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Einsicht-13

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der eigenen Armee geklagt. Schon Ende Dezember 1944 wies die<br />

17. SS-Panzerdivision in einer Handreichung an Orts- und Kampfkommandanten<br />

gesondert darauf hin, dass ein »scharfes sofortiges<br />

Durchgreifen bei Ungehorsam, Feigheit oder Widersetzlichkeit« der<br />

Zivilbevölkerung angezeigt sei. 6 Anfang März 1945 häuften sich<br />

beim Armeeoberkommando (AOK) 7 Meldungen und Beschwerden<br />

über die mangelnde Kampfbereitschaft der Zivilisten. 7 Gegenüber<br />

NSDAP-Gauleiter Willi Stöhr beklagte zur gleichen Zeit die Heeresgruppe<br />

G, dass die »feindliche Haltung der Bevölkerung in der<br />

Eifel den aufopferungsvollen Kampf der Truppe« erschwere – in<br />

einem Ort seien die Bauern gar »mit Mistgabeln auf die Soldaten<br />

losgegangen«. 8<br />

Das Oberkommando der Wehrmacht reagierte auf solche Beschwerden,<br />

indem es sich Ende März mit der Aufforderung an<br />

Himmler wandte, er solle »die versagenden Teile der Bevölkerung<br />

am Zeigen weißer Tücher und [an der] Sabotage von Befestigungsanlagen<br />

hinder[n]«. 9<br />

Binnen Tagen dekretierte Himmler daraufhin seinen »Flaggenerlass«<br />

gegen »das Heraushängen Weißer Tücher, das Öffnen bereits<br />

geschlossener Panzersperren, das Nichtantreten zum Volkssturm und<br />

ähnliche Erscheinungen«. Es sei »mit härtesten Mitteln durchzugreifen«;<br />

insbesondere seien »aus einem Haus, aus dem eine Weiße<br />

Fahne erscheint, […] alle männlichen Personen zu erschießen«. 10<br />

Das fand Beifall: Von nun an kümmere man sich, so notierte Goebbels<br />

in seinem Tagebuch mit beißender Ironie, »besonders liebevoll«<br />

um diejenigen, die weiße Fahnen hissten, ehe sich »diese Art von<br />

Defaitismus wie eine Seuche ausbreitet«. 11<br />

Letzteres freilich erwies sich als Irrtum. Weder die Gewaltandrohung<br />

noch Himmlers verzweifelt-aberwitziger Umdeutungsversuch,<br />

bei den Kapitulationsforderungen der Feinde handele es sich lediglich<br />

um eine »Kriegslist« 12 , konnte bei einer Mehrzahl der Deutschen<br />

die Begeisterung für den Volkskrieg entfachen.<br />

6 BArch, RS 3-17/25, 17. SS-Pz. Gren. Division »Götz von Berlichingen« Ia Tgb.<br />

Nr. 194/44 n.g.Kdos., Dienstanweisung für Orts- bzw. Kampfkommandanten,<br />

30.12.1944.<br />

7 Vgl. BArch, RH 19 XII/26, Meldung AOK 7/IA Nr. 01405/45 g.Kdos., 5.3.1945.<br />

8 Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch), NS 6/<strong>13</strong>5, Bl. 122, Gesprächsnotiz<br />

über einen Telefonanruf des Gauleiters Stöhr betr. feindselige Haltung der Bevölkerung<br />

gegenüber der Truppe, 8.3.1945.<br />

9 BArch, RH 20-19/196, OB West/Ia/Qu (2) Nr. 1052/45 g., OKW/WFSt/Qu an<br />

Himmler, 25.3.1945.<br />

10 Überliefert u.a. in BArch, RH 20-19/279, Bl. 3, H.Gr. G Ia Nr. 1411/45 g.Kdos.<br />

an AOK 19, 28.3.1945.<br />

11 Elke Fröhlich (Hrsg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II: Diktate,<br />

Bd. 15, München 1995, Eintrag vom 29.3.1945, S. 625.<br />

12 BArch, RH 2/336, Bl. 217, OKH/GenStdH/OpAbt/LdsBef Nr. 6217/45, betr. Erlass<br />

RF-SS, 15.4.1945.<br />

Spontaner und individueller Widerstand in letzter Minute<br />

Es lassen sich verschiedene Formen eines Widerstands in letzter<br />

Minute unterscheiden, der sich gegen die sinnlose Zerstörung des<br />

eigenen Heimatortes richtete. <strong>13</strong> Die erste davon umfasst Aktivitäten,<br />

