forward ever â backward never«. - Die Linke
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Erweiterung der linken Identität<br />
Das Erfolgsrezept auch für die jüngsten guten Wahlergebnisse Von Horst Kahrs<br />
<strong>Die</strong> jüngsten Wahlergebnisse unterstreichen<br />
den Erfolg der 2005 begonnenen<br />
Erweiterung der Identität der<br />
<strong>Linke</strong>n in Deutschland. Bereits zur Bundestagswahl<br />
2005 gewann die Linkspartei.PDS<br />
in Ostdeutschland mehr<br />
Stimmen, als sie aufgrund des Wandels<br />
in der PDS-Identität verlor. <strong>Die</strong><br />
WASG als selbsternannte Vertreterin einer<br />
echten sozialdemokratischen Linie<br />
ebnete vielen ehemaligen SPD-WählerInnen<br />
den Weg zu einer Partei links<br />
von der SPD.<br />
<strong>Die</strong> neuen Wähler/innen der LIN-<br />
KEN in den alten Bundesländern unterscheiden<br />
sich erheblich von den alten<br />
WählerInnen der PDS in den neuen<br />
Bundesländern. Symptomatisch ist<br />
die unterschiedliche Selbsteinschätzung<br />
im Parteienspektrum von »ganz<br />
links« bis »ganz rechts«. Von den PDS-<br />
Stammwählern der Jahre 1994 bis 2002<br />
verorten sich 54 Prozent im Parteienspektrum<br />
»ganz links« und 38 Prozent<br />
»links«. Von den 2005 hinzugewonnenen<br />
ostdeutschen WählerInnen<br />
sehen sich 30 Prozent »ganz links«<br />
und 53 Prozent »links«. Von den westdeutschen<br />
WählerInnen sehen sich 65<br />
Prozent »links« und 16 Prozent »ganz<br />
links«, damit insgesamt sehr viel häufi<br />
ger »links« als die übrigen Westdeutschen,<br />
aber weitaus weniger als die<br />
ostdeutschen Wähler/innen am Rand<br />
der ideologischen Skala.<br />
für die Wahlerfolge bildete die Kritik an<br />
den rot-grünen Sozialstaats- und Arbeitsmarktreformen.<br />
Das sozialdemokratische<br />
Grundmotiv der Solidarität<br />
auf gleicher Augenhöhe deutete die<br />
Agenda 2010 asymmetrisch um, als Solidarität<br />
der Gesunden mit den Kranken,<br />
der Starken mit den Schwachen. Im<br />
Mittelpunkt der sozialstaatlichen Solidarität<br />
stand nicht mehr der Risikoausgleich<br />
unter Gleichen. Vielmehr ging es<br />
darum, wie viel Belastung den Starken<br />
und Wohlhabenden zuzumuten und<br />
wie viel Eigenverantwortung, Kontrolle<br />
und Respektlosigkeit den Schwachen<br />
aufzubürden sei: Hartz IV!<br />
Verlässlichkeit<br />
Programme sind jedoch selten Wahl<br />
entscheidend. Nachhaltigere Wirkung<br />
als Programme und Wahlwerbung haben<br />
zum einen die informellen interpersonellen<br />
Netzwerke in Betrieben, Vereinen,<br />
Nachbarschaften, zum anderen<br />
das persönliche Vertrauenskapital, der<br />
über lange Jahre erworbene »soziale<br />
Kredit«, den Führungspersonen, Kandidaten<br />
und Akteure einer Partei vorzuweisen<br />
haben. Im Osten wurde dieser<br />
Kredit von PDS-Akteuren in den neunziger<br />
Jahren fl ächendeckend erworben.<br />
Im Westen hat DIE LINKE durch Oskar<br />
Lafontaine und andere sozialdemokratische<br />
Politiker, durch aktive Gewerkschafter<br />
und Betriebsräte entscheidend<br />
nachgelegt. Das soziale Kapital<br />
Erwartungsdrang<br />
des Vertrauens und der Verlässlichkeit<br />
DIE LINKE wird gewählt, weil die SPD wird nicht einmalig, sondern über ei-<br />
sich verändert hat und den Ansprünen längeren Zeitraum erworben. Deschen<br />
an eine »linke« Partei nicht mehr halb sind Gewinnung neuer Mitglieder,<br />
genügt. Bei der Wahl 2005 wie bei den Aufbau lebendiger Parteistrukturen<br />
jüngsten Landtagswahlen offenbarte und Präsenz im sozialen Alltag und die<br />
