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Der Spitzel war immer dabei - Kath.de

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<strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> <strong>war</strong> <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong><br />

Fotomontage: Jürgen von Hoff<br />

Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Von Werner Kaltefleiter<br />

Erschienen am 8. März 2007 im Weblog „Allegro Andante“ auf www.kath.<strong>de</strong><br />

(http://blog.kath.<strong>de</strong>/kaltefleiter)<br />

PDF-Version erstellt vom kath.<strong>de</strong>-Medienservice, Moritz Bringenberg 2007


Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

S. 3 <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> <strong>war</strong> <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong><br />

S. 6 Die „Unmoral“ <strong>de</strong>s Vatikans<br />

S. 6 Eine Papierflut<br />

S. 8 Weisungen vom Großen Bru<strong>de</strong>r<br />

S. 9 Als <strong>de</strong>r Kalte Krieg begann<br />

S. 11 „Bru<strong>de</strong>rinformationen“<br />

S. 12 Versöhnungsbotschaften<br />

S. 15 Polnische Ereignisse<br />

S. 18 Bis die Mauer fällt<br />

S. 19 Auf schmalem Grat<br />

S. 21 Auch <strong>de</strong>n Kelch nahmen sie mit<br />

S. 23 Ein „pazifistischer“ Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt<br />

S. 24 Ungarische „Rhapsodien“<br />

S. 27 Viel Müll<br />

S. 28 Mit „Tuch“ und „Händler“ kein Geschäft<br />

S. 33 Vom Schlapphut zum Computer<br />

S. 34 Abwehr und Bekämpfung<br />

S. 36 Die Maßnahme „Vesuv“<br />

S. 37 Arbeit am Mann<br />

S. 37 „Persönlich bekannt mit <strong>de</strong>m Papst“<br />

S. 39 Spalt-Versuche<br />

S. 41 Zentrale Königstein<br />

S. 42 Theologie <strong>de</strong>r Befreiung<br />

S. 43 Reizthema „Vatikanische Ostpolitik“<br />

S. 47 Aktion „Zitrone II“<br />

S. 52 Operation „Papst“<br />

S. 55 Bulgarische Pfeile<br />

S. 57 Subversive Ansichtskarten<br />

S. 59 Kontrolle<br />

S. 59 Gott ließ sich nicht ausbürgern<br />

S. 62 Quellen<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

„Den Vatikan darf man nicht als neutrale Kraft in <strong>de</strong>r gegenwärtigen Welt betrachten.<br />

Gegen <strong>de</strong>n Vatikan muss ein pausenloser aktiver Kampf geführt wer<strong>de</strong>n.<br />

Damit erfüllen wir die Politik unserer Parteien mit Leben.“<br />

(Generalmajor Jan Hanuljak bei einem Treffen <strong>de</strong>r sozialistischen Geheimdienste 1977 in Prag)<br />

Spektakuläre Spionagefälle, zumal solche, in die prominente Personen verwickelt sind,<br />

und somit auch Dokumente, die diese Vorgänge betreffen, fin<strong>de</strong>n gemeinhin größeres<br />

öffentliches Interesse als interne Lageberichte und Einschätzungen <strong>de</strong>r politischen und<br />

militärischen Nachrichtendienste. In nüchterner Amtssprache verfasst, mit komplexen<br />

Fragestellungen und komplizierten Zusammenhängen, liefern diese Informationen jedoch<br />

das Basismaterial, auf das sich alle Nachrichtendienste, ob Ost o<strong>de</strong>r West, stützen.<br />

Ihre „klassischen“ Aufgaben sind Aufklärung (Gegenspionage) und (Spionage-)Abwehr.<br />

1<br />

Wer sich zum ersten Mal in die Lektüre nachrichtendienstlicher Informationen vertieft,<br />

mag <strong>de</strong>n Eindruck gewinnen, Geheimdokumente aus einer militärischen Operationszentrale<br />

in <strong>de</strong>r Hand zu haben. Diese Erkenntnis täuscht nicht. Aufklärung und Spionageabwehr,<br />

die „klassischen“ Aufgabengebiete von Nachrichtendiensten, haben ihren<br />

Ursprung „unter <strong>de</strong>n Soldaten“, in Verteidigung und Angriff „an <strong>de</strong>r unsichtbaren<br />

Front“. Und so wer<strong>de</strong>n die meisten Nachrichtendienste, auch solche, die nicht in die<br />

Streitkräfte eingeglie<strong>de</strong>rt, son<strong>de</strong>rn Zivilbehör<strong>de</strong>n unterstellt sind, militärisch geführt. Ihre<br />

Ka<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r doch ihre Führungsstäbe wer<strong>de</strong>n von militärischen Rängen besetzt.<br />

Dies galt auch für das Ministerium für Staatssicherheit, bis hinauf zum Minister dieser<br />

gefürchteten Behör<strong>de</strong> <strong>de</strong>s SED-Staatsapparates, Erich Mielke. <strong>Der</strong> Arbeitersohn, gelernter<br />

Speditionskaufmann und Reporter <strong>de</strong>r „Roten Fahne“ durfte sich am En<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m<br />

höchsten militärischen Titel <strong>de</strong>s Regimes schmücken, <strong>de</strong>m eines „Armeegenerals“.<br />

Ob Hauptverwaltung, Abteilung o<strong>de</strong>r Referat, die Ämter wer<strong>de</strong>n von Offizieren geleitet.<br />

Ihre Uniform stammte aus <strong>de</strong>r Klei<strong>de</strong>rkammer <strong>de</strong>r Nationalen Volksarmee, <strong>de</strong>r sie<br />

jedoch nicht unter-, son<strong>de</strong>rn gleichgestellt <strong>war</strong>en. Äußerlich unterschied sie sich durch<br />

<strong>de</strong>n Ärmelstreifen mit silberfarbig eingesticktem Schriftzug: „Ministerium für Staatssicherheit“.<br />

Kaum <strong>war</strong> <strong>de</strong>r Zweite Weltkrieg <strong>de</strong>m Papier nach been<strong>de</strong>t, begann ein neues Säbelrasseln,<br />

wur<strong>de</strong> aufeinan<strong>de</strong>r geschossen, die Welt durch Mauern und Sperrzäune geteilt in<br />

Ost und West. Nun ging es um mehr als um hitlersche Neurosen. Was und wer wür<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>n ewigen Frie<strong>de</strong>n bringen, die amerikanische Vision vom „pursuit of happi-<br />

1 Auf eine Definition <strong>de</strong>s Begriffs, <strong>de</strong>s Unterschieds zw ischen Nachrichtendienst und Geheimdienst,<br />

w ird an dieser Stelle verzichtet. Im nachfolgen<strong>de</strong>n Beitrag steht nicht zur Diskussion, ob „legal“ und<br />

durch parlamentarische Kontrolle (w ie etw a <strong>de</strong>r BND in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland) bzw . zumin<strong>de</strong>st<br />

durch die jew eilige staatliche Rechtsordnung ge<strong>de</strong>ckt operiert w ur<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r allein im Verborgenen,<br />

keiner öffentlichen Instanz verantw ortlich. Ob <strong>de</strong>r V-Mann, <strong>de</strong>r Un<strong>de</strong>rcover-Agent, <strong>de</strong>r IM mit<br />

„Deckname“ unter <strong>de</strong>m Schutzmantel eines Regimes tätig w ar – w ie dies zu bew erten ist, w äre an an<strong>de</strong>rer<br />

Stelle zu klären. Die hier vorgelegten und kommentierten Dokumente beschreiben die „nachrichtendienstlichen<br />

Mittel“, die gegen Papst und Kirche eingesetzt w ur<strong>de</strong>n, die Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Spionage<br />

betreffend w ie ihre w eltanschauliche Begründung.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

ness“, o<strong>de</strong>r das sowjetische „Paradies <strong>de</strong>r Werktätigen“? <strong>Der</strong> Katechismus <strong>de</strong>s dialektischen<br />

Materialismus suchte <strong>de</strong>n Wettbewerb mit <strong>de</strong>m christlichen Evangelium. Nicht im<br />

Dialog, son<strong>de</strong>rn zunächst im rücksichtslosen Kampf gegen die Kirchen und Religionsgemeinschaften.<br />

„Pardon“ wur<strong>de</strong> nicht gegeben.<br />

Ein Dokument aus einer heißeren Phase <strong>de</strong>s Kalten Krieges, aus <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r 70er<br />

Jahre, belegt mit äußerster Schärfe, von welchem Feindbild das Moskauer Imperium<br />

ausging. Im Rahmen einer Beratung vom 11. bis 14. Februar 1975 in Warschau, an <strong>de</strong>r<br />

„leiten<strong>de</strong> Genossen <strong>de</strong>r Sowjetunion, <strong>de</strong>r Volksrepublik Bulgarien,<br />

<strong>de</strong>r CSSR, <strong>de</strong>r DDR, Kubas, <strong>de</strong>r Volksrepublik Polens und<br />

<strong>de</strong>r Volksrepublik Ungarns“ teilnahmen, hielt <strong>de</strong>r „1. Stellvertreter<br />

<strong>de</strong>s Ministers für Innere Angelegenheiten <strong>de</strong>r VR Bulgarien“, Generaloberst<br />

Georgij Schopow, eine Grundsatzre<strong>de</strong>. Dabei sagte er: „<strong>Der</strong> Vatikan<br />

ist eine <strong>de</strong>r Zersetzungszentralen, <strong>de</strong>ssen aktive Tätigkeit gegen<br />

die internationale kommunistische und Arbeiterbewegung,<br />

gegen das Weltsystem <strong>de</strong>s Sozialismus und die einzelnen sozialistischen<br />

Län<strong>de</strong>r, darunter die BR Bulgarien, gerichtet ist.<br />

Seine Tätigkeit ist seit Jahrhun<strong>de</strong>rten mit konservativen und<br />

reaktionären Kreisen, mit <strong>de</strong>r Strategie und Taktik <strong>de</strong>s Imperialismus<br />

verbun<strong>de</strong>n.“<br />

<strong>Der</strong> bulgarische Stasi-General sagte weiter, „unter Berücksichtigung <strong>de</strong>r<br />

Tatsache, dass das Bewusstsein <strong>de</strong>r Werktätigen nicht mehr die<br />

alten Mittel und Metho<strong>de</strong>n in Gehorsam gehalten wer<strong>de</strong>n kann“,<br />

habe die katholische Kirche begonnen, sich <strong>de</strong>n neuen politischen und sozialen Bedingungen<br />

<strong>de</strong>r Welt anzupassen. Er nannte als Beispiel <strong>de</strong>n Einsatz <strong>de</strong>s Vatikans für <strong>de</strong>n<br />

Frie<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Welt, für eine Beendigung <strong>de</strong>s Vietnam-Krieges, die Verurteilung <strong>de</strong>r Kolonialsysteme<br />

sowie bestimmte Seiten <strong>de</strong>s Imperialismus. <strong>Der</strong> Bulgare hätte sich über<br />

soviel Übereinstimmung mit <strong>de</strong>n Positionen seines Systems eigentlich freuen müssen,<br />

aber das passte dann wohl nicht ins Konzept und musste propagandistisch ins Gegenteil<br />

verkehrt wer<strong>de</strong>n. Schlussfolgerung: Das mache <strong>de</strong>r Vatikan nur, „um seine Positionen<br />

in gewissem Maß zu festigen.“<br />

Einen Schlag drauf setzte auf <strong>de</strong>rselben Tagung <strong>de</strong>r stellvertreten<strong>de</strong> Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Komitees für Staatssicherheit beim Ministerrat <strong>de</strong>r UdSSR, Viktor Tschebrikow, <strong>de</strong>r<br />

spätere KGB-Chef. In seinem Referat über die „Bekämpfung<strong>de</strong>r politischi<strong>de</strong>ologischen<br />

Diversion kirchlicher Organisationen und Zentralen<br />

gegen die sozialistischen Län<strong>de</strong>r“ – womit <strong>de</strong>m Vatikan in <strong>de</strong>r seinerzeit<br />

üblichen Parteidiktion „Subversion“, „Wühlarbeit“, et cetera in <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>s Ostblocks unterstellt wur<strong>de</strong> – zitiert <strong>de</strong>r Moskauer Geheimdienst-General <strong>de</strong>n<br />

Generalsekretär <strong>de</strong>s Zentralkomitees <strong>de</strong>r KPdSU, Leonid I. Breschnew. Dieser hatte<br />

laut Tschebrikow in seinem Rechenschaftsbericht an <strong>de</strong>n XXIV. Parteitag <strong>de</strong>r sowjetischen<br />

Kommunisten erklärt: „Wir leben unter <strong>de</strong>n Bedingungen <strong>de</strong>s unvermin<strong>de</strong>rten<br />

i<strong>de</strong>ologischen Krieges, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r imperialistischen<br />

Propaganda gegen unser Land und gegen die gesamte Welt<br />

<strong>de</strong>s Sozialismus unter Anwendung raffiniertester Metho<strong>de</strong>n und<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

unter Anwendung von gewaltigen technischen Mitteln geführt<br />

wird.“ Ein um das an<strong>de</strong>re Mal wur<strong>de</strong> in jenen Jahren <strong>de</strong>r Vatikan beschuldigt, für seine<br />

Politik sei es die Regel, „je<strong>de</strong> antisowjetische und antisozialistische<br />

Tätigkeit aktiv zu unterstützen, auch wenn sie nicht von<br />

<strong>de</strong>r katholischen Kirche ausgeht.“ 2<br />

Dem Papst wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Krieg erklärt. <strong>Der</strong> Kalte Krieg gegen Religion und Kirche wur<strong>de</strong><br />

in zwei Richtungen geführt: <strong>Der</strong> politische <strong>Kath</strong>olizismus – unter diesem Begriff hatten<br />

schon die Nazis von <strong>de</strong>r Jugendgruppe in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>, über die Laienorganisationen,<br />

vom Pfarrer und Bischof bis zur römischen Kurie alle Ebenen <strong>de</strong>r Kirche zum<br />

Gegner erklärt – galt als vorrangiges Feindbild. Denn die Zehn auf <strong>de</strong>r Zielscheibe markierte<br />

die weltanschauliche Auseinan<strong>de</strong>rsetzung. Gott wur<strong>de</strong> die Eignung zur „sozialistischen<br />

Führungspersönlichkeit“ abgesprochen, um einen Standardbegriff<br />

zu verwen<strong>de</strong>n, wie er manchem fest zu seinem Glauben stehen<strong>de</strong>n Stu<strong>de</strong>nten vom<br />

Partei-Instrukteur vorgehalten wur<strong>de</strong>.<br />

Gleichzeitig stand, respektive: steht <strong>de</strong>r Papst einer auf <strong>de</strong>r politischen Bühne agieren<strong>de</strong>n<br />

Institution vor, mit hohem internationalen Ansehen und nicht geringem Einfluss,<br />

mit weltweiten internen sowie diplomatischen Verbindungen. Insofern einem Schaltzentrum,<br />

wo Informationen aus <strong>de</strong>r ganzen Welt zusammenlaufen. Kein Geheimdienst,<br />

ob Ost o<strong>de</strong>r West, <strong>de</strong>r nicht Auge und Ohr begehrlich auf <strong>de</strong>n Apostolischen Palast<br />

richtet. Die Bemühungen, die hohen Mauern <strong>de</strong>s Vatikans zu übersteigen, die „operativen<br />

Maßnahmen“, die Flut an so genannten „Informationen“, die in <strong>de</strong>n Jahren <strong>de</strong>s<br />

Kalten Krieges sich zum Beispiel in <strong>de</strong>n Dokumentenmaterialien <strong>de</strong>s Ostberliner Ministeriums<br />

für Staatssicherheit (MfS) ansammelten, überraschen insofern nicht. Desinteresse<br />

an <strong>de</strong>r Kirche mochte im Klassenz<strong>immer</strong> und im Schulungsraum <strong>de</strong>r Parteika<strong>de</strong>r eine<br />

Rolle spielen, nicht jedoch in <strong>de</strong>r politisch-i<strong>de</strong>ologischen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung hinter <strong>de</strong>n<br />

Kulissen – an <strong>de</strong>r „unsichtbaren Front“, <strong>de</strong>r Schattenwelt <strong>de</strong>r östlichen Geheimdienste.<br />

Mit welchem Ausgang? Das Ergebnis ist bekannt. Aber in <strong>de</strong>n 50 Jahren, in <strong>de</strong>nen<br />

von „Moskau“ die Weisungen an die verbün<strong>de</strong>ten Ka<strong>de</strong>r erging, gegen die „subversiven<br />

vatikanischen Kräfte“ vorzugehen, sahen sich Christen massivem Druck bis hin zu persönlicher<br />

Verfolgung ausgesetzt. Die Kirche wur<strong>de</strong> in einigen Län<strong>de</strong>rn in die Katakomben<br />

getrieben.<br />

Mit welcher Härte kommunistische Geheimpolizei und Nachrichtendienste bereit <strong>war</strong>en,<br />

gegen <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>ologischen Erzfeind vorzugehen, enthüllen Blatt für Blatt die schriftlichen<br />

Unterlagen aus <strong>de</strong>n Archiven <strong>de</strong>r „Stasi“ in Berlin, Warschau, Prag, Budapest. Allein<br />

schon die Militanz <strong>de</strong>r Sprache wirkt erschreckend auf <strong>de</strong>n Leser, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Parteiphraseologie<br />

<strong>de</strong>r sozialistischen Diktaturen nicht vertraut ist. Han<strong>de</strong>lte es sich nur um<br />

pflichtgemäße Verbalattacken, um die „Entschlossenheit“ zur „Verteidigung <strong>de</strong>r sozialistischen<br />

Errungenschaften“ gegenüber <strong>de</strong>n Vorgesetzten und <strong>de</strong>n „Bru<strong>de</strong>rorganisationen“<br />

zu <strong>de</strong>klamieren?<br />

2 HA XX/4, Nr. 501.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Die „Unmoral“ <strong>de</strong>s Vatikans<br />

Je<strong>de</strong>s Mittel <strong>war</strong> recht, um das antikirchliche Feindbild auszumalen, in <strong>de</strong>r politischen<br />

Schulung die künftigen Mitarbeiter für <strong>de</strong>n Staatssicherheitsdienst „scharf“ zu machen.<br />

Das begann in <strong>de</strong>n ersten Winterjahren <strong>de</strong>s Kalten Krieges. So wird in einer „Lektion“<br />

aus <strong>de</strong>m Jahre 1956 „<strong>de</strong>r Kampf <strong>de</strong>r Organe für Staatssicherheit <strong>de</strong>r<br />

Deutschen Demokratischen Republik gegen die feindlichen Elemente<br />

und die Agenturen <strong>de</strong>r imperialistischen Geheimdienste<br />

unter <strong>de</strong>n katholischen und evangelischen Kirchenanhängern und<br />

Sekten“ behan<strong>de</strong>lt. Ein beliebtes Thema, wie auch in <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n Jahren, <strong>war</strong>en<br />

die angeblichen finanziellen Machenschaften <strong>de</strong>r Papstkirche, ihre Beteiligungen an<br />

Banken, Industriekonzernen und an<strong>de</strong>ren Unternehmungen, die nicht ohne weiteres mit<br />

<strong>de</strong>n moralischen Grundsätzen <strong>de</strong>r kirchlichen Lehre korrespondieren wür<strong>de</strong>n. Zum Beispiel<br />

Anteile an <strong>de</strong>r Spielbank von Monte Carlo.<br />

Anschaulich wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Schülern dargelegt, was heute freilich auch Nicht-<br />

Kommunisten eher amüsiert: „<strong>Der</strong> Jesuit Pater Leppich“ habe in Wiesba<strong>de</strong>n<br />

geistvolle Re<strong>de</strong>n gehalten und sich beschwert, dass die Frauen in <strong>de</strong>r Sommerkleidung<br />

unkultiviert und wi<strong>de</strong>rlich herumlaufen. In Ermangelung eines eigenen Zuhörers beriefen<br />

sich die Genossen auf einen Artikel aus <strong>de</strong>m „Wiesba<strong>de</strong>ner Tageblatt v.<br />

7. August 1952“ und fügen süffisant hinzu, Pater Leppich habe höchstwahrscheinlich<br />

nicht gewusst, dass <strong>de</strong>r Vatikan auch Teilhaber eines Unternehmens sei, das „die<br />

reizvollste Kunstsei<strong>de</strong>nbekleidung fabriziert.“ Aber darauf kam es in<br />

<strong>de</strong>r Unterrichtsstun<strong>de</strong> nicht so sehr an; wichtiger <strong>war</strong> <strong>de</strong>r Kernsatz <strong>de</strong>r Klassenarbeit:<br />

„Die Tätigkeit <strong>de</strong>s Vatikans bei <strong>de</strong>r Unterstützung <strong>de</strong>s Imperialismus<br />

im Kampf um die Weltherrschaft.“<br />

Eine Papierflut<br />

Eine eigene Bun<strong>de</strong>sbehör<strong>de</strong> in Berlin verwaltet „die Unterlagen <strong>de</strong>s Ministeriums für<br />

Staatssicherheit <strong>de</strong>r ehemaligen DDR“. Die Mitarbeiter überraschte <strong>de</strong>r Umfang <strong>de</strong>s<br />

Materials, das <strong>de</strong>n Austausch von Informationen zwischen <strong>de</strong>n Nachrichtendiensten <strong>de</strong>r<br />

Staaten <strong>de</strong>s Warschauer Vertrages umfasst, und z<strong>war</strong> <strong>de</strong>n Vatikan betreffend. Was <strong>immer</strong><br />

angebliche Insi<strong>de</strong>r erfahren, aus „zuverlässigen und geprüften Quellen“ geschöpft<br />

wer<strong>de</strong>n konnte, Einschätzungen zu politischen Situationen, Dossiers über Prälaten,<br />

„Maßnahmepläne“ und einzelne Operationen füllen die Akten aus <strong>de</strong>n Bestän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Hauptverwaltung Aufklärung HV A, <strong>de</strong>m Nachrichtendienst <strong>de</strong>s MfS, und speziell aus<br />

<strong>de</strong>r Hauptabteilung XX und <strong>de</strong>ren Abteilung 4, zuständig für die „katholische Linie“. 3<br />

3 HV A: Hauptverwaltung Aufklärung. Auslandsnachrichtendienst <strong>de</strong>r DDR, letzter Leiter: Generaloberst<br />

Werner Großmann. Sein Vorgänger w ar <strong>de</strong>r „legendäre“ Markus „Micha“ Wolf, <strong>de</strong>r „Mann ohne<br />

Gesicht“ (von 1952-1986). Aufgabengebiet: Aufklärung (Gegenspionage), Spionage-Abw ehr und aktive<br />

Maßnahmen im Operationsgebiet. A II <strong>war</strong> zuständig für Aufklärung und Bearbeitung, u.a. auch<br />

<strong>de</strong>r Kirchen und religiösen Gemeinschaften, A VII für Ausw ertung, A IX für Abwehr – Gegenspionage<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Hinter <strong>de</strong>n üblichen, <strong>de</strong>n Laien vielleicht irritieren<strong>de</strong>n nachrichtendienstlichen Begriffen<br />

steht mehr als die Eigentümlichkeit <strong>de</strong>r ND-Arbeit. 4 So tritt ein Kriterium in <strong>de</strong>n<br />

Vor<strong>de</strong>rgrund, das gera<strong>de</strong> für <strong>de</strong>n weltanschaulich geführten Kampf kennzeichnend ist:<br />

politisch-i<strong>de</strong>ologische Diversion. 5 Sie wird <strong>de</strong>m Gegner vorgeworfen – insbeson<strong>de</strong>re<br />

<strong>de</strong>m „politischen <strong>Kath</strong>olizismus“, womit je<strong>de</strong>r Priester und katholische Laie gemeint<br />

sein konnte, <strong>de</strong>r öffentlich das Evangelium in die Hand nahm. Sie konnten wohl nicht<br />

an<strong>de</strong>rs, mussten, von <strong>de</strong>r eigenen Doktrin überzeugt, die Christenlehre fürchten wie <strong>de</strong>r<br />

Teufel das Weihwasser. Dabei wird selbstverständlich nach außen verschwiegen – aber<br />

in <strong>de</strong>n internen Dokumenten ausdrücklich bestätigt –, dass eben dieses Mittel <strong>de</strong>r Diversion<br />

und Kompromittierung von <strong>de</strong>n Parteisoldaten raffiniert eingesetzt wur<strong>de</strong>, letztlich<br />

mit <strong>de</strong>m Ziel, die Welt mit <strong>de</strong>r neuen Religion zu beglücken, <strong>de</strong>r Lehre vom wissenschaftlichen<br />

Materialismus, in <strong>de</strong>r Gott nicht vorkommt, o<strong>de</strong>r allenfalls als Wesen, auf<br />

(von HA II übernommen), und A X für Desinformation im Operationsgebiet.<br />

Hauptabteilung XX: Staatsapparat, Kunst, Kultur, Kirche, Untergrund. Leiter: Generalmajor Paul Kienberg<br />

(1964-1989), <strong>de</strong>m Stellvertreter <strong>de</strong>s Ministers für Staatssicherheit, Generaloberst Rudi Mittig, unterstellt.<br />

Aufgabenstellung: Fe<strong>de</strong>rführung auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Verhin<strong>de</strong>rung bzw . Auf<strong>de</strong>ckung und Bekämpfung<br />

„politisch-i<strong>de</strong>ologischer Diversion“ (PID) und „politischer Untergrundtätigkeit“ (PUT).<br />

Ausw ertungs- und Kontroll-Gruppe (AKG): Erarbeitung von Analysen und Informationen, Führung<br />

von Speichern, Öffentlichkeitsarbeit, Planung <strong>de</strong>r operativen Arbeit sow ie Anleitung und Kontrolle <strong>de</strong>r<br />

operativen Arbeit. Arbeitsbereich IV zuständig für <strong>de</strong>n nichtsozialistischen Westen (NSW), Reiseka<strong>de</strong>r,<br />

also inoffizielle Mitarbeiter IM und offizielle Mitarbeiter: Offiziere in Operationsgruppen im „Bru<strong>de</strong>rstaat“.<br />

Abteilung 4 („Kirchenabteilung“): Oberst Wiegand, Major Baethge. Aufklärung, Bearbeitung, Sicherung<br />

<strong>de</strong>r Kirchen und Religionsgemeinschaften sow ie Unterbindung von Erscheinungsformen <strong>de</strong>r politischen<br />

Untergrundtätigkeit (im Sprachgebrauch <strong>de</strong>s MfS auch häufig als „Verhin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Missbrauchs<br />

<strong>de</strong>r Kirchen“ gekennzeichnet).<br />

Referat 2: Bearbeitet die katholische Linie (Referat 1 die evangelische).<br />

Referat 4: Zuständig fü r Aufklärung und A rbeit im und in das „Operations gebiet “, also Beauftragung<br />

von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM), V-Leuten usw .<br />

Referat 5: Operative Vorgänge und Schw erpunkte. Die östlichen Geheimdienste setzten, <strong>de</strong>n w estlichen<br />

gleich, selbstverständlich mo<strong>de</strong>rnste nachrichtentechnische Mittel, „intelligente“ Softw are ein. „Oldtimer“<br />

Erich Mielke freilich gab <strong>de</strong>r „Human Intelligence“ (HUMINT, im mo<strong>de</strong>rnen Sprachgebrauch),<br />

also <strong>de</strong>r „Arbeit am Mann“, <strong>de</strong>n Vorzu g, <strong>de</strong>m V-Mann, <strong>de</strong>m IM. Sie w aren ihm die zuverlässigeren Zuträger<br />

von Informationen. Sie w aren aber auch „das Werkzeug <strong>de</strong>s Repressionsapparates“, w ie Clemens<br />

Vollnhals in einer Broschüre <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sbehör<strong>de</strong> für die Stasi-Unterlagen schreibt (vgl. BF informiert,<br />

Nr. 16).<br />

Abteilung 9: Konnte <strong>de</strong>mentsprechend tätig w er<strong>de</strong>n. Referat 1: Verhin<strong>de</strong>rung, Aufklärung und Bekämpfung<br />

politischer Untergrundtätigkeit und „Organisierung einer effektiven Zusammenarbeit und<br />

Koordinierung <strong>de</strong>r politisch-operativen Arbeit <strong>de</strong>r operativen Diensteinheiten“. Referat 3: Bearbeitung<br />

feindlicher Stützpunkte und Rückverbindungen sow ie Organisierung einer effektiven Zusammenarbeit<br />

und Koordinierung <strong>de</strong>r politisch-operativen Arbeit <strong>de</strong>r operativen Diensteinheiten.<br />

4 ND: Nachrichtendienstlich.<br />

5 Politisch-i<strong>de</strong>ologische Diversion: lt. Du<strong>de</strong>n: Ablenkung, Angriff von <strong>de</strong>r Seite, Sabotage durch <strong>de</strong>n<br />

Klassenfeind. Angriff auf die theoretischen Grundlagen eines Systems, im Unterschied zur w irtschaftlichen<br />

Diversion, also Maßnahmen gegen ökonomische Strukturen eines Lan<strong>de</strong>s. Abw ehr gegnerischer<br />

Maßnahmen w ie auch Einsatz <strong>de</strong>r eigenen Mittel zählen zum Instrumentarium aller Nachrichtendienste,<br />

das einen ganzen Katalog von nachrichtendienstlichen Mitteln auf <strong>de</strong>r Linie „Aktive Maßnahmen“ bereithält.<br />

Dazu zählen auch Desinformation durch entsprechen<strong>de</strong> „Informationen“ an die Medien, Zersetzung<br />

und „Untergraben <strong>de</strong>r Motivation <strong>de</strong>r gegnerischen Kräfte“, w obei versucht w ird, Gruppierungen<br />

gegeneinan<strong>de</strong>r auszuspielen. Beispiel Kirche: So genannte progressive, „linkskatholische“ Kräfte, zu<br />

<strong>de</strong>nen vor allem Organisationen <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nsbew egung zählten, i<strong>de</strong>ell und materiell zu för<strong>de</strong>rn und die<br />

„herrschen<strong>de</strong>n konservativen Kreise“ zu diskriminieren.<br />

Seite 7


Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

das <strong>de</strong>r Mensch als Schöpfer aller Dinge und seiner selbst nicht angewiesen ist.<br />

Wie das Deutsche Reich unter Hitler ein Weltanschauungsstaat nationalsozialistischer<br />

Ausrichtung sein sollte, so gab sich die Deutsche Demokratische Republik eine <strong>de</strong>m<br />

Marxismus-Leninismus verpflichtete „Staatsdoktrin“; wie das Reichssicherheitshauptamt<br />

RSHA und sein Nachrichtendienst SD <strong>de</strong>r NSDAP diente, so das Ministerium für<br />

Staatssicherheit MfS und sein Nachrichtendienst HV A <strong>de</strong>r SED. Die Losung <strong>de</strong>s MfS,<br />

„Schwert und Schild <strong>de</strong>r Partei“ zu sein, spricht für sich selbst. Dieses Prinzip <strong>war</strong> <strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>utschen Einparteienstaaten gemeinsam, natürlich abgesehen von <strong>de</strong>n weltanschaulichen<br />

Unterschie<strong>de</strong>n.<br />

Weisungen vom Großen Bru<strong>de</strong>r<br />

Wie die Mauern <strong>de</strong>s Vatikans erstürmen, die Pforten öffnen, in Vorz<strong>immer</strong>n <strong>de</strong>r Papstgemächer<br />

lauschen? In <strong>de</strong>r ersten Folge dieser Berichte zur nachrichtendienstlichen Erfassung<br />

<strong>de</strong>r Kirche wur<strong>de</strong> auf die Frage schon eingegangen. 6 Leitwolf im Verbund <strong>de</strong>r<br />

Nachrichtendienste <strong>de</strong>r Staaten <strong>de</strong>s Warschauer Vertrages <strong>war</strong> <strong>de</strong>r KGB. 7 Direktiven<br />

gingen von Moskau aus, Maßnahmen wur<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Lubjanka 8 abgestimmt. Die gemeinsame<br />

Dienstsprache <strong>war</strong> Russisch. Die Genossen von Ostberlin bis Sofia <strong>war</strong>en<br />

eingeschworen auf <strong>de</strong>n Stammvater <strong>de</strong>r kommunistischen Geheimpolizei und Nachrichtendienste<br />

Felix Dserschinski und „verbrü<strong>de</strong>rt“ im Geist <strong>de</strong>r „Tscheka“, in einer Art Internationale<br />

<strong>de</strong>s Tschekismus. 9<br />

6 Vgl. „Die Kirche schlechtmachen“, Teil 1 dieser Reihe, unter http://blog.kath.<strong>de</strong>/kaltefleiter.<br />

7 KGB: Komitet Gosudarstw ennoj Besopastnosti = Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat <strong>de</strong>r<br />

UdSSR. 1954 gegrün<strong>de</strong>t, Vorläufer <strong>war</strong>en die sowjetischen Geheimdienste seit 1917. Nach <strong>de</strong>m Augustputsch<br />

1991 aufgelöst. Nachfolgeorganisationen: FSB (Russischer Fö<strong>de</strong>raler Sicherheitsdienst, Inlandsgeheimdienst),<br />

SWR (Auslandsaufklärung), FSK (Spionageabw ehr), CSR (Zentraler Geheimdienst),<br />

GRU (Hauptverwaltung Aufklärung, militärischer Nachrichtendienst, kurz „Raswedka“ genannt).<br />

Die lange Liste <strong>de</strong>r sich ständig verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Strukturen <strong>de</strong>r Geheimpolizei und Nachrichtendienste<br />

lässt Vermutungen über Vorgänge innerhalb <strong>de</strong>s zaristischen, bolschew istischen und sow jetischen Sicherheitsapparates<br />

zu: Ochrana (1981-1917), Tscheka (1917-1922), GPU (1922-1923), OGPU (1923-<br />

1934), GUGB (1934-1941-1943), NKWD (1934-1946), NKGB (1941-1943-1946), Smierz (1943-1946),<br />

MGB (1946-1953), MWD (1946-1960), KI (1947-1951), KGB (1954-1991), PGU (1954-1991), FSB<br />

(1991-), FSK (1991-).<br />

8 Lubjanka: Inbegriff <strong>de</strong>s bolschew istischen Terrors, heute Sitz <strong>de</strong>s Inlandsnachrichtendienstes FSB. Das<br />

ehemalige Versicherungs gebäu<strong>de</strong> am Lubjanka-Platz Nr. 2 beherbergte das zentrale Gefängnis, das<br />

Hauptquartier <strong>de</strong>r sow jetischen Geheimdienste und das Geheimarchiv <strong>de</strong>r Agenturen.<br />

9 Die Bezeichnung „Tscheka“ geht zurück auf die russische Abkürzung, nach <strong>de</strong>n Anfangsbuchstaben<br />

We-Tsche-Ka für „Wserossijskaja Tscheresw ytschajnaja Komissija po Borbe s Kontrrevoljuziej i Sabotashem“<br />

= „All-russische Außeror<strong>de</strong>ntliche Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution und<br />

Sabotage“. Das „Organ <strong>de</strong>r Diktatur <strong>de</strong>s Proletariats zum Schutz <strong>de</strong>r Staatssicherheit“ wur<strong>de</strong> 1917 von<br />

<strong>de</strong>n Bolschew isten ins Leben gerufen. Erster Vorsitzen<strong>de</strong>r w ar Felix Edmundow itsch Dserschinski<br />

(polnisch Feliks Dzierzynsky), Sohn eines polnischen Gutsbesitzers. <strong>Der</strong> sow jetische Staats- und Parteichef<br />

Leonid Breschnew nannte ihn anlässlich <strong>de</strong>s Ge<strong>de</strong>nktages seines 100. Geburtstages <strong>de</strong>n „Eisernen<br />

Felix“. Dserschinski <strong>war</strong> von 1922 bis 1926 Chef <strong>de</strong>r Geheimpolizei GPU.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Als <strong>de</strong>r Kalte Krieg begann<br />

Den Namen Dzierzynskys trug auch das „Wachregiment Berlin“ <strong>de</strong>s MfS. Es wur<strong>de</strong> bereits<br />

im November 1949 in Dienst gestellt, „für <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Arbeiter- und Bauernmacht“,<br />

dienstrechtlich <strong>de</strong>r Arbeitsgruppe <strong>de</strong>s Ministers Mielke direkt unterstellt. Zu<br />

<strong>de</strong>n „Ruhmestaten“ dieser „Struktureinheit <strong>de</strong>s Staatssicherheitsdienstes“ zählte in <strong>de</strong>r<br />

Sprache <strong>de</strong>r SED-Propaganda die Teilnahme von Einheiten <strong>de</strong>s Regiments „an <strong>de</strong>r<br />

Zerschlagung <strong>de</strong>s konterrevolutionären Putschversuches am 17.<br />

Juni 53“. Dabei sei die „Waffenbrü<strong>de</strong>rschaftsbeziehungen zu Sowjetsoldaten“<br />

geboren wor<strong>de</strong>n.<br />

Aus dieser merkwürdigen Geburtsstun<strong>de</strong> ging ein weiteres Ereignis hervor: die Errichtung<br />

<strong>de</strong>s „antifaschistischen Schutzwalles“ am 13. August 1961, <strong>de</strong>r vielen unschuldigen<br />

Menschen zum tödlichen Verhängnis wur<strong>de</strong>. Am 15. Dezember 1967 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Regiment<br />

<strong>de</strong>r „Ehrenname“ verliehen: „Feliks Dzierzynsky“. Anlass <strong>war</strong> <strong>de</strong>r 50. Jahrestag<br />

