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sonne - Österreichische Kinder-Krebs-Hilfe

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Geschwisterkinder als Ersatzteillager?<br />

Die verfilmte Geschichte „Beim Leben meiner Schwester“<br />

Leben & Familie<br />

Anfang September 2009 lief österreichweit<br />

der Spielfilm „Beim Leben meiner<br />

Schwester“ an. Die Geschichte basiert<br />

auf dem gleichnamigen Buch der USamerikanischen<br />

Schriftstellerin Jodi<br />

Picoult. Film und Buch erzählen das<br />

Schicksal der Familie Fitzgerald, deren<br />

ältere Tochter Kate an Leukämie leidet.<br />

Als feststeht, dass Sohn Jesse nicht<br />

als Spender geeignet ist, beschließen<br />

die Eltern, ein weiteres Kind, nämlich<br />

Anna – ein maßgeschneidertes Retortenbaby,<br />

zu bekommen, um damit Kate<br />

das Leben zu retten. Als Anna 13 Jahre<br />

alt ist, klagt sie das „Recht auf den<br />

eigenen Körper und Selbstbestimmung<br />

darüber“ ein, denn sie möchte Kate<br />

keine ihrer Nieren spenden.<br />

Die Ereignisse rund um Kate, die an<br />

<strong>Krebs</strong> leidet, und ihre Schwester<br />

Anna werfen viele Fragen der Medizin-Ethik<br />

auf und sprechen die Dynamik<br />

an, die entsteht, wenn ein Geschwisterkind<br />

schwer erkrankt. So fragt Anna einmal:<br />

„Worüber gibt’s denn außer über Kate<br />

sonst noch was zu reden?“, und Jesse, der<br />

Bruder der beiden Mädchen, wird zum<br />

Autoraser und Brandstifter. Als ihn sein<br />

Vater nach seiner Verhaftung abholt, sagt<br />

er: „Ich hatte gar nichts gedacht, ich wollte<br />

eigentlich nur irgendwohin, wo ich beachtet<br />

werden würde.“<br />

Moral und Elternschaft – ein Widerspruch?<br />

Die Brisanz und die Spannung der Geschichte<br />

über die Fitzgeralds, Annas Anwalt<br />

und ihren neuen Vormund (nur im<br />

Buch), ergeben sich aus dem Konvolut<br />

moralischer Fragestellungen, die auf ZuseherInnen<br />

und LeserInnen gleichermaßen<br />

einprasseln: Präimplantationsdiagnostik,<br />

PatientInnenautonomie, Organspende,<br />

Selbstbestimmung über Leben und Tod.<br />

Die Autorin des Romans, Jodi Picoult,<br />

deren Sohn an einem seltenen Ohrentumor<br />

litt, sagte in einem Interview, dass<br />

sie als Mutter auch alles getan hätte, um<br />

ihrem Sohn jede weitere Operation zu ersparen<br />

(www.bookreporter.com). Sara, die<br />

Romanmutter, drückt ihre Empfindungen<br />

folgendermaßen aus: „Wenn ich an diese<br />

Tochter (Anm.: An Anna, die noch nicht<br />

geboren ist) denke, dann nur daran, was<br />

sie für die Tochter (Anm.: Die kranke Kate)<br />

tun kann, die ich bereits habe. (…) Ich erwarte<br />

von ihr, dass sie das Leben ihrer Schwester<br />

rettet.“<br />

Medizin-Ethiker Univ.-Prof. Dr. Günther<br />

Pöltner vom Philosophieinstitut der Wiener<br />

Universität beschreibt in „Grundkurs<br />

Medizin-Ethik“ die so genannte „Dynamik<br />

der menschlichen Natur“. Davon leitet er<br />

die „naturale Vorzugsregel“ ab. Diese besagt,<br />

dass das Dringlichere Vorzug vor dem<br />

Ranghöheren hätte und Leben Vorzug vor<br />

der Erhöhung der Lebensqualität. Auf diesen<br />

Fall angewendet, würde das bedeuten:<br />

„Überleben ist wichtiger als besser zu leben.“<br />

Und genauso denkt Sara, die Mutter<br />

von Anna und Kate: Das Überleben von<br />

