Vom Viehvermarkter zum Dienstleistungsprofi, Teil 1 - GIQS
Vom Viehvermarkter zum Dienstleistungsprofi, Teil 1 - GIQS
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<strong>Vom</strong> <strong>Viehvermarkter</strong><br />
<strong>zum</strong> <strong>Dienstleistungsprofi</strong><br />
Herausgegeben von:<br />
Brigitte Petersen<br />
Achim Spiller<br />
Ludwig Theuvsen
<strong>Vom</strong> <strong>Viehvermarkter</strong> <strong>zum</strong><br />
<strong>Dienstleistungsprofi</strong><br />
Herausgegeben von<br />
Brigitte Petersen - Achim Spiller - Ludwig Theuvsen<br />
mit Beiträgen von<br />
Detert Brinkmann, Maren Bruns, Mechthild Frentrup,<br />
Daniel Gieseke, Teresa Gockeln,<br />
Martin Hamer, Adriane Mack, Janina Müller, Stephanie Schlecht,<br />
Birgit Schulze, Verena Schütz, Stefanie Slütter,<br />
Anja Voss, Julian Voss<br />
unter Mitwirkung von<br />
Rudolf Festag, Bernd Kollmer, Achim Münster,<br />
Matthias Otto,<br />
Heinrich Speckmann,<br />
1
ISBN: 978–3–00–031973–0<br />
<strong>Vom</strong> <strong>Viehvermarkter</strong> <strong>zum</strong> <strong>Dienstleistungsprofi</strong><br />
Herausgegeben von: Brigitte Petersen, Achim Spiller und Ludwig Theuvsen<br />
<strong>GIQS</strong> e.V.<br />
c/o Universität Bonn<br />
Katzenburgweg 7-9<br />
53115 Bonn<br />
Die Förderung des Vorhabens erfolgte aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung,<br />
Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) über die Bundesanstalt für Landwirtschaft<br />
und Ernährung (BLE) im Rahmen des Programms zur Innovationsförderung.<br />
© 2010 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.<br />
Layout: Ute Warkalla M.A.<br />
Druck: Medienhaus Plump, Rheinbreitbach<br />
2
Vorwort<br />
Der Forschungs- und Entwicklungsverbund AIDA (Allianz für Informations- und Dienstleistungsagenturen)<br />
ist <strong>Teil</strong> einer konzertierten Initiative von Wirtschaft, Wissenschaft und<br />
Politik zur Stärkung der Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Fleischwirtschaft.<br />
Traditionell nehmen genossenschaftliche Viehvermarktungsorganisationen eine Schlüsselrolle<br />
in der Wertschöpfungskette Fleisch ein. Grund genug für eine Reihe von Vermarktungsunternehmen<br />
ihre verantwortungsvolle Funktion als Bindeglied zwischen Landwirtschaft und<br />
Schlachtindustrie im überbetrieblichen Qualitätsmanagement weiter auszubauen. Zur Sicherung<br />
einer exponierten Marktposition im internationalen Wettbewerb und zur Verringerung<br />
der Gefahr der Disintermediation beteiligten sich zwölf <strong>Viehvermarkter</strong> an einer Forschungskooperation<br />
mit Wissenschaftlern der Universitäten Bonn und Göttingen.<br />
Gemeinsam gelang es dem AIDA-Team innovative Konzepte zur Erweiterung des Dienstleistungsangebotes<br />
sowie kettenorientierte Qualitäts-, Gesundheits- und Risikomanagementaufgaben<br />
zu entwickeln und zu erproben. Überzeugend wird dargestellt, welche Planungsund<br />
Marketingmodelle speziell auf die Fleischwirtschaft zugeschnitten sind und in welchen<br />
Schritten sich Informations- und Dienstleistungsagenturen auf der Basis unterschiedlicher<br />
Geschäftsmodelle zukünftig in Deutschland etablieren ließen.<br />
In sechs Kapiteln beschreiben die Autoren die Etappen vom <strong>Viehvermarkter</strong> <strong>zum</strong> <strong>Dienstleistungsprofi</strong><br />
und schlagen vor, welche technischen und organisatorischen Innovationen<br />
hierzu kombiniert und in Unternehmen implementiert werden sollten.<br />
Mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund aus Forschung und Praxis erzielte das<br />
AIDA-Team durch die komplementäre bundesweite Zusammenarbeit in nur drei Jahren greifbare<br />
und umsetzbare Ergebnisse. Sie legten damit den Grundstein für neue Geschäftsbereiche<br />
von Betreibergesellschaften. Beispielsweise bieten diese zukünftig spezielle Serviceangebote<br />
im stufenübergreifenden Gesundheitsmanagement an. Sie koordinieren Audits und<br />
Laboruntersuchungen oder zertifizieren den Gesundheitsstatus von Tierbeständen. Erstmals<br />
wird es hierzu zukünftig die Erzeugerstufe sein, die einen Standard festlegt. Er dient der<br />
Qualitätskommunikation zwischen Anbietern und Abnehmern von Schweinen. Die Experten<br />
aus der Wirtschaft sorgten dafür, dass die Erfordernisse der unternehmerischen Praxis in<br />
den wissenschaftlichen Modellen gebührend Berücksichtigung fand.<br />
Ohne eine Förderung aus dem BMELV-Innovationsprogramm wäre die Gemeinschaftsforschung<br />
nicht möglich gewesen. Die Entwicklungsarbeiten setzten einen beachtlichen Einsatz<br />
eigener Ressourcen voraus und waren für alle Beteiligten mit einem nicht zu unterschätzenden<br />
finanziellen und technischen Risiko verbunden. Daher gilt ein besonderer Dank dem<br />
Bundesministerium und dem Programmträger BLE für die Unterstützung in der Vorbereitungs-<br />
und Durchführungsphase des Verbundprojektes.<br />
Die in diesem Band vorgestellten Ergebnisse der Konzeption, Entwicklung und Erprobung<br />
helfen, die unterschiedlichen Dimensionen verflochtener Innovationsprozesse im Sektor<br />
Fleisch zu erkennen und strategische Elemente für den Handlungsbedarf von Viehhandelsunternehmen,<br />
öffentlichen Organisationen und der Wissenschaft aufzuzeigen. Auf zahlreichen<br />
