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H E I M K E H R DAS DORF MEINER KINDHEIT Otto ... - dkmotion

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Stück und drückte es dem Knaben in die Hand. Und dann sah sie ihn an, die Frau<br />

Gugele den Knaben und lächelte. Und dann griff sie nochmals in ihre Geldbörse,<br />

holte ein zweites Zehn-Groschen-Stück heraus, legte es zum anderen, schloss die<br />

Hand des Knaben mit den beiden Geldstücken zur Faust, fuhr dem Buben übers<br />

Haar und sagte, er solle jetzt gehen, schnell. Der Knabe rannte, so rasch er konnte.<br />

An der Kirchentür hörte er, dass die Maiandacht noch nicht zu Ende war. Er<br />

beruhigte seinen Atem, wischte sich den Rotz in den Hemdsärmel und schlich<br />

dann, die schwere Türe vorsichtig öffnend, in die Kirche und kniete sich in die<br />

letzte Reihe. Als er die Hände falten wollte, bemerkte er die zwei Geldstücke.<br />

Beim Verlassen der Kirche blieb der Knabe neben dem Opferstock stehen und<br />

warf, nach kurzem Zögern und abwechselndem Blick auf Hand und Opferstock,<br />

die beiden Zehn-Groschen-Stücke durch den Schlitz des Kastens, auf dem es hieß:<br />

Für die Opfer des Faschismus. Neben dem Knaben stand der Herr Gugele, in<br />

Zivil. Er lächelte, der Dorfgendarm: „Hast gespart. Brav“.<br />

Neben der Stille ging die Lüge um im Dorf, neuerlich, und machte sich breit und<br />

ließ sich nieder, allgegenwärtig. Mit ihrer Hilfe pressten sie gegenseitig sich, die<br />

tausendfach Gepressten. Tausendmal belogen, belogen sie gegenseitig sich. Die<br />

Frauen die Männer, die Väter die Mütter, gemeinsam alle die Kinder. Über<br />

Jahrzehnte qualvoll erfahrend, wohin trieben Unterwürfigkeit und Zucht, trieben<br />

sie selbst nun an ihre Kinder zu Zucht und Unterwürfigkeit, lebend ihnen vor aber<br />

einzig Hoffnungslosigkeit und Demut, Unzucht. Die Zeit, die sie lebten, ohne je<br />

zu leben, war die Zeit des langen Wartens. Nicht wissend worauf, warteten sie<br />

und dösten dahin in ihrem erbärmlichen Sein. Ihr einziger Horizont: der<br />

Futtertrog, das Fleisch. Das nie vorhandene Aufbegehren zum kläglichen<br />

Gewimmer verkommen, bestand ihr sparsames bisschen Freude darin, Körper an<br />

Körper zu pressen. Das einzige Glück der Väter, den Leibern ihrer Frauen Wärme<br />

zu schenken. Verlernt dies aber auf dem Feld des Mordens, die Nerven prall von<br />

zerfetzten, zerschlagenen Kriegskrüppeln und Todesgeröchel, verlernt auch durch<br />

die Jahre des Alleinseins, des dumpfen Vergewaltigens und Vergewaltigwerdens,<br />

waren selbst dazu nicht mehr in der Lage sie. So verkam selbst dies letzte<br />

Quäntchen Freude zum barbarischen Fleischgenuss ohne Zärtlichkeit, zum<br />

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