forward ever â backward never«. - Die Linke
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Bis aufs Klo<br />
Von Jens Jansen<br />
50 DISPUT April 2008<br />
Als der »Stern« die Bespitzelung<br />
der Mitarbeiter und Kunden in<br />
den Billigläden von Lidl aufdeckte<br />
und der Berliner »Kurier« mit der<br />
Schlagzeile: »Aufstand gegen die Lidl-<br />
Stasi« erschien, ging ich gleich zur Filiale<br />
bei uns an der Ecke, um nachzuschauen,<br />
ob Pfarrer Eppelmann, Frau<br />
Bohley oder Herr Nooke dort mit Kerzen<br />
in der Hand zur Mahnwache gegen<br />
den Überwachungsstaat angetreten<br />
waren. Es war jedoch niemand zu<br />
sehen. Am Wetter lag es nicht, denn es<br />
war ein sonniger Frühlingstag. Es wird<br />
an der Vergesslichkeit gelegen haben,<br />
denn: »Was kümmert mich mein Gebell<br />
von gestern!«<br />
Lidl hat über 200 Deutschlandfi lialen<br />
mit Mini-Kameras bestücken lassen.<br />
Hat die Leute bis zum Klo verfolgt. Hat<br />
auch an der Kasse gefi lmt, wo man die<br />
PIN-Nummern der<br />
Kundschaft ausspähen<br />
kann. Hat allein<br />
in der Lagerhalle von<br />
Nantes gegen 60 Beschäftigte<br />
65 Kameras<br />
installiert. Das<br />
hätte Mielke mangels<br />
Westgeld nie geschafft!<br />
Und was Lidl<br />
von seinen angemieteten<br />
Detektiven alles protokolliert bekam:<br />
»Frau R. geht alle 15 Minuten auf<br />
die Toilette« und »Das Verhältnis zwischen<br />
Frau L. und Herrn H. ist zu prüfen!«.<br />
Da hätte der Regisseur von Donnersmarck<br />
Stoff für eine endlose Filmserie<br />
unter dem Titel: »Das Leben der<br />
Anderen«. Ich hoffe, er arbeitet schon<br />
daran, damit Deutschland weitere Oskars<br />
gewinnt.<br />
Für die Hauptrollen empfehlen sich<br />
Heino Ferch und Veronika Ferres. In<br />
spannenden Nebenrollen könnten<br />
Wolfgang Schäuble als technischer Berater<br />
und Maria Furtwängler als ermittelnde<br />
Kommissarin mitwirken.<br />
Man könnte auch Angela Merkel als<br />
irritierte Laiendarstellerin einbauen,<br />
wenn sie auf der Ranch von Präsident<br />
Bush die Nachricht erhält, dass der Einkaufsriese<br />
Lidl an seiner grenzenlosen<br />
Profi tgier fast erstickt ist, aber auf göttliche<br />
Weise gerettet wurde. <strong>Die</strong> »BILD«-<br />
Zeitung rettete ihn, indem sie wochenlang<br />
nur weinende Mönche in Tibet<br />
zeigte, wo Lidl wegen der Pekinger Behörden<br />
noch nicht seinen Reis verkaufen<br />
darf.<br />
Gefressen wird immer!<br />
Wie könnte der Film anfangen? Da sitzt<br />
irgendwo im Schwarzwald ein Herr<br />
Schwarz. Kein Zuschauer ahnt, dass<br />
Herr <strong>Die</strong>ter Schwarz der König von<br />
Lidl ist. Der hat ein bisschen Geld und<br />
viel Geschäftssinn geerbt. Drum stellte<br />
er eine Baracke auf, wo er Margarine,<br />
Marmelade und Melonen verkauft<br />
hat. Mögen andere Branchen krisenanfällig<br />
sein – gefressen wird immer! Der<br />
Laden lief, und der Herr Schwarz entdeckte<br />
drei Unternehmerweisheiten:<br />
»Kleinvieh macht auch Mist!«, »Wenn 2<br />
für 4 arbeiten, verdoppelt sich der Gewinn!«,<br />
»Man muss Personal und Kundschaft<br />
immer auf die Finger schauen,<br />
das halbiert die Verluste!«. Auf diese<br />
Art verdoppelte Herr Schwarz sein Kapital<br />
Jahr um Jahr.<br />
Dann sollte der Schauplatz vom<br />
Schwarzwald ins Weltall wechseln, wo<br />
die Besatzung einer Raumstation entdeckt,<br />
dass es neben der Chinesischen<br />
Mauer noch ein zweites Erkennungszeichen<br />
für unseren Planeten gibt: 8.000<br />
Lidl-Filialen in 30 Ländern Europas, davon<br />
4.000 in Deutschland mit vollbesetzten<br />
Parkplätzen und 50 Milliarden<br />
Umsatz im Jahr. Übrigens: Eine Summe,<br />
mit der Herr Schwarz in Schwarzafrika<br />
mehrere Staaten über Wasser halten<br />
könnte! Aber er verdient ja gerade daran,<br />
dass er solche Entwicklungsländer<br />
mit seinen Billigeinkäufen unter Wasser<br />
hält! Um jedoch den Geruch von Übervorteilung<br />
aus seinen Baracken fernzuhalten,<br />
hat Lidl überall Extra-Verkaufsstände<br />
aufbauen lassen, wo die »Kolonialwaren«<br />
zu »fairen Preisen« gezeigt<br />
werden. Das ist menschlich, cl<strong>ever</strong> und<br />
genial!<br />
Dünne Ärmchen<br />
So kommt es, dass sich eine kleine Verkäuferin<br />
in den Herrn Schwarz als den<br />
Chef ihrer Chefs verliebt. Weil diese<br />
Frau aber hartnäckig von dem Lagerarbeiter<br />
Kalle Krawuttke umgarnt wird,<br />
fühlt sie sich bedrängt und bedroht. Da<br />
beschließt der Herr Schwarz, überall in<br />
der Verkaufshalle Kameras zu installieren,<br />
um diesen Unhold zu entlarven<br />
und zu entlassen ... Das führt dann zu<br />
den fürchterlichen Verwicklungen, die<br />
einen Proteststurm der Gewerkschaft<br />
auslösen. Und das, obwohl es in den<br />
4.000 Deutschlandfi lialen von Lidl und<br />
Kaufland nur acht Betriebsräte gibt!<br />
Wie will die Gewerkschaft mit solchen<br />
dünnen Ärmchen einen Riesen aufs<br />
Kreuz legen?<br />
Schließlich wird die Love-Story zu<br />
einem richtigen Krimi, was ja die Zuschauerquote<br />
senkrecht in die Höhe<br />
treibt und der erste Schritt ist zum Bundesfi<br />
lmpreis!<br />
Wer es genauer wissen will, sollte<br />
das »Schwarzbuch Lidl Europa« von<br />
Andreas Hamann und anderen, herausgegeben<br />
von ver.di 2006, lesen.<br />
FEUILLETON