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Einsicht-13

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militärischen oder zivilen Standgerichten eingesetzt wurden. Zu<br />

ersteren gehörte der junge Hans Filbinger 31 als Marine-Stabsrichter.<br />

32 Einen Karriereknick bedeutete dies aber nicht immer.<br />

Dr. Karl Seither, ehemals Kriegsgerichtsrat der Reserve und später<br />

Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft München II, musste<br />

einräumen, als Anklagevertreter bzw. Offiziersbeisitzer eines<br />

Standgerichts in den letzten Kriegstagen für die Todesurteile und<br />

Hinrichtung mehrerer Fahnenflüchtiger gesorgt zu haben – selbstverständlich<br />

lediglich zur Aufrechterhaltung der »Manneszucht«. 33<br />

Noch 1958, in einer Hauptverhandlung des langwierigen Verfahrens<br />

gegen den Waffen-SS-General Max Simon 34 , äußerte Seither als<br />

Leiter der Staatsanwaltschaft München II, Anklage und Verteidigung<br />

hätten in den damaligen Standgerichtsverfahren zwar gefehlt,<br />

an der Rechtmäßigkeit der Verhandlung habe er trotzdem keinen<br />

Zweifel gehabt. 35<br />

Ob es zu einer Verurteilung wegen der Beteiligung an Endphasenverbrechen<br />

kam, stand auf einem anderen Blatt, wie das Verfahren<br />

gegen den ehemaligen Vorsitzenden des zivilen Standgerichts<br />

Pommern, Dr. Johannes Paulick (im zivilen Leben Landgerichtsdirektor<br />

am Oberlandesgericht Stettin), zeigt. Das Standgericht hatte<br />

allein ab Februar 1945 <strong>13</strong> Todesurteile wegen Plünderung, Feigheit<br />

vor dem Feind, Mord, Vergehen gegen das Kriegswirtschaftsgesetz<br />

und Sabotage verhängt, die meist noch vor der Bestätigung durch<br />

den Reichsverteidigungskommissar Franz Schwede-Coburg sofort<br />

vollstreckt wurden, obwohl die Voraussetzungen für die Durchführung<br />

nicht gegeben waren. Bei einem Standgericht in Altdamm<br />

waren zwei Italiener wegen Plünderung (der Wohnung Paulicks!)<br />

zum Tod verurteilt und vom Volkssturm erhängt worden, ohne dass<br />

31 Hans Filbinger (19<strong>13</strong>–2007) war von 1966 bis zu seinem Rücktritt 1978 Ministerpräsident<br />

von Baden-Württemberg. Der Schriftsteller Rolf Hochhuth enthüllte<br />

1978, dass Filbinger am Ende des Krieges an Todesurteilen beteiligt war.<br />

32 Fragebogen Filbinger, 9.1.1948, und Zusatzfragebogen [undatiert], Dossier Hans<br />

Filbinger, Archives de l’Occupation Française en Allemagne et en Autriche, Colmar,<br />

AJ 3681, p. 37.<br />

33 Augsburg 7 Js 1063/53, StA Augsburg (Erhängung von drei fahnenflüchtigen<br />

deutschen Soldaten am 20.4.1945 in Münding bei Kaisheim nach einem Todesurteil<br />

durch ein Standgericht des Korück des XIII. SS-Korps); Ansbach 1 Js 681/54,<br />

StA Nürnberg, StAnw Ansbach 1 Js 681/54 (Erschießung zweier flüchtiger Wehrmachtsangehöriger<br />

am <strong>13</strong>. oder 14.4.1945 auf dem Friedhof in Leutershausen bei<br />

Ansbach nach Standgerichtsurteil des Korück des XIII. SS-Korps); Ansbach<br />

1 Js 312 ab/54, StA Nürnberg, StAnw Ansbach 1 Js 312 ab/54 (Erschießung eines<br />

desertierten Soldaten in Kössen in Tirol am 6.5.1945 nach Todesurteil des Standgerichts<br />

des XIII. SS-Korps). Vgl. auch Heft 4: Strafrechtliche Verantwortlichkeit<br />

von Richtern für die von ihnen erlassenen Urteile (Erfahrungsaustausch der Landesjustizverwaltungen<br />

