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Rawls - Wolfgang Melchior

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<strong>Wolfgang</strong> <strong>Melchior</strong>: John <strong>Rawls</strong>’ Theorie der Gerechtigkeit<br />

_______________________________________________________________________________________<br />

Im Verlaufe dieser Vierstufenfolge erhalten die Parteien immer mehr Kenntnis von ihrem<br />

persönlichen, sozialen und ökonomischen Umfeld. Der Schleier des Nichtwissens (siehe ausführlich<br />

im nächsten Kapitel) wird nach und nach „gelüftet“.<br />

Das Modell ist demnach deszendent, insofern als es sich von allgemeinsten Prinzipien zu immer<br />

spezifischeren Regeln vorarbeitet und die Prinzipien einer vorigen Stufe auch gültig sind für die<br />

nächste. Was heißt das Zu Beginn stellt <strong>Rawls</strong> seine Konzeption als strict compliance theory<br />

(auch: ideal theory) vor, d.h. er nimmt an, daß jede kontraktualistische Lösung der ersten Stufe<br />

(Urzustand) nicht nur optimal, sondern auch stabil, ja mehr noch, selbststabilisierend ist. Der<br />

gesamte dritte Teil der Theorie der Gerechtigkeit versucht, diese Behauptung zu rechtfertigen.<br />

Natürlich negiert <strong>Rawls</strong> nicht die Tatsache, daß kein noch so gültig abgeleitetes Prinzip<br />

vollkommen befolgt und umgesetzt wird (werden kann) und daß die alltäglichen drängenden<br />

Probleme aus der teilweisen Befolgung (partial compliance) irgendwelcher Normen resultieren 64 ,<br />

jedoch: „The reason for beginning with ideal theory is that it provides, I believe, the only basis for a<br />

systematic grasp of these more pressing problems“ (TJ 9). <strong>Rawls</strong> ist überzeugt, daß wir der Praxis<br />

nur dann systematisch beikommen können, wenn wir einen idealen theoretischen Standpunkt<br />

besitzen und angeben, von dem aus wir diese Praxis beurteilen.<br />

Jede weitere der vier Stufen entspricht damit dem Zustand einer Gesellschaft vom Standpunkt der<br />

Gerechtigkeit und unterscheidet sich durch drei Parameter von ihrer vorigen:<br />

- allgemein: realitätsnäher, mehr der empirisch beobachtbaren Praxis entsprechend,<br />

- die einzelnen Personen betreffend: die Personen besitzen mehr empirisches Wissen über<br />

ihre Stellung in der jeweiligen Gesellschaft,<br />

- die Gerechtigkeit als vollkommene Verfahrensgerechtigkeit betreffend: unvollkommener.<br />

64 Das heißt, ein Problem entsteht dann,<br />

1. wenn die strikte Befolgung von aus gerechten Prinzipien abgeleiteten Kollateralprinzipien selbst zu<br />

Ungerechtigkeiten führt und<br />

2. die teilweise Befolgung oder Nichtbefolgung gerechter Grundsätze zu moralischen Asymmetrien<br />

führt (<strong>Rawls</strong> nennt hier als Beispiel Steuerhinterziehung). Ich betone jedoch, daß diese Probleme<br />

solche der vierten Stufe (full knowledge stage) sind.<br />

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