in diesem Buch angesprochenen Aktionsfeldern sehen sich der Deutsche Raiffeisenverband<br />
und die Forschungsplattform <strong>GIQS</strong> als Katalysatoren und Multiplikatoren für den<br />
Wissenstransfer aus der Forschung in die Wirtschaft.<br />
Manfred Nüssel<br />
Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes<br />
3
Inhalt<br />
Seite<br />
Vorwort 3<br />
Manfred Nüssel<br />
1. Viehvermarktung – Tradition und Zukunft 9<br />
Brigitte Petersen, Achim Spiller und Ludwig Theuvsen<br />
1.1 Strukturen in der Viehvermarktung 11<br />
Anja Voss und Ludwig Theuvsen<br />
1.2 Qualitätsverantwortung in der Wertschöpfungskette 14<br />
Detert Brinkmann und Brigitte Petersen<br />
I. Wissenschaftlicher Hintergrund<br />
2. Strategien und vernetzte Geschäftsprozesse 21<br />
Ludwig Theuvsen<br />
2.1 Umfeldanalyse und Stärken-Schwächen-Profil 23<br />
des genossenschaftlichen Viehhandels<br />
Anja Voss, Ludwig Theuvsen und Mechthild Frentrup<br />
2.2 Geschäftsmodelle im Viehhandel: Eine Bestandsaufnahme 43<br />
Ludwig Theuvsen, Anja Voss und Mechthild Frentrup<br />
2.3 Organisation von Geschäftsprozessen im genossenschaftlichen Viehhandel 54<br />
Anja Voss und Ludwig Theuvsen<br />
2.4 Lieferantenmarketing im Viehhandel: Gestaltungsalternativen<br />
und Potentiale einer überbetrieblichen Zusammenarbeit 71<br />
Janina Müller, Anja Voss und Ludwig Theuvsen<br />
3. Gebündeltes Kundenbeziehungsmanagement und Logistik 87<br />
Achim Spiller<br />
3.1 Zukunftsperspektiven der zweistufigen Viehvermarktung 89<br />
Stephanie Schlecht, Achim Spiller und Birgit Schulze<br />
3.2 Positionierungsmodelle in der genossenschaftlichen Viehvermarktung 100<br />
Stephanie Schlecht, Daniel Gieseke und Achim Spiller<br />
3.3 Kundensegmente im genossenschaftlichen Viehhandel 110<br />
Stephanie Schlecht und Birgit Schulze<br />
5
3.4 Zwischen Technikbegeisterung und Widerständen der Außendienst mannschaft:<br />
Customer Relationship Management in mittelständischen<br />
Viehhandelsorganisationen 125<br />
Achim Spiller, Stephanie Schlecht und Julian Voss<br />
3.5 Dienstleistungsqualität in genossenschaftlichen Vermarktungsunternehmen 140<br />
Stephanie Schlecht, Teresa Gockeln und Achim Spiller<br />
4. Koordiniertes Gesundheits- und Risikomanagement 153<br />
Brigitte Petersen<br />
4.1 Koordinationsaufgaben im überbetrieblichen Gesundheitsmanagement 155<br />
Verena Schütz und Brigitte Petersen<br />
4.2 Dienstleistungskomplexität und -intensität 175<br />
Verena Schütz, Adriane Mack und Brigitte Petersen<br />
4.3 Planungsmodell für <strong>Viehvermarkter</strong> 189<br />
Verena Schütz und Brigitte Petersen<br />
4.4 Reifegrad von Informations- und Kommunikationsdienstleistungen 206<br />
im überbetrieblichen Gesundheitsmanagement<br />
Stefanie Slütter, Verena Schütz, Brigitte Petersen und Detert Brinkmann<br />
II.<br />
Praxisorientierte Anwendung<br />
5. Technische und organisatorische Innovationen 214<br />
Adriane Mack<br />
5.1 Allianzen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft als Innovationsmotor 215<br />
Maren Bruns, Adriane Mack und Martin Hamer<br />
5.2 IT-Lösungen zur Umsetzung von Customer Relationship<br />
Management-Strategien in der Viehvermarktung 228<br />
Achim Spiller, Stephanie Schlecht und Bernd Kollmer<br />
5.3 Kennzahlensysteme für Performance Measurement und<br />
Benchmarking im Viehhandel 246<br />
Mechthild Frentrup, Rudolf Festag, Heinrich Speckmann,<br />
Anja Voss und Ludwig Theuvsen<br />
5.4. Organisationskonzepte und ihre Bewertung im Viehhandel 261<br />
Ludwig Theuvsen und Anja Voss<br />
6
5.5 Kommunikationskonzepte zwischen regionalen und<br />
bundesweiten Dienstleistungsagenturen 276<br />
Brigitte Petersen, Detert Brinkmann, Stefanie Slütter, Bernd Kollmer,<br />
Rudolf Festag und Achim Münster<br />
III.<br />
Anhang<br />
Autoren und Kontakte 289<br />
7
1. Viehvermarktung – Tradition und Zukunft<br />
Brigitte Petersen, Achim Spiller und Ludwig Theuvsen<br />
Der Strukturwandel in der deutschen Fleischwirtschaft hat sich in den letzten Jahren direkt<br />
und indirekt auch auf jene Unternehmen ausgewirkt, die sich auf die Vermarktung von<br />
Ferkeln und Kälbern sowie Zucht- und Schlachttieren spezialisiert haben. Auch für sie gilt,<br />
stärker als bisher zu kooperieren, um mit dem gestiegenen Wettbewerb Schritt zu halten.<br />
Im Vergleich zu anderen EU-Ländern ist die Fleischwirtschaft hierzulande traditionell von<br />
der sog. „Zweistufigkeit“ geprägt. Dies bedeutet, Schlachthöfe erhalten die Tiere nicht<br />
direkt vom landwirtschaftlichen Betrieb, sondern Viehhandelsorganisationen bündeln meist<br />
regionale Herkünfte und übernehmen den Transport und die Vermarktung an nationale und<br />
internationale Kunden. Die gleiche Aufgabe übernehmen sie darüber hinaus in der Kunden-<br />
Lieferanten-Beziehung zwischen Aufzucht- und Mastbetrieben.<br />
Die Einführung des neuen EU weiten allgemeinen Lebensmittelrechts gab den Anstoß,<br />
sich weiteren Herausforderungen im überbetrieblichen Qualitätsmanagement Fleisch erzeugender<br />
Ketten aktiv zu stellen. Dies zeigt sich in einer wachsenden Bereitschaft, ein höheres<br />
Maß an Qualitätsverantwortung zu übernehmen. Verbunden ist dies auch mit der Erweiterung<br />
des Aufgabenbereichs innerhalb der Wertschöpfungskette. Von besonderer Bedeutung<br />
