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Eurasisches Magazin – April 2009 · Seite 1 © Eurasischer Verlag ...

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<strong>Eurasisches</strong> <strong>Magazin</strong> – <strong>April</strong> <strong>2009</strong> · <strong>Seite</strong> 24<br />

also aus Ostrava, spendieren neugierige Mitbürger den beiden in der Kneipe Bier und Rum –<br />

sehr zum Gefallen der jungen „Rebellen“.<br />

Die Tochter war zur Wendezeit ein Jahr alt<br />

„Mama erzählt immer, dass sie damals große Angst um dich hatte“, sagt Veronika Hefková.<br />

Petr Hefkas Tochter war zur Wendezeit gerade ein Jahr alt. Sie kennt die Ereignisse von 1989<br />

nahezu ausschließlich aus den Erzählungen ihrer Eltern. „Wenn ich an 1989 denke, fällt mir<br />

zuerst die Revolution ein, aber so richtig weiß ich gar nicht, was ich mir unter Revolution<br />

vorstellen soll“, sagt sie. „Wir haben zwar im Geschichtsunterricht alles möglich sehr<br />

ausführlich behandelt, aber nichts über die jüngste Zeit gelernt“, erzählt die Abiturientin.<br />

„Ich fühle da eine große Lücke und schäme mich auch ein bisschen dafür, dass ich mich<br />

bisher nicht hingesetzt und mir dazu selbst etwas angelesen habe“, gibt sie zu und wird ein<br />

wenig rot dabei.<br />

Im vergangenen Herbst hat die junge Tschechin angefangen, an der Technischen Universität<br />

in Ostrava Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Zufrieden ist sie nicht. Über einen<br />

Wechsel an eine andere Hochschule denkt sie nach, noch ist sie unschlüssig: „Fünf Jahre sind<br />

ja auch keine Katastrophe, das lässt sich überleben“, redet sie sich zu. Schließlich ist zu<br />

langes Studieren oder Herumtrödeln heutzutage auch in Tschechien verpönt. Zielstrebige<br />

junge Menschen, mit guten Noten, viel Berufserfahrung und fundierten Sprachkenntnissen<br />

werden gebraucht. Das Diktat des Marktes hat die sozialistische Diktatur abgelöst. Jeder ist<br />

heute selbst dafür verantwortlich, inwiefern er die unbegrenzten Möglichkeiten nutzt.<br />

Damals war alles vorgegeben<br />

Damals, als Petr Hefka seine Ausbildung abgeschlossen hatte,<br />

waren die Möglichkeiten noch begrenzt: „Ambitionen gehörten<br />

nicht in die Zeit.“ Und so durchlebte er den Sozialismus wie viele<br />

Tschechoslowaken: „Für uns war durch das System alles<br />

vorgezeichnet. Arbeit, Hochzeit, Wohnung, fertig!“ Da störte es<br />

auch nicht, dass er nach einem Semester von der Hochschule flog.<br />

„Ich bin lieber zu meiner Freundin gefahren, als zu lernen“, sagt er<br />

heute.<br />

Negative Erinnerungen an die Vorwendezeit hat er allerdings keine.<br />

Von der Existenz der „ŠtB“, der Tschechoslowakischen<br />

Staatssicherheit, habe er erst nach 1989 erfahren. „Was das<br />

Veronika Hefková hilft politische System betrifft, lebten die Menschen hier zu 90 Prozent<br />

ihrem Vater im in Unwissenheit“, schätzt Petr Hefka. Ihn versuchten die<br />

Elektroladen aus. kommunistischen Genossen nur einmal während der Ausbildung zu<br />

(Foto: Breuer)<br />

rekrutieren: „Sie wollten mich mit einem sicheren Hochschulplatz<br />

ködern“, sagt Petr Hefka. Vergeblich.<br />

Dabei ist Petr Hefka ein politischer Mensch. Sein Kreuzchen macht er heute bei den<br />

Konservativen. In Zlaté Hory will er auch selbst mitgestalten. Im Stadtrat und -parlament<br />

vertritt er die parteilose Vereinigung „Unabhängige 2006“. Seine Tochter indes kann mit<br />

Politik nicht viel anfangen. „Ich verstehe nicht viel davon“, sagt die 20-Jährige. „Und wenn<br />

ich an Kommunismus denke, dann fällt mir als erstes das Reiseverbot ein und, dass viele<br />

Menschen in Angst gelebt haben“.<br />

Unter anderem deswegen will ihr Vater nicht, „dass die alte Zeit zurück kommt“. Die<br />

romantisierende Verklärung des Lebens in der ehemaligen Tschechoslowakei à la Ostalgie ist<br />

den Tschechen fremd. „Ich kenne niemanden, der so denken würde“, sagt Veronika Hefková.<br />

Trotzdem scheint sie ihren Vater ein wenig zu beneiden: um eine sorglose Jugend, in der alle<br />

Schüler die gleiche Kleidung hatten und in dieselben Urlaubsorte fuhren.<br />

© <strong>Eurasischer</strong> <strong>Verlag</strong> Hans Wagner <strong>2009</strong>

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