Kate ist ihr wichtiger als die Schmerzen<br />

von Anna, die diese bei den Eingriffen wie<br />

der Knochenmarkspende erleiden muss.<br />

Bei Interessenskonflikten, schreibt Pöltner<br />

weiter, hätte allerdings „die Achtung der<br />

Würde des Menschen, die im Frei-seinkönnen<br />

gründet, den Vorrang.“<br />

Univ. Prof. Dr. Franz M. Wuketits bemerkt<br />

in seinem Buch „Bioethik“ zu diesen<br />

Interessenskonflikten, die durch die fortschreitenden<br />

medizinischen Möglichkeiten<br />

entstehen: „Das Problem ist vielmehr, wie<br />

wir im einzelnen Fall Leiden vermeiden<br />

können, ohne neues Leid zu erzeugen.“<br />

Kann die Medizin-Ethik helfen?<br />

Gleich vorweg: die Medizin-Ethik, so<br />

Günther Pöltner, könne den Personen, die<br />

entscheiden, nicht die Verantwortung abnehmen.<br />

Sie gibt keine Handlungsanweisungen,<br />

sondern kann nur Gesichtspunkte<br />

angeben, wie man eine mögliche Entscheidung<br />

finden kann. Franz M. Wuketits weist<br />

darauf hin, dass es keine „ewigen Werte“<br />

gibt, an die wir uns halten könnten, denn<br />

die Welt und das Leben veränderten sich<br />

permanent – und damit auch die „moralischen<br />

Handlungsnormen“.<br />

Kants Grundsatz, „Handle nur nach derjenigen<br />

Maxime, durch die du zugleich<br />

wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz<br />

werde“, ist etwa einer der bekannteren<br />

ethischen Ansätze, die bei einer Urteilsfindung<br />

hilfreich sein könnten. Oder der<br />

Ansatz der „Strukturganzheit“: Dabei müssen<br />

alle Elemente einer Beurteilung oder<br />

Handlung – „Ziel und Mittel“, „Absicht“<br />

und „Umstände und Handlungsfolgen“<br />

– gut sein. Das Ziel ist etwa die Heilung<br />

einer Krankheit, aber es müssen auch die<br />

eingesetzten Mittel gut sein. Der Zweck<br />

heilige nicht die Mittel, so Pöltner.<br />

Organspende: Ein gutes Mittel?<br />

Sara, Annas Mutter, ist gegen Ende der<br />

Story nach wie vor im Zwiespalt, ob sie<br />

Anna bitten soll, Kate eine ihrer Nieren<br />

zu spenden. Sie weiß, dass sie Anna nicht<br />

dazu zwingen kann, und sie weiß auch,<br />

„dass kein Mensch je völlig unabhängig<br />

entscheiden kann, auch dann nicht, wenn<br />

ein Richter ihm das Recht dazu gibt.“ Als<br />

Mutter ist es für sie schwierig, ja unmöglich,<br />

nicht weiter für das Leben von Kate<br />

zu kämpfen. Allerdings kann und darf sie<br />

nicht für ihre Tochter entscheiden, ob diese<br />

weitere medizinische Eingriffe zulassen<br />

soll.<br />

In Österreich gilt, dass eine Organspende,<br />

wie der Name schon ausdrückt, immer<br />

nur auf freiwilliger Basis erfolgen darf. Auch<br />

unter Verwandten ist diese grundsätzlich<br />

erlaubt, allerdings besteht hier die Gefahr,<br />

Familienmitglieder zu sehr unter Druck<br />

zu setzen und nachhaltig die Familienbeziehungen<br />

zu zerstören. Medizin-Ethiker<br />

Pöltner ist der Meinung, dass dies ganz<br />

restriktiv gehandhabt werden müsse, und<br />

dass eine Totenspende vorzuziehen sei,<br />

auch wenn dies medizinisch nachteiliger<br />

für den Patienten/die Patientin sei.<br />

Bei minderjährigen SpenderInnen, wie bei<br />

der dreizehnjährigen Anna, gibt Artikel 20<br />

<strong>sonne</strong> 4/09

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