H E I M K E H R DAS DORF MEINER KINDHEIT Otto ... - dkmotion
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Seine Großmutter hatte sieben Söhne. Seine Mutter sieben Brüder. Zwei fielen an<br />
der Wolga. In Hitlers Krieg um Öl und Weizen. Er war fünf, damals und dabei,<br />
als die Großmutter die Todesnachricht vom ersten der beiden empfing. Er hörte<br />
sie schreien. Jenen Schrei, der jahrelang in seinem Ohr weiterschrie. Und er hörte<br />
sie sagen, die Großmutter, dass es jetzt noch sechs seien. Und dann, nach langer<br />
Stille, hörte er sie sagen: wie lange noch?<br />
Er hörte sie sagen. Er hörte sie reden. Er sah sie ihren Mund bewegen. Er sah ihre<br />
Haut erschlaffen. Er sah ihren Körper einfallen. Er sah ihren Schmerz. Nur<br />
verstehen, verstehen konnte er nicht. Wie er vieles nicht verstand, im Dorf, wo es<br />
wenige nur gab, die zu verstehen hatten. Der Dicke war dick und der Dünne dünn.<br />
Wer hatte, der hatte. Wer nicht, selber schuld. Glück und Pech gab’s vielleicht<br />
noch an Erklärung. Aber dann war auch schon Schluss. Und das Gebet als Trost,<br />
die Kirche, den Pfarrer, den Segen.<br />
Seine Großmutter war eine fromme Frau. Das Dorf, sein Dorf, ein frommes Dorf.<br />
Alles ging seinen Lauf, seinen geregelten, war gottgewollt. Geburt, Krankheit,<br />
Tod. Das Wasser, das alle paar Jahre vom See her das Dorf überflutete. Die<br />
Stürme, Gewitter, selbst die Kriege. Nichts konnte man tun, nichts. Wie es kam,<br />
musste es kommen. Mochten sie noch so schreien, die Bäume, die Äcker, die<br />
Viecher, die Menschen. Mochten die Mäuler vom Schrei noch so zerrissen und<br />
gesprengt sein, durch die Gassen schallen die Wehen und Klagen wie das Gebrüll<br />
des Schlachtviehs. Nichts half, nichts. Das Dorf ruhte und schwieg. Unterm<br />
Kreuz, unter der Knute einzelner, unter Worten, frommen und Sprüchen, bösen.<br />
Er, das Kind, kannte nichts anderes. Geduldig trug er die Last, die er nie als<br />
solche empfand. Die langen Schatten, die die Sonne überm Dorf verfinsterten,<br />
hatten für ihn keine Gesichter. Wie sollten sie. Da war keiner, der die Hyäne<br />
Hyäne nannte. Keiner, der sagte „verdammt“ und „verflucht“ und „Schluss“. In<br />
der Fremde erst erkannte er das Gewürm, das kriechende, das jahrelang seinen<br />
wehrlosen, ausgelaugten Rumpf zerfraß, das ihm Milz und Herz annagte, sein<br />
Hirn verspeiste. Weit weg vom Dorf erst erblickte er die Geier, kreisend über den<br />
Höfen und Wiesen, über den Menschen des Dorfes, wie sie sich im Fluge die<br />
Aufteilung der Beute zuriefen, wie sie sich verständigten: den und den und den<br />
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