 12.12.07, 9 B 44. u. 45.06 mit Bestätigung durch BVerwG, B. v. 14.07.08 und LVerfG, B.<br />
v. 21.09.12, alle a.a.O.), wird die von den Gerichten zutreffend gefordert Gleichbehandlung<br />
durch gleiche Heranziehung aller vorteilsunterliegenden Grundstücke regelrecht ausgeschlossen.<br />
Eine absolute Grenze, erst Recht 2015, wird durch die praktischen Schwierigkeiten der Veranlagung,<br />
der stark wechselnden Rspr. der VG nebst deren kalkulatorischen Auswirkungen sowie der<br />
durchschnittlichen Verfahrenszeiten im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> zu einem erheblichen Beitragsausfall<br />
führen, der von Dritter Seite ausgleichsbedürftig ist. Durch das Junktim von Beiträgen und Gebühren<br />
wird die gesamte öffentlich-rechtliche Refinanzierung getroffen; verjährte Beitragsforderungen<br />
sind im Ausgleich nicht (mehr) gebührenfähig, gleichwohl aber beim Abzugskapital zu<br />
beachten. Die sich für beide Abgabenarten ergebende Deckungslücke muß durch den Aufgabenträger<br />
im Umlageweg ausgeglichen werden. Allerdings dürften die von diesen Umlagen betroffenen<br />
Kommunen ihrerseits Ersatz beim <strong>Land</strong> wg. Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip suchen.<br />
Daher beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:<br />
1. Welche zentralen Aussagen trifft das BVerfG in seinem Beschluß vom 05.03.2013 (Az.<br />
BvR 245/08)?<br />
Das BVerfG verlangt eine strikte Kopplung der Vorteilslage an die hierdurch bedingte Abgabenerhebung,<br />
die danach in zeitlicher und persönlicher Hinsicht zu einer Beschränkung der Veranlagungsmöglichkeiten<br />
führt. Eine vollständige Loslösung des Zeitpunktes des Verjährungsbeginns/-ende<br />
im Verhältnis zum Zeitpunkt der Entstehung der Vorteilslage (sachl. Beitragspflicht)<br />
und deren Wahrnehmung (Eigentümerstellung) ist verfassungswidrig. Die Beitragserhebung muß<br />
in einem überschaubaren Zeitraum nach Entstehung der Vorteilslage (sachliche Beitragspflicht)<br />
ggü. dem Inhaber der Vorteilslage erfolgen.<br />
2. Ist die Entscheidung vom 05.03.2013 auf <strong>Brandenburg</strong> übertragbar? Welche Auswirkungen<br />
hat der Beschluß des BVerfG auf <strong>Brandenburg</strong>?<br />
Nein. Wegen der vollständig abweichenden Rechtslage der §§ 8, 12 BbgKAG zu Art. 13<br />
BayKAG (s.o. Einleitung) ist der Beschluß nicht übertragbar. Soweit das VG CB mit B. v.<br />
08.05.13, 6 L 328/12, Bedenken (per 01.04.14) angeführt hat, bleibt abzuwarten, ob dies für die<br />
Beschwerde sowie in der Hauptsache auch vom OVG und ggf. dem BVerfG geteilt wird. Bekanntlich<br />
haben BVerwG (s. B. v. 14.07.08/24.09.09, a.a.O.) und LVerfG (s. B. v. 21.09.12,<br />
a.a.O.) die Regelungen in §§ 8, 12 BbgKAG n.F. ausdrücklich für verfassungsgemäß erklärt.<br />
Wir gehen davon aus, daß in einem der lfd. Hauptsacheverfahren (nach Nichtzulassung der Berufung<br />
durch das OVG) alsbald erneut das BVerfG angerufen wird und sich dann explizit auf den<br />
Vorhalt der Verfassungswidrigkeit im Lichte des Beschlusses vom 05.03.13 zur Rechtslage im<br />
<strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> entäußern kann. Ob dann nicht erneut „nur" ein bloßer Nichtannahmebeschluß<br />
ergeht, bleibt abzuwarten.<br />
5
3. Welche verschiedenen Fallkonstellationen in Bezug auf das brandenburgische KAG sind<br />
von dem Beschluß des BVerfG betroffen?<br />
Grundsätzlich gilt die Entscheidung des BVerfG für alle Abgabenerhebungen (nach <strong>Land</strong>esund/oder<br />
Bundesrecht), die eine Vorteilsabgeltung darstellen. Damit sind denklogisch auch alle<br />
landesrechtlichen Anschlußbeiträge (u.a. für Trink-, Schmutz- und Regenwasser) gern. § 8 Abs. 4<br />
S. 3 i.V.m. Abs. 2 BbgKAG betroffen.<br />
4. Ergibt sich daraus aus Ihrer Sicht ein Änderungsbedarf beim KAG des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>?<br />
Nein (s.o. Einleitung). Die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> ist wg. der hiesigen unterschiedlichen<br />
Vorgaben (Erhebung von Beiträgen nur vom aktuellen Eigentümer, kein Auseinanderfallen von<br />
Entstehung der sachl. Beitragspflicht zum Verjährungsbeginn) nicht betroffen.<br />
5. Sind im bbg. KAG gesetzgeberische Änderungen notwendig, damit die Vorschriften des<br />
bbg. KAG im Einklang mit höherrangigem Recht und der Rspr. des BVerfG stehen?<br />
Nein (s.o. Einleitung), wie vor. Bis auf den B. v. 08.05.13 des VG CB, 6 L 328/12, gibt es kein<br />
Judikat, das die Verfassungsmäßigkeit des BbgKAG in Zweifel zieht. Die sonstige Instanzenrechtsprechung<br />
seit dem 05.03.13 hat keine Zweifel geäußert (siehe für Bbg u.a. VG Frankfurt<br />
(0.), 8 L 209/12, B. v. 16.05.13; 5 L 337/12 und B. v. 07.05.13; besonders deutlich auch VG<br />
Schwerin, Urt. v. 11.04.2013, 4 A 1250/12 m.w.N.).<br />
6. Wie können diese Änderungen ausgestaltet werden?<br />
Entfällt (wg. Antwort zu Nr. 2, 4 und 5).<br />
7. Welche rechtlichen oder tatsächlichen Folgen ziehen die in Betracht kommenden Änderungsmöglichkeiten<br />
nach sich?<br />
Entfällt (wg. Antwort zu 2, 4 bis 6).<br />
8. Ist die <strong>Brandenburg</strong>er Regelung in § 8 Abs. 7 S. 2 KAG unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen<br />
Grundsatz der Rechtssicherheit?<br />
Durch §§ 8 Abs. 7 S. 2, 12 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) BbgKAG n.F. i.V.m. §§ 169, 170 AO ist sichergestellt,<br />
daß nach Eintritt der Vorteilslage deren Abgeltung zeitlich strikt befristet bleibt. Die Abgabenerhebung<br />
von einem Nichtbevorteilten ist zudem grundsätzlich ausgeschlossen. Nach den<br />
überzeugenden Ausführungen des LVerfG (s. B. v. 21.09.12) erfüllt das BbgKAG auch insoweit<br />
alle Maßgabe der verfassungsrechtlichen Anforderungen.<br />
9. Ist die Beitragserhebung bei Altanschließern verfassungswidrig?<br />
Die Erhebung von (gleichen) Beiträgen von sog. „neuangeschlossenen" und „altangeschlossenen"<br />
Grundstücken entspricht der gleichen Vorteilslage. Alle Grundstücke, die über eine Anschlußmöglichkeit<br />
verfügen, erlangen — unabhängig davon, wann diese Anschlußmöglichkeit<br />
körperlich geschaffen wurde — dieselbe (dauerhafte) Vorteilslage. Daher erfordert es das abgabenrechtliche<br />
Äquivalenzprinzip als Ausprägung des Gleichheitssatzes, alle Grundstücke, darunter<br />
auch sog. „Altanschließer" zu demselben Beitrag heranzuziehen; deren Nichterhebung wäre<br />
rechts- und verfassungswidrig (so st. Rspr. schon seit OVG Frankfurt (0.), Urt. v. 05.12.01, 2 A<br />
611/00 u. OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 12.12.07, 9 B 44.145.06 mit Bestätigung durch<br />
6
BVerwG, B. v. 14.07.08, 9 B 22.08 und Urt. v. 12.11.08, 9 A 3.08 mit Bestätigung durch<br />
BVerwG, B. v. 24.09.105.11.09, 9 BN 1. und 4.09 sowie LVerfG, B. v. 21.09.12, alle a.a.O.).<br />
10. Welche allgemeinen Verjährungsregelungen gibt es im Beitrags- und Abgabenrecht des<br />
<strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>? Wie berechnen sich diese Fristen?<br />
Gern. § 12 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) BbgKAG i.V.m, § 170 Abs. 1 AO gilt eine vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist.<br />
Diese beginnt, wenn die sachliche Beitragspflicht für das Grundstück entstanden<br />
ist, § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG n.F. Danach ist dies dann der Fall, wenn die Möglichkeit<br />
des Anschlusses eines Grundstücks an die öffentliche zentrale Einrichtung besteht und der Aufgabenträger<br />
(nach dem 01.02.2004) über eine vollwirksame Beitragssatzung verfügt.<br />
Etwas anderes gilt dann, wenn der Aufgabenträger bereits vor dem 01.02.04 über eine vollwirksame<br />
Beitragssatzung verfügte oder eine sich danach beschlossene Beitragssatzung Rückwirkung<br />
auf einen Zeitpunkt bis zum 31.01.04 beimißt. In diesem Falle entsteht die sachliche Beitragspflicht<br />
zwar ebenfalls (erst) mit der ersten wirksamen Beitragssatzung, die sich allerdings ihrerseits<br />
Rückwirkung auf den (aller)ersten Satzungsversuch des Aufgabenträgers beizumessen hat, §<br />
8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG a.F.<br />
11. Welche anderen Vorschläge für eine solche zeitliche Begrenzung wären aus Ihrer Sicht<br />
nach der Entscheidung des BVerfG für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> ebenso denkbar?<br />
Jede starre zeitliche Begrenzung wird durch das Wesen der Erhebung eines Anschlußbeitrages<br />
konterkariert. Ein solcher Beitrag wird als Gegenleitung für die Möglichkeit der Inanspruchnahme<br />
einer zentralen öffentlichen Einrichtung (der Ver- und/oder Entsorgung) erhoben. Die Erhebung<br />
beruht regelmäßig auf einer Periodenglobalkalkulation. Vereinfacht bedeutet dies, daß die<br />
Aufwendungen des kalkulierenden Aufgabenträgers bis zum Kalkulationsstichtag nach den bisherigen<br />
tatsächlichen Aufwendungen sowie den ausstehenden prognostischen Aufwendungen bis<br />
zum Ablauf des Planungshorizonts ermittelt und der sonach ermittelte Gesamtbetrag auf alle voraussichtlich<br />
anschließbaren Flächen bei Ablauf des Planungshorizonts verteilt wird (= kalkulatorischer<br />
Höchstbeitragssatz).<br />
Da alle anschließbaren Flächen denselben Vorteil aufweisen, der der Beitragserhebung systematisch<br />
zugrunde liegt, muß auch gesetzlich sichergestellt sein, daß alle diese Flächen in der gleichen<br />
Weise zu demselben Beitrag herangezogen werden. Eine zwischenzeitlich — d.h. vor Ablauf<br />
der Umsetzung des Prognosezeitraums und der hierzu vorzunehmenden Veranlagung — eingreifende<br />
zeitliche (starre) Grenze führt zwingend zur Ungleichbehandlung, wenn sich daraus in typengrenzenrelevantem<br />
Umfang Gruppen von Grundstücken bilden, die (gar) nicht oder nur zu<br />
einem geringeren Beitrag herangezogen worden sind.<br />
12. Halten Sie den Vorschlag einer sog. Ablaufhemmung von zehn Jahren bis zum<br />
03.10.2000 für angemessen? Welche anderen Zeiträume sind aus Ihrer Sicht ebenso angemessen?<br />
Welche praktischen Auswirkungen sind damit verbunden?<br />
Der Vorschlag ist jedenfalls unangemessen. Wenn überhaupt (s.o.), könnte allenfalls mit dem<br />
Jahr der Existenz der Entscheidung des BVerfG vom 05.03.2013 der Bedarf für die Statuierung<br />
einer zeitlichen Grenze gesehen werden. Dies führt dazu, daß eine Ablaufhemmung nicht vor<br />
2013 anzunehmen und die zeitlich nachfolge absolute Grenze im Abstand von 20 Jahren zu bemessen<br />
wäre. Die bisher diskutierten 10 Jahre sind willkürlich gegriffen und umfassen nur einen<br />
Bruchteil der bereits seit 1990 tatsächlich verstrichenen Zeit, zumal die klassische Altanliegerrechtsprechung<br />
erst aus den Jahren 2000/2001 bzw. 2007/2008 stammt.<br />
Vor dem Hintergrund der zuvor vertretenen Rechtsauffassung besteht dafür aber ohnehin kein<br />
Bedarf.<br />
7
13. Welcher Zeitpunkt ist bei sog. Altanschließer-Grundstücken aus Ihrer Sicht derjenige,<br />
der einen Vorteilseintritt begründet?<br />
Der Zeitpunkt der dauerhaft (rechtlich gesicherten) Anschlußmöglichkeit an eine wirksam statuierte<br />
öffentliche zentrale Einrichtung begründet die Vorteilslage. Mangels rechtlicher Kontinuität<br />
der Aufgabenträger der Ver- und Entsorgung kann dies frühestens mit der wirksamen Gründung<br />
des jeweiligen Aufgabenträgers im Geltungsbereich der Gesetze des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> und der<br />
vollwirksamen Konstituierung der jeweiligen öffentlichen zentralen Einrichtung erfolgt sein.<br />
Praktischer Weise kann dies bei einem Zweckverband wohl nicht vor Ergehen der Bescheide<br />
nach § 14 StabG und des nachfolgenden Erlasses wirksamen Ortsrechtes des Aufgabenträgers der<br />
Fall gewesen sein. Der Regelfall allein für die Bescheide nach § 14 StabG liegt also zwischen<br />
1999 und 2004, hinsichtlich der Ortsrechtsvorschriften dürfte dies völlig offen und einzelfallabhängig<br />
sein.<br />
Wegen der rechtlichen Gleichstellung von Alt- und Neuanschließern durch dieselbe dauerhafte<br />
Vorteilslage stellt sich die Frage letztlich auch nicht. Für alle anschließbaren Grundstücke greift<br />
der Zeitpunkt des Vorteilseintritts in gleicher Weise.<br />
Wenn und soweit der Gesetzgeber hier unterschiedliche Vorteilslagen für „Alt- und Neuanschließer"<br />
schaffen will, muß er den einheitlichen Vorteilsbegriff in § 8 Abs. 2 BbgKAG abschaffen<br />
und durch eine speziellere Regelung ersetzen. Allerdings wird damit eine einheitliche Abgabenerhebung<br />
wg. des Junktims von Beiträgen und Gebühren schlicht unmöglich; durch die Maßgaben<br />
der Rspr. (siehe etwa OVG Frankfurt (Oder), Urt. v. 03.12.03, 2 A 733/03) fällt auch die<br />
Möglichkeit der alternativen oder ergänzenden Erhebung anderer Beitragsarten (z.B. eines Verbesserungs-<br />
oder Erneuerungsbeitrages, bsplw. nur für „Altanschließer") auf absehbare Zeit aus.<br />
14. Inwieweit sind Beitragszahlungen für zukünftige Investitionen zur Herstellung der Anlagen<br />
rechtlich zulässig und anwendbar?<br />
Mit den Beiträgen wird der (nicht bereits durch die Gebühren abgedeckte) Anteil an den Investitionen<br />
bis zum Ablauf des Prognosezeitraums refinanziert. Ein steigender Beitragsanteil führt zu<br />
geringeren Gebührensätzen und umgekehrt. Ohne die Beitragserhebung ist daher stets eine erhebliche<br />
Gebührensatzsteigerung gegeben, gesondert eine erhebliche Liquiditätsbelastung des Aufgabenträgers<br />
durch die dann erforderliche mittel- und langfristige kreditive Vorfinanzierung der<br />
Investitionsaufwendungen mit entsprechender Verschuldung u. gesamtwirtschaftlicher Belastung.<br />
Zu berücksichtigen ist ferner, daß nach der Vorgabe des OVG für die Auslegung des irrevesiblen<br />
<strong>Land</strong>esrechts (s. Urt. v. 03.12.03, a.a.O.) faktisch bis zur Vollerschließung bzw. zumindest bis<br />
zum Ablauf der Prognosezeiträume trotz der Aufzählung in § 8 Abs. 2 S. 1 BbgKAG keine andere<br />
Beitragsart, als der einen Herstellungsbeitrages, rechtlich zulässig und allein anwendbar ist.<br />
15. Welche praktischen/materiellen Folgen hätten Verjährungsmodelle für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
mit einer Verjährungsfrist von 2030, 2020 und 2015:<br />
- für Vermieter - für Mieter - für Eigenheimbesitzer?<br />
Hier kann zunächst auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Grundsätzlich ist aber<br />
stets die generelle Wirkung und Interessenlage für eine Beitragserhebung zu beachten. Bsplw.<br />
profitieren Mieter, Großbetriebe, Wirtschaftsförderungen und Leistungsträger nach den SGB II<br />
und XII immer von der Beitragserhebung durch die dann deutlich niedrigeren Gebührensätze,<br />
während Vermieter und EFH-Besitzer regelmäßig von Beitragsfreistellungen profitieren.<br />
Mit Sicherheit kann bereits jetzt prognostiziert werden, daß bei einer Veijährungsfrist 2015 große<br />
Teile der noch nicht bestandskräftig erhobenen Beitragsansprüche ausfallen werden, auch für<br />
2020 ist dies wg. der Systematik der Beitragserhebung und der normalen Verfahrensdauer bei<br />
<strong>Brandenburg</strong>er Verwaltungsgerichten in Verbindung mit der materiell-rechtlich und insbesondere<br />
8
in formaler Hinsicht teilweise sprunghaften Rechtsprechung zu erwarten. Nur bei einer Frist zum<br />
Jahr 2030 ließe sich eine Beitragserhebung realisieren, die das reguläre Beitragsaufkommen zumindest<br />
bis zur Typengrenze sicherstellt.<br />
Grundsätzlich würde eine Umstellung der Abgabenerhebung (von Beiträgen auf Gebühren) die<br />
Vermieter vollständig entlasten und deren Mieter vollständig belasten. Bei unterstelltem Eintritt<br />
der Festsetzungsverjährung dürfte sich aber erst nach Ablauf der (geplanten) Auflösungszeiträume<br />
eine wirkliche Gebührensatzsteigerung ergeben, da die Beitragsausfälle nach der Vorgabe des<br />
OVG nicht gebührenfähig, sondern mithin durch den Aufgabenträger (über Umlagen an die<br />
Kommunen) zu refinanzieren sind. Die betroffenen Kommunen bzw. die Zweckverbände dürften<br />
wegen dem damit verbundenen Eingriff in ihre Rechte durch das <strong>Land</strong> (Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip)<br />
die Ausfälle letztlich beim Verursacher, dem Gesetzgeber, geltend machen.<br />
Nimmt man die Größenordnung der Verfahrensweise des Freistaates Thüringen (s. aktuelle Stunde<br />
LT v. 14.02.13 „Das teuerste Wahlversprechen und ... größte Wahlgeschenk der<br />
...Alleinregierung") mit der völligen Abschaffung der Trinkwasser- und der Deckelung der Abwasseranschlußbeiträge<br />
sind auch in <strong>Brandenburg</strong> Gesamtkosten von > 1 Mrd€ zu erwarten. Der<br />
Freistaat hat die Freistellung der Aufgabenträger durch ein kreditfinanziertes Sondervermögen<br />
getragen; die Zinsen betragen 2014 allein 21,6 Mio€, die Planung des MdF sieht bis 2027/28 einen<br />
Zinsbelastung von 160 Mio€ im Jahr vor. Insgesamt schwanken die Schätzungen der Gesamtlast<br />
für Thüringen zwischen 1,1 Mrd. (<strong>Land</strong>esregierung) und bis 4 Mrd. (Opposition).<br />
16. Was würde die Regelung einer Verjährungshöchstfrist für die kommunalen Aufgabenträger<br />
in der Praxis bedeuten?<br />
a) 10+20-Modell: Festlegung einer regelmäßigen Höchstfrist von 20 Jahren (Hemmung bis<br />
03.10.2000)<br />
Sie wird zu Beitragsausfällen führen, die allerdings im Vergleich zur Fristsetzung bis 2015 deutlich<br />
geringer ausfallen. Die bewährte und rechtssichere Regelung des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG<br />
wird soweit eingeschränkt, daß sie faktisch ihre Wirkung verliert. Die Absicht des Gesetzgebers<br />
in der Begründung des 2. Entlastungsgesetzes zur klarstellenden Einfügung des Begriffs „rechtswirksam"<br />
wird damit wieder aufgehoben. Die Folge ist der Eintritt der in dieser Gesetzbegründung<br />
bereits angeführten und zur Vermeidung gestellten „Beitragsausfälle" der Kommunen.<br />
Ansonsten wird auf die vorstehende Beantwortung verwiesen.<br />
b) Festlegung einer kürzeren regelmäßigen Höchstfrist (Hemmung bis 03.10.2000)<br />
Hier muß ebenfalls auf die Beantwortung der vorstehenden Fragen verwiesen werden; es wird zu<br />
erheblichen Beitragsausfällen kommen. Alle Aufgabenträger, die bisher die (Nach-)Erhebung<br />
noch nicht begonnen haben, werden faktisch insgesamt ausfallen und damit eminente Gruppen<br />
von Beitrags- und Nichtbeitragszahlern haben. Die bereits tätigen Aufgabenträger werden eine<br />
deutlich höhere Klagequote verzeichnen mit der Folge eines höheren Risikos der Rechtsverteidigung<br />
und analog längeren Verfahrenslaufzeiten. In der Konsequenz wird auch dies zu erheblichen<br />
Beitragsausfällen in all den Erhebungsgruppen führen, die bisher noch nicht bestandskräftig<br />
geworden sind.<br />
Die starre Frist bei 2015 schafft einen echten Anreiz, auf ein Beitragsvereitelungsmodell zu setzen.<br />
Es wird in der überwiegenden Anzahl der Anfechtungsverfahren allein durch die (meist formalen)<br />
Anforderungen der Rechtsprechung bei allen noch nicht bestätigten Beitragssatzungen<br />
(also 90 % der Aufgabenträger) zu Aufhebungen der Bescheide in der Zeit bis 2015 kommen.<br />
Mit gezielten und einfachen Maßnahmen läßt sich danach eine Neubescheidung und eine weitere<br />
Hemmungswirkung nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) BbgKAG i.V.m. § 171 Abs. 3a AO problemlos<br />
umgehen, wird der Beitragsausfall konstitutiv.<br />
9
17. Mit welchen Forderungen wären sie vor Ort konfrontiert, wenn klar wäre, daß Ihre<br />
bisher noch nicht festgesetzten Beitragsforderungen in den nächsten 20 Monaten erlöschen?<br />
Diese Frage kann letztlich nur eine beitragserhebende Behörde beantworten. Aufgrund unserer<br />
bisherigen und zahlreichen laufenden Rechtsbehelfsverfahren sowie der ständigen Betreuung<br />
zahlreicher Aufgabenträger gehen wir aber von einem ambivalenten Druck der kommunalen Entscheidungsträger<br />
auf die Verantwortlichen der Aufgabenträger aus. Dies reicht von sofortiger<br />
Bescheidung (wg. der anstehenden Wahlen, insbes. der Kommunalwahl am 25.05.14) bis zu aktiven<br />
und passiven Maßnahmen zur Herbeiführung der Verjährung (bsplw. Druck auf die Behördenleiter<br />
für ein weiteres „Moratorium", Abwarten der weiteren Rspr. und etwaiger „Musterverfahren",<br />
Ablehnung des Erlasses wirksamer Beitragssatzungen, Beschlüsse zur Nichtbescheidung,<br />
etc.). Tendenziell wird aber eher versucht werden, sich gezielt der Beitragserhebungspflicht<br />
zu entziehen und den vermeintlich unschädlicheren Weg des Verjährungseintritts zu befördern.<br />
18. Was würde es für das Rechtsempfinden der Menschen vor Ort bedeuten, wenn eine<br />
Gruppe von Beitragsschuldnern privilegiert würde, weil sie nicht mehr zahlen muß? Würden<br />
Sie als kommunaler Aufgabenträger in diesem Fall erwägen, auch die bereits gezahlten<br />
Beiträge der sog. Neuanschließer zurückzuzahlen?<br />
Auch hier sind zuerst die Aufgabenträger zur Beantwortung berufen. Allerdings setzt eine Rückzahlung<br />
voraus, daß diese überhaupt geleistet werden kann, soweit die Kommunalaufsicht weiterhin<br />
die Aufnahme von Krediten hierfür jeweils genehmigt. Problematisch wird dann aber nicht<br />
nur die Behandlung etwaiger Rückzahlungen in kalkulatorischer und bilanzieller Hinsicht, sondern<br />
im Trinkwasserbereich auch in (umsatz- und ertrags-)steuerlicher Hinsicht.<br />
Letztlich dürfte es mit dem Gleichheitsgrundsatz schlichtweg nicht zu vereinbaren sein, daß eine<br />
(erhebliche) Gruppe von Vorteilsnehmern die Beiträge gezahlt hat und eine andere (erhebliche)<br />
Gruppe davon freigestellt wird. Keine der beiden Gruppen wird dies rechtlich hinnehmen, auch<br />
auf der Gebührenebene nicht. Zu erinnern ist daran, daß die Veranlagung von „Altanschließern"<br />
überhaupt erst durch Klagen der „Neuanschließer" provoziert wurde (s. Urt. v. 05.12.01, a.a.O.),<br />
die gleiche Beitragserhebung von Neu- und Altanschließern durch Klagen der Altanschließer<br />
gegen die Verbesserungsbeiträge (s. Urt. v. 03.12.03, a.a.O.) und sogar das relative Erfordernis<br />
rechtzeitiger gleicher Beitragserhebung durch Klagen von Gebührenzahlern (siehe VfGBbg<br />
48/11, a.a.O.). Letztlich läuft es auf eine steuerfinanzierte Subventionierung der ausgebliebenen<br />
Beitragserhebung hinaus, unabhängig vom Zahlungspflichtigen, <strong>Land</strong> oder Kommunen.<br />
19. Sind der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der verfassungsrechtliche<br />
Gleichheitssatz noch eingehalten, wenn eine nicht unerheblich große Gruppe von Beitragsschuldnern<br />
sich der solidaren Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen entziehen<br />
kann?<br />
Mit den bekannten Grundsätzen der Rspr. des OVG zur Typengerechtigkeit muß dies klar verneint<br />
werden. In diesem Falle ist zwingend ein Ausgleich vorzunehmen (s. OVG, Urt. v.<br />
06.06.07, 9 A 77.05), dessen Art und Weise allerdings der Aufgabenträger bestimmen kann.<br />
Wichtig ist danach nur, daß alle Grundstücksberechtigten, die die öffentliche zentrale Anlage<br />
nutzen können, in ungefähr gleichem Umfang zu deren Refinanzierung beitragen. Nachträglich<br />
gebührenfähig sind die verjährten Beitragsansprüche allerdings nicht (mehr).<br />
20. Angenommen, die jetzt vorzunehmende Regelung würde zu einem Erlöschen von noch<br />
nicht festgesetzten Beitragsansprüchen in kurzer Frist (z.B. in den nächsten zwei Jahren)<br />
führen:<br />
10
a) Wer hat dann die Einnahmeausfälle der Gemeinden und Zweckverbände zu übernehmen?<br />
Mangels Gebührenfähigkeit dieser Ausfälle greift zunächst die Pflicht, die Ausfälle durch das<br />
allgemeine Verwaltungsaufkommen (Haushalt der Gemeinde bzw. Umlagen des Zweckverbandes)<br />
zu decken. Diese werden allerdings auf die Verursachung der Ausfälle durch den nachträglichen<br />
gesetzlichen Eingriff des <strong>Land</strong>es verweisen und anhand des Konnexitätsprinzips bzw. -<br />
gebotes auf Ersatz durch das <strong>Land</strong> nötigenfalls klagen. Aufgrund des Präjudizes anhand der Verfahrensweise<br />
im Freistaat Thüringen dürfte auch relativ klar sein, daß sich das <strong>Land</strong> mit einer<br />
nachträglichen gesetzlichen Regelung, die einen Beitragsausfall bedingt, in die Haftung begibt.<br />
b) Sind die Einnahmeausfälle durch Umlagen der Mitgliedsgemeinden zu finanzieren?<br />
Den Zweckverbänden steht ansonsten kein anderes allgemeines Refinanzierungsmittel offen, §§<br />
18 und 19 BbgGKG, wenn es weder über Beiträge noch Gebühren zur Deckung dieser — in der<br />
Regel bereits verausgabten (und kreditvorfinanzierten) Kosten — kommt. Allerdings wird dann<br />
nicht nur Streit über die Erhebung der Umlage an sich entstehen, sondern bei selektiver örtlicher<br />
Verteilung der Ausfälle auch über den Umlagemaßstab, also abstrakt von der allgemeinen Umlagevorschrift<br />
zur veranlassungs- bzw. beitragsausfallbezogenen Umlagequote. Durch die stark<br />
unterschiedliche Verteilung der „Altanschließerfälle" in den Verbandsgebieten wird derselbe<br />
Streit, wie bereits bei der Frage, ob und wann die Altanschließer erhoben werden, neuerlich ausbrechen<br />
bzw. werden sich die Verbandsmitglieder letztlich das einfachere gemeinsame Ziel einer<br />
ersatzweisen Inanspruchnahme des <strong>Land</strong>es suchen.<br />
Daß die meisten Gemeinden auch gar nicht in der Lage sein werden, die anstehenden Umlagen<br />
aus ihren Haushalten zu decken, dürfte bekannt sein. Das Problem wird sich auch jahrelang hinziehen:<br />
Neben dem Ausgleich der direkten Beitragsausfälle dürften auch für die lfd. Gebühren<br />
die kalkulatorischen Auflösungsbeträge auf diesem Wege zu refinanzieren sein, also für die Dauer<br />
von 20 bis 66 Jahren, je nach bisheriger Auflösungsrate der Beiträge.<br />
c) Wird der kommunalpolitische Druck auf die ehrenamtlichen Bürgermeister der Mitgliedsgemeinden,<br />
die Verbandsvorsteher, hauptamtlichen Bürgermeister und Gemeindevertreter<br />
etc. steigen, die bisher noch nicht festgesetzten Beitragsansprüche in die Verjährung<br />
laufen zu lassen?<br />
Jede Beitragserhebung ist ein kommunalpolitisches Himmelfahrtskommando, unabhängig von<br />
der Beitragsart und der Höhe der Beiträge. Keine Kommunalabgabe ruft solche Emotionen hervor;<br />
selbst wenn die betragsmäßige Belastung der Beiträge in einigen Zweckverbänden (die nur<br />
einen geringen Anteil der Investitionen über Beiträge refinanzieren, z.B. 15 %) nur gerade so das<br />
Niveau der Jahresgebührenbescheide erreicht, gibt es flächendeckende Widersprüche.<br />
Gerade die anstehende Kommunalwahl wird den Druck enorm erhöhen und es letztlich als Aufgabe<br />
bei den Kommunalaufsichtsbehörden „hängen bleiben", für eine rechtzeitige Beitragserhebung<br />
zu sorgen. Bisher ist nur ein Fall öffentlich bekannt geworden, in denen eine Verbandsversammlung<br />
die Aufhebung der Beitragsbescheide trotz laufender Beitragserhebung gezielt beschlossen<br />
hat. Allerdings haben bereits die personellen Auswahlentscheidungen des Jahres 2012<br />
für ausgeschriebene Leitungsstellen bei Aufgabenträgern (Verbandsvorsteher, Geschäftsführer)<br />
gezeigt, daß Kandidaten bzw. Bewerber, die die „Gefahr" einer zügigen und einheitlichen Beitragserhebung<br />
in sich bergen, bewußt nicht gewählt werden. Daher liegt es auf der Hand, daß<br />
anstehende Wahlkämpfe durch die Beitragserhebungsproblematik geprägt werden.<br />
d) Meinen Sie, in Ihrem kommunalen Aufgabenträger wäre die Vertretungskörperschaft<br />
noch bereit, eine Beitragssatzung zu verabschieden?<br />
Auch diese Frage betrifft letztlich nur die Aufgabenträger selbst. Allerdings haben wir die Erfahrung<br />
gemacht, daß eine ehrenamtliche Verbandsversammlung gerade kleiner Aufgabenträger<br />
1 1
schon jetzt erhebliche „emotionale" Probleme hat, bei einem vollen Saal - mit verbal sich laut<br />
artikulierenden Bürgern, die dabei teilweise auch höchst uncharmant an ihre Verbandsvertreter<br />
direkt herantreten — noch für eine Satzung, die letztlich zur Beitragserhebung führt, zu stimmen.<br />
Besonders problematisch wirkt sich dann das Verhalten der lokalen Hauptverwaltungsbeamten<br />
aus, die in dieser Situation auf das Eingreifen der Kommunalaufsicht spekulieren und deshalb<br />
bewußt einen rechtswidrigen Beschluß in Kauf nehmen, um sich die örtlichen Sympathien zu<br />
erwerben und die Verantwortung auf ihre Aufsichtsbehörde abzuwälzen.<br />
Ganz kritisch wird es dann, wenn nach einer formalen oder materiell-rechtlichen Beanstandung<br />
der Satzung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Beschlußfassung zur Heilung erforderlich<br />
ist. Mit dem Wissen im Hinterkopf, daß ohne wirksame Satzung keine Beitragserhebung möglich<br />
ist, besteht eine erhebliche Motivlage — erst Recht, wenn schon per 2015 eine „Deadline" winkt —<br />
einfach keinen Beschluß zu fassen, sondern dies auf die jeweils folgende Sitzung zu vertagen.<br />
e) Kann es unter bestimmten Umständen dazu kommen, daß die Bürgermeister und Verbandsvorsteher<br />
persönlich für die nicht realisierten Beitragseinnahmen haften müssen?<br />
Diese Konstellation ist sowohl dann möglich, wenn durch den Hauptverwaltungsbeamten entweder<br />
keine wirksame Satzung vorbereitet, unterlassene oder ablehnende Beschlüsse nicht beanstandet<br />
oder bestehende Satzungen nicht umgesetzt werden. Dieselbe Folge tritt ein, wenn die<br />
bestehenden Beitragsansprüche nicht (rechtzeitig) festgesetzt und erhoben werden. Allerdings<br />
könnte es bei fahrlässigem Handeln zu einem Eintritt der Eigenschadensversicherung kommen,<br />
wie dies bereits vor den Urt. vom 12.12.07 bzw. der Rechtslage vor dem 01.02.04 der Fall war.<br />
I) Kann es unter bestimmten Umständen dazu kommen, dass strafrechtliche Fragen aufgeworfen<br />
werden?<br />
Eindeutig ja. Die bisherige Rechtsprechung dazu (siehe etwa LG Frankfurt (Oder), 22 Wi KLs<br />
7/04, B. v. 21.06.04, BA S. 7 rkr.; ebenso dazu GStA <strong>Brandenburg</strong>, 5414 WS 47/04, Vfg. v.<br />
14.09.04) ist eindeutig: Danach ist die unterlassene vollständige Beitragserhebung eine strafbare<br />
Untreue der beteiligten Bediensteten, während eine durch das Verwaltungsgericht beanstandete,<br />
überhöhte Beitragserhebung weder einen Betrug noch eine Abgabenüberhebung darstellt.<br />
g) Würden Sie als beratender Anwalt einer Gemeinde oder eines Zweckverbandes Ihren<br />
Mandanten raten, die Beitragserhebung fortzusetzen? Zu welchem Vorgehen würden Sie<br />
Ihren Mandanten raten?<br />
Unbedingt. Wir empfehlen unseren Mandanten, die Beitragserhebung unverzüglich fortzusetzen<br />
bzw. schnellstmöglich abzuschließen. Jedes Zuwarten wäre nachteilig. Dies gilt derzeit auch unabhängig<br />
von einer etwaigen Gesetzesänderung im BbgKAG. Die ausgesprochen schwankungsanfällige<br />
Rechtsprechung der einzelnen Beitragskammern in <strong>Brandenburg</strong> zu den beachtlichen<br />
Beitragsmaßstäben verlangt geradezu, die aktuell (seit 11/2012) bestehende relative Rechtssicherheit<br />
bei den Anforderungen an die Inhalte einer Beitragssatzung auszunutzen. Jede dortige<br />
Änderung führt zwangsläufig zur Überarbeitung der Kalkulation und damit zu einer erheblichen<br />
Verzögerung in der Satzungsheilung und erneuten Abgabenerhebung.<br />
Dies gilt natürlich erst Recht für den Fall, daß der Gesetzgeber eine zeitliche Grenze<br />
(2015/2020/2030) einführt. Bei dieser Konstellation dürfte der Versuch einer vollständigen und<br />
rechtzeitigen Beitragserhebung schon essentielle Voraussetzung dafür sein, bei späterem Ausfall<br />
von Beitragsansprüchen durch Eintritt der Festsetzungsverjährung einen Ersatzanspruch ggü.<br />
dem <strong>Land</strong> geltend machen zu können.<br />
Je geringer der zeitliche Horizont ausfällt, desto weniger wäre der Aufgabenträger auch in der<br />
Lage, auf Präzedenzverfahren zuzuwarten oder etwa einer Verfahrensaussetzung nach § 94<br />
VwGO zuzustimmen. Der Aufgabenträger wäre aus purem Selbstschutz gehalten, alle zulässigen<br />
12
Verfahrensführungsmöglichkeiten auszuschöpfen, um zumindest bei einem Teil der Beitragsansprüche<br />
bestandskräftige Festsetzungen zu erhalten, auch wenn dies zunächst zu einer ebenso<br />
sprunghaften Erhöhung der Fallzahlen an Rechtsbehelfsverfahren führen wird.<br />
21. Angenommen, die jetzt vorzunehmende Regelung würde dazu führen, daß Ende 2020<br />
erstmalig der Vorteilsausgleich durch Beiträge aufgrund § 19 KAG neu ausgeschlossen ist:<br />
a) Sind dann Einnahmeausfälle der Gemeinden und Zweckverbände in erheblichem Umfang<br />
zu befürchten?<br />
Ja. Durch die durchschnittliche Dauer der Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelverfahren sind im<br />
Schnitt ca. 5 bis 6 Jahre anzusetzen, bis über ein Anfechtungsverfahren zu einem Beitragsbescheid<br />
rechtskräftig entschieden wurde. Rechnet man die durchschnittliche Vorbereitungszeit<br />
(Datenimport aus ALK und -aufbereitung, ggf. Anhörung, Bescheidvorbereitung und -<br />
bescheidung, Fehlläuferkorrektur und Nacherhebung, Beitragsneukalkulation nach Satzungsänderung,<br />
etc.) bis zur Bescheidung hinzu, dürfte eine komplette Erhebungsrunde nicht unter 7 bis 8<br />
Jahren abzuschließen sein.<br />
Selbst ein Endtermin 2020 würde also regelmäßig nur einen Erhebungsversuch, ggf. zwei Versuche<br />
je Aufgabenträger, ermöglichen. Nur ein Zeithorizont bis 2030/2033 würde sicherstellen, daß<br />
formelle und materielle Satzungs- und Erhebungsfehler nicht sofort zum Ausfall führen.<br />
b) Ist mit kommunalpolitischem Druck zu rechnen, die bisher noch nicht festgesetzten Beitragsansprüche<br />
in die Verjährung laufen zu lassen?<br />
Ja, natürlich. Es liegt doch auf der Hand, daß eine solche Verfahrensweise zunächst die einfachste<br />
Lösung ist, eine immer mißliebige Beitragserhebung (gerade vor einer Kommunal- und <strong><strong>Land</strong>tag</strong>swahl)<br />
einfach leer laufen zu lassen. Diese Praxis ist durchaus auch erprobt und war einer der<br />
Gründe, warum sich Aufgabenträger später in der besonderen Betreuung des <strong>Land</strong>es beim<br />
SchMF wiedergefunden haben. Die Handlungspalette reichte dabei von der schlichten Nichtbeschlußfassung<br />
