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H E I M K E H R DAS DORF MEINER KINDHEIT Otto ... - dkmotion

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„Weißt, Oma“, sagte der Bruder laut, als sie saßen und die Großmutter eben<br />

einschenkte, „weißt, dass heute vor genau drei Jahr der Führer gestorben ist?<br />

Mitsamt seiner Frau? Wegen der Russen?“. Die Großmutter sagte nichts und sie<br />

tranken den gezuckerten Milchkaffee und aßen von dem süßen Brot, das die<br />

Mutter am Vorabend gebacken hatte. Als sie abends im Bett lagen, der Knabe und<br />

sein Bruder, wartend auf das tägliche Abendgebet mit der Großmutter, begann<br />

diese nicht wie gewohnt mit dem Kreuzzeichen, sondern mit einem langen<br />

Schweigen. „Ihr seids jetzt schon groß genug, ihr zwei. Und wenn euch der Onkel<br />

schon solche Flausen in den Kopf setzt, dann möcht ich euch auch was sagen“,<br />

begann sie dann. Und sie erzählte den beiden Buben wie vor drei Jahren, als man<br />

auch draußen in Lochau, einem Nachbardorf am See, vom Selbstmord des Hitlers,<br />

„diesem Großmaul“, wie sie verächtlich sagte, erfuhr, wie sich damals ein<br />

Ehepaar aus eben diesem Lochau das Leben nahm. Nicht so herrlich, wie euch<br />

dies der Onkel erzählte, sondern voller Angst, fürchterlicher Furcht und qualvoll,<br />

sagte die Großmutter. Dieser Mann und diese Frau besaßen ein Gasthaus am See<br />

und sie hatten keine sichtbare Schuld auf sich geladen. Und sie waren auch keine<br />

Anhänger und keine Freunde von diesem Wahnsinnigen aus Braunau. Trotzdem<br />

zogen sie damals, vor drei Jahren, erzählte die Großmutter, ihre dicken Mäntel an<br />

und stopften diese voll mit den schwersten Gegenständen, die sie im Hause finden<br />

konnten. Mit Eisenteilen, mit Messern und Gabeln und anderem Hausrat. Und<br />

weil die Frau ihrem Manne ergeben war, aber Angst hatte, banden sie ihre<br />

Handgelenke fest mit einer Schnur zusammen. Auf dass sie nichts trennen konnte.<br />

Und dann gingen die beiden, furchtgeschüttelt, aus dem Haus und über die Wiese<br />

zum See. Und sie sangen dabei einen Psalm, ein Kirchenlied, sagte die<br />

Großmutter. So laut sie konnten, um etwas gegen ihre Furcht zu tun. Und sie<br />

stiegen ins Wasser und sangen. Und überm Dorf hörte man den Gesang der<br />

beiden, der immer mehr in ein Gurgeln überging. Aber keiner im Dorf rührte sich.<br />

Alle waren wie gelähmt, weil sie wohl Furcht hatten und Angst hatten und gerne<br />

dasselbe gemacht hätten wie das Ehepaar, aber nicht den Mut dazu besaßen. Und<br />

dann war es plötzlich still überm Dorf. Totenstill. So haben die Menschen für den<br />

Krieg bezahlt, den sie nicht wollten, gegen den sie aber nichts taten, sagte die<br />

Großmutter. Selbst mit seinem Tod hat dieser Massenmörder noch Menschen<br />

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