Rawls - Wolfgang Melchior
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<strong>Wolfgang</strong> <strong>Melchior</strong>: John <strong>Rawls</strong>’ Theorie der Gerechtigkeit<br />
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FOR TAT damit das Turnier gewonnen hat, kann nun in einem ersten Schritt geschlossen werden,<br />
daß sich Kooperation auf Dauer gesehen lohnt und Defektion sich nicht auszahlt. 53 Genau dies ist es<br />
jedoch, was das Fairneßprinzip als moralisches Gebot formuliert, wenn es sagt, daß jeder<br />
verpflichtet sein sollte, sich an Verträge zu halten, die zum beiderseitigen Vorteil gereichen. Die<br />
Vorteile interpretiert das Fairneßprinzip nun nicht mehr als Vorteile und Nachteile eines<br />
Superspiels, oder gar eines einzelnen Spiels (dafür existiert keine beste Strategie), sondern als<br />
Vorteile in einem vielfältigen Environment (viele Gegner = viele Interessen) und auf lange Sicht.<br />
Ebenso folgt TIT FOR TAT dem Bona-fide-Prinzip, einer Spezialisierung des Fairneßprinzips: im<br />
ersten Spiel kooperiert es stets, handelt also zunächst in gutem Glauben an die<br />
Kooperationswilligkeit des anderen.<br />
Der Einwand, TIT FOR TAT sei eine Gewinnstrategie für ein evolutives Schema (Superspiel und<br />
Populationsspiel), während das Fairneßprinzip einem einmaligen Spiel zugrundeliege<br />
(Prinzipienwahl im Urzustand), mißversteht die logische Beziehung zwischen beiden sowie den<br />
Status des Fairneßprinzips: ich sage nicht, daß das Fairneßprinzip eine Strategie darstellt und<br />
ebensowenig, daß aus TIT FOR TAT das Fairneßprinzip folgt oder es ist, sondern umgekehrt, daß<br />
TIT FOR TAT das implementiert hat, was als moralisches Gebot das Fairneßprinzip stipuliert.<br />
Jemand, der mit der Frage einer dauerhaft vorteilhaften Strategie konfrontiert ist, dem rät das<br />
Fairneßprinzip zu einer reziproken Strategie mit einem Vertrauensvorschuß (Bona-fide-Grundsatz).<br />
Letzterer rät dem Suchenden zu einer freundlichen Strategie („defektiere nie als erster!“), die erste<br />
Bedingung rät dazu, nicht unter allen Bedingungen zu kooperieren, sondern nur dann, wenn sie für<br />
alle von Vorteil sind („kooperiere, solange die anderen kooperieren!“). Das Fairneßprinzip gibt also<br />
Normen an die Hand, mit denen sich eine streng reziproke Strategie basteln läßt.<br />
Moralische Symmetrie<br />
Abgesehen von diesen Reziprozitätsmerkmalen, ist das wesentliche Merkmal des Fairneßprinzips<br />
das, was den Urzustand selbst kennzeichnet: dort wird das als fair bezeichnet, was Menschen<br />
beschließen, die gleich und frei sind. Dies geht also über die Gegenseitigkeit von Vorteilen hinaus,<br />
da hier von Vorteilen überhaupt nicht die Rede ist. Mehr noch: hier wird von Vorteilen der<br />
einzelnen abgesehen. Gerecht ist dann all das, was unter für alle Personen gleichen Bedingungen<br />
vereinbart wird. Das principle of fairness soll sicherstellen, daß moralische Prinzipien für alle<br />
53 Auch hier muß darauf hingewiesen werden, daß TIT FOR TAT keine beste Strategie ist, also eine Regel, die<br />
unabhängig von anderen Strategien die Auszahlung maximiert. (Vgl. R. Axelrods Theorem 1, R. Axelrod (1991), S.<br />
14).<br />
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