sind sektorspezifische Dienstleistungen zur Unterstützung von Tier haltenden Betrieben im<br />
überbetrieblichen Gesundheits- und Risikomanagement sowie die Koordination des Informationsaustauschs<br />
zwischen unterschiedlichen Akteuren der Kette. Vor diesem Hintergrund<br />
befasst sich das einführende Kapitel des Buchs mit Ergebnissen der Analyse der Struktur<br />
des Viehhandels in Deutschland und den zukünftigen Verantwortungsbereichen innovativer<br />
Dienstleister in Fleisch erzeugenden Ketten.<br />
Auf dem Weg vom traditionellen <strong>Viehvermarkter</strong> <strong>zum</strong> <strong>Dienstleistungsprofi</strong> sind Richtungsweiser<br />
und Orientierungspunkte gefragt. Beide zu erkennen, ist Anliegen des Buches.<br />
Es beschreibt in den unterschiedlichen Kapiteln einen Weg, zu dem unterschiedliche technische<br />
und organisatorische Innovationen gehören. Es handelt sich um Lösungsansätze, die<br />
von der heutigen Situation ausgehend nicht nur mittelfristig, sondern langfristig wirksam<br />
und zukunftsweisend sein werden. In den nachfolgenden Kapiteln werden die wesentlichen<br />
Diskussionspunkte und Erkenntnisse des Verbundprojektes AIDA (Allianz für Informationsund<br />
Dienstleistungsagenturen) in kompakter und verständlicher Form präsentiert.<br />
Unser Dank als Projektleiter der Studie sowie als Herausgeber und Mitautoren des Buches<br />
gilt insbesondere den Initiatoren, strategischen Beratern und Wegbereitern im Deutschen<br />
Raiffeisenverband, in der Forschungs- und Entwicklungsplattform <strong>GIQS</strong> sowie im Bundesministerium<br />
für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz (BMELV).<br />
Weiterhin bedanken wir uns für die kompetente und einsatzfreudige Mitarbeit der Arbeitsgruppenleiter,<br />
Projektpartner und Mitautoren. Nicht zuletzt danken wird dem <strong>GIQS</strong>-<br />
Team für die tatkräftige Mithilfe bei der Erstellung des Buches.<br />
9
1.1 Strukturen in der Viehvermarktung<br />
Anja Voss und Ludwig Theuvsen<br />
Landwirten stehen verschiedene Wege offen, ihr Schlacht- und Nutzvieh zu vermarkten. Die<br />
wesentlichen Optionen sind neben dem Aufbau direkter Geschäftsbeziehungen zu Abnehmern<br />
die Beteiligung an Viehverwertungs- bzw. -vermarktungsgenossenschaften (VVG)<br />
oder Erzeugergemeinschaften (EZG) sowie die Einschaltung von Organisationen des privaten<br />
Viehhandels (Schütz 2009). Vorliegende Untersuchungen zur Schlachtviehvermarktung<br />
zeigen, dass in der deutschen Fleischwirtschaft die zweistufige Vermarktung, bei der die<br />
Schlachttiere von den Landwirten nicht unmittelbar an Schlachtunternehmen, sondern<br />
unter Einschaltung von Organisationen des privaten oder genossenschaftlichen Viehhandels<br />
vermarktet werden, dominiert. Folgt man der – allerdings nicht mehr ganz aktuellen –<br />
Untersuchung von Traupe (2002), so liefern beispielsweise in Niedersachsen nur 7,4% der<br />
Landwirte ihre Schlachtschweine direkt an Schlachthöfe, während 34,3% auf den privaten<br />
und sogar 58,3% auf VVG und EZG vertrauen.<br />
Bündeln und vermarkten<br />
Primäre Aufgaben des Viehhandels sind die Bündelung von Nutz- und Schlachtvieh<br />
sowie die Vermarktung der Tiere an Abnehmer (Theuvsen und Recke 2008); er übernimmt<br />
damit klassische Handelsfunktionen wie die Raumüberbrückungs-, die Preisausgleichssowie<br />
die Markterschließungsfunktion (Seyffert 1972). Daneben können weitere Aufgaben<br />
– von der Versorgung der Landwirte mit notwendigen Betriebsmitteln über die Gewährung<br />
von Krediten und die Unterstützung landwirtschaftlicher Betriebe bei der Qualitätssicherung<br />
bis <strong>zum</strong> Betrieb eigener Schlachthöfe – wahrgenommen werden (Theuvsen und Franz<br />
2007).<br />
Genossenschaftliche Viehhandelsorganisationen sind „Gesellschaften von nicht geschlossener<br />
Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft<br />
ihrer Mitglieder … durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern“ (§ 1 Abs.<br />
1 GenG – Genossenschaftsgesetz). Der gesetzlich festgelegte Förderauftrag kann nach<br />
Lamprecht (2005) im Wege einer ökonomischen oder einer ideellen Mitgliederförderung<br />
verfolgt werden. Die ökonomische Förderung kann als finanzielle Förderung, z.B. in Form<br />
einer am Umsatz orientierten Rückvergütung an Mitglieder sowie als leistungsmäßige Förderung,<br />
beispielsweise durch kostenlose Mitgliederbetreuung und -beratung, erfolgen. Die<br />
ideelle Förderung besteht in der Verfolgung der Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverantwortung<br />
und Selbstverwaltung (Beuthien 1990; Rhodes 1983). Neben der Mitgliederförderung<br />
sind Genossenschaften – in aller Regel gestützt auf entsprechende Regelungen in ihren<br />
Satzungen – auch Nichtmitgliedergeschäfte möglich (Lamprecht 2005).<br />
EZG sind gemäß § 1 Abs. 1 des Marktstrukturgesetzes (MarktStrG) „Zusammenschlüsse<br />
von Inhabern landwirtschaftlicher … Betriebe, die gemeinsam den Zweck verfolgen,<br />
die Erzeugung und den Absatz den Erfordernissen des Markts anzupassen“. EZG können<br />
grundsätzlich in jeder Rechtsform betrieben werden; die für eine Förderung durch die<br />
Landesbehörden notwendige Anerkennung ist allerdings an bestimmte Voraussetzungen,<br />
u.a. die Rechtsform einer juristischen Form des Privatrechts (§ 3 Abs. 1 Ziff. 1 MarktStrG),<br />