der erforderlichen Beitragssatzung bis zur erneuten Beschlußfassung derselben<br />
alten, vom Gericht bereits gekippten (unwirksamen bzw. rechtsfehlerhaften) Beitragssatzung.<br />
Die später drohenden Einnahmeausfälle oder Sanktionen gegen die Hauptverwaltungsbeamten<br />
sind vor dem Hintergrund der oftmals medial gepuschten Stimmung vor Ort viel zu weit weg.<br />
c) Hat diese Höchstfrist Auswirkung auf die Frage, ob die Vertretungskörperschaft bereit<br />
ist, eine Beitragssatzung (neu) zu verabschieden?<br />
Natürlich. Die Motivation, „nur" noch 2 Jahre (bis 2015) überbrücken zu müssen, ist verständlich<br />
und sogar nachvollziehbar. Bereits das Moratorium des § 12 Abs. 3a BbgKAG hatte bei der Gesetzesänderung<br />
in 2008 dazu geführt, daß sich viele Aufgabenträger (mit tatsächlichem oder vermeintlichem<br />
Endtermin 31.12.2011) regelrecht verführen ließen, mit der notwendigen Umsetzung<br />
der Beitragserhebung bis zuletzt, in das Jahr 2011 hinein, zuzuwarten und dann in akute<br />
Zeitnot gerieten. Die gleiche Wirkung hat eine starre Grenze im Jahr 2015 — nur würde dann die<br />
Chance einer unwirksamen Beitragssatzung durch § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG nicht mehr greifen.<br />
Das Jahr 2020 nimmt bereits einen Teil dieser Motivation, wird aber vollständig wohl nur durch<br />
einen Zeithorizont 2030 bzw. 2033 (20 Jahre ab Einführung einer solchen Grenze) beseitigt.<br />
d) Ist bei dieser Höchstfrist auch damit zu rechnen, dass Bürgermeister und Verbandsvorsteher<br />
persönlich für nicht zu realisierende Beitragseinnahmen haften müssen?<br />
Ja. Siehe obige Ausführungen.<br />
13
e) Bei einem Erlöschen der Beitragsforderungen spätestens Ende 2020: Zu welchem Vorgehen<br />
würden Sie Ihrem Mandanten raten, wenn Sie beratender Anwalt der Gemeinde oder<br />
des Verbandes wären?<br />
Die Antwort ist identisch zu Nr. 20 lit. g). Eine unverzügliche Erhebung ist geboten und sinnvoll.<br />
22. Wie konnte es dazu kommen, daß nach so vielen Jahren noch nicht alle Beitragsansprüche<br />
von den öffentlichen Auftraggebern festgesetzt sind? Ist dies unverschuldet oder haben<br />
die öffentlichen Auftraggeber dafür die Verantwortung zu tragen?<br />
Zunächst ist daran zu erinnern, daß die pflichtige Beitragserhebung ggü. sog. „Altanschließern"<br />
erst der Rechtsprechung des OVG Frankfurt (Oder) seit 2000/2001 zu entnehmen war und das<br />
Obergericht erst durch das Verbot von anderen Beitragsarten (am Beispiel der Fürstenwalder<br />
Verbesserungsbeiträge für die sog. „Altanschließer") das Erfordernis der einheitlichen und gleichen<br />
Beitragserhebung statuiert hat. Bis dahin konnten die Aufgabenträger durchaus davon ausgehen,<br />
diese Gruppe nicht oder nicht in derselben Höhe heranziehen zu müssen.<br />
Sodann hatte das <strong>Land</strong> — nach Bekanntwerden der Judikate vom 12.12.07 — die Aufgabenträger<br />
durch Rundschreiben gebeten, zunächst von Bescheidungen abzusehen und zuzuwarten. Erst<br />
nach den Gesetzesänderungen 2008 bzw. 2009 war klar, daß es bei diesem Erfordernis der gleichen<br />
und einheitlichen Beitragserhebung bleibt.<br />
Ferner wechseln häufig die Anforderungen der Verwaltungsgerichte an die Beitragsmaßstäbe der<br />
Satzungen, in deren Ergebnis die gesamte Kalkulation zu überarbeiten ist (bsplw. des OVG zur<br />
Rundungsregelung in BP-Gebieten bei VG-Bruchzahlen im Urt. v. 27.06.12, zu verdeckten Artzu-<br />
und Artabschlägen im Urt. v. 16.12.09, usw.). Denselben Effekt haben die ständigen Änderungen<br />
des lokalen Bauplanungsrechts durch Satzungen für Innenbereiche, Abrundungen oder<br />
BP/vBP. Eine dementsprechend geänderte Flächenerfassung dauert bei den großen Zweckverbänden<br />
allein 6 bis 9 Monate.<br />
Die Verkehrshäufigkeit der zu veranlagenden Grundstücke ist stark gestiegen, im Schnitt hat<br />
nach 8 bis 12 Jahren jedes Grundstück im Eigentum (und damit der Beitragspflicht) gewechselt.<br />
Zahlreiche Grundbücher sind noch immer nicht aktualisiert, Beitragspflichtige nicht feststellbar<br />
oder streitig. Allein die Rechtsfrage, ob — und wenn ja, wie lange — eine GbR beitragspflichtig ist,<br />
hat in der Klärung der Rechtsprechung für das <strong>Land</strong>esrecht fast 7 Jahre gedauert.<br />
Die Summe dieser Umstände hat es nur bei stringent handelnden Zweckverbänden, die zudem<br />
überdurchschnittlichen persönlichen und personellen Einsatz dazu geleistet und keine widerstreitenden<br />
politischen Initiativen zu umgehen hatten, ermöglicht, bis heute ihre Beitragserhebung<br />
abzuschließen; dies auch nur dann, wenn durch konsequente Rechtsverteidigung die Beitragssatzung<br />
mitsamt der Kalkulation gehalten hat. Dies ist die absolute Ausnahme in <strong>Brandenburg</strong> und<br />
dürfte nur bei einer Handvoll Aufgabenträger vorliegen. Im Durchschnitt hält erst die fünfte Beitragssatzung,<br />
bei den prominenten Fällen der Urt. v. 12.12.07 war es die 7. Beitragssatzung.<br />
23. Kann die Verbandsversammlung bzw. die Gemeindevertretung den Verbandsvorsteher<br />
anweisen, die Beitragserhebung aufgrund der Entscheidung des BVerfG auszusetzen?<br />
Eine solche Entscheidung wäre rechtswidrig. Selbst mit dem o.g. Beschluß des VG CB, der die<br />
Aussetzung abgelehnt hat, gibt es keine ernsthaften Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Beitragserhebung.<br />
Ein gleichwohl gefaßter Beschluß wäre durch den Hauptverwaltungsbeamten und die<br />
Kommunalaufsicht zu beanstanden, die gleiche und allgemeine Beitragserhebung durchzusetzen.<br />
Die Hauptverwaltungsbeamten sind — straf- und haftungsrechtlich sanktioniert — verpflichtet, die<br />
geltende Rechts- und Satzungslage umzusetzen und die Bescheidungen zu vollziehen.<br />
14
24. Ist es sinnvoll, das Beitragsmodell bei den Wasser- u. Abwasseranschlüssen auf ein reines<br />
Gebührenmodell umzustellen? Welche Probleme müßten dabei überwunden werden?<br />
Eine Umstellung verlangt zunächst die Refinanzierung der wegfallenden Beitragseinnahmen, in<br />
der Regel also eine neue Kreditaufnahme. Dies kommt zu einem Zeitpunkt, in denen die ersten<br />
nach 1990 errichteten Anlagen bereits in die Sanierung/Erneuerung/Erweiterung eintreten, was<br />
ebenfalls erheblichen Kapitalbedarf auslöst. Damit entstehen zuerst erhebliche Liquiditätsproblerne<br />
bei den Aufgabenträgern, auch wenn bereits vereinnahmte Beiträge aus Gleichbehandlungsgründen<br />
zurückgezahlt werden (müssen). Im Trinkwasserbereich ist dies auch umsatz- und<br />
ertragssteuerrechtlich relevant und führt zu erheblichen Änderungen der bisherigen Steuerbewertungen,<br />
ggf. einer Korrektur von Bescheidungen (was wiederum Kommunen und Kreise über das<br />
Aufkommen an GewSt bzw. Kreisumlagen trifft).<br />
Bilanziell und kalkulatorisch ist eine solche Umstellung ausgesprochen schwierig. Es müßte eine<br />
komplette Rückrechnung erfolgen, um den Wegfall der Beiträge quasi von Anfang an rückwirkend<br />
zu neutralisieren. Ansonsten sind unterlassene Einnahmen oder zurückgezahlte Beiträge<br />
nicht gebührenfähig, zumal die abgelaufenen Erhebungsperioden mit den Auflösungsbeträgen<br />
nicht mehr in zukünftige Kalkulationsperioden einstellbar sind, § 6 Abs. 3 BbgKAG.<br />
Chaotisch dürfte die Behandlung bisheriger Ablösebeträge und vor allem der im Rahmen von<br />
Erschließungsvereinbarungen kostenfrei übernommenen Anlagen der inneren und äußeren Erschließung<br />
enden: Hier sind die Erschließungsträger in der Regel schon seit Jahren nicht mehr<br />
existent bzw. ist eine Rückrechnung der Gegenleistung wegen der zwischenzeitlich zahlreichen<br />
Änderungen der Beitragsmaßstäbe und deren Anrechnung im Gebührensinne unmöglich. Allein<br />
die geänderten Maßstäbe des OVG zur vollständigen Flächenheranziehung im unbeplanten Innenbereich<br />
und der Bestimmung der Geschoßanzahl anhand der baulichen Ausnutzbarkeit — jeweils<br />
per 08.06.00 — haben die Erhebungsgrundlage wesentlich abgeändert.<br />
Ohne eine vollständige Auskehrung der vereinnahmten Beiträge läßt sich die Abgabengerechtigkeit<br />
nicht mehr herstellen, ohne gesplittete Gebührensätze zu erheben. Vorgabe des OVG ist, daß<br />
im Ergebnis alle Nutzer der öffentlichen Anlage ungefähr denselben Anteil an deren Refinanzierung<br />
haben. Die Bemessung des Splittings ist nach den bisherigen Vorgaben des OVG (u.a. wg.<br />
der Umrechnung der Beiträge je m 2 in einen Bezug von Wasser/Abwasser je m 3) derart anspruchsvoll<br />
(s. Urt. v. 06.06.07, a.a.O.), daß sie in der Praxis nicht zu erfüllen sein werden. Dabei<br />
spielt der nicht kongruente Kreis der Beitrags- und der Gebührenpflichtigen eine wesentliche<br />
Rolle ebenso sowie die hohe Fluktuation im Pflichtigenkreis durch Wechsel im Eigentum.<br />
Die Gebührensätze würden sofort deutlich steigen, damit die Nutzergruppen der Mieter und der<br />
Betriebe, vor allem aber den industriellen Großbetrieben mit hohem Wasserverbrauch, belasten<br />
und erhebliche Probleme bereiten. Ansiedlungen und Bestandsproduktionsorte wären dann gefährdet,<br />
verstärkte Forderungen nach getrennten Einrichtungen oder Subventionen sowie allgemein<br />
eine Auflösung des Solidarprinzips zu erwarten. Die Akzeptanz der bisher ganz überwiegend<br />
streitfreien Gebührenerhebung würde sich beitragsähnlich wandeln und auf diesem Wege<br />
letztlich wieder die Refinanzierung gefährden.<br />
Die öffentliche Hand erleidet in Summe des Wegfalls der Beiträge und durch die entsprechende<br />
Erhöhung der Gebührensätze eine deutliche Mehrbelastung, die auf der kommunalen Ebene liegen<br />
wird. Neben der eigenen Gebäudeunterhaltung steigen die Kosten aller öffentlichen Einrichtungen<br />
entsprechend; über die Leistungen nach den SGB II und XII (KdU, Sozialhilfe) wären<br />
auch deren kommunale Träger von den Mehrkosten direkt betroffen.<br />
25. Wie hoch sind die von den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften bzw.<br />
deren Unternehmen seit 1990 eingezogenen bzw. beschiedenen Beiträge unterteilt nach<br />
Abwasser und Trinkwasser?<br />
Darüber sind die Aufgabenträger direkt zu befragen.<br />
15
26. Wenn eine Beitragsforderung verjährt ist, kann diese Beitragsforderung in ihrer Höhe<br />
nachträglich in ein Gebührenmodell eingerechnet werden?<br />
Nein. Nach der bisherigen Rechtsprechung des OVG (s. nur Urt. v. 01.12.05, a.a.O.) ist eine<br />
nachträgliche Änderung der Gebührenkalkulation zum Nachteil der Abgabenpflichtigen, etwa<br />
durch Berücksichtigung bisher nicht eingestellter Aufwandspositionen oder durch einen höheren<br />
Umlageanteil, unzulässig. Grundsätzlich unzulässig ist es auch, durch Verjährung erloschene<br />
Abgabenansprüche, § 12 Abs. 1 Nr. 5 lit. a) BbgKAG i.V.m. § 232 AO, nachträglich durch eine<br />
anderweitige Abgabenerhebung wieder refinanzieren zu wollen. Diese Ausfälle sollen — nach der<br />
Vorgabe des OVG — nicht mehr abgabenfähig sein, sondern sind durch das sog. allgemeine Verwaltungsaufkommen<br />
(letztlich also Steuern durch die Umlageerhebung) auszugleichen.<br />
27. Kann der Gesetzgeber den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften und<br />
deren Unternehmen durch Gesetz vorschreiben, generell keine Beiträge mehr zu erheben,<br />
sondern den Investitionsaufwand in die Gebührenkalkulation einzubeziehen?<br />
Der Gesetzgeber ist natürlich frei darin, die Ermächtigung in § 8 BbgKAG abzuschaffen oder<br />
einzuschränken. Wegen des Vorrangs und des Vorbehaltes des Gesetzes sind die kommunalen<br />
Satzungen dieser Gesetzesänderung anzupassen. Die konkrete Abgabenerhebung muß solche<br />
Änderungen ebenfalls berücksichtigen, die kommunale Verwaltung dies umsetzen.<br />
Ein solcher Eingriff des Gesetzgebers muß sich allerdings seinerseits an den einschlägigen Verfassungsfragen,<br />
insbesondere der Gleichbehandlung, messen lassen und führt — sollte die Änderung<br />
verfassungskonform sein — wg. Verstoß gg. das Konnexitätsprinzip zur Haftung des <strong>Land</strong>es<br />
für die hierdurch bedingten finanziellen Nachteile und Einnahmeausfälle der Kommunen bzw.<br />
der Zweckverbände.<br />
Gesondert stellt sich die Frage nach der Sinn- und Zweckmäßigkeit einer solchen Verfahrensweise.<br />
Neben der rechtlichen Zerrüttung des bisherigen öffentlichen Refinanzierungssystems seit<br />
1991 wird der Grundsatz der Rechtssicherheit für die Beteiligten ebenso angegriffen, wie auf<br />
Dauer die wirtschaftliche Stabilität der bisher gemischt refinanzierenden Aufgabenträger.<br />
Letztlich fragt sich doch jeder Bescheidempfänger, der seit 1992 auf die Erhebung eines Rechtsbehelfs<br />
verzichtet hat, ob es nicht ratsam wäre, zukünftig erstmal jedem Abgabenbescheid zu<br />
widersprechen und sein Glück beim Verwaltungsgericht zu versuchen — er weiß zwar nicht, warum,<br />
aber v11. kommt auch hier die helfende Hand der <strong>Land</strong>espolitik und befreit ihn von der zumindest<br />
lästigen Abgabe. Der Gesetzgeber sollte sich immer daran erinnern, daß eigentlich jeder<br />
von einer Abgabenerhebung Betroffene nicht wirklich gern die geforderte Abgabe zahlt. Eingriffe,<br />
wie potentiell dieser, führen außerdem immer nur zu einer Verschiebung der (meist durch die<br />
Verfahrensaufwendungen dann sogar noch steigenden) Aufwendungen der Kommunen. An der<br />
Höhe der notwendigen Refinanzierung ändert sich in Summe gar nichts (außer das Prozeß- und<br />
Verfahrenskosten den — allerdings nicht abgabenfähigen — Aufwand noch weiter erhöhen, ebenso<br />
höhere Kreditzinsen), es wird nur zwischen den Abgabenarten hin- und her geschoben.<br />
28. Was würde, vorausgesetzt der rechtlichen Machbarkeit, der Vorschlag, alle Beiträge im<br />
<strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> für den Bereich Wasser und Abwasser zurückzuerstatten, um dann den<br />
Aufwand in Gebührenkalkulationsmodellen umzulegen, für die praktische Arbeit der Aufgabenträger<br />
der öffentlichen Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung bedeuten?<br />
Die grundsätzliche rechtliche Machbarkeit auf Seiten des Gesetzgebers durch einfache Anordnung<br />
korrespondiert mit der verwaltungsgerichtlich bereits ausgeschlossenen Umsetzung für laufende<br />
und zukünftige Erhebungsperioden bis zum Ablauf der Auflösungszeiträume der dann<br />
nicht mehr zu erhebenden Beiträge. Nur wenn der kalkulatorische Einfluß der Beiträge von An-<br />
16
fang an — also vorn allerersten Beginn der gemischten Refinanzierung — ausgeschlossen wird, läßt<br />
sich das Refinanzierungsmodell noch abändern.<br />
Dies ist nur theoretisch oder mit sehr viel Geld zu leisten. Es müßte eine Rückrechnung auf Basis<br />
der tatsächlich erhobenen gemischten Entgelte einerseits und einer reinen Gebührenfinanzierung<br />
erfolgen. Die finanzielle Vergleichbarkeit der grundstücksbezogenen Beiträge (je m 2) wäre mit<br />
den anschlußbezogenen Vorhalteaufwendungen der Grundgebühren bzw. der nutzungsbezogenen<br />
Mengengebühren (je m 3) herzustellen. Der unterschiedliche Pflichtigenkreis wäre abzugleichen;<br />
viele Aufgabenträger lassen neben den dinglich Berechtigten am Grundstück auch obligatorisch<br />
Berechtigte als Gebührenpflichtige zu. Bei den Beiträgen ist der Kreis durch die verbindliche<br />
Vorgabe in § 8 Abs. 2 S. 2 bis 6 BbgKAG abschließend definiert. Allein die Rückrechnung und<br />
insoweite Zuordnung von abverlangten Leistungen an nicht mehr existente natürlich oder juristische<br />
Personen stellt eine fast unlösbare Aufgabe dar. Der damit verbundene Personalaufwand ist<br />
mit den derzeitigen Bestand und dessen Kosten nicht zu stellen, was eine gesonderte Gebührensteigerung<br />
bewirkt, die wiederum Anlaß zum Unfrieden und zur fehlenden Akzeptanz der Erhebung<br />
führt. Neben den Kosten der Abwicklung und der reinen Beitragsausfälle stellen sich die<br />
Kosten der lfd. Klageverfahren ebenso als klärungsbedürftig dar.<br />
Der Aufwandsmaßstab des Freistaates Thüringen (Gesamtkosten bei > 1,1 Mrd€) für sein Modell<br />
dürfte dabei ohne weiteres auch in <strong>Brandenburg</strong> erreicht werden.<br />
Neben der sprunghaft steigenden Belastung von Mietern (insbesondere im komplexen Wohnungsbau)<br />
dürfte sich auch erneut das Solidarproblem stellen. Dies wird in den letzten Jahren vor<br />
allem dann in Frage gestellt, wenn wasserintensive Unternehmensansiedlungen anstehen oder<br />
derartige Bestandsunternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Der Druck auf die<br />
kommunale Ebene, dann Sonderlösungen (eigene Verbands- oder bloße eigene Satzungsgebiete,<br />
Mehrzahl von öffentlichen Einrichtungen und Einzelanlagen, Sonderkonditionen fiir Großverbraucher)<br />
vorzusehen, steigt erheblich. Es wird eine verstärkte Abkopplung der Regionen mit<br />
Bevölkerungsschwund zum Berliner Rand geben, da deren Verbräuche überproportional sinken<br />
und damit die bei Gebühren ohnehin schon hohen und relativ statischen Fixkostenanteile wiederum<br />
zu einem überproportionalen weiteren Ansteigen der Gebührensätze führt. Dieser Effekt ist<br />
nur durch Fördermittel oder eben durch Beiträge zumindest teilweise kompensierbar.<br />
Allgemein wird die Akzeptanz von kommunalen Abgabenbescheiden deutlich sinken. Die große<br />
Mehrheit der Beitragspflichtigen, die (bei bereits ganz oder teilweise mit der Erhebung fertigen<br />
Zweckverbänden) keine Rechtsbehelfe geführt hat und die Bescheide hat bestandskräftig werden<br />
lassen, wird im Vertrauen auf die Wirkung des Rechtsstaates enttäuscht. Die Verläßlichkeit und<br />
der Grundsatz des Rechtsfriedens sind in diesen Mehrheitsfällen der bisherigen Beitragserhebung<br />
seit 1992 dann geradezu ad absurdum geführt. Vereinfacht: Warum sollte sich zukünftig ein Abgabenpflichtiger<br />
im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> noch auf eine medial gut durchleuchtete (und höchstrichterlich<br />
bestätigte) Rechtslage verlassen — oder wäre er nicht gehalten, immer (erstmal vorsorglich)<br />
gegen alle an ihn adressierten Abgabenbescheide vorzugehen?<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Hornauf<br />
Rechtsanwalt<br />
17
Anlage<br />
DOMBERTRECHTS ANWÄLTE Postfach 60 05 03 14405 Potsdam<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausschuss für Inneres<br />
Die Vorsitzende<br />
Am Havelblick 8<br />
14473 Potsdam<br />
DOMBERTRECHTSANWÄLTE<br />
Per E-Mail: Solveig.Herrmannsen@lan dtag.brandenb urg.de<br />
EINGEGANGEN<br />
Erledigt: 11 '<br />
2 2. MAI 2013 h3 17(<br />
,lo<br />
1<br />
(k((4 Letc,<br />
utcou-<br />
Prof. Dr. Matthias Dombert<br />
Fachanwalt für Verwaltungsrecht<br />
Janko Geßner<br />
Fachanwalt Rir Verwaltungsrecht<br />
Dr. Margarete MON-Jäckel,<br />
LL.M. (Harvard)<br />
Dr. Helmar Hentschke<br />
Prof. Dr. Klaus Herrmann<br />
Fachanwalt für Verwaltungsrecht<br />
Dr. Jan Thiele<br />
Dr. Konstantin Krukowski<br />
Dr. Martin Jansen<br />
Dr. Susanne Weber<br />
Potsdam, den 22.05.2013 AZ 338113HM01 jo D46/5581<br />
in Zusammenarbeit mit:<br />
Sekretariat: Telefon: 0331162042-73 Dr. Dittmar Hahn<br />
Sandra Jonschkowski Telefax: 0331/62042-71 Richter am BVerwG a.D.<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong> - Anhörung KAG<br />
Anhörung zu der Formulierungshilfe des MI zur Regelung<br />
einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />
Sehr geehrte Frau Stark,<br />
sehr geehrte Damen und Herren,<br />
für die Einladung zur Anhörung am 23.05.2013 danke ich Ihnen. Zur<br />
Vorbereitung der Anhörung übersende ich meine Stellungnahme, die<br />
sich an dem von Ihnen übersandten Fragenkatalog es orientiert.<br />
Für Rückfrage stehe ich morgen in der Sitzung des Innenausschusses<br />
zur Verfügung.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Mangerstraße 26<br />
14467 Potsdam<br />
Telefon 0331 / 62 042 70<br />
Prof. Dr. Klaus Herrmann Telefax 0331 / 62 042 71<br />
post@dombert.de<br />
www.dombert.de<br />
Bankverbindung<br />
Mittelbrandenburgische Sparkasse<br />
Konto-Nummer 350 301 30 90<br />
BLZ 160 500 00
- Seite 2 -<br />
Stellungnahme<br />
zur zeitlichen Obergrenze für den Vorteilsausgleich<br />
(Formulierungshilfe des MI)<br />
gegenüber dem Ausschuss für Inneres<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
22.05.2013<br />
Prof. Dr. Klaus Herrmann<br />
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht<br />
Mangerstr. 26<br />
14467 Potsdam
- Seite 3 -<br />
Mit Schreiben vom 07.05.2013 bat mich die Vorsitzende des Innenausschusses um<br />
meine Einschätzung zur Formulierungshilfe, die das Ministerium des Innern am<br />
25.04.2013 vorgelegt hatte. Inzwischen liegt ein Referentenentwurf des Innenministeriums<br />
vor, den ich nach dem Schreiben des <strong><strong>Land</strong>tag</strong>s vom 17.05.2013 ebenfalls in meine<br />
Bewertung einbeziehen soll. Entsprechend Ihrer Bitte orientiere ich meine Stellungnahme<br />
an den von den Ausschussmitgliedern formulierten Fragen.<br />
Die wichtigsten Standpunkte nehme ich vorweg:<br />
1. Die Aussagen aus dem Beschluss des Bundesverfassung sgerichts vom<br />
05.03.2013 (1 BvR 2457/08) sind auf die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> übertragbar.<br />
Insbesondere bestehen danach verfassungsrechtliche Bedenken<br />
gegen § 8 Abs. 7 S. 2 KAG in der gegenwärtigen Fassung.<br />
2. § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG zieht als Sonderregelung für das Anschlussbeitragsrechts<br />
die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht vor, weil die endgültige<br />
Fertigstellung der leitungsgebunden Einrichtungen der Aufgabenträger erst<br />
zu einem in ferner Zukunft liegenden Zeitpunkt erwartet werden kann, die<br />
Beiträge aber zur Refinanzierung des Herstellungsaufwands eingesetzt werden<br />
müssten. An diesem Regelungszweck hat sich die Empfehlung für eine<br />
zeitliche Obergrenze der Vorteilsabgeltung zu orientieren.<br />
3. Um die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen, muss eine rechtliche<br />
Verbindung zwischen dem Zeitpunkt der Vorteilsgewährung, d.h. der<br />
tatsächlichen Inanspruchnahmemöglichkeit, und dem Ausschluss der Festsetzungsbefugnis<br />
hergestellt werden. Am einfachsten und am leichtesten<br />
nachvollziehbar gelingt dies durch eine Änderung des § 8 Abs. 7 S. 2 Bbg-<br />
KAG und Streichung der Voraussetzung, dass die sachliche Beitragspflicht<br />
im Anschlussbeitragsrecht mit dem Anschluss oder der Anschlussmöglichkeit<br />
nur entsteht, wenn eine rechtswirksame Satzung existiert.<br />
4. Die Vorschläge des Innenministeriums, zusätzlich zu den Verjährungsregeln<br />
eine weitere zeitliche Obergrenze einzuführen, halte ich für nicht praktikabel.<br />
Mit dem vom Innenministerium vorgelegten Vorschlag, dass nach dem<br />
31.12.2015 auch gegenüber den sog. alterschlossenen Grundstücken keine<br />
Anschlussbeiträge mehr festgesetzt werden dürfen, kann aber eine aus meiner<br />
Sicht vertretbare Regelung erzielt werden.
- Seite 4 -<br />
Im Einzelnen:<br />
Fragen 1 und 2 — Zentrale Aussagen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom 05.03.2013 (1 BvR 2457/08) und Übertragbarkeit auf die Rechtslage in<br />
<strong>Brandenburg</strong><br />
Zur Vermeidung von Wiederholungen nehme ich für die zentralen Aussagen, mit denen<br />
das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss vom 05.03.2013 begründet hat, Bezug<br />
auf die Pressemitteilung Nr. 19/213 vom 03.04.2013. Die Pressemitteilung gibt die zentralen<br />
Aussagen in allgemein verständlicher Form wieder.<br />
Die wesentlichen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom<br />
05.03.2013 sind auch auf die Rechtslage in <strong>Brandenburg</strong> übertragbar. Gegenstand der<br />
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war eine Regelung im Bayerischen<br />
Kommunalabgabengesetz , die ausdrücklich anordnet (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b<br />
Doppelbuchst. cc 2. Spiegelstrich BayKAG), „dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung<br />
die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die<br />
gültige Satzung bekannt gemacht worden ist". im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> fehlt eine Regelung<br />
mit genau diesem Wortlaut. Durch die mit Wirkung zum 01.02.2004 in Kraft getretene<br />
Änderung des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG, wonach für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht<br />
bei leitungsgebundenen öffentlichen Einrichtungen (vor allem Trink- und<br />
Schmutzwasserleitungen) eine rechtswirksame Satzung erforderlich sei, wird durch eine<br />
andere Regelungsvariante aber eine vergleichbare Rechtsfolge angeordnet:<br />
Auch in <strong>Brandenburg</strong> beginnt die Verjährungsfrist grundsätzlich gem. § 169 Abs. 2 S. 1<br />
Nr. 2 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 4 b und Abs. 3 a BbgKAG nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. §<br />
12 Abs. 1 Nr. 4 b BbgKAG erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die sachliche Beitragspflicht<br />
entstanden ist. Während allgemein § 8 Abs. 7 S. 1 BbgKAG den Zeitpunkt<br />
der Entstehung von Beitragspflichten auf die endgültige Herstellung der Einrichtung oder<br />
Anlage festlegt, bestimmt § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG für leitungsgebundene Einrichtungen<br />
oder Anlagen im Sinne des § 8 Abs. 4 S. 3 BbgKAG, die der Trinkwasserversorgung<br />
oder Abwasserbeseitigung dienen, dass die Beitragspflicht bereits entsteht, sobald das<br />
Grundstück an die Einrichtung oder Anlage angeschlossen werden kann, frühestens mit<br />
dem Inkraftreten einer rechtswirksamen Satzung. Vor allem wegen der ausdrücklichen<br />
Anordnung, dass die Beitragspflicht eine rechtswirksame Satzung voraussetzt, beginnt
- Seite 5 -<br />
die Verjährungsfrist nicht vor der Bekanntmachung abzulaufen, die für das Inkrafttreten<br />
einer Beitragssatzung erforderlich ist (vgl. OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 12.12.2007<br />
— 9 B 44.06 und 9 B 45.06 LKV 2008, 369).<br />
Von der uneingeschränkten Übertragbarkeit des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts<br />
auf die Rechtslage der Anschlussbeiträge im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> geht bekanntlich<br />
auch das Verwaltungsgericht Cottbus im Beschluss vom 08.05.2013 — VG 6 L<br />
328/12 — aus. Obwohl dabei § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG für verfassungswidrig gehalten<br />
wurde, sah das VG Cottbus von einem Vorlagebeschluss ab, weil für die Zwecke des<br />
vorläufigen Rechtsschutzverfahrens unterstellt wurde, dass der Gesetzgeber zeitnah<br />
eine Korrektur des § 8 Abs. 7 S. 2 KAG vornimmt, die für den Ausgang des Hauptsacheverfahren<br />
zur berücksichtigen wäre.<br />
Fragen 4, 5 und 8 — Änderungsbedarf beim <strong>Brandenburg</strong>ischen KAG und Verfassungswidrigkeit<br />
des § 8 Abs. 7 S. 2 KAG<br />
Ausgehend von der oben aufgezeigten Vergleichbarkeit der durch unterschiedliche Gesetzesbestimmungen<br />
angeordneten, materiell aber vergleichbaren Rechtsfolge in Bayern<br />
und <strong>Brandenburg</strong> teile ich die Einschätzung des Verwaltungsgerichts Cottbus, wonach<br />
§ 8 Abs. 7 S. 2 KAG in der gegenwärtigen Fassung verfassungsrechtlichen Zweifeln<br />
ausgesetzt ist, solange keine zeitliche Obergrenze für die Geltendmachung eines<br />
Vorteilsausgleichs besteht.<br />
Für die danach notwendige Ergänzung einer zeitlichen Obergrenze ist sowohl eine Änderung<br />
des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG denkbar als auch eine Änderung der verfahrensrechtlichen<br />
Vorschriften in § 12 Abs. 1<br />
Nr. 4 Buchst. b) BbgKAG.<br />
Frage 3, 9 und 19 — Fallkonstellation, in denen der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts<br />
die Anwendung des <strong>Brandenburg</strong>ischen KAG in Frage stellt, insb.<br />
Altanschließer-Problematik<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat für die Bayerische <strong>Land</strong>esvorschrift, die es für verfassungswidrig<br />
erklärte, offen gelassen, welche Folgen die Unanwendbarkeit der Verjährungsvorschrift<br />
letztlich auf den Ausgang des Prozesses haben könnte. Damit wird<br />
der Gestaltungsspielraum der Länder und <strong>Land</strong>esgesetzgeber respektiert. Dies er-
- Seite 6 -<br />
schwert es aber zugleich, die Fallkonstellationen in der <strong>Brandenburg</strong>ischen Verwaltungspraxis<br />
zu konkretisieren, auf die sich die Entscheidung unmittelbar auswirkt. Es<br />
würde den Rahmen dieser Stellungnahme überschreiten, die Rechtsfolgen in den unterschiedlichen<br />
Konstellationen aufzuzeigen und zu bewerten.<br />
Sofern die Frage 9 darauf abzielte, ob insbesondere die „Beitragserhebung bei Altanschließern"<br />
aus den vom Bundesverfassungsgericht jetzt aufgezeigten Gründen einer<br />
rechtsstaatlich gebotenen zeitlichen Obergrenze für die Geltendmachung des Vorteilsausgleichs<br />
verfassungswidrig wäre, ist diese pauschale Frage zu verneinen.<br />
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass § 8 Abs. 2 BbgKAG die Beitragserhebung auf die<br />
wirtschaftlichen Vorteile bezieht, die durch die Inanspruchnahmemöglichkeit hinsichtlich<br />
einer ganz konkreten öffentlichen Einrichtung vermittelt werden. Je nachdem, wann eine<br />
tatsächliche Anschlussmöglichkeit an die konkrete öffentliche Einrichtung erstmals entstand,<br />
und nach Maßgabe des Ortsrechts, ob die Vorteile der Anschlussmöglichkeit<br />
durch eine Beitragserhebung abgegolten werden oder (auch bzw. ausschließlich) für die<br />
tatsächlichen Benutzung Gebühren erhoben wurden oder werden, können unterschiedliche<br />
Bewertungen geboten sein. Diese tatsächlich und rechtlich schwierigen Fragen<br />
haben den <strong><strong>Land</strong>tag</strong> bereits bei der Ergänzung von § 8 Abs. 4a BbgKAG beschäftigt, so<br />
dass hier Stichpunkte genügen müssen.<br />
Fest steht, dass die Geltendmachung des Anschlussbeitrags bei altangeschlossenen<br />
Grundstücken bisher vor allem als Gleichbehandlungsproblem betrachtet wurde. Als<br />
problematisch erwies sich dabei, dass unterschiedliche Gruppen von Anschlussnehmern<br />
einer öffentlichen Leitungsanlage — z.B. solche die bereits Herstellungsbeträge<br />
gezahlt haben und andere, die keine Beiträge zahlten — stets differenziert behandelt<br />
werden müssen (vgl. OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 06.06.2007 — 9 A 77.05,<br />
LKV 2008, 377 ff.; schon BVerwG, Urt. v. 26.02.1992 - 8 C 70/89, NVwZ 1992, 668 =<br />
juris, Rn. 2). Unter diesem Blickwinkel wurde in der Folge der Urteile des Oberverwaltungsgerichts<br />
Berlin-<strong>Brandenburg</strong> vom 12.12.2007 — 9 B 44.06 und 9 B 45.06 — darüber<br />
diskutiert, ob und wie Grundstücke an Investitionen in leitungsgebundene Anlagen zu<br />
beteiligen sind, bei denen - anders als bei neu angeschlossene Grundstücken - bisher<br />
kein Herstellungsbeitrag abgerechnet wurde. Dabei wurde über die zeitliche Dimension<br />
der „Beitragserhebung bei Altanschließern" nicht gesprochen. Das verwundert nicht,<br />
hatte doch das OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong> in den o.g. Urteilen einen aus dem Rechtsstaatsprinzip<br />
abgeleiteten Vertrauensschutz der Beitragsschuldner für altangeschlosse-
- Seite 7 -<br />
nen Grundstücke verneint (OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 12.12.2007 - OVG 9 B<br />
44.06, LKV 2008, 369 f. = juris, Rn. 58).<br />
Demgegenüber sieht das Bundesverfassungsgericht durch das Rechtsstaatsprinzip eine<br />
berechtigte Erwartung der Bürger als geschützt an, trotz einer theoretisch fortbestehenden<br />
Vorteilslage nicht zeitlich unbegrenzt mit Abgaben pflichten belastet werden zu können<br />
(BVerfG, Beschl. v. 05.03.2013 — 1 BvR 2457/08, Umdruck Rn. 45). Dies konnte<br />
seinerzeit vom OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong> noch nicht bedacht werden, allerdings sah<br />
auch das Bundesverwaltungsgericht, das in einem der Verfahren mit der Beschwerde<br />
gegen die Nichtzulassung der Revision angerufen wurde (vgl. Beschl. v. 14.07.2008 - 9<br />
B 22/08, juris), kein schutzwürdiges Vertrauen der Kläger und erkannte keinen Verstoß<br />
gegen bundesrechtliche oder Rechtsstaatsanforderungen.<br />
Die Gleichbehandlungsproblematik wird nicht dadurch entschärft, dass einzelne bevorteilte,<br />
aber bisher nicht veranlagte Grundstücke wegen einer zeitlichen Obergrenze für<br />
die Vorteilsabrechnung nicht mehr als beitragspflichtig gelten sollen. Für die alterschlossenen<br />
Grundstücke sollte deshalb eine besondere Regelung getroffen werden, die die<br />
vom Bundesverfassungsgericht entwickelte zeitliche Obergrenze speziell mit dem „Konzept<br />
der Gesamtfinanzierung" der leitungsgebundenen Einrichtungen und der seit dem<br />
Urteil des OVG Frankfurt (Oder) vom 05,06.2001 (2 A 611/00) feststehenden Beitragspflicht<br />
altangeschlossener Grundstücke in einen angemessenen Ausgleich bringt. Dabei<br />
können aus meiner Sicht längere Fristbestimmungen durch die verfassungsrechtlich<br />
gebotene Beseitigung einer strukturellen finanzierungsbezogenen Ungleichbehandlung<br />
grundsätzlich gerechtfertigt werden.<br />
Fragen 10 und 22 — andere Verjährungsregelungen im Beitragsrecht und Besonderheiten<br />
des Anschlussbeitragsrechts<br />
Abgabenansprüche der Beitragsgläubiger unterliegen der Festsetzungsverjährung (§ 12<br />
Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b BbgKAG i.V.m. § 169 ff. AO). Der Ablauf der grundsätzlich vierjährigen<br />
Festsetzungsfrist schließt die Befugnis der Behörde aus, Abgaben gegenüber<br />
den Abgabenschuldnern durch Bescheid festzusetzen. Daneben wird durch § 12 Abs. 1<br />
Nr. 5 Buchst. a BbgKAG auch die Zahlungsverjährung gern. § 228 ff. AO. Der Ablauf der<br />
grundsätzlich fünfjährigen Zahlungsfrist verhindert, dass festgesetzte Abgaben nicht<br />
mehr — z.B. durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen — durchgesetzt werden dürfen.
