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Eurasisches Magazin – April 2009 · Seite 1 © Eurasischer Verlag ...

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<strong>Eurasisches</strong> <strong>Magazin</strong> – <strong>April</strong> <strong>2009</strong> · <strong>Seite</strong> 26<br />

DEUTSCHLAND-POLEN<br />

Der Blick der Frauen<br />

Sie leben an derselben Grenze und haben im Sozialismus die gleichen<br />

Erfahrungen gemacht, nur auf unterschiedlichen <strong>Seite</strong>n. Heute begegnen sie<br />

einander auf Märkten und in Geschäften, doch sie wissen kaum etwas<br />

voneinander. Dabei gibt es eine Menge, das die deutschen und polnischen<br />

Frauen entlang von Oder und Neiße verbindet<br />

Von Melanie Longerich und Monika Piotrowska<br />

EM 04-09 · 02.04.<strong>2009</strong><br />

Karolina Machowska bedient<br />

deutsche Kundinnen in ihrem<br />

polnischen Lebensmittelladen<br />

in Uckermünde.<br />

(Foto: Longerich)<br />

in halbes Pfund Schinken und Konfekt, und noch mal<br />

so viel gelben Käse. Karolina Machowska verpackt<br />

alles in einer großen Plastiktüte und reicht sie einer<br />

Kundin über die Ladentheke. Es ist halb zehn Uhr morgens<br />

und die 25-jährige BWL-Studentin aus Sczczecin (Stettin)<br />

hat bereits die Fahrt zum Großmarkt in Polen und die 20<br />

Kilometer lange Fahrt über die Grenze in ihr eigenes<br />

Geschäft im mecklenburgischen Städtchen Ueckermünde<br />

hinter sich. „Ich wollte immer meinen eigenen Laden haben<br />

und finanziell unabhängig sein“, sagt sie. Vor zwei Jahren<br />

eröffnete sie den kleinen Lebensmittelladen mit polnischen<br />

Produkten. Sie wohnt und studiert in Polen, arbeitet lieber<br />

in Deutschland: „Heute ist doch alles möglich“, sagt sie.<br />

Das dachte Christa Zmudzinski auch einmal. „Manchmal fällt mir schon die Decke auf den<br />

Kopf“, erzählt die 61-Jährige und blickt im brandenburgischen Guben von ihrem Balkon aufs<br />

Feld. Da haben früher Häuser gestanden: „Alle weg“, sagt sie. Genau wie ihre Familie: Ihr<br />

Mann fand Arbeit im Schwarzwald, drei der vier Kinder leben heute in ganz Deutschland<br />

verteilt. Da denkt Christa Zmudzinski lieber an alte Zeiten. 1965 war die Facharbeiterin von<br />

Thüringen an die Neiße gezogen, denn das neue Chemiefaserwerk hatte um gut ausgebildete<br />

Menschen aus der ganzen Republik geworben. Um dem Schichtsystem zu entkommen,<br />

kellnerte die bald vierfache Mutter ab den 70er Jahren in verschiedenen Gaststätten der<br />

Handelsorganisation, bis sie selbst die Leitung eines Lokals übernahm.<br />

Wir hatten keine Zeit uns vor der Zukunft zu fürchten<br />

Nach der Wende war damit schnell Schluss. Viele der Gäste des Lokals wurden arbeitslos,<br />

auch die Chefin selbst. Damals habe sie oft gedacht, dass das Leben nun keinen Sinn mehr<br />

mache, erzählt Christa Zmudzinski. „Doch ich wollte meinen Kindern immer Vorbild sein.“<br />

Diese Einstellung hat ihr schließlich aus der Lethargie der Wendezeit geholfen, wie vielen<br />

anderen, vor allem Frauen, auch: „Wir hatten keine Zeit, uns vor der Zukunft zu fürchten.<br />

Wir funktionierten ohne nachzudenken. Für die Familie.“ Ein Satz, der immer wieder fällt –<br />

auf beiden <strong>Seite</strong>n der Grenze.<br />

Vom Wegbrechen der Arbeit waren dort zuerst die Frauen betroffen. Dennoch, ist Hans<br />

Joachim Maaz überzeugt, hätten Frauen den Verlust des Arbeitsplatzes deutlich besser<br />

verkraftet als ihre Männer. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am<br />

Diakoniekrankenhaus in Halle hatte 1990 mit seinem Buch „Der Gefühlsstau – ein<br />

Psychogramm der DDR“ für Aufsehen gesorgt. Da arbeitete er noch als Psychologe in<br />

Frankfurt (Oder). Damals seien viele Frauen zu ihm kommen, weil sie sich schuldig fühlten,<br />

nie Zeit für die Kinder zu haben: „Sie haben gewusst, dass die Verhältnisse in den Krippen<br />

© <strong>Eurasischer</strong> <strong>Verlag</strong> Hans Wagner <strong>2009</strong>

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