geknüpft. Ausdrücklich wird die Möglichkeit, eine EZG in der Rechtsform einer Genossenschaft<br />
zu führen, anerkannt (§ 3 Abs. 1 Ziff. 4 MarktStrG). Aufgrund der Verfolgung eines<br />
gemeinsamen Zwecks im Interesse der beteiligten Betriebe werden EZG häufig unabhängig<br />
11
von der gewählten Rechtsform dem genossenschaftlichen Viehhandel zugerechnet (z.B.<br />
Theuvsen und Recke 2008).<br />
Der private Viehhandel bildet eine dritte Gruppe von Organisationen innerhalb des Viehhandels.<br />
Er umfasst Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht, jedoch ohne besonderen<br />
Förderzweck oder Mitgliedschaft der Landwirte. Die dem privaten Viehhandel zuzurechnenden<br />
Unternehmen werden oft, jedoch nicht immer durch den jeweiligen Inhaber geführt.<br />
Viehhändler, Viehtransportunternehmen und Viehsammelstellen müssen durch die zuständige<br />
Behörde zugelassen werden, wenn der Betrieb Schlacht- bzw. Nutzvieh gewerbsmäßig<br />
unmittelbar oder über Dritte kauft sowie diese Nutz- bzw. Schlachttiere innerhalb<br />
von 30 Tagen nach dem Erwerb wieder verkauft oder in einen anderen Betrieb umsetzt<br />
(§ 12 ViehVerkV – Viehverkehrsverordnung). Die <strong>zum</strong> Viehhandel zugelassenen Organisationen<br />
können den Internetseiten der Tierseuchenabteilung des Bundesministeriums für<br />
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) entnommen werden. Gegenwärtig<br />
enthält diese Datei ungefähr 4.500 Unternehmen. Da jedoch vermutet werden musste,<br />
dass nicht alle zugelassenen Unternehmen noch am Markt aktiv sind, wurde ausgehend<br />
von der durch das BMELV bereitgestellten Liste zwischen Mai und Juni 2009 im Wege einer<br />
Vollerhebung eine eigene empirische Untersuchung durchgeführt. Nach der Bereinigung<br />
der Liste um Doppelerfassungen u.ä. verblieben 3.209 Viehhandelsunternehmen. Von 332<br />
Unternehmen (10,3%) konnten keine Kontaktdaten ermittelt werden; weitere 550 Unternehmen<br />
(17,2%) wurden trotz mehrmaliger Versuche nicht erreicht. Von beiden Gruppen muss<br />
angenommen werden, dass sie nicht mehr als Viehhändler aktiv sind. 1.078 Unternehmen<br />
(33,6%) haben an der Befragung teilgenommen; von ihnen hatten 422 die Geschäftstätigkeit<br />
in den zurückliegenden Jahren aufgegeben. Von den verbleibenden Unternehmen waren<br />
547 im Haupterwerb und 87 im Nebenerwerb als Viehhändler tätig (keine Angabe: 22).<br />
Weitere 1.105 Unternehmen (34,4%) zeigten kein Interesse an der Befragung; die restlichen<br />
144 Unternehmen (4,5%) waren inaktiv oder gehörten der betrachteten Branche nicht<br />
(mehr) an. Folgt man den Ergebnissen der empirischen Untersuchung, so muss gegenwärtig<br />
von höchstens etwa 1.700 bis 1.750 tatsächlich aktiven Viehhändlern in Deutschland<br />
ausgegangen werden, von denen sich rund 38% an der Befragung beteiligt haben.<br />
12<br />
Trends erkennen<br />
In der Stichprobe dominiert die Organisationsform des privaten Viehhandels (84,1%),<br />
gefolgt von VVG (7,7%) und EZG (5,5%). Das älteste noch aktive Viehhandelsunternehmen<br />
nahm 1851, das jüngste 2009 seinen Betrieb auf. 23,6% der befragten Unternehmen<br />
existieren seit mehr als 60 Jahren. Knapp 45% der befragten Betriebe sind Ein-Mann-<br />
Unternehmen und insgesamt 76% haben nicht mehr als 10 Beschäftigte; sie sind im Sinne<br />
der EU-Bestimmungen als Kleinstunternehmen zu kennzeichnen (European Commission<br />
2003). Lediglich rund 2,3% der Befragten weisen 50 oder mehr Beschäftigte auf und sind<br />
daher nicht mehr der Gruppe der Kleinunternehmen zuzurechnen. 40,4% der Unternehmen<br />
beschäftigen Vollzeitkräfte; im Durchschnitt sind dies 14,7 Mitarbeiter je Betrieb. 30,4%<br />
der Unternehmen setzen durchschnittlich 3,2 <strong>Teil</strong>zeitkräfte ein.<br />
8,7% der Unternehmen in der Stichprobe handeln ausschließlich mit Schlachtvieh;<br />
knapp 7,9% nur mit Nutzvieh. Schlacht- und Nutzviehhandel geben rund 77% der befragten<br />
Unternehmen als Geschäftsfelder an (Rest: keine Antwort). Insgesamt wird Nutzvieh<br />
von 85% und Schlachtvieh von knapp 86% der Viehhändler gehandelt. Daneben werden<br />
von vielen Viehhändlern weitere Funktionen wahrgenommen, vor allem die Schlacht- oder<br />
Nutzviehlogistik (76,3% der Unternehmen) sowie Dienstleistungen rund um die Schlachtung,<br />
etwa Schlachtüberwachung, Schlachtabrechnungskontrolle und Schlachtdatenüber-
mittelung (55,4%). Verwaltungstätigkeiten, z.B. Rechnungslegung und HIT-Meldungen,<br />
werden von etwa der Hälfte der Viehhändler als Dienstleistung angeboten. Nur knapp jedes<br />
zehnte Unternehmen ist in der Vermarktung von Betriebsmitteln, Genetik oder Sperma<br />
oder der Vermittlung von Finanzdienstleistungen, Krediten, Warenversicherungen oder Kreditausfallversicherungen<br />
engagiert.<br />
Im Nutzviehbereich handeln 71,6% und im Schlachtviehbereich 73,9% der befragten<br />
Unternehmen mit Rindern. Ferkel und Zuchtschweine verkaufen 51,7%, Schlachtschweine<br />
57,3% der Betriebe. Vereinzelt werden im Nutzviehbereich auch Schafe (4,9%), Pferde<br />
und Geflügel (4,3%) verkauft; Schlachtgeflügel handeln 2,7% der in der Stichprobe vertretenen<br />
Viehhandelsunternehmen. Im Schlachtviehbereich kommen die Unternehmen auf<br />
durchschnittliche jährliche Verkaufszahlen von 5.042 Rindern, 80.824 Schweinen sowie 2,9<br />
