16.11.2014 Aufrufe

H E I M K E H R DAS DORF MEINER KINDHEIT Otto ... - dkmotion

H E I M K E H R DAS DORF MEINER KINDHEIT Otto ... - dkmotion

H E I M K E H R DAS DORF MEINER KINDHEIT Otto ... - dkmotion

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Aber die Kinder, die Kleinen, die würd er ihr nicht wegnehmen. Niemand. Das<br />

würd sie nicht zulassen. Später, als die Mutter und die Großmutter in der Küche<br />

das Abendessen herrichteten und die Kinder mit dem Onkel in der Stube saßen, da<br />

schaute der Onkel den Knaben an, mit seinem weißen Linnen ums Haar und<br />

lächelte und sagte: „Noch so klein und schon ein so großer Feigling. Wenn dich<br />

dein Vater sehen könnt“.<br />

Die Qual und ihr stilles Hinnehmen, die Zucht und das dumpfe Ertragen der<br />

Schläge und Tritte, Demut, Unterwürfigkeit und blindes Gottvertrauen zerfraßen<br />

das Dorf zur Ruine, hauten mit Wucht zum Wrack es. Kreuze ließen sie sich<br />

einbrennen auf ihre Rücken, die Dörfler, mit Haken dran, von den Schmieden der<br />

Barbarei, diesen Mordbrennern des Dorfes. Haken, an denen sie ihr Gewissen<br />

einfach aufhingen und abgaben, wie im Wirtshaus ihre zerbeulten Jacken und<br />

Hüte. Kreuze, die sie nicht mehr los werden sollten, die demutsvollen<br />

Allesgläubigen. Ihre Leiber ins Feld geworfen, in jene draußen wie in jene des<br />

Dorfes, trieben sie um, die Dörfler, gekrümmt zwar, aber toll von Siegesräuschen<br />

und Sehnsüchten. Die Schädel auf dem Schafott schon, priesen sie noch den Herrn<br />

und die Herren. Tragend auf ihren bloßen Rücken das Gewicht ihrer Kreuze,<br />

schonten sie noch ihren Grimm. Und schwiegen. Brach lagen des Dorfes Äcker,<br />

von Sonne beschienen einst, im Schatten der Untat nun, doch gelernt zu ertragen<br />

das Unerträgliche, blieben stumm die Dörfler.<br />

Weil das Dorf ein Dorf der Stummen war, war das Dorf auch ein Dorf der Stille.<br />

Selten nur gab es so was wie Unruhe. Und wenn, dann wurde rasch darüber<br />

weggegangen. Denn das Dorf der Stummen war auch eine Stätte der<br />

Gleichgültigkeit und des schnellen Vergessens. Mochten auch die Äcker und<br />

Wiesen, ja selbst die weite Landschaft des Riedes das Blut nicht mehr fassen, das<br />

vergossen wurde, nichts rührte sich, nichts. Stille, Ruhe, Gleichgültigkeit. Sie<br />

merkten gar nicht mehr, wie es floss, ihnen davon strömte, das Blut, das schon die<br />

Säuglinge des Dorfes ihren Müttern ins Gesicht spieen, das die Burschen ihren<br />

Mädchen aus den Schamlippen pressten, sich dabei als ganze Kerle fühlend, das<br />

die Alten den Jungen kübelweise aus den Adern zapften, immer und immer<br />

wieder. Sie alle waren Kinder des Dorfes. Und Kinder Gottes, wie ihnen der<br />

10

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!