Einsicht-13
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Anreize für und Formen von Denunziation am Kriegsende<br />
Ähnlich vielfältig wie die Adressaten von Denunziationen waren die<br />
nationalsozialistisch geprägten Normen und Gesetze, die Anreize<br />
für Denunziationen boten. Bereits zu Beginn des Regimes gaben<br />
neue Gesetze oder Gesetzesverschärfungen zahlreichen Anlass zu<br />
Anzeigen, 7 doch verschärfte sich die Gesetzgebung bei Kriegsbeginn<br />
noch einmal stark. So schuf der NS-Staat mit der »Verordnung<br />
über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz<br />
(Kriegssonderstrafrechtsverordnung)« vom 17. August 1938, die<br />
erst ein Jahr später mit Beginn der Mobilmachung im Reichsgesetzblatt<br />
veröffentlicht wurde, 8 der »Verordnung über außerordentliche<br />
Rundfunkmaßnahmen« (»Rundfunkverordnung«) vom 1. September<br />
1939 9 sowie der »Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften<br />
zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes« (»Wehrkraftschutzverordnung«)<br />
vom 25. November 1939 10 Normsetzungen,<br />
die bis zum Ende des Krieges ein hohes Denunziationspotenzial<br />
boten. Die genannten Gesetze hatten das Ziel, den Staat nach innen<br />
zu sichern, und zugleich die Wirkung, weitere Personenkreise aus<br />
der »Volksgemeinschaft« auszuschließen.<br />
Die »Rundfunkverordnung« appellierte an die Mitarbeit der<br />
»Volksgemeinschaft«, da es im ersten Absatz des Gesetzes hieß, der<br />
Rundfunk würde vom Gegner eingesetzt, um das deutsche Volk zu<br />
zermürben und ihm Schaden zuzufügen. Daher sei die Verordnung<br />
für jene »Volksgenossen« erlassen worden, denen das Verantwortungsbewusstsein<br />
fehle, um das Abhören ausländischer Sender zu<br />
unterlassen. In der Folge zeigte es sich dann auch, dass dies sehr<br />
häufig angezeigt wurde, denn Nachbarn konnten oftmals – auch<br />
durch die Überlagerung der Frequenzen mit Störsendern und den von<br />
ihnen ausgestrahlten Pfeiftönen – wahrnehmen, wenn jemand einen<br />
ausländischen Radiosender hörte. Erzählte derjenige sogar weiter,<br />
was er gehört hatte, so konnte dies laut Gesetz die »Widerstandskraft<br />
des deutschen Volkes« gefährden und mit hohen Strafen bis hin zur<br />
Todesstrafe belegt werden.<br />
Dies unterstreichen die beiden folgenden Fallbeispiele: Am<br />
20. Juni 1944 verurteilte das Sondergericht Hannover einen 69-jährigen<br />
Justizoberinspektor aus Meppen zu einer Gefängnisstrafe von<br />
zehn Monaten. 11 Vorausgegangen waren monate- und jahrelange<br />
7 Dies waren beispielsweise das »Heimtückegesetz« (»Gesetz gegen heimtückische<br />
Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen« vom<br />
20. Dezember 1934, Reichsgesetzblatt (RGBl.) I 1934, S. 1269) oder das »Gesetz<br />
zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« vom 15. September<br />
1935 (RGBl. I 1935, S. 1146), ebenso aber die Strafverschärfung des § 175<br />
RStGB im Jahre 1935.<br />
8 RGBl. I 1939, S. 1455.<br />
9 RGBl. I 1939, S. 1683.<br />
10 RGBl. I 1939, S. 2319.<br />
11 Vgl. Niedersächsisches Landesarchiv, Standort Hannover (NLAH), Hann. 171 a<br />
Beobachtungen der Nachbarn, die wegen des Krieges in sein Haus<br />
einquartiert worden waren und die immer wieder bemerkt haben<br />
wollten, dass er gemeinsam mit seiner Frau ausländische Sender<br />
abgehört habe. Es stellte sich heraus, dass die meisten Nachbarn<br />
wegen ihrer manchmal lärmenden Kinder häufiger Streitigkeiten<br />
mit ihm hatten – doch dieser private Hintergrund hinderte Gestapo<br />
und Sondergericht nicht an der Strafverfolgung. In Rehden in<br />
der Nähe des niedersächsischen Diepholz meldete ein 14-jähriges<br />
Landdienstmädchen ihrer »Führerin«, dass der Erbhofbauer, bei<br />
dem sie im Sommer 1943 ihren Dienst ableistete, ständig einen<br />
englischen Sender abhöre. 12 Die Landdienstführerin meldete dies<br />
wiederum dem Ortsgruppenleiter, der dafür sorgte, dass das Mädchen<br />
zu einem anderen Bauern kam. Mehr geschah zunächst nicht.<br />
Erst als die Landdienstführerin die Geschichte an ihre Vorgesetzte<br />
in Sulingen weitergab, kam die Sache auch strafrechtlich ins Rollen:<br />
Die Vorgesetzte meldete das Abhören des Londoner Senders durch<br />
den Rehdener Bauern an den Kreisleiter der NSDAP in Sulingen und<br />
dieser setzte die Gestapo davon in Kenntnis. Der Parteifunktionär<br />