Mio. Stück Geflügel. Die Spannweiten sind bei allen Tierarten sehr groß; sie reichen von<br />
10 bis 400.000 Rindern, von 5 bis 1,8 Mio. Schweinen sowie von 300 bis 30 Mio. Stück<br />
Schlachtgeflügel. Der Verkauf von Schlachtpferden (im Durchschnitt 495 Tiere/Betrieb und<br />
Jahr) und der Handel mit Schafen (im Jahresdurchschnitt 9.153 Tiere pro Betrieb) sind nur<br />
Randgeschäfte.<br />
93,6% der befragten Unternehmen geben Landwirte, 33,3% VVG und EZG sowie 23,2%<br />
den privaten Viehhandel als Beschaffungsquellen an. 68,4% der Viehhändler kaufen Tiere<br />
ausschließlich von Landwirten. Der Verkauf von Schlachttieren erfolgt bei 93% der Viehhändler<br />
direkt an Schlachthöfe. 29,1% der Unternehmen verkaufen ihre Tiere ebenfalls an<br />
VVG und EZG und 34,6% auch an private Viehhändler.<br />
Bemerkenswert ist die Dominanz von VVG und EZG in der Stichprobe. Im Bereich der<br />
Schlachtschweinevermarktung sind die drei größten Unternehmen VVG bzw. EZG; sie vermarkten<br />
jeweils zwischen 1,2 und 1,8 Mio. Tiere pro Jahr. Bei den Rindern ist das größte<br />
Unternehmen (400.000 Schlachtrinder pro Jahr) zwar eine Organisation des privaten Viehhandels;<br />
auf den nächsten Plätzen folgen jedoch wiederum fünf VVG und EZG mit jeweils<br />
60.000 bis 130.000 verkauften Schlachtrindern pro Jahr.<br />
Regionen stärken<br />
Der Viehhandel ist auf den engen Kontakt mit Landwirten und Schlachtunternehmen<br />
angewiesen; die meisten der befragten Unternehmen haben daher ihren Standort in den<br />
Zentren der Erzeugung tierischer Nahrungsmittel. 27,5% der befragten Händler sind in<br />
Bayern, 25% in Niedersachsen und 13,4% in Nordrhein-Westfalen beheimatet; Haupteinzugsgebiete<br />
sind Niedersachsen, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.<br />
Vereinzelt werden vor allem Ferkel und Zuchtrinder auch im angrenzenden Ausland zugekauft.<br />
Im Schnitt handeln die Unternehmen in zwei Bundesländern und 18 Landkreisen;<br />
dabei korrelieren die Verkaufszahlen nicht mit der Größe der Einzugsgebiete der Unternehmen.<br />
Die Untersuchungsergebnisse zeigen ferner, dass nur rund 5% der Viehhändler eine<br />
Pflicht zur Andienung der gesamten Produktion kennen, während 8,1% der Unternehmen<br />
ihren Landwirten eine vollständige Abnahmegarantie geben. Die Andienung eines <strong>Teil</strong>s der<br />
Produktion, z.B. aller im Betrieb produzierten Schweine, erwarten 7,6% der Unternehmen;<br />
knapp 12,6% der Viehhändler garantieren die Abnahme eines bestimmten <strong>Teil</strong>s der Produktion.<br />
79,3% der befragten Unternehmen verzichten auf eine Andienungspflicht; 71,4%<br />
sprechen keine Abnahmegarantie aus (Rest: keine Angabe).<br />
Der deutsche Viehhandel ist einem scharfen Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Dies hat<br />
zahlreiche Betriebsaufgaben zur Folge; auch werden trotz niedriger Markteintrittsbarrieren<br />
nur vergleichsweise wenige Unternehmen – bezogen auf die in die Untersuchung einbezo-<br />
13
genen Unternehmen nur rund fünf pro Jahr – neu gegründet. Zudem haben 10,4% der Viehhändler<br />
schon einmal mit einem anderen Viehhandelsunternehmen fusioniert und 10,7%<br />
bereits einen Wettbewerber aufgekauft.<br />
Insgesamt gewährt die durchgeführte empirische Studie Einblicke in eine strukturell<br />
äußerst heterogene Branche mit langer Tradition und Tätigkeitsschwerpunkten in den<br />
Hochburgen der Tierproduktion. Neben den insgesamt dominierenden großen VVG und<br />
EZG sind zahlreiche private, überwiegend kleinere Viehhandelsunternehmen am Markt aktiv.<br />
Der Strukturwandel in der Branche ist stark ausgeprägt; zu beobachten sind deutliche<br />
Konzentrationstendenzen sowie ein Trend zu überbetrieblichen Kooperationen, Aufkäufen<br />
und Fusionen. Namentlich die größeren Viehhandelsunternehmen sind bestrebt, ihr strategisches<br />
Profil zu schärfen, ihren Mehrwert in den Wertschöpfungsketten der Fleischwirtschaft<br />
ihren Geschäftspartnern deutlich zu machen und sich insgesamt eine tragfähige<br />
Wettbewerbsposition zu erarbeiten.<br />
Literatur<br />
Beuthien, V. (1990): Genossenschaftsrecht: woher – wohin? Hundert Jahre Genossenschaftsgesetz<br />
1889-1989. Göttingen.<br />
European Commission (2003): Commission Recommendation 2003/361/EC of 6 May 2003<br />
concerning the definition of micro, small and medium-sized enterprises. In: Official Journal<br />
of the European Union L 124, 20. Mai 2003, S. 36.<br />
Lamprecht, D. (2005): Genossenschaftsbanken – Zwischen Auftrag und Wettbewerb. In: Eildienst<br />
Landkreistag NRW, Nr. 11/2005, S. 395-397.<br />
Rhodes, V. J. (1983): The Large Agricultural Cooperative as a Competitor. In: American Journal<br />
of Agricultural Economics, 65. Jg., S. 1090-1095.<br />
Schütz, V. (2009): Modell zur Planung von Dienstleistungen für das überbetriebliche Gesundheitsmanagement<br />
in der Fleischwirtschaft. Dissertation, Bonn.<br />
Seyffert, R. (1972): Wirtschaftslehre des Handels. Opladen.<br />
Theuvsen, L. und Franz, A. (2007): The Role and Success Factors of Livestock Trading Cooperatives:<br />
Empirical Evidence from German Pork Production. In: International Food and Agribusiness<br />
Management Review, 10. Jg., H. 3, S. 90-112.<br />
Theuvsen, L. und Recke, G. (2008): Horizontale Kooperationen in der Schlachtschweinevermarktung:<br />