<strong>de</strong>r „Tscheka“. Die „Struktureinheit“ stellte also nicht nur „die Ehrenformation<br />

im Rahmen <strong>de</strong>s Militärischen Zeremoniells beim Antritts- und<br />

Abschiedsempfangs <strong>de</strong>s Ständigen Vertreters <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

Deutschland bei <strong>de</strong>r DDR“, son<strong>de</strong>rn wur<strong>de</strong> auch als Verfügungstruppe <strong>de</strong>s MfS<br />

eingesetzt, etwa für „Sicherungsaufgaben“ bei Großveranstaltungen. Hauptamtliche<br />

Mitarbeiter <strong>de</strong>s MfS leisteten nach <strong>de</strong>r Übernahme in die „Stasi“ <strong>de</strong>n Eid <strong>de</strong>s Tschekisten.<br />

10<br />

Wer zweckmäßigerweise auf <strong>de</strong>n Vatikan angesetzt wur<strong>de</strong>, entschied schlicht und einfach<br />

ein Kriterium: E kamen vorrangig Dienste aus einem Land „mit katholischem<br />

Hintergrund“ in Frage, also Polen und Ungarn. Die DDR-Führung mit ihrem überwiegend<br />

protestantischen Umfeld zog es vor, sich bedienen zu lassen. „Regelmäßig erhielten<br />

wir Informationen von <strong>de</strong>n Aufklärungsdiensten <strong>de</strong>r UdSSR, Polens und Ungarns“,<br />

teilte <strong>de</strong>r letzte Chef <strong>de</strong>r Hauptverwaltung Aufklärung, Ex-Generaloberst Werner<br />

Großmann, auf Anfrage mit.<br />

Je mehr Material aus <strong>de</strong>n Aufzeichnungen <strong>de</strong>s MfS erschlossen wer<strong>de</strong>n, die personenbezogenen<br />

Fälle „abgearbeitet“ sind, nähert sich die Forschung <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>nsatz, in diesem<br />

Fall <strong>de</strong>n Anfängen und Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r antikirchlichen Maßnahmen <strong>de</strong>r östlichen<br />

Staatssicherheitsorgane. Eine Information vom Februar 1959 berichtet vom Informationsaustausch<br />

<strong>de</strong>r Ostberliner Staatssicherheit mit <strong>de</strong>n „sowjetischen Genossen“ auf <strong>de</strong>r<br />

„Linie Kirchen und Sekten“. Die Ost<strong>de</strong>utschen lieferten „halboffizielle<br />

Vatikan-Veröffentlichungen“, wozu – richtig – <strong>de</strong>r „Osservatore Romano“<br />

zählte, und – nicht richtig – die Freiburger „Her<strong>de</strong>rkorrespon<strong>de</strong>nz“, die aber<br />

für die DDR-Kundschafter so viel über kirchliche Interna zu wissen schien, dass sie als<br />

Quelle vor<strong>de</strong>rhand ausreichte.<br />

Vom 11. bis 17. Oktober 1960 kommt es zu einer „Staatskonferenz im <strong>de</strong>mokratischen<br />

Sektor von Berlin“, womit <strong>de</strong>r Ostsektor gemeint ist. Es nehmen<br />

10 Vgl. BStU: Daten zur Geschichte <strong>de</strong>s Wachregiments Berlin „Feliks Dzierzynski“. Studienmaterial fü r<br />

die politische Schulung 90/7602.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

die Polen, Tschechen und Slowaken sowie die Russen teil. Die Moskauer berichten: Die<br />

Kardinäle Giovanni Battista Montini, Augustin Bea und Alfredo Ottaviani seien sofort<br />

nach <strong>de</strong>m Scheitern <strong>de</strong>r Pariser Gipfelkonferenz 11 in USA gereist. Montini habe Präsi<strong>de</strong>nt<br />

Eisenhower versichert: Es bestehe „völliges Einverständnis zwischen<br />

<strong>de</strong>r Außenpolitik <strong>de</strong>r Vereinigten Staaten und <strong>de</strong>s Vatikans gegenüber<br />

<strong>de</strong>r Sowjetunion“.<br />

<strong>Der</strong> <strong>de</strong>utsche Kurienkardinal Bea 12 sei beauftragt gewesen, mit evangelischen Organisationen<br />

zu verhan<strong>de</strong>ln, um eine einheitliche Front, eine NATO <strong>de</strong>s Geistes, zu bil<strong>de</strong>n.<br />

Es sei darum gegangen, dass die westlichen Län<strong>de</strong>r keine Konzession in <strong>de</strong>r Abrüstungsfrage<br />

machen.<br />

Damit <strong>war</strong> das Feindbild „Vatikan“ erneut markiert: <strong>Der</strong> Papst als Komplize <strong>de</strong>s US-<br />

Imperialismus, wie man nicht mü<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> in die Welt zu setzen. Die Sowjetregierung<br />

empfiehlt, einen ein<strong>de</strong>utig antivatikanischen Kurs auf allen Linien aufzunehmen.<br />

Eine <strong>de</strong>r Linien sollte wohl ein „Warschauer Pakt <strong>de</strong>s Geistes“ sein, eine Art politischer<br />

Gegenökumene mit <strong>de</strong>r Prager Christlichen Frie<strong>de</strong>nskonferenz und <strong>de</strong>r Russisch-<br />

Orthodoxen Kirche als Hauptakteuren. Ferner wur<strong>de</strong> empfohlen, die Position <strong>de</strong>s Patriarchen<br />

von Konstantinopel zu schwächen, <strong>de</strong>nn dieser stehe unter <strong>de</strong>m Einfluss <strong>de</strong>r<br />

amerikanischen Reaktion. 13<br />

Die Bemühungen von Papst Johannes XXIII., mit <strong>de</strong>n kommunistischen Regimes<br />

Möglichkeiten einen modus vivendi im Interesse <strong>de</strong>s religiösen Lebens im Moskauer<br />

Herrschaftsbereich zu fin<strong>de</strong>n, spielten in <strong>de</strong>n Überlegungen <strong>de</strong>r Staatssicherheit keine<br />

Rolle. Wohl aber <strong>war</strong>en seine Stellungnahmen zu Frie<strong>de</strong>n und Gerechtigkeit in <strong>de</strong>r Welt<br />

ganz nach <strong>de</strong>m Geschmack <strong>de</strong>r Kommunisten. Daraus ließ sich allerhand Propagandamaterial<br />

fabrizieren, das für Maßnahmen <strong>de</strong>r „Differenzierung“ eingesetzt wer<strong>de</strong>n<br />

konnte. In einem <strong>de</strong>r Dokumente wird angeregt, „im Geiste <strong>de</strong>r für uns<br />

günstigen Thesen <strong>de</strong>r päpstlichen Enzyklika ‚Frie<strong>de</strong>n auf Er<strong>de</strong>n‘<br />

14 Einfluss auf die breiten Massen <strong>de</strong>r werktätigen <strong>Kath</strong>oliken<br />

zu nehmen“ sowie Bestrebungen konservativer Kreise <strong>de</strong>s Vatikans zu entlarven,<br />

die versuchten, <strong>de</strong>n Kurs von Johannes XXIII. und <strong>de</strong>r „Liberalen“ zu diskriminieren.<br />

Man drängt auf entsprechen<strong>de</strong> Maßnahmen, <strong>de</strong>nn in Rom wird 1963 das<br />

Konzil fortgesetzt.<br />

11 Konferenz <strong>de</strong>r vier Siegermächte Großbritannien, Frankreich, Sow jetunion und USA in Paris, scheitert<br />

am 17. Mai 1960. Vorausgegangen <strong>war</strong> <strong>de</strong>r U-2-Zwischenfall, <strong>de</strong>r Abschuss eines US-amerikanischen<br />

Aufklärungs-(Spionage)-Spezialflugzeugs in großer Höhe über Sw erdlow sk am 1. Mai durch sow jetische<br />

Raketen. Chruschtschow verlangt, bevor über an<strong>de</strong>re Punkte gesprochen w ird, eine amerikanische Entschuldigung<br />

und w ill über Aufklärungsflüge <strong>de</strong>r Amerikaner über <strong>de</strong>r Sow jetunion verhan<strong>de</strong>ln. Eisenhow<br />

er lehnt ab. Am 18. Mai droht Chruschtschow , mit <strong>de</strong>r DDR einen Separatfrie<strong>de</strong>n zu schließen.<br />

12 Augustin Kardinal Bea (1881-1968), Wegbereiter <strong>de</strong>r Ökumene. Beichtvater von Pius XII., 1959 Kardinal,<br />

am 5.6.1960 von Johannes XXIII. zum Leiter <strong>de</strong>s „Sekretariats für die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Einheit <strong>de</strong>r<br />

Christen“ ernannt. Maßgeblich an <strong>de</strong>r Vorbereitung <strong>de</strong>s Zw eiten Vatikanischen Konzils beteiligt, vor allem<br />

die Beziehungen zu <strong>de</strong>n nicht-römischen Christen und zum Ju<strong>de</strong>ntum betreffend (Erklärung<br />

„Nostra aetate“).<br />

13 Vgl. HA XX/4, Nr. 85; 141; 315.<br />

14 Enzyklika „Pacem in terris“ – „Über <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n auf Er<strong>de</strong>n“, am 11. April 1963, zwei Jahre nach <strong>de</strong>m<br />

Mauerbau und w enige Monate nach <strong>de</strong>r „Kubakrise“ erschienen.<br />

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„Bru<strong>de</strong>rinformationen“<br />

Die Genossen sprachen von „Bru<strong>de</strong>rorganisationen“ und tauschten „Bru<strong>de</strong>rinformationen“<br />

aus – aber diese „Brü<strong>de</strong>rlichkeit“ hielt sich bisweilen in Grenzen: dann, wenn die<br />

eigenen nationalen o<strong>de</strong>r auch „sozialistischen“ Interessen im Vor<strong>de</strong>rgrund stan<strong>de</strong>n. Die<br />

Polen zum Beispiel hatten ihre eigenen Leute in West<strong>de</strong>utschland „vor Ort“. Wenn ein<br />

Spionagefall ans Licht <strong>de</strong>r Öffentlichkeit gekommen <strong>war</strong>, kommentierte <strong>de</strong>r ehemalige<br />

Chef <strong>de</strong>r HV A das schon mal verärgert damit, dass man nicht alles und je<strong>de</strong>s sofort<br />

<strong>de</strong>m MfS anhängen solle. Die Unterlagen aus <strong>de</strong>n Akten <strong>de</strong>r Stasi aber belegen, dass die<br />

„Normannenstraße“ durchaus dankbar für Informationen <strong>war</strong>, die ihnen die polnischen<br />

Genossen aus <strong>de</strong>r „Bonner Republik“ zukommen ließen. Gleiches gilt für die ungarische<br />

Spionage. Auch die Agenten aus Budapest kreisten nicht nur um <strong>de</strong>n Vatikan, son<strong>de</strong>rn<br />

setzten ihre Spürhun<strong>de</strong> auch auf kirchliche Einrichtungen in West<strong>de</strong>utschland an, zumal,<br />

wenn die Fä<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Vatikan führten.<br />

Wie „brü<strong>de</strong>rlich“ polnische Nachrichtenleute mit ihren Ostberliner Genossen zusammenarbeiteten,<br />

wird sich vielleicht eines Tages aus <strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>s Warschauer<br />

Instituts für das nationale Ge<strong>de</strong>nken herauslesen lassen. Die Erinnerung an geschichtliche<br />

Ereignisse zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Nachbarvölkern – um es mil<strong>de</strong>, aber nicht verharmlosend<br />

auszudrücken – dürfte auch vom sozialistischen o<strong>de</strong>r tschekistischen Schwur<br />

nicht aufgehoben wor<strong>de</strong>n sein. Manches <strong>war</strong> wohl eher Pflichtübung, <strong>de</strong>n vertraglichen<br />

Vereinbarungen auf politischer und militärischer Ebene geschul<strong>de</strong>t. Einige Dokumente<br />

aus <strong>de</strong>n zurückliegen<strong>de</strong>n Jahren sollen gleichwohl dokumentiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Zusammenarbeit zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n geographisch am engsten verbun<strong>de</strong>nen<br />

Nachrichtendiensten im sozialistischen Lager, von Prag einmal abgesehen, gilt sehr früh<br />

auch für das Kirchenreferat <strong>de</strong>s MfS. Ein Papier vom 20. November 1964 bestätigt das<br />

Interesse <strong>de</strong>r Stasi, <strong>de</strong>nn: „Aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Informationen <strong>de</strong>r VR<br />

Polen ist ersichtlich, dass sie über zuverlässige Informationsquellen<br />

zum Vatikan verfügen.“ Dieses Interesse hat einen beson<strong>de</strong>ren<br />

Grund: Das Zweite Vatikanische Konzil. Nach Rom reisen in dieser Zeit Bischöfe,<br />

Theologen und Laien aus <strong>de</strong>r ganzen Welt. Auch eine ost<strong>de</strong>utsche Abordnung unter<br />

Führung <strong>de</strong>s Berliner Erzbischofs Alfred Bengsch ist <strong>dabei</strong>. Da wäre es doch angebracht,<br />

die Polen zu bitten, „ihre Informationsquellen nach <strong>de</strong>m Verhalten<br />

<strong>de</strong>r Teilnehmer <strong>de</strong>r Delegation <strong>de</strong>r katholischen Amtsträger<br />

aus <strong>de</strong>r DDR“ zu befragen.<br />

Die Gesprächsvorlage <strong>de</strong>r Abteilung XX/4 für ein Arbeitstreffen mit <strong>de</strong>m polnischen<br />

Sicherheitsdienst enthält weitere Vorschläge, wie man in die „westlichen Zentralen“<br />

eindringen kann, die für die „Organisation von Untergrundtätigkeit<br />

sowohl in <strong>de</strong>r DDR als auch in <strong>de</strong>r Volksrepublik Polen verantwortlich<br />

sind.“<br />

<strong>Der</strong> Berliner Bischof blieb für die Ostberliner Stasi zeitlebens eine „harte Nuss“. Er<br />

hatte sich und seinem Klerus gera<strong>de</strong>zu fastenzeitliche Abstinenz im Umgang mit <strong>de</strong>n<br />

staatlichen Stellen auferlegt. Öffentlich kam kein Wort zu politischen Fragen über seine<br />

Lippen. Unter <strong>de</strong>m Datum vom 20. Mai 1976 – das Thema „diplomatische Anerken-<br />

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nung <strong>de</strong>r DDR“ durch <strong>de</strong>n Papst und eigene Bistümer innerhalb <strong>de</strong>r Staatsgrenzen, also<br />

die auch kirchliche Teilung Deutschlands, lässt das Honecker-Regime nicht ruhen – entwirft<br />

die Kirchenabteilung <strong>de</strong>s MfS einen „Fragenspiegel zur Kirchenpolitik<br />

<strong>de</strong>s Kardinal Bengsch.“ Wie hält er ständig Verbindung mit <strong>de</strong>m Vatikan?<br />

Wer sind dort seine Ansprechpartner und Berater? Wie <strong>de</strong>utet man Äußerungen, wenn<br />

er sich positiv o<strong>de</strong>r negativ über die Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m Vatikan äußert? Kardinal<br />

Bengsch – für die Deuter in <strong>de</strong>r Stasi-Zentrale eine kirchliche Sphinx.<br />

Versöhnungsbotschaften<br />

Das Konzil en<strong>de</strong>te für die Deutschen im geteilten Land mit einer Sensation. Die in Rom<br />

anwesen<strong>de</strong>n polnischen Bischöfe richten unter <strong>de</strong>m Datum vom 18. November 1965<br />

eine Versöhnungsbotschaft an die „<strong>de</strong>utschen Brü<strong>de</strong>r im pastoralen Dienst“. Die in die<br />

Geschichte <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Nachbarvölker eingeschriebenen Sätze lauten: „Wir gewähren<br />

Vergebung und bitten um Vergebung.“ Die <strong>de</strong>utschen Bischöfe antworten am 5. Dezember:<br />

„Mit brü<strong>de</strong>rlicher Ehrfurcht ergreifen wir die ausgestreckten Hän<strong>de</strong>.“ Insgesamt<br />

aber ist <strong>de</strong>r Text nicht so glatt, wie die Versöhnungsformel glauben macht. Die<br />

Deutschen erinnern an das „Recht auf Heimat“ für Schlesier, Pommern und Ostpreußen,<br />

räumen jedoch ein, „dass dort jetzt eine junge (polnische) Generation heranwächst,<br />

die das Land, das ihren Vätern zugewiesen wur<strong>de</strong>, ebenfalls als ihre Heimat betrachtet.“<br />

Die polnischen Oberhirten differenzieren ebenfalls: „Wir sind grundsätzlich einverstan<strong>de</strong>n.“<br />

Das be<strong>de</strong>utet aber nicht: in allen Einzelheiten.<br />

<strong>Der</strong> politische Pöbel hüben und drüben tobt, aber auch viele an<strong>de</strong>re zeigen sich irritiert.<br />

In welchem Auftrag sprechen sie, fragen die kommunistischen Hardliner in Warschau,<br />

wer spricht da für uns, fragen manche Vertriebenenfunktionäre. Es geht auch um<br />

<strong>de</strong>n Verbleib <strong>de</strong>r Gebiete an O<strong>de</strong>r, Neiße und Ostsee – wer<strong>de</strong>n sie von polnischen Bischöfen<br />

an die Deutschen „verschenkt“, „verzichten“ die Deutschen? Wer hat Anspruch<br />

auf „angestammtes“ Gebiet?<br />

Die polnische Stasi will Einzelheiten wissen. Über die Abteilung X (Internationale<br />

Verbindungen) <strong>de</strong>s MfS bitten sie um Klärung <strong>de</strong>r Hintergrün<strong>de</strong>. Oberstleutnant Damm<br />

leitet die Anfrage am 11. Januar 1966 an die Hauptabteilung, an <strong>de</strong>n Genossen Oberst<br />

Kienberg, weiter. Als erstes wird gefragt, wer die Initiative zum Austausch <strong>de</strong>r Botschaften<br />

zwischen <strong>de</strong>m polnischen und <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Episkopat gab und welche politischen<br />

Kräfte eventuell die Bischöfe beeinflusst haben. Ob die Regierung West<strong>de</strong>utschlands<br />

vor <strong>de</strong>r offiziellen Veröffentlichung informiert wor<strong>de</strong>n sei? „Welche Rolle spielten<br />

in <strong>de</strong>n Gesprächen mit <strong>de</strong>m polnischen Episkopat <strong>de</strong>r Kardinal<br />

Döpfner 15 und <strong>de</strong>r Bischof Hengsbach 16 ?“ Wer <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r „Sachwal-<br />

15 Julius August Kardinal Döpfner (1913-1976), Bischof von Würzburg (ab 1948), Bischof von Berlin (ab<br />

1957), Erzbischof von München und Freising (ab 1961), Kardinal (seit 1958). Einer <strong>de</strong>r vier Mo<strong>de</strong>ratoren<br />

<strong>de</strong>s Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965), Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Deutschen Bischofskonferenz<br />

(ab 1965), Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Gemeinsamen Syno<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bistümer (1971-1975).<br />

16 Franz Kardinal Hengsbach (1910-1991), erster Bischof <strong>de</strong>s neu gegrün<strong>de</strong>ten Bistums Essen (ab 1958),<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

ter und Repräsentant <strong>de</strong>r katholischen <strong>de</strong>utschen Kirche beim<br />

Vatikan“ sei? Und schließlich auch, handschriftlich nachgetragen: „Ob <strong>de</strong>utsche<br />

Bischöfe polnische Westgebiete betreuen?“<br />

Am 19. Januar 1966 antwortet die HA XX/4 (Kirchenabteilung, katholische Linie) mit<br />

einer fünfzehnseitigen Stellungnahme. Zusammengefasst die wesentlichen Punkte: Am<br />

Anfang stand eine Einladung <strong>de</strong>r polnischen Bischöfe vom 29. November 1965, während<br />

<strong>de</strong>r letzten Sitzungsperio<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Konzils, an Kardinal Joseph Frings 17 für die Fuldaer<br />

Bischofskonferenz, an Kardinal Julius Döpfner für die Bayerische Bischofskonferenz<br />

(<strong>de</strong>r inzwischen als Nachfolger von Frings an die Spitze <strong>de</strong>r Bischofskonferenz gewählt<br />

wor<strong>de</strong>n <strong>war</strong>), sowie an Erzbischof Alfred Bengsch „als <strong>de</strong>n Vertreter <strong>de</strong>r Bischofskonferenz<br />

<strong>de</strong>r DDR.“ Die Einladung galt <strong>de</strong>r Teilnahme an <strong>de</strong>n 1000-<br />

Jahrfeiern <strong>de</strong>r Christianisierung Polens.<br />

Vorausgegangen seien scharfe Meinungsverschie<strong>de</strong>nheiten „zwischen <strong>de</strong>m polnischem<br />

Episkopat und <strong>de</strong>n reaktionären Bischöfen <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik“.<br />

Höhepunkt und Auslöser sei die Predigt von Wyszinski 18 anlässlich <strong>de</strong>s<br />

zwanzigsten Jahrestages <strong>de</strong>r Befreiung Polens gewesen. „In dieser Predigt<br />

würdigte <strong>de</strong>r polnische Kardinal die Wie<strong>de</strong>rerringung <strong>de</strong>r polnischen<br />

Westgebiete“, so das Stasi-Dokument. Kardinal Döpfner habe von „nationalistischen<br />

Ten<strong>de</strong>nzen“ in <strong>de</strong>r Predigt <strong>de</strong>s polnischen Primas gesprochen.<br />

Schließlich habe (nach bisher unbestätigten Meldungen) zur Beilegung dieser Meinungsverschie<strong>de</strong>nheiten<br />

ein Gespräch zwischen <strong>de</strong>m polnischen und <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Kardinal<br />

stattgefun<strong>de</strong>n. Döpfner habe <strong>de</strong>m polnischen Primas die „ernsten Be<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>utschen Episkopats zur Haltung <strong>de</strong>s polnischen Episkopats in<br />

verschie<strong>de</strong>nen Fragen, darunter auch in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r O<strong>de</strong>r-Neiße-Grenze<br />

erklärt und geäußert, dass sich seiner Meinung nach<br />

in Polen ein Nationalismus entwickelt, <strong>de</strong>r we<strong>de</strong>r für die polnische<br />

noch für die <strong>de</strong>utsche Seite gut wäre.“ Da <strong>war</strong> wohl ein Problem<br />

angesprochen, dass die Ostberliner Stasi-Offiziere vermutlich nicht ungern ihren<br />

Warschauer Kollegen unter die Nase rieben.<br />

Döpfner habe auch „ernste Sorgen“ in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r O<strong>de</strong>r-Neiße-Grenze angesprochen,<br />

„weil die kirchlichen Interessen in Polen zur O<strong>de</strong>r-<br />

Neiße-Grenze durch die <strong>de</strong>utsche katholische Kirche in engem<br />

als „Ruhrbischof“ eng mit <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r Arbeit (Bergbau und Hüttenindustrie) verbun<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Bischofskonferenz<br />

zuständig für die Kontakte mit Polen, Grün<strong>de</strong>r von „Adveniat“, <strong>de</strong>m Bischöflichen<br />

Hilfsw erk für Lateinameirka, Militärbischof <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sw ehr (1961-1978), Kardinal (seit 1988).<br />

17 Josef Kardinal Frings (1887-1978), Erzbischof von Köln (1942-1969), Erhebung zum Kardinal 1946,<br />

zusammen mit Konrad Graf von Preysing (Bischof von Berlin) und Clemens August Graf von Galen<br />

(Bischof von Münster) Mitbegrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Hilfswerke „Misereor“ (1958) und „Adveniat“ (s.a. Hengsbach).<br />

Mitglied <strong>de</strong>s Präsidiums <strong>de</strong>s Zw eiten Vatikanischen Konzils, <strong>de</strong>m „Reformflügel“ zugeordnet.<br />

<strong>Der</strong> Theologe Joseph Ratzinger (seit 2005 Papst Benedikt XVI.) w ar sein engster Mitarbeiter.<br />

18 Stefan Kardinal Wyszynski (1901-1981), Erzbischof von Gnesen und Warschau, Primas von Polen (ab<br />

1953). Von <strong>de</strong>n staatlichen Behör<strong>de</strong>n unter Hausarrest gestellt (1953-1956), Besuch mit einer Bischofs<strong>de</strong>legation<br />

in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland (1978). Einer seiner Begleiter und Wegbereiter <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utsch-polnischen Aussöhnung w ar <strong>de</strong>r Krakauer Erzbischof Karol Kardinal Wojtyla (von 1978 bis<br />

2005 Papst Johannes Paul II.).<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Zusammenhang mit <strong>de</strong>n staatlichen Interessen <strong>de</strong>r Volksrepublik<br />

Polen betrachtet wer<strong>de</strong>n müssten.“ Da wur<strong>de</strong> viel in einen Satz gepackt, was<br />

zu mühsamen politischen Verhandlungen bis zum Warschauer Vertrag 1970 führte und<br />

zu ziemlichen Reibungen zwischen <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen und <strong>de</strong>m polnischen Episkopat.<br />

Streitpunkt <strong>war</strong> vor allem <strong>de</strong>r polnische Anspruch auf die „zurückgekehrten<br />

Westgebiete“. Wyszynski setzte sich bei solchen Gelegenheiten <strong>de</strong>n Hut <strong>de</strong>s polnischen<br />

Interrex auf, <strong>war</strong> dann aber – wie auch das Dossier <strong>de</strong>s MfS würdigt – <strong>de</strong>rjenige,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n ersten Schritt zum Briefwechsel mit <strong>de</strong>n Deutschen tat – und sich erheblichen<br />

Ärger sowohl im eigenen Volk als auch bei <strong>de</strong>n politischen Machthabern einhan<strong>de</strong>lte.<br />

Die Stasi-Kirchenabteilung teilt auch nach Warschau mit, „nach inoffiziellen,<br />

bisher nicht bestätigten Hinweisen“ habe es vor <strong>de</strong>r Veröffentlichung <strong>de</strong>r<br />

Versöhnungsbotschaften Besprechungen „zwischen Vertretern <strong>de</strong>r Bischofskonferenz<br />

und führen<strong>de</strong>n Vertretern <strong>de</strong>r Bonner CDU/CSU“<br />

gegeben. Von <strong>de</strong>r Bonner Regierung sei <strong>de</strong>r Briefwechsel, wie die vorausgegangene<br />

Denkschrift <strong>de</strong>r EKD, „als positiv gewertet“ wor<strong>de</strong>n.<br />

Die Ostberliner Experten geben auch zu be<strong>de</strong>nken, dass es kirchliche Institutionen<br />

gewesen seien, die dieses Problem aufgegriffen hätten. Die Regierung sei <strong>de</strong>shalb „<strong>de</strong>n<br />

Angriffen <strong>de</strong>r so genannten Vertriebenenorganisationen“ nicht ausgesetzt<br />

gewesen. Es wird auch offen eingeräumt: „Wie inoffiziell bekannt<br />

wur<strong>de</strong>, hat <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche Episkopat von <strong>de</strong>r polnischen und <strong>de</strong>r<br />

DDR-Regierung eine an<strong>de</strong>re Reaktion auf diesen Briefwechsel er<strong>war</strong>tet.<br />

Man nahm an, dass diese bei<strong>de</strong>n Regierungen betonen<br />

wür<strong>de</strong>n, dass <strong>de</strong>r Briefwechsel <strong>de</strong>r Verbesserung <strong>de</strong>s Verhältnisses<br />

zwischen <strong>de</strong>m polnischen und <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Volk dienten.“<br />

Ein bemerkenswertes Dokument. Konnten sie in <strong>de</strong>n Parteigremien nicht ertragen,<br />

dass diese Demonstration christlichen Versöhnungsgeistes schwerer wog als die gebetsmühlenartig<br />

bei je<strong>de</strong>r Großveranstaltung auf <strong>de</strong>m Sportfeld o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Kongresshalle<br />

beschworene sozialistische Solidarität und Waffenbrü<strong>de</strong>rschaft?<br />

Am 27. April reicht das MfS die genauen Daten nach. <strong>Der</strong> polnische Brief sei am 29.<br />

November 1965 in Rom <strong>de</strong>n Deutschen überreicht wor<strong>de</strong>n. (Erzbischof Bengsch wird<br />

jetzt korrekt als Vertreter <strong>de</strong>r Berliner Ordinarienkonferenz 19 bezeichnet). Am 5. Dezember<br />

hätten die polnischen Bischöfe die <strong>de</strong>utsche Antwort erhalten, von allen <strong>de</strong>utschen<br />

Bischöfen unterzeichnet.<br />

19 Berliner Ordinarienkonferenz (1961-1976): Nach <strong>de</strong>m Mauerbau und <strong>de</strong>r Verhin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Teilnahme<br />

<strong>de</strong>r mittel<strong>de</strong>utschen Bischöfe an <strong>de</strong>n Plenarkonferenzen <strong>de</strong>r w est<strong>de</strong>utschen Bischofskonferenz mit Zustimmung<br />

von Papst Johannes XXIII. gebil<strong>de</strong>t, Nachfolgerin <strong>de</strong>r 1950 von Kardinal Preysing gegrün<strong>de</strong>ten<br />

Regionalkonferenz. Unter <strong>de</strong>r Leitung von Alfred Bengsch (1921-1979), ab 1961 Bischof von Berlin,<br />

1962 persönlicher Titel Erzbischof, 1967 Kardinal. 1976 umgewan<strong>de</strong>lt in die Berliner Bischofskonferenz,<br />

vergleichbar einer Regionalkonferenz w ie <strong>de</strong>r Bayerischen Bischofskonferenz; <strong>de</strong>r Berliner Bischof<br />

bleibt Mitglied Deutschen Bischofskonferenz, vertreten durch <strong>de</strong>n Generalvikar in Westberlin.<br />

1990, im Zuge <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Wie<strong>de</strong>rvereinigung, bil<strong>de</strong>n die bisher getrennten Versammlungen die gemeinsame<br />

Deutsche Bischofskonferenz.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Polnische Ereignisse<br />

Im Verlauf <strong>de</strong>r nächsten Jahre gehen die <strong>de</strong>utsch-polnischen Besprechungen <strong>de</strong>r Nachrichtendienste<br />

wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n gewohnten Themen nach. In einer „Konzeption“ vom 27.<br />

April 1966 soll mit <strong>de</strong>n „Sicherheitsorganen <strong>de</strong>r VR Polen und <strong>de</strong>r DDR<br />

auf <strong>de</strong>r Linie XX/4“ unter an<strong>de</strong>rem vereinbart wer<strong>de</strong>n: „Rechtzeitiges gegenseitiges<br />

Informieren und Bestätigung <strong>de</strong>r Richtigkeit <strong>de</strong>r<br />

Informationen durch die polnischen Sicherheitsorgane.“<br />

Als erster Punkt wird genannt: „Übergabe von kompromittieren<strong>de</strong>m Material<br />

über <strong>de</strong>utsche Bischöfe durch die polnischen Sicherheitsorgane.“<br />

Dies <strong>war</strong> in erster Linie eine Sache <strong>de</strong>s polnischen SB 20 . Zuständig <strong>war</strong> wohl<br />

die „Su<strong>de</strong>labteilung“, die offenbar in vielen Geheimdienst-Zentralen ihre eigene Werkstatt<br />

hat.<br />

Mit <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>s Polen Karol Wojtyla auf <strong>de</strong>n Papstthron am 16. Oktober 1978 beginnt<br />

auch für die <strong>de</strong>utsch-polnischen Spionageaktivitäten eine neue Phase. Diese zieht<br />

sich nun hin, mit <strong>de</strong>n bekannten dramatischen Ereignissen in <strong>de</strong>n 80er Jahren – bis in<br />

das Jahr, in <strong>de</strong>m die Mauer fällt. Das Hauptaugenmerk bei<strong>de</strong>r Seiten und <strong>de</strong>r Austausch<br />

<strong>de</strong>r Informationen konzentriert sich auf die Arbeiterstreiks, die Aktivität <strong>de</strong>r Intellektuellen,<br />

die „Kontakte zwischen <strong>de</strong>r illegalen ‚Solidarnosc‘ und <strong>de</strong>m<br />

Vatikan.“<br />

Das Jahr 1981 ist das polnische „annus horribilis“: Die Invasion von Truppen „befreun<strong>de</strong>ter“<br />

Staaten konnte nochmal abgewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Die 10. Panzerdivision<br />

„Heinz Hoffmann“ <strong>de</strong>r Nationalen Volksarmee <strong>war</strong>tete nur noch auf das Signal „Wintermarsch“.<br />

Aber in Rom <strong>war</strong> am 13. Mai auf <strong>de</strong>n „polnischen“ Papst geschossen wor<strong>de</strong>n,<br />

und sieben Monate später hat General Jaruzelski das Kriegsrecht über sein Land<br />

verhängt. Die ungarischen Kundschafter sind jetzt gefor<strong>de</strong>rt, die vatikanische Position<br />

herauszufin<strong>de</strong>n und nach Moskau zu mel<strong>de</strong>n, von wo sie dann auch nach Ostberlin gelangt.<br />

Nachfolgend eine knappe Auswahl <strong>de</strong>r dramatischen Informationen:<br />

▪ 28. Dezember 1981: Die Verhängung <strong>de</strong>s Kriegszustan<strong>de</strong>s in Polen hat im Vatikan<br />

große Besorgnis hervorgerufen. Dort wird <strong>de</strong>r Beginn eines Bürgerkrieges befürchtet,<br />

<strong>de</strong>r von ungeheuren Menschenverlusten begleitet sein wür<strong>de</strong>, was zur Einmischung<br />

<strong>de</strong>r Kräfte <strong>de</strong>s Warschauer Vertrages führen wür<strong>de</strong>. In <strong>de</strong>n Kreisen <strong>de</strong>s Vatikans<br />

wird angenommen, dass sich die Sowjetunion auch indirekt in die Ereignisse<br />

einmischen kann, zum Beispiel durch das „Verklei<strong>de</strong>n“ sowjetischer Soldaten.<br />

▪ 11. Januar 1982: <strong>Der</strong> Vatikan schließt die Möglichkeit einer sowjetischen Einmischung<br />

nicht aus. Hält sie für vorteilhafter als einen Bürgerkrieg, da die Opposition<br />

<strong>de</strong>r Massen gegenüber <strong>de</strong>r Ordnung ein<strong>de</strong>utig wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. <strong>Der</strong> Appell <strong>de</strong>s Papstes,<br />

ein Blutvergießen zu verhin<strong>de</strong>rn, ist <strong>de</strong>r versteckte Aufruf an die Massen von<br />

„Solidarnosc“, eine Einmischung in die Politik zu vermei<strong>de</strong>n und die Kräfte für die<br />

20 Sluzba Bezpiececzestw a (SB): polnischer Sicherheitsdienst, ab 1956 Nachfolgeorganisation <strong>de</strong>r politischen<br />

Polizei UB und <strong>de</strong>s Komitees für öffentliche Sicherheit KBP. Dem Ministerium <strong>de</strong>s Innern unterstellt.<br />

Während <strong>de</strong>r Militärregierung unter General Jaruzelski von Waffengeneral Czeslaw Kisczak besetzt.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Zeit nach Jaruzelski zur Durchsetzung <strong>de</strong>r Vereinbarungen von Gdansk aufzusparen.<br />

▪ 28. Januar 1982: Die Verhängung <strong>de</strong>s Ausnahmezustan<strong>de</strong>s in Polen ist nach Einschätzung<br />

vatikanischer Diplomatie nur eine Scheinlösung, da man ohne die Kirche<br />

und die „Solidarnosc“ nicht aus <strong>de</strong>r Krise herausfin<strong>de</strong>n wird. In <strong>de</strong>m wie<strong>de</strong>r aufgenommenen<br />

Dialog wer<strong>de</strong> die Meinung <strong>de</strong>r Regierung dominieren. Sie wer<strong>de</strong>n nach<br />

wie vor die Erfüllung <strong>de</strong>r drei For<strong>de</strong>rungen anstreben: Aufhebung <strong>de</strong>s Kriegsrechts,<br />

Freilassung <strong>de</strong>r Internierten und Beginn eines Dialogs zwischen <strong>de</strong>n drei Hauptkräften.<br />

Man hofft, dass die polnische Regierung bis Anfang Februar einen Teil dieser<br />

For<strong>de</strong>rungen erfüllt.<br />

▪ 9. Februar 1982: Nach Ansicht führen<strong>de</strong>r Kreise <strong>de</strong>s Vatikans sind <strong>de</strong>r italienische<br />

und <strong>de</strong>r west<strong>de</strong>utsche Episkopat mit <strong>de</strong>r Haltung von Johannes Paul II. zu Polen<br />

nicht einverstan<strong>de</strong>n. Sie beschuldigen ihn, nicht entsprechend <strong>de</strong>n Interessen <strong>de</strong>s<br />

Vatikans, son<strong>de</strong>rn von nationalistischer Position aus zu han<strong>de</strong>ln. Sie for<strong>de</strong>rn ihn unter<br />

Bezugnahme auf die Menschenrechte auf, entschie<strong>de</strong>ner gegen die Übernahme<br />

<strong>de</strong>r Macht durch die Militärs aufzutreten und die katholischen Kirchen <strong>de</strong>r ganzen<br />

Welt dazu aufzurufen.<br />

▪ 15. Februar 1982: Unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>r Ostpolitik <strong>de</strong>s Vatikans betrachtet<br />

