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H E I M K E H R DAS DORF MEINER KINDHEIT Otto ... - dkmotion

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Greußings und Schindlers, den Lehrern und Pfarrern Rosen, streuten ihnen den<br />

Weg damit, zuvor den Blumen fein säuberlich die Dornen entreißend und<br />

stechend diese tief ins eigene Fleisch und rufend dann: seht her, unsere Leiber zu<br />

züchtigen sind wir bereit für euch. Und die Greußings und Schindlers setzten sich<br />

fester und tiefer übers Dorf von Jahr zu Jahr. Und es knarrte unter ihrem Gewicht<br />

das Dorf, als zerrieb es unter sich Berge von Knochen. Mit Würde und Wucht<br />

schwangen die Dorfeshäuptlinge ihre Namenszüge unter jedes Papier, das sie<br />

dann hinhielten, den Dörflern, die es beglotzten und das ihnen sagte, mit welcher<br />

Rasanz sie ihre Gräber zu schaufeln hatten. Doch blind zu hören und taub zu<br />

sehen, aufgerieben von grausiger Unrast, nahmen sie hin, die Dörfler, was kam.<br />

Verloren den Wuchs schon mit ihrer Geburt, nicht Gesicht und nicht Gesäß,<br />

bebend in ihrem Nerv einzig die Angst vorm Anderssein als die gesichtslosen<br />

Anderen, zerfressen Mut und Glieder von Fäulnis, tiefer, ließen sie geschehen mit<br />

sich, die Dörfler, was das Dorf, was Schindlers und Greußings, Lehrer und Pfarrer<br />

vorhatten mit ihnen.<br />

Die Zeit rannte dahin im Dorf, unbemerkt fast, vom Morgen zum Abend, vom<br />

Winter zum Herbst, von einer Weihnacht zur anderen. Allmählich füllten sich die<br />

hohlen, eingefallenen Bäuche und bald schon zeigten sich Ansätze von Fett, dort,<br />

wo zuvor nichts war, nur Haut. Ein Sinnesrauschen, fleischlicher noch als jedes<br />

Freudenhaus, trieb toll um im Dorf. Gierig stopften sie rein in sich, was sie<br />

jahrelang entbehrten.<br />

Hand in Hand mit dem Füllen der Bäuche aber leerten sich, mehr noch als die<br />

Jahre zuvor, die Herzen und Köpfe der Dörfler. Der nötige Schrei zum Rülpser<br />

verkommen, zum Aufstoßen – nicht der Zeit und ihrer Unbill, sondern des fetten<br />

Mahls – zerfloss lüstern all ihr Wünschen und Sehnen im bisschen Kolik und<br />

Magendrücken. Kein Wehren mehr den süßsauren Phrasen, hingeplärrt von<br />

Schindlers und Greußings den Leibern des Dorfes. Poesie schmeichelnd,<br />

unverstandene Worte, verflüchtigend sich schon im Ohr der Gehörlosen, nannten<br />

Aufschwung und Wunder die Macher des Dorfes den Liebesverlust und Schwund<br />

an Nerv. Schamlos ihr Tun, abzuspeisen die Hungernden mit honigsüßem Fraße,<br />

verklebend und verfettend die Sinne. Ruchlos ins Blutbad getrieben einst, wurden<br />

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