Seite 8 -<br />
Im Straßenbaubeitragsrecht gilt praktisch eine echte vierjährige Festsetzungsfrist. § 8<br />
Abs. 7 S. 1 BbgKAG ist nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts so zu<br />
verstehen, dass die VOB-Abnahme der bauprogrammgemäß hergestellten Anlage den<br />
Zeitpunkt gesetzlich festlegt, zu dem die sachliche Beitragspflicht entsteht (OVG Frankfurt/Oder,<br />
Urt. v. 23.03.2000 — 2 A 226/98). Existiert zu diesem Zeitpunkt keine wirksame<br />
Satzung, sind gleichwohl erlassene Beitragsbescheide wirksam, wenn auch rechtswidrig.<br />
Sie können aber durch eine rückwirkend in Kraft gesetzte Beitragssatzung geheilt<br />
werden. Nach Ablauf von 4 Jahren, gemessen am Jahresende des Herstellung s-<br />
zeitpunktes, ist eine Heranziehung von Anliegern insgesamt ausgeschlossen. Entweder<br />
gab es bei der Fertigstellung eine wirksame Satzung, dann ist die Festsetzungsfrist regulär<br />
abgelaufen. Am Ablauf der Festsetzungsfrist ändert sich aber auch nichts dadurch,<br />
dass eine Beitragssatzung mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Fertigstellung in Kraft<br />
gesetzt wird.<br />
In etwa vergleichbar ist die Rechtslage im Erschließungsbeitragsrecht, wobei der Entstehungszeitpunkt<br />
auf den Eingang der letzten Unternehmerrechnung datiert wird<br />
(BVerwG, Beschl. v. 21.08.1990 - 8 B 81/90, juris) - noch immer mit großem Wirklichkeitsbezug<br />
zur tatsächlichen Fertigstellung der Erschließungsanlage.<br />
Diese Rechtslage führt dazu, dass die Kommunen den Aufwand für Straßenbaumaßnahmen<br />
sehr zeitnah nach Abschluss der Bauarbeiten abrechnen. Geht dabei ein Teil<br />
der Beitragsumlage „verloren", sei es durch Abrechnungsfehler der Gemeinde (z.B. falscher<br />
Adressat wie. bei der Heranziehung von Grundstücken einer GbR) oder durch<br />
spezifische „Ost"-Probleme wie die Vermögenszuordnung oder —rückübertragung, wird<br />
eine entsprechende Belastung der Kommunen mit Beitragsausfällen hingenommen, die<br />
dann aus allgemeinen Haushaltsmitteln aufzubringen sind. Anstrengungen der Rechtsaufsichtsbehörden<br />
gegenüber den Kommunen, derartige Beitragsausfälle nach Ablauf<br />
der Festsetzungsfrist dennoch geltend zu machen, sind dem Unterzeichner nicht bekannt.<br />
Warum demgegenüber im Anschlussbeitragsrecht heute noch offene Herstellungsbeitragsansprüche<br />
bestehen, kann auch rechtlich begründet werden. Die Aufnahme und<br />
Diskussion der o.g. Urteile des OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong> vom 12.12.2007 zeigen aber,<br />
dass diese Begründungen längst nicht von allen nachvollzogen werden können. In der<br />
verwaltungsgerichtlichen Praxis kommen alltäglich „böse Enttäuschungen" vor, wenn die<br />
Richter den Klägern, die sich auf die Verjährung der Beitragsansprüche berufen, erläutern,<br />
dass die Beitragspflicht mangels wirksamer Satzung noch gar nicht entstanden ist.
- Seite 9 -<br />
Für die meisten Bürger zählt wegen vergleichbarer Erfahrungen das Kommunalabgabenrecht<br />
zu den am wenigsten transparenten und verlässlichen Rechtsgebieten. Leider<br />
gilt dies inzwischen auch für die Wahrnehmung in vielen Verwaltungsbehörden. Die<br />
Rechtszersplitterung im Bereich des Anschlussbeitragsrechts im Vergleich der Bundesländer<br />
untereinander und die für Außenstehende kaum einholbare Rechtsentwicklung in<br />
einzelnen Bundesländern sind alles andere als eine „sichere Einnahmequelle" der<br />
Kommunen und Zweckverbände zur Refinanzierung ihrer Aufgaben.<br />
Dies hängt mit den wesentlichen Unterschieden zwischen Straßenbau- und leitungsgebundenen<br />
Anlagen zusammen, die sowohl die Ausgestaltung des Herstellungsprozesses<br />
als auch den gesetzlich angeordnete Zeitpunkt der Beitragserhebung betreffen.<br />
Während bei Straßenbaumaßnahmen regelmäßig mehrmonatige Bauarbeiten zur Fertigstellung<br />
der beitragsfähigen Anlage führen, gibt es in <strong>Brandenburg</strong> wohl noch immer<br />
keine einzige leitungsgebundene Einrichtung, die im Rechtssinne fertiggestellt ist. Ursächlich<br />
hierfür ist die Rechtsanwendung der Aufgabenträger und Verwaltungsgerichte,<br />
dass als öffentliche leitungsgebundene Einrichtung die Gesamtheit aller Anlagen — ungeachtet<br />
ihrer technischen Ausführung als selbständige oder verbundene Systeme —<br />
verstanden wird, die durch eine Entscheidung des Aufgabenträgers zusammengefasst<br />
werden (vgl. etwa OVG Frankfurt/Oder, Urt. v. 26.09.2002 - 2 D 9/02.NE, LKV 2003, 284<br />
ff. = juris, Rn. <strong>43</strong>). In der Praxis bedeutet dies, dass die Herstellung der zentralen öffentlichen<br />
Leitungsanlage losgelöst wird von der für die Anschlussnehmer und Bürger sichtbaren<br />
Fertigstellung eines konkreten Leitungsabschnitts, z.B. im Zusammenhang mit<br />
gemeindlichen Straßenbauarbeiten in einer Wohnstraße. Auch die Möglichkeit des tatsächlichen<br />
Anschlusses eines einzelnen Grundstücks an einen neuen oder erneuerten<br />
Leitungsabschnitt steht somit nicht im Zusammenhang mit der Fertigstellung der Gesamtanlage.<br />
Erst wenn alle in der Planung (Trinkwasserversorgungs- oder Abwasserbeseitigungskonzept)<br />
vorgesehenen Baumaßnahmen ausgeführt und die Anlage insgesamt<br />
entsprechend den planerischen Vorstellungen der zuständigen Gemeindeorgane<br />
ausgebaut worden ist, tritt die - rechtliche - „Fertigstellung" ein. Das hat im Übrigen auch<br />
zur Folge, dass Fortschreibungen und Erweiterungen der Planung, wie sie beim Verbandsbeitritt<br />
weiterer Gemeinden oder Ortsteile regelmäßig vorkommen, den rechtlichen<br />
Zeitpunkt der Fertigstellung immer weiter in die Zukunft verschieben.<br />
Und während bei Straßenbaumaßnahmen die Beitragserhebung einen in der Vergan-<br />
genheit liegenden und damit feststehenden Kostenaufwand refinanziert, stellt § 8 Abs. 7<br />
S. 2 BbgKAG letztlich eine „Vorfinanzierung" der leitungsgebundenen Einrichtung durch
- Seite 10 -<br />
„endgültige" Beiträge sicher (vgl. OVG Frankfurt/Oder, Urt. v. 08.06.2000 — 2 D<br />
29/98.NE, LKV 2001, 132 ff. = juris Rn. 46):<br />
„Mit dem Abstellen auf die Anschlussmöglichkeit wird der Zeitpunkt des Entstehens<br />
der sachlichen Beitragspflicht von dem der endgültigen Herstellung der Anlage,<br />
auf den § 8 Abs. 7 Satz 1 KAG abstellt, vorverlegt. Diese Regelung trägt dem<br />
Umstand Rechnung, dass bei leitungsgebundenen Einrichtungen und Anlagen,<br />
die der Versorgung oder der Abwasserbeseitigung dienen (§ 8 Abs. 4 Satz 3<br />
F(AG), eine endgültige Herstellung der gesamten Anlage zeitlich regelmäßig nicht<br />
absehbar ist, der den Grundstückseigentümern durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme<br />
gebotene wirtschaftliche Vorteil, für den der Beitrag erhoben wird<br />
(§ 8 Abs. 2 Satz 2 KAG), aber bereits mit der Möglichkeit des Anschlusses an die<br />
Versorgungs- oder Abwasserbeseitigungsanlage gegeben ist. Die Kommunen<br />
brauchen somit im Interesse der Finanzierung der Einrichtung bzw. Anlage und<br />
des weiteren Ausbaus des Leitungsnetzes mit der Beitragserhebung nicht bis zur<br />
endgültigen Herstellung zu warten."<br />
Da die Entstehung der Beitragspflicht eines anschließbaren Grundstücks vor Fertigstellung<br />
der leitungsgebundenen Einrichtung damit regelmäßig nur noch von der Rechtswirksamkeit<br />
der Beitragssatzung abhängt, kommt es für den Verjährungsbeginn und das<br />
Verjährungsende in <strong>Brandenburg</strong> praktisch nicht mehr auf den konkreten Zeitpunkt der<br />
tatsächlichen Vorteilserlangung an. Erweist sich die Beitragssatzung als unwirksam,<br />
kann der Aufgabenträger mit einer neuen Beitragssatzung einen weiteren Versuch unternehmen,<br />
sachliche Beitragspflichten entstehen zu lassen.<br />
Neben diesen strukturellen Gründen können natürlich auch Entscheidungen der Aufgabenträger,<br />
ob, bei wem und auf welcher Grundlage Anschlussbeiträge erhoben, fehleranfällig<br />
sein. Was die persönliche Verantwortung für die Nichterhebung von Abgaben<br />
betrifft, ist zunächst die Rechtsaufsicht des <strong>Land</strong>es über die Kommunen und Zweckverbände<br />
angesprochen. Dem Unterzeichner wurde von Disziplinarverfahren gegen einzelne<br />
Kommunalbeamte wegen unterbliebener Beitragserhebungen außerhalb von <strong>Brandenburg</strong><br />
berichtet. Disziplinar- oder Strafverfahren gegen Mitarbeiter brandenburgischer<br />
Aufgabenträger wegen absichtlich unterlassener Nichterhebung rechtlich bestehender<br />
Anschlussbeiträge sind nicht bekannt. Angesichts der Fehleranfälligkeit kommunaler<br />
Anschlussbeitragssatzungen und der o.g. Regelungen zum Aufschub der Entstehung<br />
von Anschlussbeitragspflichten dürfte es bisher auch schwerfallen, einen endgültigen<br />
Schaden der Aufgabenträger zu beschreiben.
- Seite 11 -<br />
Fragen 6 und 7 — Notwendige Änderungen des BbgKAG und ihre Folgen<br />
Anstelle der vorn Innenministerium vorgeschlagenen Regelungsvarianten empfiehlt es<br />
sich, auch bei Anschlussbeiträgen den Beginn der Festsetzungsverjährung zukünftig an<br />
die tatsächliche Vorteilsvermittlung anzuknüpfen, d.h. an den Zeitpunkt, in dem das<br />
Grundstück an die Anlage angeschlossen wurde und angeschlossen werden kann. Damit<br />
wird einerseits dem vom BVerfG hervorgehobenen Vertrauen der Bürger Rechnung<br />
getragen, dass der Beitrag als Gegenleistung für die wirtschaftlichen Vorteile auch innerhalb<br />
einer überschaubaren Zeit seit Vermittlung der Anschlussmöglichkeit erhoben<br />
wird. Es bedarf dazu aus meiner Sicht keiner zusätzlichen Regelungen in §§ 12 oder 19<br />
BbgKAG, sondern einer Anpassung des § 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG und einer klarstellenden<br />
Überleitungsvorschrift.<br />
§ 8 Abs. 7 S. 2 BbgKAG könnte dafür wie folgt gefasst werden:<br />
„Wird ein Beitrag für die Herstellung einer leitungsgebundenen Einrichtung oder<br />
Anlage nach Abs. 4 S. 3 erhoben, so entsteht die Beitragspflicht, sobald das<br />
Grundstück an die Einrichtung oder Anlage angeschlossen ist; die Satzung kann<br />
einen späteren Zeitpunkt bestimmen, Beitragsforderungen, die noch nicht festgesetzt<br />
worden sind, entstehen frühestens mit Ablauf des 31.12.2011.<br />
§ 8 Abs. 7 S. 3 wird § 8 Abs. 7 S. 4 BbgKAG."<br />
Wegen des aufgezeigten Zusammenhangs zwischen dem Entstehen der sachlichen<br />
Anschlussbeitragspflicht und dem Schutz des Vertrauens der Bürger in die zeitnahe<br />
Abrechnung von vorteilsbezogenen Beiträgen versuchte schon das OVG Frankfurt/Oder<br />
— da es keine Änderung des Gesetzeswortlauts vornehmen konnte — zunächst, dem<br />
Vertrauensschutz durch eine formale Auslegung des Wortlauts von § 8 Abs. 7 S. 2<br />
BbgKAG Rechnung zu tragen (vgl. OVG Frankfurt/Oder, Urt. v. 08.06.2000 - 2 D<br />
29/98.NE, LKV 2001, 132 ff. = juris Rn 48 m.w.N.):<br />
„Eine Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass es auf den Zeitpunkt des<br />
erstmaligen Inkrafttretens einer in formeller wie materieller Hinsicht gültigen Sat-<br />
zung ankomme, würde den objektiven Sinngehalt der Vorschriften, eine Aus-
- Seite 12 -<br />
nahme von der Regel des Entstehens der Beitragspflicht mit der Anschlussmöglichkeit<br />
nur bis zum Erlass der ersten Satzung bzw. einer darin enthaltenen Regelung<br />
über ein weiteres Hinausschieben der Entstehung der Beitragspflicht machen<br />
zu wollen, widersprechen. Sie würde zudem zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit<br />
hinsichtlich der Zeitpunkts des Entstehens und der Verjährung von<br />
Beitragsforderungen führen, wenn und soweit Zweifel an der Gültigkeit des einschlägigen<br />
Satzungsrechts bestehen. Bei verzögertem Erlass der Beitragsbescheide<br />
könnte es zu einem Anreiz für die Kommunen kommen, sich entgegen<br />
dem Zweck des Erlasses von Beitragssatzungen, als Grundlage der Beitragserhebung<br />
innerhalb der Verjährungsfrist zu dienen, auf eine Ungültigkeit ihres Satzungsrechts<br />
zu berufen; die Ausnahmevorschriften des § 8 Abs. 7 Satz 2, 1. HS<br />
und 2. 1-15 KAG bekämen damit eine nicht gesetzesgemäße Zielrichtung."<br />
Da der Gesetzgeber nicht an den Wortlaut gebunden ist, kann heute ein Ausgleich der<br />
Interessen von Verbänden und Anschlussnehmern neu und unter Berücksichtigung der<br />
verfassungsrechtlichen Vorgaben geregelt werden. Da das Bundesverfassungsgericht —<br />
ebenso wie das Oberverwaltungsgericht Frankfurt/Oder im Urteil vom 08.06.2000 heute<br />
eine — wenn auch lockere — zeitliche Verbindung zwischen Vorteilsvermittlung und Beitragserhebung<br />
fordert, weil sich die Legitimation zur Beitragserhebung mit dem Zeitablauf<br />
„verflüchtigt", sollte eine unmittelbare Verbindung zwischen der Beschränkung der<br />
Festsetzungsbefugnis und der Anschlussmöglichkeit geregelt werden.<br />
Den Aufgabenträgern wird es durch den aufgezeigten Regelungsvorschlag auch nicht<br />
unmöglich gemacht, die noch nicht festgesetzten Beiträge auch bei auftretenden Zweifeln<br />
an der Wirksamkeit der zugrunde liegenden Beitragssatzungen durchzusetzen. Im<br />
Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens können die zugrunde liegenden Beitragssatzungen<br />
— schon mit Rückwirkung zum Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen<br />
Beitragspflicht — nachgebessert und geheilt werden. Dies ist in den beitragsrechtlichen<br />
Verfahren zu Straßenbaumaßnahmen ein übliches Vorgehen. Ein weiteres Aufschieben<br />
des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht durch erneute Satzungsbekanntmachungen<br />
wird jedoch vermieden.<br />
Die hier vorgeschlagene zeitliche Begrenzung, wonach noch nicht festgesetzte Beitragsforderungen<br />
frühestens mit Ablauf des 31.12.2011 entstehen, knüpft dabei an die Regelungen<br />
des § 12 Abs. 3a BbgKAG (vgl. Gesetz vom 02.10.2008, GVBI. I, S. 218) an.<br />
Darin hatte der Gesetzgeber infolge der o.g. Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin-<br />
<strong>Brandenburg</strong> vom 12.12.2007 angeordnet, dass bei der Erhebung eines Anschlussbei-
- Seite 13 -<br />
trags für den Anschluss oder die Möglichkeit eines Anschlusses die Festsetzungsfrist<br />
frühestens mit Ablauf des 31.12.2011 endet, sofern die Beitragsforderungen noch nicht<br />
verjährt sind. Der Gesetzgeber hat sich damit festgelegt, vor dem 31.12.2011 keine Beitragsansprüche,<br />
insbesondere in den Altanschließer-Fällen, verjähren zu lassen.<br />
Fragen 11 und 12 — Ablaufhemmung bis zum 03.10.2000 und sonstige Möglichkeiten<br />
für eine zeitliche Begrenzung der Vorteilsabgeltung<br />
In seiner Formulierungshilfe vom 25.04.2013 und in dem vorab übersandten Referenten-Entwurf<br />
eines weiteren Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />
stellt das Innenministerium darauf ab, dass den kommunalen Aufgabenträgern unter<br />
Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen des Anschlussbeitragsrechts im<br />
<strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> und dem konkreten Stand der Beitragsfestsetzung zumutbar wäre,<br />
bis zum 31.12.2015 bereits entstandene Beitragsansprüche bei den verbliebenden anschließbaren<br />
bzw. angeschlossenen Grundstücken festzusetzen. Das Innenministerium<br />
empfiehlt demnach als zeitliche Obergrenze, dass noch nicht festgesetzter Beitragsansprüche<br />
spätestens am 31.12.2015 erlöschen. Von dieser Rechtsfolge weicht der hier<br />
unterbreitete Regelungsvorschlag zeitlich nicht ab.<br />
Der Referenten-Entwurf und die Formulierungshilfe des Innenministeriums wollen jedoch<br />
vermeiden, dass die bestehenden Regelungen der Festsetzungsverjährung genutzt<br />
werden, um die „zeitliche Obergrenze" für die Abgeltung des wirtschaftlichen Vorteils<br />
auszudrücken. Dies ist nicht schlüssig. Das Innenministerium zeigt selbst auf, dass<br />
Verjährungsregel ungen in verschiedenen Rechtsgebieten die berechtigte Erwartung<br />
erfüllen, nach längerer Zeit nicht mehr als Schuldner behelligt werden zu können. Die<br />
Rechtsanwender suchen nach diesen Regelungen, um zu wissen, innerhalb welcher<br />
Zeiträume die Forderungen geltend gemacht werden können oder müssen. Warum sollen<br />
die abgabenrechtlichen Verjährungsregelungen dazu nicht geeignet sein?<br />
So sieht der Gesetzentwurf vor, dass § 12 Abs. 4 KAG um eine Formulierung ergänzt<br />
wird, die den Zweckverbänden zunächst die Möglichkeit vor Augen führt, die Festsetzungsfrist<br />
erst mit Ablauf des Jahres der endgültigen Herstellung, Erweiterung, Erneuerung<br />
oder Verbesserung der öffentlichen Einrichtung beginnen zu lassen. Damit soll den<br />
Aufgabenträgern zwar untersagt werden, in der Beitragssatzung einen Zeitpunkt für die<br />
Entstehung der sachlichen Beitragspflichten vorzusehen, der erst nach der endgültigen<br />
Fertigstellung der leitungsgebundenen Einrichtung liegen kann. Praktisch ist dies — auch
- Seite 14 -<br />
das Innenministerium benennt solche Fälle nicht — aber noch nicht vorgekommen, Es ist<br />
auch ein nur theoretischer Fall: Denn würde der Aufgabenträger die Entstehung der<br />
sachlichen Beitragspflicht auf diese Weise in die Zukunft verschieben, würde er sich<br />
selbst eine Beitragserhebung erschweren, da Anschlussbeiträge auch erst erhoben<br />
werden können, wenn die sachliche Beitragspflicht nach dem in der Satzung bestimmten<br />
Zeitpunkt entstanden ist. Die vorgeschlagene Regelung zur Ergänzung von § 12<br />
Abs. 4 Buchst. e KAG erscheint deshalb wenig geeignet, den gebotenen Zusammenhang<br />
zwischen dem Zeitpunkt der tatsächlichen Inanspruchnahmemöglichkeit und der<br />
zeitlichen Höchstgrenze zu verdeutlichen.<br />
Der Vorschlag des Innenministeriums führt vor allem zusätzlich zu den Verjährungsregelungen<br />
eine weitere zeitliche Grenze für die Vorteilabrechnung ein. Mit der „satzungsunabhängigen"<br />
zeitlichen Obergrenze bestehen jedoch keinerlei Erfahrungen, insbesondere<br />
wurde deren Verhältnis zu den Verjährungsvorschriften nicht klargestellt. Die<br />
Einführung einer zusätzlichen „zeitlichen Obergrenze" wie im § 19 BbgKAG-E oder in<br />
der Formulierungshilfe des Innenministeriums birgt die Gefahr einer Kollision mit den<br />
ebenfalls in Bezug genommenen Verjährungsvorschriften der AO. Die vom Ml vorgeschlagene<br />
Anwendung der Hemmungstatbestände in § 171 AO auch auf die zeitliche<br />
Obergrenze — egal wann sie eingreift — wirft weitere verfassungsrechtliche Fragen auf,<br />
die von den Anwendungshinweisen des MI nicht beleuchtet werden.<br />
Deshalb halte ich die Änderung des § 8 Abs. 7 BbgKAG für vorzugswürdig. Verfassungsrechtliche<br />
Bedenken bestehen jedenfalls nicht, bei leitungsgebundenen Einrichtungen<br />
die Vorteilsabgeltung auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Inanspruchnahmemöglichkeit<br />
vorzuziehen (insoweit auch Beantwortung der Frage 14). Da die Geltendmachung<br />
von Beitragsansprüchen innerhalb des kommunalabgabenrechtlich ausgestalteten<br />
Verjährungssystems, z.B. bei Straßenbaumaßnahmen, allgemein anerkannt ist und<br />
mit dem dokumentierbaren Zeitpunkt der tatsächlichen Inanspruchnahmemöglichkeit<br />
auch bei leitungsgebundenen Einrichtungen ein rechtssicherer Anknüpfungspunkt für<br />
den Beginn der Festsetzungsfrist zur Verfügung steht, kann der Sondersituation der<br />
Aufgabenträger im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> durch eine Klarstellung Rechnung getragen werden,<br />
wann die noch nicht festgesetzten Beitragsansprüche frühestens zu verjähren begannen.<br />
Nach der Diskussion um die o.g. Urteile des OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong> kann<br />
auch keine Gemeinde und kein Zweckverband mehr darauf hoffen, dass die grundsätzlich<br />
auch für sein Verbandsgebiet geltende vierjährige Festsetzungsfrist weiter aufgeweicht<br />
wird. Der Appell des Gesetzgebers in § 12 Abs. 3a BbgKAG richtete sich auch an
- Seite 15 -<br />
die Aufgabenträger, zeitnah die Voraussetzungen für eine Beitragserhebung bei den<br />
altangeschlossenen Grundstücken zu schaffen.<br />
Auch wird nicht deutlich, warum die zeitliche Obergrenze durch § 19 KAG-E mit einer<br />
extrem langen Frist umgesetzt werden muss (warum 15 und nicht 18 oder nur 9 Jahre?).<br />
„Üblich" sind jedenfalls kürzere Verjährungsfristen. Insbesondere die dreißigjährige<br />
Verjährungsfrist bleibt regelmäßig titulierten oder anerkannten Ansprüchen vorbehalten.<br />
Nach 15 Jahren kann jedenfalls die Feststellung schon sehr problematisch sein, wie ein<br />
Grundstück einmal bebaut war, von Veränderungen der Eigentumslage einmal abgesehen.<br />
Die wenig transparente Vorschrift ermutigt eher dazu, die Feststellungsfrist gern. §<br />
169 AO nicht ernst zu nehmen und perpetuiert dam it den gegenwärtigen Zustand.<br />
Fragen 15 und 16 — Praktische Folgen von Verjährungsmodellen mit Ablauf der<br />
Verjährungshöchstfristen 2015, 2020 und 2 030<br />
Keine Antwort<br />
Fragen 17 und 18 — Politische Vermittelbarkeit des bevorstehenden Ausschlusses<br />
der Durchsetzung von Anschlussbeiträgen bei sog. alterschlossenen Grundstücken<br />
Keine Antwort<br />
Fragen 20 und 21 — Umgang mit verjährten Beitragsforderungen<br />
Zum Umgang mit verjährten Beiträgen gibt es noch keine gesetzlichen Klarstellungen.<br />
Nach § 6 Abs. 2 S. 5 BbgKAG bleibt das aus Beiträgen aufgebrachte Eigenkapitalanteil<br />
bei der Ermittlung der kalkulatorischen Abschreibungen und der kalkulatorischen Verzinsung<br />
in der Berechnung von Benutzungsgebühren außer Ansatz. Damit soll vermieden<br />
werden, dass es durch die Heranziehung zu Benutzungsgebühren zu einer mit der<br />
Einmaligkeit der Beitragserhebung unvereinbaren Doppelbelastung für Anteile am Gesamtaufwand<br />
kommt, die bereits mit der Beitragsleistung entgolten wurden. Ein und<br />
dieselbe Aufwandsposition darf nach der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichts<br />
Berlin-<strong>Brandenburg</strong> nicht durch einen Beitrag umgelegt und zusätzlich nochmals in vol-
- Seite 16 -<br />
ler Höhe als Kostenposition in die Berechnung der Benutzungsgebühr eingestellt werden.<br />
In diesem Sinne stelle § 6 Abs. 2 S. 5 BbgKAG auf die tatsächlich gezahlten Beiträge<br />
ab (vgl. OVG Berlin-<strong>Brandenburg</strong>, Urt. v. 06.06.2007 — 9 A 77.05, LKV 2008, 377<br />
ff. = juris, Rn. 37). Diese Auslegung sieht das Innenministerium für die Rechtsanwendung<br />
der Aufgabenträger auch in der Verwaltungsvorschrift zum KAG vor.<br />
Fragen 24, 25, 27 und 28<br />
Über Alternativen zur Heranziehung sog. alterschlossener Grundstücke zum Anschlussbeitrag<br />
kann hier nicht Stellung genommen werden. Dies sprengt den Rahmen der kurzfristig<br />
anberaumten Sitzung des Innenausschusses.<br />
Potsdam, 22.05.2013<br />
Prof. Dr. Klaus Herrmann
EINGEGANGEN<br />
Anlage 6<br />
21. MAI 2013U-337<br />
Erledigt: i« e tivv;<br />
KO<br />
riy-<br />
Kirctszu-<br />
Ministerium des Innern des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />
Abteilung HI<br />
Herrn Rudolf Keseberg<br />
Henning-von-Tresckow-Str. 9-13<br />
14467 Potsdam<br />
Strausberg, 16. Mai 2013<br />
Sechstes Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes für das <strong>Land</strong><br />
<strong>Brandenburg</strong><br />
Sehr geehrter Herr Keseberg,<br />
für die Übersendung des o. g. Gesetzes sowie der Möglichkeit der Stellungnahme<br />
bedanke ich mich im Namen der Mitglieder der KOWAB-Ost sehr herzlich.<br />
Bereits im Vorfeld zur geplanten Anhörung im Innenausschuss haben mich die Mitglieder<br />
gebeten, Ihnen folgende Argumente zu übermitteln:<br />
1. Der Grundsatz des BVerfG, dass Abgabenschuldner für einen Vorteilsausgleich<br />
nicht unbegrenzt nach Eintritt der Vorteilslage zu Beiträgen herangezogen werden<br />
dürfen, ist nachvollziehbar.<br />
2. Das höchste Gericht des <strong>Land</strong>es, das <strong>Land</strong>esverfassungsgericht, hat die<br />
Rechtmäßigkeit der (vollständigen) Beitragserhebung bestätigt.<br />
Aus Sicht der Mitglieder der KOWAB-Ost besteht aktuell keine Notwendigkeit, das<br />
KAG zu ergänzen.<br />
KOWA3-Ost, Co Wasserverband Strausberg-Erkner, Am Wasserwerk 1. 15344 Strausberg<br />
Tei. 03341 3<strong>43</strong>-101 / Fax: -104 / fthaferkornekoviab.de
3. Sollte es der Gesetzgeber dennoch für sinnvoll halten, das KAG zu ändern, so<br />
wird die Formulierungshilfe zur Regelung einer zeitlichen Obergrenze von Minister<br />
Dr. Woidke vom 25. April 2013 (Obergrenze: 2020) begrüßt. Allerdings schlägt die<br />
KOWAB-Ost vor, hier die Obergrenze 2025 festzulegen. Damit dürfte einer<br />
rechtssicheren und vollständigen Erhebung der Beiträge in den betreffenden<br />
Verbänden am besten gedient sein.<br />
4. Die zeitliche Obergrenze im Gesetzentwurf vom 8. Mai 2013 (Obergrenze: 2015)<br />
stößt bei den Mitgliedern der KOWAB-Ost auf völlige Ablehnung.<br />
Begründung:<br />
Bei der Erhebung von (Altanlieger-)Beiträgen lassen sich im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> im<br />
Wesentlichen 3 Kategorien ausmachen:<br />
Aufgabenträger, die die Erhebung<br />
a) bereits abgeschlossen haben,<br />
b) gerade betreiben,<br />
c) noch nicht begonnen haben.<br />
Auf Grund der allseits bekannten Gerichtspraxis (Verfahrensdauer, Rügen von Formalien<br />
usw.) dürften es lediglich einige der Aufgabenträger der Kategorie a) schaffen, die<br />
Erhebung rechtssicher und ohne größere Beitragsausfälle zu vollziehen.<br />
Die Aufgabenträger der Kategorie b) wären gezwungen, ihre Erhebung mit erhöhtem<br />
personellen und technischen Aufwand bis 2015 zu vollziehen. Die Abgabenpflichtigen<br />
würden wegen der sehr nahen Verjährungsfrist mit allen Mitteln versuchen, die Erhebung<br />
zu Fall zu bringen. Auf Grund der vorliegenden Erfahrungen erwarten die Aufgabenträger<br />
eine Widerspruchs- bzw. Klagequote von nahezu 100 %. Sollten die Gerichte in der Folge<br />
Satzungs-, Bekanntmachungs- bzw. Kalkulationsmängel feststellen, hätten die<br />
Aufgabenträger keine Möglichkeit der Nachbesserung — die Erhebung würde ins Leere<br />
laufen.<br />
Den Aufgabenträgern der Kategorie c) wäre eine Erhebung z. T. gänzlich verwehrt. Auf<br />
Grund der oben beschriebenen Gerichtsproblematik ist zum Einen nicht zu erwarten,<br />
dass die Aufgabenträger in einem noch ausstehenden Zeitraum von 2 1/2 Jahren die<br />
Wirksamkeit ihrer Satzungen bestätigt bekommen werden. Zum Anderen ist der<br />
Zeitrahmen bis 2015 viel zu kurz, um ausstehende (rechtssichere) Flächenermittlungen<br />
und Kalkulationen erstellen und die sich daran anschließende Organisation der<br />
Beitragserhebung durchführen zu können. Die bereits für die Aufgabenträger der<br />
2
Kategorie b) beschriebene Rechtsproblematik fehlende Nachbesserungsmöglichkeiten<br />
der Satzungen und der Kalkulationen — trifft hier ebenso zu. Demzufolge liefe auch die<br />
Erhebung von (Altanlieger-)Beiträgen der Kategorie c) ins Leere.<br />
Schlussendlich würde das Datum 2015 bei einigen Verbänden erheblichen politischen<br />
Druck erzeugen, die Altanliegererhebung gänzlich in die Verjährung laufen zu lassen.<br />
FAZIT<br />
Mit der Festlegung einer zu „frühen" Obergrenze (vor 2020) wird einer Vielzahl von<br />
Aufgabenträgern eine rechtssichere und vollständige Beitragserhebung verwehrt. Diese<br />
Praxis wäre mit dem Prinzip der Gleichbehandlung unvereinbar, sie würde gegen die<br />
Verfassung verstoßen. Die betreffenden Verbände haben bereits angekündigt, für ihre zu<br />
erwartenden Beitragsausfälle das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> in Haftung zu nehmen.<br />
Eine Obergrenze 2025 hingegen bietet die Möglichkeit, dass von den Aufgabenträgern<br />
eine vollständige und rechtssichere Beitragserhebung vollzogen werden kann.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Nenner Haferkorn<br />
Vorstandsvorsitzender KOVVAB-Ost<br />
3
Märkischer Abwasser- und<br />
Wasserzweckverband<br />
Der Verbandsvorsteher<br />
Anland><br />
MAWV Köpenicker Str. 25 • 15711 Königs Wusterhausen<br />
EINGEGANGEN<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausschuss für Inneres<br />
Frau Vorsitzende Britta Stark<br />
Am Havelblick 8<br />
14473 Potsdam<br />
Erledigt .<br />
Vorab per E-Mail an: solveig.herrmannsenelandtaq.brandenburn.de<br />
2 4. MAI 2B13<br />
Bearbeiter:<br />
Abteilung:<br />
Durchwahl:<br />
Datum:<br />
Herr Ripplinger<br />
MAWV-K<br />
03375 2568-864<br />
21.052013<br />
Anhörung zum 6. Gesetz zur Änderung des KAG<br />
Ihr Schreiben vom 7. Mai 2013<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />
vorab bedankt sich der Märkische Abwasser- und Wasserzweckverband für die Einladung<br />
zur Anhörung am 23.05.2013 um 10:00 Uhr.<br />
Bezüglich der rechtlichen Würdigung der geplanten Gesetzesänderung schließen wir uns<br />
inhaltlich den Ausführungen des <strong>Land</strong>eswasserverbandstags, bzw. des Herrn RA<br />
Pencereci an.<br />
Da wir davon ausgehen, dass diverse Referenten die geplante Gesetzesänderung aus<br />
rechtlicher Sicht beurteilen werden, möchten wir in unseren Ausführungen auf mögliche<br />
Probleme bei der praktischen Umsetzung einer zeitlichen Obergrenze für die Verjährung<br />
im Jahre 2015 eingehen.<br />
Der MAWV ver- und entsorgt in 18 Städten und Gemeinden zwischen Berlin und dem<br />
Spreewald ca. 105.000 Einwohner. Seit der Gründung im Jahre 1994 sind dem Verband<br />
nachträglich 9 Zweckverbände, Eigenbetriebe, Gemeinden und Ortsteile beigetreten, die<br />
alle vor dem Beitritt zum MAWV in Eigenregie eine Beitragserhebung durchgeführt haben.<br />
Stellvertretender Verbandsvorsteher: Telefon: 03375 / 2568-823 Bankverbindung:<br />
Dipl.-Ing. Otto Ripplinger Telefax: 03375 / 2568-826 Deutsche Bank Königs Wusterhausen<br />
Vorsitzender der Verbandsversammlung: Internet: www.mawvde Kto.-Nr.: 1012861777 - BLZ: 120 300 00<br />
Dr. Udo Haase, E-Mail: post@mawv.de IBAN: DE 29 1203 0000 1012 8617 77<br />
Bürgermeister Gemeinde Schönefeld<br />
BIC (SWIFT-Code): BYLADEM1001
Nach der Gründung hat die Verbandsversammlung beschlossen, die Erschließungskosten<br />
über die anteilige Erhebung von Anschlussbeiträgen zu refinanzieren. Mit dieser<br />
Grundsatzentscheidung, Anschlussbeiträge zu erheben und deren konsequenter<br />
Umsetzung ist die Basis für die positive wirtschaftliche Entwicklung des MAWV<br />
geschaffen worden.<br />
Seit der Gründung sind vom Verband bis zum 31.12.2010 über 45.000 Anschlussbeiträge<br />
mit einem Volumen in Höhe von ca. 140 Mio. erhoben und zur anteiligen Finanzierung<br />
der Neuinvestitionen eingesetzt worden.<br />
Ab 01.01.2011 hat der MAVVV nach einer zweijährigen Vorlaufphase mit der Bescheidung<br />
der sogenannten Altanschließer begonnen. Hierzu haben wir ca. 19.300 Bescheide mit<br />
einem Bescheidvolumen von ca. 41,5 Mio. € erlassen. Zu diesen Bescheiden haben wir<br />
nach Abzug von Mehrfachschreiben ca. 19.000 Widersprüche erhalten, was einer<br />
Widerspruchsquote von ca. 98 % I!! entspricht. Insgesamt wurden aktuell ca. 6.000<br />
Vorgänge abschließend bearbeitet, so dass noch ca. 13.000 Widersprüche abzuarbeiten<br />
sind.<br />
Die Bescheidung für den MAWV führen 6 Mitarbeiter bei unserer<br />
Betriebsführungsgesellschaft ONVVAB mbH durch. Wobei von den 6 Mitarbeitern 3<br />
Mitarbeiter fachlich die Widersprüche abarbeiten; 2 Mitarbeiter führen vorbereitende und<br />
unterstützende Tätigkeiten durch; 1 Mitarbeiter ist für administrative und organisatorische<br />
Aufgaben zuständig. Bei einem durchschnittlichen Aufwand von ca. 1,5 Stunden pro<br />
Bescheid bräuchte man bei dem jetzigen Personalbestand ca. 4 Jahre um ca. 13.000<br />
Widerspruchsbescheide zu erlassen. Berücksichtigt man zusätzlich, dass diese<br />
Mitarbeiter auch das „Tagesgeschäft" zu sichern haben und dass neben den Bescheiden<br />
auch noch andere Arbeiten (z.B. Erlass von Stundungsbescheiden, Mahnwesen,<br />
