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H E I M K E H R DAS DORF MEINER KINDHEIT Otto ... - dkmotion

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Die Großmutter, die einige Zeit zuhörte ohne was zu sagen, fragte den Onkel<br />

plötzlich und laut, ihm dabei in seine Vorlesungen fallend, ob er denn nicht in die<br />

Strumpfe müsse. Der Onkel verstand. Er faltete die Zeitung, stand auf, steckte die<br />

Zeitung ein und ging. Wortlos.<br />

Tiefer noch als die Hiebe der Stöcke, als das Feuer der Brenneisen, prägten sich<br />

die Bisse des Hungers in der Dörfler Leiber. Zerschundene, nur Leere<br />

zermalmende Kiefer und Mägen. Selbst die Fliegen, im Stall ihren Appetit am Kot<br />

der Kälber anregend, wurden vom Abfall der Dörflermünder satter noch als deren<br />

Bäuche. Aber selbst der Dörfler Gedärme zeigten sich geduldig. Gedrängt,<br />

geprügelt, gelöchert von Entbehrung, unterdrückten auch sie ihr Krampfen und<br />

Knurren, nahmen still hin das Nichts.<br />

Sie hungerten, die Dörfler, aber sie zweifelten nicht an ihrer Zukunft. Sie lagen<br />

darnieder, müde, zertrümmert, aber sie verloren nicht ihr bisschen Glaube. Er, der<br />

Knabe, hatte Angst, wie sie alle Angst hatten. Und doch war er nicht ängstlich,<br />

wie keiner ängstlich war im Dorf. Da war kein Aufschrei, der seinem lodernden<br />

Rachen zu entrutschen strebte. Die Lippen biss er sich wund, nicht zu weinen. Mit<br />

festem Griff klammerte er sich ans Gelehrte, an das, was das Dorf überlieferte,<br />

Generation um Generation, mochte unter seinem Griff die Hand erbleichen und<br />

das Blut unter seinen Nägeln ausfließen. Gedrängt und gezüchtigt hielt er<br />

freudeschlotternd hin seinen Schädel und Körper den Peinigern, den geliebten,<br />

gehassten. Wie der Stier unterm Schlachtbeil, so bückte auch er ins Joch des<br />

Unsterns sein Genick. Er kannte nichts anderes, der Knabe. Und was gut war für<br />

die Väter, die Großväter und die Großväter der Väter, das hatte auch gut zu sein<br />

für ihn, den Knaben. So wuchs er auf im Dorf, in dem die Kinder im Mutterleibe<br />

schon ergrauten, ungeboren schon herzlos wurden, zu Greisen verkamen. Im Dorf,<br />

in dem die Freude träge kroch und nur das Weh rasend umhertrieb und zustach,<br />

immerfort.<br />

Damals, als das Wenige immer weniger wurde, als sie wohl nicht wirklich<br />

hungerten, aber doch nie satt wurden, damals, während der Jahre ohne den Vater,<br />

half die Großmutter öfters mal dem Lehrer im Garten. Für einen Krautkopf oder<br />

ein paar Kartoffeln. Der eigene Acker, auf kargem Boden, warf wenig nur ab,<br />

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