über die Behandlung und Erledigung von Vorwürfen gegen<br />

Richter und Staatsanwälte wegen ihres Verhaltens in der NS-Zeit), Generalakt<br />

4010a Verfolgung ungesühnt gebliebener nationalsozialistischer Straftaten,<br />

Bay. Justizministerium.<br />

34 Ansbach 5 Js 382/48 = Ks 1a-d/52, StA Nürnberg, StAnw Ansbach 3211-3248.<br />

35 Pressemitteilung, Neuer Landes-Dienst Bayern (München), 1.4.1958, Personalakte<br />

Dr. Karl Seither, Hauptstaatsarchiv München, MJu 26726.<br />

die des Deutschen nicht mächtigen Männer auch nur einen Dolmetscher<br />

zur Verfügung gestellt bekommen hatten. Paulick und der Anklagevertreter<br />

beim Standgericht, Gerhard F., wurden 1950 wegen<br />

Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Freiheitsberaubung in<br />

Tateinheit mit Rechtsbeugung angeklagt und noch im selben Jahr<br />

freigesprochen, weil die Standgerichtsurteile in Übereinstimmung<br />

mit den damaligen Gesetzen erfolgt waren. 36 Das Urteil in Itzehoe<br />

war Gegenstand diverser journalistischer Kommentare in norddeutschen<br />

Zeitungen.<br />

Tatsächlich führte die Tätigkeit von Justizjuristen bei zivilen<br />

Standgerichten in Einzelfällen zu Verurteilungen. 37 Bereits im Februar<br />

1948 wurde der Vorsitzende des Regensburger Standgerichts,<br />

Landgerichtsdirektor Johann Schwarz, wegen der Beteiligung an<br />

dem Standgerichtsurteil vom 23. April 1945 gegen den Domprediger<br />

Dr. Johann Maier und andere Regensburger Bürger wegen Totschlags<br />

in Tateinheit mit Rechtsbeugung und unzulässiger Vollstreckung zu<br />

fünf Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt; die Staatsanwaltschaft<br />

hatte sogar die Todesstrafe gefordert. 38 Der Vorsitzende<br />

des Standgerichts Lohr am Main, Dr. Josef Koob, wurde am 6. Dezember<br />

1948 in Aschaffenburg zu zwei Jahren und sieben Monaten<br />

Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung des Arztes Dr. Karl Brandt<br />