Beantragung von Sicherungshypotheken, Zuarbeit zu Gerichtsverfahren, Beantwortung<br />
von Anfragen, usw.) zu erledigen sind, stellt man schnell fest, dass der MAWV eine<br />
kontrollierte Bescheidung bis Ende 2015 gar nicht schaffen kann.<br />
In Vorbereitung der Bescheidung der Altanschließer haben wir darüber hinaus festgestellt,<br />
dass in den Beitrittsgebieten zum MAWV ca. 10.000 Flurstücke vorhanden sind, bei den<br />
noch abschließend geklärt werden muss, ob die Beitragspflicht vorliegt und ein<br />
Anschlussbeitrag gezahlt worden ist. Für diese Aufgabe schätzen wir, wenn die<br />
Seite 2 von 4
Altanschließerbescheidung abgeschlossen ist, einen zusätzlichen Zeitbedarf von ca. 2<br />
Jahren und zusätzliche Beitragseinnahmen in Millionenhöhe.<br />
Man kann keinesfalls behaupten, dass der MAWV bisher untätig war. Das zeitliche<br />
Problem resultiert alleine aus der Größe des Verbandsgebietes und der Anzahl der zu<br />
klärenden und zu bescheidenden Flurstücke, insbesondere zur Frage der Altanschließer.<br />
Ein weiteres praktisches Problem sehen wir in einer möglichen hohen Anzahl von<br />
Verfahren, die wir zur Hemmung der Festsetzungsverjährung nur noch auf dem<br />
Rechtswege werden durchsetzen können.<br />
Gemäß § 171 (3a) der Abgabenordnung werden wir nach Ablauf der festgelegten<br />
Verjährungsfrist unsere Forderung nur durchsetzen können, wenn wir spätestens einen<br />
Monat vor Ablauf der geplanten Verjährungsfrist alle beitragspflichtigen Flurstücke im<br />
Verbandsgebiet beschieden und gegenüber den, die Widerspruch eingelegt haben, einen<br />
Widerspruchsbescheid erlassen haben. Nach dem Stichtag müssen wir, sofern wir unsere<br />
Forderung nicht verlieren möchten, zur Hemmung der Festsetzungsverjährung immer ein<br />
Urteil eines Gerichts verlangen müssen. Eine Aufhebung von uns aus würde zum Verlust<br />
unserer Forderung führen.<br />
Derzeit ist die Wahrscheinlichkeit ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zu verlieren,<br />
sehr hoch, da die Fantasie der Verwaltungsgerichte und die Vorstellung, was in einer<br />
Satzung wie geregelt oder welcher zusätzliche Nachweis des Anschlussbeitragssatzes<br />
geführt werden muss, unerschöpflich ist.<br />
Die Kosten aus den Verfahren, insbesondere wenn Sie über mehrere Instanzen gehen,<br />
können erhebliche Größenordnungen erreichen und sind nach der aktuellen<br />
Rechtsprechung auch nicht gebührenfähig.<br />
Ziel sollte daher sein, möglichst viele Bescheide bis Ablauf der Verjährungsfrist im<br />
außergerichtlichen Wege zu klären und auch noch die Möglichkeit zu haben, Bescheide<br />
von sich aus aufzuheben und neu zu erlassen.<br />
Seite 3 von 4
Eine Verjährung der Ansprüche Ende 2015 würde für den MAWV und viele andere<br />
Zweckverbände in <strong>Brandenburg</strong> zu einem enormen Zeitdruck, den Verlust der<br />
Vollständigkeit und Qualität der Bearbeitung sowie zu Einnahmeausfällen in Millionenhöhe<br />
führen.<br />
Wir bitten daher den <strong><strong>Land</strong>tag</strong>, wenn denn schon die Möglichkeit rechtlich zulässig ist, die<br />
Verjährungsfrist auf 10+20 Jahre, also bis Ende 2020, festzulegen und damit den<br />
Zweckverbänden die Möglichkeit einzuräumen die Bescheidung geordnet, vollständig und<br />
in Kommunikation mit den Bürgern durchzuführen.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Rippling<br />
Stellve retender Verbandsvorsteher<br />
Seite 4 von 4
EINGEGANGEN<br />
2 1. MAI 2013 /S20<br />
Berlin, 16. Mai 2013 Erledigt: • t ,) g(y .<br />
bci tiqk-(2,t<br />
"Dt brapr T2if<br />
Regelung einer zeitlichen Grenze zum Vorteilsausgleich in den Kommunalabgabenordnungen<br />
I<br />
l Haus &Grund<br />
-- Eigentümerschutz-Gemeinschaft<br />
I. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />
Mit Beschluss vom 5. März 2013 (Az. 1 BA 2457/08) hat das Bundesverfassungsgericht über die<br />
Verfassungsmäßigkeit von Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) cc) 2. Spiegelstrich des Kommunalabgabengesetzes<br />
(KAG) des <strong>Land</strong>es Bayern entschieden.<br />
Diese Vorschrift regelt den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung kommunaler Abgaben.<br />
Als verfassungswidrig erkannte das Bundesverfassungsgericht den Umstand, dass die Regelung<br />
einen variablen Zeitpunkt für den Beginn der Verjährung vorsieht. Die bayrische Norm sah vor,<br />
dass die Festsetzungsfrist mit Ende des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem eine wirksame<br />
Gebührensatzung erlassen wurde. Demnach führte die Aufstellung einer nur vermeintlich wirksamen<br />
Gebührensatzung nicht dazu, dass die Verjährungsfrist in Gang gesetzt wurde. Dies hatte zur<br />
Folge, dass selbst dann, wenn eine ursprünglich unwirksame Gebührensatzung erst Jahre oder<br />
Jahrzehnte später von einer wirksamen Satzung abgelöst wurde, die Verjährung erst zu diesem<br />
späteren Zeitpunkt begann. Der betroffene Grundstückseigentümer ist daher nicht in der Lage,<br />
den Zeitraum zu bestimmen, in welchem er mit einer Heranziehung zu kommunalen Abgaben<br />
(hier: Kanalherstellungsbeitrag) rechnen muss.<br />
Das Bundesverfassungsgericht sah darin einen Verstoß gegen die aus dem Rechtsstaatsprinzip<br />
abzuleitenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Den Sinn der Verjährungsfrist<br />
sieht das Gericht in einem angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen<br />
der Allgemeinheit an einer Kompensation der durch Einzelne erworbenen Vorteile einerseits<br />
und den schutzwürdigen Interessen der Vorteilsempfänger andererseits. Zwar stehe dem Gesetzgeber<br />
dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu; jedoch müsse er die Verjährungsregelungen so<br />
Haus & Grund Deutschland, Mohrenstraße 33, D-10117 Berlin<br />
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Regefung einer zeitlichen Obergrenze zurr Vorieifsausgleich im KAG <strong>Brandenburg</strong> und Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen in<br />
das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />
beschaffen, dass er dabei der schutzwürdigen Erwartung des Bürgers, irgendwann nicht mehr mit<br />
einer hoheitlichen Geldforderung überzogen zu werden, Rechnung trägt.<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat die die Unvereinbarkeit der Norm mit dem Grundgesetz festgestellt<br />
und den Gesetzgeber zur Korrektur aufgefordert. Als Möglichkeit für eine Neuregelung hat<br />
das Gericht vorgeschlagen, den Beginn der Verjährung von dem Zeitpunkt abhängig machen, in<br />
dem der auszugleichende Vorteilentstanden ist und eine Verjährungshöchstfrist festlegen.<br />
Das Verwaltungsgericht Cottbus hat mit Beschluss vom 8. Mai 2013 Az. 6 L 328/12 ) ebenfalls verfassungsrechtliche<br />
Bedenken zum brandenburgischen Kommunalabgabengesetz (KAG) wegen des<br />
Fehlen einer zeitlichen Obergrenze für die Beitragserhebung geäußert.<br />
II. Konsequenzen aus der Entscheidung<br />
Der Beschluss der Bundesverfassungsgerichts wirkt sich auf die Rechtslage derjenigen Bundesländer<br />
aus, die eine Verjährungsfrist zulassen, die ausschließlich oder zumindest frühestens an das<br />
Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung anknüpft, ohne eine zeitliche Grenze für den Verjährungsbeginn<br />
zu bestimmen.<br />
Verjährungsregelungen sind Ausfluss des Grundsatzes der Rechtssicherheit. Diese Regelungen<br />
greifen ohne betätigtes Vertrauen und erlauben es dem Einzelnen, irgendwann nicht mehr mit<br />
einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können (BVerfG, Az.<br />
1BvR 2457/08, Rn. 44). Das Bundesverfassungsgericht hat in der Urteilsbegründung deutlich gemacht,<br />
dass für den Bürger ein Zusammenhang zwischen Beitrag und Erlangung des Vorteils<br />
sichtbar sein muss (BVerfG, Az. 1BvR 2457/08, Rn. 45). Der Zweck der Verjährungsregelung ist<br />
demnach nur erfüllt, wenn die Regelung an einen Zeitpunkt anknüpft, zu dem für den Zahlungspflichtigen<br />
ein spürbarer Vorteil aus der Maßnahme entstanden ist, der die Erschließungssituation<br />
seines Grundstückes in seinen Augen, aber auch in der der allgemeinen Verkehrsanschauung, verbessert.<br />
Diese verfassungsgerichtliche Vorgabe ist gut umsetzbar, in dem die konkrete Maßnahme für das<br />
betroffene Grundstück für die Feststellung der Vorteilslage maßgeblich wird. So ist es beispielsweise<br />
jedem Bürger nachvollziehbar, ob statt einer Klär- oder Sammelgrube ein Anschluss an eine<br />
zentrale Entsorgung vorliegt oder ob das Grundstück an einer verschlissenen Verkehrseinrichtung<br />
oder neu ausgebauten und befahrbaren Straße liegt. Nicht nachvollziehbar ist für die Bürger hingegen<br />
die Feststellung der Vorteilslage nach heute gängigem Muster, das regelmäßig an die Voll-<br />
2
Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG <strong>Brandenburg</strong> und Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen in<br />
das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />
endung eines Gesamtkonzeptes anknüpft. Es ist beispielsweise nur wenigen Experten nachvollziehbar,<br />
ob eine abwassertechnische Konzeption eines Zweckverbandes bis zum Ende realisiert ist, ob<br />
die Kläranlage völlig ausgebaut, ob die letzten Meter einer Straße bis zu einer Kreuzung gepflastert<br />
sind.<br />
Darüber hinaus wäre nach Ansicht von Haus & Grund Deutschland ein Anknüpfen der Vorteilslage<br />
an außerhalb des konkreten Grundstücks liegende Aspekte mit dem jetzigen Urteil unvereinbar.<br />
Dann nämlich würde der Zeitpunkt des Verjährungsbeginns allein von der Dauer der Umsetzung<br />
der Pläne der Kommune oder des Zweckverbandes abhängig sein und damit wiederum nicht bestimmbar.<br />
Eine wirkliche, rechtsstaatliche Alternative zu diesem Vorschlag ist nicht ersichtlich. Wenn der Gesetzgeber<br />
den Verjährungsbeginn weiterhin vom Erlass einer wirksamen Satzung abhängig machte,<br />
müsste auch dieser Zeitpunkt eindeutig bestimmbar sein. Maßgeblich für den Beginn der Verjährung<br />
könnte dann auch eine Beitragsatzung sein, die unwirksam ist. Dies ist aus Sicht von Haus &<br />
Grund Deutschland keine für einen Rechtsstaat zu erwägende Alternative.<br />
Für Bürger und Eigentümer ist die Grundlage der Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Altanschließer<br />
nur schwer vermittelbar . Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong> befürwortet eine Gebührenlösung<br />
um die Beitragsgerechtigkeit zwischen Neu- und Altanschließern wiederherzustellen. Dies lässt das<br />
Kommunalabgabengesetz zu. Es wurde und wird auch praktiziert in Rheinsberg, Löwenberg und<br />
dem Eigenbetrieb in Zehdenick. Grundsätzlich ist die Gebührenregelung sinnvoll , wo zum 3. Oktober<br />
1990 große Teile der Grundstücke an die zentrale Wasser- und Abwasserversorgung angeschlossen<br />
waren.<br />
III. Vorschlag für eine Verjährungsregelung<br />
Haus & Grund fordert aus den vorstehenden Gründen eine Verjährungsregelung, die an einen<br />
festen Zeitpunkt, nämlich an die grundstücksbezogene Realisierung der Anlage oder Einrichtung,<br />
anknüpft:<br />
Beiträge nach §... und Kostenerstattungsansprüche nach §... dieses Gesetzes verjähren. Die Frist für die Verjährung<br />
beträgt 4 Jahre. Die Frist beginnt, unabhängig von der sachlichen Beitragspflicht, mit Ablauf des Kalenderjahres,<br />
in dem die Vorteilslage beim Abgabepflichtigen eingetreten ist. Die Vorteilslage ist eingetreten,<br />
3
Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG <strong>Brandenburg</strong> und Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen in<br />
das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />
wenn dem Abgabenpflichtigen grundstücksbezogen eine für einen objektiven Dritten erkennbare bautechnisch<br />
hergestellte und benutzbare Anlage oder eine sonstige Einrichtung, errichtet wurde.<br />
Der Beginn der Verjährungsfrist wurde auf das Folgejahr gelegt, in dem der wahrnehmbare Vorteil<br />
eingetreten ist. Gleichzeitig wird definiert, dass der Beginn unabhängig vom Entstehen der sachlichen<br />
Beitragspflicht eintritt. Die Zeitspanne der Festsetzungsverjährung wurde entsprechend der<br />
seit Jahren verwendeten Festsetzungsverjährungsfrist aus der Abgabenordnung (§169 AO) entnommen.<br />
Diesem Vorschlag steht nicht entgegen, dass der Aufwand eventuell nicht exakt feststellbar ist.<br />
Dies kann schon bei einer fehlenden Rechnung eines Betriebes der Fall sein. Von der Rechtsprechung<br />
ist aber anerkannt, dass auch nach einer vorläufigen Kostenermittlung abgerechnet werden<br />
kann (vgl. OVG NW Beschl. v. 31.1.2000, 15 A290/00 mit Verweis auf gefestigte Rechtsprechung).<br />
Überdies wird bei Anschlussbeiträgen regelmäßig eine Globalkalkulation durchgeführt, die sogar<br />
zukünftig zu erwartende Kosten enthalten darf.<br />
Die vorgeschlagene Regelung dient auch den Interessen der Kommunen und denen der kommunalen<br />
Verbände. Durch die zügige Abrechnung der Maßnahme wird die Liquidität der Gemeinden<br />
und Verbände verbessert. Zugleich wird mit der vierjährigen Verjährungsfrist dem berechtigten<br />
öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile Rechnung<br />
getragen. Nicht zuletzt wird die Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerung zunehmen,<br />
weil Leistung und Gegenleistung in einem überschaubaren Zeitraum erfolgen.<br />
Es läge dann künftig beim Abgabengläubiger, die sachliche Beitragspflicht schnell zum Entstehen<br />
zu bringen. Dies erfordert eine gute Vorbereitung und zügige Abrechnung der Maßnahme. Für<br />
den Beitragspflichtigen wird der Beitrag geringer, da jahrelange Zwischenfinanzierungen, die bisher<br />
zum beitragsfähigen Aufwand gehörten, vermieden werden. Soweit durch die Neuregelung das<br />
Risiko besteht, dass eine Beitragsforderung verjährt, bevor sie entsteht, ist dies eine nicht unübliche<br />
Konstellation, die es auch in anderen Rechtsgebieten, wie dem Zivilrecht, gibt.<br />
Aus der Sicht des <strong>Land</strong>esverbandes <strong>Brandenburg</strong> ist dieser Vorschlag absolut zeitgemäß . Er macht<br />
kommunale Gebührensatzungen transparenter und verständlicher einfach durch den nachvollziehbaren<br />
zeitlichen Bezug. Eine Vielzahl von Gerichtsverfahren kann vermieden werden. Der Vorschlag<br />
sollte verbunden werden mit mehr Transparenz bei der Einsicht in die Kalkulations- und Planungs-<br />
4
Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KI-\G <strong>Brandenburg</strong> und Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen in<br />
das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />
unterlagen zumindest für verantwortliche Sprecher von Haus & Grund oder von Bürgerinitiativen<br />
benannten oder gewählten Sprechern. Die Praxis seit 1990 zeigt doch, wo Kommunen oder Abwasserzweckverbände<br />
gesprächsbereit und bürgernah diese Probleme diskutierten gab es weniger<br />
Verwaltungsgerichtsverfahren. Vielfach sind Eigentümer als Sprecher von Bürgerinitiativen in die<br />
Planung eingebunden Die Praxis vieler Kommunen vorab Eigentümerversammlungen durchzuführen<br />
in dem diesen eine echtes Mitspracherecht eingeräumt wird , sollte zur Verpflichtung Kraft<br />
Gesetzes werden.<br />
Die vorgeschlagene Verjährungsregelung ist somit verfassungskonform, transparent<br />
und bürgernah, beseitigt die Unsicherheiten bei Verkauf und Bewertung von Grundstücken<br />
und wird letztendlich durch eine verbesserte Akzeptanz auch von Vorteil für<br />
die Gemeinden und Abwasserzweckverbände bei der Beitragserhebung sein.<br />
Rudolf Ehrhardt<br />
Vorsitzender<br />
Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong><br />
Postanschrift<br />
Friedrich-Engels-Str.42<br />
16792 Zehdenick<br />
Tel. 01717478135<br />
Email info@hausundgrundbrbg.de<br />
www.hausundq ru ndbrbq.de<br />
5
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Behlertstraße 33 a, D-14467 Potsdam<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausschuss für Inneres<br />
Frau Vorsitzende Britta Stark<br />
Am Havelblick 8<br />
14473 Potsdam<br />
EINGEGANGEN<br />
Erledigt: Uev<br />
2 4. HAI 20131g,ti<br />
Vorab per E-Mail: solveig.herrmannsen@landtag.brandenburg.de<br />
Anlage<br />
LWT<br />
LANDESWASSERVERBANDSTAG<br />
BRANDENBURG e.V.<br />
Behlertstraße 33 a<br />
D-14467 Potsdam<br />
Telefon: 0331 / 7 47 <strong>43</strong> 10<br />
Telefax: 0331 / 7 47 <strong>43</strong> 33<br />
E-Mai l:<br />
infogwt- b randenburg. de<br />
Internet:<br />
wwvv.lwt-brandenburg.de<br />
Vereinsregister-Nr.:<br />
VR 1204 P<br />
Ihr Zeichen: Unser Zeichen Datum<br />
pe-fr 21.05.2013<br />
Anhörung zum 6. Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes für das <strong>Land</strong><br />
<strong>Brandenburg</strong><br />
Schreiben vom 07.05.2013<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />
der <strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V. bedankt sich für die Einladung zur Anhörung<br />
am 23.05.2013 um 10:00 Uhr, zur Anhörung um 13:30 Uhr und die Möglichkeit, Stellung<br />
nehmen zu dürfen.<br />
Wegen des engen Sachzusammenhanges und dor nur kurzen zur Verfügung stehenden Zeit<br />
beziehen wir in dieser Stellungnahme sowohl Position zur Einführung von Musterverfahren<br />
als auch zur Formulierungshilfe des Ministeriums des Inneren zur Regelung einer zeitlichen<br />
Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG sowie damit verbunden auch zu dem Gesetzesvorschlag<br />
vom 08.05.2013. Eine Erweiterung bis zum 31.05.2013 behalten wir uns wegen<br />
möglicherweise eingehender Stellungnahmen unserer Mitglieder vor. Wir bitten insoweit um<br />
Verständnis.<br />
Präsident: Dr. agr. Iris Homuth Geschäftsführer:<br />
Vizepräsident: Dipl.-Ing. Johannes Schwanz<br />
RA und FAVerwR Turgut Pencereci<br />
Bankverbindung:<br />
Mittelbrandenburgische Sparkasse Potsdam<br />
BLZ: 160 500 00 Kto.-Nr. 35 250 55098
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 2 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
Musterverfahren<br />
Zu der gesetzlichen Einführung von Musterverfahren nehmen wir gerne wie folgt Stellung.<br />
Vorab dürften wir jedoch dazu bemerken, dass Musterverfahren im Abgabenrecht generell<br />
unüblich und vor allem für das Abgabenrecht als ungeeignet angesehen werden. Die führenden<br />
Kommentierungen zur Verwaltungsgerichtsordnung gehen davon aus, dass Musterverfahren<br />
im Abgabenrecht nicht geeignet sind, dem grundsätzlichen Anliegen dieser Musterverfahren,<br />
nämlich u. a. Kosten auf allen Seiten (Abgabengläubiger, Abgabenschuldner)<br />
zu sparen, gerecht zu werden. Denn die Einzelverfahren sind viel zu unterschiedlich, als<br />
dass durch die Klärung einer einzigen Rechtsfrage bereits die Verfahren insgesamt abgeschlossen<br />
werden können. Musterverfahren sind aber nur dann nützlich, wenn infolge der<br />
Gleichartigkeit der rechtlichen und tatsächlichen Fragestellungen mit ihnen die weiteren Verfahren<br />
aller Voraussicht nach erledigt werden können. Für diese Fälle hat § 93 a VwGO<br />
(Bundesrecht!) längst eine (ausreichende) Regelung getroffen. § 93 a kann analog auf Widerspruchsverfahren<br />
angewendet werden. Einer weiteren Regelung bedarf es nicht. Zu beachten<br />
ist allerdings, dass § 93 a VwGO in erster Linie Massenverfahren betrifft, Das sind<br />
Abgabenverfahren zumeist nicht, so dass diese dann auch kein Musterverfahren erfordern.<br />
Zu den einzelnen Fragen:<br />
1. Welche Erfahrungen gibt es mit solchen Musterverfahren aus Ihrer Kenntnis,<br />
wenn sie gesetzlich vorgeschrieben sind?<br />
Aus der praktischen Tätigkeit des Unterzeichners als Rechtsanwalt sind bisher nur gesetzliche<br />
Regelungen aus Mecklenburg-Vorpommern speziell zum Abgabenrecht bekannt.<br />
Musterverfahren werden ebenfalls durch den Unterzeichner nicht durchgeführt,<br />
da es bisher keine Fälle gab, die für ein solches Musterverfahren geeignet waren.<br />
2. Welche Wasser- und Abwasserverbände in <strong>Brandenburg</strong> führen bereits jetzt<br />
Musterverfahren durch und welche nicht?<br />
Dazu gibt es hier keinen vollständigen Überblick. Der Märkische Abwasser- und Wasserzweckverband<br />
in Königs Wusterhausen (MAWV) praktiziert jedoch eine den Musterverfahren<br />
nach Vorbild M-V sehr ähnliche Regelung. Dort werden geeignete Verfahren<br />
als Musterverfahren zur Klärung einer Rechtsfrage ausgewählt. Widerspruchsführer,<br />
die sich dem Ergebnis dieser Verfahren anschließen möchten, können das Ruhen
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 3 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
des Verfahrens beantragen. Sodann wird das Widerspruchsverfahren dieser Widerspruchsführer<br />
als ruhend gestellt. In der entsprechenden Vereinbarung wird niedergelegt,<br />
dass die Entscheidungen zu einer bestimmten Rechtfrage dann auch in dem Widerspruchsverfahren<br />
gelten sollen. Diese Verfahrensweise erfreut sich äußerst großer<br />
Beliebtheit, sie ist für alle Beteiligten äußerst kostengünstig und führt vor allem nicht<br />
dazu, dass Musterverfahren von Rechtsanwälten zu exorbitant hohen Gegenstandswerten<br />
geführt werden, an deren Kosten sich dann viele Widerspruchsführer beteiligen<br />
müssen.<br />
3. Lassen sich durch das Musterverfahren Kosten bei den Bürgern als Kläger sowie<br />
in der Verwaltung/bei den Wasser- und Abwasserverbänden als Beklagten<br />
einsparen?<br />
Siehe Antwort zu 2. Im Übrigen entstehen Kostennachteile, weil durch Musterverfahren<br />
der Gegenstandswert nach oben getrieben werden kann. Ein repräsentativer Fall (wie<br />
bei denen des MAWV) mit einem geringen Streitwert reicht aus!<br />
4. Kann die Einführung des Musterverfahrens zu weniger Arbeitsaufwand in der<br />
Verwaltung und bei den Gerichten führen?<br />
Dies ist durchaus denkbar, allerdings hängt es doch sehr stark davon ab, ob die Verfahren<br />
alle ohne Weiteres miteinander vergleichbar sind. Dies ist eher nicht der Fall.<br />
5. Welche weiteren Vorteile bringt die Einführung des Musterverfahrens im KAG<br />
mit sich?<br />
Wenn entsprechend geeignete Verfahren vorhanden wären, könnten sicherlich bei allen<br />
Beteiligten Kosten gespart werden. Dies muss hier bezweifelt werden.<br />
6. Welche rechtlichen und tatsächlichen Probleme bringt die Einführung des Musterverfahrens<br />
im KAG mit sich? Wie lassen sich diese Probleme lösen?<br />
Betreffen die Musterverfahren nur eine einzige Konstellation, die bei allen Widerspruchsführern<br />
bzw. Klägern absolut identisch ist, können Musterverfahren hilfreich<br />
sein. Wie bereits betont, ist dies im Abgabenrecht häufig nicht der Fall. Insofern werden<br />
dann zwar einzelne Rechtsfragen als Muster für alle Beteiligten beantwortet, die
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 4 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
konkreten Rechtsfragen im Einzelfall können jedoch nicht bearbeitet werden. Eine<br />
Problemlösung dafür gibt es nicht.<br />
7. Welche weiteren Voraussetzungen sollten bei der pflichtigen Einführung von<br />
Musterverfahren beachtet werden?<br />
Wenn überhaupt Musterverfahren eingeführt würden, so sollte es sich dabei nicht um<br />
eine verpflichtende, sondern vielmehr nur um eine „Kann-Regelung" handeln. Wie<br />
auch schon jetzt sollte es im vernünftigen Ermessen der Aufgabenträger (Abgabengläubiger)<br />
liegen, geeignete Verfahren auszuwählen. Eine Verpflichtung, solche Verfahren<br />
durchzuführen, halten wir für kontraproduktiv. Dies würde im Übrigen weiteren<br />
Raum für weitere Rechtsstreitigkeiten eröffnen. Denn würden solche Verfahren aus<br />
vernünftigen Gründen abgelehnt, bestünde allein gegen diese Ablehnung wiederum<br />
eine Klagemöglichkeit.<br />
Im Übrigen gibt es schon § 93 a VwGO!<br />
8. Ist es sinnvoll, das Ruhen der Widerspruchsverfahren gesetzlich anzuordnen,<br />
wenn Gerichtsverfahren in gleichgelagerten Fällen anhängig sind?<br />
Eine solche Regelung wird daran scheitern, dass die Bestimmung der „gleichgelagerten<br />
Fälle" kaum möglich ist.<br />
Die Aufgabenträger haben selbstverständlich schon jetzt die Möglichkeit, das Ruhen<br />
des Verfahrens mit den Widerspruchsführern zu vereinbaren.<br />
9. Ist es erforderlich, den kommunalen Aufgabenträgern vorzuschreiben, wie sie<br />
mit Widerspruchsverfahren umzugehen haben? Sollte dies nicht den Kommunen<br />
und Zweckverbänden vor Ort überlassen bleiben?<br />
Das Verwaltungsverfahrensgesetz und die Vorwaltungsgerichtsordnung legen bereits<br />
die wesentlichen Eckpunkte, teilweise auch sehr konkreten Inhalte des Verwaltungsverfahrens<br />
fest. Eine verbindliche Festlegung darüber, wie die kommunalen Aufgabenträger<br />
mit Widerspruchsverfahren umzugehen haben, ist schlichtweg nicht mehr erforderlich.<br />
Dies ist sogar bundesrechtlich in der Verwaltungsgerichtsordnung geregelt.
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 5 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
10. Hat sich die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern in der Praxis bewährt?<br />
Hier kann nur die persönliche Erfahrung des Verfassers dieser Stellungnahme wiedergegeben<br />
werden:<br />
In meiner Beratungspraxis hat es in Mecklenburg-Vorpommern keine Musterverfahren<br />
gegeben.<br />
11. Was halten Sie davon, dass der Aufgabenträger oder der Beitragsschuldner das<br />
Ruhen — anders als in Mecklenburg-Vorpommern — nach dem Gesetzentwurf<br />
nicht beenden kann?<br />
Nichts! Bei den gesamten Überlegungen zur Einführung von Musterverfahren sollte<br />
nicht vergessen werden, dass hier öffentliche Einrichtungen der Daseinsvorsorge betrieben<br />
werden, die insbesondere auf dem Gebiet der Wasserver- und Abwasserentsorgung<br />
wichtige ökologische und hygienische Funktionen haben. Diese Aufgaben<br />
müssen finanziert werden.<br />
Die kommunalen Aufgabenträger müssen in der Lage sein, die Einnahmen zu realisieren.<br />
Werden sie daran durch zu enge Verfahrensregelungen gehindert, kommt es zu<br />
Einnahmeausfällen. Hier dürfte dann auch ein Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip<br />
zu sehen sein. Denn die den Kommunen übertragene Aufgabe kann nicht mehr vernünftig<br />
finanziert werden, wenn aufgrund verfahrensrechtlicher Zwänge Einnahmen<br />
nicht realisiert werden können. Dies kann nicht im Sinne einer ordnungsgemäßen Aufgabendurchführung<br />
sein.<br />
Insgesamt halten wir die Einführung von Musterverfahren durch Gesetz für vollständig überflüssig.<br />
Die kommunalen Aufgabenträger haben schon jetzt hervorragende Möglichkeiten, die für<br />
ihre Abgabenschuldner kostengünstige Variante des Ruhens des Verfahrens zu vereinbaren,<br />
ohne dass dies in einem Gesetz festgeschrieben wird.
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 6 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
Il.<br />
Formulierungshilfe des Ministeriums des Innern zur Regelung einer zeitlichen<br />
Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 05.03.2013 letztlich in<br />
der Weise geäußert, dass es die Vorhersehbarkeit, aber auch die Berechenbarkeit der Abgabenerhebung<br />
wie folgt charakterisiert hat: „Irgendwann einmal muss auch Schluss sein."<br />
Der vom Bundesverfassungsgericht entschiedene Fall ist sicherlich ganz besonders delikater<br />
Art. Denn in Bayern kann ein ehemaliger Grundstückseigentümer auch noch Jahre nach<br />
Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für sein Grundstück zu einem weiteren Beitrag herangezogen<br />
werden, selbst wenn er das Grundstück schon viele Jahre vorher veräußert hat.<br />
Dies dürfte in <strong>Brandenburg</strong> deutlich anders sein. Gleichwohl besteht auch aus Sicht des<br />
<strong>Land</strong>eswasserverbandstags <strong>Brandenburg</strong> e. V. zur Schaffung von Rechtssicherheit die Notwendigkeit,<br />
eine zeitliche Befristung für die Abgabenerhebung einzuführen. Zwar könnte der<br />
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts so verstanden werden, dass die bayerische Variante<br />
für <strong>Brandenburg</strong> nicht gilt. Das Verwaltungsgericht Cottbus hat sich jedoch am<br />
08.05.2013 (Az.: VG 6 L 328/12) in einem bei Verfassung dieser Zeilen noch nicht rechtskräftigen<br />
Beschluss ähnlich geäußert, dessen Rechtsauffassung schließen wir uns an. Es<br />
besteht also Handlungsbedarf.<br />
Dieser Handlungsbedarf besteht allerdings nicht in der Weise, dass die Veranlagung von<br />
sog. Altanschließern dadurch ausgeschlossen wird, dass man die Verjährung auf ein Datum<br />
legt, das in der Vergangenheit liegt. Denn dann würde die von den Gerichten, insbesondere<br />
auch dem <strong>Brandenburg</strong>ischen Verfassungsgericht (Az.: 46/11 vom 21.09.2012) geforderte<br />
Gleichbehandlung bei der Beitragserhebung unterminiert. Beiträge, die nicht erhoben würden,<br />
weil Verjährung eingetreten ist, gelten als erloschen. Es ergäbe sich dann eine große<br />
Deckungslücke, die durch differenzierte Gebühren, mit großer Sicherheit aber aus allgemeinen<br />
Haushaltsmitteln der Kommunen oder des <strong>Land</strong>es ausgeglichen werden müsste. Denn<br />
einmal erloschene öffentlich-rechtliche Abgaben können nicht durch andere Abgaben (also<br />
Gebühren anstatt Beiträgen) wieder zum Leben erweckt werden.<br />
Anders ausgedrückt: Was an Beiträgen nicht mehr erhoben werden kann, kann auch nicht<br />
mehr durch Gebühren ausgeglichen werden. Es bleibt dann nur eine Belastung der Allgemeinheit.<br />
Dies ist ein krasser Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, auch wenn<br />
diesseits ein erhebliches Verständnis besteht, dass die Veranlagung von Altanschließern in<br />
der Bevölkerung nur sehr schwierig verstanden wird. Dies muss umso mehr gelten, als die
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 7 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
Veranlagung der Altanschließer nicht unmittelbar nach der politischen Wende 1989, sondern<br />
fast 20 Jahre später erfolgt.<br />
Eine Verjährung der Ansprüche im Jahre 2015 ist für die Aufgabenträger schlichtweg nicht<br />
machbar. Dies wird sich auch aus der Beantwortung der nachstehenden Fragen ergeben.<br />
Eine Verjährung im Jahre 2020 wird diesseits als frühestmöglicher Zeitpunkt gesehen, selbst<br />
dieser Zeitpunkt wird für einige Aufgabenträger nur schwierig zu halten sein. Dies gilt insbesondere<br />
auch deshalb, weil immer wieder das Risiko besteht, dass die Rechtsprechung Satzungen<br />
für unwirksam erklärt oder Beitragsbescheide deshalb aufhebt, weil deren Satzungsgrundlage<br />
nicht rechtmäßig ist.<br />
Zu den Fragen:<br />
1. Welche zentralen Aussagen trifft das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss<br />
vom 05.03.2013 (Az. BvR 245/08)?<br />
Das Bundesverfassungsgericht billigt im Ergebnis die im Abgabenrecht durchgängige<br />
Praxis der rückwirkenden Heilung von Abgabensachverhalten, die aufgrund einer<br />
rechtswidrigen Satzung nicht realisiert werden können. Es hat jedoch festgelegt, dass<br />
"irgendwann einmal Schluss sein muss".<br />
2. Ist die Entscheidung vom 05.03.2013 auf <strong>Brandenburg</strong> übertragbar? Welche<br />
Auswirkungen hat der Beschluss des BVerfG auf <strong>Brandenburg</strong>?<br />
Der Beschluss dürfte in seinen Kernaussagen übertragbar sein. Wird das in ihm enthaltene<br />
Petitum, eine zeitliche Grenze für die Abgabenerhebung aufzuführen, nicht<br />
umgesetzt, muss davon ausgegangen werden, dass auch das brandenburgische KAG<br />
insofern verfassungswidrig ist.<br />
3. Welche verschiedenen Fallkonstellationen in Bezug auf das brandenburgische<br />
KAG sind von dem Beschluss des BVerfG betroffen?<br />
Es sind alle Konstellationen dor Wasser- und Abwasserbeiträge betroffen, bei denen<br />
noch keine Festsetzung erfolgt ist (sog. Altanschließer und diverse Neuanschließer).
