08.06.2014 Aufrufe

Grundzüge der Rechtsphilosophie und der Juristischen Methoden ...

Grundzüge der Rechtsphilosophie und der Juristischen Methoden ...

Grundzüge der Rechtsphilosophie und der Juristischen Methoden ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Gr<strong>und</strong>züge</strong> <strong>der</strong> <strong>Rechtsphilosophie</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Juristischen</strong><br />

<strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> Argumentationslehre<br />

Texte zu § 5<br />

Zum sokratischen Fragen nach Recht <strong>und</strong> Staat<br />

Die Umstände seines Todes haben die weltgeschichtliche Bedeutung des Sokrates begründet,<br />

die lebenslang praktizierten Dialoge seinen philosophischen Weltruhm. Obwohl er die für<br />

seine Person <strong>und</strong> seine Philosophie konstitutiven Gespräche nur mündlich gepflegt hat, lassen<br />

die frühen Dialoge Platons doch jenen „Typ Sokrates“ erkennen (Böhme, 2002), <strong>der</strong> als<br />

philosophischer Lehrer für das richtige Fragen nach Recht <strong>und</strong> Staat bis heute unübertroffen<br />

ist. Es ist ein Fragen auf <strong>der</strong> Basis des sokratischen Wissens um das Nichtwissen, das zu philosophischer<br />

Bescheidenheit bei den großen Themen des Wahren, des Guten <strong>und</strong> des Schönen<br />

ebenso zwingt wie bei den Hauptthemen <strong>der</strong> Rechts- <strong>und</strong> Staatsphilosophie: Gerechtigkeit<br />

<strong>und</strong> Freiheit. Die immer wie<strong>der</strong> lesenswerten Dialoge sind: Thrasymachos über Gerechtigkeit<br />

(Politeia, Buch I), Laches über Tapferkeit, Charmides über Besonnenheit, Eutyphron<br />

über Frömmigkeit <strong>und</strong> Lysis über Fre<strong>und</strong>schaft (jeweils in einem Dialog dieses Titels). Sie<br />

alle enden in einer Aporie (ausweglosen Situation), in <strong>der</strong> die Gesprächspartner sich <strong>und</strong><br />

einan<strong>der</strong> eingestehen müssen, das wahre Wesen des Gesprächsgegenstandes nicht gef<strong>und</strong>en,<br />

genauer: nicht in einer Weise gef<strong>und</strong>en zu haben, die einen abschließend definierten, monologisch<br />

weiterverwendbaren Begriff zur Verfügung stellt.<br />

Sokrates wollte nicht zum Auswendiglernen von Definitionen erziehen, son<strong>der</strong>n zu kritischer<br />

Kompetenz gegenüber allen Absolutheitsansprüchen vermeintlich höherer Autoritäten.<br />

Eben deshalb zum Tode verurteilt, konnte er das formal korrekte Todesurteil als Rechtsspruch<br />

einer irdischen Instanz akzeptieren, ohne seinen eigenen Gerechtigkeitsanspruch<br />

suspendieren zu müssen: den Anspruch eines nicht-monologischen Modus des Philosophierens<br />

<strong>und</strong> eines entsprechend dialogischen Ethos des Philosophen. Als „Fremdling in <strong>der</strong> hier<br />

üblichen Art zu reden“ hatte Sokrates auch vor Gericht darauf bestanden, die Sache in seiner<br />

„gewohnten Weise“ zu führen (Apologie 17 d, 27 b). Statt „gejammert <strong>und</strong> gewehklagt“ zu<br />

haben (38 d), war er „ausfragend <strong>und</strong> ausforschend“ vorgegangen (41 b), um den „Dünkel“<br />

angemaßten Wissens als solchen zu entlarven (29 a). Für die Mehrheit <strong>der</strong> Geschworenen<br />

war dies dann doch zu provokativ. Das ist die Paradoxie sokratischen Philosophierens:<br />

Selbstdenkend <strong>und</strong> selbstredend erscheint <strong>der</strong> Philosoph des Nichtwissens anmaßend, obwohl<br />

er nur das Nichtwissen <strong>der</strong> Anmaßenden offenbart. Eine Schule, die dies lehrt, ist eine<br />

gute Vorschule <strong>der</strong> Rechts- <strong>und</strong> Staatsphilosophie. Dazu Gernot Böhme, <strong>der</strong> Typ Sokrates,<br />

3. Aufl. 2002, S. 118 f.: „Die sokratischen Fragen zwingen den Partner, sich zu decouvrieren,<br />

zu sagen, was er glaubt <strong>und</strong> für richtig hält, Behauptungen aufzustellen <strong>und</strong> nachher sie zu<br />

begründen. Diese sehr aggressive Frageweise läßt die Sache, die besprochen wird, fast<br />

gleichgültig werden gegenüber <strong>der</strong> Person, die ‚in Rede steht‘ […] Der Lehrer, <strong>der</strong> nichts<br />

lehrt: Sokrates hat mit diesem Paradox einen neuen Typ von Pädagogik erf<strong>und</strong>en. Man<br />

nennt sie, seinen eigenen Worten folgend, mäeutische Pädagogik, d.h. geburtshelfende Pädagogik.<br />

Die Idee besteht darin, daß <strong>der</strong> Lehrer dem Schüler kein Wissen mitteilt, son<strong>der</strong>n<br />

ihm vielmehr bei <strong>der</strong> Produktion von Wissen Hebammendienste leistet. Der Vorzug, <strong>der</strong><br />

mäeutischer Pädagogik gegenüber gewöhnlicher Wissensvermittlung zukommt, bestehe<br />

darin, sagt man, daß das Wissen auf diese Weise dem Schüler nicht äußerlich bleibe, son<strong>der</strong>n<br />

als selbstproduziertes seiner Persönlichkeit integriert werde. Wenn man die Einheit von Wissen<br />

<strong>und</strong> Person als das entscheidende Charakteristikum philosophischen Wissens bezeichnet,<br />

also ein typisch philosophischer Effekt“.<br />

Zur Philosophenherrschaft bei Platon

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!