Kardinal Casaroli die Tätigkeit <strong>de</strong>s Papstes, die Einfluss auf die Ereignisse in Polen<br />

hat, als ungünstig. Zur Ambition Casarolis gehört auch das Bestreben, Papst zu wer<strong>de</strong>n.<br />

▪ 7. September 1982: Materielle Hilfe für die Solidarnosc, vor allem Geld. Dieses fließt<br />

über die Vatikanbank IOR. Direktor ist Paul Marcinkus, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Banco Ambrosiano<br />

(Roberto Calvi) kooperiert. <strong>Der</strong> Papst legt Wert darauf, dass Marcinkus, <strong>de</strong>r<br />

auch als Reisemarschall und „Bodygard“ fungiert, „ge<strong>de</strong>ckt“ arbeitet, das heißt, dass<br />

für die Transaktionen an<strong>de</strong>re Kanäle benutzt wer<strong>de</strong>n. Zunächst wird eine Finanzhilfe<br />

von 25 Millionen Dollar bereitgestellt. 21<br />

▪ 9. November 1982: Die Ungarn mel<strong>de</strong>n: Finanzskandal. Die Casaroli-Kommission<br />

überprüft Buchungen <strong>de</strong>s IOR und stößt auf ein Son<strong>de</strong>rhilfsprogramm für die „Solidarnosc“.<br />

Für die Jahre von 1979 bis 1982 kommt eine Gesamtsumme von 65 Millionen<br />

Dollar zusammen. Für das Folgejahr sind weitere 35 Millionen vorgesehen.<br />

25 Prozent wür<strong>de</strong>n als Reservemittel für illegale Tätigkeit vorgehalten, ein Teil <strong>de</strong>s<br />

Gel<strong>de</strong>s für <strong>de</strong>n Kauf von Waffen, die auf <strong>de</strong>m Territorium Polens konzentriert wer<strong>de</strong>n<br />

sollten. Das Geld flösse über Banken, die mit <strong>de</strong>m IOR Verbindung halten, Institute<br />

in Nassau auf <strong>de</strong>n Bahamas und in Luxemburg. Auch das Opus Dei wird genannt.<br />

Die Absen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Geheimpost versichern, die Informationen stammten „aus kompetenter<br />

vatikanischer Quelle“ und seien „zuverlässig“. Diese Behauptung<br />

ist an dieser Stelle en <strong>de</strong>tail nicht zu überprüfen.<br />

21 <strong>Der</strong> „Banco“ w ird <strong>de</strong>n Vatikan kurz darauf in die schw erste Finanzkrise seiner Geschichte stürzen. Aus<br />

„moralischen Grün<strong>de</strong>n“ w ird die Kurie für eine halbe Milliar<strong>de</strong> Dollar gera<strong>de</strong>stehen müssen. <strong>Der</strong> Finanzjongleur<br />

Roberto Calvi und einige an<strong>de</strong>re Leute aus <strong>de</strong>r italienischen Geldmafia kommen im Verlauf<br />

einer dunklen Geschichte auf mysteriöse Weise ums Leben.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Eines kristallisiert sich aus <strong>de</strong>m Sammelsurium <strong>de</strong>r „Erkenntnisse“ heraus: Neben Kuriositäten,<br />

„Schmarrn“ wür<strong>de</strong> man in Bayern wohl sagen, bergen die Materialien auch<br />

Zündstoff, mit <strong>de</strong>m man Brän<strong>de</strong> hätte legen können. Die Entscheidung lag freilich bei<br />

<strong>de</strong>n politischen Führungen, die Dienste lieferten nur die Einschätzungen. Dass Polen<br />

<strong>de</strong>n Sowjets letztlich „zu heiß“ wur<strong>de</strong>, zeigt <strong>de</strong>r Verlauf <strong>de</strong>r weiteren Geschichte.<br />

1983 teilen Nachrichtendienste <strong>de</strong>r politischen Führung mit, dass man nicht mehr mit<br />

<strong>de</strong>r Möglichkeit rechnet, „dass die Solidarnosc wie<strong>de</strong>rkommt“. Sie sehen die<br />

Gewerkschaftsbewegung, nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>ren Führer durch Verhaftung, Internierung und<br />

Hausarrest durch die Militärregierung kaltgestellt wor<strong>de</strong>n <strong>war</strong>en, wohl am Bo<strong>de</strong>n liegen.<br />

Jetzt begnüge man sich damit, dass die aus <strong>de</strong>m Westen eintreffen<strong>de</strong> Hilfe (Lebensmittel,<br />

Bekleidung usw.) gegen die Staatsmacht eingesetzt wer<strong>de</strong>n kann. „Diese Hilfe<br />

wird vom Vatikan aus organisiert und über die Caritas realisiert.“<br />

Aber <strong>de</strong>r „Alarmzustand“ ist nicht aufgehoben. Johannes Paul II. wird zu<br />

seinem zweiten Heimatbesuch 22 er<strong>war</strong>tet. Das MfS registriert: „<strong>Der</strong> „Untergrund“<br />

möchte, daß <strong>de</strong>r Papst auch diesmal <strong>de</strong>n Kurs fortsetzt, <strong>de</strong>n er während seines Besuches<br />

1979 eingeschlagen hat.“<br />

Wie <strong>de</strong>r amerikanische Papst-Biograph George Weigel schreibt 23 , <strong>war</strong> diese zweite<br />

Pastoralreise nach Polen von Trauer überschattet, ausgelöst durch die Zerrissenheit <strong>de</strong>s<br />

Lan<strong>de</strong>s und seiner Menschen. Eine Wie<strong>de</strong>rgeburt <strong>de</strong>r Solidarnosc sei nicht nur durch<br />

das rohe Vorgehen <strong>de</strong>r Regierung gegen die Opposition verhin<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn<br />

auch durch <strong>de</strong>n Zusammenbruch <strong>de</strong>r flammen<strong>de</strong>n Solidarität unter <strong>de</strong>n Polen, die ihr<br />

Landsmann auf <strong>de</strong>m Papstthron vier Jahr zuvor entzün<strong>de</strong>t hatte.<br />

Ursprünglich habe Johannes Paul II. vorgehabt, schon 1982 ein zweites Mal nach Polen<br />

zu reisen, schreibt Weigel. Anlass wäre das 600jährige Jubiläum <strong>de</strong>s Gna<strong>de</strong>nbil<strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>r Sch<strong>war</strong>zen Madonna von Tschenstochau gewesen. Das herrschen<strong>de</strong> Kriegsrecht<br />

habe <strong>de</strong>n Plan jedoch vereitelt.<br />

Auch 1983 zeigte sich das Jaruzelski-Regime wenig kooperativ. So wollte die Staatssicherheit<br />

allein die Routen festlegen, auf <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Papst durch Polen fahren sollte. Man<br />

wür<strong>de</strong> unterwegs ein dichtes Netz von Personen-Kontrollstellen für die er<strong>war</strong>teten Pilgerströme<br />

einrichten. Die Sicherheitsorgane ließen sich ein eher plumpes als raffiniertes<br />

Argument einfallen: Die CIA wolle einen Zwischenfall organisieren und ihn anschließend<br />

<strong>de</strong>r polnischen Regierung in die Schuhe schieben.<br />

<strong>Der</strong> schwierigste Punkt aber sei <strong>de</strong>r Wunsch <strong>de</strong>s Papstes gewesen, sich mit Lech<br />

Walesa zu treffen, erfährt George Waigel bei seinen Recherchen im Vatikan. Innenminister<br />

General Czeslaw Kiszcak habe dieses Thema mit <strong>de</strong>m päpstlichen Reisemarschall<br />

Jesuitenpater Roberto Tucci besprochen. Warum <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Papst unbedingt „diesen<br />

Burschen“ (<strong>de</strong>r Geheimdienstgeneral habe es vermie<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s Gewerkschaftsführers<br />

zu nennen) sehen wolle, „diesen Mann, <strong>de</strong>r nieman<strong>de</strong>n in<br />

diesem Land vertritt“? Tucci sei es aber gelungen, auch zur Überraschung <strong>de</strong>s<br />

22 Zweite Polenreise vom 16. bis 23. Juni 1983: Warschau, Niepokalanow, Tschenstochau, Posen, Kattow<br />

itz, Breslau, St. Annaberg, Krakau.<br />

23 Vgl. George Weigel: Witness to Hope. The Biography of Pope John Paul II, New York 1999.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Papstes, die Behör<strong>de</strong>n zu <strong>de</strong>r Zusage zu bewegen, ausreichen<strong>de</strong> Sen<strong>de</strong>zeit für Übertragungen<br />

im staatlich kontrollierten Rundfunk bereitzustellen. Die Menschen sollten im<br />

ganzen Land und zur selben Zeit die Ansprachen von Johannes Paul II., die Stimme<br />

„ihres“ Papstes hören können.<br />

Wir nähern uns <strong>de</strong>m En<strong>de</strong>. Das Jahr 1988 sieht allerdings weiter einen regen Informationsaustausch:<br />

Armeegeneral Mielke und <strong>de</strong>r polnische Waffengeneral Kisczak führen<br />

am 27. Juni 1988 ein Gespräch. <strong>Der</strong> Pole bekun<strong>de</strong>t sein „Interesse am Erhalt<br />

von periodischen Einschätzungen und Informationen bezüglich<br />

von Erscheinungen, Formen und Initiativen verschie<strong>de</strong>ner oppositioneller<br />

und antisozialistischer Strukturen und Fakten in<br />

<strong>de</strong>r DDR unter beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung <strong>de</strong>r Beziehungen zu<br />

polnischen politischen Gegnern.“<br />

Im Gegenzug bietet <strong>de</strong>r polnische Gesprächspartner an: „Unsererseits stellen<br />

wir solche Einschätzungen <strong>de</strong>r OG 24 bei <strong>de</strong>r Botschaft <strong>de</strong>r DDR in<br />

Warzawa zur Verfügung.“ Er fügt hinzu: „Ich wür<strong>de</strong> mich freuen, wenn<br />

Sie meine Meinung teilen wür<strong>de</strong>n, dass die Notwendigkeit besteht,<br />

<strong>de</strong>n bisherigen Charakter auf diesem Bereich <strong>de</strong>r Zusammenarbeit<br />

um ein zusätzliches Element zu erweitern, das die<br />

offensive Bearbeitung auf <strong>de</strong>m Abschnitt Vatikan betreffen wür<strong>de</strong>,<br />

und z<strong>war</strong> die Platzierung von Personen an solchen Stellen<br />

<strong>de</strong>s Vatikans, die die feindlichen Aktivitäten <strong>de</strong>s Vatikans beeinträchtigen<br />

könnten.“ Wie sagte Ex-CIA Direktor Gates 2007 in München:<br />

„Old Spys“ sprechen eine klare Sprache.<br />

Bis die Mauer fällt<br />

Es gilt weiterhin: Das Feindbild Vatikan bleibt. 1986 <strong>war</strong> ein „Perspektivplan“ für die<br />

Zusammenarbeit zwischen <strong>de</strong>r HA XX <strong>de</strong>s MfS und <strong>de</strong>m III. Department <strong>de</strong>s polnischen<br />

Innenministeriums festgelegt wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r abgestimmte Maßnahmen zur Bekämpfung<br />

klerikaler Organisationen, koordiniertes Vorgehen gegenüber <strong>de</strong>m Vatikan sowie<br />

zur operativen Kontrolle <strong>de</strong>r Kontakte zwischen <strong>de</strong>r katholischen Kirche in <strong>de</strong>r DDR<br />

und <strong>de</strong>r VR Polen vorsah. Dabei <strong>war</strong>en insbeson<strong>de</strong>re die in <strong>de</strong>r DDR leben<strong>de</strong>n polnischen<br />

Priester, die am <strong>Kath</strong>olikentreffen 1987 in Dres<strong>de</strong>n teilnehmen wür<strong>de</strong>n, zu beobachten.<br />

Ein baldiges En<strong>de</strong> ihrer Diensttätigkeit hatten die Stasi-Offiziere diesseits und jenseits<br />

<strong>de</strong>r O<strong>de</strong>r wohl noch nicht vor Augen. Ihr Plan schloss das Jahr 1990 mit ein. Diese bilateralen<br />

Vereinbarungen wur<strong>de</strong>n ergänzt durch Absprachen mit an<strong>de</strong>ren Sicherheitsorganen<br />

„<strong>de</strong>r befreun<strong>de</strong>ten Staaten“, zum Beispiel mit <strong>de</strong>n Sowjets, <strong>de</strong>n Ungarn,<br />

<strong>de</strong>n Tschechen und <strong>de</strong>n Slowaken. Die gemeinsamen „Maßnahmepläne“ <strong>de</strong>r Kirchenabteilungen<br />

kennen nur ein Thema und Ziel: Bekämpfung klerikaler Zentren und<br />

24 OG: Operativgruppe <strong>de</strong>s MfS in <strong>de</strong>r VR Polen.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

<strong>de</strong>r kirchlichen Feindorganisationen. Das sind <strong>de</strong>r Vatikan, <strong>de</strong>r Lutherische Weltbund,<br />

<strong>de</strong>r Ökumenische Rat <strong>de</strong>r Kirchen, die Christliche Frie<strong>de</strong>nskonferenz, die Berliner Konferenz<br />

Europäischer Christen.<br />

Im Jahr, in <strong>de</strong>m das System kollabieren wird, halten sie <strong>immer</strong> noch an ihrer Überzeugung<br />

fest – manche auch dann noch, als die Mauer längst in Scherben gefallen <strong>war</strong>. Die<br />

„sozialistische Verbrü<strong>de</strong>rung“ ist bei einigen <strong>de</strong>r bisherigen „Freun<strong>de</strong>“ <strong>de</strong>m politischen<br />

Egoismus gewichen: Wie schaffen wir schnell und möglichst schmerzlos <strong>de</strong>n Abschied<br />

von <strong>de</strong>r „Volks<strong>de</strong>mokratie“? Da beraten im März 1989 die <strong>immer</strong> noch für <strong>de</strong>n Kirchenkampf<br />

gerüsteten Kalten Krieger aus Ostberlin und Warschau über die alten Strategien:<br />

„Festlegung abgestimmter Maßnahmen zur Bekämpfung von Personen<br />

und Gruppieren politischer Untergrundtätigkeit und<br />

feindlicher Kräfte im Operationsgebiet, klerikaler Organisationen,<br />

<strong>de</strong>s koordinierten Vorgehens gegenüber <strong>de</strong>m Vatikan sowie<br />

zur operativen Kontrolle <strong>de</strong>r Kontakte zwischen <strong>de</strong>r katholischen<br />

Kirche in <strong>de</strong>r DDR und <strong>de</strong>r VR Polen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r<br />

polnischen Priester in <strong>de</strong>r DDR.“<br />

<strong>Der</strong> Terminplaner <strong>de</strong>r Hauptabteilung XX <strong>de</strong>s MfS vom 17. Oktober 1989 –<br />

„streng vertraulich“ – sieht „Arbeitsberatungen mit <strong>de</strong>n Sicherheitsorganen<br />

<strong>de</strong>r befreun<strong>de</strong>ten sozialistischen Staaten“ auch für<br />

das Jahr 1990 vor. Für eine Konferenz in Berlin, vorgesehen im ersten Quartal, sind drei<br />

Tage angesetzt. Die Themen sind mehr o<strong>de</strong>r weniger die selben wie bei <strong>de</strong>n vorausgegangenen<br />

Koordinierungsgesprächen: „Bekämpfung innerer und äußerer<br />

feindlicher Kräfte und ihrer Aktivitäten zur Formierung antisozialistischer<br />

Oppositionsbewegungen“. Da gab es natürlich in <strong>de</strong>n<br />

Hauptstädten für die Stasi einiges zu tun. Kirchenräume – „klerikale Zentren<br />

und kirchliche Feindorganisationen“ – <strong>war</strong>en für Stasi-Lauscher und Provokateure<br />

kein Tabu. Ebenso blieben auf höherer Ebene die IM und V-Männer, Gewährsleute<br />

und Zubringer im „Fronteinsatz“: gegen <strong>de</strong>n Vatikan, die Kirchenzentralen<br />

in Genf, und erstmals wird auch <strong>de</strong>r Jüdische Weltkongress als Zielobjekt genannt.<br />

Auf schmalem Grat<br />

Wie im „kleinen Grenzverkehr“, so funktionierte die Kooperation auf internationalem<br />

Gebiet. <strong>Der</strong> Informationsaustausch erfolgte in <strong>de</strong>r lingua franca <strong>de</strong>s Warschauer Paktes,<br />

also auf Russisch. Die „Lieferanten“ in Rom legten nicht nur eine erhebliche Sammellei<strong>de</strong>nschaft<br />

an <strong>de</strong>n Tag, wie die Fülle <strong>de</strong>r Papiere zeigt, die sehr zum Erstaunen <strong>de</strong>r<br />

Mitarbeiter <strong>de</strong>r „Birthler-Behör<strong>de</strong>“ vorgefun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n. Sie „bedienten“ die jeweiligen<br />

nationalen Dienste entsprechend <strong>de</strong>n dortigen speziellen Interessen. Werner Großmann:<br />

„Sicher <strong>war</strong> die Haltung <strong>de</strong>s Vatikans in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Phasen <strong>de</strong>s Kalten<br />

Krieges für uns nicht uninteressant, und wir sammelten auch entsprechen<strong>de</strong> Informationen“.<br />

Aber sonst sei <strong>de</strong>r Vatikan für das MfS nie von beson<strong>de</strong>rem Interesse gewesen,<br />

erklärt <strong>de</strong>r frühere Leiter <strong>de</strong>s Nachrichtendienstes <strong>de</strong>r Stasi. „Uns interessierten in erster<br />

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Linie die <strong>de</strong>utschen Fragen, sowie die NATO.“ Was „die ND-Tätigkeit 25 in Richtung<br />

Vatikan“ betroffen habe, „<strong>war</strong> das bei uns kein Schwerpunkt“.<br />

Die „<strong>de</strong>utschen Fragen“: Diese betrafen zunächst das hartnäckige und mit propagandistischem<br />

Aufwand betriebene Festhalten an <strong>de</strong>r „staatlichen Souveränität“ <strong>de</strong>r DDR<br />

statt Wie<strong>de</strong>rvereinigung. Offizielle Beziehungen zum Heiligen Stuhl, mit einem Apostolischen<br />

Nuntius in Ostberlin und selbständigen Bistümern innerhalb <strong>de</strong>r Staatsgrenzen,<br />

stan<strong>de</strong>n ganz oben auf <strong>de</strong>r Wunschliste, um die internationale Reputation aufzupolieren.<br />

Die Verhandlungen mit <strong>de</strong>m vatikanischen „Chefdiplomaten“ und „Architekten <strong>de</strong>r<br />

Ostpolitik“ <strong>war</strong>en nicht nach Wunsch Ostberlins verlaufen. Papst Johannes Paul II. hatte<br />

die Linie seines Vorgängers Paul VI. korrigiert und die Uhr auf langsam gestellt. Für<br />

<strong>de</strong>n Polen auf <strong>de</strong>m Papstthron stand <strong>de</strong>r Ausgang <strong>de</strong>r Geschichte, als er sein Pontifikat<br />

aufnahm, wahrscheinlich vorhersehbar fest.<br />

<strong>Der</strong> Ostblock begann sich zu <strong>de</strong>stabilisieren. Es kam nur noch darauf an, welches <strong>de</strong>r<br />

erste Dominostein sein wür<strong>de</strong>. Die Bischöfe in Ost- und West<strong>de</strong>utschland könnten<br />

wohl etwas <strong>de</strong>utlicher wer<strong>de</strong>n und nicht auf hun<strong>de</strong>rt Jahre <strong>war</strong>ten. Für <strong>de</strong>n Ostberliner<br />

Auslandsnachrichtendienst saßen die härteren Gegner, die man wohl ernster nahm,<br />

nicht in <strong>de</strong>r „Ortskirche“, son<strong>de</strong>rn in Rom: <strong>de</strong>r Pole an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r Kirche, <strong>de</strong>r Deutsche<br />

an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r Glaubensbehör<strong>de</strong>: das Team Wojtyla-Ratzinger. Man ist versucht,<br />

gewisse Parallelen zur Zeit <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges zu ziehen.<br />

Versuche, in die Gedanken und Worte <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n hereinzuhören, scheiterten mehr<br />

o<strong>de</strong>r weniger. Ost<strong>de</strong>utsche Kleriker, die bei Hofe vorgelassen wur<strong>de</strong>n, kehrten mit Informationen<br />

zurück, die je<strong>de</strong>r katholischen Nachrichtenagentur zu entnehmen <strong>war</strong>en<br />

o<strong>de</strong>r faselten etwas zusammen, <strong>immer</strong> auf <strong>de</strong>m schmalen Grad, die eigene Kirche zu<br />

verraten und es sich nicht mit <strong>de</strong>n Staatsorganen zu verscherzen, auf <strong>de</strong>ren Wohlwollen<br />

man in <strong>de</strong>r Heimatgemein<strong>de</strong> angewiesen <strong>war</strong>. <strong>Der</strong> Autor dieser Arbeit will es bei allgemeinen<br />

Bemerkungen aus vertraulichen Gesprächen belassen. Die Kluft zwischen wahr<br />

und unwahr und „nichts gewusst und nichts gesagt“ ist in manchen Punkten unüberbrückbar.<br />

Deckeln, Schweigen und an<strong>de</strong>re Verfahren, <strong>de</strong>n Mantel <strong>de</strong>r Vergebung über<br />

alte Sün<strong>de</strong>n zu <strong>de</strong>cken, bekommt zu spüren, wer sich in die Materie vertieft.<br />

In <strong>de</strong>n zurückliegen<strong>de</strong>n Jahrzehnten hat sich <strong>de</strong>r Verfasser <strong>immer</strong> wie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Situation<br />

<strong>de</strong>r Kirchen „hinter <strong>de</strong>m Eisernen Vorhang“ beschäftigt, <strong>de</strong>n Leidtragen<strong>de</strong>n eine<br />

Stimme zu geben. Wenn das Visum verweigert wur<strong>de</strong>, <strong>war</strong> man auf Informationen aus<br />

zweiter Hand angewiesen. Auf <strong>de</strong>n Veranstaltungen in „Königstein“, im „Haus <strong>de</strong>r Begegnung“,<br />

<strong>de</strong>m „Vaterhaus <strong>de</strong>r katholischen Vertriebenen aus <strong>de</strong>m Osten“, von „Kirche<br />

in Not“ und <strong>de</strong>r „Ostpriesterhilfe“, für die <strong>de</strong>r legendäre „Speckpater Werenfried van<br />

Straaten“ steht, liefen die Nachrichten <strong>de</strong>s „Samisdat“ zusammen. Ebenso in Zürich bei<br />

„Glauben in <strong>de</strong>r Zweiten Welt“. Polen, die baltischen Sowjetrepubliken, Ungarn, die<br />

Ukraine bil<strong>de</strong>ten Schwerpunkte, und ganz beson<strong>de</strong>rs die Nachbarn auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite<br />

<strong>de</strong>s Bayerischen und <strong>de</strong>s Böhmerwal<strong>de</strong>s.<br />

Die Kirche in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei musste, von Albanien vielleicht abgesehen, seit<br />

<strong>de</strong>r stalinistischen Zeit die rü<strong>de</strong>ste Form <strong>de</strong>r Verfolgung ertragen. Gelegentlich gelang<br />

25 ND: Nachrichtendienst.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Zeugen <strong>de</strong>r Weg in <strong>de</strong>n Westen, o<strong>de</strong>r die Nachrichten erreichten Freun<strong>de</strong> und Bekannte<br />

im Exil. Natürlich <strong>war</strong> <strong>de</strong>r <strong>Spitzel</strong> <strong>immer</strong> irgendwie <strong>dabei</strong>, ob man in <strong>de</strong>r Pressekonferenz<br />

in Königstein saß o<strong>de</strong>r sich auf <strong>de</strong>n Weg zu einem Hintergrundgespräch machte.<br />

Denn die Flüchtlings- und Vertriebenenorganisationen durften sich <strong>de</strong>s beson<strong>de</strong>ren Interesses<br />

<strong>de</strong>r Staatssicherheitsorgane aus Prag, Ostberlin und so weiter sicher sein. Ebenso<br />

gerieten Priester und Bischöfe, die sich von <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik o<strong>de</strong>r von Österreich<br />

um die <strong>Kath</strong>oliken in Böhmen, Mähren und <strong>de</strong>r Slowakei kümmerten, in <strong>de</strong>n Fokus <strong>de</strong>r<br />

östlichen Geheimdienste. Die Bischöfe von München, Köln, Essen und Pa<strong>de</strong>rborn<br />

stan<strong>de</strong>n – sie konnten nicht überrascht sein – ganz oben auf <strong>de</strong>r Gegner-Liste.<br />

Wo ND-Agenten <strong>de</strong>r Zutritt erschwert <strong>war</strong>, wur<strong>de</strong> versucht, im christlichen Gewand<br />

auftreten<strong>de</strong> Informanten einzuschleusen: die Christliche Frie<strong>de</strong>nskonferenz in Prag, mit<br />

<strong>de</strong>m System sympathisieren<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r wenigstens zur Kollaboration bereite Priesterorganisationen<br />

wie die später durch <strong>de</strong>n Vatikan verbotene Gruppierung „Pacem in terris“ in<br />

<strong>de</strong>r CSSR, sowie einige als „linkskatholisch“ etikettierte west<strong>de</strong>utsche Kreise sollten die<br />

Plattform geben. In <strong>de</strong>n Informationen <strong>de</strong>s MfS tauchte jetzt ein Prager Studien-Institut<br />

(Studijni Institut) auf, das ver<strong>de</strong>ckt mit <strong>de</strong>r Hauptabteilung Kirchenfragen <strong>de</strong>s Innenministeriums<br />

zusammenarbeitete. Schwerpunkt <strong>de</strong>r „Studienarbeit“: Die Politik <strong>de</strong>s Vatikans<br />

und <strong>de</strong>s Weltkirchenrates. Vorrang bei <strong>de</strong>r Informationsbeschaffung hatten natürlich<br />

für die DDR die Beziehungen <strong>de</strong>s Vatikans zu Polen, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Nachbarstaat galt allein<br />

schon auf Grund seiner geopolitischen Lage im sozialistischen Machtbereich speziell<br />

für die Achse Ostberlin-Moskau als Unsicherheitsfaktor Nummer eins. Die Wahl<br />

eines polnischen Bischofs zum Papst und <strong>de</strong>ssen Unterstützung <strong>de</strong>s Protestes aus <strong>de</strong>m<br />

Volk ließ in <strong>de</strong>n Parteizentralen die Alarmglocken schrillen. Erich Honecker <strong>war</strong> <strong>de</strong>r<br />

Erste und Schärfste, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Geheimkonferenz vom 5. Dezember 1980 in Moskau<br />

gegen die Warschauer Genossen zu Fel<strong>de</strong> zog.<br />

Auch <strong>de</strong>n Kelch nahmen sie mit<br />

Aus <strong>de</strong>r Tschechoslowakei gelangten die schlimmsten Meldungen in <strong>de</strong>n Westen. Die<br />

Kommunisten gebär<strong>de</strong>ten sich auch noch nach <strong>de</strong>n stalinistischen Verfolgungsaktionen<br />

gegen die katholische Kirche in <strong>de</strong>n 50er Jahren wie besessen. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Klerus<br />

bekam <strong>de</strong>n Hass zu spüren. Priester wur<strong>de</strong>n willkürlich verhaftet, eingesperrt, zu „niedrigen“<br />

Arbeiten gezwungen, um sie in aller Öffentlichkeit zu <strong>de</strong>mütigen. Es genügte offenbar<br />

nicht, die neue Weltanschauung mit rü<strong>de</strong>sten Mitteln durchzusetzen. Die Kommunisten<br />

meinten wohl, so scheint es, als müssten sie alte historische Rechnungen gegen<br />

die ehemaligen Herren über Böhmen, das einstige katholische Habsburg, begleichen.<br />

Als Beispiel sei <strong>de</strong>r Fall eines Dominikanermönchs in Erinnerung gerufen, über<br />

<strong>de</strong>ssen Erfahrungen in einem sozialistischen Willkürstaat das Zweite Deutsche Fernsehen<br />

Anfang 1990 berichtete. 26<br />

26 Aus: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong> – Eine unglaubliche Wen<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r CSSR. Dokumentation von Werner<br />

Kaltefleiter, ZDF vom 7. Februar 1990.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Jaroslav Duka arbeitet bei Skoda als sogenannter Reißer. Er bereitet Werkstücke für<br />

die Herstellung von Horizontalbohrmaschinen vor. Das macht er fachmännisch. Und<br />

doch ist dies nicht sein eigentlicher Beruf. Jaroslav Duka ist Priester. Er gehört <strong>de</strong>m Or<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Predigerbrü<strong>de</strong>r an, er ist Dominikaner und Oberer seines Or<strong>de</strong>ns in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei.<br />

Nach <strong>de</strong>r Schule wollte er das Priesterseminar besuchen. Aber er musste auf Grund<br />

<strong>de</strong>r scharfen Kirchengesetze zunächst einen Handwerksberuf erlernen und <strong>de</strong>n Wehrdienst<br />

absolvieren. 1970 wur<strong>de</strong> er zum Priester geweiht – von Kardinal Trochta, <strong>de</strong>r<br />

1974 nach einem Verhör auf ungeklärte Weise starb.<br />

Pater Duka ging in die Pfarrseelsorge. 1975 wur<strong>de</strong> ihm die staatliche Genehmigung<br />

entzogen. Unter an<strong>de</strong>rem, weil er es abgelehnt hatte, <strong>de</strong>r vom Regime geför<strong>de</strong>rten und<br />

von Rom verbotenen Priestervereinigung „Pacem in terris“, das heißt „Frie<strong>de</strong>n auf Er<strong>de</strong>n“,<br />

mitzuarbeiten. Seit dieser Zeit arbeitet er bei Skoda. Unter <strong>de</strong>n neuen Kollegen<br />

verspürte Jaroslav Duka starke persönliche Solidarität. Sie <strong>war</strong>en beeindruckt, dass einer,<br />

<strong>de</strong>r so viel durchgemacht hatte, ein guter Mensch geblieben ist. Und sie <strong>war</strong>nten ihn<br />

rechtzeitig, wenn wie<strong>de</strong>r einmal die Staatssicherheit Erkundigungen einholte.<br />

Pater Duka hat seinen Arbeitsvertrag En<strong>de</strong> Januar 1990 been<strong>de</strong>t. Es <strong>war</strong> eine Zeit, die<br />

ihm ganz neue seelsorgliche Erfahrungen vermittelt hat. Er teilt eine Privatwohnung in<br />

einem Arbeiterviertel mit zwei Mitbrü<strong>de</strong>rn. Auch die Mitbrü<strong>de</strong>r gehen tagsüber in die<br />

Fabrik. <strong>Der</strong> eine ebenfalls bei Skoda, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re als Elektroingenieur in <strong>de</strong>r Nachbarstadt.<br />

Nach einer internen Anweisung <strong>de</strong>r kommunistischen Partei sollten Priester mit<br />

Berufsverbot harte körperliche Arbeit leisten. Pater Wojtek stammt aus <strong>de</strong>r Slowakei. Er<br />

wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n 80er Jahren zum Priester geweiht, hat dies aber seinem Vater bis heute<br />

verschwiegen. Er glaubt, dass <strong>de</strong>r Vater Angst um seinen Sohn gehabt hätte.<br />

Im Keller <strong>de</strong>s Hauses hatten sie eine Privatkapelle eingerichtet: Eine „Kirche in <strong>de</strong>r<br />

Katakombe“. Die Privatgottesdienste in <strong>de</strong>r Privatkapelle blieben <strong>de</strong>n <strong>Spitzel</strong>n nicht<br />

lange verborgen. 1981 griff die Geheimpolizei zu, nach einer Eucharistiefeier, an <strong>de</strong>r eine<br />

Familie aus Pilsen und zwei Priester aus <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland teilgenommen<br />

hatten. Das Mobiliar, die liturgischen Geräte und selbst die Or<strong>de</strong>nstracht wur<strong>de</strong>n<br />

beschlagnahmt, mit <strong>de</strong>r Begründung, es han<strong>de</strong>le sich um Instrumente zur Vorbereitung<br />

einer kriminellen Handlung. Pater Duka erhielt fünfzehn Monate Gefängnis, weil<br />

er gegen die Aufsicht <strong>de</strong>s Staates über die Kirchen und Religionsgemeinschaften verstoßen<br />

habe. (Am 24. Juli 1981 <strong>war</strong> Pater Duka verhaftet wor<strong>de</strong>n. Nach vier Monaten kam<br />

es zum Prozess. Dann das Urteil und Anrechnung <strong>de</strong>r Untersuchungshaft.)<br />

En<strong>de</strong> Januar 1990: Wir begleiten Pater Duka in die Haftanstalt Bory in einem Vorort<br />

von Pilsen, wo er seine Strafe abgesessen hat. Für uns alle ein beklemmen<strong>de</strong>s Gefühl.<br />

Für uns alle überraschend. Das Gefängnistor öffnet sich für die Fernsehkamera. „Glasnost“<br />

auch in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong>. Ein Major, <strong>de</strong>r früher<br />

für die „Erziehung“ <strong>de</strong>r Gefangenen zuständig <strong>war</strong>, ist jetzt stellvertreten<strong>de</strong>r Direktor<br />

<strong>de</strong>r Haftanstalt. „Sie wollten aus uns einen neuen Menschen sozialistischen Typs machen“,<br />

sagt Pater Duka. Man sprach nie von einem Gefängnis, son<strong>de</strong>rn von einer Besserungsanstalt.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

„Wie<strong>de</strong>rsehen“ mit <strong>de</strong>r Zelle, in <strong>de</strong>r Pater Duka einsaß. Sein Nachbar <strong>war</strong> Vaclav Havel,<br />

inzwischen zum Staatspräsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r neuen Tschechoslowakei gewählt. „Wir <strong>war</strong>en<br />

Nachbarn“, sagt Pater Duka, „und hatten die Möglichkeit, nach <strong>de</strong>r Arbeit beim<br />

Spaziergang im Gefängnishof und auch von Zelle zu Zelle miteinan<strong>de</strong>r zu sprechen. Er<br />

<strong>war</strong> <strong>de</strong>r erste, <strong>de</strong>r mir ausgeholfen hat: mit Tee und mit <strong>de</strong>m sogenannten ‚Bory-Geld‘,<br />

<strong>de</strong>r Gefängniswährung, mit <strong>de</strong>r Häftlinge Kleinigkeiten im Gefängnisla<strong>de</strong>n kaufen<br />

konnten. Wir haben über Literatur, Geschichte, Religion gesprochen. Das <strong>war</strong> das<br />

Wichtigste, wichtiger, als materielle Dinge zu tauschen.“ Gedankenaustausch als geistiges<br />

Lebensmittel.<br />

„Politische Häftlinge haben es <strong>immer</strong> so empfun<strong>de</strong>n, in beson<strong>de</strong>rer Weise diskriminiert<br />

wor<strong>de</strong>n zu sein, in<strong>de</strong>m man sie mit gewöhnlichen Strafgefangenen zusammenschloss.<br />

Aber das <strong>war</strong> nicht mein Problem und auch nicht für Vaclav Havel. Er <strong>war</strong> mit<br />

allen Häftlingen solidarisch. Und die ‚unpolitischen‘ Häftlinge haben das gedankt. Sie<br />

haben uns sehr oft geholfen. Insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>r Arbeit. Sie hatten ja spezielle Gefängniserfahrungen<br />

und haben uns vor <strong>de</strong>n echten Kriminellen geschützt.“ Im Gefängnis<br />

musste er für Skoda Kleinteile für Telefonanlagen vorbereiten. Das Plansoll <strong>war</strong> wie<br />

üblich hoch, die Norm für Ungeübte kaum zu leisten.<br />

Wer die Arbeit nicht schaffte, musste mit drakonischen Strafen rechnen. Schnell <strong>war</strong><br />

ein „Sabotage“-Urteil gefällt. Es folgte das, was die Willkürjustiz als „Korrektur“ bezeichnete.<br />

Dafür gab es einen beson<strong>de</strong>ren Raum im „Keller“: Eine kleine Zelle mit kahlen<br />

Betonwän<strong>de</strong>n, und nur mit einer Holzpritsche „möbliert“. Auch Pater Duka lernte<br />

<strong>de</strong>n „Keller“ kennen, zweimal. Nicht, weil er die Arbeitsnorm nicht erfüllt hätte. Man<br />

<strong>war</strong>f ihm vor, unerlaubtes Eigentum zu besitzen. <strong>Der</strong> Schließer hatte, wie sich herausstellte<br />

und womit je<strong>de</strong>rzeit gerechnet wer<strong>de</strong>n musste, in Abwesenheit <strong>de</strong>s Häftlings <strong>de</strong>ssen<br />

Zelle „gefilzt“ und Pater Dukas Brevier gefun<strong>de</strong>n, das dieser für seine täglichen<br />

priesterlichen Pflichtgebete benutzte. Ein an<strong>de</strong>res Mal „ent<strong>de</strong>ckte“ <strong>de</strong>r Wärter ein spanisches<br />

Wörterbuch. Das wur<strong>de</strong> als unerlaubter „Besitz“ geahn<strong>de</strong>t.<br />