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 8 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
4. Ergibt sich daraus aus Ihrer Sicht ein Änderungsbedarf beim KAG des <strong>Land</strong>es<br />
<strong>Brandenburg</strong>?<br />
Ja, dieser Änderungsbedarf ergibt sich. Es ist eine zeitliche Begrenzung, wie sie der<br />
Minister des Innern einzuführen vorschlägt. Das Datum der Verjährung von Ansprüchen<br />
sollte frühestens mit dem 31.12.2020 festgelegt werden, besser erst 2025.<br />
5. Sind im bbg. KAG gesetzgeberische Änderungen notwendig, damit die Vorschriften<br />
des bbg. KAG im Einklang mit höherrangigem Recht und der Rechtsprechung<br />
des BVerfG stehen?<br />
Ja! Das VG Cottbus hat sich dazu ausdrücklich und eindeutig positioniert (Beschluss<br />
vom 08.05.2013, Az.: VG 6 L 328). Das sieht derzeit nur das VG Schworin (Urteil vom<br />
11.04.2013 — 4 A 1250/12) anders, allerdings unzutreffend.<br />
6. Wie können diese Änderungen ausgestaltet werden?<br />
Siehe 4. und 5.<br />
7. Welche rechtlichen oder tatsächlichen Folgen ziehen die in Betracht kommenden<br />
Änderungsmöglichkeiten nach sich?<br />
Das brandenburgische KAG wäre rechtmäßig, die Beitragserhebung könnte so, wie<br />
praktiziert, fortgesetzt werden.<br />
8. Ist die <strong>Brandenburg</strong>er Regelung in § 8 Abs. 7 S. 2 KAG unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen<br />
Grundsatz der Rechtssicherheit?<br />
Gesetze müssen verständlich und nachvollziehbar sein. Sio müssen auch so abgefasst<br />
sein, dass der von Ihnen Betroffene sich auf die in den Gesetzen enthaltenen<br />
Regelungsgehalte einstellen kann. § 8 Abs. 7 S. 2 KAG mag insoweit eindeutig sein,<br />
nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bedarf die Regelung einer zeitlichen<br />
Begrenzung durch eine entsprechende Ergänzung.
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 9 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
9. Ist die Beitragserhebung bei Altanschließern verfassungswidrig?<br />
Das Gegenteil ist der Fall, wie das brandenburgische <strong>Land</strong>esverfassungsgericht eindeutig<br />
entschieden hat. Die Nichterhebung von Beiträgen bei Altanschließern, sofern<br />
denn überhaupt Beiträge erhoben werden, wäre verfassungswidrig.<br />
10. Welche allgemeinen Verjährungsregelungen gibt es im Beitrags- und Abgabenrecht<br />
des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>? Wie berechnen sich diese Fristen?<br />
Hier gelten durch einen entsprechenden Verweis im brandenburgischen KAG die Fristen<br />
der Abgabenordnung. Hervorzuheben sind die vierjährige Festsetzungs- und die<br />
fünfjährige Zahlungsverjährung. Die Festsetzungsverjährung beginnt, wenn die sachliche<br />
Beitragspflicht für das Grundstück entstanden ist. Nach der derzeitigen gesetzlichen<br />
Regelung ist dies dann der Fall, wenn die Möglichkeit des Anschlusses des<br />
Grundstücks an die öffentliche Einrichtung kumulativ neben einer rechtmäßigen Satzung<br />
besteht.<br />
Die Zahlungs- oder auch Vollstreckungsverjährung beträgt demgegenüber fünf Jahre<br />
(§ 228 A0).<br />
11. Welche anderen Vorschläge für eine solche zeitliche Begrenzung wären aus Ihrer<br />
Sicht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für das <strong>Land</strong><br />
<strong>Brandenburg</strong> ebenso denkbar?<br />
Die Frage ist sehr schwierig zu beantworten. Wir gehen davon aus, dass maximal längere<br />
Verjährungsfristen denkbar sind, noch kürzere Verjährungsfristen wären nicht<br />
umsetzbar.<br />
12. Halten Sie den Vorschlag einer sog. Ablaufhemmung von zehn Jahren bis zum<br />
03.10.2000 für angemessen? Welche anderen Zeiträume sind aus Ihrer Sicht<br />
ebenso angemessen? Welche praktischen Auswirkungen sind damit verbunden?<br />
Der Vorschlag ist angemessen, im Übrigen beziehen wir uns auf die Beantwortung der<br />
übrigen Fragen.
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 10 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
13. Welcher Zeitpunkt ist bei sog. Altanschließer-Grundstücken aus Ihrer Sicht derjenige,<br />
der einen Vorteilseintritt begründet?<br />
Grundsätzlich ist dies der Zeitpunkt der Anschlussmöglichkeit. Da dieser Zeitpunkt jedoch<br />
sehr lange zurückliegt, ist mit dem OVG Mecklenburg-Vorpommern in seiner<br />
Entscheidung vom 21.04.1999 davon auszugehen, dass erstmals mit Wiederherstellung<br />
der deutschen Einheit überhaupt die Möglichkeit bestand, eine funktionsfähige<br />
und rechtmäßige öffentliche Einrichtung der Wasserversorgung bzw. Abwasserentsorgung<br />
zu schaffen. Dies mag im Einzelfall schwierig nachvollziehbar sein, der Grundsatz<br />
ist jedoch auch durch die anderen Gerichte festgelegt worden. Insofern ist die Ablaufhemmung<br />
bis zum 03.10.2000 angemessen. Der Festlegung eines Zehnjahreszeitraumes<br />
bedarf es insofern nicht, dieser ist auch eher schädlich.<br />
An dieser Stelle sei ein Hinweis auf den Sinn der Beitragserhebung gestattet. Mit den<br />
Beiträgen beteiligen sich die Anschlussnehmer mit einem einmaligen Betrag an dem<br />
Aufwand der jeweiligen öffentlichen Einrichtung. Dieser Beitrag wirkt dann entsprechend<br />
gebührenmindernd. Mit dem Beitrag wird neben den Verbrauchern (auch: Mietern),<br />
die über ihre Wasser- und Abwassergebühren die Einrichtung finanzieren, insbesondere<br />
auch der Grundstückseigentümer zur Finanzierung der öffentlichen Einrichtung<br />
herangezogen. Der Beitrag hat somit eine sozial ausgleichende Funktion, im Übrigen<br />
dient er der sog. „Generationengerechtigkeit".<br />
Bei der Beitragserhebung gilt: Alle Anschlussnehmer innerhalb einer öffentlichen Einrichtung,<br />
also beispielsweise innerhalb des Gebietes eines Wasser- und Abwasserzweckverbandes,<br />
müssen einen Beitrag leisten. Zwar mag der Vergleich etwas hinken,<br />
letztlich kann aber der Beitrag mit dem Erwerb einer (nicht rückzahlbaren) Aktie verglichen<br />
werden.<br />
14. Inwieweit sind Beitragszahlungen für zukünftige Investitionen zur Herstellung<br />
der Anlagen rechtlich zulässig und anwendbar?<br />
Beitragszahlungen sind genau dafür gedacht.
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 11 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
15. Welche praktischen/materiellen Folgen hätten Verjährungsmodelle für das <strong>Land</strong><br />
<strong>Brandenburg</strong> mit einer Verjährungsfrist von 2030, 2020 und 2015<br />
- für Vermieter<br />
- für Mieter<br />
- für Eigenheimbesitzer?<br />
Hier wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.<br />
16. Was würde die Regelung einer Verjährungshöchstfrist für die kommunalen Aufgabenträger<br />
in der Praxis bedeuten?<br />
a. 10+20-Modell: Festlegung einer regelmäßigen Höchstfrist von 20 Jahren<br />
(Hemmung bis 03.10.2000)<br />
b. Festlegung einer kürzeren regelmäßigen Höchstfrist (Hemmung bis<br />
03.10.2000)<br />
Hier kann auf die Beantwortung der vorstehenden Fragen verwiesen werden. Ergänzend<br />
wird angemerkt, dass ein Verweis auf § 171 Abs. 3 a AO nicht ausreichen dürfte,<br />
so dass die Norm quasi als KAG-Bestandteil explizit aufzuführen wäre.<br />
17. Mit welchen Forderungen wären sie vor Ort konfrontiert, wenn klar wäre, dass<br />
Ihre bisher noch nicht festgesetzten Beitragsforderungen in den nächsten<br />
20 Monaten erlöschen?<br />
Diese Frage können nur die Aufgabenträger beantworten. Allerdings darf darauf hingewiesen<br />
werden, dass ein bewusstes Hineinlaufenlassen der Beitragsforderungen in<br />
die Verjährung sogar einen Straftat-Tatbestand für die Verantwortlichen vor Ort darstellen<br />
wird. Es dürfte sich dabei um den Untreuetatbestand handeln, da die ausfallenden<br />
Beitragsforderungen nicht durch Gebührenzahlungen kompensiert werden können.<br />
Da jedes Gesetz seinen eigenen Anwendungsbefehl in sich trägt (Zitat nach: Friedrich<br />
dem Großen) müsste die Beitragserhebung unverzüglich fortgesetzt bzw. durchgeführt<br />
werden.
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 12 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
18. Was würde es für das Rechtsempfinden der Menschen vor Ort bedeuten, wenn<br />
eine Gruppe von Beitragsschuldnern privilegiert würde, weil sie nicht mehr zahlen<br />
muss? Würden Sie als kommunaler Aufgabenträger in diesem Fall erwägen,<br />
auch die bereits gezahlten Beiträge der sog. Neuanschließer zurückzuzahlen?<br />
Die letztgenannte Möglichkeit dürfte nicht nur erwogen werden, vielmehr müsste sie<br />
umgesetzt werden. Die Rückzahlung bringt jedoch weitere Probleme (Kreditaufnahmen,<br />
bilanztechnische Schwierigkeiten) mit sich.<br />
19. Sind der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der verfassungsrechtliche<br />
Gleichheitssatz noch eingehalten, wenn eine nicht unerheblich große<br />
Gruppe von Beitragsschuldnern sich der solidaren Finanzierung der öffentlichen<br />
Einrichtungen entziehen kann?<br />
Nein!<br />
20. Angenommen, die jetzt vorzunehmende Regelung würde zu einem Erlöschen<br />
von noch nicht festgesetzten Beitragsansprüchen in kurzer Frist (z. B. in den<br />
nächsten zwei Jahren) führen:<br />
a. Wer hat dann die Einnahmeausfälle der Gemeinden und Zweckverbände zu<br />
übernehmen?<br />
Da der Gebührenzahler insofern nicht zur Verfügung steht, bleiben die Einnahmeausfälle<br />
bei den Gemeinden in der Weise hängen, dass diese aus dem allgemeinen<br />
Haushalt gezahlt werden müssten. I3ei den Zweckverbänden müssten Umlagen von<br />
den Mitgliedern erhoben werden.<br />
b. Sind die Einnahmeausfälle durch Umlagen der Mitgliedsgemeinden zu finanzieren?<br />
Wenn sich niemand anderes „erbarmt", ist es so.
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 13 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
c. Wird der kommunalpolitische Druck auf die ehrenamtlichen Bürgermeister<br />
der Mitgliedsgemeinden, die Verbandsvorsteher, hauptamtlichen Bürgermeister<br />
und Gemeindevertreter etc. steigen, die bisher noch nicht festgesetzten<br />
Beitragsansprüche in die Verjährung laufen zu lassen?<br />
Dies kann nur die Praxis zeigen. Es ist niemals populär, Abgaben erheben zu müssen.<br />
Dies ist wohl auch nachvollziehbar, andererseits müssen öffentliche Einrichtungen<br />
finanziert werden.<br />
d. Meinen Sie, in Ihrem kommunalen Aufgabenträger wäre die Vertretungskörperschaft<br />
noch bereit, eine Beitragssatzung zu verabschieden?<br />
Die kommunalen Vertretungskörperschaften sind keine Parlamente, sondern rechtlich<br />
Teil der Exekutive. Sie wären gezwungen, wie auch immer, zu handeln. Würden<br />
sie gar nicht handeln, müsste die Kommunalaufsicht entsprechende Verfügungen<br />
erlassen. Würden sie fehlerhaft handeln, müsste ebenfalls die Kommunalaufsicht<br />
eingreifen.<br />
e. Kann es unter bestimmten Umständen dazu kommen, dass die Bürgermeister<br />
und Verbandsvorsteher persönlich für die nicht realisierten Beitragseinnahmen<br />
haften müssen?<br />
Wenn entsprechende Satzungen verabschiedet und diese nicht umgesetzt werden,<br />
ist das so.<br />
f. Kann es unter bestimmten Umständen dazu kommen, dass strafrechtliche<br />
Fragen aufgeworfen werden?<br />
Diese Frage kann mit großer Sicherheit mit Ja beantwortet werden.<br />
g. Würden Sie als beratender Anwalt einer Gemeinde oder eines Zweckverbandes<br />
Ihren Mandanten raten, die Beitragserhebung fortzusetzen? Zu welchem<br />
Vorgehen würden Sie Ihren Mandanten raten?
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 14 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
Da der Unterzeichner selbst auch beratender Anwalt ist, kann diese Frage aus der<br />
praktischen Erfahrung heraus nur mit Ja beantwortet werden.<br />
21. Angenommen, die jetzt vorzunehmende Regelung würde dazu führen, dass Ende<br />
2020 erstmalig der Vorteilsausgleich durch Beiträge aufgrund des § 19 KAG<br />
neu ausgeschlossen ist:<br />
a. Sind dann Einnahmeausfälle der Gemeinden und Zweckverbände in erheblichem<br />
Umfang zu befürchten?<br />
Auch bei dieser sinnvollen Regelung kann so etwas nicht völlig ausgeschlossen<br />
werden. Denn es muss nach wie vor damit gerechnet werden, dass verwaltungsgerichtliche<br />
Verfahren ihre Wirkung zeitigen.<br />
b. Ist mit kommunalpolitischem Druck zu rechnen, die bisher noch nicht festgesetzten<br />
Beitragsansprüche in die Verjährung laufen zu lassen?<br />
Es kommt auf die jeweiligen Verhältnisse vor Ort an, ist aber nicht auszuschließen.<br />
c. Hat diese Höchstfrist Auswirkung auf die Frage, ob die Vertretungskörperschaft<br />
bereit ist, eine Beitragssatzung (neu) zu verabschieden?<br />
Es ist zu vermuten, dass keine besondere Motivation besteht, kurz vor Ablauf der<br />
Verjährung noch eine Satzung zu verabschieden.<br />
d. Ist bei dieser Höchstfrist auch damit zu rechnen, dass Bürgermeister und<br />
Verbandsvorsteher persönlich für nicht zu realisierende Beitragseinnahmen<br />
haften müssen?<br />
Ja.<br />
e. Bei einem Erlöschen der Beitragsforderungen spätestens Ende 2020: Zu welchem<br />
Vorgehen würden Sie Ihrem Mandanten raten, wenn Sie beratender Anwalt<br />
der Gemeinde oder des Verbandes wären?<br />
Siehe Antwort zur Frage 20. g.
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 15 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
22. Wie konnte es dazu kommen, dass nach so vielen Jahren noch nicht alle Beitragsansprüche<br />
von den öffentlichen Auftraggebern festgesetzt sind? Ist dies<br />
unverschuldet oder haben die öffentlichen Auftraggeber dafür die Verantwortung<br />
zu tragen?<br />
Diese Frage kann nur im Einzelfall beantwortet werden. Insbesondere in den 90er Jahren<br />
ist sogar vom Mdl die Auffassung vertreten worden, es dürften keine Abgaben bei<br />
Altanschließern erhoben werden. Dann wurden die Aufgabenträger acht Jahre durch<br />
die OVG-Rechtsprechung gelähmt. Diese lange Verfahrensdauer ist ein Grund für die<br />
Sorge, 2020 könnte nicht ausreichen.<br />
23. Kann die Verbandsversammlung bzw. die Gemeindevertretung den Verbandsvorsteher<br />
anweisen, die Beitragserhebung aufgrund der Entscheidung des<br />
BVerwG auszusetzen?<br />
Dies wäre wohl nur durch einen entsprechenden Beschluss der Gemeindevertretung<br />
oder der Verbandsversammlung möglich, allerdings müsste ein solcher Beschluss unverzüglich<br />
beanstandet werden. Vor allem aber ist der Bürgermeister/die Bürgermeisterin<br />
bzw. der Verbandsvorsteher/die Verbandsvorsteherin verpflichtet, geltendes Satzungsrecht<br />
umzusetzen.<br />
24. Ist es sinnvoll, das Beitragsmodell bei den Wasser- und Abwasseranschlüssen<br />
auf ein reines Gebührenmodell umzustellen? Welche Probleme müssten dabei<br />
überwunden werden?<br />
Die Umstellung halten wir insbesondere aus bilanztechnischen und kommunalabgabenrechtlichen<br />
Gründen für sehr schwierig, zumal die Beiträge zu niedrigeren Gebühren<br />
geführt haben. Hier könnte die Situation entstehen, dass nachträglich zu erhebende<br />
Gebühren als Kompensation für bisher gezahlte Beiträge (die zurückgezahlt wurden)<br />
von den Gerichten als nicht mehr periodengerecht angesehen werden. Weiterhin<br />
bedürfte es der entsprechenden Darlehensaufnahme, weil das Geld für eine Rückzahlung<br />
(woher auch?) nicht vorhanden ist.
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 16 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
Schließlich muss auch berücksichtigt werden, dass über ein reines Gebührenmodell<br />
die Gewerbebetriebe, vor allem aber die Mieter, erheblich höher belastet werden, als<br />
wenn von den Grundstückseigentümern Beiträge erhoben werden.<br />
Ein praktisches Beispiel des ZV Fürstenwalde mag dies veranschaulichen. Es beruht<br />
auf den Angaben der Vorbandsgeschäftsführerin, die nachfolgend leicht modifiziert<br />
dargestellt sind:<br />
„Der Verband hatte seit 1994 Beiträge erhoben und diese entsprechend den gesetzlichen<br />
Regelungen auch zur Stützung der Gebühren eingesetzt, sprich: als Abzugskapital<br />
in die Gebührenkalkulation eingestellt. Das äußerte sich dann im Jahresabschluss<br />
in Form der Auflösung dieses Bilanzpostens durch Erlöse in der Gewinn- und Verlustrechnung<br />
(GuV). Kehrte man nach 20 Jahren die Beiträge aus, wären die Gebühren in<br />
all den Jahren nicht kostendeckend gewesen. Das KAG eröffnet keine Möglichkeit<br />
(und kann eine solche wohl auch nicht eröffnen), diese Unterdeckungen durch höhere<br />
Gebühren nachzuholen. Die Unterdeckungen liegen zum einen schon zu lange zurück<br />
und basieren teilweise auf einem freiwilligen Verzicht auf dem Verband zustehende<br />
Ansprüche. Die Auflösungsbeträge für die vereinnahmten Beiträge müssten im Jahr<br />
des Auskehrens rückgängig gemacht werden, der Posten (von in unserem Fall per<br />
31.12.2012 schlappen € 15,5 Mio.) wäre in der GuV als erlösmindernd einzustellen und<br />
der Jahresabschluss wäre komplett unplausibel. Der Verband würde diese € 15,5 Mio.<br />
als Fehlbetrag im Abwasserbereich ausweisen müssen. So etwas in den Gewinn- oder<br />
Verlustvortrag einzustellen, wäre das Ende der wirtschaftlichen Stabilität. Diese Verluste<br />
können dann nur durch Umlagen gegenüber den Mitgliedsgemeinden ausgeglichen<br />
werden, was die Finanzkraft der Gemeinden übersteigen dürfte. Im Klartext heißt das:<br />
Die Umstellung auf reine Gebührenfinanzierung ist — wenn überhaupt — nur für sehr<br />
wenige Aufgabenträger möglich. Dabei ist noch nicht einmal betrachtet, dass das Auskehren<br />
durchaus auch Auswirkungen auf zukünftige Gebührenkalkulationen haben<br />
kann, weil es eben ein freiwilliger Verzicht wäre, der zu einer dauerhaften Unterdeckung<br />
der Gebühren führen kann. Darin werden den Verband die Verwaltungsgerichte<br />
sicher unterstützen. Der Schuldenmanagementfonds würde dann länger (ewig) bestehen<br />
müssen."
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 17 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
25. Wie hoch sind die von den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften<br />
bzw. deren Unternehmen seit 1990 eingezogenen bzw. beschiedenen Beiträge<br />
unterteilt nach Abwasser und Trinkwasser?<br />
Dem <strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V. liegen darüber keine verlässlichen<br />
Zahlen vor, da nicht alle Aufgabenträger Mitglied sind.<br />
26. Wenn eine Beitragsforderung verjährt ist, kann diese Beitragsforderung in ihrer<br />
Höhe nachträglich in ein Gebührenmodell eingerechnet werden?<br />
Der <strong>Land</strong>eswasserverbandstag vertritt hier die ganz klare Auffassung, dass die verjährten<br />
Beitragsansprüche erloschen sind (§ 232 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 Nr. 5 a). Erloschene<br />
Forderungen können im Gegensatz zum Zivilrecht nicht noch ausgeglichen<br />
werden. Eine Kompensation durch Gebührenerhebung scheidet deshalb aus.<br />
27. Kann der Gesetzgeber den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften<br />
und deren Unternehmen durch Gesetz vorschreiben, generell keine Beiträge<br />
mehr zu erheben, sondern den Investitionsaufwand in die Gebührenkalkulation<br />
einzubeziehen?<br />
Wenn so etwas gesetzlich festgelegt würde, müsste dies umgesetzt werden. Es bestehen<br />
hier erhebliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit und an der Verfassungsmäßigkeit<br />
einer solchen gesetzlichen Regelung.<br />
28. Was würde, vorausgesetzt der rechtlichen Machbarkeit, der Vorschlag, alle Beiträge<br />
im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> für den Bereich Wasser und Abwasser zurückzuerstatten,<br />
um dann den Aufwand in Gebührenkalkulationsmodellen umzulegen, für<br />
die praktische Arbeit der Aufgabenträger der öffentlichen Trinkwasserver- und<br />
Abwasserentsorgung bedeuten?<br />
Dies ist schwer abzuschätzen, allerdings dürfte davon ausgegangen werden müssen,<br />
dass ein erheblicher Arbeitsaufwand entsteht, der mit dem jetzt vorhandenen Personal<br />
so nicht bewältigt werden könnte. Weiterhin würde die Glaubwürdigkeit des Handelns<br />
der Aufgabenträger erheblich in Mitleidenschaft gezogen, vor allem aber auch würden
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e. V.<br />
Seite 18 zum Schreiben vom 21.05.2013<br />
die Mitarbeiter der Aufgabenträger, die Beiträge erhoben haben, extrem demotiviert<br />
werden. Denn diese haben das bisher geltende Recht angewendet.<br />
Vor allem aber würde der Sinn der Beitragserhebung völlig konterkariert: Die Verteilung<br />
von Lasten gleichmäßig auf Eigentümer, Mieter und Nutzer; die Erhaltung der<br />
Generationengerechtigkeit und das Aufrechterhalten sozialverträglicher Gebühren.<br />
Mit freundln Grüß<br />
Turgut ncereci<br />
Geschä führer<br />
(
'<br />
Anlage 4 0<br />
EINGEGANGEN<br />
2 2. MAI 20131S-34<br />
<strong>Land</strong>kreistag Brandenbur Erledigt:<br />
- Per E-Mail -<br />
,1)<br />
<strong>Land</strong>kreistag <strong>Brandenburg</strong><br />
Postfach 60 10 35, 14410 Potsdam<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausschuss für Inneres<br />
Die Vorsitzende<br />
Frau Britta Stark, MdL<br />
Am Havelblick 8<br />
14473 Potsdam<br />
Hausanschrift:<br />
Jägerallee 25<br />
14469 Potsdam<br />
Postanschrift:<br />
Postfach 60 10 35<br />
14410 Potsdam<br />
E-Mail:<br />
poststelle@landkreistag-brandenburg.de<br />
Telefon: (03 31) 2 98 74 — 0<br />
Telefax: (03 31) 2 98 74 — 50<br />
Durchwahl:<br />
(03 31) 2 98 74-23<br />
Datum: 2013-05-22<br />
Az.: 20 00-10/Iw/dr<br />
(bei Antwort bitte angeben)<br />
Texlef<strong><strong>Land</strong>tag</strong>iAtIgemeinf201111201304.doc<br />
Ihr Schreiben vom<br />
Ihr Zeichen<br />
Anhörung im <strong><strong>Land</strong>tag</strong> am 23. Mai 2013 zur "Formulierungshilfe des<br />
Ministeriums des Innern zur Regelung einer zeitlichen Obergrenze<br />
zum Vorteilsausgleich im KAG" und zum "Sechsten Gesetz zur Änderung<br />
des Kommunalabgabengesetzes für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> (KAG),<br />
Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, Drs. 5/7128"<br />
hier: Stellungnahme des <strong>Land</strong>kreistages <strong>Brandenburg</strong><br />
Sehr geehrte Frau Stark,<br />
für die Möglichkeit, im Rahmen der Ausschussanhörung zu den o.<br />
g. Vorhaben Stellung nehmen zu können, dürfen wir uns zunächst<br />
herzlich bedanken. Dabei gehen wir davon aus, dass Gegenstand<br />
der Anhörung - jedenfalls auch - der zwischenzeitlich vom Ministerium<br />
des Innern vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />
sein soll.<br />
Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im<br />
KAG<br />
Im Zentrum der Diskussion steht die Einführung einer zeitlichen<br />
Obergrenze für den Vorteilsausgleich im Sinne der Verjährungshöchstfrist.<br />
Gegen ein derartiges Vorhaben bestehen unsererseits<br />
keine prinzipiellen Bedenken, da hiermit den Anforderungen des<br />
Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 5. März 2013) Rechnung<br />
getragen werden soll.<br />
Allerdings stehen bezüglich der Ausgestaltung der Verjährungshöchstfrist<br />
zwei unterschiedliche Modelle zur Diskussion: Der<br />
"Formulierungshilfe" nach soll die zeitliche Begrenzung des Vorteilsausgleich<br />
mit dem Ende des 20. Jahres, das auf den Eintritt<br />
der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen werden, wobei der Lauf<br />
der Frist bis zum 3. Oktober 2000 gehemmt sein soll (Modell 10 +<br />
20). Dies würde bedeuten, dass die Verjährungshöchstfrist die
2<br />
Erhebung der Beiträge im Abwasser- und Trinkwasserbereich bis<br />
zum Jahre 2020 ermöglichte.<br />
Wir treten nachdrücklich für eine derartige Ausgestaltung der<br />
Verjährungshöchstfrist ein und lehnen die mit dem Gesetzentwurf<br />
unterbreitete Verkürzung der Frist auf nur 15 Jahre (Modell<br />
10 + 15), die eine Abgabenerhebung lediglich bis Oktober 2015<br />
ermöglichte, aus den nachfolgend dargelegten Gründen entschieden<br />
ab.<br />
Die mit einer KAG-Novelle verfolgten Ziele würden durch eine<br />
Ausgestaltung der Verjährungshöchstfrist im Sinne des Modells<br />
10 + 20 besser erreicht werden, als dies im Falle einer sehr eng<br />
bemessenen Frist möglich wäre.<br />
In beiden Fällen würden die zentralen Anliegen des Gesetzentwurfs<br />
erreicht werden: Den kommunalen Aufgabenträgern würde<br />
ebenso wie den Beitragsschuldnern Rechtssicherheit über das Bestehen<br />
der Beitragsansprüche bzw. über den Ablauf der Heranziehungsmöglichkeit<br />
gewährleistet, jedoch würden im Falle einer 20-<br />
jährigen Verjährungshöchstfrist die zu erwartenden Einnahmeausfälle<br />
der kommunalen Aufgabenträger vermieden werden können.<br />
Hierdurch würden weiter auch Belastungen der Wirtschaft, die<br />
aufgrund der Einnahmeausfälle der Aufgabenträger und das hierdurch<br />
bedingte Absehen von Investitionen in die technische Infrastruktur<br />
einträten, unterbleiben.<br />
Diesen auf der Hand liegenden Vorteilen einer großzügiger ausgestalteten<br />
Verjährungshöchstfrist stünde ein längerer Zeitraum<br />
gegenüber, in dem die Beitragsschuldner mit einer Heranziehung<br />
zu den Beiträgen zu rechnen hätten. Dies erscheint aber durchaus<br />
zumutbar, da die hinter der jetzigen Diskussion um die Ausgestaltung<br />
der Verjährungshöchstfrist bestehende, so genannte Altanschließerproblematik<br />
seit langem bekannt ist und ein Vertrauensschutz<br />
der Beitragsschuldner insoweit zweifelhaft ist.<br />
Wägt man daher das Interesse der Aufgabenträger an einer möglichst<br />
vollständigen Beitragserhebung gegen das Interesse der<br />
Beitragsschuldner an einer möglichst zeitnah erfolgenden Heranziehung<br />
gegeneinander ab, muss das für die Aufgabenträger bestehende<br />
Ausfallwagnis den Ausschlag zugunsten einer angemessenen<br />
Ausgestaltung der Verjährungshöchstfrist geben.<br />
Dies gilt zumal vor dem Hintergrund des Bestehens der regelmäßigen,<br />
absoluten Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren, die nach<br />
gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine<br />
zutreffende Konkretisierung des Grundsatzes der Rechtssicherheit<br />
in Abwägung mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung<br />
darstellt. Es ist nicht erkennbar, warum von diesem Grundsatz<br />
vorliegend zu Lasten der kommunalen Ebene abgewichen werden<br />
sollte.<br />
Gesetzentwurf der CDU-Fraktion für ein Sechstes Gesetz zur Änderung<br />
des KAG<br />
Die mit dem Gesetzentwurf der CDU-Fraktion vorgeschlagene Ergänzung<br />
des Kommunalabgabengesetzes um eine Regelung, nach der Widerspruchsverfahren<br />
unter bestimmten Voraussetzungen gehemmt<br />
werden und Musterverfahren durchgeführt werden sollen, betrifft<br />
keinesfalls nur die Beitragserhebung im Trink- und Abwasserbereich,<br />
sondern erfasst auch die von den <strong>Land</strong>kreisen auf sat-
3<br />
zungsrechtlicher Grundlage erhobenen Kommunalabgaben, z. B. im<br />
Bereich der Abfallwirtschaft oder des Rettungsdienstes.<br />
Der unterbreitete Vorschlag wird von uns kritisch bewertet, da<br />
er eine Verpflichtung der Aufgabenträger zur Durchführung der<br />
Musterverfahren vorsieht. Hiermit wären angesichts der oftmals<br />
mehrere Jahre andauernden gerichtlichen Verfahren erhebliche<br />
Rechtsunsicherheiten in einer Vielzahl von Fällen verbunden, zumal<br />
die Musterverfahren durchaus verschiedene, satzungsrechtlich<br />
geregelte Themenkomplexe betreffen können, so dass verschiedenste<br />
satzungsrechtliche Regelungen über Jahre hinweg in Frage gestellt<br />
werden könnten.<br />
Hiermit wären für die Aufgabenträger erhebliche finanzielle Unsicherheiten<br />
verbunden. Einen demgegenüber entstehenden Zugewinn<br />
an Rechtssicherheit vermögen wir dagegen nicht zu erkennen.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Dr. Paul-Peter Humpert
Anlage 44<br />
Anhörung zur<br />
Formulierungshilfe des Ministeriums des Innern zur Regelung<br />
einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />
Donnerstag, 23. Mai 2013, 10.00 Uhr,<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Liste der Anzuhörenden - Eingeladener Teilnehmerkreis<br />
Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff<br />
Europa-Universität Viadrina, Lehrstuhl für<br />
Öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht<br />
und Verfassungsgeschichte<br />
Prof. Dr. Mario Martini<br />
Deutsche Universität für<br />
Verwaltungswissenschaften Speyer, Lehrstuhl<br />
für Verwaltungswissenschaft, Staatsrecht,<br />
Verwaltungsrecht und Europarecht<br />
Ingo Zeutschel<br />
Zeutschel & Schröder Rechtsanwälte<br />
Sven Hornauf<br />
Rechtsanwaltskanzlei Zarzycki & Hornauf<br />
Prof. Dr. Klaus Herrmann<br />
Dombert Rechtsanwälte<br />
Nenner Haferkorn<br />
Wasserverband Strausberg Erkner<br />
Rainer Werber<br />
KOWAB <strong>Brandenburg</strong>-Ost<br />
Otto Ripplinger<br />
Märkischer Abwasser- und<br />
Wasserzweckverband<br />
Rudolf Ehrhardt<br />
<strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er Haus-,<br />
Wohnungs- und Grundeigentümervereine<br />
Turgut Pencereci<br />
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.<br />
Dr. Paul-Peter Humpert<br />
<strong>Land</strong>kreistag <strong>Brandenburg</strong> e.V.<br />
Karl-Ludwig Böttcher<br />
Städte- und Gemeindebund <strong>Brandenburg</strong> e.V.