Anfang April 1945 verurteilt, nach zwei Revisionen schließlich 1950<br />

zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis. 39<br />

Der Anklagevertreter und Leiter der Strafvollstreckung Dr. Karl<br />

Boromäus Schröder, der am Standgericht Nürnberg gegen Franz<br />

Graf von Montgelas beteiligt war, wurde im Juli 1948 selbst zum<br />

Angeklagten. 40 Montgelas, der im November 1944 wegen angeblich<br />

abfälliger Äußerungen denunziert worden war und seit Januar<br />

1945 einsaß, erhielt nur wenige Stunden vor der Verhandlung am<br />

5. April 1945 Anklage und Ladung, einen Verteidiger bekam er<br />

nicht. Das Erschießungskommando zog schon im Gefängnis auf,<br />

als Montgelas dort noch die Anklage las. Sein Rechtsanwalt erfuhr<br />

erst fünf Tage nach der Verhandlung von der am 6. April 1945 erfolgten<br />

Hinrichtung. Selbst am Sondergericht Nürnberg herrschte die<br />

Meinung, es habe sich um ein »politisches Ausmerzungsverfahren«<br />

gehandelt, »das auf scheußlichste Weise durchgeführt wurde«. 41<br />

Die von Schröder gefertigte Anklage galt als gesetzeswidrig, weil<br />

36 Itzehoe 3 Js 103/48 = 3 Ks 3/50, Landesarchiv Schleswig-Holstein, Abt. 352 Itzehoe,<br />

Nr. 633–654; Abt. 351 GStA Schleswig, Nr. 378.<br />

37 Hubert Rottleuthner, Karrieren und Kontinuitäten deutscher Justizjuristen vor<br />

und nach 1945, Berlin 2010, S. 95 und S. 117.<br />

38 Regensburg Js 2009/46 = Weiden KLs 1/48, StA Nürnberg, GStA beim OLG<br />

Nürnberg 151–154.<br />

39 StAnw Aschaffenburg1 Js 58/48 =Aschaffenburg KLs 32/48 = Würzburg<br />

Ks 4/49.<br />

40 Nürnberg-Fürth 1a Js 3489/48 = KMs 37/49, StA Nürnberg, GStA beim OLG<br />

Nürnberg 155.<br />

41 Lore-Maria Peschel-Gutzeit (Hrsg.), Das Nürnberger Juristen-Urteil von 1947.<br />

Historischer Zusammenhang und aktuelle Bezüge, Baden-Baden 1996, S. 216.<br />

Abb. oben:<br />

Schauprozess gegen<br />

Malitz/Meinshausen in<br />

Görlitz.<br />

Foto: Hauptstaatsarchiv<br />

Dresden<br />

Abb. links:<br />

Rekonstruktion der<br />

Erhängungen in<br />

Penzberg.<br />

Foto: SZ Bildarchiv<br />

bereits ein Verfahren gegen Montgelas vor<br />

einem ordentlichen Gericht anhängig war,<br />

dessen Akten dem Oberreichsanwalt beim<br />

Volksgerichtshof zur Verfügung gestellt<br />

worden waren, und die Äußerungen vom<br />

November 1944 nicht im feindbedrohten<br />

Reichsverteidigungsbezirk gemacht wurden,<br />

wodurch sie keine unmittelbare Gefährdung<br />

der Kampfkraft dargestellt hätten und<br />

auch keine sofortige Sühne erforderlich sei.<br />

Überdies galt die von Schröder veranlasste<br />

Vollstreckung des Todesurteils als ungesetzlich,<br />

weil es nicht durch den Reichsverteidigungskommissar<br />

Karl Holz bestätigt worden<br />

war. Dr. Karl Boromäus Schröder wurde<br />

am 17. September 1948 wegen fahrlässiger<br />

Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger unzulässiger<br />

Vollstreckung zu eineinhalb Jahren<br />

Gefängnis verurteilt. 42<br />

Die Ahndung durch ostdeutsche Gerichte<br />

In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)<br />

war die Ahndung von Endphasenverbrechen<br />

auf vielerlei Weise gehandicapt. 43 NSDAP-<br />

Funktionäre waren fast durchweg von den<br />

Sowjets verhaftet worden, befanden sich<br />

in sowjetischen Speziallagern und wurden<br />

sowjetischen Militärtribunalen überantwortet,<br />

wenn sie nicht gleich bei Kriegsende<br />

liquidiert worden oder in den Westen geflohen<br />

waren. Sie kamen als Beschuldigte oder Zeugen daher nicht<br />

in Betracht. Wichtige Aktenbestände (etwa des Berlin Document<br />

Center oder des International Tracing Service Arolsen) befanden<br />

sich im Westen. Gleichwohl funktionierte in den ersten Jahren die<br />

Amtshilfe zwischen West und Ost immer noch – manchmal sehr<br />

zum Missfallen der Beschuldigten: Zwei Männer, die wegen eines<br />

Endphasenverbrechens in Kiel 44 bereits im Dezember 1945 freigesprochen<br />

worden waren, sahen sich 1951 mit einem erneuten<br />

Prozess in Leipzig und schließlich einer massiven Verurteilung zu<br />

42 Nürnberg-Fürth 2 Js 666/46 = 50 KLs 189/48, StA Nürnberg, StAnw Nürnberg<br />

2219/I–VII.<br />

43 Vgl. überblicksartig Christian Meyer-Seitz, Die Verfolgung von NS-Straftaten in<br />

der Sowjetischen Besatzungszone, Berlin 1998.<br />

44 Kiel 2 Js 338/45 = 2 KLs 2/45, Landesarchiv Schleswig-Holstein, Abt. 352 Kiel;<br />

Nr. 1123.<br />

54 <strong>Einsicht</strong><br />

<strong>Einsicht</strong> <strong>13</strong> Frühjahr 2015<br />

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