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Z12 Die Frage nach dem Fundament

Welche Werte prägen unsere Gesellschaft und worauf sind diese gegründet? Vollversion 60 Seiten

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Spiritualität<br />

Foto: © claudiasbazar.com<br />

Foto: © Wikipedia/Thomas Harrisan, 1893<br />

Seine<br />

grausame<br />

Göttin Kali hat<br />

der Guru <strong>dem</strong><br />

Westen schön<br />

verpackt<br />

untergejubelt<br />

Was wir irrtümlich für uralte<br />

indische Spiritualität halten,<br />

ist eine Erfindung dieses<br />

Inders: Swami Vivekananda<br />

<strong>dem</strong> Westen auf den<br />

Leib geschneidert. Peter<br />

van der Veer geht<br />

der <strong>Frage</strong> <strong>nach</strong>, wie es<br />

möglich war, dass der<br />

Westen sich so von der<br />

asiatischen Spiritualität<br />

bezaubern ließ. Vivekananda<br />

wusste offensichtlich,<br />

was die<br />

Menschen hören wollten.<br />

Andererseits verschwieg<br />

er ihnen wohlweislich,<br />

was sie nicht<br />

hören sollten, nämlich<br />

wes Geistes Kind seine<br />

Spiritualität war:<br />

allen voran die Göttin<br />

Kali, die mit langgestreckter<br />

Zunge auf<br />

<strong>dem</strong> Gott Shiva herumtrampelt,<br />

um den Hals eine Kette geköpfter<br />

Schädel, in einer der vielen Hände ein frisch<br />

geköpftes bluttriefendes Haupt. Erinnert uns<br />

das nicht an Vertreter einer anderen „friedlichen“<br />

Religion, die gerade im Blutrausch köpfend durch<br />

den Nord-Irak und Syrien ziehen?<br />

<strong>Die</strong> geistigen Wurzeln Vivekanandas führen zu<br />

<strong>dem</strong> Mystiker Ramakrishna, einem Priester in einem<br />

Tempel der Göttin Kali. Ramakrishna praktizierte<br />

und lehrte eine ekstatische Form des Tantra-Yogas.<br />

Vivekananda war sein Lieblingsschüler;<br />

später entwickelte er eine moderne, überarbeitete<br />

Version der religiösen Ideen und Praktiken seines<br />

Meisters.<br />

„Was wir heute unter asiatischer Spiritualität<br />

verstehen“, fasst der Anthropologe van der Veer<br />

zusammen, „ist vor allem das Produkt von Vivekananda.“<br />

„Überall in Europa suchten Menschen<br />

<strong>nach</strong> einer Alternative zur vorherrschenden Religion.<br />

<strong>Die</strong> Christenkirchen erschienen als zu<br />

dogmatisch und unfroh. Wer aber nicht ganz<br />

ohne höheren Sinn auskommen konnte, litt<br />

unter dieser Lücke.“ Bei vielen Denkern war das<br />

indische Angebot bald große Mode.<br />

In seinen Vorträgen stellte Vivekananda seine<br />

Heimat als die Wiege der Spiritualität und religiösen<br />

Hingabe dar – im Gegensatz zur Zivilisation<br />

des Westens, die bei allem technischen Fortschritt<br />

<strong>dem</strong> Materialismus verfallen sei. Dabei passte er<br />

die Spiritualität des Hinduismus <strong>dem</strong> westlichen<br />

Materialismus, dessen Lebensstil und Zeitgeist,<br />

so hervorragend an, dass diese in Yogaübungen<br />

verpackte Religion als Weg der Selbstoptimierung<br />

für moderne Arbeitnehmer auch für Markt<br />

und Wirtschaft salonfähig wurde.<br />

Erlösung ohne Erlöser – das große Versprechen<br />

dieses Hinduismus<br />

„Du kannst ein anderer Mensch werden durch Experimente<br />

mit <strong>dem</strong> Leib“, stellte der Anthropologe<br />

fest. <strong>Die</strong> Yogis und Fakire bewiesen, was man mit<br />

seinem Körper alles anstellen konnte. Auch das<br />

Yoga machte Vivekananda für den Westen salonfähig.<br />

Denn die heiligen Nichtsnutze in Indien, die<br />

sich auf Kosten der Allgemeinheit durchbettelten,<br />

gingen selbst ihren Landsleuten auf die Nerven –<br />

das machte sie nicht gerade zu einem guten Aushängeschild<br />

für den Westen.<br />

Vivekananda versteckte die unattraktiven Götter<br />

und die umständlichen Rituale und ließ nur<br />

die Meditation übrig, die Kunst der Versenkung.<br />

<strong>Die</strong> unschönen Götter sind nicht zu zimperlich,<br />

um undercover in einer neuen verwestlichten<br />

Yoga-Variante Einzug in das Innere der Menschen<br />

zu halten. Das ursprüngliche Yoga bestand aus<br />

einem Wirrwarr erlösungsdienlicher Übungen;<br />

Vivekananda erklärte Yoga zu einer indischen<br />

Wissenschaft, die zu einem höheren Bewusstsein<br />

führe. Van der Veer bezeichnet Yoga als eine Art<br />

„Spiritualität light“.<br />

Im Westen schlug dieses „Yoga-West“-Konzept<br />

total ein – interessant: Gerade aufgeklärte Köpfe<br />

ließen sich bezaubern, unter ihnen auch Kämpfer<br />

gegen Kirche und Establishment. Man warf Gott<br />

hinaus, ließ dafür aber jede Menge Geister herein.<br />

„Politisch links“ und „kosmisch erleuchtet“<br />

war kein Widerspruch. Der sozialistische Klassenkampf<br />

hinderte nicht daran, sich gleichermaßen<br />

für fernöstliche Geister wie für „moderne“<br />

Wissenschaft zu begeistern – Spiritismus wurde<br />

kurzerhand zur „modernen Wissenschaft“ ge-<br />

10<br />

Z für Zukunft

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