Anlage 12<br />
Anhörung zur<br />
Formulierungshilfe des Ministeriums des Innern zur Regelung<br />
einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG<br />
Donnerstag, 23. Mai 2013, 10.00 Uhr,<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Fragenkatalog<br />
1. Welche zentralen Aussagen trifft das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss<br />
vom 05.03.2013 (Az. BvR 2457/08)?<br />
2. Ist die Entscheidung vom 05.03.2013 auf <strong>Brandenburg</strong> übertragbar? Welche Auswirkungen<br />
hat der Beschluss des BVerfG auf <strong>Brandenburg</strong>?<br />
3. Welche verschiedenen Fallkonstellationen in Bezug auf das brandenburgische KAG<br />
sind von dem Beschluss des BVerfG betroffen?<br />
4. Ergibt sich daraus aus Ihrer Sicht ein Änderungsbedarf beim KAG des <strong>Land</strong>es<br />
<strong>Brandenburg</strong>?<br />
5. Sind im brandenburgischen KAG gesetzgeberische Änderungen notwendig, damit<br />
die Vorschriften des brandenburgischen KAG im Einklang mit höherrangigem<br />
Recht und der Rechtsprechung des BVerfG stehen?<br />
6. Wie können diese Änderungen ausgestaltet werden?<br />
7. Welche rechtlichen und tatsächlichen Folgen ziehen die in Betracht kommenden<br />
Änderungsmöglichkeiten nach sich?<br />
8. Ist die <strong>Brandenburg</strong>er Regelung in § 8 Abs. 7 S. 2 KAG unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen<br />
Grundsatz der Rechtssicherheit?<br />
9. Ist die Beitragserhebung bei Altanschließern verfassungswidrig?<br />
10. Welche allgemeinen Verjährungsregelungen gibt es im Beitrags- und Abgabenrecht<br />
des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong>? Wie berechnen sich diese Fristen?<br />
11. Welche anderen Vorschläge für eine solche zeitliche Begrenzung wären aus ihrer<br />
Sicht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
ebenso denkbar?<br />
12. Halten Sie den Vorschlag einer so genannten Ablaufhemmung von 10 Jahren bis<br />
zum 3. Oktober 2000 für angemessen, welche anderen Zeiträume sind aus Ihrer<br />
Sicht ebenso angemessen? Welche praktischen Auswirkungen sind damit verbunden?<br />
13. Welcher Zeitpunkt ist bei so genannten Altanschließer-Grundstücken aus Ihrer<br />
Sicht derjenige, der einen Vorteilseintritt begründet?<br />
1
14. Inwieweit sind Beitragszahlungen für zukünftige Investitionen zur Herstellung der<br />
Anlagen rechtlich zulässig und anwendbar?<br />
15. Welche praktischen/materiellen Folgen hätten Verjährungsmodelle für das <strong>Land</strong><br />
<strong>Brandenburg</strong> mit einer Verjährungsfrist von 2030, 2020 und 2015<br />
- für Vermieter<br />
- für Mieter<br />
- für Eigenheimbesitzer?<br />
16. Was würde die Regelung einer Verjährungshöchstfrist für die kommunalen Aufgabenträger<br />
in der Praxis bedeuten?<br />
a. 10+20-Modell: Festlegung einer regelmäßigen Höchstfrist von 20 Jahren<br />
(Hemmung bis 3.10.2000)<br />
b. Festlegung einer kürzeren regelmäßigen Höchstfrist (Hemmung bis<br />
3.10.2000)<br />
17. Mit welchen Forderungen wären Sie vor Ort konfrontiert, wenn klar wäre, dass Ihre<br />
bisher noch nicht festgesetzten Beitragsforderungen in den nächsten 20 Monaten<br />
erlöschen?<br />
18. Was würde es für das Rechtsempfinden der Menschen vor Ort bedeuten, wenn eine<br />
Gruppe von Beitragsschuldnern privilegiert würde, weil sie nicht mehr zahlen<br />
muss? Würden Sie als kommunaler Aufgabenträger in diesem Fall erwägen, auch<br />
die bereits gezahlten Beiträge der sog. Neuanschließer zurückzuzahlen?<br />
19. Sind der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der verfassungsrechtliche<br />
Gleichheitssatz noch eingehalten, wenn eine nicht unerheblich große Gruppe<br />
von Beitragsschuldnern sich aus der solidarischen Finanzierung der öffentlichen<br />
Einrichtungen entziehen kann?<br />
20. Angenommen, die jetzt vorzunehmende Regelung würde zu einem Erlöschen von<br />
noch nicht festgesetzten Beitragsansprüchen in kürzer Frist (z.B. in den nächsten<br />
zwei Jahren) führen:<br />
a. Wer hat dann die Einnahmeausfälle der Gemeinden und Zweckverbände zu<br />
übernehmen?<br />
b. Sind die Einnahmeausfälle durch Umlagen der Mitgliedsgemeinden zu finanzieren?<br />
c. Wird der kommunalpolitische Druck auf die ehrenamtlichen Bürgermeister<br />
der Mitgliedsgemeinden, die Verbandsvorsteher, hauptamtlichen Bürgermeister<br />
und Gemeindevertreter etc. steigen, die bisher noch nicht festgesetzten<br />
Beitragsansprüche in die Verjährung laufen zu lassen?<br />
d. Meinen Sie in Ihrem kommunalen Aufgabenträger wäre die Vertretungskörperschaft<br />
noch bereit eine Beitragssatzung zu verabschieden?<br />
e. Kann es unter bestimmten Umständen dazu kommen, dass die Bürgermeister<br />
und Verbandsvorsteher persönlich für die nicht realisierten Beitragseinnahmen<br />
haften müssen?<br />
f. Kann es unter bestimmten Umständen dazu kommen, dass strafrechtliche<br />
Fragen aufgeworfen werden?<br />
g. Würden Sie als beratender Anwalt einer Gemeinde oder eines Zweckverbandes<br />
Ihrem Mandanten raten, die Beitragserhebung fortzusetzen? Zu welchem<br />
Vorgehen würden Sie Ihrem Mandanten raten?<br />
2
21. Angenommen, die jetzt vorzunehmende Regelung würde dazu führen, dass Ende<br />
2020 erstmalig der Vorteilsausgleich durch Beiträge aufgrund des § 19 KAG neu<br />
ausgeschlossen ist:<br />
a. Sind dann Einnahmeausfälle der Gemeinden und Zweckverbände in erheblichem<br />
Umfang zu befürchten?<br />
b. Ist mit kommunalpolitischem Druck zu rechnen, die bisher noch nicht festgesetzten<br />
Beitragsansprüche in die Verjährung laufen zu lassen?<br />
c. Hat diese Höchstfrist Auswirkung auf die Frage, ob die Vertretungskörperschaft<br />
bereit ist, eine Beitragssatzung (neu) zu verabschieden?<br />
d. Ist bei dieser Höchstfrist auch damit zu rechnen, dass Bürgermeister und<br />
Verbandsvorsteher persönlich für nicht zu realisierende Beitragseinnahmen<br />
haften müssen?<br />
e. Bei einem Erlöschen der Beitragsforderungen spätestens Ende 2020; Zu<br />
welchem Vorgehen würden Sie Ihrem Mandanten raten, wenn sie beratender<br />
Anwalt der Gemeinde oder des Verbandes wären?<br />
22. Wie konnte es dazu kommen, dass nach so vielen Jahren noch nicht alle Beitragsansprüche<br />
von den öffentlichen Aufgabenträgern festgesetzt sind? Ist dies unverschuldet<br />
oder haben die öffentlichen Aufgabenträger dafür die Verantwortung zu<br />
tragen?<br />
23. Kann die Verbandsversammlung bzw. die Gemeindevertretung den Verbandsvorsteher<br />
anweisen, die Beitragserhebung aufgrund der Entscheidung des BVerfG<br />
auszusetzen?<br />
24. Ist es sinnvoll, das Beitragsmodell bei den Wasser- und Abwasseranschlüssen auf<br />
ein reines Gebührenmodell umzustellen? Welche Probleme müssten dabei überwunden<br />
werden?<br />
25. Wie hoch sind die von den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften<br />
bzw. deren Unternehmen seit 1990 eingezogenen bzw. beschiedenen Beiträge<br />
unterteilt nach Abwasser und Trinkwasser?<br />
26. Wenn eine Beitragsforderung verjährt ist, kann diese Beitragsforderung in ihrer Höhe<br />
nachträglich in ein Gebührenmodell eingerechnet werden?<br />
27. Kann der Gesetzgeber den ver- und entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften<br />
und deren Unternehmen durch Gesetz vorschreiben, generell keine Beiträge mehr<br />
zu erheben, sondern den Investitionsaufwand in die Gebührenkalkulation einbeziehen?<br />
28. Was würde, vorausgesetzt der rechtlichen Machbarkeit, der Vorschlag, alle Beiträge<br />
im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> für den Bereich Wasser und Abwasser zurückzuerstatten,<br />
um dann den Aufwand in Gebührenkalkulationsmodellen umzulegen, für die<br />
praktische Arbeit der Aufgabenträger der öffentlichen Trinkwasserver- und -<br />
entsorgung bedeuten?<br />
3
Anlage <strong>43</strong><br />
LAND BRANDENBLi RC INGEGANGEN<br />
Ministerium des Innern des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausschuss für Inneres<br />
Die Vorsitzende<br />
Am Havelblick 8<br />
14473 Potsdam<br />
Postfach 601165 1 14411 Polsdarr<br />
per Mail an:<br />
solveig.herrmannsen©landtag.brandenburg.de<br />
Erledigt<br />
N13/:5<br />
f•'../addific<br />
Ministerium des Innern<br />
Der Minister<br />
Henning-von-Tresckow-Straße 9-13<br />
14467 Potsdam<br />
Hausruf: 0331 866-2000<br />
Fax: 0331 866-2626<br />
Internet: www.mi.brandenburq.de<br />
Bus und StrAenbahn: Haltestelle Alter Markt<br />
Bahn und S-Bahn: Potsdam Hauptbahnhof<br />
Potsdam, 25. April 2013<br />
Formulierungshilfe zur Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich<br />
im KAG<br />
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />
in der letzten Sitzung des Innenausschusses am 11. April 2013 hat das Innenministerium<br />
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgewertet. Fraktionsübergreifend<br />
wurde das Bedürfnis geäußert, schnellstmöglich Rechtssicherheit<br />
für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Gemeinden und Zweckverbände<br />
zu schaffen und dazu das KAG zügig zu ergänzen. Die daraufhin von mir zugesagte<br />
Formulierungshilfe übersende ich Ihnen in der Anlage.<br />
Für Fragen und Erläuterungen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Anlage<br />
Duk--Nr. N13/02600
Ministerium des Innern Potsdam, 25. April 2013<br />
Formulierungshilfe zur Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich<br />
entsprechend den Grundsätzen des Bundesverfassungsgericht<br />
A. Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013<br />
Die Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013, Az. BvR 2457/08, bezieht sich auf eine konkrete Regelung<br />
des bayerischen Kommunalabgabengesetzes. Im Kommunalabgabengesetz des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />
(KAG) findet sich keine entsprechende Regelung. In <strong>Brandenburg</strong> knüpft die Verjährungsregelung<br />
nicht wie in Bayern an den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Abgabesatzung an. Die<br />
Festsetzungsverjährung beginnt in <strong>Brandenburg</strong> - sowohl im Straßenbaubeitrags- als auch im Anschlussbeitragsrecht<br />
- stets schon, wenn die sachliche Beitragspflicht entstanden ist. Der vom BVerfG<br />
entschiedene Fall wäre nach brandenburgischem Recht bereits verjährt gewesen. Die unmittelbare<br />
Wirkung der Gerichtsentscheidung beschränkt sich daher auf den Freistaat Bayern. Das <strong>Brandenburg</strong>er<br />
KAG hat in vollem Umfang weiterhin Gültigkeit, ebenso die kommunalen Beitragssatzungen, soweit sie<br />
nicht sonst durch ein Gericht für nichtig erklärt werden.<br />
Die Grundsätze der Entscheidung des BVerfG sind auch bei der Rechtsetzung im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> zu<br />
beachten. Danach ist für alle Fälle des Vorteilsausgleichs durch Abgaben, der an zurückliegende Tatbestände<br />
anknüpft, im Ergebnis sicherzustellen, dass der einzelne Abgabenschuldner aufgrund gesetzlicher<br />
Regelungen Klarheit hat, wann er mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen hat. Der<br />
Gesetzgeber hat sicherzustellen, dass der Vorteilsausgleich nicht unbegrenzt nach Eintritt der Vorteilslage<br />
erfolgen kann.<br />
Im Straßenbaubeitragsrecht, für die Erhebung von Kur- und Tourismusbeiträgen sowie sonstigen Abgaben<br />
hat der <strong>Brandenburg</strong>er Gesetzgeber hinreichend bestimmt abgesichert, dass der Beginn der Festsetzungsfrist<br />
nicht unbegrenzt nach hinten verschoben werden kann. Im Anschlussbeitragsrecht, also<br />
bei der erstmaligen Herstellung der Trink- und Abwasseranlagen, könnte das KAG so ausgelegt werden,<br />
dass die Vorschriften über die Verjährung und die Anspruchsentstehung (§§ 169, 170 AO i.V.m. §<br />
12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b, § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG) im Ergebnis bewirken, dass die Festsetzungsfrist<br />
1
stets neu beginnen kann, wenn eine ungültige Satzung durch eine neue Satzung ersetzt wird. Daher<br />
sollten die Regelungen des KAG ergänzt werden.<br />
Dabei ist einerseits das Interesse des einzelnen Abgabeschuldners an Klarheit über seine Inanspruchnahme<br />
zu berücksichtigen. Andererseits sind die Interessen des kommunalen Aufgabenträgers und<br />
anderer Abgabenschuldner an der Abgabenerhebung zu berücksichtigen.<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat folgende Regelungsmöglichkeiten aufgezeigt:<br />
a. Regelung einer konkret bestimmbaren Obergrenze im Sinne einer Höchstfrist, wonach der Vorteilsausgleich<br />
(unabhängig vom Ablauf einer bestimmten Festsetzungsfrist) jedenfalls nach Ablauf<br />
einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen Frist ausgeschlossen ist,<br />
b. Anknüpfen des Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage,<br />
c. Rückwirkungspflicht auf den Zeitpunkt des ersten Satzungsversuchs,<br />
d. Verbindung der Maßnahmen a-c) mit der Verlängerung der Festsetzungsfrist oder Regelungen der<br />
Verjährungshemmung oder der Erhebung von Vorausleistungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen.<br />
B. Regelungsbedarf<br />
Aufgrund der in einigen Teilen des <strong>Land</strong>es noch nicht abgeschlossenen bzw. noch ausstehenden Beitragserhebungen<br />
für die noch andauernde erstmalige Herstellung der kommunalen Trink- und Abwasseranlagen<br />
benötigen die Beitragsschuldner schnellstmöglich Rechtssicherheit über die Inanspruchnahme<br />
und die kommunalen Aufgabenträger schnellstmöglich Rechtssicherheit über das Bestehen ihrer<br />
Beitragsansprüche.<br />
Dies sollte mit der Regelung einer konkret bestimmbaren Obergrenze im Sinne einer Höchstfrist, wonach<br />
der Vorteilsausgleich - unabhängig vom Ablauf einer bestimmten Festsetzungsfrist - ausgeschlossen<br />
ist, erreicht werden. Im Interesse einer zügigen und vor allem rechtssicheren und allgemeinverständlichen<br />
Regelung sollte von komplexen Veränderungen der Grundsystematiken (Entstehen der<br />
sachlichen Beitragspflicht, Neuanknüpfung der Festsetzungsverjährung, Länge der Verjährungsfristen,<br />
Rückwirkungsgebote, Umstellung auf Vorausleistungen) abgesehen werden.<br />
In Abwägung aller Interessen sollte die zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich regelmäßig 20<br />
Jahre betragen und mit Ende des Jahres beginnen, in dem die Vorteilslage eintritt. Aufgrund der Son-<br />
2
dersituation im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> nach der deutschen Einheit sollte der Fristablauf jedoch 10 Jahre -<br />
also bis zum 3. Oktober 2010 - gehemmt sein.<br />
Zugleich sollte der Gesetzgeber in § 12 Absatz 4 KAG klarstellen, dass bei erstmaliger Herstellung von<br />
Trink- und Abwasseranlagen die Festsetzungsfrist spätestens mit Beendigung der endgültigen Herstellung<br />
beginnt. Im Straßenbaubeitragsrecht ist der Grundsatz, dass der Anwendungsbereich der Beitragssatzung<br />
stets den Zeitpunkt der endgültigen Herstellung umfassen muss, bereits obergerichtlich<br />
geklärt. Im Anschlussbeitragsrecht gilt dieser Grundsatz zwar ebenfalls, ist jedoch mangels abschließend<br />
hergestellter Anlagen noch nicht obergerichtlich bestätigt. Im Ergebnis bedeutet dies, dass spätestens<br />
vier Jahre nach Beendigung der beitragspflichtigen Maßnahme die Festsetzungsfrist abgelaufen<br />
ist.<br />
3
C. Regelungsvorschlag<br />
KAG aktuell<br />
§1<br />
Kommunalabgaben<br />
(3) Die Bestimmungen der §§ 12 bis 16 gelten<br />
auch für Steuern, Gebühren, Beiträge und sonstige<br />
Abgaben, die von den Gemeinden und Gemeindeverbänden<br />
aufgrund anderer Gesetze erhoben<br />
werden, soweit diese keine Bestimmung treffen.<br />
§12<br />
Anwendung der Abgabenordnung<br />
(4) Die in Absatz 1 genannten Vorschriften sind mit<br />
der Maßgabe anzuwenden, dass<br />
a. anstelle der Finanzbehörde oder des Finanzamtes<br />
die Körperschaft, der die Abgabe zusteht,<br />
tritt,<br />
b. die Vorschriften anstelle für Steuern für Abgaben<br />
gelten,<br />
c. die Vorschriften anstelle der Besteuerung für<br />
die Heranziehung zu Abgaben gelten,<br />
d. die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe<br />
und die durch eingetragene Lebenspartnerschaft<br />
verbundenen Personen den Eheleuten<br />
gleichstehen.<br />
Vorschlag<br />
§1<br />
Kommunalabgaben<br />
(3) Die Bestimmungen der §§ 12 bis 16 und 19 gelten<br />
auch für Steuern, Gebühren, Beiträge und sonstige<br />
Abgaben, die von den Gemeinden und Gemeindeverbänden<br />
aufgrund anderer Gesetze erhoben werden,<br />
soweit diese keine Bestimmung treffen.<br />
§12<br />
Anwendung der Abgabenordnung<br />
(4) Die in Absatz 1 genannten Vorschriften sind mit<br />
der Maßgabe anzuwenden, dass<br />
a. unverändert<br />
b. unverändert<br />
c. unverändert<br />
d. unverändert<br />
e. für Beiträge die Festsetzungsfrist gemäß §§ 169<br />
bis 171 Abgabenordnung spätestens mit Ablauf<br />
des Jahres der endgültiger Herstellung, Anschaffung,<br />
Erweiterung, Erneuerung oder Verbesserung<br />
der öffentlichen Einrichtung oder Anlage beginnt.<br />
Tritt der wirtschaftliche Vorteil in einem<br />
späteren Jahr ein, beginnt die Festsetzungsfrist<br />
davon abweichend spätestens mit Ablauf dieses<br />
Jahres.<br />
§19<br />
Zeitliche Begrenzung des Vorteilsausgleichs<br />
Der Vorteilsausgleich durch Abgaben ist ausgeschlossen<br />
mit dem Ende des 20. Jahres, das auf den<br />
Eintritt der Vorteilslage folgt. Nach Ablauf dieser Frist<br />
können Abgaben nicht mehr festgesetzt werden. §<br />
171 Abgabenordnurmilt in der in § 12 Absatz 1 Satz<br />
1 Ziffer 4 Buchstabe b angeordneten Weise entsprechend.<br />
Aufgrund der Sondersituation der Deutschen<br />
Einheit ist der Lauf der Frist bis zum 3. Oktober 2000<br />
gehemmt. Die allgemeine Festsetzungsfrist bleibt<br />
unberührt.<br />
4
D. Begründung der zeitlichen Obergrenze, Abwägung<br />
1. Der Gesetzgeber hat einen weiten Ermessensspielraum. Insbesondere, wenn der erlangte Vorteil des<br />
Abgabeschuldners in der Zukunft fortwirkt, wie es regelmäßig durch die Erschließung eines Grundstücks<br />
und die Schaffung der erstmaligen Anschließbarkeit an die Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung<br />
der Fall ist, ist die Beitragserhebung auch noch sehr lange Zeit nach Eintritt der Vorteilslage<br />
zulässig.<br />
2. Da es sich bei der Obergrenze um eine Höchstfrist handelt, hat sich die Frist an erlangten Dauervorteilen<br />
auszurichten, In der Abwägung der Interessen ist daher der Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem sich<br />
- trotz andauernder Vorteilslage — die Legitimation zum Vorteilsausgleich aufgrund des zeitlichen Abstandes<br />
zum Eintritt der Vorteilslage so stark verflüchtigt hat, dass das Interesse des Einzelnen an der<br />
Gewissheit über seine Inanspruchnahme überwiegt.<br />
3. Eine Obergrenze im Sinne einer Höchstfrist sollte sich zunächst an der rechtlich hergebrachten absoluten<br />
Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren orientieren. Das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesfinanzhof<br />
gehen von dem im öffentlichen Recht bestehenden Rechtsgedanken aus, wonach Rechtssicherheit<br />
und Rechtsfrieden eine Verjährung nach 30 Jahren erfordern, aber auch genügen lassen (Urteil<br />
des BVerwG vom 11. Dezember 2008, Az. 3 C 37/07; ebenso BFH im Urteil vom 7. Juli 2009, Az. II R<br />
24/06, zit. nach juris Rn. 46 ff.; vgl. auch F. Kirchhof, Fs. Selmer, 2004, 725, 726 f, zur analogen Geltung<br />
einer allgemeinen dreißigjährigen Verjährungsfrist, sofern speziellere Verjährungsfristen nicht analogiefähig<br />
sind.). Diese objektive Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren stellt nach gefestigter Rechtsprechung<br />
des Bundesverwaltungsgerichts eine zutreffende Konkretisierung des Grundsatzes der<br />
Rechtssicherheit in Abwägung gegen den Grundsatz der gesetzmäßigen Verwaltung dar, der einer<br />
Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche widerstreitet. Da das KAG sowohl die Festsetzungs- als<br />
auch die Zahlungsverjährung bereits durch Verweis auf die Abgabenordnung regelt und vorliegend unabhängig<br />
hiervon eine absolute Obergrenze (Höchstfrist) geregelt werden soll, ist eine Orientierung an<br />
der hergebrachten absoluten Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren sachgerecht.<br />
30-jährige Verjährungsfristen gelten beispielsweise auch für öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche<br />
nach § 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG oder generell für unanfechtbare Verwaltungsakte (§ 53 Absatz 2 Satz1<br />
VwVfG). Auch titulierte Forderungen sowie Herausgabeansprüche aus Eigentum oder aus familien- und<br />
erbrechtlichen Ansprüchen verjähren in 30 Jahren, § 197 BGB.<br />
5
4. Es ist vertretbar, die hergebrachte absolute Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren aus Gründen des<br />
Interesses der Beitragsschuldner an Rechtssicherheit im Bereich des Kommunalabgabenrechts um 10<br />
Jahre zu verkürzen. Die Höchstfrist für den Vorteilsausgleich durch Kommunalabgaben darf jedoch<br />
nicht so kurz sein, dass ein Anspruchsverlust wegen Überschreitens dieser Frist mehr als im Ausnahmefall<br />
zu besorgen wäre. Die Gefahr, dass die Ansprüche auf Vorteilsausgleich erlöschen, bevor die<br />
kommunalen Aufgabenträger angemessen Zeit hatten, das Finanzierungsmodell auszuwählen, die Kalkulationen<br />
durchzuführen, die erforderlichen Satzungen zu erlassen, die Abgaben festzusetzen und ggf.<br />
nach gerichtlichen Entscheidungen neu zu kalkulieren oder Satzungen neu zu erlassen, bevor die Festsetzung<br />
fortgesetzt und abgeschlossen werden kann, muss auf ein hinnehmbares Maß beschränkt sein.<br />
Auch mit Blick darauf, dass die Rechtswirksamkeit von Abgabesatzungen und damit die für die kommunalen<br />
Aufgabenträger zur Verfügung stehende Zeit für die Festsetzung auch stark von der teilweise<br />
differenzierten Rechtsprechung und Rechtsfortbildung der Verwaltungsgerichte abhängig ist, erscheint<br />
eine Verkürzung der hergebrachten absoluten Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren um 10 Jahre noch<br />
interessengerecht.<br />
5, Eine kommunalabgabenrechtliche Höchstfrist von 20 Jahren berücksichtigt auch die Interessen des<br />
Abgabeschuldners an Rechtssicherheit über seine Inanspruchnahme in angemessenem Verhältnis. So<br />
wiegt beispielsweise das Schuldnerinteresse daran, Belege nicht unbefristet aufbewahren zu müssen,<br />
um einer Beweisnot zu begegnen, in den Fällen des Vorteilsausgleichs durch Abgaben geringer, da der<br />
abgabenrechtliche Tatbestand nur in geringem Umfang an Tatsachen anknüpft, deren Vorliegen von<br />
Belegen des Angabenschuldners abhängt oder durch sie erschüttert werden kann, Dem Abgabeschuldner<br />
kann auch kein besonderes wirtschaftliches Interesse an einer möglichst zeitnahen Geltendmachung<br />
des Abgabeanspruchs zugeordnet werden. Insofern liegt das zu berücksichtigende Interesse des<br />
Abgabeschuldners lediglich darin, erkennen zu können, wann mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu<br />
rechnen ist.<br />
6. Die Regelung einer Obergrenze entfaltet ihre Wirkung im Anschlussbeitragsrecht, also im Bereich der<br />
zentralen Trink- und Abwasseranlagen, Hier ist die Situation der kommunalen Aufgabenträger — anders<br />
als in den alten Bundesländern - dadurch geprägt, dass sich die zentralen Trink- und Abwasseranlagen<br />
weitgehend noch in der Phase der erstmaligen Herstellung befinden. Die meisten kommunalen Aufgabenträger<br />
verfügen bisher noch nicht über eine — im rechtlichen Sinne - endgültig hergestellte Einrichtung.<br />
Das Konzept des kommunalen Aufgabenträgers zur erstmaligen Herstellung der Anlage umfasst<br />
in der Regel einen Zeitraum zwischen 20 und 30 Jahren. Dementsprechend dienen die Beitragsansprüche,<br />
die gem. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG — anders als im Straßenbaubeitragsrecht — nicht erst nach endgül-<br />
6
tiger Herstellung, sondern bereits mit der Anschließbarkeit des Grundstücks, frühestens mit dem Inkrafttreten<br />
der Satzung entstehen, auch der Finanzierung eines erst in der Zukunft anfallenden Investitionsaufwandes.<br />
7. Die außergewöhnlichen Umstände in den neuen Ländern aufgrund des Transformationsprozesses<br />
sind in besonderer Weise zu berücksichtigen. Die umfassenden Transformationsaufgaben in den neuen<br />
Ländern stellen ein zulässiges rechtfertigendes Interesse bei der Abwägung des Gesetzgebers dar (vgl.<br />
BVerfG zur Altenpflegeumlage des <strong>Land</strong>es Thüringen, Beschluss vom 17. Juli 1999, Az. 2 BvL 1/99, zit.<br />
nach juris Rn. 145). Dieses besondere Interesse kann jedoch nur im Sinne einer einmaligen Ergänzung<br />
der grundsätzlichen kommunalabgabenrechtlichen Höchstgrenze für den Vorteilsausgleich berücksichtigt<br />
werden, denn der Zweck begrenzt zugleich den Zeitraum der besonderen Berücksichtigung im Verhältnis<br />
zum Interesse des einzelnen Beitragsschuldners. Daher ist die Hemmung des Fristablaufs der<br />
kommunalabgabenrechtlichen zeitlichen Obergrenze ein geeignetes Mittel, das Interesse der Allgemeinheit<br />
am Aufbau der kommunalen Strukturen in besonderer Weise zu berücksichtigen. Aufgrund der<br />
Sondersituation in den neuen Ländern ist es zum Wohle der Allgemeinheit auch erforderlich, dem <strong>Land</strong><br />
und den Kommunen eine zehnjährige Schonfrist zum Aufbau ihrer Verwaltungsträger und zur Sammlung<br />
von Erfahrungen einzuräumen, bevor die allgemeine Konkretisierung des Grundsatzes der Rechtssicherheit<br />
zum alleinigen Maßstab wird. Beim Fehlen einer entsprechenden Ablaufhemmung wären<br />
erhebliche Nachteile für das Gemeinwohl zu besorgen. In der Zeit bis zum 3. Oktober 2000 hatte der<br />
Gesetzgeber des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> die rechtlichen Grundlagen für die Errichtung der kommunalen<br />
Aufgabenträger als auch die gesetzlichen Grundlagen für die Abgabenerhebung erst zu schaffen, die<br />
kommunalen Aufgabenträger waren rechtswirksam zu errichten. So konnten beispielsweise die rechtlichen<br />
Probleme bei der Errichtung der kommunalen Zweckverbände erst im Jahr 2000 durch das Urteil<br />
des <strong>Land</strong>esverfassungsgerichts zum Zweckverbandsstabilisierungsgesetz und den daraufhin ergangenen<br />
Errichtungsbescheiden abschließend geklärt werden (vgl. Urteil des LVerfG vom 20. Januar 2000,<br />
Az. VfGBbg 53/98 und 3/99).<br />
Entschließt sich der Gesetzgeber, die allgemeine zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich in der<br />
Form zu ergänzen, dass der Fristablauf bis zum 3. Oktober 2000 gehemmt ist, darf er im Ergebnis die<br />
absolute Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren nicht überschreiten. Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz<br />
wird mit der Ergänzung durch die zehnjährige Ablaufhemmung eingehalten. Der Eintritt der Vorteilslage<br />
beginnt frühestens mit dem Eintritt des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong> in den Geltungsbereich des Grundgesetzes.<br />
Ein Ablauf der kommunalabgabenrechtlichen Höchstfrist 20 Jahre nach dem 3.10.2000 kann daher<br />
im Ergebnis nicht die absolute dreißigjährige Verjährungshöchstfrist überschreiten,<br />
7
EINGEGANGEN<br />
2 1. MAI 2 013 1SZO<br />
Haus &Grund"<br />
Eigentümerschutz-Gemeinschaft<br />
Berlin, 16. Mai 2013<br />
Erledigt:<br />
Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen in das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausgangslage<br />
Die CDU-Fraktion im <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> hat den Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen<br />
in das KAG <strong>Brandenburg</strong> vorgelegt. Der Gesetzentwurf beabsichtigt, das Musterklageverfahren auf<br />
das Widerspruchsverfahren im Kommunalabgabenrecht auszuweiten. Von einer Musterklage<br />
spricht man , wenn ein Verfahren beispielhaft betrieben wird, um daraus die Rechtsauffassung des<br />
Gerichtes bzw. der höheren Instanzen für andere Streitfälle mit gleich gelagertem Sachverhalt abzuleiten.<br />
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Vielzahl von Verwaltungsakten auf der<br />
Grundlage einer Satzung gegen die Anlieger einer zu errichtenden Anlage erlassen wird. Die dagegen<br />
eingereichten Widersprüche werden in der Regel die gleiche Rechtsfrage betreffen. Um<br />
unterschiedliche Entscheidungen im Widerspruchsverfahren bezüglich der gleichen Rechtsfrage zu<br />
vermeiden bietet sich an , einzelne exemplarische Verfahren herauszugreifen, um eine einheitliche<br />
Entscheidung herbeizuführen. Die anderen Widerspruchsverfahren bleiben bis zur Entscheidung<br />
ruhen , es sei denn, der Widerspruchsführer beantragt die Fortsetzung des Widerspruchsverfahren.<br />
Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong> bestätigt ausdrücklich die in der Gesetzesbegründung gemachten<br />
Feststellung , dass die Wasser- und Abwasserzweckverbände sich der Möglichkeit von Musterklagen<br />
weitest gehend verschließen. Es erweckt sich der Eindruck, dass durch den Kostenaufwand für<br />
den Grundstückseigentümer dieser abgehalten werden soll zu klagen. Unsere Beratungspraxis bestätigt<br />
dass, insbesondere ältere Hauseigentümer verzichten auf ihr Recht. So werden die Bescheide<br />
rechtskräftig und ein späteres Urteil ist nicht mehr anwendbar.<br />
II. Stellungnahme und Bewertung<br />
Haus & Grund Deutschland, Mohrenstraße 33, D-10117 Berlin<br />
Telefon +49 30 20216-0, Telefax +49 30 20216-555, zv@hausundgrund.de , www.hausundgrund.de
Regelung einer zeitlichen Obergrenze zum Vorteilsausgleich im KAG <strong>Brandenburg</strong> und Gesetzentwurf zur Einführung von Musterklagen in<br />
das KAG <strong>Brandenburg</strong><br />
Haus & Grund begrüßt daher grundsätzlich den Vorstoß, Hürden für Grundstückseigentümer, die Adressat von kommunalen<br />
Abgabenbescheiden geworden sind abzubauen. In Anbetracht der hohen Rechtsverfolgungskosten und auch der bestehenden<br />
Unsicherheit bei problematischen Rechtsfragen ist ein Musterverfahren durchaus sinnvoll.<br />
Musterverfahren können dazu beitragen auch zusätzliche Kosten z.B. zur Überprüfung von Kalkulationsgrundlagen erstmals<br />
durch Kostenteilung bezahlbar zu machen. Ein Rechtsanwalt eines Einzelverfahrens müsste das 1 : 1 auf seinen Einzelmandanten<br />
umlegen, was schon aufgrund der Kosten abschrecken könnte das Verfahren weiterzuführen.<br />
Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong> befürwortet ausdrücklich eine Ausdehnung des Musterklageverfahren auf das Widerspruchsverfahren<br />
im Kommunalabgabenrecht. Im Gerichtsverfahren gibt es bereits die Möglichkeit von Sammel- und Musterklagen. Der<br />
vorliegende Gesetzentwurf ist ein Beitrag für mehr Rechtssicherheit. Teilweise ermöglicht er erst Grundstückseigentümern<br />
ihr Recht geltend zu machen. Wichtig ist auch die Möglichkeit des Einzelnen einen Einzelprozess zu führen. Das ist nach<br />
dem Gesetzentwurf möglich .<br />
Rudolf Ehrhardt<br />
Vorsitzender<br />
Haus & Grund <strong>Brandenburg</strong><br />
Postanschrift<br />
Friedrich-Engels-Str.42<br />
16792 Zehdenick<br />
Tel. 01717478135<br />
Email info@hausundgrundbrbq.de<br />
www.hausundgrundbrbg.de<br />
2
BBU i Behlertstraße 13 14469 Potsdam<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausschuss für Inneres<br />
Die Vorsitzende<br />
Am Havelblick 8<br />
14473 Potsdam<br />
EINGEGANGEN<br />
21. MAI 2013<br />
Erledigt . (CQ • 1)9 ' kiz<br />
t<br />
ki-Ct<br />
/<br />
1e4<br />
Anlage 45<br />
BBU<br />
VERBAND BERLIN • BRANDENBURGISCHER<br />
WOHNUNGSUNIERNEHMEN E.V.<br />
LANDESGESCHÄFTSSTELLE<br />
POTSDAM<br />
16-05-2013<br />
Dr. Wolfgang Schönfelder<br />
Fon 033112 71 83-0<br />
Fax 0331/2 71 83-18<br />
wolfgang.schoenfeldeebbu.de<br />
Anhörung zum Gesetzentwurf der CDU-Fraktion zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />
für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong>, Drucksache 5/7128<br />
Stellungnahme des Verbandes Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen<br />
e.V. zur Anhörung im Innenausschuss am 23.05.2013<br />
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />
mit Drucksache 5/7128 hat die CDU-Fraktion einen Gesetzentwurf zur Änderung des<br />
Kommunalabgabengesetzes für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> vorgelegt.<br />
Der Verband Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen e.V. begrüßt die<br />
erneute Initiative und stimmt dem Gesetzentwurf voll inhaltlich zu.<br />
Musterverfahren sind ein bewährtes Mittel, in vielen Rechtsbereichen Verfahren abzukürzen,<br />
die Klärung offener Fragen zu beschleunigen und somit Zeit, Aufwand und<br />
Kosten zu begrenzen.<br />
Die verbindliche Festlegung, solche Verfahren zuzulassen, unterstützt das Transparenzgebot<br />
im Bereich der Wasserver- und Abwasserentsorgung und führt aus unserer<br />
Sicht zu Vorteilen für alle beteiligten Partner.<br />
Wir gehen davon aus, dass damit das Zusammenwirken der Streitbeteiligten gefördert<br />
und das Vertrauen in transparentes Verwaltungshandeln und seine Überprüfbarkeit<br />
gestärkt wird.<br />
Verband Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer Wohnungsunternehmen e.V. Behlertstraße 13 14469 Potsdam<br />
Vorstand: Maren Kern, Dr. Klaus-Peter Hillebrand<br />
I Fon 03 3112 71 83-0 ; Fax 03 31/2 71 83-18 I info©bbu.de www.bbu.de
Nach Informationen unseres Schwesterverbandes in Mecklenburg-Vorpommern ist<br />
die dort geltende Regelung auf positive Resonanz gestoßen.<br />
Eine zügige Umsetzung des Gesetzentwurfes würde die Vielzahl von anhängigen<br />
Verfahren unmittelbar beschleunigen.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Dr. Wolfgang Schönfelder<br />
Seite 2 von 2
Anlage 4<br />
..,MriGimilLe. Verband Deutscher Grundstücksnutzer e.V.<br />
VDGN, Irmastraße 16, 12683 Berlin<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Vorsitzende Frau Britta Stark<br />
Am Havelblick 8<br />
14473 Potsdam<br />
Vorab per Fax 49 (331) 966 —1222<br />
E1NGEGANGSI<br />
1 6. MAI 7013 IS'e-<br />
Erledigt:<br />
Hauptgeschäftsstelle/Postanschrift:<br />
Irmastraße 16, 12683 Berlin<br />
Tel.: 0 30-514 888-0, Fax: 0 30-514 888-78<br />
Internet: www.vdgn.de<br />
E-Mail: info@vdgn.de<br />
St.-Nr.: 27 / 680 / 53478<br />
U2tL IL9<br />
erlin, 15. Mai 2013<br />
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />
anliegend erhalten Sie die Stellungnahmen des Verbandes Deutscher<br />
Grundstücksnutzer (VDGN) für die Anhörung am 23. 05. 2013 im Innenausschuss.<br />
Der VDGN wird an der Anhörung teilnehmen und wird dabei durch den Präsidenten<br />
Herrn Peter Ohm vertreten sein.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Ire Fischer.<br />
Präsidiumsmitglied<br />
Interessenvertreter der Eigentümer von Eigenheimen, Wohnungen und Grundstücken<br />
sowie der Pächter von Wochenend-, Kleingarten- und Garagengrundstücken<br />
Bankverbindung: HypoVcrcinsbank Konto-Nr. 54 7015 76 68 BLZ 100 208 90
YELCIZIL Verband Deutscher Grundstücksnutzer e.V.<br />
VDGN, Irinastraße 16, 12683 Berlin<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausschuss für Inneres<br />
Die Vorsitzende<br />
Am Havelblick 8<br />
14473 Potsdam<br />
HauptgeschäftssteLle/Postanschrift:<br />
Irmastraße 16, 12683 Berlin<br />
Tel.: 0 30-514 888-0, Fax: 0 30-514 888-78<br />
Internet: www.vdgn.de<br />
E-Mail: info@vdgn.de<br />
St.-Nr.: 27 / 680 / 53478<br />
Berlin,15. Mai 2013<br />
Anhörung zu dem Gesetzentwurf der CDU- Fraktion zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />
für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong>, Drucksache 6/7128<br />
Stellungnahme des Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer zur Anhörung im<br />
Innenausschuss am 23. Mai 2013<br />
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />
mit Drucksache 5/7128 hat die CDU- Fraktion einen Gesetzentwurf zur Änderung des<br />
Kommunalabgabengesetzes für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> vorgelegt.<br />
Der VDGN begrüßt die erneute Initiative der CDU, durch eine verbindliche Regelung<br />
die Aufgabenträger zu verpflichten, Musterverfahren zur Sicherung der rechtlichen<br />
Teilhabe von Bescheidempfängern zuzulassen, ausdrücklich.<br />
Damit könnten Musterprozesse, die in allen anderen 15 Bundesländern tägliche Praxis<br />
sind, endlich auch in <strong>Brandenburg</strong> Normalität werden. Für viele Menschen, die<br />
nicht über einen entsprechenden finanziellen Rückhalt verfügen, keine Prozesskostenhilfe<br />
in Anspruch nehmen können und sich deshalb keinen Rechtsstreit mit<br />
ungewissem Ausgang leisten können, wird über die Beteiligung an einer Prozessgemeinschaft<br />
und das Führen eines Musterprozesses der Zugang zu einer rechtsstaatlichen<br />
Prüfung eines an sie gerichteten Bescheides erst ermöglicht.<br />
Der VDGN fordert für <strong>Brandenburg</strong> schon seit langem die gesetzliche Verankerung<br />
von Musterverfahren in gleich gelagerten Fällen. Vor allem die Erhebung sogenannter<br />
Altanschlussbeiträge in <strong>Brandenburg</strong> hat einen hohen Bedarf an gerichtlicher<br />
Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen gezeigt.<br />
Die Widerspruchsquoten zu den Beitragsbescheiden betrugen in den Zweckverbänden<br />
immerhin bis zu 90 Prozent.<br />
Hinzu kommt, dass sich die Bürger dieses <strong>Land</strong>es durch den Beschuss des Bundesverfassungsgerichts<br />
in ihren grundsätzlichen Bedenken gegen die Beitragserhebung<br />
der Zweckverbände bestärkt fühlen.<br />
Interessenvertreter der Eigentümer von Eigenheimen, Wohnungen und Grundstücken<br />
sowie der Pächter von Wochenend-, Kleingarten- und Garagengrundstücken<br />
Bankverbindung: Hypo Vereinsbank • Konto-Nr. 54 70 15 76 68 • BLZ 100 208 90
Keineswegs beschränken sich die Auswirkungen der Entscheidung auf Bayern. Begriffe<br />
wie Leistungsfähigkeit, Übermaßverbot, Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit<br />
gelten überall in der Bundesrepublik, selbstverständlich auch in <strong>Brandenburg</strong>.<br />
Der VDGN unterstützt ausdrücklich, dass mit der erneuten Gesetzesinitiative der<br />
CDU wieder Bewegung in die Sache kommt.<br />
Wir sehen gerade vor dem Hintergrund der Karlsruher Entscheidung diese Initiative<br />
als Signal an das Parlament, durch eine bürgerfreundliche Gesetzgebung Verwaltungshandeln<br />
transparenter und vor allem überprüfbar zu gestalten und damit<br />
letztlich den Rechtsstaat zu stärken.<br />
Der vorliegende Entwurf entspricht diesem Anspruch. Grundsätzlich stimmen wir<br />
dem Entwurf der CDU-Fraktion ausdrücklich zu.<br />
Im August 2012 entsprach der damals von der CDU-Fraktion eingereichte Gesetzentwurf<br />
nicht den praktischen Erfordernissen und wurde in der damals vorliegenden<br />
Fassung von uns abgelehnt. Der nun vorliegende Entwurf ist schlanker und aus unserer<br />
Sicht rechtlich korrekt und praktikabel.<br />
Wir halten es aber für sinnvoll, einerseits die Mitspracherechte der Widerspruchsführer<br />
in einem Musterverfahren klarer zu bestimmen und andererseits die Zweckverbände<br />
vor unkalkulierbaren Risiken zu schützen, denn diese Risiken hat letztlich<br />
wiederum der Beitragszahler finanziell zu tragen. Die Bearbeitung der Widersprüche<br />
von Widerspruchsführern, die nicht einer Prozessgemeinschaft angehören, darf nicht<br />
durch Führung eines Musterprozesses gehemmt werden. Bei Widerspruchsquoten<br />
von 80 oder mehr Prozent sind die Risiken für die Zweckverbände ohne eine Vereinbarung<br />
mit einer Prozessgemeinschaft nur schwer kalkulierbar. Im Zweifelsfall gilt<br />
das Ergebnis eines ohne Vereinbarung geführten Musterverfahrens für alle Widerspruchsführer.<br />
Diese könnten sich dann überlegen, ihrerseits Einzelklagen gegen<br />
den Zweckverband zu führen.<br />
Das Gesetz sollte den Prozessgemeinschaften daher den Vorrang geben. Es sollte<br />
im Weiteren klarer regeln, dass Prozessgemeinschaften das Verfahren aktiv mitbestimmen<br />
können.<br />
Wir schlagen zur Präzisierung die nachfolgenden Änderungen und Ergänzungen vor:<br />
Zu § 12 Absatz 1 Nr. 7 Buchstabe c wird vorgeschlagen, die Formulierung des Gesetzestextes<br />
wie folgt zu fassen:<br />
Bei Widersprüchen in gleich gelagerten Fällen soll die Widerspruchsbehörde geeignete<br />
Verfahren als Musterverfahren auswählen und vorrangig entscheiden. Die<br />
Widerspruchsbehörde bestimmt, unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten,<br />
den oder die Widerspruchsführer.<br />
Haben sich Widerspruchsführer zu einer Prozessgemeinschaft zusammengeschlossen,<br />
bedarf die Bestimmung des Widerspruchsführers des Musterverfahrens<br />
der Zustimmung der Prozessgemeinschaft. Dies gilt auch für den Fall, dass mehrere<br />
Musterverfahren zu verschiedenen Rechtsfragen durchgeführt werden sollen.<br />
Einigen sich die Widerspruchsbehörde und die Prozessgemeinschaft nicht auf die<br />
Bestimmung eines Widerspruchsführers für das Musterverfahren, hat die Wider-
spruchsbehörde das von der Prozessgemeinschaft vorgeschlagene Verfahren als<br />
Musterverfahren durchzuführen.<br />
Sie kann daneben ein von ihr vorgeschlagenes Verfahren als Musterverfahren durchführen.<br />
Der Widerspruchsbescheid in dem von der Prozessgemeinschaft vorgeschlagenen<br />
Musterverfahren darf nicht später als der in dem von der Widerspruchbehörde ausgewählten<br />
Musterverfahren ergehen.<br />
Zu § 12 Absatz 1 Nr. 7 Buchstabe d wird vorgeschlagen, die Formulierung des Gesetzestextes<br />
wie folgt zu ändern:<br />
Die verbleibenden Widerspruchsverfahren der der Prozessgemeinschaft angehörenden<br />
Widerspruchsführer ruhen bis zur Rechtskraft der Entscheidung in den<br />
Musterverfahren.<br />
Wir hoffen, dass die Fraktionen sich für das Ziel einer gesetzlichen Verankerung der<br />
Pflicht zur Führung von Musterverfahren mit Prozessgemeinschaften in <strong>Brandenburg</strong><br />
aktiv im <strong>Land</strong>esparlament einsetzen werden.<br />
Ziel muss es sein, allen <strong>Brandenburg</strong>ern die Möglichkeit zu selbstbestimmter rechtsstaatlicher<br />
Teilhabe zu eröffnen, wenn die Rechtmäßigkeit staatlicher Entscheidungen<br />
in Zweifel steht.<br />
In letzter Zeit war das Vertrauen vieler Betroffener in den Rechtsstaat erschüttert<br />
worden, indem ihnen das freiwillige Einverständnis zu Musterverfahren in konzertiert<br />
wirkenden Aktionen von den Zweckverbänden fast flächendeckend verwehrt worden<br />
ist.<br />
Für die anstehende Diskussion stehen wir ihnen gern mit unserer Erfahrung als Gesprächspartner<br />
zur Verfügung<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Peter Ohm<br />
Präsident des VDGN
Anlage Al<br />
-<br />
Zweckverband<br />
Komplexsanierung mittlerer Süden<br />
Körperschaft des öffentlichen Rechts<br />
Der Verbandsvorsteher<br />
Zweckverband KMS Zossen, Berliner Allee 30-32, 15806 Zossen<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausschuss für Inneres<br />
Frau Vorsitzende Britta St<br />
Am Havelblick 8<br />
14473 Potsdam<br />
EINGEGANGEN<br />
Krk<br />
2 4. MA1 20131S.A6<br />
Erledigt.<br />
VO<br />
Auskunft: Frau Nicolaus<br />
Zimmer 2.40<br />
Telefon: 033702 2006-41<br />
Telefax: 033702 2006-30<br />
Datum: 17.05.2013<br />
Aktenz.:<br />
Vorab per Mail: solveig.herrmannsen@landtag.brandenburg.de<br />
Anhörung am 23.05.2013<br />
zur möglichen Änderung des Kommunalabgabengesetzes des <strong>Land</strong>es <strong>Brandenburg</strong><br />
(KAG)<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />
der Zweckverband KMS Zossen bedankt sich für die Einladung zur Anhörung am<br />
23.05.2013 um 13:30 Uhr. Die Teilnahme von Frau Nicolaus wird hiermit bestätigt.<br />
Nachfolgend gibt der Verband folgende Einschätzung zu der Drucksache 5/7128:<br />
Musterverfahren / Musterklagen<br />
Der Zweckverband KMS lehnt die Durchführung von Musterverfahren ab.<br />
Begründung:<br />
So viele Grundstücke es gibt, so viele Möglichkeiten der Klagen gibt es auch. Kein<br />
Grundstück ist wie das andere.<br />
Folgende Klagegründe bzw. - unterschiede gibt es:<br />
1. Trinkwasser /Schmutzwasser<br />
2. Grundstücksfläche, hier sind alleine in der Satzung des KMS Zossen unter § 3<br />
mehrere Fallkonstellationen verankert: z.B. Innenbereich und Außenbereich<br />
teilweise oder total, B-Plan Gebiete, beplanter Innenbereich, unbeplanter Innenbereich,<br />
gewerblich genutzte Grundstücke usw.<br />
3. Geschossigkeit: auch hier mehrere Fallkonstellationen wie z.B. Grundstücke innerhalb<br />
eines B-Plangebietes, bebaute oder unbebaute Grundstücke innerhalb<br />
eines im Zusammenhang bebauten Ortsteil (§ 34 BauGB), bebaute oder unbebaute<br />
Grundstücke im Außenbereich, Gewerbegrundstücke usw.<br />
Wünsdorf Tel. 033702 2006-0 Sprechzeiten: VR-Bank Fleming eG<br />
Berliner Allee 30-32 Fax 033702 2006-30 Dienstag 09:00-12:00 und 13:00-18:00 Uhr BLZ 160 620 08<br />
15806 Zossen post@zv-kms.de Donnerstag 09:00-12:00 und 13:00-16:00 Uhr Konto-Nr. 110 69384 00<br />
Internet: www.zv-kms.de Steuernr.: 0501144/01913<br />
*Die Abwicklung rechtsverbindlichen Schriftverkehrs über diese E-Mail-Adresse ist nicht möglich.