Nach zwei Stun<strong>de</strong>n Filmaufnahmen sind wir wie<strong>de</strong>r draußen. Alle sind erleichtert, die<br />

peinliche Situation einigermaßen überstan<strong>de</strong>n zu haben. Wir verabschie<strong>de</strong>n uns. Natürlich<br />

sagt man an einem solchen Ort nicht „Auf Wie<strong>de</strong>rsehen“. Wie selbstverständlich<br />

kommt uns <strong>de</strong>r vertraute Gruß über die Lippen, <strong>de</strong>r selbst – wenn auch nicht gera<strong>de</strong><br />

lautstark – in <strong>de</strong>r kirchenfeindlichsten Zeit galt: „Z’bohem“ – „Mit Gott“.<br />

Ein „pazifistischer“ Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt<br />

Zu <strong>de</strong>n „<strong>de</strong>utschen Fragen“ zählten auch innenpolitische Vorgänge <strong>de</strong>r „Bonner Republik“.<br />

En<strong>de</strong> Juni 1969 erhält die Abteilung X <strong>de</strong>s MfS 27 eine Information <strong>de</strong>r ungari-<br />

27 Abteilung X: Internationale Verbindungen. Leiter: Generalmajor Willi Damm (direkt <strong>de</strong>m Minister fü r<br />

Staatssicherheit, Armeegeneral Erich Mielke, Mitglied <strong>de</strong>s Politbü ros <strong>de</strong>r SED, unterstellt). Aufgabenstellung:<br />

Koordinierung <strong>de</strong>r Zusammenarbeit und <strong>de</strong>r Beziehungen <strong>de</strong>r Diensteinheiten <strong>de</strong>s MfS zu an<strong>de</strong>ren<br />

Sicherheitsorganen sozialistischer Län<strong>de</strong>r sow ie Gestellung von Dolmetschern (Übersetzungsdienst),<br />

im Amts<strong>de</strong>utsch <strong>de</strong>r Stasi: Erledigung „sprachmittlerischer Aufgaben“.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

schen Sicherheitsorgane. 28 Die Agenten berichten aus Rom: „Unseren Informationen<br />

zufolge ist man in diplomatischen Kreisen <strong>de</strong>s Vatikans<br />

über die Wahl Heinemanns 29 zum Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r BRD nicht erfreut“.<br />

Man halte ihn z<strong>war</strong> „nach seinen persönlichen Eigenschaften“<br />

für einen „symphatischeren“ Menschen als Schrö<strong>de</strong>r 30 , sei aber <strong>de</strong>r Meinung,<br />

„dass er wegen seiner pazifistischen Ansichten und seiner Zugehörigkeit<br />

zur protestantischen Kirche weniger für <strong>de</strong>n Posten<br />

<strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten geeignet ist als Schrö<strong>de</strong>r.“<br />

Heinemann sei auch gegen eine „Verschmelzung <strong>de</strong>r katholischen und<br />

protestantischen Kirche“, er gebe „<strong>de</strong>r Herstellung eines Bündnisses<br />

zwischen ihnen unter Führung <strong>de</strong>r protestantischen Kirche<br />

<strong>de</strong>n Vorzug“. Die ungarischen Genossen wollen erfahren haben, dass es <strong>de</strong>m Vatikan<br />

auch nicht gefalle, „dass Heinemann Verfechter <strong>de</strong>r Trennung von Kirche<br />

und Staat ist.“<br />

Was sich da liest, als han<strong>de</strong>le sich um Premium-Qualität aus <strong>de</strong>m vatikanischen Nähkästchen,<br />

schätzten die geübten Analysten <strong>de</strong>r MfS-Zentrale allerdings zurückhalten<strong>de</strong>r<br />

ein und kommentierten diese Mitteilung als „Information“ mit <strong>de</strong>m Zusatz: „Die<br />

Information spiegelt nur die Meinung eines Teils <strong>de</strong>r diplomatischen<br />

Kreise <strong>de</strong>s Vatikans wi<strong>de</strong>r, jedoch können die aufgezählten<br />

Fakten die gegenseitigen Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m Vatikan<br />

und <strong>de</strong>r BRD beeinflussen.“<br />

Ungarische „Rhapsodien“<br />

Auf die Ungarn <strong>war</strong> Verlass, das wussten schon die Experten <strong>de</strong>s SD. Für die Bespitzelung<br />

<strong>de</strong>s Vatikans schienen sie gera<strong>de</strong>zu die i<strong>de</strong>alen Kundschafter zu sein. Wer wür<strong>de</strong><br />

schon hinter einem Besucher aus diesem erzkatholischen Land einen falschen Fuffziger<br />

vermuten, zumal, wenn er in Soutane erschien. Wie schon an an<strong>de</strong>rer Stelle erwähnt,<br />

„bedienten“ sie die Ostberliner Stasi-Genossen auch mit speziellen Deutschland-<br />

Informationen, respektive: die Kirchenabteilung bat die Budapester um „brü<strong>de</strong>rliche“<br />

Hilfe bei <strong>de</strong>r Aufklärung von katholischen Angelegenheiten. Diese betrafen nicht nur<br />

innervatikanische Themen o<strong>de</strong>r die vatikanische Diplomatie.<br />

28 Vgl. Abteilung X: Information <strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r UVR. Die Meinung <strong>de</strong>s Vatikans über <strong>de</strong>n<br />

neuen Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r BRD, Übersetzung aus <strong>de</strong>m Russischen, Berlin, <strong>de</strong>n 30. 6. 1969.<br />

29 Gustav Heinemann: Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt (1969-1974), „überzeugter Pazifist“. Seit 1934 Mitglied <strong>de</strong>r Bekennen<strong>de</strong>n<br />

Kirche, 1949-1955 Präses <strong>de</strong>r Syno<strong>de</strong> <strong>de</strong>r EKD, 1950 Rücktritt als Bun<strong>de</strong>sinnenminister aus<br />

<strong>de</strong>m Kabinett A<strong>de</strong>nauer aus Protest gegen die Wie<strong>de</strong>rbewaffnung, 1952 Austritt aus <strong>de</strong>r CDU, 1957<br />

Wechsel zur SPD.<br />

30 Gerhard Schrö<strong>de</strong>r: Bun<strong>de</strong>sminister <strong>de</strong>s Inneren (1953-1961), <strong>de</strong>s Äußeren (1961-1966), <strong>de</strong>r Verteidigung<br />

(1966-1969). In <strong>de</strong>r Außenpolitik ein „Atlantiker“ mit Anlehnung an die USA, bei <strong>de</strong>r Wahl zum<br />

Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nten als Kandidat <strong>de</strong>r CDU und CSU gegen Gustav Heinmann (SPD) im 3. Wahlgang<br />

knapp mit 506 zu 512 Stimmen unterlegen.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Am 2. und 3. Juli 1987 fand in Berlin-Ost eine Beratung „mit <strong>de</strong>n ungarischen Sicherheitsorganen<br />

statt, auf <strong>de</strong>r eine „Konzeption“ über das <strong>Kath</strong>olikentreffen vom 10. bis<br />

12. Juli <strong>de</strong>s Jahres in Dres<strong>de</strong>n besprochen wur<strong>de</strong>. 31 Die ungarische Seite wur<strong>de</strong> nach<br />

<strong>de</strong>m Austausch vorliegen<strong>de</strong>r Informationen „um weitere Unterstützung gebeten“.<br />

Laut Protokoll ging es um die „Beschaffung von Informationen über<br />

Pläne und Vorhaben <strong>de</strong>s Vatikans und an<strong>de</strong>rer klerikaler Kräfte<br />

vor und nach <strong>de</strong>m <strong>Kath</strong>olikentreffen“. Es geht auch um die „Verhin<strong>de</strong>rung<br />

von Einreisen negativer Kräfte zum <strong>Kath</strong>olikentreffen nach<br />

Dres<strong>de</strong>n“. Die Ungarn ihrerseits informieren ihre Ostberliner Genossen, dass „bisher<br />

keine Pläne und Vorhaben klerikaler und gegnerischer Kräfte<br />

bekannt (sind), das <strong>Kath</strong>olikentreffen politisch zu missbrauche<br />

o<strong>de</strong>r zu stören.“ Sie sagen weitere Unterstützung zu.<br />

Die Ungarn wer<strong>de</strong>n versuchen, speziell zu Kardinal Joseph Ratzinger, <strong>de</strong>m Präfekten<br />

<strong>de</strong>r Glaubenskongregation, sowie über <strong>de</strong>n Kölner Kardinal Joseph Höffner als Vorsitzen<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Deutschen Bischofskonferenz und seinen Stellvertreter, <strong>de</strong>n Mainzer Bischof<br />

Karl Lehmann, Informationen zu beschaffen, sowie über Pläne von Papst Johannes<br />

Paul II., in sozialistische Län<strong>de</strong>r (auch in die DDR) zu reisen. Es wird über die<br />

„Absicht <strong>de</strong>s Vatikans“ gesprochen, in Warschau eine Nuntiatur zu errichten,<br />

um von dort aus die sozialistischen Län<strong>de</strong>r zu kontrollieren.<br />

Schließlich noch: Genosse Gorbatschow wolle noch 1987 <strong>de</strong>m Papst einen Besuch<br />

abstatten. <strong>Der</strong> Schriftführer zögert nicht, auch Biertisch-Jargon in das Protokoll aufzunehmen:<br />

<strong>Der</strong> Papst wür<strong>de</strong> seine Seele <strong>de</strong>m Teufel verschreiben, wenn er einmal seine<br />

Beine in die SU stellen könnte.<br />

Aus Ungarn reisten nicht nur militärisch und nachrichtendienstlich geschulte Agenten<br />

an. Informanten stellte auch <strong>de</strong>r Klerus. Die Kirche <strong>de</strong>s Heiligen Stephan zahlte, wie die<br />

(umstrittene) Veröffentlichung erster Listen mit vermuteten Stasi-Mitarbeitern aus <strong>de</strong>m<br />

ungarischen Klerus, einen hohen Preis für die „Freiheiten“, die Casarolis „Ostpolitik“<br />

hatte aushan<strong>de</strong>ln können.<br />

„Waren wir zu <strong>de</strong>n ungarischen Stu<strong>de</strong>nten in <strong>de</strong>r Via Giulia eingela<strong>de</strong>n“, erinnert sich<br />

ein <strong>de</strong>utscher Prälat in Rom, „dann <strong>war</strong>en wir vorge<strong>war</strong>nt. Mir kam es vor, als sei die<br />

ganze Bu<strong>de</strong> verwanzt gewesen.“ Wen konnte das wun<strong>de</strong>rn. Im Erdgeschoss befand sich<br />

das staatliche ungarische Kulturinstitut. Da wur<strong>de</strong> sicherlich nicht nur über Michele<br />

Ongaros Bil<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m 15. Jahrhun<strong>de</strong>rt gesprochen, über Ferenc Molnars Dramen diskutiert<br />

und Franz Liszt gehört. Den Beobachtern im unauffälligen Zivil o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r unverdächtigen<br />

Soutane entging nichts, was sie <strong>de</strong>n Resi<strong>de</strong>nten zusteckten und diese zusammengefasst<br />

an ihre Heimatadressen weitergaben.<br />

Das MfS stellt zur Arbeit <strong>de</strong>r „Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r UVR 32 “ zufrie<strong>de</strong>n fest:<br />

„Die Informationen stammen aus Kreisen <strong>de</strong>s Vatikan. Sie sind<br />

zuverlässig. O<strong>de</strong>r von kompetenten Kreisen. Info gilt als über-<br />

31 Vgl. HA XX/4, Nr. 2157 vom 7. Juli 1987.<br />

32 UVR: Ungarische Volksrepublik.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

prüft.“ Aber das sollte wohl eher Eindruck bei <strong>de</strong>n vorgesetzten Dienststellen machen.<br />

Nichts, was unwichtig gewesen wäre, um nicht aufgesammelt zu wer<strong>de</strong>n. Wenige Beispiel<br />

von En<strong>de</strong> 1960 / Anfang 1970 sollen genügen:<br />

▪ <strong>Der</strong> Vatikan habe im ersten Halbjahr 1969 „beträchtliches Kapital in<br />

<strong>de</strong>r Chikagoer National Bank angelegt“. Es sei zuvor von italienischen<br />

Banken abgezogen wor<strong>de</strong>n. Präsi<strong>de</strong>nt Nixon habe angeblich <strong>de</strong>m Papst Steuerfreiheit<br />

zugesichert.<br />

▪ Eine Rivalität im Staatssekretariat zwischen Amleto Cigognani und Giovanni Benelli<br />

33 : Es geht um <strong>de</strong>n Posten <strong>de</strong>s Staatssekretärs Seiner Heiligkeit. <strong>Der</strong> eine sitzt noch<br />

drauf, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re drängt danach.<br />

Hat <strong>de</strong>r Vatikan einen eigenen Geheimdienst? Die Ungarn erfahren allerdings auch<br />

nicht mehr, was auch an<strong>de</strong>ren Insi<strong>de</strong>rn bekannt ist. Zu hoch ist die Mauer <strong>de</strong>r strengen<br />

Verschwiegenheit, die vor allem <strong>de</strong>n Entscheidungsträgern und hochrangigen Prälaten<br />

in <strong>de</strong>n Kurienbehör<strong>de</strong>n auferlegt ist. Es gilt das „Päpstliche Geheimnis“. Je nach<br />

Dienststellung und Aufgabe sind verschie<strong>de</strong>ne Amtsei<strong>de</strong> zu leisten. Bunt am Petersdom<br />

und im Apostolischen Palast paradiert und präsentiert sich nur die Schweizer Gar<strong>de</strong>:<br />

Die zivil geklei<strong>de</strong>ten Leibwächter aus ihren Reihen machen sich unsichtbar. Die Gendarmerie<br />

sorgt für Ordnung im Gelän<strong>de</strong> und an <strong>de</strong>n Pforten. <strong>Der</strong> italienische Staat stellt<br />

Son<strong>de</strong>reinheiten <strong>de</strong>r Polizei für Sicherungsaufgaben ab. Wer also käme sonst – „ganz<br />

geheim“ – als Quelle in Frage, an die man ohne allzu große Probleme herankommt? <strong>Der</strong><br />

Staatssekretär Seiner Heiligkeit sowie <strong>de</strong>r „Außenminister“ und vielleicht mehr noch <strong>de</strong>r<br />

„Innenminister“ (<strong>de</strong>r Substitut) schei<strong>de</strong>n aus. Unnahbar für Frem<strong>de</strong>.<br />

Die Ungarn glauben, doch noch einen brauchbaren „Geheimnisträger“ gefun<strong>de</strong>n zu<br />

haben. Sie empfehlen indirekt, sich um <strong>de</strong>n Regenten <strong>de</strong>s Päpstlichen Gerichts zu<br />

kümmern, „<strong>de</strong>ssen Aufgabe es ist, zu <strong>de</strong>n wichtigsten und eiligen<br />

Angelegenheiten unmittelbar <strong>de</strong>m Papst und <strong>de</strong>m Staatssekretariat<br />

zu berichten“. 34 Ob die <strong>Spitzel</strong> zum Zuge kamen, ob überhaupt ein Kontaktversuch<br />

stattfand, darüber geben die vorliegen<strong>de</strong>n Unterlagen keine Auskunft.<br />

Auch über Details einer engen Zusammenarbeit <strong>de</strong>s Vatikans mit <strong>de</strong>n italienischen Sicherheitsbehör<strong>de</strong>n<br />

berichten die ungarischen Informanten. Die „Politische Polizei“<br />

habe über die „Inspektion für die Gewährleistung <strong>de</strong>r Sicherheit“<br />

direkt, „ohne Wissen <strong>de</strong>r vatikanischen Gendarmerie“ mit Perso-<br />

33 Amleto Giovanni Kardinal Cigognani: Kardinalstaatssekretär (1961-1969). Giovanni Benelli: Substitut<br />

= Sekretär für die allgemeinen Angelegenheiten <strong>de</strong>s Staatssekretariats, „Innenminister“ (1969-1977),<br />

galt als potentieller Nachfolger von Paul VI. Ab 1977 Erzbischof von Florenz und Kardinal, 1982 unerw<br />

artet gestorben.<br />

34 Gemeint ist <strong>de</strong>r damalige Regens <strong>de</strong>r Apostolischen Pönitentiarie. Diese päpstliche Verw altungsbehör<strong>de</strong><br />

sitzt über niemand zu Gericht und spricht keine Urteile, son<strong>de</strong>rn gew ährt Ablässe, Gna<strong>de</strong>nerw eise<br />

und Befreiung von Strafen; <strong>de</strong>shalb auch „Oberster Gna<strong>de</strong>nhof“ genannt. Allerdings w er<strong>de</strong>n die ihm<br />

vorliegen<strong>de</strong>n Anträge äußerst streng, durch beson<strong>de</strong>re Geheimhaltungsvorschriften geschützt, behan<strong>de</strong>lt.<br />

Sie w er<strong>de</strong>n als „Forum internum“ bezeichnet und betreffen Angelegenheiten streng privaten Charakters,<br />

sow ohl sakramentale Fragen, w ie die <strong>de</strong>s Bußsakraments berührend, ebenso zivile von <strong>de</strong>r Kirche<br />

geahn<strong>de</strong>te Vergehen.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

nen Kontakt aufgenommen, „welche in verschie<strong>de</strong>nen Behör<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Kurie<br />

tätig sind.“ „In Bedarfsfällen“ wer<strong>de</strong> das Staatssekretariat informiert.<br />

An<strong>de</strong>rerseits besuchten die Italiener <strong>de</strong>n päpstlichen Hof nicht nur in freundschaftlicher<br />

Absicht, wenn man <strong>de</strong>n „Sicherheitsorganen <strong>de</strong>r VR Ungarn“ glauben<br />

darf. Denn: „Gleichzeitig nutzen die Organe <strong>de</strong>s MdI (<strong>de</strong>s italienischen<br />

Innenministeriums) ihre Verbindungen in <strong>de</strong>r Inspektion<br />

für die Beschaffung von Nachrichten über <strong>de</strong>n Vatikan und die<br />

Kurie usw.“ – Wie in alten Zeiten, möchte man sagen, als Mussolinis Gestapo, die<br />

OVRA 35 , in vatikanischen Büros mithörte und mitschrieb.<br />

Viel Müll<br />

Von welcher Qualität manche Informationen aus <strong>de</strong>r Fe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r „Bru<strong>de</strong>rorgane“ <strong>war</strong>en,<br />

schwankt zwischen haarsträuben<strong>de</strong>m Unfug und differenzierter Aussage. Es blieb <strong>de</strong>n<br />

Auswertern in <strong>de</strong>n Zentralen überlassen, sich einen Reim auf die Mitteilungen von<br />

draußen zu machen, um zuverlässige Einschätzungen zu erstellen. 36 Wer einigermaßen<br />

mit vatikanischen Strukturen, Interna und Usancen vertraut ist, kann sich nur wun<strong>de</strong>rn,<br />

wie wenig substantiell und mitunter bar je<strong>de</strong>r Sachkenntnis „Informationen“ zustan<strong>de</strong><br />

kamen, welcher „Müll“ mit <strong>de</strong>r Geheimpost nach Moskau, Warschau und Ostberlin<br />

ging, bis hin zur falschen Schreibweise von Namen jener Personen, über die man angeblich<br />

„zuverlässig“ zu berichten vorgab. Nicht wenige Informationen entsprangen wohl<br />

eher <strong>de</strong>r „Inspiration“ <strong>de</strong>s Informanten, wie <strong>de</strong>r Heimatoffizier mit leicht ironischem<br />

Unterton unter einem dieser Berichte vermerkte. Die Experten in <strong>de</strong>r Ostberliner<br />

Hauptverwaltung 37 <strong>war</strong>en mit ihrer Erfahrung nicht allein. 38<br />

35 OVRA: Organizzazione di Vigilanza Repressione <strong>de</strong>ll’Anptifascismo. Organisation zur Überw achung<br />

und Bekämpfung <strong>de</strong>s Antifaschismus, Benito Mussolinis Politische (Geheim)-Polizei, vergleichbar mit<br />

<strong>de</strong>r Gestapo <strong>de</strong>s Hitler-Regimes.<br />

36 Im Hintergrund w irkend, spektakulärer Auftritte entsagend, sind sie die „tragen<strong>de</strong>n Säulen“ je<strong>de</strong>s Nachrichtendienstes:<br />

Die Ausw erter. Die Analysten <strong>de</strong>s Vatikans, zw ar nicht für einen „Geheimdienst“ im<br />

herkömmlichen Sinne tätig, aber das Staatssekretariat mit Grundlagen versorgend, genießen unter <strong>de</strong>n<br />

„Kollegen“ in <strong>de</strong>n w eltlich-politischen Zentralen große Hochachtung. Im MfS hielten sich die HV A<br />

sow ie die diversen Hauptabteilungen an die Zentrale Ausw ertungs- und Informationsgruppe ZAIG. Ihr<br />

vermutlich zugeordnet w ar eine angeblich geheime Ausw ertungsgruppe mit <strong>de</strong>m Tarnnamen „Wandlitz“.<br />

Sie fungierte, w ie ein ehemaliger Stasi-Offizier schätzt, als Verbindungsstelle zw ischen ZAIG und<br />

<strong>de</strong>m Politbüro <strong>de</strong>r SED. Zu ihren Aufgaben zählte auch die Bearbeitung <strong>de</strong>r Informationen über <strong>de</strong>n<br />

Vatikan und an<strong>de</strong>re kirchliche Fragen. Die Herkunft <strong>de</strong>s Namens beruht auf <strong>de</strong>r Vermutung (w eitere<br />

Details lagen bei Nie<strong>de</strong>rschrift <strong>de</strong>s Beitrag nicht vor), dass sich die Bezeichnung au f die „Waldsiedlung<br />

Wandlitz“ bezieht, die En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 50er / Anfang <strong>de</strong>r 60er Jahre von Walter Ulbricht für die Mitglie<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>s SED-Politbüros, <strong>de</strong>s höchsten Führungsgremiums <strong>de</strong>r Staatspartei, errichten ließ, zur Außenw elt<br />

hin hermetisch abgeriegelt, als eine Art Schutzgebiet für die Nomenklatura <strong>de</strong>r DDR. Vor w em eigentlich?<br />

37 Dienstsitz <strong>de</strong>r Leitung und w ichtigsten Abteilungen (auch <strong>de</strong>r HV A und <strong>de</strong>r HA XX) in Berlin-<br />

Lichtenberg, Normannen-/ Gotlin<strong>de</strong>straße.<br />

38 „Unsere Nachrichtendienste haben im Ausland nicht w enig für unser Land getan“, erinnert sich <strong>de</strong>r ehemalige<br />

ZK-Sekretär und Politbüro-Mitglied Alexan<strong>de</strong>r Jakow lew . Agenten erschien das Leben außerhalb<br />

<strong>de</strong>s Sowjetreiches im kapitalistischen Westen recht verlockend, und sie taten alles, dass sie es mög-<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Mit „Tuch“ und „Händler“ kein Geschäft<br />

An dieser Stelle zur „Entspannung“ ein wenig Lektüre aus <strong>de</strong>m geplagten Alltag <strong>de</strong>r Stasi-Auswerter,<br />

die ja, wie ihre Kollegen von <strong>de</strong>r „an<strong>de</strong>ren Feldpost-Nummer“, stets auf<br />

<strong>de</strong>r Hut sein mussten, nicht irgen<strong>de</strong>iner Desinformation auf <strong>de</strong>n Leim zu gehen. Die<br />

Praktiken <strong>war</strong>en ihnen aus <strong>de</strong>m eigenen „La<strong>de</strong>n“ bekannt, von <strong>de</strong>n Spezialisten <strong>de</strong>r Abteilung<br />

X <strong>de</strong>r HV A her.<br />

Selbst beim Vatikan konnte man offenbar nicht sicher sein – obwohl man dort doch<br />

mit ehrlichen Leuten hätte rechnen können. O<strong>de</strong>r etwa nicht?<br />

In einem Arbeitsbericht aus <strong>de</strong>n frühen 60er Jahren wer<strong>de</strong>n „einige Fragen <strong>de</strong>r<br />

operativen Aufklärungstätigkeit in Bezug auf Einrichtungen <strong>de</strong>s<br />

Vatikans“ behan<strong>de</strong>lt. Als Beispiel dient ein Vorgang En<strong>de</strong> 50er Jahre. Agent „Knabe“<br />

<strong>de</strong>r römischen Resi<strong>de</strong>ntur bittet einen „operativen Mitarbeiter“ zum<br />

Treff. „Knabe“ teilt mit, er habe einen Verwandten, Deckname „Tuch“. Dieser wie<strong>de</strong>rum<br />

habe einen Freund, Deckname „Händler“. Dieser verfüge über Zugang zu<br />

wichtigen geheimen Dokumenten <strong>de</strong>s Vatikans. „Händler“ sei bereit, diese zu verkaufen.<br />

„Tuch“ soll einen Kaufinteressenten fin<strong>de</strong>n; „Knabe“ meint, sein „operativer<br />

Mitarbeiter“ könne behilflich sein. Ein Deal um Ecken herum, aber man kommt<br />

doch irgendwie mit. Später stellt sich heraus: „Knabe“ <strong>war</strong> eingeschleuster Agent.<br />

„Tuch“ trifft sich, auf Weisung <strong>de</strong>r römischen Resi<strong>de</strong>ntur, unter Ausschluss von<br />

„Knabe“ mit <strong>de</strong>m operativen Mitarbeiter. „Tuch“ erklärt, sein Freund „Händler“ sei<br />

Angestellter <strong>de</strong>s Staatssekretariats und bereit, für 500 bis 600 italienische Lire aus <strong>de</strong>m<br />

vatikanischen Archiv 40 bis 45 „uns interessieren<strong>de</strong> Materialien im Monat<br />

zu übergeben.“ Aber nur für zwei Stun<strong>de</strong>n. Dann müssen die Unterlagen<br />

wie<strong>de</strong>r zurück ins Archiv. „Händler“ meint, man müsse damit rechnen, dass sein<br />

Chef je<strong>de</strong>rzeit nach <strong>de</strong>n Akten verlangen könnte.<br />

Es kam also zu <strong>de</strong>m Geschäft, je<strong>de</strong>nfalls zunächst. Die Resi<strong>de</strong>ntur ist überzeugt, „einen<br />

wertvollen Agenten-Dokumentaristen“ gewonnen zu haben. Die ersten<br />

Dokumente erscheinen als glaubwürdig, erregen keinen Verdacht. Aber nach zwei Monaten<br />

schöpfen die Auswerter Verdacht: Das sind doch speziell für uns angefertigte Informationen.<br />

Die Unterlagen <strong>war</strong>en inhaltlich z<strong>war</strong> zuverlässig, aber nicht geheim; an<strong>de</strong>re<br />

Themen wur<strong>de</strong>n nur oberflächlich o<strong>de</strong>r zweitrangig behan<strong>de</strong>lt. Zur „Neuen NATO-<br />

Strategie“, die das MfS natürlich brennend interessierte, seien „Desinformationen<br />

untergeschoben“ wor<strong>de</strong>n.<br />

Schl<strong>immer</strong> noch: Gleiches Material sei auch an Vertreter <strong>de</strong>r Aufklärungen an<strong>de</strong>rer<br />

sozialistischer Län<strong>de</strong>r und an die „italienischen Freun<strong>de</strong>“ gegangen. <strong>Der</strong> Nuntiatur-Bericht<br />

sei auf ein und <strong>de</strong>rselben Maschine geschrieben wor<strong>de</strong>n. Die Unterschrift<br />

<strong>de</strong>s Kardinalstaatssekretärs Tardini stimme mit <strong>de</strong>r auf Original-Briefbögen nicht überein.<br />

Die Analysten <strong>de</strong>r Zentrale kommen zu <strong>de</strong>r „Erkenntnis“, dass sie es mit <strong>de</strong>n<br />

lichst lange „genießen“ konnten. Entsprechend ihr Fleiß, mit Produktionsaustausch, über Plansoll.<br />

Auch w enn Flaute w ar. „Vieles, w as die Agenten lieferten“, so Jakow lew ironisch, „w ar schlichtw eg<br />

Stuss.“<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Spezialdiensten Italiens und <strong>de</strong>s Vatikans zu tun haben. „Künstlerpech“ also. Konnte allerdings<br />

auch an<strong>de</strong>ren passieren, die von Westen her operierten.<br />

Wer aber <strong>war</strong> „Tuch“? Den ungarischen Genossen gelang es, eine Liste <strong>de</strong>r Mitarbeiter<br />

<strong>de</strong>r italienischen Abwehr zu beschaffen. Diese enthielt die Namen von Auslän<strong>de</strong>rn<br />

in Italien, auch „Tuchs“ Namen. Sein wirklicher Auftraggeber schien also i<strong>de</strong>ntifiziert<br />

wor<strong>de</strong>n zu sein, <strong>de</strong>r Klarname von „Tuch“ aber bleibt geheim. Bislang fehlen Hinweise,<br />

um entsprechen<strong>de</strong> Recherchen zu vertiefen.<br />

Das MfS reagierte auf die Pleite mit entsprechen<strong>de</strong>n Weisungen an die Resi<strong>de</strong>nten, das<br />

heißt die Agenten vor Ort wie auch an die Auswerter in <strong>de</strong>r Zentrale: Spezialorgane <strong>de</strong>s<br />

Gegners seien am Werk. Es müsse versucht wer<strong>de</strong>n, „ihre Agenten in unser<br />

Agenturnetz einzuschleusen.“ Die eigenen Leute wer<strong>de</strong>n leicht gerüffelt: In<br />

Zukunft überlegter „die Bearbeitung <strong>de</strong>r wichtigsten Einrichtungen<br />

<strong>de</strong>s Vatikans organisieren. Eintreffen<strong>de</strong> Informationen sorgfältiger<br />

analysieren“. 39<br />

<strong>Der</strong> KGB praktizierte in fast neunzig Prozent <strong>de</strong>r Fälle von <strong>de</strong>r geographischen Basis<br />

osteuropäischer Län<strong>de</strong>r aus, wie von einer Insi<strong>de</strong>r-Quelle zu erfahren <strong>war</strong>. Dabei setzte<br />

er das umfangreiche Netzwerk <strong>de</strong>r Nachrichtendienste <strong>de</strong>r Warschauer-Pakt-Staaten ein<br />

und erteilt seine Aufträge im Rahme <strong>de</strong>r bereits erwähnten zweckmäßig erscheinen<strong>de</strong>n<br />

Arbeitsteilung. Bei regelmäßigen Dienstbesprechungen <strong>de</strong>r beteiligten Staatssicherheitsdienste<br />

wur<strong>de</strong>n Maßnahmepläne aufgestellt, <strong>de</strong>ren Zielsetzung auch hinter <strong>de</strong>r Partei-<br />

Phraseologie ein<strong>de</strong>utig genug zum Ausdruck kommt. Aus <strong>de</strong>n inzwischen zur öffentlichen<br />

Einsicht vorliegen<strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>s MfS lassen sich einige dieser Treffen rekonstruieren<br />

und ihr Zustan<strong>de</strong>kommen erklären. Denn reibungslos verlief die Zusammenarbeit<br />

unter <strong>de</strong>n „Freun<strong>de</strong>n“ und „Brü<strong>de</strong>rn“ vorher nicht, und auch später nicht ganz so<br />

geschmiert.<br />

Die weitere Erschließung <strong>de</strong>r Aufzeichnungen aus <strong>de</strong>n Archiven <strong>de</strong>s Ostberliner Ministeriums<br />

für Staatssicherheit erlaubt tiefere Einblicke in die Strukturen <strong>de</strong>r Zusammenarbeit<br />

<strong>de</strong>r östlichen Nachrichtendienste, ohne die Ergebnisse <strong>de</strong>r mühsam anlaufen<strong>de</strong>n<br />

Forschungen in Moskau, Warschau, Prag und Budapest ab<strong>war</strong>ten zu müssen.<br />

Wenig Aufmerksamkeit wur<strong>de</strong> bisher <strong>de</strong>n so genannten Operativgruppen (OG) geschenkt,<br />

also <strong>de</strong>n Stützpunkten <strong>de</strong>s MfS zum Beispiel in Polen, Ungarn, Bulgarien.<br />

Auch für die dort eingesetzten Stasi-Offiziere galt, in enger Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n<br />

nationalen „Sicherheitsorganen“, <strong>de</strong>r Auftrag: „Aufklärung, Verhin<strong>de</strong>rung und<br />

Bekämpfung von imperialistischen Geheimdiensten, gegen die DDR<br />

und die an<strong>de</strong>ren sozialistischen Staaten gerichtete Spionage<br />

und an<strong>de</strong>re subversive Aktivitäten.“ Dieses System funktionierte bis zur<br />

letzten Minute, wie <strong>de</strong>r von Erich Mielke erteilte Befehl Nr. 13/89 vom 14. Juli 1989<br />

bestätigt. Er beschreibt <strong>de</strong>n „Einsatz, die Führung und Leitung <strong>de</strong>r Operativgruppen<br />

/ Verbindungsoffiziere <strong>de</strong>s Ministeriums für<br />

Staatssicherheit bei befreun<strong>de</strong>ten ausländischen Sicherheitsorganen<br />

Ministerrat <strong>de</strong>r DDR Ministerium für Staatssicherheit“ und<br />

39 Vgl. HA XX/4, Nr. 141.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

befasst mit <strong>de</strong>r Aufgabe die Abwehrabteilung <strong>de</strong>s MfS (HA II) sowie die Abteilung für<br />

die internationalen Verbindungen (Abteilung X). Interessant ist, wer in diesem wohl<br />

letzten Befehl Mielkes in dieser Richtung zu <strong>de</strong>n „Freun<strong>de</strong>n“ zählte und wer nicht: Die<br />

Vereinbarung betraf nur noch <strong>de</strong>n sowjetischen KGB sowie die Staatsschutzabteilungen<br />

<strong>de</strong>r Innenministerien <strong>de</strong>r Tschechoslowakei, Polens, Bulgariens, Ungarns und Vietnams.<br />

Die Rumänen beispielsweise stehen nicht auf <strong>de</strong>r Liste.<br />

Dieser internationale Verbund <strong>war</strong> Ergebnis <strong>de</strong>s Kalten Krieges. Nationale Interessen<br />

sollten bei <strong>de</strong>n übergreifen<strong>de</strong>n nachrichtendienstlichen Aufgaben zurücktreten. Das galt<br />

auch für die „Bekämpfung“ <strong>de</strong>r Religion und ihrer Institutionen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n<br />

Vatikan betreffend, als einer Führungszentrale mit weltweitem diplomatischem Einfluss<br />

und entsprechen<strong>de</strong>n politischen Informationen. Dies kann beim Rückblick auf etwa drei<br />

Jahrzehnte dieser tschekistischen Internationalen an einigen Beispielen erläutert wer<strong>de</strong>n:<br />

▪ 1960: In einer Analyse stellt das Ministerium für Staatssicherheit fest: Es fehlen gemeinsame<br />

Konzepte <strong>de</strong>r Zusammenarbeit unter <strong>de</strong>n Sicherheitsorganen <strong>de</strong>r sozialistischen<br />

Staaten. Z<strong>war</strong> gibt es Absprachen zwischen <strong>de</strong>n einzelnen „Staatsämtern<br />

für Kirchenfragen <strong>de</strong>r Volks<strong>de</strong>mokratien“. Aber diese sind nicht ausreichend,<br />

eher mangelhaft. Vermisst wird <strong>de</strong>r Austausch von Erfahrungen und Abstimmungen<br />

zu <strong>de</strong>r Frage, welche „großen Möglichkeiten zur Festlegung<br />

einer einheitlichen, gemeinsamen Linie“ mit Inoffiziellen Mitarbeitern<br />

zu erzielen <strong>war</strong>en. 40<br />

▪ 1963: Besprechung <strong>de</strong>r sozialistischen Nachrichtendienste: „Festlegung gemeinsamer<br />

operativer Maßnahmen während <strong>de</strong>r Fortsetzung <strong>de</strong>s<br />

II. Vatikanischen Konzils“. Es wird gefragt, welche Agenturen und sonstige<br />

Möglichkeiten <strong>de</strong>r Ausforschung eingesetzt wer<strong>de</strong>n können. Wie können die<br />

Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kirchen<strong>de</strong>legationen hinsichtlich politischer und kirchenpolitischer<br />

Fragen beeinflusst wer<strong>de</strong>n?<br />

Mit <strong>de</strong>n Jahren wächst die Informationsflut an. Man mag sich fragen, wer die Papierberge,<br />

die sich da auf manchen Schreibtischen auftürmten, überhaupt noch erstiegen<br />

hat, o<strong>de</strong>r ob dieser Ausstoß eben nichts an<strong>de</strong>res <strong>war</strong> als das Ergebnis einer Anweisung,<br />

die nun einmal „von oben“ auf die einzelnen Büros nie<strong>de</strong>rging. <strong>Der</strong> Apparat versorgte<br />

sich entsprechend selbst, wie in je<strong>de</strong>r Bürokratie <strong>de</strong>r Welt, die Stasi nicht ausgenommen.<br />

Zwei Beispiele <strong>de</strong>s „Plansolls“, das in <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n Fällen wohl übererfüllt wur<strong>de</strong> –<br />

ob zur Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Empfänger, ist in <strong>de</strong>n Unterlagen nicht dokumentiert.<br />

▪ Am 15. September 1966 übermittelt die HA XX/4 (die MfS-Kirchenabteilung) an<br />

die „Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r VR Ungarn“ eine 156seitige Dokumentation „über<br />

feindliche Konzeptionen und an<strong>de</strong>re revanchistische katholische<br />

