Rawls - Wolfgang Melchior
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<strong>Wolfgang</strong> <strong>Melchior</strong>: John <strong>Rawls</strong>’ Theorie der Gerechtigkeit<br />
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Interpretation gibt, für die bestimmte auf diese Interpretation passende Gerechtigkeitsprinzipien<br />
das Ergebnis sind: „For each traditional conception of justice [...] an interpretation of the initial<br />
situation in which its principles are the preferred solution“ (TJ 28). Die Anfangssituation (initial<br />
situation) wird bei <strong>Rawls</strong> als Urzustand (original position) im Sinne des Fairneßprinzips<br />
interpretiert und liefert die oben genannten Prinzipien der Gerechtigkeit. So gibt <strong>Rawls</strong> zu, daß,<br />
würde man die Anfangssituation nicht im Sinne des Fairneßprinzips interpretieren, andere<br />
Prinzipien der Gerechtigkeit das Resultat wären. 23 Dies meint <strong>Rawls</strong>, wenn er sagt:<br />
„Each aspect of the contractual situation can be given supporting grounds. Thus what we shall do is<br />
collect together into one conception a number of conditions on principles that we are that we ready<br />
upon due consideration to recognize as reasonable.“ (TJ 21) Die supporting grounds sind solche,<br />
die wir nach <strong>Rawls</strong>´ Überzeugung in der Tat akzeptieren und die das Fairneßprinzip als<br />
Überlegungsgleichgewicht besitzen. Das Vertragsmodell macht dann die Prinzipien, die aus einer<br />
so konstruierten fairen Situation gefolgert werden, vernünftig (reasonable).<br />
Ein weiteres Argument für diese Kompatibilitätsthese der beiden Modelle sind die dabei<br />
verwendeten Formen der Verfahrensgerechtigkeit, die jeweils ein anderes methodisches Vorgehen<br />
erfordern. So unterscheidet <strong>Rawls</strong> bei seiner Argumentation für P (IIa) (faire Chancengleichheit)<br />
zwischen drei Arten von Verfahrensgerechtigkeit: (vgl. TJ 83-90):<br />
(1) Die reine Verfahrensgerechtigkeit (pure procedural justice): In Handlungssystemen, die diesem<br />
Prinzip folgen, existiert kein vom Verfahren unabhängiges Kriterium für ein richtiges Ergebnis.<br />
Die Anwendung der Regeln garantiert, obwohl (und indem) sie gleichermaßen auf jeden Spieler<br />
angewandt werden, keinem einen bestimmten Teil einer zu verteilenden Gütermenge, oder anders<br />
ausgedrückt: alle möglichen Verteilungen sind fair. Typische Beispiele hierfür sind Glücksspiele.<br />
Dort bestimmt ein Mechanismus die Verteilung der Ergebnisse derart, daß<br />
a) niemand ex ante eine größere Gewinnerwartung als seine Mitspieler hat und<br />
b) die Ergebnisse nicht, wie in allen teleologischen Gerechtigkeitstheorien (Utilitarismus,<br />
Marxismus), von einem bestimmten, externen Prinzip aus gewichtet (Präferenzen, Interessen,<br />
Bedürfnisse) und nachträglich korrigiert werden.<br />
Die Besonderheit der reinen Verfahrensgerechtigkeit liegt darin, daß das Verfahren auch tatsächlich<br />
ausgeführt werden muß, um die Verteilungen zu ermitteln, d.h. alle Ergebnisse sind ex-postgerecht.<br />
Das liegt in erster Linie daran, daß es kein vom Verfahren unabhängiges Kriterium gibt,<br />
welches ein bestimmtes Ergebnis als gerecht auszeichnen könnte. Vorausgesetzt wird, daß allein<br />
23 Vgl TJ § 20.<br />
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