forward ever â backward never«. - Die Linke
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Manchmal<br />
laut,<br />
manchmal<br />
leise<br />
sie plebiszitäre Elemente in einer Demokratie,<br />
wie Volksbegehren. »Bürgerbegehren<br />
dienen der Abgrenzung von<br />
Parteien und drücken nicht nur Unmut,<br />
sondern einen eigenen Gestaltungswillen<br />
aus«, sagt sie. Der mündige, entscheidungsfähige<br />
Bürger, der sich direkt<br />
in die Politik einmischen kann, hat<br />
für sie Priorität. <strong>Die</strong> Frage nach einem<br />
Demokratie-Führerschein für Bürgerinnen<br />
und Bürger, angesichts der<br />
deutschen Geschichte und des fortwährenden<br />
Antisemitismus‘, belächelt<br />
Doreen mit dem Zusatz »böse Frage«.<br />
Sie glaubt an die Kraft der Überzeugung,<br />
an die richtigen Argumente, an<br />
die Auseinandersetzung mit den Menschen.<br />
Ihr positives Menschenbild katapultiert<br />
jede pessimistische Rückwärtsgewandtheit<br />
ins Aus. Ein notwen-<br />
250 DISPUT April 2008<br />
© Erich Wehnert<br />
diger Ansatz für die zukünftige Historikerin,<br />
die als eines ihrer Hauptthemen<br />
im politischen Leben und in der wissenschaftlichen<br />
Arbeit die Antisemitismusforschung<br />
gewählt hat. Ein Praktikum<br />
im Zentrum für Antisemitismusforschung<br />
an der Technischen Universität<br />
gab den Impuls. Danach wusste<br />
sie, das ist es. Sie sagt: »Vorurteile, Klischees<br />
und Stigmatisierungen zu erforschen,<br />
um diesen entgegenwirken zu<br />
können, ist mir sehr wichtig.«<br />
Doreen verbringt viele Abende und<br />
Wochenenden mit der Politik. Sie geht<br />
zu Demonstrationen gegen Rechtextremismus,<br />
besucht Diskussionsforen<br />
der Rosa-Luxemburg-Stiftung und engagiert<br />
sich für die Friedenspolitik. Sie<br />
selbst sagt bescheiden: »Im Vergleich<br />
zu anderen tue ich fast gar nichts.<br />
Wenn ich sehe, was andere alles leisten.«<br />
Es ist ihr unangenehm, dass über<br />
sie berichtet werden soll. Eine Herausstellung<br />
ihrer Person wäre wie ein Verrat<br />
an den vielen Unerwähnten, »Menschen,<br />
die sich Tag ein, Tag aus den<br />
Arsch aufreißen«, sagt sie. Eine verbale<br />
Entgleisung vom bislang professionellen<br />
Politikjargon. Jetzt spricht mal<br />
die 21-Jährige, die gern ausgelassen<br />
zu südamerikanischer Musik tanzt, die<br />
mexikanische Küche liebt und Entspannung<br />
in der Sauna fi ndet. Es gibt durchaus<br />
Zeit zum Genießen.<br />
Doreen bezeichnet sich als Spätzünderin<br />
in Sachen Politik. <strong>Die</strong> Eltern,<br />
Mutter Sekretärin, Vater Facharbeiter,<br />
nahm sie als apolitisch wahr. »Politik<br />
war nur am Rande ein Thema in der<br />
Familie.« Politisch geprägt haben sie<br />
Freunde vom Karl-Schiller-Gymnasium.<br />
»Einer ist autonomer Antifa in Berlin«,<br />
sagt Doreen.<br />
<strong>Die</strong> Idealistin mit realpolitischer<br />
Tendenz wurde siebzehnjährig Mitglied<br />
der PDS. Mit 19 Jahren kandidierte sie<br />
bei den Berlin-Wahlen 2006 im Bezirk<br />
Charlottenburg-Wilmersdorf für das Abgeordnetenhaus.<br />
In dem Wahlkampf<br />
hat sie sich ihr »Organ«, die durchdringende<br />
Stimme antrainiert, ein Vorteil,<br />
um Menschen zu erreichen.<br />
Sylvia Müller, Schatzmeisterin vom<br />
Landesverband Berlin, hat Doreen damals<br />
