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H E I M K E H R DAS DORF MEINER KINDHEIT Otto ... - dkmotion

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Opfer verlangte, dass diese Russen durch die Kirchenglocke aus ihrem Dorf<br />

bekehrt werden sollten. Abends, als er heimkam vom See, der Knabe, erzählend<br />

von den Soldaten, der Kirchenglocke und seiner und seiner Freunde Erklärung für<br />

das Ganze, bestärkte ihn der Onkel in eben diesen Bubengedanken. „Zur<br />

Bekehrung der Russen, richtig“, lachte er. Laut und lang. Und er wiederholte das<br />

Gesagte. „Zur Bekehrung der Russen. Aber die schaut anders aus, als du sie dir<br />

vorstellst“. Und er erklärte dem Knaben, dass man diesen Barbaren den Glauben<br />

nicht einläuten sondern einbläuen müss. Und dass deshalb aus der Glocke ihres<br />

Dorfes Kanonenkugeln gegossen würden, mit denen die Russen bekehrt würden.<br />

Für immer und ewig. „Tschumm“, sagte er, der Onkel. Dabei beschrieb er mit<br />

seiner geöffneten Faust eine langsame Halbkreisbewegung durch die Luft. Und<br />

„Peng“, sagte er. Und dabei streckte er die Finger flach und führte die vorige<br />

Bewegung rasch zurück. Die Großmutter, die beim aufgeregten Bericht des<br />

Knaben über die Vorgänge bei der Kirche und bei der Belehrung des Onkels<br />

stumm dabei saß, hieß das Kind in die Waschkammer zu gehen und sich die<br />

Zähne zu putzen. Er ging und sie folgte ihm. „Wo’s keine Kirchenglocke gibt,<br />

gibt’s auch keine Kirche. Ab morgen brauchst nicht mehr zur Frühmess gehn. Nur<br />

wenn du magst“. Sie lächelte in den kleinen Spiegel ober dem Waschbecken und<br />

der Knabe lächelte zurück in den kleinen Spiegel. Und sie streichelte ihm über<br />

den Rücken, während er sich vorbeugte über das verbrauchte Spülbecken, um sich<br />

mit dem Gemisch aus feinem Sand und Pfefferminze die Zähne zu putzen. „Ach<br />

was“, sagte die Großmutter. „Der da droben und die Kirche, das sind zweierlei<br />

Ding“. Und nochmals lächelte sie und schickte die Kinder fortan weiterhin täglich<br />

zur Frühmess.<br />

Umso lauter es vom See her krachte, umso dichter die Asche vom Dorfhimmel<br />

fiel, umso gefräßiger und unersättlicher nahten die Nächte. Bald schon erreichten<br />

sie blutige Größe. Mit gerötetem Wasser flossen Rhein und Ache zum See und der<br />

See zum Meer, röter noch. Nur den Dörflern selbst floss kein Blut mehr in den<br />

Adern, das schon zuvor den wenigsten nur floss. Sie hatten Hände, einzig zum<br />

arbeiten. Sie hatten Füße, einzig zum marschieren. Und sie hatten Köpfe, gerade<br />

gut genug für ausgebeulte Hüte und Helme, todbringende. Und Adern und Venen<br />

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