Zum Jahresbericht 2009 - Onko Plus

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«Also, in Altstetten bin ich aufgewachsen. In diesen riesigen Hochhäusern – viele Kinder wohnten dort. Alles Spielgefährten. Immer war etwas los, denn damals konnten wir noch auf der Strasse spielen, der Wald war ganz in der Nähe. Ach so, ja, meine Eltern. Mein Vater war auch Lokomotivführer. Er starb jung. Sechs Monate vor meiner Konfirmation. Das war nicht leicht für meine Mutter und ganz besonders für meinen sechs Jahre jüngeren Bruder. Wütend war sie, unglaublich wütend, als ein Beistand ins Haus kam und nachfragte, wie… Regelrecht rausgeworfen hatte sie diese Amtsperson, denn schliesslich musste sie ja als junges Mädchen auf ihre drei kleineren Schwestern aufpassen. Schneiderin war sie und mit viel Fleiss verdiente sie unser tägliches Brot. Darauf bin ich stolz. Nein, viel wurde bei uns zu Hause nicht gesprochen. Jeder erfüllte seine Pflicht. Wie soll ich sagen? Ja, so war es eben. Die Schule beeindruckte mich nicht besonders. Rechnen und Schreiben. Oftmals legte sich die Stirn meiner Mutter in Sorgenfalten und sie teilte mir mit, dass aus mir wohl nichts Rechtes werden würde.»
«Im Walchwiler Berg baute die Jugendgruppe der ehemaligen Konfirmanden ein Haus. Da gab es immer etwas zu tun. Da wurde gelacht, gearbeitet und natürlich auch hie und da ein Streich gespielt.» «Ein Zentimeter entschied meine berufliche Laufbahn! 1,60 Meter gross mussten die Lehrlingsanwärter sein, denn nur dann hatten sie die nötige Grösse, um an der Werkbank ihr Handwerk zu erlernen. Während der Lehrzeit bin ich dann stolze 24 cm gewachsen. In den SBB-Werken in Altstetten wurde ich zum Maschinenschlosser ausgebildet. Bei Escher Wyss arbeitete ich als Monteur. Das gefiel mir nicht besonders, denn ich war nicht gerne unterwegs. 1952 kehrte ich dann in die Fahrdienst-Werkstätte zurück. Als Heizer musste ich meine Sporen abverdienen. Tonnenweise Kohle habe ich geschaufelt. Mein Ziel war es aber immer, ebenfalls Lokomotivführer zu werden. Diesen Beruf übte ich dann zwischen 1958 bis zu meiner Pensionierung aus. Nein, nein, die Landschaft, die vorbeiziehenden Dörfer und Städte konnte ich nicht geniessen. Dazu war die Arbeit zu anstrengend, zu anspruchsvoll. Immer wieder neue Lokomotiven, Signale, immer die vorgeschriebene Geschwindigkeit einhalten. Ja, da musste ich mich ganz auf meine Pflichten konzentrieren. Nach meinen Ferien stapelten sich die neuen Anweisungen und Richtlinien in meinem Kästchen. Am Klopfen der Weichen konnte ich erkennen, wo der Zug sich befand. Das war schon ein tolles Gefühl. Ich bin eher ein Einzelgänger – da fühlte ich mich natürlich in der Führerkabine besonders wohl. Zuhause erholte ich mich beim Basteln von Lokomotiven, Wagons und der dazugehörenden Eisenbahnstrecke. Ja, wie soll ich sagen? So bin ich eben. Ich hatte ein schönes Leben. Natürlich wurde in der spärlich bemessenen Freizeit auch einmal ein Jass geklopft. Die Solidarität war gross. Meistens blieb es jedoch bei einem freundlichen Gruss und einem spannenden Spiel. Einmal wöchentlich sang ich im Lokomotivführer-Chor – Singen ist eine schöne Freizeitbeschäftigung. Später wurde ich Mitglied im Kirchenchor, weil dort auch sakrale Lieder gesungen wurden, was mir gut gefiel. Oftmals traten wir in Altersheimen oder bei Veranstaltungen auf.» «Nachdem ein Lokomotivführer-Chor aus Finnland uns in Zürich besuchte, fuhren wir in den Norden. Dort traf ich meine Frau, auch ihr Vater war Lokführer und weil ihre Mutter nicht mitwollte, begleitete sie ihn. Bald wurde geheiratet – Kinder haben wir keine. Sie engagierte sich im Dorfleben, denn seit vierzig Jahren wohnen wir nun schon in Regensdorf. Das Haus bauten wir, weil ihr Bru- der Diabetes hatte und niemand wusste, was mit ihm geschehen würde, wenn die Mutter sterben würde. Er heiratete dann, und so zogen wir beide alleine in unser schmuckes Heim.» «Nein, nein, mich hat das nie gestört, wenn mein Mann abends in seinem Zimmer seine Eisenbahnwagen zusammensetzte. Ist doch viel besser, als wenn ich ihn in der Beiz hätte abholen müssen.» «Ich hatte einen fürchterlichen Katarrh und Hustenanfälle. Der Katarrh verschwand, der Husten blieb und die Ärztin machte sich grosse Sorgen.» «Sagen Sie es mir ruhig, wenn etwas nicht stimmt.» «Ja, dann wusste ich, dass mein linker Lungenflügel meine Raucherei nicht überstanden hat. Ich trage es mit Fassung, mit einer inneren Ruhe. Ein schönes Leben hatte ich ja, ich kann ganz ruhig diese Welt verlassen. Mache mir auch gar keine Gedanken darüber. Ich möchte nur in meinen vier eigenen Wänden abtreten. Das ist mein letzter und einziger Wunsch. Mit meinem Bruder habe ich ein inniges Verhältnis. Wir telefonieren täglich, erzählen uns das Neueste. Ja, es ist schon grossartig, einen solchen Bruder zu haben.» «Mit dem Pfarrer habe ich bereits gesprochen, den kenne ich ja vom Kirchenchor. Wenn der Lokomotivführer-Chor ein Abschiedslied singen will, dann sollen sie das ruhig tun. Ich hab ja dann nichts mehr davon.» «Mich ärgert schon, dass ich meine Verabredungen oftmals kurzfristig absagen muss. Anstelle einer Begegnung, Sauerstoff mit anschliessendem Schlaf. Wirklich nicht berauschend. Auch mit dem Hund kann ich keine Spaziergänge mehr machen. Nun, das ist ja auch nicht so schlimm. Denken Sie doch einmal an all die Menschen, denen es noch viel schlechter geht als mir – und ganz besonders an diese gehetzten und immer schlecht gelaunten. Das Leben ist doch viel zu kurz, um sich den Tag vermiesen zu lassen. Ich nehme alles an und mache das Beste daraus. Das habe ich bestimmt von meiner Mutter geerbt, die war auch so. Was nachher ist – wer weiss das schon? Ich mache mir darüber keine Gedanken.» «Ja, ich bin zufrieden, hatte ein glückliches und beschauliches Leben. Dafür bin ich dankbar und hoffe, dass ich noch einige Zusatzrunden drehen darf, bevor das Licht erlischt und der Vorhang fällt.»
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