vor Ort hatte sich also zunächst bemüht, die Sache außerhalb einer<br />
strafrechtlichen Verfolgung zu belassen. Offenkundig wurde aber im<br />
Dorf bereits darüber geredet, dass auf diesem Hof oft ausländische<br />
Sender gehört wurden. Bedenkenswert ist bei diesem Fall aber auch,<br />
dass die Person, die auf der Weitermeldung insistierte, eine vermutlich<br />
ideologisch geschulte BDM-Führerin war, die sich nicht damit<br />
zufrieden geben wollte, dass der Ortsgruppenleiter den Vorfall nicht<br />
an die große Glocke gehängt hatte. <strong>13</strong> Sie, die selbst erst 17 Jahre alt<br />
war, dürfte die Angelegenheit als eine implizite Aufforderung zur<br />
Stärkung der »Volksgemeinschaft« verstanden haben.<br />
Nach § 4 der »Wehrkraftschutzverordnung« konnte jemand, der<br />
»mit einem Kriegsgefangenen in einer Weise Umgang pflegt, die das<br />
gesunde Volksempfinden gröblich verletzt«, mit Zuchthausstrafen<br />
belegt werden. In der Praxis war mit dem verbotenen »Umgang mit<br />
Kriegsgefangenen« vor allem Geschlechtsverkehr gemeint, wobei<br />
die Informationen zu diesem Tatbestand naturgemäß vornehmlich<br />
durch Zuträgerschaft an Parteiinstanzen, den Werkschutz oder die<br />
Gestapo gelangten. Im Werkschutz der Osnabrücker Kupfer- und<br />
Drahtwerke bemerkte man im Februar 1944, dass eine 29-jährige<br />
Arbeiterin immer erst eineinhalb Stunden nach Dienstschluss<br />
die Fabrik verließ. 14 Einer der Werkschutzmänner verdächtigte sie,<br />
mit Kriegsgefangenen Umgang zu pflegen, und fing an, sie zu beobachten.<br />
Kurz darauf erwischte er sie in einem der Räume mit<br />
einem belgischen Kriegsgefangenen und stellte beide zur Rede.<br />
Hann, Acc. 107/83, Nr. 805.<br />
12 Vgl. NLAH, Hann. 171 a Hann, Acc. 107/83, Nr. 251.<br />
<strong>13</strong> Zum Landdienst der HJ vgl. Detlev Humann, »Arbeitsschlacht«.<br />
Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933–1939, Göttingen 2011.<br />
14 Vgl. NLAH, Hann. 171 a Hann, Acc. 107/83, Nr. 933.<br />
Altenburg in Thüringen am 7. Februar 1941: Der 31-jährigen Martha V. wird auf dem Marktplatz der Kopf kahl geschoren, während die Bevölkerung zuschaut.<br />
Auf dem Schild steht »Ich bin aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen«. Die Frau wurde von der Gestapo verhaftet, weil ihr intime Kontakte zu einem polnischen<br />
Zwangsarbeiter vorgeworfen wurden. Zu der Aktion wurde sie aus dem Gefängnis Weimar nach Altenburg transportiert. Foto: ullstein bild - ddp<br />
Nach anfänglichem Leugnen gaben sie zu, mehrfach miteinander<br />
Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Der Werkschutz leitete die<br />
»Ermittlungsergebnisse« weiter, und das Sondergericht Hannover<br />
verurteilte die junge Frau daraufhin zu einer Strafe von einem Jahr<br />
und drei Monaten Zuchthaus. Das Gericht befand, sie habe »ehrlos<br />
gehandelt« und sich »außerhalb der Volksgemeinschaft gestellt«.<br />
Der Aspekt der »Ehre« bzw. der »Ehrlosigkeit« spielte aber nicht<br />
nur für die Gerichte, sondern auch für die Denunzierenden eine große<br />
Rolle. Das lässt sich an zahlreichen Beispielen des »verbotenen<br />
Umgangs« von verheirateten Frauen belegen – besonders, wenn sich<br />
ihre Ehemänner als Soldaten im Krieg befanden. NS-Normen wie<br />
die »Wehrkraftschutzverordnung« ließen sich besonders gut in der<br />
Provinz durchsetzen, wo oftmals noch traditionelle Moralvorstellungen<br />
vorherrschten. In einer Notiz der Gestapo Osnabrück heißt<br />
es: »Nach vertraulicher Mitteilung unterhält die deutsche Staatsangehörige<br />
Gertrud B. […] ein Liebesverhältnis mit dem beurlaubten<br />
französischen Kriegsgefangenen Marceau T. Der Franzose hält sich<br />
nächtelang in der Wohnung der Frau B. auf.« 15 Die 37-jährige verheiratete<br />
Osnabrückerin hatte den französischen Kriegsgefangenen<br />
im Sommer 1943 kennengelernt und war mit ihm eine Beziehung<br />
eingegangen. Ihr Mann befand sich als Soldat im Krieg, aber im<br />
Dezember bemerkte sie, dass die Nachbarn anfingen, über das Liebesverhältnis<br />
zu reden. Aus diesem Grund beichtete sie ihrem Mann<br />
alles, als dieser an Weihnachten nach Hause kam. Doch im folgenden<br />
15 Notiz der Gestapo Osnabrück vom 10.6.1944, vgl. NLAH, Hann. 171 a Hann,<br />
Acc. 107/83, Nr. 956.<br />
26 <strong>Einsicht</strong><br />
<strong>Einsicht</strong> <strong>13</strong> Frühjahr 2015<br />
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