Organisationen in West<strong>de</strong>utschland“.<br />

▪ Am 4. August 1967 erhält die HA XX/4 von <strong>de</strong>r Abteilung X (für internationale<br />

Verbindungen) „Material über einige Fragen <strong>de</strong>r operativen Aufklärungstätigkeit<br />

in Bezug auf die Einrichtungen <strong>de</strong>s Vati-<br />

40 Vgl. <strong>de</strong>n Plan für die Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n Volks<strong>de</strong>mokratien v. 11.5.1960: BStU: ZA, HA XX/4,<br />

Nr. 315.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

kans“. Es enthält speziell Informationen „über die Feindtätigkeit <strong>de</strong>s<br />

Vatikans und <strong>de</strong>r unierten Geistlichkeiten auf <strong>de</strong>m Territorium<br />

<strong>de</strong>r Sowjetunion 41 sowie das Vorgehen <strong>de</strong>r KfS 42 dagegen.“<br />

Das Konvolut umfasst 120 Blatt.<br />

▪ 1967: „Multilaterale Beratungen zur Analyse und Festlegung<br />

gemeinsamer Maßnahmen gegen <strong>de</strong>n Vatikan“ in Budapest. Diesmal<br />

nehmen auch die Rumänen teil.<br />

Die „Planungssitzungen“ setzen sich mit gleichförmiger Gewohnheit Jahr für Jahr<br />

fort. Die Themenliste folgt gleichförmiger Routine. Aber so leicht soll man sich die Sache<br />

nicht machen. Für die Betroffenen aber be<strong>de</strong>utete dies eine fortdauern<strong>de</strong> Bedrohung.<br />

▪ 1975: Symposium <strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r sozialistischen Län<strong>de</strong>r in Warschau. Tagesordnungspunkt:<br />

„Operative Tätigkeit – Problem <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ologischen<br />

und politischen Diversion, die vom Gegner von kirchlicher<br />

Seite durchgeführt wird“. Generalleutnant Viktor Tschebrikow,<br />

stellvertreten<strong>de</strong>r KGB-Vorsitzen<strong>de</strong>r, schärft <strong>de</strong>n verbün<strong>de</strong>ten Genossen ein: „Für<br />

die Politik <strong>de</strong>s Vatikans <strong>war</strong> und ist die Regel, je<strong>de</strong> antisowjetische<br />

und antisozialistische Tätigkeit aktiv zu unterstützen,<br />

auch wenn sie nicht von <strong>de</strong>r katholischen Kirche<br />

ausgeht“.<br />

▪ 1977: In Prag fin<strong>de</strong>t vom 26. bis 29. September eine größer angelegte „Internati-onale<br />

Beratung von Vertretern <strong>de</strong>r befreun<strong>de</strong>ten Abwehrorgane“<br />

statt. Diesmal stehen auf <strong>de</strong>r Themenliste die Prager Christliche Frie<strong>de</strong>nskonferenz<br />

(CFK), die Berliner Konferenz Europäischer <strong>Kath</strong>oliken (BK) und die<br />

„Aktivitäten <strong>de</strong>s Vatikans gegenüber <strong>de</strong>n sozialistischen<br />

Staaten“. <strong>Der</strong> Konferenz wird offenbar einiges Gewicht beigemessen, <strong>de</strong>nn an<br />

<strong>de</strong>r „multilateralen Tagung“ nehmen „Vertreter <strong>de</strong>r Sicherheitsorgane<br />

<strong>de</strong>r UdSSR, CSSR, VR Polen, VR Ungarn, VR Bulgarien<br />

und <strong>de</strong>r Republik Kuba“ teil.<br />

<strong>Der</strong> Inhalt <strong>de</strong>r offiziellen Re<strong>de</strong>n liegt schriftlich vor. Soweit die Texte wie<strong>de</strong>rgegeben<br />

wer<strong>de</strong>n, soll nicht ihr Wahrheitsgehalt untersucht wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn die i<strong>de</strong>ologische<br />

Grundlage, die Ziele und die Metho<strong>de</strong> ihrer Durchsetzung sollen ver<strong>de</strong>utlicht wer<strong>de</strong>n.<br />

Auch wenn die Geschichte einen an<strong>de</strong>ren Verlauf genommen hat, so bleiben diese Dokumente<br />

doch ein aufschlussreiches wie auch mahnen<strong>de</strong>s Zeugnis dieser zweiten Zeitepoche<br />

<strong>de</strong>r Diktaturen, nach <strong>de</strong>m Nationalsozialismus und Faschismus in Europa.<br />

Bereits in seiner Begrüßungsansprache bringt <strong>de</strong>r Gastgeber <strong>de</strong>r Konferenz, <strong>de</strong>r Erste<br />

Stellvertreter <strong>de</strong>s Ministers <strong>de</strong>s Innern <strong>de</strong>r CSSR, Generalmajor Ing. Jan Hanuljak die<br />

Absicht <strong>de</strong>r versammelten Nachrichtendienste auf <strong>de</strong>n Punkt: „<strong>Der</strong> Vatikan, <strong>de</strong>r<br />

Weltkirchenrat und an<strong>de</strong>re kirchliche Zentren wer<strong>de</strong>n sich nie<br />

mit <strong>de</strong>r sozialistischen Wirklichkeit abfin<strong>de</strong>n können. Für <strong>de</strong>n<br />

41 Gemeint sind vermutlich Priester <strong>de</strong>r mit Rom unierten Kirche <strong>de</strong>s byzantinischen Ritus in <strong>de</strong>r Ukraine.<br />

42 KfS: Nach DDR-Sprachregelung das Komitee für Staatssicherheit KGB.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Aufklärungsapparat <strong>de</strong>r kapitalistischen Län<strong>de</strong>r wird die Kirche<br />

im Kampf gegen die sozialistischen Län<strong>de</strong>r auch weiterhin einen<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Platz einnehmen, sie bil<strong>de</strong>n die Basis, auf die<br />

sich die religiös-fanatischen Vertreter im Kampf gegen das eigene<br />

Volk und die sozialistische Gesellschaft stützen und die<br />

sie ausnutzen.“<br />

Von sowjetischer Seite sekundiert <strong>de</strong>m Tschechen <strong>de</strong>r Stellvertreter <strong>de</strong>s Leiters <strong>de</strong>r V.<br />

Abteilung, Generalmajor Chali Machmejewitsch Machmejew 43 : „Die Praxis zeigt<br />

klar, dass die aktive Unterstützung jeglicher antisowjetischer<br />

und antisozialistischer Tätigkeit nach wie vor die Hauptsache<br />

in <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>s Vatikans bleibt. Darum verbreiten alle<br />

mächtigen mo<strong>de</strong>rnen Propagandamittel <strong>de</strong>r katholischen Kirche<br />

alle möglichen Lügenmärchen über das Gesellschaftssystem und<br />

über die Stellung <strong>de</strong>r Religion in <strong>de</strong>r Sowjetunion. Nach wie<br />

vor bleibt für <strong>de</strong>n Vatikan <strong>de</strong>r Sozialismus und Kommunismus <strong>de</strong>r<br />

Hauptgegner auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Politik, <strong>de</strong>r Philosophie und im<br />

Sozialen. Er ist bemüht, <strong>de</strong>n sozialistischen Aufbau in unseren<br />

Län<strong>de</strong>rn zu kompromittieren.“<br />

<strong>Der</strong> Moskauer I<strong>de</strong>ologie-Offizier fährt fort: „Eine vorrangige Aufgabe aller<br />

Kommunisten, beson<strong>de</strong>rs von uns Tschekisten muss die allseitige<br />

und aktive Gewährleistung <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nspolitik sein,<br />

wie das im Programm <strong>de</strong>s XXV. Parteitages <strong>de</strong>r KPdSU gesagt<br />

wird, ein Beschluss, <strong>de</strong>m sich alle Bru<strong>de</strong>rparteien angeschlossen<br />

haben.“<br />

<strong>Der</strong> Redner führt die „Weltkonferenz religiöser Vertreter für dauerhaften<br />

Frie<strong>de</strong>n, Abrüstung und gerechte Beziehungen zwischen<br />

<strong>de</strong>n Völkern“ an, die im Juni 1977 in Moskau stattfand. Wer aus <strong>de</strong>m Westen an<br />

<strong>de</strong>m Treffen teilgenommen haben sollte, wird wohl nicht so naiv gewesen sein, um<br />

nicht sehr schnell gespürt zu haben, woher <strong>de</strong>r Wind wehte. Teilnehmer aus <strong>de</strong>m Osten,<br />

auch regimekritische, brauchten solche Nachhilfe nicht. Für General Machmejew je<strong>de</strong>nfalls<br />

<strong>war</strong> <strong>de</strong>r Großeinsatz seiner Leute, und dass die Konferenz ganz nach Moskauer<br />

Wunsch verlief, „eines <strong>de</strong>r praktischen Beispiele <strong>de</strong>r Anstrengungen<br />

auf <strong>de</strong>r Linie unserer Arbeit, mit Unterstützung <strong>de</strong>r sowjetischen<br />

Regierung und <strong>de</strong>r effektiven Abwehrarbeit <strong>de</strong>r 5. Verwaltung<br />

<strong>de</strong>s KfS“.<br />

1978 wer<strong>de</strong>n, Konsequenz <strong>de</strong>r Prager Besprechung, die „Arbeitsbeziehungen<br />

zwischen <strong>de</strong>m MfS und <strong>de</strong>m KGB“, das heißt <strong>de</strong>r HA XX und V. Verwaltung <strong>de</strong>s<br />

KGB, erstmals vertraglich festgelegt, die „Bekämpfung <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ologischen Diversion<br />

<strong>de</strong>r Geheimdienste und an<strong>de</strong>ren subversiven Zentren und<br />

Organisationen <strong>de</strong>r imperialistischen Staaten“ wird vereinbart.<br />

43 V. Verw altung <strong>de</strong>s KGB: I<strong>de</strong>ologie und Dissi<strong>de</strong>nten.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Vom Schlapphut zum Computer<br />

Anfang <strong>de</strong>r 70er Jahre wird verstärkt eine die Welt <strong>de</strong>r Planungsstäbe revolutionieren<strong>de</strong><br />

„Waffe“ eingesetzt: Die Sicherheitsdienste von sechs Warschauer-Pakt-Staaten und von<br />

drei weiteren Verbün<strong>de</strong>ten vernetzen ihre Arbeit mit Hilfe <strong>de</strong>s Systems SOUD 44 , einem<br />

streng geheimen Informationsverbund. Die elektronische Verarbeitung und Übertragung<br />

von Daten soll dazu beitragen, „operativ be<strong>de</strong>utsame Informationen“<br />

und „Erkenntnisse über gegnerische Geheimdienste sowie über<br />

Personen und Institutionen“ zusammenzuführen, „von <strong>de</strong>nen nach <strong>de</strong>m<br />

Verständnis <strong>de</strong>r SOUD-Teilnehmer eine Gefahr für die innere Sicherheit<br />

ausging“. Eine von <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sbehör<strong>de</strong> für die Erfassung <strong>de</strong>r MfS-<br />

Unterlagen erstellte Studie stellt fest, „ein vergleichbares multinationales<br />

nachrichtendienstliches Informationssystem“ habe es „bis dahin in<br />

<strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Geheimdienste noch nicht gegeben.“ Es habe<br />

zum Beispiel die Vereinbarungen <strong>de</strong>r Geheimdienste im Rahmen <strong>de</strong>r NATO noch übertroffen.<br />

45 Ein entsprechen<strong>de</strong>s Abkommen wur<strong>de</strong> En<strong>de</strong> 1977 von <strong>de</strong>n für die Staatssicherheit<br />

ihrer Län<strong>de</strong>r verantwortlichen Ministern <strong>de</strong>r SU, <strong>de</strong>r CSSR, <strong>de</strong>r DDR, Ungarns,<br />

Polens, Bulgariens, Kubas und <strong>de</strong>r Mongolei unterzeichnet.<br />

Am 7. Juni 1979 folgt eine von Mielke genehmigte Anordnung „über die Zusammenarbeit<br />

<strong>de</strong>r Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe“ (ZAIG) mit <strong>de</strong>m Auslandsnachrichtendienst<br />

(HVA) sowie weiteren operativen Hauptabteilungen <strong>de</strong>s MfS<br />

„zur Gewährleistung <strong>de</strong>r Aufbereitung und Erfassung von Informationen<br />

im SOUD-System“. Die Intensivierung <strong>de</strong>r Datenerfassung wird mit <strong>de</strong>r<br />

stets wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>n Formulierung begrün<strong>de</strong>t, „die Wirksamkeit <strong>de</strong>s abgestimmten<br />

Kampfes gegen die subversive Tätigkeit <strong>de</strong>s Gegners<br />

(zu) erhöhen.“<br />

Die Anordnung erfolgte „auf Grundlage von Befehl 11/79 <strong>de</strong>s Genossen<br />

Minister“. Es ist bezeichnend für das „Feindbild“ <strong>de</strong>r sozialistischen Geheimdienste,<br />

in welches Umfeld sie die Kirchen und religiösen Gemeinschaften einordneten:<br />

▪ Geiselnehmer, Flugzeug- und Schiffsentführer, Terroristen<br />

▪ „Leiten<strong>de</strong> Mitarbeiter <strong>de</strong>r Zentren <strong>de</strong>r politischi<strong>de</strong>ologischen<br />

Diversion sowie Mitarbeiter dieser Zentren,<br />

die eine direkte subversive Tätigkeit gegen die Staaten <strong>de</strong>r<br />

sozialistischen Gemeinschaft betreiben“<br />

▪ „Mitglie<strong>de</strong>r zionistischer, feindlicher Emigranten-, klerikaler<br />

und an<strong>de</strong>rer Organisationen, die eine direkte subver-<br />

44 SOUD: System <strong>de</strong>r vereinigten Erfassung von Daten über <strong>de</strong>n Gegner (abgeleitet von <strong>de</strong>r russischen<br />

Bezeichnung „Sistema objedinnjonnogo utschjota dannych o protiw nike“).<br />

45 Vgl. Bodo Wegmann und Monika Tantzscher: SOUD. Das geheimdienstliche Datennetz <strong>de</strong>s östlichen<br />

Bündnissystems. <strong>Der</strong> Bun<strong>de</strong>sbeauftragte für die Unterlagen <strong>de</strong>s Staatssicherheitsdienstes <strong>de</strong>r ehemaligen<br />

Deutschen Demokratischen Republik, Abt. Bildung und Forschung, Reihe B: Analysen und Berichte,<br />

Nr. 1/1996.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

sive Tätigkeit gegen die Staaten <strong>de</strong>r sozialistischen Gemeinschaft<br />

betreiben“<br />

▪ „Personen, die Aufträge gegnerischer Geheimdienste, <strong>de</strong>r<br />

Zentren <strong>de</strong>r politisch-i<strong>de</strong>ologischen Diversion, zionistischer,<br />

feindlicher Emigranten-, klerikaler sowie an<strong>de</strong>rer<br />

Organisationen zur Durchführung subversiver Tätigkeit gegen<br />

die Staaten <strong>de</strong>r sozialistischen Gemeinschaft ausführen“<br />

In <strong>de</strong>n 80er Jahren trifft das Ostberliner MfS, vertreten durch die HA XX, „längerfristige<br />

Rahmenvereinbarungen, die auch die ‚Kirchenlinie‘<br />

festlegen“ mit <strong>de</strong>n Sicherheitsdiensten, die <strong>de</strong>n Innenministerien einiger sozialistischer<br />

Staaten angeglie<strong>de</strong>rt sind. Folgen<strong>de</strong> Dienste wer<strong>de</strong>n aufgeführt: „Korps für<br />

Nationale Sicherheit <strong>de</strong>s Fö<strong>de</strong>rativen Ministeriums <strong>de</strong>s Innern<br />

<strong>de</strong>r CSSR; VI. Verwaltung <strong>de</strong>s Ministeriums <strong>de</strong>s Innern <strong>de</strong>r<br />

Volksrepublik Bulgarien; IV. Departement <strong>de</strong>s polnischen Innenministeriums,<br />

II. Verwaltung <strong>de</strong>s ungarischen Innenministeriums“.<br />

An einigen dieser Besprechungen nehmen auch Geheimdienst-Offiziere aus Kuba<br />

und Nordvietnam teil.<br />

Abwehr und Bekämpfung<br />

Die Zwischenüberschrift könnte über je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Kapitel dieser Arbeit stehen. Die Vereinbarungen<br />

für eine enge Zusammenarbeit <strong>de</strong>r kommunistischen Sicherheitsdienste<br />

wer<strong>de</strong>n Jahr um Jahr fortgeschrieben, wie eine Auswahl <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Stasi-Archiven aufgefun<strong>de</strong>nen<br />

Dokumente belegt. Je<strong>de</strong>s Mal geht es, wie <strong>immer</strong> auch die Wortwahl sein<br />

mochte, um „Die Hauptrichtung <strong>de</strong>r Organisierung <strong>de</strong>r Abwehrarbeit<br />

<strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r sozialistischen Staaten bei <strong>de</strong>r Bekämpfung<br />

<strong>de</strong>r subversiven Tätigkeit <strong>de</strong>s Vatikans.“<br />

Im November 1983 treffen sich in Sofia die Leiter <strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r sozialistischen<br />

Staaten. 1984 – im Juli – treffen sich in Moskau die Verwaltungs- und Abteilungsleiter<br />

<strong>de</strong>r Nachrichtendienste Bulgariens, <strong>de</strong>r DDR, Kubas, Polens, <strong>de</strong>r Sowjetunion, <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei, Ungarns und Vietnams. KGB-Chef Viktor M. Tschebrikow hielt die<br />

übliche Begrüßungsre<strong>de</strong> unter Zuhilfenahme <strong>de</strong>s üblichen Wörterbuchs. Das Arbeitstreffen<br />

sei ein „nützlicher Informationsaustausch über die operative<br />

Lage in <strong>de</strong>n sozialistischen Staaten und über die gesammelten<br />

Erfahrungen in <strong>de</strong>r Arbeit zur Bekämpfung <strong>de</strong>r feindlichen Bestrebungen<br />

<strong>de</strong>s Vatikans“. Es wer<strong>de</strong>n die „Hauptrichtungen <strong>de</strong>r Abwehrarbeit“<br />

festgelegt.<br />

Die Maßnahmen zielen wie<strong>de</strong>rum gegen „die katholische Kirche als <strong>de</strong>r<br />

sozialistischen Gesellschaftsordnung entgegenwirken<strong>de</strong> politische<br />

Kraft“. Es sind einige Punkte herausgegriffen, ohne je<strong>de</strong>s einzelne Verb in Anführungszeichen<br />

zu setzen:<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

▪ Informationen über Pläne, Formen und Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r subversiven Tätigkeit <strong>de</strong>s Vatikans<br />

und <strong>de</strong>r von ihm kontrollierten Kirchen und Organisationen gegen die Staaten<br />

<strong>de</strong>r sozialistischen ,Gemeinschaft;<br />

▪ Position <strong>de</strong>s Papstes und seiner engsten Umgebung zu wichtigen und internationalen<br />

Problemen (Ost-West-Dialog, politische und militärische Entspannung, Wettrüsten<br />

, Abrüstung);<br />

▪ Vatikan-Beziehungen mit <strong>de</strong>n größten Staaten <strong>de</strong>r kapitalistischen Welt sowie mit<br />

<strong>de</strong>r Volksrepublik China, Koordinierung dieser Politik, Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>n<br />

USA und an<strong>de</strong>ren NATO-Staaten zur Unterminierung <strong>de</strong>r Positionen <strong>de</strong>s Sozialismus,<br />

einschließlich <strong>de</strong>s Zusammenwirkens mit <strong>de</strong>n Geheimdiensten;<br />

▪ Aus<strong>de</strong>hnung und Verstärkung <strong>de</strong>s <strong>Kath</strong>olizismus in Entwicklungslän<strong>de</strong>rn Asiens,<br />

Afrikas und Lateinamerikas;<br />

▪ Römische Kurie: Kräftekonstellation, Kampf um <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen<br />

Strömungen und Gruppierungen.<br />

Es folgt eine Reihe von Vorschlägen zu <strong>de</strong>n Maßnahmen, die ergriffen wer<strong>de</strong>n sollen;<br />

ein Sammelsurium, das die unterschiedlichen Interessen <strong>de</strong>r Teilnehmer und ihrer politisch-i<strong>de</strong>ologischen<br />

Orientierung erkennen lässt:<br />

▪ Differenzen zwischen Anhängern <strong>de</strong>r harten Linie bei <strong>de</strong>r Durchführung <strong>de</strong>r sogenannten<br />

Ostpolitik – <strong>de</strong>r Papst und seine Umgebung und ihrer Gegner, die sich um<br />

Kardinbal Casaroli gruppieren – erweitern und vertiefen;<br />

▪ Materialien über die antihumane und verräterische Tätigkeit <strong>de</strong>s Vatikans und <strong>de</strong>s<br />

katholischen Klerus sammeln (Inquisition, Verbindungen mit <strong>de</strong>m Faschismus im<br />

Zweiten Weltkrieg, Unterstützung reaktionärer Regimes wie <strong>de</strong>s Franco-Regimes,<br />

Beteiligung an <strong>de</strong>r Unterdrückung <strong>de</strong>r Demokratie in Spanien, Verbindung mit kapitalistischen<br />

Monopolen). Suche nach Möglichkeit zur Veröffentlichungen in Verlagen<br />

<strong>de</strong>r kapitalistischen und Entwicklungslän<strong>de</strong>r 46 ;<br />

▪ Auf<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r Verlogenheit <strong>de</strong>r provokatorischen Kampagne über die angebliche<br />

Beteiligung <strong>de</strong>s bulgarischen Bürgers Antonow am Papst-Attentat und <strong>de</strong>r verwerflichen<br />

Position <strong>de</strong>s Vatikans in diesem Fall vor <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Weltöffentlichkeit;<br />

▪ Schaffung einer Front gegen <strong>de</strong>n Papst im Rahmen <strong>de</strong>r Ökumenischen Bewegung;<br />

▪ Auf<strong>de</strong>ckung und Unterbindung von Versuchen <strong>de</strong>r römischen Kurie, die gesellschaftsfeindliche<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>r reaktionären Elemente in katholischen und unierten<br />

Kreisen auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r sozialistischen Staaten zu verstärken;<br />

▪ Einsatz von Massenmedien, „um Johannes Paul II. als Protege <strong>de</strong>r<br />

reaktionärsten Kreise <strong>de</strong>s Westens zu diskreditieren und<br />

seinen wüten<strong>de</strong>n Antikommunismus und Antisowjetismus zu entlarven“;<br />

▪ verstärkte Bearbeitung von Emissären, Kurieren und Missionaren <strong>de</strong>s Vatikans und<br />

an<strong>de</strong>rer klerikaler katholischer Zentren, die auf verschie<strong>de</strong>nen Kanälen in unsere<br />

Län<strong>de</strong>r einreisen und subversiv gegen die sozialistischen Staaten wirken. Unter ihnen<br />

sind Agenten <strong>de</strong>s Gegners ausfindig zu machen und in <strong>de</strong>n Fällen, in <strong>de</strong>nen dies<br />

46 Vgl. die Maßnahme „Vesuv“; siehe w eiter unten.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

zweckmäßig erscheint, Maßnahmen zu <strong>de</strong>ren Überwerbung zu unternehmen;<br />

▪ Berliner Konferenz Europäischer <strong>Kath</strong>oliken (DDR), „Pacem in Terris“ (Priesterorganisation<br />

in <strong>de</strong>r CSSR), Assoziation <strong>de</strong>r Solidarität von patriotischen <strong>Kath</strong>oliken<br />

Vietnams;<br />

▪ katholische Kräfte, die von <strong>de</strong>r Position <strong>de</strong>r Theologie <strong>de</strong>r Befreiung aus gegen die<br />

antikommunistische Politik <strong>de</strong>s Vatikans auftreten, unterstützen;<br />

▪ bevorstehen<strong>de</strong> Jubiläumsfeiern „neutralisieren“: 1100. To<strong>de</strong>stag von Method 1985;<br />

600- Jahr <strong>de</strong>r Christianisierung Litauens 1987; 1000-Jahr-feier Annahme <strong>de</strong>s Christentums<br />

im alten Russland 1988. 47<br />

Die Maßnahme „Vesuv“<br />

Literatur zu fabrizieren, <strong>de</strong>ren Absicht <strong>de</strong>m Leser nicht von vornherein ersichtlich sein,<br />

son<strong>de</strong>rn vielmehr seine Überzeugungen ansprechen sollte, <strong>war</strong> in erster Linie Aufgabe<br />

<strong>de</strong>r Desinformations-Spezialisten. Es gehört zu <strong>de</strong>m weiten undurchsichtigen Feld <strong>de</strong>r<br />

Zersetzungsmaßnahmen. Ein Beispiel liefert ein Projekt aus <strong>de</strong>m Jahr 1988: die Maßnahme<br />

„Vesuv“. Es soll versucht wer<strong>de</strong>n, ein Buch mit <strong>de</strong>m Titel „Vatikan und katholische<br />

Kirche am Schei<strong>de</strong>punkt“ in <strong>de</strong>n Westen zu lancieren. Die Kontaktperson KP<br />

„Dole“ 48 wer<strong>de</strong> die „Publizierung im Operationsgebiet“ organisieren. Mit<br />

<strong>de</strong>r Publikation wer<strong>de</strong> unter an<strong>de</strong>rem angestrebt:<br />

▪ <strong>de</strong>n Differenzierungsprozess in <strong>de</strong>r katholischen Kirche und im Vatikan zu för<strong>de</strong>rn,<br />

realistisch <strong>de</strong>nken<strong>de</strong> Kirchenkreise zu stärken und das Zusammenwirken von Christen<br />

und Nichtglauben<strong>de</strong>n im Interesse <strong>de</strong>s Überlebens <strong>de</strong>r Menschheit weiter zu<br />

entwickeln;<br />

▪ die missbräuchliche Einflussnahme auf <strong>de</strong>n Klerus durch rechtskonservative Kreise<br />

innerhalb und außerhalb <strong>de</strong>r katholischen Kirche sowie durch geheimdienstliche<br />

Operationen <strong>de</strong>r CIA und <strong>de</strong>s BND zu enthüllen und zurückzudrängen;<br />

▪ <strong>de</strong>n von Papst Johannes XXIII. und <strong>de</strong>m II. Vatikanischen Konzil eingeleiteten Prozess<br />

<strong>de</strong>r „Öffnung <strong>de</strong>r Kirche zur Welt“ und zur „Demokratisierung <strong>de</strong>r Kirche“ zu<br />

för<strong>de</strong>rn und damit restaurativen Bestrebungen in <strong>de</strong>r Kirchenhierarchie entgegenzuwirken.<br />

49<br />

47 Vgl. HA XX, Nr. 11474.<br />

48 KP = Kontaktperson; auch „operativ be<strong>de</strong>utsamer Kontakt“. U.a. die Beziehung zw ischen einer Person<br />

<strong>de</strong>r DDR und einer Person, Einrichtung o<strong>de</strong>r Organisation <strong>de</strong>s nichtsozialistischen Auslan<strong>de</strong>s, die<br />

durch das MfS zur Lösung operativer Aufgaben nutzbar ist bzw . die die Möglichkeit <strong>de</strong>r operativen<br />

Nutzbarkeit erkennen lässt. <strong>Der</strong> Begriff w ur<strong>de</strong> auch in Bezug auf die Gegenseite, also bei DDR-<br />

Bürgern, die durch <strong>de</strong>n „Gegner zur Realisierung subversiver Ziele missbraucht w er<strong>de</strong>n könnten“, verwen<strong>de</strong>t.<br />

49 Vgl. HV A, Nr. 928, Betr.: HV A Abteilung X / 5, 21. Oktober 1988.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Arbeit am Mann<br />

Es fehlte im Maßnahmen-Katalog nie die „Arbeit am Mann“, die <strong>de</strong>r Alt-Kommunist<br />

Erich Mielke zum Credo <strong>de</strong>r geheimpolizeilichen Maßnahmen erklärte. Auf die „operative<br />

Bearbeitung“ <strong>de</strong>r Kirche bezogen hieß das: „Einbeziehung von Bischöfen<br />

und jungen Geistlichen in <strong>de</strong>ren Tätigkeit“. Man suchte sie als Informanten<br />

zu gewinnen, und wo eine aktive <strong>Spitzel</strong>tätigkeit nicht gelang, wur<strong>de</strong>n nicht wenige,<br />

auch ohne ihr Wissen, als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) geführt, ausgeforscht, zu<br />

Gesprächen „gebeten“, wenn es sein musste, auch mit Nachdruck.<br />

Un<strong>de</strong>rcover-Agenten in <strong>de</strong>n Vatikan einzuschleusen kam für Profis <strong>de</strong>r ND-Arbeit<br />

wohl eher nicht in Frage. Laien als Priester o<strong>de</strong>r Theologiestu<strong>de</strong>nten zu tarnen, damit<br />

hatten schon die Nazis Pech gehabt. Zu stümperhaft inszeniert, <strong>war</strong>en die falschen<br />

Geistlichen ziemlich schnell aufgeflogen. 50 Wie viel weniger hätten Leute eine Chance<br />

gehabt, unent<strong>de</strong>ckt zu bleiben, die bis dahin selten eine Kirche von innen gesehen haben<br />

dürften.<br />

Z<strong>war</strong> hat ein ehemaliger rumänischer Geheimdienstgeneral im Februar 2007 enthüllt,<br />

drei seiner Mitarbeiter, in Soutanen gesteckt, seien bis in die päpstlichen Geheimarchive<br />

vorgedrungen – aber das dürften Ausnahmen gewesen sein. 51 Wie an<strong>de</strong>re Nachrichtendienste,<br />

westliche wie östliche, wird auch die HVA in <strong>de</strong>n Auslandsmissionen <strong>de</strong>r DDR,<br />

also auch in Rom, als Botschaftsangehörige getarnte eigene Leute platziert haben. Aber<br />

die übernehmen vorrangig Führungsaufgaben. Gera<strong>de</strong> auch um die Mauern <strong>de</strong>s Vatikans<br />

zu durchdringen bedurfte es einer an<strong>de</strong>ren Spezies von Spionen, über die das MfS<br />

in Divisionsstärken verfügte. Das <strong>war</strong>en die Informanten, Gewährsleute, Zubringer o<strong>de</strong>r<br />

wie <strong>immer</strong> man sie auch nennen mag mit <strong>de</strong>r verharmlosen<strong>de</strong>n Bezeichnung „Inoffizieller<br />

Mitarbeiter“, wobei diese entsprechend ihrer Verwendung und Operationsgebiete<br />

kategorisiert wur<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Er<strong>war</strong>tung, näher an <strong>de</strong>n geheimsten Quellen zu sein,<br />

wur<strong>de</strong>n Geistliche bevorzugt, die zur Kollaboration bereit <strong>war</strong>en o<strong>de</strong>r leicht ausgeforscht,<br />

„abgeschöpft“ wer<strong>de</strong>n konnten.<br />

„Persönlich bekannt mit <strong>de</strong>m Papst“<br />

Mancher Kleriker „aus <strong>de</strong>m Osten“ erkennt sich allerdings in <strong>de</strong>n Aufzeichnungen <strong>de</strong>s<br />

MfS selbst nicht wie<strong>de</strong>r. Dies mag zum Beispiel für <strong>de</strong>n katholischen Geistlichen gelten,<br />

<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Vollzugsbeamten <strong>de</strong>s SED-Überwachungsstaates unter <strong>de</strong>m Decknamen<br />

„Martin“ geführt wur<strong>de</strong>. Als Sorbe <strong>war</strong> er natürlich auch auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite <strong>de</strong>s Erzgebirges<br />

zu Hause, zählte die Tschechen zu seinen Sprachverwandten und nicht wenige<br />

seiner geistlichen Mitbrü<strong>de</strong>r dort zu seinen Freun<strong>de</strong>n. <strong>Der</strong> Stasi genügte das schon als<br />

50 Vgl. Werner Kaltefleiter / Hanspeter Oschw ald: Spione im Vatikan, Kapitel „Experten gesucht“, S. 84.<br />

51 Vgl. ebd., Kapitel „Feind hört mit“, S. 53: Im Zw eiten Weltkrieg w ar es <strong>de</strong>m Auslands-SD gelungen,<br />

<strong>de</strong>n SS-Hauptsturmführer Georg Elling, einen abtrünnigen Priester, ab 1943 als „wissenschaftlichen<br />

Mitarbeiter“ in <strong>de</strong>n Mitarbeiterstab <strong>de</strong>r Vatikanbotschaft „einzubauen“.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

„operativ interessantes Merkmal <strong>de</strong>s IMS.“ 52 Kontakte zu höchsten vatikanischen<br />

Kreisen machten ihn interessant. „Persönlich bekannt mit <strong>de</strong>m<br />

Papst“ wur<strong>de</strong> fein säuberlich per Hand in seiner Akte notiert. Doch konnten sie wohl<br />

nicht von <strong>de</strong>r angenommenen Qualität sein, wenn man <strong>de</strong>n Apostolischen Palast „von<br />

innen kennt.“<br />

Besuchern von außen, ob mit o<strong>de</strong>r ohne Priester-Kollar, wur<strong>de</strong> a priori mit einer gewissen<br />

Diskretion begegnet, und Besuchern aus Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s kommunistischen Machtbereichs<br />

dürfte ein spezielles Misstrauen nicht entgangen sein. Konzelebration bei einem<br />

Gottesdienst mit <strong>de</strong>m Papst in <strong>de</strong>ssen Privatkapelle, wie „Martin“ als einen Augenblick<br />

höchster Ehre erinnert, und anschließend ein paar freundschaftliche Worte über<br />

diese und jene persönliche Erinnerung, machten aus ihm noch keinen Konfi<strong>de</strong>nten.<br />

Aber es hat Gespräche mit örtlichen MfS-Führungsoffizieren gegeben. Die Kontakte<br />

mit <strong>de</strong>n Sicherheitsorganen <strong>war</strong>en, folgt man seiner Aussage, wohl unumgänglich gewesen,<br />

wollte man die eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re „Genehmigung“ erreichen, ob zum Wohle <strong>de</strong>r<br />

ihm anvertrauten Gläubigen o<strong>de</strong>r zur kurzfristigen Auslieferung eines „vor 13 Jahren<br />

bestellten Pkw Wartburg“, nicht <strong>de</strong>m privaten Vergnügen zuliebe, son<strong>de</strong>rn<br />

in <strong>de</strong>r Seelsorge eingesetzt. So kam eben bei<strong>de</strong>s zusammen, wie die allgegenwärtige<br />

„Staatssicherheit“ wohl ganz richtig zur „politischen Einstellung“ ihres Opfers<br />

notierte: „Als Geistlicher kath. Glaubens bezieht er <strong>immer</strong>hin<br />

noch eine realistische Weltanschauung. Er geht Objektivitäten<br />

nicht aus <strong>de</strong>m Weg. Ist allerdings ein echter Verfechter seines<br />

Glaubens.“ Immerhin, Herr Stasi-Offizier, möchte man da hinzufügen. Denn in <strong>de</strong>r<br />

„Beurteilung“ 53 kam er nicht umhin festzustellen, grammatikalisch etwas hastig nie<strong>de</strong>rgeschrieben:<br />

„Das Motiv über die Bereitschaft für die Zusammenkünfte<br />

sind teils noch unklar.“<br />

Die „Qualität“ <strong>de</strong>s IMs dürfte sich also in Grenzen gehalten haben. Wie er beteuert,<br />

hat er „niemals“ sich „zur Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>m MfS verpflichtet<br />

o<strong>de</strong>r einen Decknamen vereinbart“. Wohl aber seien „einige Treffs“ in<br />

Bautzen (Hotel Lubin) vereinbart wor<strong>de</strong>n. „No big <strong>de</strong>al“ also. Mit <strong>de</strong>m Teufel zu tanzen<br />

– schon eine schwere Sün<strong>de</strong>? Ja, er habe <strong>de</strong>n Herren schon auch mal <strong>de</strong>utlich die Meinung<br />

gesagt. Wie die Tschechen mit Priestern und Gläubigen umgingen, das sei eine<br />

Schweinerei. Da seien seine Zuhörer ziemlich kleinlaut gewor<strong>de</strong>n. Die staatlichen Aufpasser<br />

hatten also nicht so ganz unrecht, wenn sie „Martin“ „als katholischer<br />

Geistlicher“ <strong>de</strong>r IMS „eine kritische politische Haltung zugunsten<br />

seines Glaubens“ bescheinigten. Aber ein Held will er doch wohl nicht gewesen<br />

sein, <strong>de</strong>r „Martin“. Und – er habe <strong>de</strong>n „folgenschweren Fehler“ begangen,<br />

52 IMS: Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung <strong>de</strong>s Verantw ortungsbereiches.<br />

Über <strong>de</strong>ssen Funktion w ird u.a. gesagt: „Seine Arbeit muss <strong>de</strong>r umfassen<strong>de</strong>n, sicheren<br />

Einschätzung und Beherrschung <strong>de</strong>r politisch-operativen Lage im Verantw ortungsbereich und <strong>de</strong>r Weiterführung<br />

<strong>de</strong>s Klärungsprozesses ‚Wer ist wer‘ dienen.“<br />

53 Zum Kriterium „Beurteilung“ besagt eine Fußnote auf <strong>de</strong>m Bew ertungsbogen: „Es sind insbeson<strong>de</strong>re<br />

einzuschätzen: die operative Entw icklung <strong>de</strong>s IM, seine operativen Fähigkeiten, tatsächliche Wirksamkeit,<br />