kennengelernt. Sie bescheinigt<br />
ihr Willensstärke und Durchsetzungskraft,<br />
aber auch die Fähigkeit zu vermitteln.<br />
Momentan haben die beiden<br />
durch die Arbeit im Jugendverband miteinander<br />
zu tun. »Doreen hat sich die<br />
Hörner abgestoßen, sie ist eine der Älteren<br />
im Landessprecher/innenrat von<br />
[’solid].« Trotzdem wünscht sie ihr für<br />
die Zukunft mehr Diplomatie. »Mit ihrem<br />
Ehrgeiz muss sie ein bisschen aufpassen,<br />
auch wie das bei anderen ankommt«,<br />
sagt Sylvia Müller.<br />
Doreen ist ehrgeizig. Hinweise auf<br />
ein »Weniger ist Mehr« schüttelt sie<br />
ab. Sie kennt die Gesetze der Zeit. Um<br />
sie zu verändern, arbeitet sie hart. Unglaublich,<br />
aber wahr – bereits mit sieben<br />
Jahren war für Doreen klar, dass<br />
sie Geschichte studieren möchte. <strong>Die</strong><br />
Eltern versuchten den Wissensdurst<br />
und Forscherdrang der Tochter durch<br />
Literatur und Museengänge zu befriedigen.<br />
Das Bangen war groß, ob Doreen<br />
zum Gymnasium darf. Im Gegensatz zu<br />
Geschichte war Mathematik eine Quälerei<br />
für sie. Doreen schaffte es trotz<br />
Formeln und Gleichungen, sie machte<br />
Abitur. Da war der Studienplatz in Geschichte<br />
keine Hürde mehr.<br />
Der Ehrgeiz von Doreen Kobelt erstaunt<br />
viele Menschen. Thomas Barthel,<br />
Pressesprecher vom Landesverband<br />
Berlin, verspürt hingegen keinen<br />
unangemessenen Ehrgeiz. Vielleicht ist<br />
dies die Erkenntnis eines Mannes, der<br />
um die Notwendigkeit einer gewissen<br />
Zielstrebigkeit weiß, um Ideen zu verwirklichen,<br />
gerade im politischen Geschäft.<br />
Was Doreen an sich selbst kritisiert,<br />
ist ein Mangel an theoretischem<br />
Wissen. »Marx sollte man gelesen haben,<br />
das fehlt mir bisher.« <strong>Die</strong>ses Defi<br />
zit versucht sie durch logisches Denken<br />
zu kompensieren. Sie schaut hin<br />
und sieht, dass in Deutschland vieles<br />
nicht in Ordnung ist. »Dagegen muss<br />
etwas getan werden«, fordert sie.<br />
Doreen ist im Bezirk Marzahn-Hellersdorf<br />
aufgewachsen. »Da wollte ich<br />
nur weg«, sagt sie und verweist auf<br />
den Kiez »Helle Mitte«. »Dort am Platz<br />
tummelten sich Bier trinkende Glatzen.<br />
Übergriffe waren keine Seltenheit. Am<br />
U-Bahnhof Hellersdorf gibt es die leider<br />
heute noch«, erzählt sie. Doreen<br />
selbst hat das mehrfach am eigenen<br />
Leib, als LINKE, erfahren müssen. <strong>Die</strong><br />
Zusammenstöße mit Rechtsextremen<br />
haben bei ihr Spuren hinterlassen.<br />
Doreen zog ins bürgerliche Charlottenburg<br />
– allerdings steht die Wohnung<br />
dort jetzt meistens leer. Den größten<br />
Teil ihrer freien Zeit verbringt sie wieder<br />
in Marzahn-Hellersdorf. Ihr Freund Hassan<br />
wohnt da. <strong>Die</strong> Angst vor ausländerfeindlichen<br />
Übergriffen belastet weiter,<br />
die Liebe ist stärker.<br />
Doreen ist eine Person, die polarisiert.<br />
Manchmal vergisst sie das. Ohne<br />
Einwand lässt sie sich Sturheit attestieren.<br />
Ihre Dynamik bringt manchen<br />
außer Atem.<br />
<strong>Die</strong> laute Politikerin wird leise. Jetzt<br />
spricht sie liebevoll über ihre Familie,<br />
den Freund und ihre Freunde. Es<br />
sind diese sanften Töne, mit denen der<br />
Mensch Doreen überzeugt, dass hier<br />
die Verhältnismäßigkeiten stimmen.