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Glückauf - Windhoff Bahn

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as Unwetter Ende November<br />

D2005 im Münsterland ist noch<br />

in guter Erinnerung. In nur einer<br />

Nacht sorgte das Tief „Thorsten“<br />

für über einen halben Meter<br />

Schnee, dazu Minusgrade und böigen<br />

Wind. Neben dem üblichen<br />

Verkehrschaos – ein ständiger Begleiter<br />

solcher Wetterereignisse<br />

– fiel die elektrische Versorgung<br />

bei Zehntausenden von Haushalten<br />

aus. Unter der Last des Eises<br />

waren Überlandleitungen gerissen<br />

und Strommasten reihenweise<br />

umgeknickt.<br />

An den Überlandleitungen bildeten<br />

sich armdicke Eispanzer.<br />

Doch nicht nur dieses Gewicht<br />

war problematisch, sondern auch<br />

die ungleichförmige Lastenverteilung.<br />

Denn wenn der Wind wie bei<br />

diesem Unwetter ständig aus einer<br />

Richtung bläst, bildet sich auf der<br />

windzugewandten Leitungsseite eine<br />

längliche Eisfläche, ähnlich einer<br />

Flugzeugtragfläche – mit möglichen<br />

fatalen Folgen (siehe: Dominotheorie).<br />

Doch nicht nur Strommasten<br />

mussten den widrigen Bedingungen<br />

standhalten, auch Windenergieanlagen.<br />

Eis an der Rotorblatt-Vorderkante<br />

hat hier den gleichen Effekt<br />

wie Eis an Flugzeugtragflächen: Die<br />

aerodynamischen Eigenschaften<br />

verschlechtern sich drastisch. Die<br />

Folge: Es wird bei gleicher Windgeschwindigkeit<br />

weniger Energie<br />

erzeugt, da das Eis zu einem höheren<br />

Strömungswiderstand führt.<br />

Umgekehrt kann man schlussfolgern:<br />

Nimmt die Leistung rapide<br />

ab, könnte dies auf eine Rotorblattvereisung<br />

hinweisen. Gleiches gilt,<br />

wenn der Geräuschpegel zunimmt<br />

und der Ton, den die sich drehenden<br />

Rotorblätter erzeugen, steigt.<br />

Ein weiteres Indiz liefert die Unwuchtmessung.<br />

Sie basiert darauf,<br />

dass der Eisansatz an Rotorblättern<br />

zu einer messbaren Unwucht führt<br />

(zum Beispiel auf der Welle).<br />

Leistungsüberwachung, Unwuchtmessung,<br />

Geräuschpegelund<br />

Frequenzmessung, Eis-Sensoren<br />

und visuelle Prüfung (zum<br />

Beispiel mit Kameras) – all diese<br />

Verfahren ergeben ein sehr gut<br />

funktionierendes Frühwarnsystem,<br />

um schon im Ansatz eine Rotorblattvereisung<br />

festzustellen. Aber<br />

was geschieht bei einem vereisten<br />

ANLAGENBAU<br />

Windanlagen trotzten „Thorsten“<br />

WeserWind · Extreme Temperaturen unter null Grad, Schnee, Sturm und Eis machten nicht nur<br />

Hallendächern und Strommasten zu schaffen. Auch Windenergieanlagen waren diesem extremen<br />

Winterwetter ausgesetzt. Ein ausgeklügeltes Frühwarnsystem verhindert den Komplettausfall.<br />

Offshore-<br />

Winter<br />

Auch Offshore-Windmessmaste in<br />

Ost- und Nordsee (siehe glückauf<br />

2/2005: „Messmast Amrumbank<br />

West“, Seite 27) sind zum Teil<br />

eisigen Temperaturen bei starken<br />

Winden ausgesetzt. Kommt feuchte<br />

Luft hinzu (zum Beispiel Nebel),<br />

bildet sich binnen Stunden ein<br />

dicker Eispanzer an der gesamten<br />

Gittermaststruktur und den Messinstrumenten<br />

(im Wesentlichen<br />

Anemometer und Windfahnen).<br />

Die Messinstrumente sitzen ab<br />

etwa 12 m über dem Meeresspiegel<br />

in Abständen zwischen 10 m<br />

und 15 m auf verschiedenen<br />

Messebenen bis zu Höhen von<br />

etwa 100 m. Bei eisigen Temperaturen<br />

und extremen Windgeschwindigkeiten<br />

würden selbst<br />

vollständig beheizte Messinstrumente<br />

einfrieren. Die tragende<br />

Gittermaststruktur hat eine<br />

zusätzliche tonnenschwere Last zu<br />

tragen und die Angriffsfläche für<br />

den Wind nimmt stark zu. Auch<br />

wenn diese Wetterverhältnisse<br />

eher selten sind: Offshore-Windmessmasten<br />

müssen für diese<br />

Extrembedingung ausgelegt sein.<br />

Als Material für die Gittermasten<br />

kommt in der Regel Stahl der<br />

Güte S355 zum Einsatz, und bei<br />

einer Höhe von 64 m kann das<br />

Gewicht 43 t ausmachen (Messmast<br />

Amrumbank West).<br />

Der Windpark Oberzeiring in Österreich. Er liegt 1.900 m ü. NN. (Quelle: Tauernwind GmbH, www.tauernwind.com)<br />

