Zum Jahresbericht 2009 - Onko Plus
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«Jede Stunde, ja jede Minute müssen wir nehmen, akzeptieren,<br />
so, wie sie auf uns zukommt. Das ist schwierig, stimmt uns zuweilen<br />
auch traurig und nachdenklich. Wir sind überglücklich,<br />
dass wir zusammen in unseren eigenen vier Wänden uns auf den<br />
Abschied vorbereiten dürfen. Als Tierärztin hinterfrage ich vieles.<br />
Wurde deswegen schon oft als schwierig abgestempelt. Im Spital<br />
musste mein Mann darunter leiden. Seine Wünsche wurden nicht<br />
berücksichtigt. Ein Sterbender, der sich nicht aufgehoben fühlte<br />
in der Maschinerie und der Hektik dieser Institution. Die Anonymität,<br />
die Geschäftigkeit belasteten uns sehr. Wir wurden Mitglieder<br />
bei EXIT, haben uns erkundigt, führten auch schon Gespräche,<br />
das gibt uns zusätzlichen Halt.»<br />
«Ich hole jetzt meinen Mann. Er mag nicht mehr, schläft den ganzen<br />
Tag. Er hat mit dem Leben abgeschlossen – das gestand er mir<br />
vor kurzem erstmals ein.» Wenige Augenblicke später sitzt Herr<br />
Karst am Tisch. Ein beeindruckender Mann. Gefasst, würdevoll,<br />
beinahe aristokratisch wirkend. «Aus Baden (Baden-Württemberg)<br />
stamme ich. Meine Familie war tief religiös, Pietisten – deren<br />
gibt es viele in dieser Gegend. Nur das Wort Gottes ist Leitfaden,<br />
Richtschnur für das Handeln und Sein. Dann, als junger Mann,<br />
wurde ich als Soldat eingezogen. Nach Frankreich. Dort geriet ich<br />
in Gefangenschaft. Auf Reih und Glied mussten wir antreten. Geschossen<br />
wurde und meine Kameraden, links und rechts fielen<br />
vornüber, starben einen unwürdigen, leisen Tod. Ich überlebte<br />
und konnte fliehen. Zu Fuss den weiten Weg zurück in meine vom<br />
Krieg gezeichnete Heimat. Später arbeitete ich als Personalchef in<br />
einer Schmuckfirma in Pforzheim. Die Arbeit gab mir neue Kraft<br />
und half mir, den Glauben an die Menschen wieder zu finden.»<br />
Die Stimme versagt. Müde und erschöpft ergreift er die Hand seiner<br />
Frau. Sie erzählt weiter. Geschichten aus deren Leben.<br />
«Nur wenige Monate nach meiner Geburt musste mein Vater an<br />
die Ostfront. Geriet in Gefangenschaft. Als er nach vielen Jahren<br />
heimkehrte, stand ein fremder Mann vor mir. Nein, Sie sind nicht<br />
mein Vater. Dies ist mein Vater – ich zeigte auf ein kleines, vergilb-<br />
tes Bild, das bei uns auf dem Regal stand. Mutter war herzkrank.<br />
Musste in Dresden weit laufen, um Brot für die Familie zu kaufen.<br />
Meine Schwester und ich fürchteten uns, wussten nie, ob sie zurückkehren<br />
würde. Dann, die Nacht des Grauens, die Bombardierung<br />
dieser wunderschönen Stadt. Im Keller verbrachten wir die<br />
endlosen Stunden. Nie werde ich das vergessen. Nein, nicht die<br />
Toten sind es, sondern die Schreie der Verletzten, der Flehenden,<br />
die Hilflosigkeit, die bis heute immer wieder ihre Schatten werfen.<br />
Unsere Erfahrungen im Krieg verbinden uns, schweissen uns zusammen.<br />
Unsere Liebe basiert auf Vertrauen, Hochachtung und<br />
Hingabe. Was ich für ihn tue, würde er genauso für mich machen.<br />
Loyalität, das zählt, gibt Kraft und Gewissheit, nie alleine gelassen<br />
zu werden.»<br />
«Mit der Liebe, ja das war schon so eine Angelegenheit. Ich fühlte<br />
mich unsicher. Die magische rote Lampe leuchtete rasch auf. Auszeit,<br />
Gefahr, aufpassen. Eine Freundin veranstaltete ein kleines<br />
Fest. Ein stattlicher Herr aus Deutschland war unter den Gästen.<br />
Er wirkte etwas verhalten, unbeholfen. Das weckte mein Interesse.<br />
Wir schlossen eine Wette ab. Ich verlor und wir trafen uns<br />
daher in einer Eisdiele. Dann, ja dann, war das Eis gebrochen.»<br />
Die Blicke der beiden treffen sich. Ein verschmitztes, ja mädchenhaftes<br />
Lächeln huscht über ihr Gesicht. «Nun muss ich meinen<br />
Mann wieder hinlegen. Er mag nicht mehr.» Schweigend, beinahe<br />
lautlos verlassen sie das Wohnzimmer.<br />
«Ein Pferd, ein Schimmel, der gehört zu unserer kleinen Familie.<br />
Diese Dynamik, die stolze Haltung, das Aufbegehren, das alles<br />
beeindruckt mich. Oft verbringe ich meine Zeit dort. Schau dem<br />
Tier bei seinem Auslauf zu. Versinke in alte Erinnerungen, als mein<br />
Mann noch mitkam und ebenfalls seine helle Freude an diesem<br />
wunderbaren Hengst hatte.»<br />
«Ja es tut weh, zuschauen zu müssen, wie das Liebste immer<br />
hilfloser wird, sein Abschied immer näher rückt. Sein Lebenswille<br />
nachlässt. Ich werde ihn begleiten bis zu seinem letzten Atemzug.<br />
Das ist Ehrensache, das ist Liebe.»