Eurasisches Magazin â April 2009 · Seite 1 © Eurasischer Verlag ...
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<strong>Eurasisches</strong> <strong>Magazin</strong> – <strong>April</strong> <strong>2009</strong> · <strong>Seite</strong> 48<br />
GELESEN<br />
„Glückseligkeit“ von Zülfü Livaneli<br />
Der bekannte türkische Musiker Zülfü Livaneli hat ein Buch vorgelegt, das ein<br />
Gesellschaftsbild der Türkei in Romanform zeichnet. Zülfü hatte 1971 nach dem<br />
Militärputsch und einer dreimonatigen Gefangenschaft seine türkische Heimat<br />
verlassen müssen. Nach Stationen in Paris, Stockholm und Athen wurde der als<br />
„Poet des friedlichen Aufstandes“ bezeichnete Künstler nach seiner Rückkehr<br />
in die Türkei gefeiert. Sein Buch ist eine eindringlich geschriebene<br />
Emanzipationsgeschichte.<br />
Von Eberhart Wagenknecht<br />
EM 04-09 · 02.04.<strong>2009</strong><br />
uf einer gemeinsamen Reise sieht eine<br />
Schwester das ganze Elend ihres Bruders. Er ist<br />
bereit, sich für demokratische Ideale zu opfern<br />
und, sie wagt es nicht, ihm die Wahrheit ins Gesicht<br />
zu sagen: „Eigentlich hätte sie ihm noch so vieles<br />
sagen wollen, doch sie hatte plötzlich geschwiegen.<br />
Sie hatte ihrem Bruder nicht das Herz schwermachen<br />
wollen und hatte zurückgehalten, was sie sonst noch<br />
bewegte: ‚Liest du keine Zeitungen, schaust du nicht<br />
fern? Überall auf den Titelseiten siehst du nur<br />
Mädchen mit nackten Brüsten, Transvestiten, die als<br />
Sängerinnen auftreten, Huren, die Wasserski fahren<br />
und schamlos lächeln. Das, was du unser Volk nennst,<br />
besteht nicht mehr aus einzelnen Menschen. Es ist<br />
„Glückseligkeit“ von Zülfü Livaneli<br />
wie eine Herde, eine Herde von Versklavten. Keiner<br />
ist mehr eine Persönlichkeit – man hat ihnen die<br />
Selbstachtung und das Ehrgefühl genommen.“<br />
Weder das Volk noch die Regierung schere sich auch nur ein bisschen um die, die für<br />
Demokratie kämpfen wollen, sagte die Schwester. Ihr Bruder und seine Freunde hungerten<br />
sich im Gefängnis zu Tode. Leider nahm dies niemand zu Kenntnis. Ihre Mitstreiter<br />
außerhalb des Gefängnisses gingen hin und töteten Polizeibeamte, die wenig verdienten,<br />
kaum über die Runden kamen. Sie spielten ein blutiges und zugleich sinnloses Spiel.<br />
Doppelmoral und Verlogenheit<br />
Eine bedrückende Szene eröffnet den Roman. Das Mädchen Meryem, deren Mutter bei ihrer<br />
Geburt gestorben ist, wird im Alter von 15 Jahren vom Scheich ihres ostanatolischen Dorfes<br />
vergewaltigt. Klagen ist sinnlos, das weiß sie.<br />
Schon hier zeigt der Autor die Spaltung der türkischen Gesellschaft und zeigt dem Leser<br />
Doppelmoral und Verlogenheit auf. Die Türkei Zülfü Livanelis versucht den Spagat zwischen<br />
beginnender Modernität in der Stadt und einer Rückständigkeit der ländlichen Gebiete, die<br />
für viele Menschen kaum aushaltbar ist.<br />
Während sich Meryem ihrem Schicksal ergibt, träumt ihr Vetter Cemal den Traum einer<br />
unschuldigen Braut. Eine solche Geschichte macht unter den Soldaten die Runde, die in den<br />
Bergen gegen Anhänger der PKK kämpfen. Das Schicksal von Cemal und seinem einstigen<br />
kurdischen Jugendfreund zeigt die Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen, die<br />
ungelöst bleiben.<br />
© <strong>Eurasischer</strong> <strong>Verlag</strong> Hans Wagner <strong>2009</strong>