Empirische Ergebnisse aus Nordwestdeutschland. In: Spiller, A. und Schulze, B.<br />
(Hrsg.): Zukunftsperspektiven der Fleischwirtschaft. Verbraucher, Märkte, Geschäftsbeziehungen,<br />
Göttingen, S. 73-95.<br />
Traupe, C. (2002): Schlachtschweinevermarktung in Niedersachsen: Stand, Defizite, Entwicklungsmöglichkeiten.<br />
Göttingen.<br />
14
1.2 Qualitätsverantwortung in der Wertschöpfungskette<br />
Detert Brinkmann und Brigitte Petersen<br />
Innerhalb der Wertschöpfungskette Fleisch ist kaum ein anderer Bereich so abhängig vom<br />
Wissens- und Informationsaustausch wie das unternehmensübergreifende Qualitätsmanagement.<br />
Ohne Organisationen, die die Qualitätskommunikation zwischen den Stufen der<br />
Kette koordinieren, ist ein produktionsbegleitender Informationsaustausch kaum denkbar.<br />
Dabei besteht eine enge Wechselwirkung zwischen Informationssystemen und Organisationsformen.<br />
Informationssysteme beinhalten immer Leitbilder von Organisationen, die<br />
explizit oder implizit für bestimmte Aufgaben zugrunde gelegt werden. Die traditionelle<br />
zweistufige Schlachttiervermarktung in Deutschland, in der der Viehhandel, Viehvermarktungsgenossenschaften<br />
und Erzeugergemeinschaften diverse Dienstleistungen übernehmen,<br />
sieht sich zunehmend in der Verantwortung, die Qualitätskommunikation zwischen<br />
Primärproduktion und Fleischerzeugung Seite zu koordinieren.<br />
Dabei sind im Wesentlichen drei Hürden zu überwinden:<br />
• der hohe Abstimmungsbedarf aufgrund der Position zwischen Tier haltenden<br />
Betrieben sowie Schlacht- und Verarbeitungsunternehmen,<br />
• die ausgeprägte Volatilität des Marktes, die zu einer hohen Dynamik der<br />
Geschäftsbeziehungen führt und<br />
• die durch veraltete finanzielle Anreizsysteme in der Branche bisher nicht<br />
ausreichend entwickelten Steuerungs- und Koordinationsmechanismen.<br />
Erschwerend hinzu kam lange Zeit das Fehlen von Anreizen <strong>zum</strong> Aufbau wettbewerbsfähiger<br />
Strukturen im Nutz- und Schlachtviehhandel für die Koordination von Dienstleistungen<br />
im überbetrieblichen Qualitätsmanagement. Auf europäischer Ebene sind die Entwicklungen<br />
im Bereich der Qualitätskoordination entlang der Schweinefleisch erzeugenden<br />
Kette insbesondere in exportorientierten Mitgliedsstaaten weiter fortgeschritten (Brinkmann<br />
et al. 2010). Erst in jüngster Zeit hat, unter dem Eindruck des sich verschärfenden<br />
Wettbewerbs zwischen konkurrierenden Vertriebswegen für Schlachtvieh, allmählich ein<br />
Umdenken in Deutschland eingesetzt. Man sieht sich durchaus in der Rolle eines Netzwerkkoordinators<br />
(Petersen et al. 2007) mit einem Portfolio neuer Aktionsfelder.<br />
Kooperieren und koordinieren<br />
Während sich in anderen Branchen spezialisierte Unternehmen als „eine Art“ von Netzwerkkoordinatoren<br />
auf das Management von Wertschöpfungsketten und Lieferantenbeziehungen<br />
bereits seit Jahren etabliert haben (Krüger 2002), befinden sie sich in der Fleischwirtschaft<br />
erst im Aufbau.<br />
Aufgrund der rasanten Marktentwicklung wurde ein dringender Bedarf zur Stärkung der<br />
wirtschaftlichen Innovationskraft der Fleischwirtschaft in Deutschland gesehen und eine<br />
Initiative gestartet, um in Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft Problemlösungsstrategien<br />
zu entwickeln (Nüssel 2007a; 2007b). Als Dachverband aller agrarund<br />
ernährungswirtschaftlichen Raiffeisengenossenschaften in Deutschland spricht sich<br />
der Deutsche Raiffeisenverband e.V. ausdrücklich für eine Bündelung der Dienstleistungen<br />
auf der Stufe der genossenschaftlichen Viehvermarktung aus, um die Landwirtschaft, die<br />
Schlachtunternehmen, den Lebensmittelhandel und in dieser Konsequenz auch die Verbraucher<br />
mit einer optimierten Produktqualität zu bedienen sowie die internationale Wettbewerbsfähigkeit<br />
der Wertschöpfungskette auszubauen (Nüssel 2007a; 2007b).<br />
15
16<br />
Die Nahtstelle zwischen Primärproduktion und Fleischerzeugung ist ein neuralgischer<br />
Punkt im stufenübergreifenden Qualitätsmanagement. Die internationale Literatur zeigt,<br />
dass seit jeher die Schlachtunternehmen zur Wertschöpfung auf die Vorleistungen in der<br />
Qualitätssicherung ihrer Lieferanten angewiesen sind (den Ouden et al. 1996; Hornibrook<br />
und Fearne 2005; Lawrence et al. 2001). In den letzten Jahren konzentrieren sich eine<br />
Reihe von Schlacht- und Zerlegebetrieben zunehmend auf ihre Kernkompetenzen, fordern<br />
aber gleichzeitig immer mehr qualitätssichernde Leistungen von ihren Lieferanten (Petersen<br />
et al. 2007). Inzwischen fast flächendeckend eingeführte Qualitätszertifizierungen in<br />
der Fleischwirtschaft, wie auch das Größenwachstum der Schlachtunternehmen, eröffnen<br />
Alternativen zu einer stärker vertikal koordinierten Fleischwirtschaft (Schulze et al. 2006a;<br />
2006b; Spiller et al. 2005). Darüber hinaus werden in empirischen Untersuchungen Akzeptanzprobleme<br />
bei derzeit bekannten Formen der Vertragslandwirtschaft auf Seiten der<br />
Landwirte deutlich (Furesi et al. 2006; Key und McBride 2003; Roe et al. 2004; Schulze<br />
et al. 2007). Wie auch in anderen Branchen entsteht somit, bezogen auf diese Nahtstelle<br />