Rotorblatt Wenn die Anlage nicht<br />

für die zusätzliche Eislast bzw. die<br />

dabei entstehende Aerodynamik<br />

und Dynamik ausgelegt ist oder<br />

wenn Personen und andere technische<br />

Einrichtungen gefährdet<br />

sind, wird sie abgestellt. Denn wer<br />

trotz vereisten Rotorblättern nicht<br />

„anhält“, riskiert unter Umständen<br />

lebensgefährlichen „Eiswurf“.<br />

Windenergieanlagen der neusten<br />

Generation (5-MW-Klasse) würden<br />

ohne die vorgeschriebenen Frühwarnsysteme<br />

durch ihren Hebelarm<br />

von bis zu 60 m (Rotorblattlänge),<br />

einer Blattspitzengeschwindigkeit<br />

von ungefähr 300 km/h und einer<br />

Nabenhöhe von etwa 100 m zu<br />

Eiswurfschleudern werden. Mehrere<br />

100 Gramm schwere Eisstücke<br />

werden im Extremfall einige wenige<br />

100 Meter weit katapultiert.<br />

Aus diesem Grund werden vereiste<br />

glück auf · 1/2006 ......... 34<br />

Dominotheorie<br />

Umgeknickte Strommasten stehen am Montag (28. 11. 2005) auf einem Feld bei Laer in der Nähe von Münster. Foto: © dpa<br />

Vereister Gittermast<br />

Einseitig vereiste Überlandleitungen sind besonders gefährdet. Denn<br />

böiger Wind kann eine derart geformte „Eisleitung“ zum Schwingen<br />

bringen, zum so genannten „Seiltanzen“. Die durch die Eismasse erhöhte<br />

Grundbelastung und die pendelnde Zusatzbelastung können dazu führen,<br />

dass Leitungen abreißen und Strommasten umknicken. Ist erst einmal ein<br />

Strommast gefallen, fehlt den angrenzenden Masten das Gegengewicht<br />

– und sie können reihenweise umkippen wie Dominosteine. So geschehen<br />

im Münsterland. In diesen Fällen führt die Kombination aus Seiltanzen<br />

und Eislast zur Überschreitung der Bruchfestigkeit. Auch die Temperatur<br />

wirkt sich auf den Stahl aus, das heißt, seine mechanischen Eigenschaften<br />

werden mit sinkender Temperatur beeinträchtigt, im Klartext: Er „schwächelt“.<br />

In den Medien wird in diesem Kontext oft „Thomasstahl“ erwähnt,<br />

aus dem eine Vielzahl der alten Strommasten gefertigt ist. Richtig daran<br />

ist: Thomasstahl hat tatsächlich niedrigere mechanische Eigenschaften als<br />

heute eingesetzter Stahl. Aber es sind auch zahlreiche Strommasten jüngeren<br />

Datums umgeknickt.<br />

Rotorblätter bei potenzieller Gefährdung<br />

der Umgebung sofort in<br />

„Parkstellung“ gebracht und erst<br />

nach optischer Inspektion wieder<br />

„hochgefahren“. Zudem warnen<br />

Hinweisschilder auf Zufahrtswegen<br />

bei freistehenden Windenergieanlagen<br />

vor Eiswurf. In Gebieten<br />

mit Wetterverhältnissen, die eine<br />

Vereisung begünstigen, kann es<br />

sogar wirtschaftlich sinnvoll sein,<br />

die Rotorblätter zu beheizen, um<br />

Eisansatz und Zwangsstillständen<br />

zuvorzukommen. Bewährt haben<br />

sich elektrische Heizfolien, aber<br />

auch in das Blatt integrierte Warmluftkanäle<br />

mit Heizlüfter.<br />

Ob mit oder ohne Blattheizung:<br />

Was bei allen Anlagen auf jeden<br />

Fall beheizt sein sollte, sind die<br />

zur Steuerung der Windenergieanlage<br />

notwendigen Instrumente<br />

wie Anemometer (Windgeschwindigkeitsmesser)<br />

und Windfahne<br />

(Windrichtungsmesser). Andernfalls<br />

würde trotz Wind das festgefrorene<br />

Anemometer „0“ anzeigen<br />

und die Betriebsführung veranlassen,<br />

die Anlage abzuschalten. Auch<br />

eine eingefrorene Windfahne hätte<br />

gravierende Folgen. Die Betriebsführung<br />

würde die Windenergieanlage<br />

falsch im Wind ausrichten<br />

und Leistungseinbußen in Kauf<br />

nehmen. Außerdem treten durch<br />

die falsche Anströmung der Rotorblätter<br />

erhebliche zusätzliche Belastungen<br />

der Bauteile auf.<br />

Die heutigen Techniken ermöglichen<br />

es, Windenergieanlagen<br />

auch in Gebieten mit extremen<br />

Wetterverhältnissen zu installieren,<br />

indem man sie speziell für den<br />

Standort und die dort auftretenden<br />

Lasten dimensioniert. Die Vorteile<br />

liegen auf der Hand: So kann<br />

man die Windenergie nicht nur in<br />

Schönwetterregionen nutzen, sondern<br />

auch im Norden Finnlands,<br />

im Offshore-Bereich der Nordsee<br />

oder in den Hochgebirgsregionen<br />

der Alpen.<br />

Erik Patschke

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