Rawls - Wolfgang Melchior
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<strong>Wolfgang</strong> <strong>Melchior</strong>: John <strong>Rawls</strong>’ Theorie der Gerechtigkeit<br />
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3.) Schluß „Versprechen halten“ als Verpflichtung VV: „A ist verpflichtet, gegenüber B zu<br />
xen“.<br />
Jeder, der die Institution unter gerechten (=fairen) Bedingungen akzeptiert, muß sich an das<br />
Versprechen halten. Es ist wichtig, den Treuegrundsatz nicht mit der Schlußfolgerung, also der<br />
Verpflichtung VV, und diese nicht mit der Institution V selbst zu verwechseln: V ist eine Regel<br />
und niemand ist eo ipso verpflichtet zu dieser Regel, also niemand ist verpflichtet, überhaupt<br />
Versprechen zu geben. Genauso wenig ist jemand unbedingt zu VV verpflichtet, sondern nur dann<br />
wenn V besteht, G erfüllt ist und der Treuegrundsatz akzeptiert wird. VV ist eine Folge des<br />
Treuegrundsatzes, und dieser ein Spezialfall des Fairneßprinzips.<br />
Auf den ersten Blick mag das unproblematisch wirken, jedoch liegt die Schwierigkeit dieses<br />
Schemas in der Gerechtigkeitsbedingung G. Warum soll es erforderlich sein, sich an Versprechen<br />
zu halten, die unter gerechten Bedingungen entstehen <strong>Rawls</strong> führt dazu natürliche Pflichten<br />
(natural duties) ein. Diese sind Pflichten, die unbedingt gelten, und<br />
- erfordern damit weder eine freiwillige Willensäußerung<br />
- noch eine Übereinkunft, gelten also schon bereits vor jedem Versprechen.<br />
Als oberste natürliche Pflicht betrachtet <strong>Rawls</strong> die Pflicht zur Gerechtigkeit. Sie verlangt, sich an<br />
gerechte Verträge zu halten und sie zu unterstützen..<br />
Es scheint also, daß <strong>Rawls</strong> hier mit der natürlichen Pflicht ein typisches question begging begeht.<br />
Um die Frage zu klären, wie die Anrufung einer Institution (Versprechen geben) zur Verpflichtung<br />
wird, wird in der Bedingung G bereits schon eine Pflicht unterstellt, die unbedingt gelten soll.<br />
<strong>Rawls</strong> erkennt selbst diese Bedrohung seines Schemas: daß nämlich das Fairneßprinzip (und damit<br />
der Treuegrundsatz) überflüssig wird, da sich Verpflichtungen auch aus der natürlichen<br />
Gerechtigkeitspflicht herleiten ließen (TJ 343). <strong>Rawls</strong> meint:<br />
Now this contention is, indeed, sound enough. We can, if we want, explain obligations by invoking<br />
the [natural] duty of justice. It suffices to construe the requisite voluntary acts as acts by which our<br />
natural duties are freely extended. Although previously the scheme in question did not apply to us,<br />
and we had no duties in regard to it other than that of not seeking to undermine it, we have now by<br />
our deeds enlarged the bonds of natural duties. But it seems appropriate to distinguish between those<br />
institutions or aspects thereof which must inevitably apply to us since we are born to them and they<br />
regulate the full scope of our activity, and those that apply to us because we have freely done certain<br />
things as a rational way of advancing our ends. (TJ 343/344)<br />
Diese Unterscheidung greift also auf die Differenz zwischen unbedingten und freiwilligen<br />
Verpflichtungen, oder Kantisch ausgedrückt, zwischen kategorischen und hypothetischen<br />
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