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sonne - Österreichische Kinder-Krebs-Hilfe

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Es gibt noch viel zu tun<br />

Maria Brandl im Interview<br />

Therapie & Betreuung<br />

Seit vielen Jahren ist Maria Brandl,<br />

Gründungsmitglied von Integration:<br />

Österreich, in der Integrationsbewegung<br />

aktiv. Sie bietet Seminare, Moderation<br />

und Coaching für Menschen mit und<br />

ohne Behinderung, sowie Begleitung<br />

und Unterstützung für Menschen mit<br />

Behinderung bei der Entwicklung von<br />

Mitbestimmungsstrukturen in Organisationen.<br />

SONNE: Sie moderieren seit 2 Jahren<br />

die Survivors-Treffen der Österreichischen<br />

<strong>Kinder</strong>-<strong>Krebs</strong>-<strong>Hilfe</strong> in Wien.<br />

Welche Rolle spielt da Behinderung?<br />

Maria Brandl: Da ich vor meiner Tätigkeit<br />

als Moderatorin bei den Survivors beruflich<br />

kaum etwas mit Menschen zu tun hatte,<br />

die eine <strong>Krebs</strong>erkrankung überlebt haben,<br />

war ich überrascht, dass unterschiedliche<br />

Behinderungen tatsächlich eine relativ<br />

große Rolle spielen. Im Zentrum unserer<br />

Gesprächsrunden steht aber weniger, wer<br />

wieso welche Behinderung hat, sondern<br />

die Frage: Welche Art der Unterstützung<br />

braucht der/die Einzelne, um am Stammtisch<br />

teilnehmen zu können bzw. um eine<br />

verbesserte Lebensqualität zu erreichen?<br />

SONNE: Wie gelingt es, dass beim Sprechen<br />

über Behinderung nicht die Defizite im<br />

Vordergrund stehen?<br />

Maria Brandl: Über Behinderung zu sprechen,<br />

bedeutet nicht automatisch, dass<br />

Defizite im Vordergrund stehen müssen.<br />

Denn nur weil jemand in diesem oder jenem<br />

Bereich Unterstützung braucht, heißt<br />

das noch lange nicht, dass er als Mensch<br />

defizitär oder dass er gar weniger wert wäre.<br />

Es heißt jedoch, dass bestimmte Umstände<br />

es erschweren, am Gesellschaftsleben teilzunehmen.<br />

Behindert ist, wer behindert<br />

wird ...<br />

Aber tatsächlich ist es nicht immer einfach,<br />

die eigene Beeinträchtigung anzuerkennen.<br />

Wir beschäftigen uns deshalb<br />

vorrangig auch immer mit den Stärken der<br />

jeweiligen Personen. Denn wenn man um<br />

diese weiß, ist es zumeist auch einfacher,<br />

mit den sogenannten „Schwächen“ umzugehen.<br />

Im Vordergrund steht aber immer<br />

die Kreativität und Auseinandersetzung<br />

mit möglichen Lösungsansätzen, die neue<br />

Lebensperspektiven und einen neuen, veränderten<br />

Blick auf das Alltagsleben ermöglichen<br />

sollen.<br />

SONNE: Ist eine Behinderung infolge einer<br />

<strong>Krebs</strong>erkrankung anders als andere Behinderungen?<br />

Maria Brandl: Bei den Survivors handelt<br />

es sich um eine sehr heterogene Gruppe.<br />

Es gibt nicht „die Behinderung infolge der<br />

<strong>Krebs</strong>erkrankung“. Das verbindende Element<br />

ist eine vorangegangene <strong>Krebs</strong>erkrankung<br />

– eine sehr intensive Erfahrung<br />

im Leben eines jungen Menschen. Aber<br />

selbst hier gibt es riesige Unterschiede,<br />

einige waren gerade in der Pubertät, als<br />

sie die Diagnose bekamen, andere können<br />

