PDF (873 KB) - Mohr Siebeck Verlag
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§ 1 Gerichte<br />
140<br />
tende Gegenmeinung knüpft demgegenüber an überholte aktionenrechtliche Vorstellungen<br />
an 24 . Es wird aber mit der Klage nicht ein bestimmter materiellrechtlicher Anspruch geltend<br />
gemacht. Vielmehr umfasst der einheitliche prozessuale Streitgegenstand alle konkurrierenden<br />
materiellrechtlichen Anspruchsgrundlagen (→ H. Roth 22 vor § 253 Rdnr. 11).<br />
Er ist der prozessuale Ausdruck materiellrechtlicher Sachzusammenhänge 25 . Einer missbräuchlichen<br />
Erschleichung der Zuständigkeit begegnet der BGH dadurch, dass etwa eine<br />
Zuständigkeit nach § 32 ZPO nur angenommen wird, wenn der Kl einen Anspruch aus<br />
unerlaubter Handlung schlüssig darlegt 26 . Die hier vertretene Auffassung stützt sich also<br />
auf Sachargumente und führt die Prozessökonomie lediglich als deren erwünschte Folge<br />
an 27 . Es geht um die Frage des Weges zu einem bestimmten Ziel (→ Brehm vor § 1<br />
Rdnr. 111).<br />
5. Internationale Zuständigkeit<br />
11 Für die internationale Zuständigkeit wird ein Gerichtsstand des Sachzusammenhangs<br />
weder durch den EuGH 28 noch den BGH befürwortet 29 . Der EuGH lehnt es ab, die sich<br />
aus Art. 5 Nr. 3 EuGVO (EuGVÜ) (Art. 7 Nr. 2 EuGVO nF) ergebende internationale Zuständigkeit<br />
für unerlaubte Handlungen auf vertragliche Anspruchsgrundlagen zu erweitern.<br />
Dagegen ist offen, ob der Vertragsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVO (EuGVÜ)<br />
(Art. 7 Nr. 1 EuGVO nF) auf deliktsrechtliche Ansprüche erstreckt werden kann (dazu →<br />
G. Wagner 22 Art. 5 EuGVO Rdnr. 127 [Bd. 10]). Soweit es um die an dieser Stelle der Kommentierung<br />
allein zu behandelnde internationale Entscheidungszuständigkeit geht, die in<br />
Anknüpfung an die örtliche Zuständigkeit auf autonomes deutsches Prozessrecht gestützt<br />
wird (→ H. Roth Rdnr. 32 ff. vor § 12) 30 , lassen sich die hier zur sachlichen und örtlichen<br />
Zuständigkeit vertretenen Ergebnisse auch für die internationale Zuständigkeit fruchtbar<br />
machen. Betroffen sind also Klagen vor deutschen Gerichten, wenn der Bekl seinen<br />
Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der EU hat (Art. 4 Abs. 1 EuGVO<br />
[Art. 6 Abs. 1 EuGVO nF]) 31 . Ein Gerichtsstand des Sachzusammenhangs ist auch für die<br />
internationale Zuständigkeit legitim 32 . Allerdings sind dort die Beklagteninteressen stär-<br />
11<br />
24<br />
Mit Recht Hoffmann ZZP 107 (1994) 3, 8 f.; Windel ZZP 111 (1998) 3, 14.<br />
25<br />
H. Roth FS Kaissis (2012) 793, 800.<br />
26<br />
BGHZ 153, 173, 179.<br />
27<br />
Deshalb geht etwa die Kritik von Musielak/Heinrich 9 § 1 Rdnr. 14 (»vordergründige Argumentation<br />
mit ökonomischen Gesichtspunkten«) fehl.<br />
28<br />
EuGH, 27. 9. 1988, Slg. 1988, 5565 (Kalfelis/Schröder u. a.)(= NJW 1988, 3088); ebenso BGH<br />
IPRax 2006, 40, 43.<br />
29<br />
BGHZ 132, 105, 112 ff.; 153, 173, 180 f.; BGH VersR 2010, 910 Rdnr. 10; LG Stuttgart causa<br />
sport 2006, 391, 398 (Schadensersatzansprüche wegen Dopingsperre); zust. Geimer IZVR 6<br />
Rdnr. 1023; Schack IZVR 5 Rdnr. 396; eine Zuständigkeit bejahend dagegen H. Roth FS Schumann<br />
(2001) 355, 364.<br />
30<br />
Z. B. BGH NJW 2011, 2518 Rdnr. 7.<br />
31<br />
Ein von der Kommission am 14. 12. 2010 veröffentlichter Vorschlag zur Reform der EuGVO sah<br />
vor, dass die Zuständigkeitsregeln der EuGVO immer angewendet werden müssen, so dass den<br />
§§ 12 ff. ZPO keine Doppelfunktionalität i. S. d. internationalen Zuständigkeit mehr zugekommen<br />
wäre (KOM [2010] 748); dazu Bach ZRP 2011, 97; ausführlicher → H. Roth Rdnr. 32 vor § 12 ZPO;<br />
diesen Vorschlägen ist der europäische Gesetzgeber bei der Neufassung der EuGVO nicht gefolgt.<br />
32<br />
Befürwortend OLG Stuttgart NJW-RR 2006, 1362, 1364; Banniza von Bazan, Der Gerichtsstand<br />
des Sachzusammenhangs im EuGVÜ, dem Lugano-Übereinkommen und im deutschen Recht<br />
(1995), 142 ff.; Geimer IPRax 1986, 80; Gottwald IPRax 1989, 272; Handorn IHR 2007, 25; Mansel<br />
IPRax 1989, 84 f.; M. Wolf FS Lindacher (2007) 201, 212 f.; H. Roth FS E. Schumann (2001) 355,<br />
368 ff.<br />
Herbert Roth