Einsatzbereitschaft, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Einhaltung <strong>de</strong>r Konspiration sow ie die Voraussetzungen<br />

für die w eitere Zusammenarbeit.“<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

sich nicht „strikt an die Weisungen <strong>de</strong>r Berliner Bischofskonferenz<br />

gehalten zu haben, von je<strong>de</strong>m Gespräch ein Gedächtnisprotokoll<br />

anzufertigen und seinem Bischof zuzuleiten.“ Das bereue er aufrichtig.<br />

Spalt-Versuche<br />

Sich <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>ologischen Gegner dienstbar zu machen, ihn aus <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>s Klassenfein<strong>de</strong>s<br />

zu rekrutieren, das heißt <strong>de</strong>n Klerus in <strong>de</strong>n jeweiligen Län<strong>de</strong>rn für eine Mitarbeit<br />

zu gewinnen, gegebenenfalls zu zwingen (es gab Wege und Mittel), hatte Metho<strong>de</strong>.<br />

Fünfzehn Jahre nach <strong>de</strong>m Zusammenbruch <strong>de</strong>s sozialistischen Lagers erst wird das ganze<br />

Ausmaß offenkundig, etwa nach <strong>de</strong>n Veröffentlichungen von Unterlagen <strong>de</strong>s ehemaligen<br />

Staatssicherheitsdienstes SB 54 durch das polnische „Institut <strong>de</strong>s Nationalen Ge<strong>de</strong>nkens“<br />

IPN 55 .<br />

In seiner Re<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>r bereits erwähnten Prager Geheimdienstkonferenz von 1977<br />

hatte <strong>de</strong>r sowjetische KGB-General Machmejew gefor<strong>de</strong>rt, „weiterhin Informationen<br />

über die Taktik <strong>de</strong>s Gegners, die Möglichkeiten religiöser<br />

Organisationen im i<strong>de</strong>ologischen Kampf gegen die sozialistischen<br />

Län<strong>de</strong>r auszunutzen, auszutauschen“. <strong>Der</strong> Zweck <strong>de</strong>r Übung<br />

wur<strong>de</strong> von ihm ebenso klar <strong>de</strong>finiert: „differenzierte Anwendung <strong>de</strong>r Materialien<br />

zur Vertiefung von Meinungsverschie<strong>de</strong>nheiten zwischen<br />

<strong>de</strong>m Vatikan und <strong>de</strong>n Kirchenleitungen in je<strong>de</strong>m sozialistischen<br />

Land.“ Auf <strong>de</strong>n Punkt gebracht hieß das: Einen Keil zwischen Papst und Bischöfe zu<br />

treiben. Eine Wunschvorstellung, bar je<strong>de</strong>r Kenntnis <strong>de</strong>r innerkirchlichen hierarchischen<br />

Strukturen und Gehorsamsprinzipien. Gleichwohl: Was man <strong>de</strong>m Gegner ständig<br />

vorhielt, die politisch-i<strong>de</strong>ologische Diversion, gehörte zu <strong>de</strong>n eigenen Instrumenten aus<br />

<strong>de</strong>r Waffenkammer <strong>de</strong>s Kalten Krieges.<br />

Für Kommunisten, die ihren Marx vermutlich einigermaßen auswendig konnten, die<br />

Bibel aber als ein Buch mit sieben Siegeln betrachteten, erwies es sich als einigermaßen<br />

schwierig, in die Innenräume <strong>de</strong>r Kirche zu gelangen. Auch „hilfsbereiten“ Laien <strong>war</strong><br />

dies nur bedingt möglich. Was lag da näher, als sich <strong>de</strong>n Klerus unmittelbar nutzbar zu<br />

machen?<br />

Es gelang bis zu einem gewissen Grad, aber es scheiterte ebenso an <strong>de</strong>r Loyalität <strong>de</strong>rjenigen,<br />

die sich nicht beugten. Zurück bleibt ein trauriges Kapitel <strong>de</strong>r Kollaboration mit<br />

<strong>de</strong>njenigen, die <strong>de</strong>n Kontakt mit <strong>de</strong>r Kirche eher mie<strong>de</strong>n, wie eben <strong>de</strong>r sprichwörtliche<br />

Teufel das Weihwasser.<br />

Schon in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Kalten Krieges sickerten Einzelheiten über die „Frie<strong>de</strong>nspriester“<br />

in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei und ähnliche Zusammenschlüsse in Ungarn und Jugoslawien<br />

in <strong>de</strong>n Westen durch. Man wusste, dass es sich um erzwungene Zusammenschlüsse<br />

han<strong>de</strong>lte; die örtlichen Bischöfe, soweit sie selbst nicht diesen subversiv program-<br />

54 SB: Sluzba Bezpieczenstw a.<br />

55 IPN: Instytut Pamieci Narodowej.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

mierten Organisationen angehörten, <strong>war</strong>en ge<strong>war</strong>nt. <strong>Der</strong> Vatikan wusste Bescheid. Die<br />

Kollaborateure blieben isoliert. Wie „freiwillig“ sie zur Mitarbeit bereit <strong>war</strong>en, sei dahingestellt.<br />

Hinter je<strong>de</strong>m Fall steht ein persönliches Schicksal, das vielen <strong>de</strong>r Betroffenen<br />

bis heute schwer auf <strong>de</strong>r Seele lastet.<br />

Wie sich die Stasi-Werber speziell um <strong>de</strong>n Klerus bemühten, so hielten sie ein scharfes<br />

Auge auf gedul<strong>de</strong>te christliche Vereinigungen, zumal, wenn diese internationale Beziehungen<br />

unterhielten, von <strong>de</strong>r Staatsführung und <strong>de</strong>n Nachrichtendiensten insofern gern<br />

geför<strong>de</strong>rt. Es verwun<strong>de</strong>rt also nicht, wenn in <strong>de</strong>n Listen <strong>de</strong>s MfS und auf <strong>de</strong>n Arbeitstagungen<br />

<strong>de</strong>r Dienste diesbezügliche Organisationen genannt wer<strong>de</strong>n: die Berliner Konferenz<br />

Europäischer Christen zum Beispiel, <strong>de</strong>ren Vorsitzen<strong>de</strong>r als eifriger IM in <strong>de</strong>n Akten<br />

<strong>de</strong>r Stasi einen bevorzugten Platz einnimmt.<br />

Die ökumenisch ausgerichtete Prager Christliche Frie<strong>de</strong>nskonferenz zählt ebenso dazu<br />

wie <strong>de</strong>r Zusammenschluss „Christen für <strong>de</strong>n Sozialismus“. Divergieren<strong>de</strong> Meinungen<br />

innerhalb <strong>de</strong>r Kirche gegeneinan<strong>de</strong>r auszuspielen <strong>war</strong> das Grundmuster. Also kam es<br />

darauf an, mit nachrichtendienstlichen Mitteln jene Kreise zu för<strong>de</strong>rn, die selbst im eigenen<br />

Lager als „links“ stehend galten. Die internationale katholische Frie<strong>de</strong>nsbewegung<br />

„Pax Christi“, insbeson<strong>de</strong>re auch die <strong>de</strong>utsche Sektion, sah sich auf diese Weise etikettiert,<br />

nicht zuletzt durch ihre Position in <strong>de</strong>r Nachrüstungs<strong>de</strong>batte En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 70er /<br />

Anfang <strong>de</strong>r 80er Jahre.<br />

Auch <strong>de</strong>r Päpstliche Rat „Justitia et Pax“ und seine nationalen Kommissionen seit<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 60er Jahre in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik und seit 1978 bei <strong>de</strong>r (ost<strong>de</strong>utschen) Berliner<br />

Bischofskonferenz gerieten ins Blickfeld <strong>de</strong>s KGB und seiner nationalen „Unterorganisationen“.<br />

Wer <strong>immer</strong> zum „politischen <strong>Kath</strong>olizismus“ gerechnet wur<strong>de</strong>, galt für <strong>de</strong>n<br />

Osten als vom Vatikan gesteuert. Es <strong>war</strong> nur noch herauszufin<strong>de</strong>n, wer im kirchlichen<br />

Umfeld politische Meinungen, etwa zur Frie<strong>de</strong>nsfrage, vertrat, die sich für das sozialistische<br />

Konzept ausbeuten ließen.<br />

Auch Stimmen <strong>de</strong>r römischen Kurie, wenn sie auch nur an<strong>de</strong>utungsweise interessant<br />

genug erschienen, kamen aufs Sammelkonto. Und so for<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r bereits mehrfach zitierte<br />

Sowjet-General Machmejew auf <strong>de</strong>r Prager Arbeitstagung von 1977, „die progressiveren<br />

Organe <strong>de</strong>s Vatikans“ zu stärken, um „<strong>de</strong>n reaktionären<br />

Flügel noch anschaulicher <strong>de</strong>r Römischen Kurie gegenüberzustellen.“<br />

Machmejew sprach Klartext: „Wir müssen mit unseren gemeinsamen<br />

Möglichkeiten eine koordinierte Arbeit zur Vertiefung <strong>de</strong>s<br />

Zwiespaltens in <strong>de</strong>r römischen Kurie leisten, die Autorität <strong>de</strong>r<br />

progressiven Kräfte stärken und ihre Gegner kompromittieren.“ 56<br />

56 Man erinnert sich an das „Bonmot“ <strong>de</strong>s US-Verteidigungsministers Robert Gates als Antw ort auf eine<br />

Verbalattacke <strong>de</strong>s russischen Präsi<strong>de</strong>nten Wladimir Putin. Gates: „Spione sprechen eine klare Sprache“.<br />

Gates musste es w issen, als ehemaliger CIA-Direktor, und Putin ihn verstan<strong>de</strong>n haben, als ehemaliger<br />

KGB-Offizier. <strong>Der</strong> Russe hatte als erster russischer Präsi<strong>de</strong>nt an <strong>de</strong>r Sicherheitskonferenz in München<br />

vom 9. bis 11. Februar 2007 teilgenommen und eine „unverblümte Abrechnung mit <strong>de</strong>n USA“ (Wiesba<strong>de</strong>ner<br />

Kurier v. 12.2.2007) vorgenommen. Er hatte, angesichts <strong>de</strong>r geplanten Raketenabwehr <strong>de</strong>r<br />

Amerikaner und <strong>de</strong>ren militärischem Vorgehen in <strong>de</strong>r Welt, die „gesamte globale Sicherheitsarchitektur“<br />

in Frage gestellt. <strong>Der</strong> Wiesba<strong>de</strong>ner Kurier spürte in seiner Artikel-Überschrift einen „Hauch von<br />

Kaltem Krieg in München“, nicht ohne <strong>de</strong>n Kommentar von Robert Gates festzuhalten, <strong>de</strong>r „unter<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Zentrale Königstein<br />

Ein Dorn im Auge <strong>de</strong>r kommunistischen Nachrichtendienste <strong>war</strong>en, kaum überraschend,<br />

die „Königsteiner Anstalten“, benannt nach <strong>de</strong>m Taunusstädtchen nahe Frankfurt.<br />

Im Mittelpunkt <strong>de</strong>r dort angesie<strong>de</strong>lten katholischen Organisationen stand die „Vertriebenenarbeit“,<br />

die Situation <strong>de</strong>r verfolgten Kirche im Ostblock. Kongresse im „Haus<br />

<strong>de</strong>r Begegnung“, verbun<strong>de</strong>n mit stark beachteten Pressekonferenzen, auf <strong>de</strong>nen Vertreter<br />

<strong>de</strong>s katholischen Exils, aber auch <strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Gast, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Weg durch <strong>de</strong>n<br />

„Eisernen Vorhang“ geschafft hatte, auftrat. Beson<strong>de</strong>ren Ruf erlangte „Königstein“<br />

durch das Hilfswerk „Kirche in Not / Ostpriesterhilfe“ <strong>de</strong>s belgischen Prämonstratenserpaters<br />

Werenfried van Straaten. 57<br />

Für die west<strong>de</strong>utschen Bischöfe, aber auch für vatikanische Stellen <strong>war</strong> „Königstein“<br />

eine Möglichkeit, Verbindungen zur Kirche im Osten zu halten. Gewiss gingen von<br />

„Königstein“ auch vernehmbare Stimmen aus, die in vatikanischem Interesse und ohne<br />

direkte römische Interventionen Einfluss und Druck auf politische und kirchenpolitische<br />

Entscheidungen in Bonn hinsichtlich <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r kirchlichen Situation im Osten nehmen<br />

konnten. Die Phantasie <strong>de</strong>r Moskauer Nachrichtendienste wur<strong>de</strong> je<strong>de</strong>nfalls durch<br />

Informationen dieser Art belebt, zumal wenn sie angeblich aus „zuverlässiger<br />

Quelle“ o<strong>de</strong>r von einer „engen Vertrauensperson“ dieses o<strong>de</strong>r jenes Kardinals<br />

stammten.<br />

Die Situation verän<strong>de</strong>rte sich nach <strong>de</strong>m „Fall <strong>de</strong>r Mauer“. Die „Wie<strong>de</strong>rvereinigung“<br />

<strong>war</strong> z<strong>war</strong> physisch rasch vollzogen, „in <strong>de</strong>n Herzen“ <strong>de</strong>r Menschen, die politische Lösung<br />

aber zog so schnell nicht nach. Noch existierte <strong>de</strong>r „zweite <strong>de</strong>utsche Staat“, wenn<br />

auch nicht mehr nach „volks<strong>de</strong>mokratischen Muster“. Dennoch stellte sich die Frage<br />

nach <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Entwicklung in <strong>de</strong>n Regionen Mittel<strong>de</strong>utschlands, die man<br />

später die „neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r“ nennen wür<strong>de</strong>.<br />

Den Kirchen <strong>war</strong> selbstverständlich klar, was auf <strong>de</strong>m Spiel stand, sie bedurften <strong>de</strong>r<br />

Warnung Gorbatschows vor Verspätung nicht. Die staatlich verkün<strong>de</strong>te Lehre, auf einen<br />

Gott „im Himmel und auf Er<strong>de</strong>n“ verzichten zu können, hatte sich wie ein Pestizid<br />

vor allem auf die junge Saat <strong>de</strong>r Menschen eingewirkt. Johannes Paul II. zeigte sich besorgt,<br />

die Rückkehr <strong>de</strong>r Freiheit im Osten Europas führe nicht zwangsläufig zu einer religiösen<br />

Wie<strong>de</strong>rgeburt, son<strong>de</strong>rn drohe vielmehr, <strong>de</strong>n überwun<strong>de</strong>nen wissenschaftlichen<br />

Materialismus durch <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Genusses abzulösen. Von ähnlichen Motiven ließen sich<br />

wohl auch die Organisatoren <strong>de</strong>r Internationalen Jugendseelsorger-Konferenz leiten, die<br />

vom 5. bis 10. November 1989 in Heiligenstadt stattfand. Thema: „Die Lebenswelt <strong>de</strong>r<br />

Jugendlichen als Herausfor<strong>de</strong>rung für die Ortskirche“. Die <strong>de</strong>utschen Bischöfe knüpften<br />

hohe Er<strong>war</strong>tungen an dieses Treffen. Auch die Stasi hatte auf Alarmstufe geschaltet. In<br />

<strong>de</strong>n Termin von Heiligenstadt fiel die Nacht vom 9. November am Bran<strong>de</strong>nburger Tor<br />

– wer hatte das voraussehen können. Aber es hatte schon lange etwas in <strong>de</strong>r Luft gele-<br />

Beifall <strong>de</strong>s Publikums“ nüchtern reagiert habe: „Ein Kalter Krieg ist genug.“<br />

57 In Deutschland erlangte er nach <strong>de</strong>m Krieg dank seiner Hilfsaktionen als „Speckpater“ eine bleiben<strong>de</strong><br />

Popularität. Das Hilfsw erk trägt mittlerweile nur noch <strong>de</strong>n Namen „Kirche in Not“.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

gen, ausgehend von <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>nsgebeten, <strong>de</strong>n „Montags<strong>de</strong>monstrationen“, <strong>de</strong>r Stimme<br />

<strong>de</strong>s Volkes in Leipzig, Dres<strong>de</strong>n, Berlin und in an<strong>de</strong>ren Städten <strong>de</strong>r DDR.<br />

Wür<strong>de</strong> die katholische Kirche, die es in <strong>de</strong>n winterlichen Jahren <strong>de</strong>r DDR vorgezogen<br />

hatte, sich in die hauseigene Wärmestube zurückzuziehen, <strong>de</strong>n Anschluss an die evangelischen<br />

Christen halten? Könnten die Bischöfe, Herren über die kirchenpolitische Richtlinie<br />

gegenüber <strong>de</strong>m sozialistischen Staat, sich von <strong>de</strong>m frischen Luftzug anstecken lassen<br />

und <strong>de</strong>utlicher <strong>de</strong>m morschen System ins Gesicht blasen, <strong>de</strong>ssen En<strong>de</strong> zu beschleunigen?<br />

Die vatikanische Haltung schien wie<strong>de</strong>r einmal, wie zu Zeiten <strong>de</strong>r ostpolitischen<br />

„Anpassung an die Realität“, unter entgegengesetzten Vorzeichen, drängen<strong>de</strong>r zu sein<br />

als die <strong>de</strong>r Bischöfe „vor Ort“. Die Kirchenspezialisten <strong>de</strong>r Ostberliner Staatssicherheit<br />

<strong>war</strong>en je<strong>de</strong>nfalls ganz Ohr bei Informationen aus Rom, die sich als Kontroverse zwischen<br />

„Rom“ und <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Episkopaten ausspielen und geheimdienstlich instrumentalisieren<br />

ließen.<br />

Ebenso mussten die Dominikaner in Walberberg und die Jesuiten in München auf <strong>de</strong>r<br />

Hut sein. Publikationen, die auf kirchliche und kirchenpolitische Themen spezialisiert<br />

<strong>war</strong>en, durften sicher sein, in östlichen Geheimdienstbüros intensive Leser zu fin<strong>de</strong>n,<br />

nicht zuletzt in <strong>de</strong>n Desinformationsabteilungen. <strong>Der</strong> vatikanische „Osservatore“ zählte<br />

sozusagen zur Standardlektüre, aber auch west<strong>de</strong>utsche Publikationen mit vorwiegend<br />

kirchlichen und kirchenpolitischen, aber auch theologischen und gesellschaftlichen<br />

Themen wie etwa die „Her<strong>de</strong>r-Korrespon<strong>de</strong>nz.“<br />

Theologie <strong>de</strong>r Befreiung<br />

Beson<strong>de</strong>res Gefallen fan<strong>de</strong>n die roten Kirchengegner offenbar an <strong>de</strong>n innerkatholischen<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen um die so genannten Theologie <strong>de</strong>r Befreiung, die vor allem in<br />

Lateinamerika prominente Vertreter auf aka<strong>de</strong>mischem Niveau (Gustavo Gutierrez, Leonardo<br />

Boff, Jon Sobrino u.a.) und in nicht wenigen christlichen „Basisgemein<strong>de</strong>n“ Zustimmung<br />

gefun<strong>de</strong>n hatte – wobei die Frage <strong>de</strong>r Erlaubtheit <strong>de</strong>r Mittel, ob Zusammenarbeit<br />

mit Kommunisten, Anwendung von Gewalt, vom zivilen Ungehorsam bis zum<br />

Griff zur „Kalaschnikow“, zu Zerreißproben innerhalb <strong>de</strong>r Bewegung führte. An „Solidaritätsbekundungen“<br />

für <strong>de</strong>n „Kampf an <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r unterdrückten Massen“ fehlte es<br />

aus <strong>de</strong>m sozialistischen Lager nicht, verbun<strong>de</strong>n mit massiver Kritik an <strong>de</strong>n angeblichen<br />

feindlichen Kräften, die die Befreiungstheologie zu „vernichten“ drohten.<br />

Die Veröffentlichung <strong>de</strong>r „Instruktion über einige Aspekte <strong>de</strong>r Theologie <strong>de</strong>r Befreiung“<br />

vom 6. August 1984, verantwortet von <strong>de</strong>r römischen Glaubenskongregation, lieferte<br />

<strong>de</strong>n kommunistischen Exegeten reichlich Munition für gezielte Angriffe gegen <strong>de</strong>n<br />

Präfekten <strong>de</strong>r Kongregation, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Kurienkardinal Josef Ratzinger. Er und Johannes<br />

Paul II. wer<strong>de</strong>n als diejenigen gezeichnet, die in engster Übereinstimmung ein<br />

Unglück darin sähen, dass marxistisch-leninistische Kräfte in die Glaubensgemein<strong>de</strong>n<br />

eingedrungen seien.<br />

Neben <strong>de</strong>r kontroversen Frage nach <strong>de</strong>m gesellschaftlichen Auftrag <strong>de</strong>r Kirche an <strong>de</strong>r<br />

Seite <strong>de</strong>r Armen stellte sich, für „Rom“ nicht weniger provozierend, die For<strong>de</strong>rung nach<br />

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einer „Kirche von unten“, die sich als eine „Kirche <strong>de</strong>s Volkes“ aus ihrer Mitte heraus<br />

gestaltetet, nicht „von oben“ dirigiert, son<strong>de</strong>rn mit einer von <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> <strong>de</strong>mokratisch<br />

bestimmten Gemein<strong>de</strong>leitung – eine die gelten<strong>de</strong> Ekklesiologie revolutionieren<strong>de</strong><br />

I<strong>de</strong>e. Für die hierarchisch geführte, sich auf das das Petrus-Mandat berufen<strong>de</strong> Papstkirche<br />

<strong>war</strong> dies eine völlig unannehmbare Strukturverän<strong>de</strong>rung.<br />

In die Schusslinie <strong>de</strong>r Ostberliner Stasi gerieten neben Südamerikanern wie <strong>de</strong>m Bischof<br />

von Bogotá, Lopez-Trujillo, vor allem auch west<strong>de</strong>utsche Bischöfe wie <strong>de</strong>r Kölner<br />

Kardinal Josef Höffner und <strong>de</strong>r Pa<strong>de</strong>rborner Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt<br />

sowie <strong>de</strong>r Essener Bischof Franz Hengsbach.<br />

Mit <strong>de</strong>r Materie vertraute Leser wer<strong>de</strong>n die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung um das Memorandum<br />

vom 21. November 1977 erinnern, mit <strong>de</strong>m west<strong>de</strong>utsche Theologen, an <strong>de</strong>r Spitze Karl<br />

Rahner und Johann Baptist Metz, Partei für ihre Kollegen in Peru und Brasilien ergriffen.<br />

Die hitzige Debatte, die um Hengsbachs Studienkreis „Kirche und Befreiung“ ausbrach,<br />

ein Konflikt, <strong>de</strong>r die kirchliche Hilfsaktion „Adveniat“ heftig in Mitlei<strong>de</strong>nschaft<br />

zog unter <strong>de</strong>m Vorwurf, sie unterstütze jene Teile <strong>de</strong>r Kirche, die sich massiv gegen die<br />

Theologie <strong>de</strong>r Befreiung stellten, mithin <strong>de</strong>n staatlichen Unterdrückungsapparaten in die<br />

Hän<strong>de</strong> spiele. Das <strong>war</strong> nun nicht gera<strong>de</strong> „tägliches Brot“ <strong>de</strong>r wohl im Katechismus <strong>de</strong>s<br />

dialektischen Materialismus geschulten Ka<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Normannenstraße. <strong>Der</strong> schon vor<br />

einem Jahrzehnt in <strong>de</strong>n Akten aufgefun<strong>de</strong>ne Lesestoff macht nicht <strong>de</strong>n Eindruck, zur<br />

bevorzugten Lektüre <strong>de</strong>r Mielke-Truppe gezählt zu haben. Im Kontext <strong>de</strong>r neuerdings<br />

aus <strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>r Kirchenabteilung erschlossenen Informationen habe ich in meinen<br />

alten Bestän<strong>de</strong>n nachgeschlagen und ihn, weil doch recht passend, an dieser Stelle<br />

noch einmal zur Sprache bringen wollen.<br />

Reizthema „Vatikanische Ostpolitik“<br />

Mit einem baldigen Zusammenbruch <strong>de</strong>s Moskauer Imperiums, noch innerhalb <strong>de</strong>r<br />

zweiten Hälfte <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts, rechneten in <strong>de</strong>n politischen Zentralen <strong>de</strong>s Westens<br />

vielleicht einige Philosophen, die Realisten gingen vom Hun<strong>de</strong>rtjährigen Kalen<strong>de</strong>r<br />

aus. Auch die vatikanische Diplomatie legte eine längere Kälteperio<strong>de</strong> für das Leben <strong>de</strong>r<br />

Kirche östlich <strong>de</strong>s Eisernen Vorhangs für ihre Überlegungen zugrun<strong>de</strong>. Wie konnte ein<br />

„modus vivendi“, eine einigermaßen annehmbare und verlässliche Lösung mit <strong>de</strong>n Regimes<br />

erreicht wer<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n Lebensalltag <strong>de</strong>r christlichen Gemein<strong>de</strong>n zu ermöglichen,<br />

respektive zu erleichtern? Die Erfahrungen mit Hitler-Deutschland <strong>war</strong>en nicht<br />

gera<strong>de</strong> ermutigend.<br />

Alle Päpste <strong>de</strong>r Nachkriegszeit, von Pius XII. bis Johannes Paul II., ließen nichts unversucht,<br />

auf schmalem Grad mit <strong>de</strong>n politischen Systemen, aber auch gegen manchen<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch <strong>de</strong>r Kirchenleitungen „vor Ort“, wie am <strong>de</strong>utlichsten das polnische Beispiel<br />

zeigte.<br />

Pius XII., noch konfrontiert mit <strong>de</strong>r harten Anfangsphase <strong>de</strong>s Kalten Krieges, wandte<br />

sich 1952 an „Das <strong>de</strong>m unbefleckten Herzen Marias geweihte Russland“. Das Apostoli-<br />

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sche Rundschreiben 58 ist auf <strong>de</strong>n Festtag <strong>de</strong>r Heiligen Kyrill und Method datiert, <strong>de</strong>r<br />

„Apostel <strong>de</strong>r Slawen“. <strong>Der</strong> Papst überantwortet Russland <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r Gottesmutter<br />

– welch „Sakrileg“ in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r roten Zaren. Pius XII. sagt auch <strong>war</strong>um: „Wir haben<br />

uns nicht gescheut, die Fehler <strong>de</strong>s atheistischen Kommunismus anzugreifen.“ Ein<br />

solcher Satz <strong>war</strong> noch im Stil von „Divini Re<strong>de</strong>mptoris“ geschrieben, <strong>de</strong>r 1937 gegen<br />

<strong>de</strong>n atheistischen Kommunismus gerichteten Enzyklika. 59<br />

Pius XI. hatte sie z<strong>war</strong> unterzeichnet, sie <strong>war</strong> aber doch wohl von Pacelli stark mitformuliert<br />

wor<strong>de</strong>n. Glaubte Pacelli hoffen zu dürfen, „die Irren<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r zur Wahrheit<br />

zurückzuholen“, so <strong>war</strong> er doch als Papst realistisch genug, gegenüber möglichen Kontakten<br />

mit Moskau nicht absolut abstinent zu bleiben. Stalin fürchtete angeblich die Divisionen<br />

<strong>de</strong>s Papstes nicht. Er wür<strong>de</strong> seine Statthalter entsprechend gewähren lassen.<br />

Die Kirche in <strong>de</strong>r Tschechoslowakei bekam es beson<strong>de</strong>rs leidvoll zu spüren. Rom musste<br />

Wege und Mittel fin<strong>de</strong>n, um das Los <strong>de</strong>r Gläubigen unter kommunistischer Zwangsherrschaft<br />

zumin<strong>de</strong>st zu lin<strong>de</strong>rn.<br />

<strong>Der</strong> in <strong>de</strong>n 60er und 70er Jahren gehan<strong>de</strong>lte politische Begriff von <strong>de</strong>r friedlichen Koexistenz<br />

fand auch Eingang in die vatikanische „Ostpolitik“, als eine Chance, im atheistischen<br />

Staat einen Platz zum Leben und Überleben <strong>de</strong>r örtlichen Kirchen zu fin<strong>de</strong>n. Allerdings<br />

weigerten sich die <strong>Kath</strong>oliken in <strong>de</strong>r DDR, im Unterschied zu <strong>de</strong>n Protestanten,<br />

sich als „Kirche im Sozialismus“ zu verstehen. Wobei die Ausgangssituation <strong>de</strong>r<br />

Evangelischen als überwiegen<strong>de</strong> Mehrheit <strong>de</strong>r sich weiterhin zum Christentum bekennen<strong>de</strong>n<br />

DDR-Bürger zu berücksichtigen <strong>war</strong>. Für <strong>de</strong>n Heiligen Stuhl wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Erzbischof<br />

und spätere Kardinal Agostino Casaroli <strong>de</strong>r „Reisediplomat“ in Sachen „Ostpolitik“.<br />

Er selbst allerdings zog es vor, von einer Diplomatie <strong>de</strong>r Seelsorge zu sprechen, um<br />

die Unterscheidung kirchlichen Engagements in <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>s Säkularen hervorzuheben.<br />

Casaroli mochte sich durch Pius XII. bestätigt fin<strong>de</strong>n. Dieser hatte seine Radio-<br />

Botschaft vom 2. September 1956 an <strong>de</strong>n <strong>Kath</strong>olikentag in Köln zum Anlass genommen,<br />

von Minimalbedingungen für die Koexistenz mit einem kommunistischen Staat zu<br />

sprechen. Natürlich hatte er nicht <strong>de</strong>ssen I<strong>de</strong>ologie bejaht, son<strong>de</strong>rn die Freiheit <strong>de</strong>r Verkündigung<br />

<strong>de</strong>s Evangeliums als unverzichtbar gefor<strong>de</strong>rt: „Das ist nicht mehr, als die<br />

Kirche von je<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Staat verlangt, in <strong>de</strong>m Trennung zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Bereichen<br />

besteht.“ Damit hatte er die Linie für die vatikanische Ostpolitik <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n<br />

Jahrzehnte vorgegeben.<br />

Aus <strong>de</strong>m Staatssekretariat kommend und anschließend für die „operative Arbeit“ <strong>de</strong>r<br />

Glaubensbehör<strong>de</strong> verantwortlich, die noch Heiliges Uffizium hieß, <strong>de</strong>m Papst direkt unterstand<br />

und noch keinen eigenen Präfekten (Amtsleiter) kannte, galt Kardinal Alfredo<br />

Ottaviani (1890-1979) als <strong>de</strong>r „scharfe Hund“, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kommunisten nicht über <strong>de</strong>n<br />

Weg traute. In <strong>de</strong>n Jahren, als sich <strong>de</strong>r übelste Stalinismus gegen die Kirche etwa in <strong>de</strong>r<br />

Tschechoslowakei austobte, hatte er wohl auch keinen Grund zu einem Sinneswan<strong>de</strong>l.<br />

An<strong>de</strong>rerseits hat <strong>de</strong>n oft und nicht zuletzt aus „Fein<strong>de</strong>sland“ Geschmähten sein Votum<br />

58 Apostolisches Schreiben „Sacro vergente anno“ vom 7. Juli 1952.<br />

59 Eine Woche zuvor w ar „Ar<strong>de</strong>nte Cura“ – „Mit brennen<strong>de</strong>r Sorge“, das päpstliche Rundschreiben gegen<br />

<strong>de</strong>n Nationalsozialismus, in <strong>de</strong>utscher Sprache erschienen, und am Palmsonntag von <strong>de</strong>n Kirchenkanzeln<br />

verlesen w or<strong>de</strong>n.<br />

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„Bellum omnino est interdicendum“ – „Krieg ist in je<strong>de</strong>r Hinsicht zu ächten“ in <strong>de</strong>r<br />

Geschichte verewigt. <strong>Der</strong> Satz, <strong>de</strong>r die Erfahrung einer Menschheitsepoche von 1914<br />

bis 1945 spiegelt, wur<strong>de</strong> vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) übernommen.<br />

<strong>Der</strong> Gedanke fin<strong>de</strong>t sich wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r pastoralen Konstitution „Gaudium et spes“ –<br />

„Über die Kirche in <strong>de</strong>r Welt von heute“ 60 .<br />

Aber noch stellten sich die Kreml-Herren und Ostberliner Vasallen taub. Es blieb bei<br />

<strong>de</strong>r Linie, die ausgerechnet ein ehemaliger Priester als Expertise vorlegte. Im Reiche<br />

Walter Ulbrichts hatte Eduard Winter, ein bekannter „Ostforscher“ <strong>de</strong>r Nationalsozialisten,<br />

eine neue Wirkungsstätte gefun<strong>de</strong>n. Nach Tätigkeiten für die SS-Publikationsstelle<br />

Bautzen und die Heydrich-Stiftung in Prag kam er nach <strong>de</strong>m Zusammenbruch über<br />

Umwege an die Berliner Humboldt-Universität, leitete das Institut für Geschichte <strong>de</strong>r<br />

Völker <strong>de</strong>r UdSSR, richtete eine Abteilung „Ostpolitik <strong>de</strong>s Vatikans“ ein und kam auf<br />

Grund seiner „wissenschaftlichen“ Erkenntnisse zu <strong>de</strong>m Ergebnis, <strong>de</strong>r Vatikan sei bestrebt,<br />

„die Sowjetunion international mit allen verfügbaren Kräften zu bekämpfen.“<br />

Winter fand Zugang zu vatikanischen Archiven und zum Russischen Kolleg in Romund<br />

suchte Kontakte zu <strong>de</strong>n Jesuiten in Rom und in <strong>de</strong>r DDR. Wie die Nazis gegenüber<br />

abtrünnigen Priestern einen Rest an Misstrauen behielten, so wohl auch die noch<br />

mehr gottfernen Führungska<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r SED. Man konnte ja nie wissen, ob die ehemaligen<br />

Kleriker nicht doch auf zwei Schultern trugen, mit an<strong>de</strong>ren Worten, insgeheim für <strong>de</strong>n<br />

Vatikan spionierten. Ein Eiserner Vorhang <strong>war</strong> also nicht nur quer durch Europa nie<strong>de</strong>rgegangen,<br />

um Churchill zu zitieren, son<strong>de</strong>rn trennte auch die Kirche in eine Welt <strong>de</strong>r<br />

Freiheit und <strong>de</strong>r Katakombe.<br />

Johannes XXIII. spürte eine Klimaän<strong>de</strong>rung. „Aggiornamento“ – „Heutigwer<strong>de</strong>n“<br />

<strong>war</strong> nicht nur für die Kirche intern angesagt. Es galt, nach einem an<strong>de</strong>ren Wort <strong>de</strong>s<br />

Roncalli-Papstes, die „Zeichen <strong>de</strong>r Zeit“ zu erkennen. <strong>Der</strong> Papst nahm das Stichwort<br />

von <strong>de</strong>r Koexistenz wie<strong>de</strong>r auf. Es könnte <strong>de</strong>r Fall eintreten, dass Fühlungnahmen und<br />

Begegnungen über praktische Fragen, die in <strong>de</strong>r Vergangenheit in keinerlei Hinsicht<br />

sinnvoll erschienen, jetzt wirklich fruchtbringend seien o<strong>de</strong>r es morgen sein könnten.<br />

Die Entscheidung, in welcher Weise und bis zu welchem Gra<strong>de</strong> eine nützliche Zusammenarbeit<br />

gesucht wer<strong>de</strong>n sollte, auf sozialem, wirtschaftlichem, kulturellem und<br />

politischem Gebiet, stehe allein <strong>de</strong>r Klugheit zu. Es <strong>war</strong>en nur Frühlingstage, eine zu<br />

kurze Perio<strong>de</strong>, um das Eis <strong>de</strong>s Kalten Krieges bis in seine Permafrost-Schichten zu<br />

schmelzen. Dennoch <strong>war</strong> es <strong>de</strong>m „Papa buono“, <strong>de</strong>m „guten Papst Johannes“, gelungen,<br />

Vertrauen im Osten zu gewinnen. Wobei seinen „Annäherungsversuche“ an Moskau<br />

bei <strong>de</strong>m <strong>Kath</strong>oliken A<strong>de</strong>nauer alles an<strong>de</strong>re als Begeisterung auslösten, son<strong>de</strong>rn zu<br />

einer Phase erheblicher Spannungen zwischen Bonn und <strong>de</strong>m Vatikan führte.<br />

Dramatisch sein Frie<strong>de</strong>nsappell, als die Welt <strong>de</strong>n Abgrund eines drohen<strong>de</strong>n Atomkrieges<br />

erblickte, „Kuba-Krise genannt. Geheime Kontakte zwischen Washington und<br />

Moskau, die sich drohend gegenüberstan<strong>de</strong>n und nach Wegen suchten, statt <strong>de</strong>r Militärs<br />

ihre Diplomaten sprechen zu lassen, liefen über <strong>de</strong>n Apostolischen Palast. Johannes<br />

60 Vgl. Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“, Nr. 82.<br />

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XXIII. schenkte <strong>de</strong>r Welt seine Frie<strong>de</strong>ns-Enzyklika „Pacem in terris“, bis heute ein Va<strong>de</strong>mekum<br />

für verantwortungsbewusste Politik.<br />

Durfte <strong>de</strong>r „Heilige“, wie ihn Chruschtschow nannte, Gegenleistungen für die Christen<br />

in <strong>de</strong>r Sowjetunion er<strong>war</strong>ten? Rada Nikititschna, die Tochter <strong>de</strong>s Kremlchefs, <strong>war</strong><br />

zusammen mit ihrem Ehemann Alexej Iwanowitsch Adschubej am 7. März 1962 von<br />