2<br />
Fraglich erscheint, wann Fälle als "gleich gelagert" anzusehen sind. In der Praxis<br />
begründen Widerspruchsführer vielfach ihre Widersprüche nicht nur mit einer bestimmten<br />
Rechtsfrage (zum Beispiel der Zulässigkeit der Heranziehung von Altanschließern),<br />
sondern darüber hinaus auch mit individuellen Besonderheiten. Soll die Behörde<br />
entscheiden, welche Widerspruchsverfahren gleich gelagert sind und damit ruhen<br />
oder ruhen automatisch alle Widerspruchsverfahren, wenn ein Musterverfahren ausgewählt<br />
wurde?<br />
Die verwaltungsgerichtlichen Verfahren dauern oftmals sehr lange. In den Musterverfahren<br />
ist damit zu rechnen, dass der gesamte Instanzenzug, möglicherweise noch mit<br />
Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts und/oder des Bundesverfassungsgerichts<br />
ausgeschöpft wird. Da die Bürger trotz des Ruhens des Verfahrens zur Zahlung verpflichtet<br />
sind, verbleibt das Geld bei der Gemeinde, ohne das es verwendet werden<br />
kann. Der Bürger erhält für die Zeit des Ruhens des Verfahrens selbst bei einer Rückzahlung<br />
nach Aufhebung keine Zinsen. Eine Verzinsung erfolgt nur während der Prozessanhängigkeit<br />
für den Kläger selbst. Dies will der Gesetzentwurf der CDU offensichtlich<br />
mit der Regelung in § 12 Abs. Ziffer 6 letzter Satz ändern, wonach die Rechtsfolgen<br />
der Rechtshängigkeit des Musterklageverfahrens auch für die ruhenden Widerspruchsverfahren<br />
gelten. Dann müsste die Stadt oder der Verband nach einer Niederlage<br />
im Musterverfahren - egal aus welchem Grund - für alle widerspruchsbehafteten<br />
Bescheide Prozesszinsen zahlen?<br />
Es kann dem Gericht nicht vorgeschrieben werden, die für die Widerspruchsführer<br />
maßgebliche Rechtsfrage zu klären. Es können daher Urteile ergehen, ohne überhaupt<br />
die entscheidende Frage geklärt zu haben. Sollen dann alle an ein solches Urteil<br />
gebunden sein? In Mecklenburg-Vorpommern z.B. stellt sich diese Frage nicht, da die<br />
Regelungen nur die Durchführung der Widerspruchsverfahren bzw. deren Ruhen betrifft.<br />
Die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern spricht keine Bindungswirkung aus<br />
und befasst sich auch nicht mit der Durchführung einer Musterklage. Dort kann nach<br />
der Rechtskraft eines Musterverfahrens von beiden Seiten (Widerspruchsführer und<br />
Behörde) das Widerspruchsverfahren fortgeführt werden. Dies bedeutet aber auch,<br />
dass dann nach vielen Jahren durch den Instanzenzug die einzelnen Widerspruchsverfahren<br />
doch weitergeführt werden.<br />
Eine gesetzliche Regelung zum Ruhen von Widerspruchsverfahren bei Gerichtsverfahren<br />
zu gleich gelagerten Fällen (wenn es gleich gelagerte Fälle gäbe) wäre sinnvoll,<br />
wenn dadurch Untätigkeitsklagen ausgeschlossen sind. Hier ist aber die VwGO Bund<br />
einschlägig und daher ist eine solche Regelung in <strong>Brandenburg</strong> wahrscheinlich nicht<br />
möglich.<br />
Zurzeit informiert der Verband die Widerspruchsführer über die anhängigen Normenkontrollklagen<br />
zu den Beitragssatzungen und bietet an, das Einverständnis vorausgesetzt,<br />
über den Widerspruch nach Abschluss der Normenkontrollverfahren zu entscheiden.<br />
Dies wird von den Widerspruchführern auch angenommen.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
A .<br />
,<br />
H. Nicolaus<br />
stellv. Verbandsvorsteherin
Wolf-Michael Ring<br />
Verwaltungsgericht Schwerin<br />
Wismarsche Straße 323a<br />
19055 Schwerin<br />
ENGEGANGEN<br />
Erledigt: ( (_'<br />
2 1. MM 2013 K4.7<br />
( I<br />
r<br />
‘(% Ckylr<br />
Anlage Ae<br />
16.05.2013<br />
Anhörung zum<br />
Sechsten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />
für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> (KAG),<br />
Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, Drucksache 5/7128<br />
0. Vorbemerkung<br />
Schriftliche Beantwortung des Fragenkatalogs:<br />
Das KAG Mecklenburg-Vorpommern enthält eine spezielle Regelung über die Durchführung<br />
von Musterverfahren in Abgabenprozessen. § 12 Abs. 3 KAG Mecklenburg-Vorpommern<br />
lautet:<br />
„§ 363 Abs. 2 der Abgabenordnung ist mit den in den Sätzen 2 bis 6 genannten zusätzlichen<br />
Maßgaben anzuwenden. Ist wegen der Gültigkeit einer Abgabensatzung ein Verfahren<br />
bei dem Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, einem obersten<br />
Bundesgericht oder beim Europäischen Gerichtshof anhängig und wird der Widerspruch<br />
hierauf gestützt, ruht das Widerspruchsverfahren insoweit bis zu dessen rechtskräftigem<br />
Abschluss. Gleiches gilt, wenn bei den genannten Gerichten, den Verwaltungsgerichten<br />
des <strong>Land</strong>es oder dem Bundesverfassungsgericht ein Verfahren wegen einer Rechtsfrage<br />
anhängig ist, die in einem Widerspruchsverfahren entscheidungserheblich ist. Bei Widersprüchen<br />
in gleich gelagerten Fällen soll die Widerspruchsbehörde geeignete Verfahren<br />
als Musterverfahren auswählen und vorrangig entscheiden. Die verbleibenden Widerspruchsverfahren<br />
ruhen bis zur Rechtskraft der Entscheidungen in den Musterverfahren.<br />
Das Ruhen ist dem Widerspruchsführer mitzuteilen. Das Widerspruchsverfahren ist fortzusetzen,<br />
wenn der Widerspruchsführer dies beantragt oder die abgabenberechtigte<br />
Körperschaft dies dem Widerspruchsführer mitteilt."<br />
Diese Regelung knüpft an § 363 AO an und modifiziert sie in dem für das Kommunalabgabenrecht<br />
gebotenen Umfang.<br />
Für den Finanzprozess nimmt der Bundesfinanzhof an, dass der Gesetzgeber § 363 AO eingeführt<br />
hat, weil er davon ausgeht, es entspreche in der Regel den Interessen des Einspruchsführers<br />
und der Finanzbehörde, den Ausgang des Musterverfahrens abzuwarten<br />
(BT-Drucks 12/7427, S. 37). Hieraus sei zu schließen, dass die gesetzliche Zwangsruhe<br />
nicht allein der Entlastung des Verwaltungsverfahrens diene und die Finanzbehörde deshalb<br />
bei ihrer Entscheidung, die gesetzliche Zwangsruhe zu beenden, die Belange des Einspruchsführers<br />
mit berücksichtigen müsse. Soweit in der Gesetzesbegründung zu § 363<br />
Abs. 2 Satz 4 AO 1977 darauf abgestellt werde, dass (auch) die Finanzbehörde ein berechtigtes<br />
Interesse an der Fortsetzung des Verfahrens haben könne, sei dieses an der Grundentscheidung<br />
über die gesetzliche Zwangsruhe auszurichten. Insbesondere müsse die Finanzbehörde<br />
zum Ausdruck bringen, weshalb sie im Rahmen ihres Ermessens im konkreten<br />
Einzelfall die gesetzliche Zwangsruhe beendet, in anderen Fällen aber den Ausgang des<br />
Musterverfahrens abwartet. Denn auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht müssen staatliche<br />
Einrichtungen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG beachten (BFH, Urt. v.<br />
26.9.2006 - X R 39/05 - BStBI II 2007, 222 = NVwZ-RR 2007, 69).<br />
1
1, Welche Erfahrungen gibt es mit solchen Musterverfahren aus Ihrer Kenntnis, wenn<br />
sie gesetzlich vorgeschrieben sind?<br />
Aus der Erfahrung mit Musterverfahren im Sinne des § 12 Abs. 3 KAG M-V seit dem Jahr<br />
2005 halte ich die Durchführung von Musterverfahren gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 7 Buchstabe b)<br />
KAG-Entwurf im Anschlussbeitragsrecht (Trinkwasser, Schmutzwasser-, Niederschlagswasserbeiträge)<br />
für ein sinnvolles Instrument zur Straffung der Verfahren neben der gesetzlichen<br />
Möglichkeit der Erhebung des Normenkontrollantrages zur Überprüfung der Beitragssatzung<br />
gemäß § 47 VwGO. Im Straßenbaubeitragsrecht ist die Durchführung von Musterverfahren<br />
bei deutlich kleineren Fallzahlen gleichgelagerter Verfahren (zumeist zwischen 5 bis 30)<br />
ebenfalls sinnvoll, zumal hier Anträge gemäß § 47 VwGO zumeist nicht angezeigt sind. Die<br />
Verständigung auf die Bescheidung ausgewählter Widersprüche vermag grundsätzlich den<br />
Organisationsaufwand bei Gericht zu reduzieren und damit auch die Verfahrenslaufzeiten zu<br />
verringern.<br />
2. Welche Wasser- und Abwasserverbände in <strong>Brandenburg</strong> führen bereits jetzt Musterverfahren<br />
durch und welche nicht?<br />
Keine Erkenntnisse<br />
3. Lassen sich durch das Musterverfahren Kosten bei den Bürgern als Kläger sowie in<br />
der Verwaltung/bei den Wasser- und Abwasserverbänden als Beklagte einsparen?<br />
Erfahrungsgemäß werden bei der Abstimmung von Musterverfahren insbesondere Verfahren<br />
mit relativ geringem Streitwert ausgesucht, so dass nur niedrigere Gerichtsgebühren und<br />
Anwaltskosten entstehen. Aus gerichtlicher Sicht entsteht der Eindruck, dass die betroffenen<br />
Bürger sich zu Prozessgemeinschaften zusammenschließen und anteilig die Kosten des<br />
Musterverfahrens mit tragen. Genaueres ist insoweit hier aber nicht bekannt. Auf Behördenseite<br />
dürfte eine Senkung der internen Betriebskosten zu verzeichnen sein, wenn ein Großteil<br />
der Widersprüche frühzeitig zum Ruhen gebracht wird.<br />
4. Kann die Einführung des Musterverfahrens zu weniger Arbeitsaufwand in der Verwaltung<br />
und bei den Gerichten führen?<br />
Mit der Einführung des Musterverfahrens ist — sofern es von den Verfahrensbeteiligten gelebt<br />
wird — ein Strukturwandel der abgabenrechtlichen Rechtsstreite von zuvor häufig anzutreffenden<br />
Verfahrensketten zu relativ schwierigen bzw. umfangreichen Einzelverfahren bei Gericht<br />
verbunden. Der richterliche Aufwand der vollumfänglichen Überprüfung der Rechtslage<br />
nach dem Amtsermittlungsprinzip bleibt im Hinblick auf die Überprüfung des Satzungsrechts<br />
als hinreichende Rechtsgrundlage einschließlich — in Mecklenburg-Vorpommern — der Kalkulation<br />
des Beitragssatzes im Anschlussbeitragsrecht gleich hoch. Der organisatorische Aufwand<br />
der Abarbeitung bisweilen hunderter gleichgelagerter Gerichtsverfahren sinkt hingegen<br />
deutlich. Dies gilt insbesondere auch für richterliche Nebenentscheidungen wie nachklappende<br />
Anträge auf Zuerkennung der Notwendigkeit eines Bevollmächtigten im Vorverfahren<br />
bis hin zu Kostenerinnerungen. Auch der organisatorische Aufwand bei den Behörden dürfte<br />
deutlich sinken.<br />
Da der Aufwand der Bearbeitung von Verfahren für den nichtricherlichen Dienst unabhängig<br />
davon, wie aufwändig das Verfahren für Richterinnen und Richter ist, gleich ist, bringt die<br />
Vereinbarung von Musterverfahren in diesem Bereich erhebliche Entlastungen.<br />
2
5. Welche weiteren Vorteile bringt die Einführung des Musterverfahrens im KAG mit<br />
sich?<br />
Die Konzentration auf ein oder wenige Musterverfahren, in denen alle Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte beteiligt werden, die zuvor sachhaltige Argumente in die Diskussion gebracht<br />
haben, erhöht die Gewähr dafür, dass wirklich alle maßgeblichen Facetten der Problematik<br />
beleuchtet werden und die gelegentlich umfangreichen Rechtsprobleme des Satzungsrechts<br />
vollständig abgearbeitet werden.<br />
Bislang war das Gericht an das beiderseitige Einverständnis zum Ruhen des Verfahrens<br />
gebunden. Wurde dies nicht erteilt, waren die Sachen zu entscheiden. In der Regel erfolgte<br />
dies so, dass nach der Grundsatzentscheidung der Kammer die gleich gelagerten Verfahren<br />
auf die Einzelrichterin/den Einzelrichter übertragen und in dieser Weise terminiert wurden.<br />
Diese „massenhafte" Abarbeitung birgt in der Außendarstellung die Gefahr, dass dem Gericht<br />
eine festgelegte Rechtsmeinung und eine fehlende Würdigung des Einzelfalls vorgehalten<br />
wird, auch wenn dies objektiv nicht der Fall ist. Die gestraffte Leitung von gleichgelagerten<br />
Gerichtsverfahren, in denen weder tatsächlich noch rechtlich Neues bzw. Einzelfallbezogenes<br />
vorgetragen wird, ist allerdings aus Gründen der Verfahrensökonomie geboten.<br />
6. Welche rechtlichen und tatsächlichen Probleme bringt die Einführung des Musterverfahrens<br />
im KAG mit sich? Wie lassen sich diese Probleme lösen?<br />
Die gesetzliche Anordnung des Ruhens der gleichgelagerten Verfahren könnte der Rechtsweggarantie<br />
des Art. 19 Abs. 4 GG zuwiderlaufen, wenn dadurch effektiver Rechtsschutz<br />
des Widersprechenden bei langer Verfahrensdauer gefährdet würde. Durch das Recht des<br />
Abgabenschuldners auf Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens auf seinen Antrag hin<br />
gern. § 12 Abs. 1 Nr. 7 Buchstabe d) Satz 4 KAG-Entwurf dürfte diesem Problem Rechnung<br />
getragen sein.<br />
Sofern sich eine Behörde nicht an die gesetzliche Ruhensanordnung hält und dennoch Widerspruchsbescheide<br />
erlässt, dürfte dies sanktionslos sein. Die Abgabenschuldner sind in<br />
diesen Fällen ggf. gezwungen, Klage zu erheben. Eine isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides<br />
allein im Hinblick auf den Verstoß gegen die gesetzliche Ruhensanordnung,<br />
die lediglich als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist, erscheint rechtlich problematisch. Eher<br />
angezeigt erscheint eine Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen der Kostenentscheidung<br />
nach § 155 Abs. 4 VwGO wegen Verschulden eines Beteiligten. Im Übrigen dürfte dieses<br />
Problem im Rahmen der Behördenaufsicht zu lösen sein.<br />
In tatsächlicher Hinsicht ist festzustellen, dass in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen<br />
bei den Abgabenschuldnern die Vorstellung besteht, dass für die Zeit des Ruhens ihres Widerspruchs<br />
zugleich die Vollziehbarkeit der Abgabenschuld ausgesetzt sei. Dies ist tatsächlich<br />
nicht der Fall, wenn es nicht ausdrücklich durch Aussetzungsentscheidung der Behörde<br />
nach § 80 Abs. 4 VwGO oder in einer Vereinbarung gem. § 12 Abs. 1 Nr. 7 Buchstabe e)<br />
KAG-Entwurf geregelt wird. Der Gesetzgeber sollte deshalb in den Gesetzesmaterialien eindeutig<br />
Stellung beziehen, dass er im Hinblick auf die Finanzierungsfunktion der Abgaben an<br />
dem System der sofortigen Vollziehbarkeit der Abgabenbescheide festhält.<br />
7. Welche weiteren Voraussetzungen sollten bei der pflichtigen Einführung von Musterverfahren<br />
beachtet werden?<br />
In § 12 Abs. 3 Satz 7 KAG M-V ist auch der Behörde das Recht zugestanden, nach vorheriger<br />
Ankündigung das Widerspruchsverfahren fortzusetzen. Rechtlich zwingend geboten erscheint<br />
dies nicht, weil der Behörde aufgrund der sofortigen Vollziehbarkeit der Abgabenbescheide<br />
aufgrund der gesetzlichen Ruhensanordnung keine finanziellen Nachteile entstehen,<br />
die ihre Aufgabenwahrnehmung gefährden könnten.<br />
3
8. Ist es sinnvoll, das Ruhen der Widerspruchsverfahren gesetzlich anzuordnen, wenn<br />
Gerichtsverfahren in gleichgelagerten Fällen anhängig sind?<br />
Die Beschränkung der gesetzlichen Ruhensanordnung auf anhängige Normenkontrollen der<br />
maßgeblichen Abgabensatzung dürfte einen beachtlichen Teil des Anwendungsbereichs<br />
abschneiden. Dies dürfte für das gesamte Straßenbaubeitragsrecht gelten. Auch im Anschlussbeitragsrecht<br />
wird in Mecklenburg-Vorpommern nach meinem Eindruck nicht zu jeder<br />
Beitragssatzung neben Anfechtungsklagen auch immer ein Normenkontrollantrag gemäß §<br />
47 VwGO gestellt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Normenkontrollantrag auch<br />
unzulässig sein könnte, etwa wegen Ablauf der Antragsfrist von einem Jahr nach § 47 Abs. 2<br />
S. 1 VwGO, so dass die Abgabensatzung nur noch inzident im Anfechtungsprozess gegen<br />
den Heranziehungsbescheid zur Überprüfung gestellt werden kann.<br />
Es ist ein unbestreitbarer Vorzug der Entscheidung im Verfahren gemäß § 47 VwGO, dass<br />
dort formell über den Fortbestand der Abgabensatzung mit Wirkung auch für nicht Verfahrensbeteiligte<br />
entschieden wird. Es ist aber nicht zwangsläufig, diesen Unterschied zur Anfechtungsklage<br />
beim Verwaltungsgericht, die immer nur mit Wirkung unter den Verfahrensbeteiligten<br />
ergeht, als Grund für eine eingeschränkte Regelung der gesetzlichen Ruhensanordnung<br />
zu nehmen.<br />
9. Ist es erforderlich, den kommunalen Aufgabenträgern vorzuschreiben, wie sie mit Widerspruchsverfahren<br />
umzugehen haben? Sollte dies nicht den Kommunen und<br />
Zweckverbänden vor Ort überlassen bleiben?<br />
Dies ist eine wohl eher politische Fragestellung zum Themenkreis Deregulierung/gewollter<br />
Regulierungsdichte, zu der ich keine Bewertung abgeben möchte. Insbesondere habe ich<br />
keine Kenntnis darüber, ob die betroffenen Behörden eine solche Regelung selbst als hilfreich<br />
ansehen.<br />
10. Hat sich die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern in der Praxis bewährt?<br />
Soweit die Regelungen des § 12 Abs. 3 KAG M-V angewendet worden sind, haben sie sich<br />
nach meinem Eindruck bewährt. In den Fällen, in denen sich die Verfahrensbeteiligten frühzeitig<br />
auf die Durchführung von Musterverfahren geeinigt und dies dem Gericht mitgeteilt<br />
hatten, konnten auch in einem aus meiner Sicht vertretbaren zeitlichen Rahmen Gerichtsentscheidungen<br />
in den Musterverfahren ergehen. Der Befriedungseffekt ist nach meinem Eindruck<br />
hoch.<br />
Die Regelungen werden aber nach meinem Eindruck immer noch nicht konsequent angewendet<br />
bzw. gelebt. Trotz der Geltung der Regelung seit dem Jahr 2005 ist es auch in jüngerer<br />
Zeit noch gelegentlich vorgekommen, dass dem Gericht erst im Gerichtssaal offenbart<br />
wird, dass hinter dem zu verhandelnden Verfahren noch eine Anzahl ruhender gleichgelagerter<br />
Fälle steht. Ohne die Kommunikation der Fallgestaltung an das Gericht kann dieses aber<br />
nicht effektiv auf die Musterverfahrensregelung durch Terminierung unter Berücksichtigung<br />
der Bedeutung der Sache eingehen. Es sind auch Fälle bekannt, in denen Zweckverbände<br />
trotz anhängiger Verfahren in gleichgelagerten Fällen in größerem Umfang Widersprüche<br />
bescheiden. Ich bezweifele schließlich, dass den Widerspruchsführern flächendeckend mitgeteilt<br />
wird, dass ihre Widerspruchsverfahren im Hinblick auf ein bei Gericht anhängiges Verfahren<br />
ruhen.<br />
4
11. Was halten Sie davon, dass der Aufgabenträger oder der Beitragsschuldner das Ruhen<br />
— anders als in Mecklenburg-Vorpommern — nach dem Gesetzentwurf nicht beenden<br />
kann?<br />
Ich entnehme dem Gesetzentwurf, dass der Beitragsschuldner das Ruhen gem. § 12 Abs. 1<br />
Nr. 7 Buchstabe d) Satz 4 KAG-Entwurf beenden kann. Eine entsprechende Regelung für<br />
die betroffenen Behörden halte ich nicht für erforderlich, weil der Behörde im Hinblick auf die<br />
sofortige Vollziehbarkeit der Abgabenbescheide aus der gesetzlichen Ruhensanordnung<br />
keine finanziellen Nachteile entstehen, die ihre Aufgabenwahrnehmung gefährden könnten.<br />
Auch sonstige Nachteile sind für mich nicht erkennbar. Werden in einem später erhobenen<br />
Widerspruch neue grundsätzliche Gesichtspunkte vorgetragen, kann dies entweder im anhängigen<br />
Musterverfahren eingebracht werden oder die Behörde bescheidet — nach Absprache<br />
diesen Widerspruch ebenfalls, um ein weiteres Musterverfahren zu ermöglichen.<br />
Allerdings mag es Gesichtspunkte geben, derentwegen die Behörde ein Interesse an der<br />
Entscheidung hat, etwa weil erkennbar wird, dass der Widerspruch unabhängig von der Beantwortung<br />
der Frage, derentwegen das Musterverfahren durchgeführt wird, erfolglos bleiben<br />
muss. Lässt man, wie in Mecklenburg-Vorpommern, die Möglichkeit der Beendigung des<br />
Ruhens zu, dürfte für die Entscheidung der Behörde die Vorgaben maßgeblich sein, die der<br />
Bundesfinanzhof a.a.O. formuliert hat.<br />
Wolf-Michael Ring<br />
5
Anlage 49<br />
SCHÜTTE HORSTKOTTE &PARTNER<br />
RECHT SANWÄLTE<br />
SIE' Rechtsanwälte Kröpeliner Str. 91 18055 Rostock<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Ausschuss des Inneren<br />
-Die Vorsitzende-<br />
Postfach 60 10 64<br />
14410 Potsdam<br />
BAD DOBERAN<br />
DIETER B. SCHÜTTE*<br />
RECHTSANWALT,<br />
LEHRBEAUFTRAGTER<br />
HOCHSCHULE WISMAR<br />
OLAF HÜNEMÖRDER*<br />
RECHTSANWALT<br />
BEN BUDER<br />
RECHTSANWALT<br />
ROSTOCK<br />
MICHAEL HORSTKOTTE*<br />
RECHTSANWALT, FACHANWALT<br />
FÜR VERWALTUNGSRECHT,<br />
MEDIATOR (DAA)<br />
Rostock, 17.05.2013<br />
DR. ANDREAS BEUTIN*<br />
RECHTSANWALT<br />
DR. MARTIN DIMIEFF<br />
RECHTSANWALT<br />
> BERLIN<br />
Anhörung zum Sechsten Gesetz zur Änderung des<br />
Kommunalabgabengesetzes für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
LT-DrS 5/7128<br />
MATTHIAS VEIHELMANN*<br />
RECHTSANWALT, FACHANWALT<br />
FÜR ARBEITSRECHT<br />
REINHARD A. LAU, LL.M.<br />
RECHTSANWALT<br />
IN COOPERATION:<br />
PROF. DR. STEFAN GÖBEL<br />
UNIVERSITÄT ROSTOCK<br />
SHP Rechtsa nwä lte<br />
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,<br />
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,<br />
für die Gelegenheit zur Stellungnahme sowie Teilnahme an der Anhörung<br />
des Innenausschusses bedanken wir uns.<br />
Gegenstand des Gesetzentwurfes ist die Einführung von Regelungen über<br />
das Ruhen von Widerspruchsverfahren im Bereich der Abgabenerhebung<br />
kommunaler Aufgabenträger. Nachfolgend teilen wir Ihnen unsere<br />
Überlegungen zu dem gesetzgeberischen Ziel sowie den hierzu gestellten<br />
Fragen mit.<br />
ROSTOCK<br />
KRÖPEL1NER STR. 91<br />
18055 ROSTOCK<br />
TEL: 0381/4930260<br />
FAX: 0381/49302620<br />
hro@sh-partner.de<br />
■ BAD DOBERAN BERLIN<br />
GOETHESTRASSE 27<br />
18209 BAD DOBERAN<br />
TEL: 038203/77690<br />
FAX: 038203/776928<br />
dbr©sh-partnende<br />
PLAUENER STR. 163- 165, HAUS G<br />
13053 BERLIN<br />
TEL: 030/24625386<br />
FAX: 030/24628082<br />
b@sh-partner.de<br />
DR. MATHIAS SCHUBERT<br />
ROSTOCK<br />
DR. ULRICH KRAUB<br />
WIRTSCHAFTSPRÜFER-<br />
STEUERBERATER<br />
LÜBECK<br />
www.sh-partner.de<br />
www.wasser-recht.de<br />
Geschäftskonten:<br />
Deutsche Bank AG Bad Doberan<br />
(BLZ 13070024 KTO 2036366)<br />
HypoVereinsbank Rostock<br />
(BLZ 20030000 KTO 19632<strong>43</strong>0)<br />
Anderkonto:<br />
Deutsche Bank AG Bad Doberan<br />
(BLZ 13070024 KTO 2059392)<br />
*Partner<br />
Rechtsform: Partnerschaft<br />
Sitz: Bad Doberan<br />
Registergericht: AG Rostock PR 54<br />
FinA Rostock<br />
St.Nr.: 079/164/12902
SCHÜTTE HORSTROTTE & PARTNER<br />
ECHT,SANWÄLTI:<br />
Zusammenfassend ist folgendes zum Gesetzentwurf zu sagen:<br />
Die Einführung von Regelungen über eine gesetzliche Anordnung des Ruhens von<br />
Widerspruchsverfahren sollte nicht ohne eine Berücksichtigung der faktischen Auswirkungen auf<br />
die Vollziehung der angegriffenen Abgabenbescheide erwogen werden, da sie hierdurch<br />
erhebliche Auswirkungen auf die Finanzausstattung der kommunalen Aufgabenträger haben<br />
können. Der Entzug der Verfahrenshoheit der Widerspruchsbehörde erweist sich als<br />
problematisch. Eine Erstreckung solcher Ruhensregelungen auf alle Abgabenarten nach dem<br />
KAG erscheint zweckwidrig und nicht erforderlich. Die Existenz einer ähnlichen Regelung in<br />
Mecklenburg-Vorpommern hat bislang nicht bzw. nicht in nennenswertem Umfang die im<br />
Gesetzentwurf benannten Regelungsziele herbeigeführt.<br />
Im Einzelnen beantworten wir die von den Ausschussmitgliedern formulierten Fragen wie folgt:<br />
1. Welche Erfahrungen gibt es mit solchen Musterverfahren aus Ihrer Kenntnis, wenn sie<br />
gesetzlich vorgeschrieben sind?<br />
In Mecklenburg-Vorpommern ist seit dem 31.03.2005 mit § 12 Abs. 3 KAG M-V eine dem<br />
hier vorliegenden Gesetzentwurf ähnliche Regelung in Kraft. Auf dieser Grundlage konnten<br />
umfangreiche Erfahrungen mit Musterverfahren gesammelt werden.<br />
Ein wesentlicher Unterschied zu der für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> vorgesehenen Regelung<br />
besteht darin, dass nach § 12 Abs. 3 Satz 7 KAG M-V neben dem Widerspruchsführer auch<br />
die abgabenberechtigte Körperschaft jederzeit die Verfahrensruhe beenden kann und beide<br />
insoweit gemeinsam „Herren des Verfahrens" bleiben.<br />
Als problematisch hat sich oftmals die Auswahl von Musterverfahren erwiesen. Dies vor<br />
allem dann, wenn die Widerspruchsführer von verschiedenen Rechtsanwälten vertreten<br />
werden. Nicht selten will jeder beteiligte Rechtsanwalt mindestens an einem Musterverfahren<br />
beteiligt sein. Gerade im Anschlussbeitragsrecht treten auch häufig verschiedene<br />
Prozessgemeinschaften im Sinne des Gesetzentwurfes auf, weshalb es wegen der oftmals sehr<br />
unterschiedlichen Zielstellungen im Ergebnis schwer fällt, die streitigen Rechtsfragen<br />
umfassend, einheitlich und verbindlich zu klären. Auch örtliche und sachliche Besonderheiten<br />
(Ortslagen mit besonders vielen Widersprüchen oder bestimmten Gruppen von<br />
Seite 2 von 12
SCHÜTTE HORSTKOTTE erPARTNER<br />
RECH TS ANWÄL T E<br />
Widerspruchsführern) sowie durchaus auch die Sachkunde der beteiligten Rechtsanwälte<br />
können für die Auswahl der Musterverfahren eine Rolle spielen. Dadurch kommt es in der<br />
Regel zu einer sehr hohen Zahl an Musterverfahren. Von „Musterverfahren" im eigentlichen<br />
Sinn kann man dann nicht mehr sprechen. In der Praxis ist daher der Abschluss individueller<br />
Musterklagevereinbarungen von wesentlicher Bedeutung.<br />
Dort, wo eine Verfahrensruhe von Gesetzes wegen eintreten soll, kommt es nicht selten vor,<br />
dass die Tatbestandsvoraussetzungen unklar sind. Denn die Regelungen setzen voraus, dass<br />
der Widerspruchsführer seinen Widerspruch auf eines der genannten Gerichtsverfahren stützt.<br />
Häufig und gerade auch dann, wenn keine anwaltliche Vertretung vorliegt oder wenn bewusst<br />
Unklarheiten provoziert werden, bereitet es den Behörden Schwierigkeiten, die Bezugnahme<br />
auf ein anhängiges Verfahren oder auf eine in einem solchen Verfahren zu klärende<br />
entscheidungserhebliche Rechtsfrage (wobei die Entscheidungserheblichkeit häufig wiederum<br />
selbst fraglich ist) dem Widerspruch zu entnehmen. Viele Widersprüche enthalten hierzu auch<br />
keine Aussage, weil den Widerspruchsführern solche Verfahren unbekannt sind. Im Ergebnis<br />
hat die Widerspruchsbehörde trotz der gesetzlichen Regelung jeden einzelnen Fall zu prüfen<br />
und den Widerspruch hinsichtlich der Ruhensvoraussetzungen auszulegen, so dass bereits<br />
hierdurch ein nicht unerheblicher Verwaltungsaufwand entsteht.<br />
Es hat sich ferner gezeigt, dass nicht alle Widerspruchsführer, auch nicht alle, die an einer<br />
Prozessgemeinschaft im Sinne des Gesetzentwurfes beteiligt sind, mit einer passiven Rolle<br />
einverstanden sind. Hierdurch kommt es nicht selten zu einer „Zerfaserung" der Verfahren.<br />
Auch dadurch steigt der Verwaltungsaufwand.<br />
Als sehr problematisch erweist es sich, wenn ein Musterverfahren anders als durch ein<br />
klageabweisendes oder -stattgebendes Urteil beendet wird. Die Übertragung von Regelungen<br />
eines verfahrensbeendenden Vergleichs stößt regelmäßig nicht auf ungeteilte Zustimmung;<br />
häufig lassen sich solche Regelungen auch gar nicht übertragen. Ferner kann die Klagepartei<br />
des Musterverfahrens ihr Interesse am Verfahren verlieren und eine Klagerücknahme erklären<br />
(etwa bei Grundstücksverkauf, Umzug, im Erbfall etc.). Derartige Situationen führen in aller<br />
Regel nicht zu einer Befriedung. Zudem sehen sich die Widerspruchsbehörden dann<br />
unvorhergesehen einer Vielzahl gleichzeitig wieder aufzunehmender Verwaltungsverfahren<br />
ausgesetzt, die unter dem Druck von Untätigkeitsklagen nach § 75 VwGO in einem engen<br />
Zeitfenster zu bearbeiten sind.<br />
Schließlich ist zu beachten, dass die verwaltungsgerichtlichen Verfahrensdauern nicht<br />
unerheblich sind. Ein Zeitrahmen von drei bis fünf Jahren für die erste Instanz ist nicht<br />
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SCHÜTTE HORSTKOTTE & PARTNER<br />
ItY,CHTS ANWÄLTE<br />
unüblich. Schließt sich noch ein Berufungsverfahren an, kommen in der Regel mindestens<br />
zwei weitere Jahre hinzu. Während dieses Zeitraumes verlieren manche Widerspruchsführer<br />
deren Verfahren ruhen das Interesse an der gerichtlichen Klärung.<br />
Nach alledem ist zusammenfassend festzustellen, dass nach unserer Erfahrung unabhängig<br />
von den gesetzlichen Voraussetzungen gerade in den Fällen, die der Gesetzgeber vor Augen<br />
hatte, individuelle Musterklagevereinbarungen geschlossen wurden. In der Regel besteht auch<br />
bei den Rechtsanwälten der Widerspruchsführer ein solches Interesse, weil gerade dann,<br />
wenn eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle vertreten wird, auch sie Überschaubarkeit,<br />
Verlässlichkeit und Arbeitserleichterung anstreben. Eine solche Verfahrensgestaltung liegt<br />
indes auch ohne gesetzliche Regelung zur Verfahrensruhe nahe bzw. wurde so auch schon<br />
häufig vor Inkrafttreten des neuen § 12 Abs. 3 KAG M-V praktiziert.<br />
2. Welche Wasser- und Abwasserverbände in <strong>Brandenburg</strong> führen bereits jetzt<br />
Musterverfahren durch und welche nicht?<br />
Da wir im Rahmen unserer Mandatsverhältnisse zur Verschwiegenheit verpflichtet sind,<br />
können wir hierzu keine Auskunft geben.<br />
3. Lassen sich durch das Musterverfahren Kosten bei den Bürgern als Kläger sowie in der<br />
Verwaltung/bei den Wasser- und Abwasserverbänden als Beklagte einsparen?<br />