der Zulieferkette, ein neues Aufgabenfeld für Netzwerkkoordinatoren. Die Vorteile der<br />
Nutzung eines Netzwerkkoordinators für diese Aufgaben des überbetrieblichen Qualitätsmanagements<br />
sind unter anderem eine Steigerung der Flexibilität auf Seiten der Fleischproduzenten,<br />
Risikoverschiebung <strong>zum</strong> Netzwerkkoordinator und Schnittstellenminimierung<br />
(Petersen et al. 2007). Zudem werden eine Einsparung von Transaktionskosten und die<br />
Konzentration der einzelnen Netzwerk-Partner auf die jeweiligen Kernkompetenzen ermöglicht.<br />
Wollen <strong>Viehvermarkter</strong> als Netzwerkkoordinatoren ihre Relevanz am Markt langfristig<br />
erhalten und ausbauen, müssen sie trotz der kleinen und mittelständischen Strukturen<br />
Wege finden, komplementäre Aufgaben und Dienstleistungen effizient zu bündeln, insbesondere<br />
vor dem Hintergrund der steigenden Konzentration von Zuchtunternehmen und<br />
Fleischproduzenten, aber auch des Größenwachstums landwirtschaftlicher Betriebe. Angesichts<br />
dieses Strukturwandels besteht prinzipiell die Gefahr der so genannten Disintermediation<br />
(Ahlert et al. 2001; Zerdick et al. 2001), d.h. der Ausschaltung von Zwischenstufen<br />
in der Wertschöpfungskette, speziell der Großhandelsfunktion, die die EZGs und VVGs<br />
bislang überwiegend wahrnehmen. Die Entwicklung innovativer Dienstleistungsangebote<br />
und die Übernahme der Funktion eines Netzwerkkoordinators stellen hierbei aus Sicht der<br />
genossenschaftlichen Viehvermarktung einen zentralen Erfolgsfaktor dar. Im Einzelnen<br />
sind dabei Maßnahmen im Bereich des Customer Relationship Managements (CRM) von<br />
Bedeutung, das bislang sowohl in der agrarökonomischen Forschung als auch in der Praxis<br />
des Agribusiness kaum Beachtung findet (Torres et al. 2007). CRM (bzw. Geschäftsbeziehungsmanagement)<br />
ist ein umfassendes Konzept <strong>zum</strong> Aufbau nachhaltiger Kunden-Lieferanten-Beziehungen,<br />
das verschiedene organisatorische (z.B. Anreizmechanismen) und<br />
DV-technische Bausteine umfasst.<br />
Die Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken der zweistufigen Schlachtviehvermarktung<br />
in der deutschen Fleischwirtschaft werden im Kontext wissenschaftlicher<br />
Betrachtungen sehr unterschiedlich bewertet (Enting und Zonderland 2006; Luning et al.<br />
2002; Schulze et al. 2006a; 2006b; 2007; Windhorst 2004). Einig ist man sich allerdings<br />
darüber, dass in Deutschland derzeit bei der Reorganisation von Abläufen, die aufgrund<br />
des neuen EU-Lebensmittelrechts, sektorweiter Qualitätsstandards oder steigender Kundenanforderungen<br />
erforderlich sind, sowohl erhebliche organisatorische als auch technische<br />
Defizite bestehen, die sich größtenteils gegenseitig bedingen (Doluschitz et al.2007;<br />
Fick und Doluschitz 2007; Schiefer 2005). Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den Aufbau<br />
überbetrieblicher Qualitäts-, Gesundheits- und Risikomanagementsysteme.
Die angestrebte Funktion als Netzwerkkoordinator auszufüllen bedeutet für die <strong>Viehvermarkter</strong><br />
drei Aktivitätsbereiche eines Dienstleistungsgebers neu zu gestalten. Hierzu<br />
zählen:<br />
• Die strategische und operative Planung im Qualitäts-, Gesundheits- und<br />
Risikomanagement der Dienstleistungsnehmer sowie im Customer Relationship<br />
Management,<br />
• Audit-, Dokumenten- und Maßnahmenmanagement als Bestandteile des<br />
Dienstleistungsprozesses sowie<br />
• die Pflege von technischen und organisatorischen Schnittstellen.<br />
Kundenorientiert planen<br />
Strategische Planung bezieht sich auf die Suche nach langfristig Erfolg versprechenden<br />
Tätigkeitsfeldern und Organisationsformen. Dies setzt eine umfassende Umfeld- und<br />
Marktanalyse unter Berücksichtigung aktueller und potentieller, zukünftiger Marktentwicklungen<br />
voraus. Die operative Planung dagegen dient der Umsetzung strategischer Ziele<br />
durch die Erfüllung konkreter Managementaufgaben, beispielsweise im Bereich der Logistik,<br />
wenn es darum geht, die kurz- bis mittelfristige Mengensteuerung vorzunehmen (Eisenführ<br />
und Theuvsen 2004; Hahn und Hungenberg 2001). Besondere Herausforderungen<br />
bestehen, logistische Prozesse zu optimieren und an die Anforderungen eines modernen<br />
Qualitäts-, Gesundheits- und Risikomanagements anzupassen.<br />
Andererseits müssen bereits in unterschiedlichster Form vorliegende, aber auch neu<br />
zu erhebende Informationen über die landwirtschaftliche Lieferantenbasis, den Kunden, zu<br />
einer Gesamtdatenbank zusammengeführt werden, um im Sinne eines Customer Relationship<br />
Managements diese Landwirte künftig auch als (Dienstleistungs-)Kunden nachhaltig<br />
binden zu können (Mendoza et al. 2007; Müller-Stewens und Lechner 2005; Reinartz et al.<br />
2004; Torres et al. 2007). Hierzu kann auf ein weites Methodenspektrum zur umfassenden<br />
Wettbewerbsstruktur- und Prozessanalyse zurückgegriffen werden, um den Ist-Zustand zu<br />
erheben und ungenutzte Wertschöpfungspotentiale zu identifizieren (Gülke 2004; Herrmann<br />
1998-2001; Kreilkamp 1987; Mauermann 2001; ).<br />
Zielgruppenspezifisch beraten und kontinuierlich verbessern<br />
Die Qualität der Beratungs- und Dienstleistungsprozesse definiert sich als die größtmögliche<br />
Erfüllung von expliziten und impliziten Kundenanforderungen innerhalb der<br />