Johannes XXIII. im Rahmen einer Audienz empfangen wor<strong>de</strong>n. Adschubej, Chefredakteur<br />

<strong>de</strong>r regierungsamtlichen „Iswestija“ („Nachrichten“), galt in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Kubakrise<br />

als einflussreicher Ratgeber seines Schwiegervaters.<br />

Intensivere Bemühungen, die unter <strong>de</strong>m Nachfolger Paul VI. einsetzten und insbeson<strong>de</strong>re<br />

<strong>de</strong>n Son<strong>de</strong>rdiplomaten Casaroli in <strong>de</strong>n Hauptstädten <strong>de</strong>s Ostens sahen, zeitigten<br />

gewisse Erfolge. Vereinbarungen zugunsten <strong>de</strong>s kirchlichen Lebens wur<strong>de</strong>n erreicht,<br />

einige Erleichterungen, allerdings auch zu einem „gewissen“ Preis – von <strong>de</strong>r Gegenseite<br />

eingefor<strong>de</strong>rt, wie die Akten aus <strong>de</strong>n Stasiarchiven <strong>de</strong>r vereinten Sicherheitsorgane heute<br />

schmerzlich enthüllen. Das „Feindbild“ Vatikan aber än<strong>de</strong>rte sich nicht um ein Jota.<br />

1970: In <strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>s MfS aus diesem Jahr fin<strong>de</strong>t sich eine „Konzeption“, die<br />

als Vorlage für eine Besprechung mit <strong>de</strong>n „Sicherheitsorganen“ Ungarns erarbeitet wur<strong>de</strong>.<br />

Bei <strong>de</strong>m Arbeitstreffen in Ostberlin soll <strong>de</strong>n Budapester Genossen die Einschätzung<br />

<strong>de</strong>r Stasi-Kirchespezialisten vorgetragen wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn die Ungarn haben inzwischen<br />

wohl <strong>de</strong>n Polen auf <strong>de</strong>m „vatikanischen Kriegsschauplatz“ <strong>de</strong>n Rang abgelaufen. Die<br />

Dokumente aus <strong>de</strong>m Archiv <strong>de</strong>r HA XX und <strong>de</strong>r Vierten Abteilung (katholische Linie)<br />

lassen je<strong>de</strong>nfalls darauf schließen. Es häufen sich die Herkunftsbezeichnungen „Informationen<br />

<strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r UVR“ 61 . Die Gesprächsvorlage<br />

hält fest: „Das Staatssekretariat <strong>de</strong>s Vatikans in Rom ist das wesentlichste<br />

Koordinierungsorgan <strong>de</strong>r feindlichen Tätigkeit gegen<br />

die sozialistischen Län<strong>de</strong>r durch die katholische Kirche.<br />

Das Ziel ihrer Ostpolitik besteht darin, mit variablen und<br />

differenzierten Metho<strong>de</strong>n die Positionen <strong>de</strong>r katholischen Kirche<br />

in <strong>de</strong>n sozialistischen Län<strong>de</strong>rn zu festigen, ohne eine Verschärfung<br />

<strong>de</strong>r Spannungen zwischen Staat und Kirche in diesen<br />

Län<strong>de</strong>rn herbeizuführen.“<br />

<strong>Der</strong> sowjetische General Machmejew, <strong>de</strong>n wir inzwischen mehrfach aus seiner Re<strong>de</strong><br />

vor <strong>de</strong>n Nachrichtendienstoffizieren <strong>de</strong>r Warschauer-Pakt-Staaten zitiert haben, sieht<br />

auch in <strong>de</strong>r „vatikanischen Ostpolitik“ einen Ansatzpunkt für die von ihm beson<strong>de</strong>rs<br />

herausgestellt politisch-i<strong>de</strong>ologische Diversion. Er meint, es sei „wahrscheinlich<br />

zweckmäßig, die Anhänger <strong>de</strong>r ‚Ostpolitik‘ und die<br />

maßgeblichen Persönlichkeiten <strong>de</strong>s Vatikans aktiver auszunutzen,<br />

dahin zu kommen, dass sie in einer uns vorteilhaften Hinsicht<br />

die Initiativen unserer Staaten unterstützen, <strong>de</strong>r vom<br />

Gegner erdachten „Verletzung <strong>de</strong>r Menschenrechte in <strong>de</strong>n sozialistischen<br />

Län<strong>de</strong>rn‘ eine entschie<strong>de</strong>ne Abfuhr erteilen“. Aber, so<br />

<strong>de</strong>r KBG-Chef, „Augen auf“, nicht die Grenzlinie überschreiten: Auf <strong>de</strong>m Gebiet<br />

61 UVR: Ungarische Volksrepublik.<br />

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<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ologie dürfe man es nicht zu einem „Dialog“ kommen lassen, „weil die<br />

Kirche im wesentlichen die gleiche Taktik verfolgt wie <strong>de</strong>r Imperialismus“.<br />

Für Machmejew be<strong>de</strong>utet dies die Gefahr <strong>de</strong>r „Aufweichung <strong>de</strong>s Kommunismus“<br />

sowie „revisionistische Ten<strong>de</strong>nzen“. Er schließt daraus: „Folglich<br />

wird die ‚Ostpolitik‘ zu einer eigentümlichen Wasserschei<strong>de</strong><br />

innerhalb <strong>de</strong>r katholischen Kirche selbst, hinsichtlich auf die<br />

sozialistischen Staaten und <strong>de</strong>n Sozialismus im Allgemeinen. In<br />

<strong>de</strong>r römisch-katholischen Kirche haben sich obwohl unterschiedliche,<br />

so doch bestimmte Strömungen herausgebil<strong>de</strong>t, mit <strong>de</strong>m<br />

Sozialismus und Frie<strong>de</strong>n sympathisieren<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r ihnen feindlich<br />

gegenüberstehen<strong>de</strong>.“ <strong>Der</strong> Moskauer KGB-General empfiehlt, „die Ostpolitik<br />

<strong>de</strong>s Vatikans für Ziele auszunutzen, die für unsere Staaten<br />

von Vorteil sind.“<br />

Dann das Jahr 1978. In <strong>de</strong>n Zentralen <strong>de</strong>r kommunistischen Führung sollte man nicht<br />

überrascht gewesen sein, dass ein Pole die Leitung <strong>de</strong>r katholischen Kirche übernimmt.<br />

<strong>Der</strong> Name <strong>de</strong>s Krakauer Erzbischofs und Kardinals Karol Wojtyla <strong>war</strong> schon zwei Jahre<br />

zuvor auf einer Liste von Kandidaten, die als „papabili“ gelten, aufgeführt wor<strong>de</strong>n.<br />

Nach „Erkenntnissen“ <strong>de</strong>r Späher aus <strong>de</strong>m Osten ist die Wahl das „Ergebnis<br />

<strong>de</strong>utsch-österreichischer Lobby“. Eine in <strong>de</strong>r Literatur nicht weiter erwähnte<br />

nachrichtendienstlich aktive Maßnahme unter <strong>de</strong>m Decknamen „Zitrone II“ soll<br />

dazu führen, <strong>de</strong>n Vatikan massiv i<strong>de</strong>ologisch zu unterwan<strong>de</strong>rn.<br />

Aktion „Zitrone II“<br />

Ein Jahr später, 1979, hat sich einiges mehr an „Bru<strong>de</strong>rinformationen“, also von polnischen<br />

und ungarischen Nachrichtendiensten auch beim Ostberliner MfS angesammelt.<br />

Die Auswerter legen anhand dieser Mitteilungen eine neue „Einschätzung“ über die<br />

personelle Verän<strong>de</strong>rung im Apostolischen Palast fest: Nach Aussagen vatikanischer<br />

Kreise wer<strong>de</strong> Papst Johannes Paul II. die „Ostpolitik seiner Vorgänger generell<br />

fortsetzen.“ Die „politische Generallinie <strong>de</strong>s Vatikans –<br />

Normalisierung <strong>de</strong>r Beziehungen zu <strong>de</strong>n sozialistischen Staaten“<br />

– wer<strong>de</strong> sich nicht än<strong>de</strong>rn. Es wer<strong>de</strong> jedoch zu bestimmten Än<strong>de</strong>rungen im taktischen<br />

Vorgehen bei <strong>de</strong>r Führung <strong>de</strong>s Dialogs mit <strong>de</strong>n Regierungen dieser Län<strong>de</strong>r kommen,<br />

die aus <strong>de</strong>n persönlichen Erfahrungen <strong>de</strong>s Papstes sowie aus <strong>de</strong>n aktuellen Ten<strong>de</strong>nzen<br />

in <strong>de</strong>r internationalen Politik resultieren.<br />

Diese Prognose sollte sich schon bald als zutreffend erweisen: in Polen stan<strong>de</strong>n die<br />

Arbeiter und Intellektuellen gegen das Regime auf, die Welt schaute auf die Gewerkschaftsbewegung<br />

„Solidarnosc“, ihren Wortführer, <strong>de</strong>n Betriebselektriker von <strong>de</strong>r Danziger<br />

Lenin-Werft und <strong>de</strong>n „Schutzpatron“ dieses Aufstan<strong>de</strong>s für die Rechte <strong>de</strong>r Arbeiter,<br />

<strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Religionsfreiheit, <strong>de</strong>n „polnischen“ Papst Johannes<br />

Paul II. Sein Bild erschien auf einer Serie illegaler Briefmarken, herausgegeben von einer<br />

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antikommunistischen Untergrund-Organisation, die sich als „Solidarnosc Walczaca“ –<br />

„Kämpfen<strong>de</strong> Solidarität“ – bezeichnete und ihre Botschaften auch heute noch mit <strong>de</strong>n<br />

Anfangstakten <strong>de</strong>r patriotischsten aller polnischen Kampfeshymnen, <strong>de</strong>r „Rota“, einleitet.<br />

Die gefälschten Postwertzeichen sollten zur Finanzierung <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstandsbewegung<br />

beitragen. 62<br />

Die Weltpolitik wur<strong>de</strong> in diesen Jahren durch die Konfrontation <strong>de</strong>r Supermächte bewegt,<br />

die Diskussion um Abrüstung, Nachrüstung, „nuklearem Gleichgewicht“ – kurzum:<br />

<strong>de</strong>r ohnehin dünnhäutige Frie<strong>de</strong>n in Europa bekam eine Gänsehaut. Polen drohte<br />

im Dezember 1980 die Invasion von Truppen einiger Warschauer-Pakt-Staaten, voran<br />

die Sowjetunion und das SED-Regime in Ostberlin. 63<br />

1983 treffen sich die „Leiter <strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r sozialistischen<br />

Staaten“ in Sofia. 1984 folgt ein „Arbeitstreffen zu Vatikanfragen“.<br />

Diese Konferenz, vom 25. bis 26. Juli in Moskau, steht unter <strong>de</strong>m Eindruck <strong>de</strong>s<br />

neuen Mannes an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r katholischen Kirche. Die befürchtete Invasion Polens<br />

konnte abgewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n Preis <strong>de</strong>s „Kriegsrechts“ in Karol Wojtylas<br />

Heimat. Papst Johannes Paul II. hatte einen bewegen<strong>de</strong>n Brief an Kreml-Chef Leonid<br />

Breschnew geschrieben. Dann aber, am 13. Mai 1981, <strong>war</strong>en die Schüsse auf <strong>de</strong>m Petersplatz<br />

gefallen, <strong>de</strong>r Papst nur um Haaresbreite <strong>de</strong>m Tod entkommen – für ihn ein<br />

von <strong>de</strong>r Jungfrau Maria bewirktes Wun<strong>de</strong>r. Sie habe die Kugel abgelenkt. Gläubige sahen<br />

schon die Weissagung <strong>de</strong>r Seher-Kin<strong>de</strong>r verwirklicht.<br />

„Spys“, um <strong>de</strong>n ehemaligen CIA-Direktor Gates beim Wort zu nehmen, beeindrucken<br />

solche übernatürlichen Erscheinungen wenig. Auf wessen Kappe <strong>de</strong>r Anschlag auf <strong>de</strong>m<br />

Petersplatz ging, diese Frage liefert bis heute reichlich Stoff für Vermutungen und Gerüchte,<br />

ohne ein<strong>de</strong>utige Belege. Wer schon wür<strong>de</strong> einen solchen Auftrag, ob Töten o<strong>de</strong>r<br />

„nur“ Warnschüsse, <strong>de</strong>nn auch „verschriften“?<br />

Für <strong>de</strong>n Westen <strong>war</strong> die Frage geklärt: Die Drahtzieher konnten nur in Moskau sitzen,<br />

ihre willigen Helfer, bekannt für Erfahrung auf <strong>de</strong>m Gebiet, das in <strong>de</strong>r Unterwelt als<br />

„mokrije djelo“ – „feuchte Arbeit“ beschrieben wird, also Mord, in diesem Fall aus politischen<br />

Grün<strong>de</strong>n. <strong>Der</strong> Osten hielt vehement dagegen: Was hätte ein toter Papst genützt,<br />

als Polen beinahe in Flammen stand? „Mr. Gorbatschow – turn down the wall“ haben<br />

wir noch im Ohr, bevor die Mauer fiel; „Mr. Putin – open the minutes“ möchte man<br />

heute hinzufügen und wissen wollen, welche Antworten in <strong>de</strong>n Archiven <strong>de</strong>s ehemaligen<br />

KGB liegen.<br />

Das „Feindbild“ hatte sich nicht geän<strong>de</strong>rt: Ronald Reagan sieht rund um Moskau das<br />

„Reich <strong>de</strong>s Bösen“, und dieser amerikanische Präsi<strong>de</strong>nt schmie<strong>de</strong>t eine „heilige Allianz“<br />

mit <strong>de</strong>m katholischen Papst. So will es die Propaganda, die auch im Westen manche Zustimmung<br />

fin<strong>de</strong>t. Ein ehemaliger Abwehroffizier <strong>de</strong>r Stasi, Oberstleutnant Helmut<br />

Wagner (HA II – Gegenspionage), behauptet in seinen Aufzeichnungen 64 , Präsi<strong>de</strong>nt<br />

Ronald Reagan und Papst Johannes Paul II. hätten bei ihrer Begegnung am 7. Juni 1982<br />

62 Im Übrigen ist das auch ein Standardmittel von Geheimdiensten für Desinformation und „Schw arze<br />

Propaganda“.<br />

63 Vgl. Werner Kaltefleiter / Hanspeter Oschw ald: Spione im Vatikan, München 2006.<br />

64 Vgl. Helmut Wagner: Schöne Grüße aus Pullach, Berlin 2001, S. 187-188.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

in Rom vereinbart, „die Kapazitäten <strong>de</strong>r katholischen Kirche und <strong>de</strong>r CIA für eine ver<strong>de</strong>ckte<br />

Kampagne in Polen zu nutzen, um <strong>de</strong>n Zusammenbruch <strong>de</strong>s kommunistischen<br />

Regimes in Polen herbeizuführen“. Eine Schlüsselrolle habe <strong>dabei</strong> die polnische Gewerkschaftsbewegung<br />

„Solidarnosc“ gespielt. Sie sei mit Geld, technischen Hilfsmitteln<br />

sowie Beratung versorgt wor<strong>de</strong>n, finanziert vom US-Geheimdienst CIA, von <strong>de</strong>r „National<br />

Endowerment of Democracy“ 65 , vom Vatikan und westlichen Gesellschaften. Interessanterweise<br />

bezieht sich <strong>de</strong>r Ex-Stasi-Offizier nicht auf eigene Quellen, son<strong>de</strong>rn auf<br />

eine west<strong>de</strong>utsche Publikation. 66<br />

Das Ergebnisprotokoll <strong>de</strong>s Moskauer „Arbeitstreffens“ von 1984 trägt die Überschrift:<br />

„Die Hauptrichtungen <strong>de</strong>r Organisierung <strong>de</strong>r Abwehrarbeit<br />

<strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r sozialistischen Staaten bei <strong>de</strong>r<br />

Bekämpfung <strong>de</strong>r subversiven Tätigkeit <strong>de</strong>s Vatikans“. Es stellt fest:<br />

„Mit <strong>de</strong>r Wahl von Johannes Paul II nahm die Politik <strong>de</strong>s Vatikan<br />

gegenüber <strong>de</strong>n sozialistischen Staaten einen aggressiveren<br />

Charakter an. Unter <strong>de</strong>m Deckmantel <strong>de</strong>r berüchtigten Losung<br />

<strong>de</strong>s ‚Schutzes <strong>de</strong>r Rechte <strong>de</strong>r Gläubigen‘ versucht <strong>de</strong>r Vatikan,<br />

sich in die inneren Angelegenheiten <strong>de</strong>r sozialistischen Staaten<br />

einzumischen. Er ist <strong>de</strong>r Initiator von entfalteten antisozialistischen<br />

Propagandakampagnen. Die von ihm entworfene so<br />

genannte ‚Ostpolitik‘ ist auf die Diskreditierung <strong>de</strong>r sozialistischen<br />

Gesellschaftsordnung in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Gläubigen und<br />

auf die Inspirierung ihres offenen Aufbegehrens gegen die<br />

Machtorgane <strong>de</strong>r sozialistischen Staaten ausgerichtet.“<br />

„<strong>Der</strong> Vatikan ist um <strong>de</strong>n Zusammenschluss verschie<strong>de</strong>ner gesellschaftsfeindlicher<br />

Elemente auf antisozialistischer Grundlage<br />

bemüht. Im Bereich <strong>de</strong>r so genannten ‚ökumenischen Politik‘<br />

verfolgt er das Ziel, eine antikommunistische klerikale<br />

Allianz unter Beteiligung von Vertretern verschie<strong>de</strong>ner religiöser<br />

Vereinigungen zusammen zu schmie<strong>de</strong>n.“<br />

„Die Antisozialistische Tätigkeit <strong>de</strong>s Vatikans ist eng verbun<strong>de</strong>n<br />

mit <strong>de</strong>r Politik <strong>de</strong>r imperialistischen Staaten und <strong>de</strong>r<br />

aktiven Unterstützung <strong>de</strong>r reaktionärsten, gegen die kommunistische,<br />

Arbeiter- und nationale Befreiungsbewegung auftreten<strong>de</strong>n<br />

Kräfte. Die Römische Kurie unterstützt insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n<br />

aggressiven Kurs <strong>de</strong>r USA-Administration in <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn Lateinamerikas,<br />

unternimmt Angriffe auf Geistliche, die von <strong>de</strong>r Po-<br />

65 Korrekt: National Endowment for Democracy (Nationale Stiftung für Demokratie), 1983 als Non-<br />

Profit-Organisation gegrün<strong>de</strong>t, um die Entwicklung <strong>de</strong>mokratischer Strukturen zu unterstützen. Von<br />

Präsi<strong>de</strong>nt Reagan favorisiert. Finanzielle Mittel flossen ihr bisher aus staatlichen Mitteln, von <strong>de</strong>n Kongressparteien,<br />

<strong>de</strong>r US-Han<strong>de</strong>lskammer und <strong>de</strong>r Gew erkschaft AFL-CIO zu. Dem amerikanischen Liberalismus<br />

verbun<strong>de</strong>n, kritisiert von „links“ w ie „rechts “ als verlängerter Arm <strong>de</strong>r US Außenpolitik bzw .<br />

w egen seiner Versuche, „progressive“ Bew egungen mit sozialistischen und kommunistischen Ten<strong>de</strong>nzen<br />

zu <strong>de</strong>stabilisieren.<br />

66 Erich Schmidt-Eenboom: Schnüffler ohne Nase, Düsseldorf 1993.<br />

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sition <strong>de</strong>r ‚Theologie <strong>de</strong>r Befreiung‘ und <strong>de</strong>r so genannten<br />

‚Volkskirche‘ aus auftreten und versucht, eine Teilnahme <strong>de</strong>r<br />

<strong>Kath</strong>oliken dieser Region am revolutionären Prozess zu verhin<strong>de</strong>rn.“<br />

„Er wirkt <strong>de</strong>r internationalen Solidarität <strong>de</strong>r Christen mit<br />

<strong>de</strong>r sandinistischen Revolution und <strong>de</strong>n patriotischen Kräften<br />

El Salvadors entgegen. Die Schritte <strong>de</strong>r ‚Frie<strong>de</strong>nsstifter‘ unter-nimmt<br />

<strong>de</strong>r Vatikan lediglich aus taktischen Erwägungen heraus,<br />

um die notwendigen Zugeständnisse von <strong>de</strong>n sozialistischen<br />

Staaten zugunsten <strong>de</strong>r katholischen Kirche zu bekommen.“<br />

Da ist also noch nichts von <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>r Sympathie aus <strong>de</strong>m Mun<strong>de</strong> eines Michael<br />

Gorbatschow zu spüren, die ihn eines Tages bis in die obere Etage <strong>de</strong>s Apostolischen<br />

Palastes führen wird, wo zwei Slawen eine Art „Seelenverwandtschaft“ ent<strong>de</strong>cken.<br />

Im letzten Teil <strong>de</strong>s Abschlussberichtes <strong>de</strong>r Moskauer Konferenz wer<strong>de</strong>n die innerkatholischen<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen um die lateinamerikanische Version <strong>de</strong>r „Theologie<br />

<strong>de</strong>r Befreiung“ angesprochen, die nach damaliger Auffassung ihres „geistigen Vaters“<br />

Gustavo Gutierrez in praktischen Aktionen auch ein Zusammengehen mit Kommunisten<br />

zulassen sollte, ohne sich mit <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>ologischen Grundlagen zu i<strong>de</strong>ntifizieren – eine<br />

Auffassung, <strong>de</strong>r „Rom“ scharf wi<strong>de</strong>rsprach. Sowohl Johannes Paul II. erteilte dieser Linie<br />

eine klare Absage, wie sein vielleicht engster theologischer Berater, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche Kurienkardinal<br />

Joseph Ratzinger, Präfekt <strong>de</strong>r Kongregation für die Glaubenslehre – inzwischen<br />

als Benedikt XVI. <strong>de</strong>r unmittelbare Nachfolger <strong>de</strong>s Polen.<br />

Die Ostberliner Stasi hat sich mit diesbezüglichen Hintergrundinformationen reichlich<br />

einge<strong>de</strong>ckt, um sie gegebenenfalls für Zwecke <strong>de</strong>r politisch-i<strong>de</strong>ologischen Diversion –<br />

im Klartext: zur Kompromittierung Ratzingers – einzusetzen. Das „solidarische“ Augenmerk<br />

<strong>de</strong>r europäischen Genossen richtete sich damals vor allem auf die Vorgänge in<br />

El Salvador und in Nicaragua. Die öffentliche Zurechtweisung <strong>de</strong>s Priesters Ernesto<br />

Car<strong>de</strong>nal durch Johannes Paul II. während seines ersten Besuches in Managua (1983)<br />

ging per Fernsehen um die Welt.<br />

Das Protokoll <strong>de</strong>s Moskauer Geheimdienst-Treffens enthält abschließend einen Katalog<br />

von Vorschlägen „angesichts <strong>de</strong>s feindlichen Kurses <strong>de</strong>s Vatikans“<br />

zur „Bekämpfung seiner subversiven Tätigkeit“ sowie die<br />

„Hauptrichtungen <strong>de</strong>r Abwehrarbeit“ betreffend.<br />

1986: <strong>Der</strong> Rote Stern am kommunistischen Horizont beginnt zu verblassen. Untergangsstimmung<br />

beeindruckt die Krieger an <strong>de</strong>r unsichtbaren Front wenig. Wie<strong>de</strong>r setzten<br />

sie sich zusammen, diesmal nur die Genossen Offiziere aus Ostberlin und Moskau.<br />

Auf <strong>de</strong>r Tagesordnung: Ein weiterer Maßnahmeplan zur „Durchsetzung <strong>de</strong>r 1984<br />

multilateral festgelegten operativen Maßnahmen zur Organisation<br />

<strong>de</strong>r Abwehrtätigkeit gegen die subversive Tätigkeit <strong>de</strong>s Vatikans.“<br />

Beauftragt sind wie<strong>de</strong>rum die Abteilungen für politisch-i<strong>de</strong>ologische Diversion.<br />

Schießt man nicht mit Raketen auf <strong>de</strong>n Papstpalast?<br />

Den „Plan für die Zusammenarbeit zwischen <strong>de</strong>r Hauptabteilung<br />

XX <strong>de</strong>s Ministeriums für Staatssicherheit <strong>de</strong>r Deutschen Demo-<br />

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kratischen Republik und <strong>de</strong>r V. Abteilung <strong>de</strong>s Komitees für<br />

Staatssicherheit <strong>de</strong>r Union <strong>de</strong>r Sozialistischen Sowjetrepubliken<br />

für <strong>de</strong>n Zeitraum 1986-1990“ wird von „ganz oben“ unterzeichnet, von<br />

Erich Mielke und Viktor Tschebrikow, <strong>de</strong>m Vorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s KGB von 1982-1988.<br />

Wie<strong>de</strong>rum lässt <strong>de</strong>r Text keinen Zweifel an Militanz gegenüber Papst und Kirche aufkommen:<br />

„Ausgehend von <strong>de</strong>n Beschlüssen <strong>de</strong>s XI. Parteitages <strong>de</strong>r<br />

Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und <strong>de</strong>s XXVII.<br />

Parteitages <strong>de</strong>r Kommunistischen Partei <strong>de</strong>r Sowjetunion konzentrieren<br />

sich die Hauptabteilungen XX und die V. Verwaltung<br />

bei <strong>de</strong>r Abwehr <strong>de</strong>r imperialistischen Konfrontationspolitik,<br />

<strong>de</strong>r rechtzeitigen Auf<strong>de</strong>ckung und Vereitelung <strong>de</strong>r subversiven<br />

Pläne, Absichten und Aktivitäten <strong>de</strong>s Gegners auf die gemeinsame<br />

Lösung folgen<strong>de</strong>r Hauptaufgaben“. Punkt 2.6 bestimmt die „Durchsetzung<br />

<strong>de</strong>r 1984 multilateral festgelegten operativen Maßnahmen<br />

zur Organisierung <strong>de</strong>r Abwehrtätigkeit gegen die subversive Tätigkeit<br />

<strong>de</strong>s Vatikans.“ Im Einzelnen wer<strong>de</strong>n unter an<strong>de</strong>rem folgen<strong>de</strong> Maßnahmen<br />

aufgeführt:<br />

▪ Vertiefung <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rspräche im Vatikan vor allem hinsichtlich einer zu starken Betonung<br />

<strong>de</strong>r „Ostpolitik“;<br />

▪ Auf<strong>de</strong>ckung und Dokumentierung kompromittieren<strong>de</strong>r Fakten zur Politik <strong>de</strong>s Vatikans<br />

in <strong>de</strong>r Vergangenheit und Gegen<strong>war</strong>t (Beziehungen zu faschistischen Regimen,<br />

zu Geheimdiensten <strong>de</strong>r NATO-Staaten u.a.);<br />

▪ Beeinflussung internationaler religiöser Organisationen zur Verstärkung antikatholischer<br />

Stimmungen;<br />

▪ Unterstützung realistischer Kräfte und Äußerungen <strong>de</strong>s Vatikans;<br />

▪ verstärkte Bearbeitung von Emissären, Kurieren und Missionaren <strong>de</strong>s Vatikans und<br />

an<strong>de</strong>rer katholischer Zentren.<br />

Vom 8. bis 14. Juni 1987 besuchte Johannes Paul II. zum dritten Mal seine Heimat.<br />

Das Jahr führte ihn auch nach Nord- und Südamerika sowie in die Bun<strong>de</strong>srepublik<br />

Deutschland – nicht ohne „Fernglas“ und „Mikrophon“ <strong>de</strong>r Interessenten aus <strong>de</strong>m Osten.<br />

<strong>Der</strong> Papstbesuch in Polen <strong>war</strong> nun auch Hauptpunkt einer „Beratung“ <strong>de</strong>r Nachrichtendienste<br />

vom 29. bis 31. März 1988 in Warschau. Dieser Besuch sei „in die<br />

Ostpolitik <strong>de</strong>s Vatikans gegen die sozialistischen Län<strong>de</strong>r einzuordnen“,<br />

wur<strong>de</strong> festgestellt. Und weiter ging es in diesem feindseligen Ton: „Unter<br />

Vorspiegelung religiöser Motive hatte dieser Besuch einen<br />

zutiefst politischen Charakter“. <strong>Der</strong> „vom Papst mit <strong>de</strong>r Volksrepublik<br />

Polen praktizierte Dialog“ sei „prinzipiell darauf gerichtet,<br />

die Position <strong>de</strong>r katholischen Kirche in <strong>de</strong>r Volksrepublik<br />

Polen zu stärken und die Personen, die sich von <strong>de</strong>r<br />

Kirche abgewandt haben zu erreichen, beziehungsweise zurück zu<br />

gewinnen.“ Die Teilnehmer <strong>de</strong>s Treffens vereinbarten, „verstärkt Informationen<br />

über Pläne und Absichten <strong>de</strong>s Vatikans auszutauschen“,<br />

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insbeson<strong>de</strong>re über „seine Ostpolitik, über feindlich-negative Kräfte,<br />

die unter Missbrauch <strong>de</strong>r Religion wirksam sind“, sowie „über<br />

vatikanische Stellen“. – <strong>Der</strong> Kalte Krieg hatte längst noch nicht die Waffen gestreckt.<br />

Niemand hörte die Signale am Horizont.<br />

Operation „Papst“<br />

Ein vornehmer Pius XII., ein jovialer Johannes XXIII., ein zurückhalten<strong>de</strong>r Paul VI. –<br />

z<strong>war</strong> scheuten sie nicht die Begegnung mit <strong>de</strong>m Volk, doch hielt sich <strong>de</strong>r Wunsch nach<br />

einem „Bad in <strong>de</strong>r Menge“ in Grenzen, und die bei Hofe gepflegte Aura <strong>de</strong>s Heiligmäßigen<br />

nötigte wohl auch die Gläubigen zu respektvoller Distanz. Bis <strong>de</strong>r Mann aus Polen<br />

kam, einer, <strong>de</strong>r auf die Menschen zuging, zu Fuß o<strong>de</strong>r in einem neuen offenen Gefährt,<br />

weiß gehalten wie seine Soutane, mit <strong>de</strong>m päpstlichen Wappen geschmückt. Das<br />

Kirchenglossar wur<strong>de</strong> um eine Wortschöpfung bereichert: Papamobil. <strong>Der</strong> Papst, stehend,<br />

an <strong>de</strong>r Griffstange Halt fin<strong>de</strong>nd, konnte seine Run<strong>de</strong>n drehen bis an die En<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Stadien und durch die freigehaltenen Gassen auf <strong>de</strong>m Petersplatz. Er konnte sie alle<br />

sehen, grüßen und segnen, und alle konnten ihn sehen, ihm zujubeln. Ein Papst „zum<br />

Anfassen“. Bis ein ausländischer Mann eine Pistole zückte.<br />

Das Unvorstellbare geschah am 13. Mai 1981. <strong>Der</strong> Mann, <strong>de</strong>r auf Johannes Paul II.<br />

feuerte, wur<strong>de</strong> als Mehmet Ali Agca i<strong>de</strong>ntifiziert, ein türkischer Staatsbürger kurdischer<br />

Nationalität (falls die diversen Angaben zur Person zutreffen). Er wur<strong>de</strong> zu lebenslanger<br />

Haft verurteilt, im Jahr 2000 vom italienischen Staatspräsi<strong>de</strong>nten amnestiert und anschließend<br />

an die Türkei ausgeliefert. Dort hat er noch eine Reststrafe wegen an<strong>de</strong>rer<br />

schwerer Verbrechen 67 zu verbüßen; nach einer überraschen<strong>de</strong>n Freilassung im Januar<br />

2006 wur<strong>de</strong> er nach einem Einspruch <strong>de</strong>s obersten türkischen Gerichts erneut verhaftet.<br />

Kriminalexperten <strong>war</strong> klar, dass ein einzelner Mann eine solche Tat nicht ohne Hilfe<br />

planen und ausführen konnte. Wenn es aber Hintermänner gab, wer dann <strong>war</strong>en die<br />

Drahtzieher?<br />

Westliche Vermutungen wie Anschuldigungen zeigten auf Moskau und Sofia. Fotos<br />

von einem angeblichen Mittäter tauchten auf, Bulgaren wur<strong>de</strong>n verhaftet und wie<strong>de</strong>r<br />

freigelassen. Es gab mysteriöse To<strong>de</strong>sfälle in <strong>de</strong>r Türkei. Drogenkartelle und Terrororganisationen<br />

wur<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Komplott in Verbindung gebracht. Und natürlich die Geheimdienste<br />

in Ost und West. Wenn nicht an <strong>de</strong>r Operation beteiligt, so ließ sich diese<br />

zu einem Propagandafeldzug nach allen Regeln <strong>de</strong>r nachrichtendienstlichen „Kunst“<br />

ausnützen, um die Gegenseite zu treffen.<br />

Als Karol Wojtyla das Papstamt übernahm, saß im Kreml Leonid Breschnew (als Partei-<br />

und Staats-Chef). Leiter <strong>de</strong>s KGB <strong>war</strong> in dieser Zeit Jurij Wladimirowitsch Andropow<br />

(1967-1982; anschließend, 1982/83, bis zu seinem plötzlichen Tod Partei- und<br />

Staatschef); Nachfolger wur<strong>de</strong> Viktor Tschebrikow, bis dahin Andropows Stellvertreter.<br />

67 U.a. Ermordung von Abdi Ipekci, <strong>de</strong>n jüdischstämmigen Chefredakteur <strong>de</strong>r liberalen Zeitung „Milliyet“.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Hatten sie schon 1979 vom Politbüro o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Zentralkomitee <strong>de</strong>r KPdSU einen Auftrag<br />

erhalten, gegen <strong>de</strong>n Vatikan vorzugehen, <strong>de</strong>n Papst und <strong>de</strong>ssen Ostpolitik zu diskreditieren?<br />

Auszuschließen wäre das nach Kenntnis <strong>de</strong>r Dokumente aus <strong>de</strong>n diversen<br />

Geheimdienstbesprechungen nicht.<br />

Enthielt eine solche Or<strong>de</strong>r auch eine Anweisung, <strong>de</strong>n Papst zu töten? Den Auftrag<br />

weiterzugeben an <strong>de</strong>n bulgarischen DS? 68 Eine Reihe von „Sachbüchern“ leben von dieser<br />

Version. Wer nachbohrt, stößt schnell auf Sand. Wem soll man glauben? Michail<br />

Gorbatschow, seinerzeit bereits auf <strong>de</strong>r höheren politischen Führungsetage (seit<br />

1979/1980 Mitglied <strong>de</strong>s Politbüros) und befreun<strong>de</strong>t mit Andropow, <strong>de</strong>m Landsmann<br />

aus <strong>de</strong>m südrussischen Stawropol, beteuert, nichts von solchen Plänen gewusst zu haben,<br />

wie er <strong>de</strong>m Autor in einem persönlichen Brief mitteilte. An<strong>de</strong>rerseits sagen Insi<strong>de</strong>r:<br />

Entscheidungen solchen Kalibers, wenn sie <strong>de</strong>nn getroffen wur<strong>de</strong>n, blieben nur einem<br />

engsten Kreis von Mitwissern vorbehalten.<br />

Im Spätsommer 1982 erreichte ein Blitz-Telegramm aus Sofia die diplomatischen Vertretungen<br />

<strong>de</strong>r sozialistischen Mitgliedslän<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Hauptstädten <strong>de</strong>r RGW-Staaten. 69<br />

Absen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Notrufes <strong>war</strong> das Zentralkomitee <strong>de</strong>r bulgarischen Kommunistischen Partei.<br />

Die Genossen in Sofia beklagen sich und versuchen zugleich je<strong>de</strong>n Verdacht von<br />

sich zu weisen: Insbeson<strong>de</strong>re wer<strong>de</strong> von italienischer Seite eine antibulgarische Kampagne<br />

geführte und die Volksrepublik Bulgarien beschuldigt, „an <strong>de</strong>m Attentat<br />

auf <strong>de</strong>n Papst mitgewirkt zu haben, bzw. es inspiriert zu haben.“<br />

Die antibulgarische Kampagne komme zu einem Zeitpunkt, „wo <strong>de</strong>r Prozess<br />

<strong>de</strong>r Konsolidierung <strong>de</strong>r VRB 70 voran schreitet und die innenpolitische<br />

Lage sich in Polen günstiger entwickelt“.<br />

Ein weiteres Telegramm (mit Datum vom 26. August 1982) erreicht Generalmajor<br />

Willi Damm, <strong>de</strong>n Leiter <strong>de</strong>r Internationalen Abteilung <strong>de</strong>s MfS (Abteilung X). Dieser<br />

leitet die Sendung weiter an Oberst Rolf Wagenbreth, <strong>de</strong>n Leiter <strong>de</strong>r Abteilung aktive<br />

Maßnahmen (AM). Generaloberst Markus Wolf, <strong>de</strong>r Chef <strong>de</strong>s MfS-Nachrichtendienstes<br />

HV A wird informiert. Die Bulgaren bitten um Unterstützung – die Sache eilt. Armeegeneral<br />

Erich Mielke und <strong>de</strong>r bulgarische Innenminister General Dimitar Stojanow<br />

„segnen“ <strong>de</strong>n Plan „von ganz oben“ ab.<br />

Die Aktion trägt <strong>de</strong>n Decknamen „Operation Papst“. Sie folgt <strong>de</strong>r dringen<strong>de</strong>n<br />