Die Beantwortung dieser Frage hängt entscheidend davon ab, welchen Ausgang das<br />
Musterverfahren gefunden hat.<br />
Wird die Abgabenerhebung in einem Musterverfahren für rechtmäßig erachtet, kann es zu<br />
einer — theoretischen — Kosteneinsparung kommen, wenn die Widerspruchsführer der<br />
ruhenden Verfahren nach Wiederaufnahme und Abschluss des Widerspruchsverfahrens von<br />
einer eigenen Klageerhebung absehen. Denn dann fallen für diese Widerspruchsführer<br />
zumindest keine Kosten aus einem Gerichtsverfahren an. Soweit ein Rechtsanwalt im<br />
Widerspruchsverfahren für die Widerspruchsführer tätig war, ist aber jeweils eine volle<br />
Geschäftsgebühr nach § 2 Abs. 2 RVG iVm. VV 2301 durch die Widerspruchsführer zu<br />
tragen. Der kommunale Aufgabenträger würde weder die Kosten des Widerspruchs- noch des<br />
Gerichtsverfahrens tragen.<br />
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SCHOTTE HO RSTKOTTE- & PARTNER<br />
R R C li TS AN W ÄlrT<br />
Wird die Abgabenerhebung in einem Musterverfahren hingegen für rechtswidrig erachtet, ist<br />
danach zu differenzieren, wie der kommunale Aufgabenträger hierauf reagiert.<br />
Nimmt er die Entscheidung zunächst hin, werden Abhilfebescheide erlassen, so dass die<br />
Kosten des gerichtlichen Musterverfahrens und der ruhenden Widerspruchsverfahren<br />
(einschließlich der Rechtsanwaltskosten der Widerspruchsführer nach dem RVG) vom<br />
kommunalen Aufgabenträger zu tragen sind. Zu einer Kosteneinsparung seitens der<br />
Widerspruchsführer kommt es also nicht, da diese genau so gestellt werden, wie sie stünden,<br />
wenn sie selbst das Klageverfahren betrieben hätten. Lediglich beim kommunalen<br />
Aufgabenträger kann es zu einer Kosteneinsparung kommen, da Kosten aus einem<br />
gerichtlichen Verfahren nur in dem Musterverfahren angefallen sind. Diese Einsparung fällt<br />
hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten allerdings etwas geringer aus, da in einem<br />
Klageverfahren nach § 2 Abs. 2 RVG iVm. VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 eine Anrechnung der<br />
im Widerspruchsverfahren angefallenen Geschäftsgebühr auf die im Gerichtsverfahren<br />
anfallende Verfahrensgebühr vorzunehmen ist.<br />
Entschließt sich der kommunale Aufgabenträger hingegen, die vom Gericht monierten<br />
(Satzungs- oder Kalkulations-) Fehler schnell zu heilen, wird er anschließend in den bislang<br />
ruhenden Verfahren Widerspruchsbescheide erlassen, mit denen die Widersprüche<br />
zurückgewiesen werden. Das ist auch praktisch möglich, da die Verfahrensruhe mit der<br />
Rechtskraft der Entscheidung über das Musterverfahren enden würde und anschließend die<br />
Dreimonatsfrist gemäß § 75 Satz 3 VwGO für die Entscheidung über den Widerspruch zu<br />
laufen beginnt. In dieser Situation könnte es also grundsätzlich nur zu einer — theoretischen —<br />
Kosteneinsparung seitens der Widerspruchsführer hinsichtlich der Kosten aus einem<br />
Gerichtsverfahren kommen, wenn diese anschließend von einer eigenen Klageerhebung<br />
absehen. Dann käme es auch beim kommunalen Aufgabenträger zu einer Kosteneinsparung,<br />
da Kosten aus einem gerichtlichen Verfahren nur im Musterverfahren angefallen wären.<br />
Kommt es hingegen zu anschließenden Klageverfahren, sind Kosteneinsparungen durch das<br />
Musterverfahren jeweils nicht eingetreten.<br />
4. Kann die Einführung des Musterverfahrens zu weniger Arbeitsaufwand in der<br />
Verwaltung und bei den Gerichten führen?<br />
Unsere Erfahrungen mit der entsprechenden Regelung in Mecklenburg-Vorpommern lassen<br />
eine wesentliche Reduzierung von gerichtlichen Verfahren nicht erkennen. Oftmals werden<br />
selbst dann die zuvor ruhenden Widerspruchsverfahren fortgesetzt bzw. gerichtliche<br />
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SCHÜTTE HORSTKOTTE & PARTNER<br />
REC HTS WÄLTE<br />
Verfahren eingeleitet, wenn ein Musterverfahren zugunsten des kommunalen<br />
Aufgabenträgers ausgegangen ist. Dies scheint darin begründet zu liegen, dass insbesondere<br />
die Eigentümer von sog. altangeschlossenen Grundstücken eine Beitragserhebung<br />
grundsätzlich ablehnen und nicht lediglich die rechtskonforme Anwendung einer<br />
rechtswirksamen Beitragskalkulation und -satzung sicherstellen wollen.<br />
Von besonderer Bedeutung ist, dass das Ruhen der Widerspruchsverfahren noch nicht die<br />
Zahlungspflicht der Abgabenschuldner berührt. Denn gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO haben<br />
Widersprüche gegen Abgabenbescheide keine aufschiebende Wirkung. Diese wird auch nicht<br />
durch eine Verfahrensruhe herbeigeführt. Folglich entbrennen oftmals trotz des Ruhens der<br />
Widerspruchsverfahren Streitigkeiten über die Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung<br />
nach § 80 Abs. 4 VwGO. Damit sind regelmäßig doch in einer Vielzahl an Einzelfällen<br />
weitere Entscheidungen durch die Behörde zu treffen.<br />
Zudem führt die vorgenannte Situation in der Regel dazu, dass zahlreiche Anträge nach § 80<br />
Abs. 5 VwG() auf gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt werden,<br />
wenn nicht der kommunale Aufgabenträger in allen Fällen der Verfahrensruhe von sich aus<br />
die Vollziehung aussetzt. Denn die Widerspruchsführer haben oftmals kein Verständnis dafür,<br />
dass trotz ruhender Widerspruchsverfahren die Fälligkeit satzungsgemäß eintritt (idR. sehr<br />
zeitnah). Dann kommt es eher zu einer stärkeren Belastung der Verwaltungsgerichte. Setzt<br />
der kommunale Aufgabenträger hingegen die Vollziehung jeweils aus, was aber schon aus<br />
rechtlichen Gründen sehr fragwürdig wäre, muss er Vorkehrungen für einen umfassenden und<br />
ggf. über viele Jahre hinweg eintretenden Einnahmeausfall treffen.<br />
Ferner führen individuelle Abweichungen zu einem erheblichen Zusatzaufwand bei den<br />
Behörden. Neben der Zuordnung aller Verfahren zu bestimmten Musterverfahren bzw. zu<br />
bestimmten Prozessgemeinschaften im Sinne des Gesetzentwurfes ist jeweils einzeln zu<br />
prüfen, ob über die verallgemeinerungsfähigen Gesichtspunkte hinaus weitere, individuelle<br />
Einwände vorgebracht wurden. Es bedarf daher gleichzeitig einer weiteren Differenzierung<br />
zwischen der inhaltlichen Reichweite der Einwände. In der Praxis ist also parallel ein höherer<br />
Verwaltungsaufwand zu bewältigen, als wenn nur nach der „klassischen" Arbeitsweise der<br />
Bearbeitung streng nach Eingang bzw. ortsweise vorgegangen würde oder aber individuelle<br />
Musterklagevereinbarungen geschlossen werden, in denen auch eine abschließende Einigung<br />
hinsichtlich der inhaltlichen Bindungswirkung und Bezugnahmen herbeigeführt wird.<br />
Schließlich ist zu beachten, dass der Eintritt der Verfahrensruhe nicht dazu führt, dass von<br />
den Widerspruchsführern keine zulässigen Untätigkeitsklagen nach § 75 VwG() erhoben<br />
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SCHÜTTE HORSTROTTE ST _PARTNER<br />
RECHTSANWÄLTE<br />
werden können. Denn eine solche Klageerhebung wird als eine Beendigung der<br />
Verfahrensruhe seitens des Widerspruchsführers angesehen (vgl. OVG Mecklenburg-<br />
Vorpommern, Urt. v. 10.10.2012, Az. 1 L 27/09, juris-Rn. 57). Folglich kann die<br />
Verfahrensruhe nicht garantieren, dass es in den ruhenden Verfahren nicht schon während<br />
eines laufenden Musterverfahrens zu weiteren Klageverfahren kommt. Eine Reduzierung des<br />
behördlichen und gerichtlichen Aufwands ist somit nicht sicher zu gewährleisten.<br />
5. Welche weiteren Vorteile bringt die Einführung des Musterverfahrens im KAG mit<br />
sich?<br />
Durch die gesetzliche Anordnung der Verfahrensruhe nach dem vorliegenden Gesetzentwurf<br />
hätten die kommunalen Aufgabenträger keine Möglichkeit, ihre Widerspruchsverfahren<br />
anders zu gestalten. Demzufolge könnten sie auf eine gleiche, gesetzlich vorgegebene<br />
Verfahrensweise verweisen. Die dadurch erhoffte Verbesserung der allgemeinen Akzeptanz<br />
dürfte indes nicht eintreten. Denn die oftmals mangelnde Akzeptanz der mit der<br />
Aufgabenerfüllung korrespondierenden Abgabenerhebung liegt in aller Regel nicht in den<br />
Handlungsformen oder Verfahrensweisen der abgabenerhebenden Behörde begründet,<br />
sondern vielmehr in der verbreiteten Ablehnung bestimmter Abgabenansprüche an sich.<br />
Zum Teil sind die Verwaltungsgerichte bereit, ausgewählte Musterverfahren vorrangig zu<br />
entscheiden. Dann kommt es in einem kürzeren zeitlichen Rahmen zur gerichtlichen Klärung.<br />
Hierauf besteht jedoch kein Anspruch und manche Gerichte gehen bei der Bearbeitung der<br />
Verfahren auch streng historisch vor. Ist ein Normenkontrollverfahren anhängig, gehen die<br />
Verwaltungsgerichte nach unserer Erfahrung in der Regel in eine „Wartestellung" über und<br />
terminieren jedenfalls dann, wenn es auf die Wirksamkeit der Satzung und nicht auf die<br />
Zulässigkeit der Klagen ankommt, erst nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts.<br />
6. Welche rechtlichen und tatsächlichen Probleme bringt die Einführung des<br />
Musterverfahrens im KAG mit sich? Wie lassen sich diese Probleme lösen?<br />
Divergierende Gerichtsentscheidungen im Instanzenzug bzw. Änderungen der<br />
Rechtsprechung bei später eingeleiteten Klageverfahren oder nach einem Wechsel in der<br />
Besetzung des zuständigen Spruchkörpers sind durch die Regelungen des Gesetzentwurfes<br />
nicht auszuschließen. Die Stattgabe oder Zurückweisung einer Anfechtungsklage durch die<br />
Verwaltungsgerichte ist stets nur zwischen den Prozessparteien verbindlich. Eine<br />
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SCHÜTTE HORSTKOTTE Sr PARTNER<br />
RECHTSANWÄLTE<br />
allgemeinverbindliche Rechtslage wird dadurch nicht geschaffen. Dies ist auch bei einer sog.<br />
abstrakten Normenkontrolle nach § 47 VwGO der Fall, wenn der Antrag zurückgewiesen<br />
wird. Lediglich dann, wenn eine abstrakte Normenkontrolle dazu führt, dass das<br />
Oberverwaltungsgericht die Abgabensatzung für unwirksam erklärt, liegt nach § 47 Abs. 5<br />
Satz 2 VwGO eine allgemeinverbindliche Entscheidung vor. Demzufolge kann es stets dazu<br />
kommen, dass weitere gerichtliche Entscheidungen nach Abschluss des Musterverfahrens zu<br />
einem anderen Ergebnis kommen. Dieses Problem lässt sich grundsätzlich nicht lösen, da der<br />
<strong>Land</strong>esgesetzgeber keine Kompetenz zur Änderung der Bestimmungen der VwGO hat und<br />
hinsichtlich der Bindungswirkung auch verfassungsrechtliche Grenzen bestünden. Mit<br />
individuell abgeschlossenen Vereinbarungen über die Folgen des Musterverfahrens lassen<br />
sich hingegen — zumindest für die Parteien der Vereinbarungen — verbindliche Rechtsfolgen<br />
mit dem Ziel der Vereinheitlichung erreichen.<br />
Wann die Voraussetzungen erfüllt sind, dass sich ein Widerspruch auf ein anderes<br />
Gerichtsverfahren zur Abgabensatzung „stützt" bzw. dass eine<br />
„entscheidungserhebliche" Rechtsfrage in einem anderen Gerichtsverfahren anhängig ist,<br />
lässt sich nicht stets mit abschließender Sicherheit sagen. Hier besteht die Gefahr, dass die<br />
Widerspruchsbehörden einen solchen Zusammenhang nicht sehen und folglich — in<br />
unzulässiger Weise — einen isoliert anfechtbaren Widerspruchsbescheid erlassen. Eine weitere<br />
Präzisierung der entsprechenden Regelungen im Gesetzentwurf dürfte ohne ausufernde<br />
Formulierungen jedoch unmöglich sein, sie bleibt folglich der Rechtsprechung vorbehalten.<br />
Ferner ist zu beachten, dass der Ablauf der Zahlungsverjährung nach §§ 12 Abs. 1 Nr. 5 lit. a)<br />
KAG, 228 ff. AO nicht durch den Eintritt einer Verfahrensruhe gehemmt oder unterbrochen<br />
wird. Ohne eine ausdrückliche Aussetzung der Vollziehung würde ein bloßes Absehen von<br />
der Vollziehung somit die Durchsetzbarkeit des Abgabenanspruchs gefährden. Unabhängig<br />
von der Frage des Ruhens des Widerspruchsverfahrens muss der kommunale Aufgabenträger<br />
folglich in jedem Einzelfall die Frage der Vollziehung oder deren Aussetzung prüfen und<br />
entsprechend umsetzen.<br />
Indem den kommunalen Aufgabenträgern keine Möglichkeit zur Beendigung der<br />
Verfahrensruhe eingeräumt wird, wird diesen die Hoheit über ihr eigenes<br />
Widerspruchsverfahren entzogen. Dies erscheint vor dem Hintergrund des<br />
verfassungsrechtlichen Schutzes der kommunalen Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG<br />
jedenfalls als problematisch. Wie bereits aufgezeigt, besteht aus ganz unterschiedlichen<br />
sachlichen Gründen ein Bedarf der kommunalen Aufgabenträger, die Verwaltungsverfahren<br />
gestalten zu können. Die Aufgabenträger wären in ganz erheblicher Weise in ihrer<br />
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SCHÜTTE HORSTKOTTE St- PARTNER<br />
RECHTS ANWÄLTE<br />
Gestaltungsfreiheit eingeschränkt, wenn ohne Rücksicht auf die konkreten Umstände<br />
umfangreiche Verfahrensruhen gesetzlich angeordnet würden. Daher sollte auch ihnen wie in<br />
Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit eingeräumt werden, die Verfahrensruhe zu<br />
beenden. Dass eine solche Entscheidung willkürfrei getroffen werden muss, ergibt sich, wenn<br />
dem Aufgabenträger durch eine „Kann-Bestimmung" ein Ermessen eingeräumt wird, bereits<br />
aus allgemeinen verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Grundsätzen.<br />
Die im Gesetzentwurf für den Verlust der Verfahrenshoheit gesehene Rechtfertigung wegen<br />
einer gleichzeitigen Stärkung der Rechte der betroffenen Abgabenschuldner bzw. des<br />
Ausbleibens finanzieller Nachteile durch Musterverfahren ist ebenfalls nicht frei von<br />
Zweifeln. Berücksichtigt man insofern, dass das Regelungsziel des Gesetzentwurfes nur dann<br />
erreicht werden dürfte, wenn nicht nur die Widerspruchsverfahren ruhen, sondern jeweils<br />
auch die Aussetzung der Vollziehung gewährt wird, stellt sich durchaus die Frage nach<br />
finanziellen Nachteilen. Denn dann stehen die kommunalen Aufgabenträger vor der<br />
Herausforderung, teilweise erhebliche Einnahmeausfälle über längere Zeit hinweg anders zu<br />
refinanzieren. Wie und ob die daraus resultierenden zusätzlichen Kosten (idR.<br />
Darlehenszinsen) selbst refinanziert werden können, ist rechtlich umstritten. Ob die<br />
Aussetzung der Vollziehung allgemein gewährt werden dürfte, ist überdies sehr fraglich.<br />
Davon abgesehen, dass die sofortige Vollziehbarkeit finanzielle Nachteile durch<br />
Fremdfinanzierung vermeiden soll, begründet die bloße Existenz von Musterverfahren allein<br />
noch keine erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides im Sinne des<br />
§ 80 Abs. 4 VwGO. Mangels Normverwerfungskompetenz und nach den haushaltsrechtlichen<br />
Bestimmungen sind die kommunalen Aufgabenträger zudem gehalten, ihr Satzungsrecht auch<br />
umzusetzen bzw. ihre Abgabenansprüche effektiv zu realisieren. Unabhängig davon<br />
rechtfertigt eine Stärkung der Rechte Dritter — selbst wenn sie dem Leitbild einer geordneten<br />
Verwaltungspraxis entspricht — nicht im Umkehrschluss die Einschränkung grundgesetzlich<br />
geschützten Rechte betroffener Aufgabenträger. Eine Lösung dieser Problemlage ist nur<br />
durch eine Ergänzung des Gesetzentwurfes um die Möglichkeit zur Beendigung der<br />
Verfahrensruhe auch seitens der Widerspruchsbehörde denkbar.<br />
Besonders problematisch würde eine gesetzlich angeordnete Verfahrensruhe ohne<br />
Beendigungsmöglichkeit durch die Widerspruchsbehörde im Bereich der Gebührenerhebung<br />
sein. Danach könnte bereits ein einziges Klageverfahren ausreichen, dass alle<br />
Widerspruchsverfahren zu Gebührenbescheiden zum Ruhen kommen. Würde dann, um dem<br />
Entlastungsgedanken des Gesetzentwurfes effektiv Rechnung zu tragen, gleichzeitig die<br />
Aussetzung der Vollziehung angeordnet werden, wäre eine Gebührenerhebung kaum noch<br />
möglich. Im Ergebnis könnte es zu einem umfassenden Einbruch bei der Refinanzierung der<br />
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scnürTE HORSTKOTTE &- PARTNER<br />
RECHTS ANWÄLTE<br />
laufenden Kosten des Betriebs der jeweiligen öffentlichen Einrichtung kommen. Dass dies<br />
durch Aufnahme von Darlehen auffangbar wäre, erscheint zumindest fraglich. Zu lösen wäre<br />
diese Problemlage, indem die Vorschriften über die Verfahrensruhe auf Beitragsansprüche<br />
beschränkt werden.<br />
Die Effizienz von Musterverfahren steht und fällt mit dem begleitenden Abschluss von<br />
Verfahrensvereinbarungen. Nur damit kann für einige Fälle eine verbindliche Regelung zur<br />
entsprechenden Beendigung der ruhenden Verfahren getroffen werden. Der Gesetzentwurf<br />
fordert solche Vereinbarungen mit einer „Soll"-Regelung. Mehr kann — bei Beachtung der<br />
verfassungsrechtlich geschützten Vertragsfreiheit — nicht wirksam gesetzlich angeordnet<br />
werden. Gleichwohl könnte die Wahrscheinlichkeit für eine große Zahl an<br />
Verfahrensvereinbarungen erhöht werden, wenn mit einem begleitenden Erlass ein<br />
ausgewogenes und umfassendes Muster für eine entsprechende Vereinbarung veröffentlicht<br />
würde. Denn damit wäre der Einigungsdruck höher und die Möglichkeit zur jeweils<br />
individuellen Verhandlung über Detailfragen eingeschränkt.<br />
7. Welche weiteren Voraussetzungen sollen bei der pflichtigen Einführung von<br />
Musterverfahren beachtet werden?<br />
Aus den bereits genannten Gründen sollte es zumindest die Möglichkeit geben, dass auch die<br />
Widerspruchsbehörde das Ruhen des Verfahrens beenden kann.<br />
Ferner sollte der Gesetzgeber die finanziellen Folgen der mit einer Verfahrensruhe faktisch<br />
bei den Abgabenschuldnern geweckten Erwartung zur Gewährung der Aussetzung der<br />
Vollziehung berücksichtigen. Eine Enttäuschung dieser Erwartung könnte den vom<br />
Gesetzgeber unter anderem beabsichtigten Zweck, „Ruhe" in eine Vielzahl von Verfahren zu<br />
bringen, in sein Gegenteil verkehren. Die daraus resultierenden finanziellen Risiken sollten<br />
nicht allein zu Lasten der kommunalen Aufgabenträger gehen.<br />
Um nicht das Risiko eines völligen Einnahmeausfalls herbeizuführen, sollten die Regelungen<br />
des Gesetzentwurfes allenfalls auf die Beitragsansprüche nach § 8 Abs. 1 KAG beschränkt<br />
werden. Weiter sollte diese Beschränkung unter Ausklammerung von Straßenbaubeiträgen<br />
nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KAG erwogen werden, da die Erhebung von Straßenbaubeiträgen<br />
üblicherweise nur hinsichtlich individueller Einzelfragen streitanfällig ist.<br />
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SCHÜTTE HORSTROTTE ir PARTNER<br />
RECHTS AN WA 1. "CE<br />
8. Ist es sinnvoll, das Ruhen der Widerspruchsverfahren gesetzlich anzuordnen, wenn<br />
Gerichtsverfahren in gleichgelagerten Fällen anhängig sind?<br />
Geht man hier davon aus, dass als „gleichgelagerte Fälle" Situationen verstanden werden, in<br />
denen mehrere Widerspruchsführer identische Vorlagen für Ihre Widersprüche verwenden<br />
bzw. mit identischer rechtlicher Argumentation durch einen einzigen Rechtsanwalt vertreten<br />
werden, ist eine einheitliche Behandlung dieser Verfahren durchaus sinnvoll. In der Praxis<br />
wird dies in aller Regel durch den Abschluss von Verfahrensvereinbarungen gelöst. Dabei<br />
spielt es keine Rolle, ob eine gesetzliche Ruhensregelung besteht oder nicht — diese allein<br />
führt jedenfalls nicht zu den gewünschten Kosteneinsparungen. Da diese Vorgehensweise<br />
aber nur dann sinnvoll und im Ergebnis auch zielführend ist, wenn eine entsprechende<br />
Einigungsbereitschaft auf beiden Seiten vorhanden ist, ändert das Vorhandensein einer<br />
gesetzlichen Ruhensanordnung daran nichts. Demzufolge lässt sich die gesetzliche<br />
Anordnung einer Verfahrensruhe nicht allein mit dem Wunsch nach einer effizienteren<br />
Verfahrensgestaltung begründen.<br />
9. Ist es erforderlich, den kommunalen Aufgabenträgern vorzuschreiben, wie sie mit<br />
Widerspruchsverfahren umzugehen haben? Sollte dies nicht den Kommunen und<br />
Zweckverbänden vor Ort überlassen bleiben?<br />
Hierzu wurde das Wesentliche bereits unter 6. gesagt. Aus unserer Sicht birgt es nicht<br />
unwesentliche Risiken, wenn den kommunalen Aufgabenträgern jede eigenständige<br />
Möglichkeit genommen wird, die eigenen Erhebungsverfahren durch den Erlass von<br />
Widerspruchsbescheiden abzuschließen.<br />
10. Hat sich die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern in der Praxis bewährt?<br />
Wie schon unter 1. angesprochen, hat die in Mecklenburg-Vorpommern geltende Regelung<br />
des § 12 Abs. 3 KAG M-V nicht die erhofften Effekte gezeigt. Eine maßgebliche<br />
Reduzierung der Fallzahlen ist jedenfalls aus anwaltlicher Sicht nicht zu bemerken. Auch ist<br />
es in den uns bekannten Fällen im Ergebnis nicht zu einer weitreichenden Befriedung oder<br />
Akzeptanz der gerichtlichen bzw. behördlichen Entscheidungen gekommen. Die<br />
Kostenrisiken der betroffenen Abgabenschuldner konnten in aller Regel auch nicht reduziert<br />
werden, da der Ausgang der gerichtlichen Musterverfahren nicht dazu geführt hat, dass die<br />
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SCHÜTTE HORSTKOTTESrPARTNER<br />
RECHTS ANWÄLTE<br />
kommunalen Aufgabenträgem anschließend gänzlich von einer Abgabenerhebung abgesehen<br />
haben.<br />
11. Was halten Sie davon, dass der Aufgabenträger oder der Beitragsschuldner das Ruhen -<br />
anders als in Mecklenburg-Vorpommern - nach dem Gesetzentwurf nicht beenden<br />
kann.<br />
Eine solche Regelung erachten wir als höchst problematisch. Hierzu sei auf die Ausführungen<br />
unter 6. und 9. verwiesen.<br />
r. dreas Beutin<br />
htsanwalt<br />
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Anlage 20<br />
(sa<br />
EINGEGANGEN<br />
Von: Kanzlei [mailto:kanzleieballaschk.de]<br />
Gesendet: Mittwoch, 22. Mai 2013 17:16<br />
An: Herrmannsen Solveig<br />
Betreff: Anhörung zur Änderung des KAG<br />
E-rlediat:<br />
2 Z MAI 20134-36<br />
kej ('(1.Zi<br />
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D 10245 Berlin - Friedrichshain,<br />
Grünberger Straße 54<br />
Telefon (+4930) 280 65 76<br />
Fax (+4930) 250 95 815<br />
e-mail kanzleieballaschk.de<br />
Dr. Wilfried Ballaschk<br />
Rechtsanwalt<br />
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Frau Stark,<br />
für die Einladung zur Anhörung zur Änderung des brandenburgischen KAG bedanke ich mich.<br />
Leider kann ich an der Anhörung wegen anderweitiger Termine nicht teilnehmen. Da Ihr Schreiben<br />
erst kurzfristig hier eingegangen ist, kann ich leider auch Ihren Fragenkatalog nicht ausführlich<br />
beantworten.<br />
Der Gesetzesentwurf ist sehr zu begrüßen. Der ausführlichen Begründung gibt es aus meiner Sicht<br />
nichts hinzuzufügen.<br />
Ich halte die im Entwurf vorgeschlagenen Regelungen für verfassungs- und gesetzeskonform.<br />
Die vorgeschlagene Regelung dürfte aus meiner Sicht vor allem dazu beitragen, die Rechte der<br />
Bürger zu stärken. Es ist zu erwarten, dass die Akzeptanz der Satzungen bei den betroffenen Bürgern<br />
selbst dann zu erhöhen, wenn diese - was der Regelfall sein dürfte - aufgrund der Bestimmungen der<br />
Satzungen finanzielle Belastungen zu tragen haben.<br />
Tatsächlich ist es nach meiner Erfahrung so, dass die Bürger, die nur über ein geringes Einkommen<br />
und Vermögen verfügen, grollend Satzungen hinnehmen, die sie selbst für ungerecht halten, weil sie<br />
sich die Durchführung eines Verwaltungsgerichtsverfahrens nicht leisten können.<br />
Bereits im Rechtsmittelverfahren unterbleibt oft die vielfach nötige Einschaltung eines Rechtsanwalts,<br />
um Kosten zu sparen.<br />
Durch die Möglichkeit der Durchführung von Musterverfahren haben nunmehr auch solche Bürger die<br />
Möglichkeit, ihre Rechte qualifiziert wahrzunehmen, weil sie nur einen Bruchteil der Kosten aufbringen<br />
müssten, die bei der Durchführung eines einzelnen Verfahrens aufzubringen wären.<br />
Die Regelungen können aus meiner Sicht auch dazu beitragen, die kommunalen Aufgabenträger zu<br />
veranlassen, die Bürger frühzeitiger und umfangreicher in die Erarbeitung von Satzungen<br />
einzubeziehen.<br />
Zu Ihrem Fragenkatalog - ausgewählte Fragen:<br />
3. Die Kosteneinsparung bei den Bürgern liegt auf der Hand (s.o.). Mindestens für den Fall, dass die<br />
Verwaltungsgerichte die Unwirksamkeit einer Satzung feststellen, sparen auch die Verwaltungen und<br />
Zweckverbände in erheblichem Umfang Kosten. Haben z.B. 20 Bürger gegen Bescheide, die aufgrund<br />
einer Satzung ergangen sind, geklagt, und wird die Unwirksamkeit der Satzung festgestellt, müssen<br />
die Verwaltungen bzw. Zweckverbände die Kosten von 20 Gegnern (einschließlich Rechtsanwälten)<br />
und ggf. ihrer 20 eigenen Anwälte bezahlen. Wird die Unwirksamkeit im Musterverfahren festgestellt,<br />
sind die Kosten erheblich geringer.
4. Wird die Zahl der Verfahren reduziert, verringert sich der Arbeitsaufwand bei den Gerichten<br />
offensichtlich.<br />
5. s.o.<br />
8. hier verweise ich auf die zutreffende Begründung im Gesetzesentwurf.<br />
9. Meine bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die kommunalen Aufgabenträger oftmals<br />
bürgerunfreundlich agieren. Insofern halte ich die vorgeschlagene Regelung für angemessen und<br />
erforderlich.<br />
11. Auch nach dem Mecklenburgischen KAG kann der Aufgabenträger das Ruhen des Verfahrens<br />
nicht von sich aus beenden. Nach der hier vorgeschlagenen Regelung (§ 12 Abs. 1 Nr. 7 lit. d) kann<br />
der Beitragsschuldner - wie in Mecklenburg - die Fortsetzung des Verfahrens verlangen.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Dr. Ballaschk<br />
Rechtsanwalt
Anlage 24<br />
Anhörung zum<br />
Sechsten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />
für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> (KAG),<br />
Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, Drucksache 517128<br />
Donnerstag, 23. Mai 2013, 13.30 Uhr,<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Liste der Anzuhörenden - Eingeladener Teilnehmerkreis<br />
Dr. Paul-Peter Humpert<br />
<strong>Land</strong>kreistag <strong>Brandenburg</strong> e.V.<br />
Karl-Ludwig Böttcher<br />
Städte- und Gemeindebund <strong>Brandenburg</strong> e.V.<br />
Turgut Pencereci<br />
<strong>Land</strong>eswasserverbandstag <strong>Brandenburg</strong> e.V.<br />
Rudolf Ehrhardt<br />
<strong>Land</strong>esverband der <strong>Brandenburg</strong>er Haus-,<br />
Wohnungs- und Grundeigentümervereine<br />
Dr. Wolfgang Schönfelder<br />
Verband Berlin-<strong>Brandenburg</strong>ischer<br />
Wohnungsunternehmen e.V.<br />
Peter Ohm<br />
Verband Deutscher Grundstücksnutzer<br />
(VDGN)<br />
Heike Nicolaus<br />
Zweckverband Komplexsanierung mittlerer<br />
Süden (KMS)<br />
Michael Grubert<br />
Wasser- und Abwasserzweckverband „Der<br />
Teltow"<br />
Wolf-Michael Ring<br />
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht<br />
Schwerin<br />
Dr. Wilfried Ballaschk<br />
Rechtsanwalt<br />
Dr. Andreas Beutin<br />
Rechtsanwälte Schütte, Horstkotte & Partner
Anlage 22,<br />
Anhörung zum<br />
Sechsten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes<br />
für das <strong>Land</strong> <strong>Brandenburg</strong> (KAG),<br />
Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, Drucksache 511128<br />
Donnerstag, 23. Mai 2013, 13.30 Uhr,<br />
<strong><strong>Land</strong>tag</strong> <strong>Brandenburg</strong><br />
Fragenkatalog<br />
1. Welche Erfahrungen gibt es mit solchen Musterverfahren aus Ihrer Kenntnis, wenn<br />
sie gesetzlich vorgeschrieben sind?<br />
2. Welche Wasser- und Abwasserverbände in <strong>Brandenburg</strong> führen bereits jetzt Musterverfahren<br />
durch und welche nicht?<br />
3. Lassen sich durch das Musterverfahren Kosten bei den Bürgern als Kläger sowie in<br />
der Verwaltung/bei den Wasser- und Abwasserverbänden als Beklagte einsparen?<br />
4. Kann die Einführung des Musterverfahrens zu weniger Arbeitsaufwand in der Verwaltung<br />
und bei den Gerichten führen?<br />
5. Welche weiteren Vorteile bringt die Einführung des Musterverfahrens im KAG mit<br />
sich?<br />
6. Welche rechtlichen und tatsächlichen Probleme bringt die Einführung des Musterverfahrens<br />
im KAG mit sich? Wie lassen sich diese Probleme lösen?<br />
7. Welche weiteren Voraussetzungen sollten bei der pflichtigen Einführung von Musterverfahren<br />
beachtet werden?<br />
8. Ist es sinnvoll, das Ruhen der Widerspruchsverfahren gesetzlich anzuordnen, wenn<br />
Gerichtsverfahren in gleichgelagerten Fällen anhängig sind?<br />
9. Ist es erforderlich, den kommunalen Aufgabenträgern vorzuschreiben, wie sie mit<br />
Widerspruchsverfahren umzugehen haben? Sollte dies nicht den Kommunen und<br />
Zweckverbänden vor Ort überlassen bleiben?<br />
10. Hat sich die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern in der Praxis bewährt?<br />
11. Was halten Sie davon, dass der Aufgabenträger oder der Beitragsschuldner das<br />
Ruhen - anders als in Mecklenburg-Vorpommern - nach dem Gesetzentwurf nicht<br />
beenden kann?<br />
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