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Mein Wohl o<strong>der</strong> Gemeinwohl?<br />
In einem Gastbeitrag für die<br />
Frankfurter Rundschau (<strong>Ausgabe</strong><br />
vom 3. Januar 2011) hat<br />
sich <strong>der</strong> dbb Bun<strong>des</strong>vorsitzende<br />
Peter Heesen mit <strong>der</strong> Rolle <strong>des</strong><br />
öffentlichen Dienstes in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
beschäftigt.<br />
Nicht nur um die Löhne geht es im<br />
öffentlichen Dienst. Son<strong>der</strong>n um<br />
die Frage, welchen Staat wir wollen:<br />
den sorgenden, sichernden<br />
o<strong>der</strong> den billigen Jakob?<br />
Peter Heesen,<br />
Bun<strong>des</strong>vorsitzen<strong>der</strong> <strong>des</strong> dbb<br />
Wenn Deutschlands öffentlicher Dienst<br />
jetzt wie<strong>der</strong> einige Aufmerksamkeit <strong>auf</strong><br />
sich zieht, weil die Tarifverhandlungen<br />
für die Beschäftigten <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> den<br />
Auftakt <strong>der</strong> Einkommensrunden 2011<br />
machen, wird sich erneut jene merkwürdige<br />
Ambivalenz offenbaren, mit <strong>der</strong> die<br />
Staatsdiener hierzulande bedacht werden.<br />
Wenn es Wirtschaft und Gesellschaft<br />
gut geht, wird <strong>der</strong> öffentliche<br />
Dienst bestenfalls nicht wahrgenommen.<br />
Geht es schlecht, ist er regelmäßig<br />
Gegenstand populistischer Neidattacken<br />
– ob seiner sicheren Arbeitsplätze, <strong>der</strong><br />
angeblich so guten Bezahlung. Bei Letzterer<br />
wird dann stets so getan, als sei er<br />
eine Ansammlung von Staatssekretären,<br />
nicht aber von Bürgerdienstmitarbeitern,<br />
Polizisten, Krankenschwestern,<br />
Lehrern, Straßenwärtern, wie es faktisch<br />
ist.<br />
Hinter abschätzigem Desinteresse und<br />
scheelen Unkenrufen steckt die zunehmende<br />
Ausrichtung <strong>der</strong> Menschen <strong>auf</strong><br />
sich selbst: „Mein Wohl“ ist wichtiger als<br />
das „Gemeinwohl“. Hinzu kommt Misstrauen<br />
gegenüber dem Staat.<br />
Zwar braucht man den Staat, aber er<br />
ärgert im Alltag auch gelegentlich, sei es<br />
im Rahmen <strong>der</strong> Eingriffsverwaltung als<br />
Polizei-, Zoll- o<strong>der</strong> Finanzbehörde, sei<br />
es in <strong>der</strong> chancenverteilenden und eben<br />
auch abschlussversagenden Schule und<br />
Hochschule. Ständig muss <strong>der</strong> öffentliche<br />
Dienst herhalten für schlechte Gesetzgebung,<br />
für Unzufriedenheit mit <strong>der</strong><br />
Politik. Denn dem Bürger tritt <strong>der</strong> Staat<br />
im Alltag in Gestalt seiner Beschäftigten<br />
gegenüber. Das führt zu einer Kette von<br />
Vorurteilen und Verunglimpfungen, an<br />
denen sich auch die Politik beteiligt,<br />
wenn es gerade mal wie<strong>der</strong> passt; wel-<br />
cher Abgeordnete wüsste nicht, dass<br />
man einen müden Saal am besten <strong>auf</strong>mischen<br />
kann, indem man über den<br />
öffentlichen Dienst herzieht – Maulhelden<br />
brauchen Prügelknaben.<br />
Aber <strong>der</strong> öffentliche Dienst ist nicht dieser<br />
Sündenbock, zu dem er gern gemacht<br />
wird. Deutschlands öffentlicher<br />
Dienst ist einer <strong>der</strong> besten <strong>der</strong> ganzen<br />
Welt. Seine Beschäftigten kümmern sich<br />
um unseren Dreck.<br />
Sie fahren uns zur Arbeit, leisten wichtige<br />
Bürgerdienste in den Behörden und<br />
bilden unsere Kin<strong>der</strong>. Sie schützen,<br />
retten und pflegen uns: Polizisten, Feuerwehrleute,<br />
Erzieher, Lehrer, Zollbeamte,<br />
Krankenpfleger, Ärzte, Sozialarbeiter,<br />
Justizvollzugsbedienstete, Verwaltungsmitarbeiter,<br />
Bus- und Bahnpersonal,<br />
Straßenwärter, Müllabfuhr, Wasserbetriebe<br />
– 4,5 Millionen Frauen und<br />
Männer sorgen Tag für Tag, jahrein,<br />
jahraus, rund um die Uhr dafür, dass<br />
Deutschland funktioniert.<br />
Wo sind denn die ewig angeprangerten<br />
Privilegien <strong>des</strong> öffentlichen Dienstes?<br />
Und wer o<strong>der</strong> was hat all jene, die da<br />
das Milch-und-Honig-Land vermuten,<br />
daran gehin<strong>der</strong>t, eben dort einen Beruf<br />
zu ergreifen?<br />
Was die Bezahlung angeht, hinkt <strong>der</strong><br />
öffentliche Dienst <strong>der</strong> privaten Wirtschaft<br />