Bitte aus Sofia, etwas gegen die „Massenmedien <strong>de</strong>r kapitalistischen<br />

Staaten“ zu unternehmen, um „die ten<strong>de</strong>nziösen Lügenmaterialen“ zu<br />

wi<strong>de</strong>rlegen, dass <strong>de</strong>r Mordanschlag im Jahre 1981 das Werk <strong>de</strong>r Organe <strong>de</strong>s KfS 71 und<br />

<strong>de</strong>r bulgarischen Sicherheitsorgane sei, die <strong>de</strong>m Terroristen Mehmet Ali Agca unmittelbare<br />

Unterstützung gewährt hätten, in <strong>de</strong>m sie ihn mit Waffen und Geld versorgten. Offenbar<br />

sei dies eine von <strong>de</strong>n Geheimdiensten <strong>de</strong>s Gegners dirigierte Kampagne, die das<br />

Ziel verfolgte, Bulgarien zu diskreditieren, in<strong>de</strong>m man ihm Verbindungen zu Terrororganisationen<br />

unterschiebt.<br />

68 „Komitet za Darzhavna sigurnost KDS“ – bulgarisches „Komitee für Staatsicherheit“.<br />

69 RGW: Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, das östliche Gegenstück zur EWG.<br />

70 VRB: Volksrepublik Bulgarien.<br />

71 KfS: Komitee für Staatssicherheit, sow jetischer KGB.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

Nun wur<strong>de</strong>n die Spezialisten für „Desinformation“ (HV A – Abteilung X) 72 auf <strong>de</strong>n<br />

Plan gerufen. Um insbeson<strong>de</strong>re die west<strong>de</strong>utschen Medien zu erreichen, musste zunächst<br />

eine verfängliche Spur gelegt wer<strong>de</strong>n, wie einer <strong>de</strong>r beteiligten Offiziere nach <strong>de</strong>r<br />

„Wen<strong>de</strong>“ erläuterte. Ausgewählt wur<strong>de</strong>n die „Grauen Wölfe“ (türkisch: Bozkurlar), <strong>de</strong>r<br />

militante Arm <strong>de</strong>r extrem nationalistischen türkischen I<strong>de</strong>alisten-Partei 73 . Von einem gefälschten<br />

Brief, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m CSU-Vorsitzen<strong>de</strong>n Franz Josef Strauß untergeschoben wur<strong>de</strong>,<br />

adressiert an Alparslan Türkes, angeblich abschätzige Äußerungen über Johannes Paul<br />

II. beinhaltend, erhofften sich die Ostberliner Spezialisten einige Schlagzeilen.<br />

War man so stümperhaft o<strong>de</strong>r tat man nur so? Die Sache <strong>war</strong> zu durchsichtig. Noch<br />

heute streiten sich einige alte Stasi-Kontrahenten, ob <strong>de</strong>n Bulgaren zu trauen <strong>war</strong> o<strong>de</strong>r<br />

ob nicht doch etwas faul <strong>war</strong> an <strong>de</strong>r Angelegenheit. Vier Jahre dauerten die Bemühungen,<br />

<strong>de</strong>n Bulgaren einen überzeugen<strong>de</strong>n „Persilschein“ zu fabrizieren. Den gewünschten<br />

Erfolg hat die Operation Papst nicht erbracht, trotz allen Bemühungen auf <strong>de</strong>r „Linie<br />

Aktive Maßnahmen“, und, wie General Stojanow in einem Dankschreiben hervorhob,<br />

„im engen Zusammenwirken mit <strong>de</strong>n Bru<strong>de</strong>rorganen zur Entlarvung<br />

<strong>de</strong>r Initiatoren und Ausführen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Attentats und <strong>de</strong>r in<br />

diesem Zusammenhang entfachten zügellosen Verleumdungskampagne<br />

gegen die VRB und die sozialistische Gemeinschaft“.<br />

Als die neue, <strong>de</strong>mokratische Regierung bei <strong>de</strong>r Birthler-Behör<strong>de</strong> nach Unterlagen fragte,<br />

konnte man nur aushändigen, was schon bekannt <strong>war</strong>: keine Beschuldigung, aber<br />

auch keine Entlastung in <strong>de</strong>r bis heute auf <strong>de</strong>n Bulgaren lasten<strong>de</strong>n Frage. Irgendwann<br />

hieß es dann, und eine parlamentarische Untersuchungskommission in Italien nahm das<br />

auf, nicht <strong>de</strong>r KGB, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r sowjetische militärische Geheimdienst GRU habe bei<br />

<strong>de</strong>r Organisation <strong>de</strong>s Anschlags seine Finger im Spiel gehabt. Auch das MfS traf <strong>de</strong>r<br />

Strahl <strong>de</strong>r Verdächtigungen. An<strong>de</strong>re Stimmen <strong>de</strong>uteten eine Mitwirkung <strong>de</strong>r Rumänen<br />

an. 74<br />

Die Sache auf <strong>de</strong>n Kopf stellte schließlich CIA-Chef Bill Casey. Er wird mit <strong>de</strong>r Aussage<br />

zitiert: „Wir müssen Dokumente fabrizieren, die beweisen, dass<br />

die Sowjetunion es dirigiert hat.“ Aber vielleicht ist auch das eine Desinformation.<br />

Welcher Geheimdienst wird eine Aktion dieses Kalibers auch nur mit Zettelnotizen<br />

aktenkundig machen? Und wenn – dann dürften die entsprechen<strong>de</strong>n Ordner,<br />

bevor <strong>de</strong>r Letzte das Licht ausgemacht hat, entsprechend „gereinigt“ wor<strong>de</strong>n sein. Auch<br />

kann nicht ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n, dass die Reste, die von „Langley“ (<strong>de</strong>m CIA-<br />

Hauptquartier im US-Bun<strong>de</strong>sstaat Virginia) eingesammelt wur<strong>de</strong>n, sorgfältig unter die<br />

Lupe genommen wur<strong>de</strong>n.<br />

72 HVA Abteilung X: Desinformation. Organisation „politisch-aktiver Maßnahmen“, insbeson<strong>de</strong>re spezifischer<br />

Maßnahmen zur Desinformation und Aufklärung sow ie Bearbeitung von be<strong>de</strong>utsamen Medieneinrichtungen<br />

und w ichtigen Journalisten <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland; Lancierung von bearbeiteten<br />

Materialien (Dokumente, Briefe, Informationsdienste etc.) und finanzielle Unterstützung von Publikationen;<br />

Einflussagenten.<br />

73 Partei <strong>de</strong>r Nationalistischen Bewegung MHP, 1961 von Alparslan Türkes gegrün<strong>de</strong>t.<br />

74 Vgl. „Die Kirche schlechtmachen“, Teil 1 dieser Reihe, unter http://blog.kath.<strong>de</strong>/kaltefleiter.<br />

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Überraschend tauchte En<strong>de</strong> 2006 in <strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>r Kirchenabteilung <strong>de</strong>s MfS eine<br />

„Information“ auf, die von <strong>de</strong>n „Sicherheitsorganen <strong>de</strong>r UVR“ (also<br />

<strong>de</strong>m ungarischen Nachrichtendienst) an die Abteilung X (internationale Beziehungen)<br />

übermittelt und von dort an die HA XX/4 unter <strong>de</strong>m Datum vom 7. Juli 1981 weitergegeben<br />

wur<strong>de</strong>: „Das Staatssekretariat <strong>de</strong>s Vatikans, das das auf<br />

Papst Johannes Paul II. verübte Attentat untersucht, hält es<br />

für nicht ausgeschlossen, dass es sich hierbei um eine vorsätzliche<br />

Aktion moslemischer Kreise han<strong>de</strong>lt, begangen, um die<br />

Ausbreitung <strong>de</strong>s <strong>Kath</strong>olizismus in <strong>de</strong>r ‚Dritten Welt‘ zu verhin<strong>de</strong>rn.“<br />

75<br />

Also eine „islamische Spur“? <strong>Der</strong> Verdacht wur<strong>de</strong> <strong>immer</strong> wie<strong>de</strong>r mal in die Welt gesetzt.<br />

Schon möglich, dass so kurz nach <strong>de</strong>n Schüssen auf <strong>de</strong>m Petersplatz die Auftraggeber<br />

nicht etwa im „kommunistischen Osten“, son<strong>de</strong>rn im islamischen Nahen Osten<br />

vermutet wur<strong>de</strong>n. Hatte Ali Agca doch öffentlich verkün<strong>de</strong>t, er wer<strong>de</strong> „diesen religiösen<br />

Führer, (…) <strong>de</strong>n getarnten Kommandanten <strong>de</strong>r Kreuzritter, umbringen“. 76 Haben die<br />

Ungarn nur aufgeschnappt, was in jenen Tagen so alles an Gerüchten über mögliche<br />

Hintermänner, Auftraggeber, Drahtzieher beson<strong>de</strong>rs in Rom kursierte; sollte die Information,<br />

wahr o<strong>de</strong>r gestreut, dazu beitragen „Moskau und Sofia“ zu entlasten?<br />

Ob o<strong>de</strong>r welche Rolle <strong>de</strong>r bulgarische Staatssicherheitsdienst bei <strong>de</strong>m schweren Anschlag<br />

auf Johannes Paul II. gespielt hat, wird wohl für <strong>immer</strong> in <strong>de</strong>n Archiven versenkt<br />

bleiben. Sofern es überhaupt schriftliche Hinweise gibt. Die Kirche erinnert sich<br />

schmerzhaft an jenen Vorgang, als Pius XII. auf <strong>de</strong>r Abschussliste <strong>de</strong>r Nazis gestan<strong>de</strong>n<br />

haben soll. 77<br />

Bulgarische Pfeile<br />

Sieht man von <strong>de</strong>n schweren Verdächtigungen einmal ab, lehrt ein Blick in die Dokumente,<br />

die bulgarische Aussagen überliefern, dass aus Sofia in <strong>de</strong>n Jahren vor <strong>de</strong>n<br />

Schüssen auf <strong>de</strong>n Petersplatz nichts Gutes über Papst und römische Kirche zu hören<br />

<strong>war</strong>.<br />

Das Christentum, ob lateinisch o<strong>de</strong>r orthodox, <strong>war</strong> nun einmal <strong>de</strong>r weltanschauliche<br />

Gegner, <strong>de</strong>r Vatikan, nach kommunistischer Klassifikation, <strong>de</strong>r Komplize <strong>de</strong>s Imperialismus,<br />

<strong>de</strong>r natürlich die Fahne „Stars and Stripes“ bis an die En<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> einzupflanzen<br />

versuchte, o<strong>de</strong>r doch die Philosophie <strong>de</strong>s american way of life, gleichgesetzt<br />

mit kapitalistischer Ausbeutung und Unterminierung <strong>de</strong>s Sozialismus. Im Re<strong>de</strong>text las<br />

sich das dann so: „Von <strong>de</strong>r katholischen Kirche zur Erweiterung ihrer<br />

Basis und ihres Einflusses in <strong>de</strong>n sozialistischen Bru<strong>de</strong>rstaaten<br />

zum Einsatz gebrachten neuen Metho<strong>de</strong>n, Formen und Mit-<br />

75 Vgl. HA XX/4, Nr. 408.<br />

76 Vgl. http://www.wdr.<strong>de</strong>/themen/kultur/stichtag/2006/05/13.jhtml.<br />

77 Vgl. Werner Kaltefleiter /Hanspeter Oschwald: Spione im Vatikan, München 2006.<br />

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Werner Kaltefleiter: <strong>Der</strong> <strong>Spitzel</strong> w ar <strong>immer</strong> <strong>dabei</strong>. Über <strong>de</strong>n Kirchenkampf im Kalten Krieg<br />

tel <strong>de</strong>cken sich <strong>immer</strong> mehr mit <strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n und Formen <strong>de</strong>s<br />

subversiven i<strong>de</strong>ologischen Vorgehens <strong>de</strong>r USA und ihrer westlichen<br />

Verbün<strong>de</strong>ten.“<br />

Auf <strong>de</strong>r Tagung <strong>de</strong>r sozialistischen Nachrichtendienste in Prag 1977 vertraten Generalmajor<br />

Iwan Dimitroff, <strong>de</strong>r stellvertreten<strong>de</strong> Leiter <strong>de</strong>r VI. Verwaltung <strong>de</strong>s Innenministeriums,<br />

und Oberst Todor To<strong>de</strong>row <strong>de</strong>n bulgarischen Staatssicherheitsdienst. Auf <strong>de</strong>n<br />

Vatikan gemünzt, sagte Dimitroff in seiner Re<strong>de</strong>: „In ihren Beziehungen mit<br />

<strong>de</strong>m Vatikan wird unsere Partei auch in Zukunft beharrlich ihre<br />

elastische Politik betreiben, die auf die Ausweitung <strong>de</strong>s Einflusses<br />

und <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>r VRB im Ausland gerichtet ist.<br />

Wir wer<strong>de</strong>n einen Zugang unserer Gelehrten und Geschichtswissenschaftler<br />

zu Materialien und Dokumenten in <strong>de</strong>n Archiven und<br />

Bibliotheken <strong>de</strong>s Vatikans schaffen.“<br />

<strong>Der</strong> Bulgare berief sich auf eine Zusage von Erzbischof Casaroli, „das in dieser<br />

Hinsicht Notwendige zu tun, um im gegebenen Moment die Entsendung<br />

von Spezialisten und Gelehrten <strong>de</strong>r Bulgarischen Aka<strong>de</strong>mie<br />

<strong>de</strong>r Wissenschaften besprechen zu können.“ Diese Offerte <strong>de</strong>s päpstlichen<br />

Diplomaten gehe zurück, wie Dimitroff sagte, auf <strong>de</strong>n Besuch einer offiziellen Delegation<br />

<strong>de</strong>s Vatikans, die vom 3. bis 10. November 1976 auf Einladung <strong>de</strong>s Ministeriums<br />

für Auswärtige Angelegenheiten nach Sofia gereist <strong>war</strong>. Delegationsleiter Casaroli<br />

hatte eine umfangreiche Wunschliste in seiner Aktentasche. Dem Heiligen Stuhl ging es<br />

um<br />

▪ die juristische Anerkennung <strong>de</strong>r katholischen Kirche in Bulgarien;<br />

▪ eine Neuordnung <strong>de</strong>r kirchlichen (katholischen) Verwaltungsstruktur;<br />

▪ <strong>de</strong>n Neubau einer Kirche;<br />

▪ die Ausbildung von bulgarischen Theologiestu<strong>de</strong>nten in Rom;<br />

▪ die Einfuhrerlaubnis für religiöse Literatur;<br />

▪ die Aufenthaltsorte und Wohnsitze für Priester.<br />

Casroli bot als Gegenleistung an, Vertretern <strong>de</strong>r bulgarischen Orthodoxie ein Studium<br />

an vatikanischen ostkirchlichen Instituten zu ermöglichen.<br />

Den For<strong>de</strong>rungen Casarolis seien ausweichen<strong>de</strong> Antworten gegeben wor<strong>de</strong>n, stellt<br />

General Dimitroff gegenüber <strong>de</strong>n Genossen <strong>de</strong>r „Bru<strong>de</strong>rorganisationen“ fest. Er legt<br />

die Platte auf, die selbst eingefleischten Stasi-Leute ermü<strong>de</strong>t haben dürfte. Man kannte<br />

das Ritual. Pflichtübung. Hohlworte – und <strong>de</strong>nnoch erschreckend genug, wenn dies ein<br />

Mensch aus <strong>de</strong>m vatikanischen Rom zu Gehör bekommen hätte: „Einge<strong>de</strong>nk <strong>de</strong>r<br />

Aktivitäten <strong>de</strong>s Gegners auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s <strong>Kath</strong>olizismus, organisieren<br />

die Organe für Staatssicherheit <strong>de</strong>r VRB ihre Abwehrarbeit<br />

unter Berücksichtigung <strong>de</strong>s Eindringens in <strong>de</strong>n Vatikan<br />

und <strong>de</strong>r mit ihm verbun<strong>de</strong>nen subversiven Zentren, was es<br />

möglich macht, Kanäle i<strong>de</strong>ologischer und an<strong>de</strong>rer subversiver<br />

Tätigkeit, die von ihnen betrieben wird, zu ent<strong>de</strong>cken, erfolgreich<br />

zu bearbeiten und Personen zu entlarven, die <strong>de</strong>r Betei-<br />

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ligung an <strong>de</strong>r Arbeit von Spezialeinheiten <strong>de</strong>s Gegners überführt<br />

wer<strong>de</strong>n können.“<br />

Wenn alles so exekutiert wird, wie <strong>de</strong>r Stasi-General ankündigt, dann wird es winterlich<br />

für Christgläubige am Sch<strong>war</strong>zen Meer: „Mit <strong>de</strong>r uns zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n<br />

Agentur und <strong>de</strong>n Mitteln <strong>de</strong>r Masseninformation wer<strong>de</strong>n<br />

von uns entsprechen<strong>de</strong> Maßnahmen zur stufenweisen Eingrenzung<br />

und Neutralisierung <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>r katholischen Kirche in<br />

<strong>de</strong>r VRB getroffen.“ Und weiter im Text: „Unserer Ansicht nach ist es<br />

auch in <strong>de</strong>r Zukunft notwendig, gemeinsame Maßnahmen mit <strong>de</strong>n<br />

Bru<strong>de</strong>rorganen für Staatssicherheit zur Bearbeitung von Missionaren<br />

und Emissären <strong>de</strong>s Vatikans durchzuführen, die die sozialistischen<br />

Län<strong>de</strong>r besuchen.“ „Es wäre zweckmäßig, <strong>de</strong>n Austausch<br />

operativer Informationen über die Tätigkeit <strong>de</strong>s Vatikans<br />

gegen unsere Län<strong>de</strong>r zu verstärken.“<br />

Subversive Ansichtskarten<br />

1980 mel<strong>de</strong>t sich Sofia erneut zu <strong>de</strong>m angesprochenen Thema zu Wort. 78 Die Quelle für<br />

das Papier, das von <strong>de</strong>r Internationalen Abteilung <strong>de</strong>s MfS in Umlauf gegeben wird, ist<br />

wie <strong>immer</strong> allgemein gehalten, ohne konkreten Bezug.<br />

In <strong>de</strong>m fünfseitigen Bericht heißt es – in <strong>de</strong>r Sache sich wie<strong>de</strong>rholend: „Zur Realisierung<br />

seiner subversiven Pläne nutzt <strong>de</strong>r Vatikan auch <strong>de</strong>n<br />

sich beständig erweitern<strong>de</strong>n internationalen Austausch. Emissäre<br />

und Missionare <strong>de</strong>s Vatikans, die unser Land aus verschie<strong>de</strong>nen<br />

Grün<strong>de</strong>n besuchen, sammeln Informationen über die Lage und<br />

über die sich unter <strong>de</strong>n Mitarbeitern <strong>de</strong>r katholischen Kirche<br />

vollziehen<strong>de</strong>n Prozesse sowie über die ‚Beeinträchtigung <strong>de</strong>r<br />

Rechte und Freiheiten‘ <strong>de</strong>r <strong>Kath</strong>oliken.“<br />

„Vatikan-Mitarbeiter versuchen, in unser Land religiöse Literatur<br />

und an<strong>de</strong>re Materialien einzuschleusen und erweisen <strong>de</strong>n<br />

Gläubigen materielle und moralische Unterstützung. Im Jahre<br />

1978 wur<strong>de</strong> in einem Fahrzeug von in unser Land eingereisten<br />

Geistlichen – drei Italienern und zwei nicht zurückgekehrten<br />

Bulgaren – eine große Menge von Kreuzen, religiöser Literatur<br />

und ebensolcher Ansichtskarten sowie von Kautschukformen für<br />

Gipsabgüsse zu religiösen Themen festgestellt und konfisziert.<br />

Einen analogen Vorfall gab es auch im Jahre 1979, als bei aus<br />

Italien zurückkehren<strong>de</strong>n bulgarischen Bürgern über 2000 solcher<br />

Gegenstän<strong>de</strong> beschlagnahmt wur<strong>de</strong>n.“<br />

78 Vgl. Abt. X: Information <strong>de</strong>r Sicherheitsorgane <strong>de</strong>r VRB – Zur subversiven Tätigkeit <strong>de</strong>s Vatikans gegen<br />

die Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 4. September 1980.<br />

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1983 – inzwischen sind die Schüsse auf <strong>de</strong>m Petersplatz abgegeben wor<strong>de</strong>n und haben<br />

die ganze Welt schockiert – schwört Bulgarien Ei<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Unschuld. Den Geheimdienst<br />

scheint das nicht anzufechten. Als „Geheime Verschlusssache“, jedoch ohne<br />

Quellenangabe, liegt <strong>de</strong>m MfS in <strong>de</strong>utscher Übersetzung ein elfseitiger Bericht „Über<br />

die Zusammenarbeit und über das Zusammenwirken mit <strong>de</strong>n Organen<br />

<strong>de</strong>s MfS <strong>de</strong>r DDR auf <strong>de</strong>r Linie <strong>de</strong>r Religion“ vor. Unter Punkt B wird<br />

über „Die Tätigkeit <strong>de</strong>s Gegners“ berichtet.<br />

<strong>Der</strong> Abschnitt beginnt mit „I. <strong>Der</strong> Vatikan“: „Mit seiner finanziellen,<br />

i<strong>de</strong>ologischen, politischen und geistlichen Stärke, mit<br />

seinem lei<strong>de</strong>nschaftlichen Antikommunismus hebt sich <strong>de</strong>r Vatikan<br />

von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren ausländischen religiösen Organisationen<br />

ab. Die Emissäre und Missionare <strong>de</strong>s Vatikans zeigen eine beson<strong>de</strong>re<br />

Hartnäckigkeit und Konsequenz in ihrem Bestreben, in<br />

die VRB dauerhaft einzudringen“.<br />

„Die Römisch-<strong>Kath</strong>olische Kirche zählt die VRB und die an<strong>de</strong>ren<br />

osteuropäischen Län<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn, die sich unter <strong>de</strong>r<br />

‚beson<strong>de</strong>ren Bedrohung‘ <strong>de</strong>s Atheismus befin<strong>de</strong>n und versucht,<br />

<strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>s Papstes in ihnen zu erweitern. So erklärte z.<br />

B. Papst Johannis Paul II. Anfang 1981 in seinem ‚Apostolischen<br />

Brief‘ (Enzyklika) Kyrill und Methodi 79 als ‚Mitbeschützer<br />

Europas‘ neben <strong>de</strong>m Heiligen Benediktus. Ungeachtet <strong>de</strong>ssen,<br />

dass <strong>de</strong>r Papst in seiner Botschaft über die Tat <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

Brü<strong>de</strong>r nur als eine religiöse Tätigkeit re<strong>de</strong>t und nichts über<br />

ihre kulturhistorische Mission und über die Rolle <strong>de</strong>s bulgarischen<br />

Staates als Wiege <strong>de</strong>r slawischen Zivilisation gesagt<br />

wird, wird diese Enzyklika als Versuch eines tieferen Eindringens<br />

in die VRB gewertet.“<br />

Es mussten einige Jahre nach <strong>de</strong>r politischen Wen<strong>de</strong> auch in Bulgarien vergehen, bis<br />

Johannes Paul II. das Land <strong>de</strong>r Klöster, <strong>de</strong>r Rosen und einer sehr alten Kulturgeschichte<br />

mit orthodoxer Ausprägung besuchen mochte. Vom 23. bis 26. Mai 2002 besuchte er<br />

Sofia und einige an<strong>de</strong>re Orte. Jetzt erst <strong>war</strong> wohl die Zeit gekommen, „nur Gutes“ über<br />

die Gastgeber zu sagen, ihren Willen zur politischen und gesellschaftlichen Neuordnung<br />

zu begrüßen, ihre Aufnahme in die Europäische Union zu bejahen, ihre Brückenfunktion<br />

zwischen Ost- und Sü<strong>de</strong>uropa zu betonen und – eines seiner großen Anliegen bei<br />

<strong>de</strong>r Aussöhnung von Ost und West – zur christlichen Ökumene zu ermutigen. Auch<br />

zum Thema Nr. 1 <strong>de</strong>r internationalen Medien – was wird er zu <strong>de</strong>m Anschlag auf ihn<br />

sagen? – äußerte sich <strong>de</strong>r Papst zum ersten Mal öffentlich, und z<strong>war</strong> zum politischen<br />

Aspekt <strong>de</strong>r Frage: Er habe nie an die so genannte bulgarische Spur geglaubt.<br />

Die geistliche Dimension dieser Erfahrung hatte er schon früher angesprochen. Mit<br />

Ali Agca hatte er eine Aufsehen erregen<strong>de</strong> Begegnung in <strong>de</strong>r Zelle <strong>de</strong>s Täters. Hier nun<br />

eine überraschen<strong>de</strong> Antwort. Was sonst hätte er sagen können? War das die Generalab-<br />

79 Die Namensschreibung aus <strong>de</strong>r Originalübersetzung w ur<strong>de</strong> beibehalten.<br />

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solution für das Land, auch ohne Anlass zu einem Sün<strong>de</strong>nbekenntnis? Verfügte Johannes<br />

Paul II. über an<strong>de</strong>rs lauten<strong>de</strong> Informationen – die er mit ins Grab genommen hat?<br />

Kontrolle<br />

Als ginge die Zeitentwicklung an ihnen vorbei – sollte Gorbatschow mit seinem Diktum<br />

die Nachrichtendienste nicht gemeint haben? – wird auch schon mal vorsorglich eine<br />

„Beratung und Bestimmung <strong>de</strong>r Schwerpunktaufgaben <strong>de</strong>s Planes<br />

<strong>de</strong>r Zusammenarbeit <strong>de</strong>r HA XX <strong>de</strong>s MfS und <strong>de</strong>r Verwaltung <strong>de</strong>s<br />

KfS 80 zum Schutz <strong>de</strong>r verfassungsmäßigen Ordnung für <strong>de</strong>n Zeitraum<br />

1991 bis 1995“ eingeplant. Anlass zur Ironie geben solche Fundstücke aus<br />

<strong>de</strong>n Hinterlassenschaften <strong>de</strong>r Nachrichtendienste „von drüben“ allemal nicht.<br />

Armeen legen, wenn sie besiegt wor<strong>de</strong>n sind, ihre Waffen nie<strong>de</strong>r, Geheimdienste<br />

(Nachrichtendienste) aber sterben nicht. Sie wechseln die Uniform. Es gibt <strong>immer</strong> etwas<br />

„aufzuklären“ und „abzuwehren“. Alte Ka<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s MfS treffen sich bis heute in bester<br />

Eintracht und fester Seilschaft, überzeugt davon, nichts an<strong>de</strong>res als „Kundschafter <strong>de</strong>s<br />

Frie<strong>de</strong>ns“ gewesen zu sein. Ihre Opfer kommen in dieser Abrechnung offenbar nicht<br />

vor.<br />

Gott ließ sich nicht ausbürgern<br />

„Siegen lernen heißt von <strong>de</strong>r Sowjetunion lernen“, diese Weise von <strong>de</strong>r neuen I<strong>de</strong>ologie<br />

spielte <strong>de</strong>r Leierkastenmann auf <strong>de</strong>n üblichen Großveranstaltungen <strong>de</strong>r werktätigen<br />

Massen. Marx und Engels <strong>war</strong>en die Schutzheiligen, in <strong>de</strong>ren Namen eine neue Zeit<br />

verkün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, kaum dass eine an<strong>de</strong>re zusammengebrochen <strong>war</strong>. Dem Hakenkreuz<br />

folgte <strong>de</strong>r Rote Stern. Er sollte heller erstrahlen als <strong>de</strong>r „Stern von Bethlehem“. Joachim<br />

Meisner, im System <strong>de</strong>r sozialistischen Gesellschaftsordnung aufgewachsen, aber christlich<br />

geblieben und Bischof und Kardinal gewor<strong>de</strong>n, pflegte diese Metapher bei je<strong>de</strong>r<br />

sich bieten<strong>de</strong>n Gelegenheit vorzutragen. Für Lenin aber be<strong>de</strong>utete Fortschritt zunächst<br />

einmal „Elektrizität“.<br />

Das mochte für die russischen Weiten gelten. Im Staate Ulbrichts und Piecks herrschte<br />

eher Klei<strong>de</strong>rmangel vor, geistiger Klei<strong>de</strong>rmangel. Nicht wenige trugen noch das Tuch<br />

<strong>de</strong>r Zeit „ab 33“. Das ließ sich nicht einfach umnähen. Ein gesamt<strong>de</strong>utsches Phänomen.<br />

Auf bei<strong>de</strong>n Seiten gingen die Sieger ans Werk, <strong>de</strong>n Deutschen die richtige Gesinnung<br />

beizubringen. Die Amerikaner nannten das „Re-Education“, davon ausgehend, dass<br />

doch noch Reste einer glanzvolleren <strong>de</strong>utschen Geistesgeschichte aus <strong>de</strong>r Zeit vor <strong>de</strong>r<br />

Hitlerei zu retten wären.<br />

Im „an<strong>de</strong>ren Teil“ Deutschlands schlug <strong>de</strong>n aus Moskau zurückgekehrten Kommunisten<br />

die Stun<strong>de</strong>. Sie konnten nun beginnen, was ihnen in <strong>de</strong>n vorausgegangenen Deut-<br />

80 KfS = KGB.<br />

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schen Reichen nicht gelungen <strong>war</strong>. Sie verfügten über Zwangsmittel. Politische Schulung,<br />

das heißt, i<strong>de</strong>ologisches Rüstzeug zu erwerben, stand auch für Kandidaten wie für<br />

bereits fortgeschrittene Offiziersjahrgänge <strong>de</strong>r Staatssicherheit ganz oben auf <strong>de</strong>m Stun<strong>de</strong>nplan<br />

<strong>de</strong>r theoretischen Ausbildung. Das Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus<br />

verlangte selbstverständlich die Abkehr vom christlichen Evangelium.<br />

Dem ersten Menschenpaar <strong>war</strong> die Aufenthaltserlaubnis im Paradies entzogen wor<strong>de</strong>n,<br />

wie wir aus <strong>de</strong>m biblischen Gleichnis erfahren; Folge eines Vorgangs, <strong>de</strong>r als erster<br />

Sün<strong>de</strong>nfall die Geschichte <strong>de</strong>r Menschen bis heute belastet, <strong>de</strong>nn sie wollten „sein wie<br />

Gott.“ Aber die Kommunisten wollten zurück zu Adam und Eva. Hatte nicht ein abtrünniger<br />

Jesuit im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt verkün<strong>de</strong>t, dass <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>r Schöpfer aller Dinge<br />

sei, sozusagen <strong>de</strong>r Schöpfer seiner selbst? Folglich existiere Gott nicht. So <strong>war</strong> auf einem<br />

Exponat im Atheismus-Museum in Wilna zu lesen.<br />

Im irdischen Paradies <strong>de</strong>r Werktätigen wur<strong>de</strong> die Angelegenheit auf <strong>de</strong>n Kopf gestellt.<br />

Jetzt <strong>war</strong> kein Platz mehr frei für <strong>de</strong>n Gott <strong>de</strong>r Christen. Vulgär-Marxismus, auf <strong>de</strong>n<br />

man in einer seriösen Auseinan<strong>de</strong>rsetzung, verzichten sollte? Durchaus nicht. Wie klar<br />

<strong>de</strong>r Kampf gegen <strong>de</strong>n christlichen Glauben angelegt <strong>war</strong> und auf welch „schlichter“<br />

Verstan<strong>de</strong>sebene die Altmarxisten und Altstalinisten versuchten, ihre Lehre einem ganzen<br />

Volk überzustülpen, nach <strong>de</strong>m, was dieses Volk zwölf Jahre lang über sich hatte ergehen<br />

lassen müssen, wird aus einigen wenigen Sätzen <strong>de</strong>utlich. Sie sind einer „Lektion“<br />

aus <strong>de</strong>m Schulungsmaterial <strong>de</strong>s Jahres 1956 entnommen:<br />

▪ „Um das Wesen, <strong>de</strong>n Charakter und die Rolle <strong>de</strong>r Religion<br />

richtig einschätzen zu können, ist es notwendig, sich mit<br />

<strong>de</strong>n Klassikern unserer materialistischen Weltanschauung,<br />

<strong>de</strong>m Marxismus-Leninismus zu befassen, da <strong>de</strong>r Marxismus-<br />

Leninismus zum ersten Male <strong>de</strong>n Ursprung und das Wesen <strong>de</strong>r<br />

Religion allseitig ergrün<strong>de</strong>t und aufgeklärt hat.“<br />

▪ „Ausgehend von <strong>de</strong>m Leitsatz von Karl Marx: ‚Die Religion<br />

ist das Opium <strong>de</strong>s Volkes‘ und Lenins Darlegung: ‚<strong>Der</strong> Marxismus<br />

betrachtet alle heutigen Religionen und Kirche, alle<br />

und je<strong>de</strong> religiösen Organisationen stets als Organe <strong>de</strong>r<br />

bürgerlichen Reaktion, die <strong>de</strong>r Verteidigung, <strong>de</strong>r Ausbeutung<br />

und <strong>de</strong>r Betäubung <strong>de</strong>r Arbeiterklasse dienen‘, müssen wir<br />

uns mit <strong>de</strong>r Entstehung und Entwicklung <strong>de</strong>r Religion beschäftigen.“<br />

▪ „Das Programm und die gesamte Tätigkeit <strong>de</strong>r Partei, <strong>de</strong>r<br />

Partei <strong>de</strong>r Arbeiterklasse, beruht auf <strong>de</strong>r wissenschaftlichen<br />

materialistischen Weltanschauung <strong>de</strong>s Marxismus. Unsere<br />

Partei erläutert <strong>de</strong>n werktätigen Massen alle gesellschaftlichen<br />

Erscheinungen historisch-materialistisch, sie muss<br />

auch die Erscheinungen <strong>de</strong>s religiösen Lebens aus <strong>de</strong>n materiellen<br />

Verhältnissen <strong>de</strong>r Gesellschaft, aus ihren ökonomischen<br />

und historischen Wurzeln erklären. Daher schließt unsere<br />

Parteipropaganda notwendiger Weise auch die Propaganda<br />

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<strong>de</strong>s Atheismus ein. Die organisatorische Trennung von <strong>de</strong>r<br />

Kirche ist nur die eine Seite, wichtiger aber ist die i<strong>de</strong>ologische<br />

Trennung.“<br />

▪ Sollten „manche“ Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Partei – man ging von <strong>de</strong>r „Glaubensüberzeugung“<br />

<strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r Genossen aus – „an religiösen Vorstellungen<br />

und gewissen Bindungen zur Kirche“ festhalten, dann sei das<br />

„Ausdruck einer noch mangeln<strong>de</strong>n Entwicklung ihres Klassenbewusstseins“,<br />

heißt es schließlich in <strong>de</strong>r diesbezüglichen „Lektion“. Daraus<br />

zogen die Parteii<strong>de</strong>ologen <strong>de</strong>n Schluss, es seien „alle Reste religiöser<br />

Vorurteile aus <strong>de</strong>n Köpfen <strong>de</strong>r Genossen (zu) beseitigen.“<br />

Das also <strong>war</strong> <strong>de</strong>r dogmatische Leitfa<strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Staat <strong>de</strong>r „Arbeiter- und Bauernmacht“<br />

und Dienstanweisung für diejenigen, die diesem Programm folgend Religion<br />

und Kirche zu „bekämpfen“ hatten.<br />

Sie ließen kein Mittel unversucht, begannen mit <strong>de</strong>n jüngsten DDR-Staatsbürgern, <strong>de</strong>n<br />

Zöglingen in <strong>de</strong>r Vorschule. Setzten es fort mit <strong>de</strong>r Jugend. Wie im vorausgegangenen<br />

System. <strong>Der</strong> Parteigenosse lernt ein Leben lang, bleibt für <strong>immer</strong> in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Partei. Einige scheinen „tieffromm“ gewor<strong>de</strong>n zu sein, wür<strong>de</strong>n es wohl bis zu ihrem<br />

Tod bleiben, spöttelte ein Ex-Stasi-Offizier über seinen früheren Vorgesetzten, einen<br />

General. Gott aber vermochten sie nicht auszubürgern. Er hat seine Wohnung nie aufgegeben,<br />

auch in <strong>de</strong>n Städten, die ohne ihn entstehen sollten (um ein Wort Karol Wojtylas<br />

abzuwan<strong>de</strong>ln). Gott gewinnt wie<strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong>, langsam z<strong>war</strong>, aber <strong>immer</strong> mehr – tiefere<br />

Bindungen brauchen bekanntlich etwas mehr Zeit.<br />

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Quellen<br />

Aus <strong>de</strong>n Unterlagen <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sbeauftragten für die Unterlagen <strong>de</strong>s Staatssicherheitsdienstes<br />

<strong>de</strong>r ehemaligen DDR wur<strong>de</strong>n berücksichtigt:<br />

▪ MfS – HA IX vom 13.11.1989;<br />

▪ MfS – HA XX/4 Nr. 53, 123, 318, 407, 408, 501, 650, 653, 1257, 2157, 3717;<br />

▪ MfS – HA XX/AKG, Nr. 5887;<br />

▪ MfS – BdL-Dok. Nr. 007783;<br />

▪ MfS – JHS Sicherheitsfilm Z 26/56.<br />

© Werner Kaltefleiter, Wiesba<strong>de</strong>n 2007.<br />

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