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Zum Jahresbericht 2009 - Onko Plus

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«Meine Mutter verbrachte ihre Jugendjahre in einem Armenhaus<br />

in Mogelsberg. Der Vater, ein unbekannter Soldat, die Mutter eine<br />

junge Frau. Beide unauffindbar – weg. Trotz den erschwerten<br />

Umständen verlebte sie eine schöne Jugend. Genügend Nahrung,<br />

eine enge Beziehung zu den drei Töchtern des Heimleiters und<br />

viel, viel Freiraum – Viehmärkte, Volksfeste. Dann Wegzug in die<br />

ferne, unbekannte Grossstadt.»<br />

«Vaters Grosseltern kamen aus gutem Hause. Er gebildet, Mittelschullehrer,<br />

heiratete eine um Jahre jüngere Frau mit gutem<br />

Ruf. Sieben Kinder. Auch sie unterstützen die Ideen von Leonhard<br />

Ragaz. Gewährten Darlehen – dann die Wirtschaftskrise, das Geld<br />

war weg. Ein Schock, ein schmerzlicher Verlust, über den nie, nie<br />

gesprochen wurde.»<br />

«Im Apollo trafen sich die Roten Falken, die Jung-Sozis. Voller<br />

Energie und Tatendrang und mit grossen Plänen. Mittwoch wurde<br />

auf der grossen Bühne gesungen. Die Besten erhielten einen<br />

Nussgipfel geschenkt. Wo es spannend und lustig war, dort war<br />

auch meine Mutter anzutreffen. Meine Mutter servierte, kochte,<br />

half wacker mit, wo es Arbeit gab. Die Familie meines Vaters<br />

war ganz und gar nicht begeistert von der Wahl ihres Sohnes.<br />

Nicht standesgemäss. Unter der Woche arbeitete mein Vater – da<br />

blieb wenig Zeit für die Familie. An den Wochenenden fuhren<br />

wir ins Grüne. Die Roten Falken besassen auf den Lägern eine<br />

Hütte. Dort spielten wir mit den Kindern der Genossen, freuten<br />

uns am Lagerfeuer, an der Natur. Unsere Mutter erzählte uns Geschichten,<br />

hatte immer ein offenes Ohr, war verlässlicher Anker<br />

in unserem Leben. Doch unmerklich, schleichend verdüsterte<br />

sich der Horizont. Meine Mutter wollte mehr. Wollte Anerkennung,<br />

Bestätigung. Immer war sie da, um die Telefonanrufe für<br />

das Gaswerk zu beantworten. Nie ein Dankeschön, nie ein Blumenstrauss.<br />

Plötzlich war sie, für einige Stunden nur, weg. Jassen,<br />

dann Glücksspiel, Spielautomaten. Im Laden nebenan borgte sie<br />

sich Geld. Bald bemerkte ich, dass sich ihr Leben veränderte. Ich<br />

half, wo ich konnte. Machte einen grossen Bogen um die Gläubiger.<br />

Als der Vater davon erfuhr, hagelte es böse Worte. Von Scheidung<br />

war die Rede – dann lebten sie stumm nebeneinander her.<br />

Tabletten, immer mehr Tabletten schluckte sie, sie die immer vom<br />

grossen Gewinn träumte. Sie, die das Geld auf den Küchentisch<br />

legen wollte und damit die Anerkennung erzwingen wollte, die<br />

ihr nicht gewährt wurde. Traurig.»<br />

«In Rüschlikon besuchte ich im Bodmergut das bäuerliche Haushaltsjahr.<br />

Arbeiten, arbeiten in geordneten Verhältnissen, das gefiel<br />

mir. Dann, bei Forster an der Bahnhofstrasse, erlernte ich den<br />

Beruf der Tapeziernäherin. Als ich mich dann für eine Arbeiterin<br />

einsetzte, wurde ich fristlos entlassen. Die Gewerkschaft hat sich<br />

dann für uns eingesetzt und so entstand mein Kontakt zu der Sozialdemokratischen<br />

Partei und zur Gewerkschaft. Max Weber, ein<br />

Bundesrat, gründete einen Fonds, um Gewerkschaftsfunktionäre<br />

auszubilden. Davon profitierte ich, bildete mich weiter, arbeitete<br />

für das Schweizerische Arbeiterhilfswerk, war Zahlstellenleiterin<br />

der Krankenkasse SKBH, entwickelte Projekte für Arbeitslose. Von<br />

1979 bis 1993 war ich Mitglied des Kantonsrats.»<br />

«Ich lese viel, male Bilder. Sehen Sie, die sind auch von mir. Das<br />

rechts an der Wand entstand 1990, als ich in einer Krise steckte.<br />

Das ganz links entstand, als ich von meiner Krankheit erfuhr. Ach,<br />

mit den Männern, ja, das hat nie ganz funktioniert. Wer weiss,<br />

vielleicht ist es besser so. Vielleicht wäre ich in der Zwischenzeit<br />

schon längst geschieden. Nein, das beschäftigt mich nicht. Ich<br />

glaube nicht, dass ich da Grosses verpasst habe. Kinder konnte ich<br />

ja keine bekommen. Da bin ich lieber gereist. Nach China, Nepal,<br />

Jemen, Guatemala – fremde Länder, neue, inspirierende Eindrücke.<br />

Faszinierend, bereichernd. Das beglückte mich. Bücher lesen,<br />

eintauchen in andere Lebensweisen, in Abenteuer. Die Arbeit im<br />

Parlament, die Arbeit für die Benachteiligten – einen, meinen<br />

Beitrag leisten für eine humanere Welt, das bewegte, motivierte<br />

mich.»<br />

«Dann, im Frühjahr 2003 musste ich mich immer wieder übergeben,<br />

fühlte mich elend. Die Gallenblase wurde entfernt und<br />

am Zwölffingerdarm wurde ich operiert. Die Diagnose: Ein sehr<br />

seltener Darmkrebs. Lebenserwartung: Höchstens sechs Monate.<br />

Ich lebe noch immer, bin dankbar dafür – bin grosszügiger geworden.<br />

Unglaublich, meine erste Reaktion war eine gewisse Erleichterung,<br />

endlich eine Pause. Doch dann, die Auseinandersetzung<br />

mit dem Tode – die Frage nach dem Wert des Lebens. Kein Selbstmitleid,<br />

nein, nein. Das Dasein ist ein Kreislauf – ich bin Energie<br />

und werde wieder zu Energie. Es ist wie Frühling, Sommer, Herbst<br />

und Winter. Jede Jahreszeit verzaubert, birgt Schönheiten und<br />

Herausforderungen. Ich erwartete von den Hilfesuchenden, die<br />

ich begleitete ja auch, dass sie ihr Leben in die eigenen Hände<br />

nehmen, meistern. Da werde ich jetzt auch selbst mit dieser Aufgabe<br />

fertig!»

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