mittlerweile um mehr als sieben Prozent<br />
hinterher.<br />
Die öffentliche Personalkostenquote<br />
Deutschlands liegt tief im unteren Drittel<br />
<strong>der</strong> Europatabelle. Auch <strong>der</strong> stete Hinweis<br />
<strong>auf</strong> den sicheren Arbeitsplatz ist<br />
kein hinreichen<strong>des</strong> Argument für ein<br />
Gelübde ewiger Armut – wie oft sollen<br />
die Beschäftigten im öffentlichen Dienst<br />
diese Sicherheit noch mit Lohnverzicht<br />
bezahlen? Das tun sie von vornherein<br />
durch ein niedrigeres Einkommen. Mit<br />
Blick <strong>auf</strong> diese tolle Arbeitsplatzsicherheit<br />
muss außerdem mal zur Kenntnis<br />
genommen werden, dass Bund, Län<strong>der</strong><br />
und Gemeinden seit 1990 1,7 Millionen<br />
Beschäftigte abgebaut haben – Bahn<br />
und Post nicht mitgerechnet. Nur noch<br />
12,6 Prozent <strong>der</strong> deutschen Arbeitnehmer<br />
sind Staatsdiener. Das ist im Europa-Vergleich<br />
das absolute Minimum: In<br />
Großbritannien beträgt ihr Anteil 21,3<br />
Prozent, in Frankreich sogar 24,1 Prozent.<br />
Zwischenzeitlich sind nur wenige junge,<br />
motivierte Leute nachgekommen, je<strong>der</strong><br />
Fünfte im öffentlichen Dienst ist <strong>der</strong>zeit<br />
älter als 55. Angesichts <strong>des</strong> Geburtenrückgangs,<br />
den man ehrlicherweise<br />
Absturz nennen sollte, fragen sich<br />
Experten bereits heute, wann in Sachen<br />
staatlicher Aufgabenerfüllung das Licht<br />
ausgeht.<br />
In <strong>der</strong> Zollverwaltung liegen über eine<br />
Million Vollstreckungsfälle <strong>auf</strong> Halde.<br />
Min<strong>des</strong>tens 350 Millionen Euro können<br />
nicht kassiert werden, weil es an<br />
Personal fehlt. Mehr als 90 Prozent<br />
<strong>der</strong> Wareneinfuhr werden nicht mehr<br />
geprüft. Rauschgift- und Zigarettenschmuggler,<br />
Markenpiraten und die<br />
Bastler von Paketbomben schlüpfen<br />
durch die Netze. Sicherheit, Bildung<br />
und Staatsfinanzen werden zu Opfern<br />
eines konzeptlosen Sparaktionismus.<br />
Politik und Gesellschaft sollten sich<br />
endlich <strong>der</strong> ernsthaften Frage stellen,<br />
welchen Staat sie in Zukunft haben<br />
wollen: jenen, in dem die notwendige<br />
Freiheit für alles Private ihre Grenzen an<br />
<strong>der</strong> Sicherheit <strong>der</strong> Gemeinschaft, an<br />
<strong>der</strong>en Zukunft findet? O<strong>der</strong> den billigen<br />
Jakob, <strong>der</strong> Privat vor Staat gehen lässt,<br />
<strong>der</strong> – wie während und infolge <strong>der</strong> Finanzkrise<br />
gesehen – eine Aufgabenteilung<br />
ermöglicht, nach <strong>der</strong> Gewinne privatisiert<br />
bleiben, Verluste aber sozialisiert<br />
werden; auch wenn <strong>der</strong> soziale<br />
Frieden darüber in höchste Gefahr gerät.<br />
Bei Vorurteilsfreier Betrachtung liegt<br />
die Antwort <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Hand.<br />
vom 3. Januar 2011<br />
„WIR WERDEN FAST 20 PROZENT<br />
DER BESCHÄFTIGTEN VERLIE-<br />
REN“<br />
Die Zahlen sind alarmierend. Noch im<br />
Jahr 1993 hätten 5,3 Millionen<br />
Menschen im öffentlichen Dienst gearbeitet<br />
– heute seien es nur noch<br />
3,6 Millionen.<br />
Doch damit nicht genug: Durch den<br />
demografischen Wandel wären die verbliebenen<br />
Beschäftigten im Vergleich<br />
zur Privatwirtschaft auch völlig überaltert.<br />
Die Folge: „In den kommenden<br />
zehn Jahren werden wir fast 20 Prozent<br />
<strong>der</strong> Beschäftigten verlieren.<br />
Das sind rund 700.000 Menschen“. Und<br />
beim Wettbewerb um gute Leute konkurriere<br />
man künftig noch stärker mit <strong>der</strong><br />
Wirtschaft.<br />
Mit diesen deutlichen Worten beschrieb<br />
<strong>der</strong> dbb-Bun<strong>des</strong>vorsitzende Peter Heesen<br />
die Situation im öffentlichen<br />
Dienst dem Magazin Wirtschaftswoche.<br />
Das Problem sei allerdings nicht das<br />
Image <strong>des</strong> öffentlichen Dienstes.<br />
Zwar gäbe es noch immer gewisse Vorurteile,<br />
etwa gegenüber dem Beamtenstatus<br />
im Allgemeinen. Umfragen <strong>des</strong><br />
dbb zeigten aber, dass konkrete Berufsgruppen<br />
wie Polizisten, Feuerwehrleute<br />
und Lehrer in <strong>der</strong> Beliebtheitsskala<br />
weit oben stünden.