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H E I M K E H R DAS DORF MEINER KINDHEIT Otto ... - dkmotion

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Worte an die Tauben. Und so ging er, der Knabe, ständig gekrümmt, geduckt, als<br />

hing das Messer, die Axt überm Nacken ihm, den vom Dorf bestimmten Weg,<br />

fraglos jetzt, bar seines zweiten, des zweifelnden Ichs der Großmutter.<br />

Die Mutter des Knaben weinte oft. Und oft wusste der Knabe nicht warum. Leere,<br />

gefüllt vom Nass der Tränen. Die Feuchte des Auges, leer wie das Leben. Man<br />

weinte nicht im Dorf. Und wenn, dann standen Tränen für Hilflosigkeit. Das<br />

tränende Aug sieht weniger noch als nichts, wenngleich der Blick der Dörfler<br />

auch tränenlos nicht klarer wurd. Als die Großmutter des Knaben starb, weinte die<br />

Mutter eine ganze Woche. Die ersten drei Tage, als es mit der Großmutter zu<br />

Ende ging und die nächsten drei Tage, als die Großmutter aufgebahrt in ihrem<br />

Zimmer lag, das sie bis zu ihrem Tode mit der Schwester des Knaben teilte. Er<br />

weinte nicht, der Knabe. Nicht ein Mal. Ein paar Stunden bevor die Großmutter<br />

starb, nahm die Mutter die Kinder und drängte sie ins Zimmer der Sterbenden.<br />

Die Fenster waren geschlossen, obwohl es heiß war draußen und die Vorhänge<br />

waren zugezogen und es stank. Am Ende des großen alten Doppelbettes brannten<br />

Kerzen auf zwei hohen Ständern. Die Mutter führte die Kinder ans Bett heran und<br />

nahm die Hand der Großmutter und legte sie den Kleinen aufs Haar. Die<br />

Großmutter bewegte die Lippen, aber die Laute blieben dem Knaben<br />

unverständlich. Die Mutter führte die Hand der Großmutter über die Gesichter der<br />

Kinder und schob sie dann aus dem Zimmer hinaus. Der Knabe lief aus dem Haus<br />

und erbrach sich. Vier Stunden später war die Großmutter tot. Die Verwandten<br />

und Nachbarn kamen. Die Mutter nahm die Beileidsbekundungen entgegen und<br />

weinte und bewirtete alle. Die Frauen im Zimmer der Großmutter wechselten sich<br />

ab und beteten Rosenkränze, einen um den anderen. Drei Tage später, am Tag der<br />

Beerdigung, kam der Lechtaler, der Totengräber des Dorfes und legte die<br />

Großmutter in einen Sarg, der dann vor das Haus gestellt wurde. Um den Sarg<br />

herum wurden die wenigen Kränze und Blumen aufgestellt. Wieder kamen die<br />

Verwandten. Und die Leute aus dem Dorf kamen alle. Und der Pfarrer kam mit<br />

den Ministranten. Der Lechtaler und sein Gehilfe hoben den Sarg auf das<br />

Pferdefuhrwerk. Dann bewegte sich der Zug durch das Dorf, den Weg runter zur<br />

Kirche. Auf der Höhe des Dorfbaches bellte der Gerberhund die Pferde an und<br />

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