156 IV.1. Beobachtungsprotokoll zum Interview 2: Petra Wiesow Tag ...
156 IV.1. Beobachtungsprotokoll zum Interview 2: Petra Wiesow Tag ...
156 IV.1. Beobachtungsprotokoll zum Interview 2: Petra Wiesow Tag ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
193<br />
zählt, dass er bisher nicht gelernt hat, an sich zu denken, nicht einmal beim<br />
„Geldabschöpfen“. Interessanter Weise schildert <strong>Petra</strong> W. das berufliche<br />
Engagement des Partners, seine daraus resultierende Leistung und seine<br />
Anerkennung im Berufsleben als negative Erscheinungen. In ihrer Darstellung<br />
klingt die berufliche Bestätigung wie ein Vorwurf; das Interesse des Partners an<br />
guten Arbeitsergebnissen wird <strong>zum</strong> abweichenden, abnormen Verhalten, die<br />
positive, ergebnisorientierte Arbeitseinstellung rutscht in den Bereich des<br />
Krankhaften. Viel Rauchen, viel Kaffeetrinken, wenig Essen und vor allem sein<br />
überobligatorisches Engagement will <strong>Petra</strong> W. als Ursache für seinen<br />
permanent schlechten Gesundheitszustand, aber auch für seine angespannte<br />
äußere Erscheinung ausgemacht haben. Vor den Augen des Zuhörers entsteht<br />
das Bild eines Menschen, der nicht normal entwickelt ist, und der es nicht<br />
versteht, gemäß der von <strong>Petra</strong> W. definierten Normalität zu denken und zu<br />
handeln. Beinahe selbstverständlich erteilt <strong>Petra</strong> W. dem Partner Ratschläge für<br />
alle Lebenslagen und meint, sie sei als einzige dazu berufen. Ihr<br />
Sofortprogramm lautet: sich krankschreiben lassen, sich erholen und auf<br />
diesem Wege in Empfang nehmen, was ihm zustehe.<br />
Zwei Motive ihrer Handlungsweise, die sich eher ergänzen als widersprechen,<br />
zeichnen sich ab: Zum einen scheint es bei der Darstellung des<br />
Gesundheitszustandes des Partners keineswegs vorrangig um dessen<br />
Wohlbefinden zu gehen, sondern eher um <strong>Petra</strong> W. in der Rolle einer<br />
aufrechten, guten Beraterin. In dieser Rolle möchte sie vor allem vom Partner<br />
wahrgenommen werden, unterstreicht diese doch ihre Stärke und seine<br />
Schwäche.<br />
Andererseits präferiert <strong>Petra</strong> W. in ihren Überlegungen immer wieder die Seite<br />
des Habens 18 . In der Existenzweise des Habens ist die Beziehung zur Welt die<br />
des Besitzergreifens, eine Beziehung, in der ich jedermann und alles, mich<br />
selbst eingeschlossen, zu meinem Besitz machen will 19 . Die Vermutung, den<br />
18 Fromm charakterisiert mit Haben und Sein... zwei verschiedene Arten der Charakterstruktur,<br />
deren jeweilige Dominanz die Totalität dessen bestimmt, was ein Mensch denkt, fühlt<br />
und handelt.<br />
vgl. Fromm, Erich ([1976] 1981): Haben oder Sein. München: DTV. 35.<br />
19 ibid. 35.