sich die Erwartungshaltung, dass nun- Wertewelt der neuen Wähler/innen entmehr<br />
DIE LINKE die politisch heimatlos scheidend, um aus WählerInnen treue<br />
gewordenen sozialen Ansprüche ver- Wähler/innen zu machen. Der PDS getritt.<br />
Es handelt sich um Hoffnungen lang dies, wo sie wirklich etwas für ihre<br />
auf eine veränderte Identität der al- Klientel tun konnte. Wo nur das »richten<br />
<strong>Linke</strong>n, die zur neuen LINKEN wird, tige Programm« zur Wahl stand wie frü-<br />
in dem sie tradierte Vorstellungen soher meist im Westen, fehlte die entzialer<br />
Gerechtigkeit nicht willkürlich scheidende soziale Kreditwürdigkeit.<br />
preisgibt wie Schröder, Müntefering Im Westen wie auch im Osten er-<br />
und Konsorten. Eine dauerhafte Beziereichte die neue LINKE Wählerschichten,<br />
hung kann daraus werden, wenn Pro- zu denen die alte PDS kaum Zugang gegramm,<br />
Personen, soziale Präsenz und funden hat. Während die ostdeutschen<br />
Wertorientierung zusammen tatsäch- Neuwähler/innen 2005 die Linkspartei.<br />
lich die erweiterte Identität tragen. PDS noch für einigermaßen kompetent<br />
Den programmatischen Mittelpunkt hielten, das größte eigene Problem<br />
(Arbeitslosigkeit) zu lösen, trauten die<br />
Neuwähler/innen im Westen das eher<br />
der SPD zu. Wer neu zur LINKEN kam,<br />
wollte vor allem die eigenen Interessen<br />
gut repräsentiert sehen, ohne unbedingt<br />
eine Lösung des wichtigsten<br />
eigenen Problems zu erwarten. Das ist<br />
eine fragile Grundlage für eine dauerhafte<br />
Wählerbindung.<br />
Im Ergebnis des Wahlzyklus’<br />
2005/08 repräsentiert DIE LINKE heute<br />
vielfältigere gesellschaftliche Interessenlagen<br />
und Strömungen aus unterschiedlichen<br />
gesellschaftlichen Lagern,<br />
als jemals zuvor PDS oder WASG<br />
allein hätten binden können. Keine ist<br />
verzichtbar. Was sich bisher an ideologischen<br />
Strömungen in der neuen Partei<br />
formiert hat, wird dieser Vielfalt von<br />
sozialen Lagen (noch?) nicht gerecht.<br />
Sie fungieren, ähnlich dem verbliebenen<br />
Denken in den Kategorien der alten<br />
Quellparteien, eher als politisch-ideologische<br />
Trutzburgen denn als Werk-<br />
und Experimentierstätten für das, was<br />
am Ende die übergreifende Identität der<br />
neuen LINKEN in einer sich ändernden<br />
Welt positiv ausmachen könnte.<br />
Getreu der Entstehungsgeschichte<br />
der LINKEN wird es sich um ein gesamtgesellschaftliches<br />
Ordnungsbild<br />
für soziale Gerechtigkeit, für das Zusammenleben<br />
handeln. Dauerhafte<br />
Bindungen zu den unterschiedlichen<br />
gesellschaftlichen Lagern werden entstehen,<br />
wenn es der LINKEN gelingt,<br />
die sie jeweils prägenden Orientierungen<br />
zusammenzubringen, statt gegeneinander<br />
zu stellen: die Ausrichtung<br />
auf eher materiell bestimmte Verteilungsgerechtigkeit<br />
für Arbeitnehmer<br />
und Unterprivilegierte, die Ausrichtung<br />
auf eher postmaterielle Rechte der Zivilgesellschaft,<br />
der Frauen, der MigrantInnen<br />
usw. und das tradierte Modell<br />
der Solidarität auf Gegenseitigkeit, wonach<br />
der, der zu Produktivität und Sozialstaat<br />
beiträgt, bei unverschuldeter<br />
Not Anspruch auf Teilhabe am Solidartopf<br />
hat. Wie viele innerparteiliche Debatten<br />
etwa um Grundsicherung und<br />
Grundeinkommen zeigen, betritt die<br />
LINKE dabei offenes Gelände.<br />
Horst Kahrs ist Leiter des Bereiches<br />
Strategie und Politik in der Bundesgeschäftsstelle.<br />
horst.kahrs@die-linke.de<br />
190 DISPUT April 2008 ANALYSE