sich nicht erinnern, weil sie noch Kleinkinder<br />

waren.<br />

Eine interessante Erfahrung war für mich,<br />

dass Krankheit – eben der vorangegangene<br />

Tumor – hier eine zentrale Rolle spielt,<br />

auch für den persönlichen Umgang mit<br />

Behinderung.<br />

Im Unterschied dazu geht es sonst stark<br />

um die Abgrenzung von Krankheit: Es wird<br />

hervorgehoben, dass die Menschen aufgrund<br />

ihrer Behinderung nicht krank sind,<br />

sondern eben eine Behinderung haben.<br />

Aber natürlich betreffen viele Themen<br />

von Survivors mit einer Behinderung auch<br />

Menschen mit einer ähnlichen Behinderung,<br />

die davor nicht an <strong>Krebs</strong> erkrankt<br />

waren.<br />

SONNE: Außenstehende haben oft schon<br />

allein damit zu kämpfen, korrekte Begriffe zu<br />

finden, die nicht diskriminierend sind ...<br />

Maria Brandl: Auch ich komme, obwohl<br />

ich seit vielen Jahren mit Menschen mit<br />

Behinderungen zu tun habe, in Situationen,<br />

wo ich überfordert oder ratlos bin<br />

oder einen falschen Begriff verwende. Mein<br />

Ansatz ist: das eigene Problem, die eigenen<br />

Schwierigkeiten damit, das Gefühl des<br />

Unwohlseins aufgrund der eigenen Unsicherheit,<br />

anzusprechen. Ich bitte dann,<br />

mich zu korrigieren, wenn ich jemanden<br />

unbeabsichtigt beleidige. Das war übrigens<br />

auch am Anfang bei den Survivors so.<br />

Ich bin überzeugt, das ist besser, als aus<br />

Angst zu schweigen, wegzuschauen und<br />

damit die Tabuisierung von Behinderung<br />

aufrechtzuerhalten.<br />

SONNE: Man muss also nicht ständig<br />

Angst haben, dass man jemandem zu nahe<br />

treten könnte?<br />

Maria Brandl: Nicht solange man die<br />

Grundregeln beachtet, die im Umgang mit<br />

jedem Menschen gelten. Natürlich muss<br />

ich auch akzeptieren, dass jemand über<br />

ein bestimmtes Thema nicht reden will.<br />

Aber auch das kann ich nur in der Kommunikation<br />

herausfinden.<br />

SONNE: Wo stehen wir auf dem Weg<br />

zur Gleichbehandlung von behinderten und<br />

nichtbehinderten Menschen?<br />

Maria Brandl: Es hat sich vieles getan<br />

und das ist erfreulich. Während man vor einigen<br />

Jahren noch davon ausging, dass für<br />

Menschen mit Behinderungen ausschließlich<br />

die Therapie, die Förderung und die<br />

Betreuung im Vordergrund stehen soll,<br />

setzt sich heute immer mehr die Erkenntnis<br />

um die Selbstbestimmung durch. Daher<br />

spricht man heute vermehrt von Begleiten<br />

und Unterstützen. Voraussetzung dabei<br />

ist jedoch immer die Bereitstellung der<br />

erforderlichen Unterstützung.<br />

Auch der Begriff „Behinderung“ bzw.<br />

was dahinter steht, hat einen mehrfachen<br />

Wandel durchlaufen: Stand früher vor allem<br />

die Beeinträchtigung, das Defizit, im Zentrum,<br />

so geht es heute in erster Linie darum,<br />

wie ein Mensch mit seinem Gesundheitszustand<br />

lebt und zurechtkommt.<br />

Allerdings sollen die Verbesserungen<br />

nicht darüber hinwegtäuschen, dass es<br />

noch viel zu tun gibt: So ist etwa für Behindertenangelegenheiten<br />

heute automatisch<br />

das Sozialministerium zuständig.<br />

<strong>sonne</strong> 4/09

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