die von kleinen Gruppen ausgingen, die sich ad hoc, ohne Planung<br />

und Abstimmung im Vorfeld, aus konkretem Anlass zusammenfanden.<br />

Dazu gehörten auch die Vorgänge in Burgthann: Dorfbewohner<br />

versammelten sich, um eine Panzersperre zu beseitigen und den<br />

Bürgermeister zu bewegen, den Ort zu übergeben – auch symbolisch<br />

durch das Aufziehen weißer Flaggen.<br />

In manchen Städten gab es bereits im Vorfeld der Annäherung<br />

feindlicher Truppen richtiggehende Demonstrationen – ein<br />

Phänomen, das es in den vorangegangenen Jahren im »Dritten<br />

Reich« kaum je gegeben hatte. Die Beteiligung von Frauen an<br />

solchen spontanen Aktionen oder Protesten war keineswegs außergewöhnlich.<br />

Der sogenannte »Windsheimer Weibersturm«, das<br />

wohl bekannteste Beispiel, ereignete sich nicht weit entfernt von<br />

Burgthann im mittelfränkischen Bad Windsheim. Dort versammelten<br />

sich am Abend des 12. April 1945 zwei- bis dreihundert<br />

Menschen, vor allem Frauen, Kinder und ältere Männer – ein<br />

Spiegelbild der deutschen Gesellschaft am Ende des Krieges, für<br />

die die Abwesenheit der Männer charakteristisch war. Der Kampfkommandant<br />

des Ortes gab der robust vorgetragenen Forderung<br />

einer Frauenabordnung, die Stadt nicht zu verteidigen, nicht nach.<br />

Dass Frauen dabei keineswegs ein geringeres Risiko eingingen<br />

als Männer, zeigt das blutige Nachspiel am folgenden Tag. Zwei<br />

Gestapomänner aus Nürnberg erschossen die Fabrikantengattin<br />

Christine Schmotzer, von der sie fälschlich annahmen, sie sei eine<br />

Rädelsführerin der Windsheimer Demonstration gewesen. Neben<br />

die Leiche legten sie ein Schild mit der Aufschrift: »Eine Verräterin<br />

wurde gerichtet«. Wer die Gestapo informiert hatte, konnte nach<br />

dem Krieg nie geklärt werden. 14<br />

Daneben gab es auch Aktionen, bei denen Einzelne versuchten,<br />

ihren Heimatort zu retten. Gut erforscht ist der Fall des 19-jährigen<br />

Ansbacher Studenten Robert Limpert. 15 Als die Amerikaner<br />

bereits in die Außenbezirke Ansbachs vorgedrungen waren, begab<br />

sich der schwer herzkranke Student zum dritten Bürgermeister,<br />

<strong>13</strong> Vgl. Elisabeth Kohlhaas, »›Aus einem Haus, aus dem die weiße Fahne erscheint,<br />

sind alle männlichen Personen zu erschießen‹. Durchhalteterror und Gewalt gegen<br />

Zivilisten am Kriegsende 1945«, in: Edgar Wolfrum, Cord Arendes, Jörg<br />

Zedler (Hrsg.), Terror nach innen. Verbrechen am Ende des Zweiten Weltkrieges,<br />

Göttingen 2006, S. 51–79, hier S. 53–60.<br />

14 Vgl. Urteil des LG Nürnbrg-Fürth vom 20.8.1948, KLs 152/48, in: JuNSV,<br />

Bd. III, Nr. 83.<br />

15 Vgl. Elke Fröhlich, »Ein junger Märtyrer«, in: Martin Broszat, Elke Fröhlich<br />

(Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit, Bd. 6: Die Herausforderung des Einzelnen. Geschichten<br />

über Widerstand und Verfolgung, München, Wien 1983, S. 228–257.<br />

der ihm zusagte, den Ort kampflos übergeben zu wollen. Daraufhin<br />

forderte er auf der Straße die Passanten auf, die Waffen<br />

wegzuwerfen, Panzersperren einzureißen und weiße Fahnen zu<br />

hissen. Außerdem durchschnitt Limpert auf offener Straße die<br />

Telefondrähte, die den Gefechtsstand des Kampfkommandanten<br />

mit den Truppenteilen vor der Stadt verbanden – oder vielmehr:<br />

verbunden hatten, denn kurz zuvor war der Gefechtsstand verlegt<br />

worden, folglich die Kabel schon vor der Zerstörung ohne Funktion.<br />

Zwei Hitlerjungen im Alter von <strong>13</strong> und 14 Jahren beobachteten<br />

den Studenten. Der Onkel eines der Jungen, ein Blockwart<br />

und Alt-Parteigenosse, denunzierte Limpert bei der Polizeiwache<br />

im Rathaus. 16 Das Geschehene kam dem Kampfkommandanten<br />

16 Siehe zu Denunziationen auch den Beitrag von Claudia Bade in dieser Ausgabe<br />

der <strong>Einsicht</strong>, Seite 24 ff.<br />

April 1945, auf den<br />

Mauern und Ruinen<br />

deutscher Städte stehen<br />

Durchhalteparolen:<br />

»Wir kapitulieren nie«.<br />

Foto: SZ Photo/Süddeutsche<br />

Zeitung Photo<br />

Hauptmann Ernst Meyer zu Ohren, der Limpert in einer Standgerichtsfarce<br />

zum Tod durch den Strang verurteilte. Der erste<br />

Versuch, das Urteil zu vollstrecken, scheiterte. Limpert konnte<br />

sich losreißen, wurde aber eingeholt und schwer misshandelt.<br />

Meyer selbst packte ihn an den Haaren und schleifte ihn zurück<br />

zum Rathaus. Auch der zweite Hinrichtungsversuch scheiterte: Der<br />

Strick riss und der schon bewusstlose Student fiel zu Boden. Nun<br />

nahm Meyer die Leine doppelt, und bei diesem dritten Versuch<br />

kam Robert Limpert ums Leben. Der Kampfkommandant befahl,<br />

die Leiche hängen zu lassen, bis sie »stinke« 17 . Noch am selben<br />

Nachmittag rückten die Amerikaner in Ansbach ein.<br />

17 Vgl. Urteil des LG Ansbach vom 14.12.1946, KLs 24/46, in: JuNSV, Bd. I,<br />

Nr. 10; Urteil des LG Ansbach vom 28.8.1947, KLs 24/46, in: JuNSV, Bd. I,<br />

Nr. 29.<br />

18 <strong>Einsicht</strong><br />

<strong>Einsicht</strong> <strong>13</strong> Frühjahr 2015<br />

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