Prozesskette. Hierbei wird klar definiert und festgehalten, wie die Kommunikation an den<br />
Schnittstellen auszusehen hat und welche Leistungen (z.B. Dokumentenerstellung) und<br />
Informationen im Sinne einer internen und externen Kunden-Lieferanten-Beziehung zu<br />
erbringen sind. Zur qualitätsorientierten Reorganisation der Beratungsstruktur gehört die<br />
Definition funktionsübergreifender Prozesse wie Auditierung, Dokumentation und Maßnahmenverfolgung<br />
zur kontinuierlichen Verbesserung und damit Absicherung der Beratungsleistungen.<br />
Mit der Schaffung von Organisationen, die überbetriebliche QM-Aufgaben für<br />
Tier haltende Betriebe im Qualitäts-, Gesundheits- und Risikomanagement koordinieren,<br />
verändern sich gleichzeitig auch die traditionellen Dienstleistungsangebote für diese Unternehmen<br />
(Mack 2007). Dabei erlauben Unterstützungswerkzeuge des prozessorientierten<br />
Qualitätsmanagements eine systematische, qualitative Absicherung und Verbesserung der<br />
Dienstleistungsprozesse durch die übergreifenden <strong>Teil</strong>prozesse:<br />
• Dokumenten-,<br />
• Audit- und<br />
• Maßnahmenmanagement.<br />
17
Technische und organisatorische Schnittstellen pflegen<br />
Das überbetriebliche Qualitätsmanagement in der Schweineproduktion zielt darauf ab,<br />
das gesamte Unternehmen, bzw. die Zulieferkette aus der Primärproduktion, mit all seinen<br />
Aufgabenbereichen, von der Produktion über die Administration bis zur Managementebene<br />
einzubinden. Ziel ist es unter anderem, rechtzeitig Fehler zu erkennen und Maßnahmen<br />
zur Fehlervermeidung einzuleiten. Fehler in der Schweinefleischproduktion rechtzeitig zu<br />
erkennen bedeutet, aufgrund der arbeitsteiligen Produktion sowie der Integration öffentlicher<br />
Stellen und dazugehöriger Datenquellen, mit einer Vielzahl von Partnern zu kommunizieren.<br />
Es können dies bis zu zehn Interessensgruppen sein (z.B. Partnerorganisationen),<br />
zu denen jeweils eine technische und organisatorische Schnittstelle aufgebaut oder – wenn<br />
bereits vorhanden – ständig aktualisiert und gepflegt werden sollte.<br />
In Bezug auf die Ausgestaltung der einzelnen technischen Schnittstellen besteht eine<br />
große Varianz. Dies hängt von den eingesetzten technischen Komponenten der Partner<br />
sowie der geringen Standardisierung ab. Dies führt dazu, dass Daten oft nur einem Bestimmungszweck<br />
zugeführt werden können. Derzeit laufen hierzu eine Reihe von Standardisierungsinitiativen,<br />
wie z.B. AgroISONET, AgroXML (Büscher 2006; Kunisch et al. 2007). In<br />
organisatorischer Hinsicht sind die unterschiedlichen Bindungsformen „vertraglich“, „treu<br />
ohne Vertrag“ und „wechselnde Kunden“ zu nennen. Bei den beiden letzt genannten fehlen<br />
die „rechtlichen“ Strukturen, um im Besonderen im Bereich des Datenaustausches eng<br />
verzahnt zu arbeiten (Petersen 2003; Petersen et al. 2007).<br />
Qualitätsverantwortung übernehmen<br />
Modernes Qualitätsmanagement (QM) in der Fleischproduktion übernimmt Verantwortung<br />
für die gesamte Produktionskette vom Futtermittel, über die landwirtschaftliche<br />
Produktion bis <strong>zum</strong> Konsumenten. Durch das auf europäischer Ebene modernisierte Lebensmittelrecht<br />
tritt der Food-Chain Ansatz im operativen QM immer stärker in den Vordergrund.<br />
Die inhaltliche Ausgestaltung dieses Rechtsrahmens äußert sich in Verordnungen,<br />
die die Eigenverantwortung und Kooperation von Produzenten im Bereich der Lebensmittelsicherheit<br />
und Tiergesundheit fordern und fördern. In der Schweineproduktion bilden<br />
sich derzeit neue wirtschaftsgetriebene Systeme heraus, die in Ihrer Ausrichtung dem theoretischen<br />
Ansatz umfassender risikoorientierter Konzepte folgen. Auf empirischer Basis<br />
lassen sich die neugeordneten Aufgaben und Akteure im stufenübergreifenden QM in der<br />
Lebensmittelproduktion in drei Management-Ebenen unterteilen (Brinkmann et al. 2010):<br />
• Normative Ebene<br />
• Strategische Ebene und<br />
• Operative Ebene.<br />
Die Unterteilung lehnt sich an das St. Gallener Management Modell (Dubs et al. 2004)<br />
und das „3-Ebenen Modell“ von Petersen und Mitautoren (2007) an.<br />
Der normativen Ebene werden Akteure zugeordnet, die Aufgaben im Bereich rechtlicher<br />
Anforderungen, Vorgaben aus Qualitätsstandards und die Zertifizierung repräsentieren.<br />
Auf strategischer Ebene werden beratende und konformitätsprüfende Funktionen erfüllt<br />
sowie in zentraler Rolle qualitätskoordinierende Tätigkeiten wahrgenommen.<br />
Auf operativer Ebene finden sich die Produzenten und deren Zulieferer von Vorleistungen.<br />
In der Realität sind häufig hochkomplexe Wertschöpfungsnetzwerke vorzufinden, die<br />
sich von der vielschichtigen Schweineproduktion bis <strong>zum</strong> Lebensmittelhandel immer stärker<br />
verdichten (Trienekens et al. 2009).<br />
18
Eine besondere Herausforderung besteht zukünftig darin, Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit<br />
im Rahmen des Qualitätsmanagements stärker miteinander zu verweben<br />
und auf diese Weise Risiken für Mensch und Tier zu vermeiden sowie Prävention und Tierschutz<br />
zu stärken – getreu dem Motto:“gesunde Tiere – gesunde Lebensmittel“. <strong>Viehvermarkter</strong><br />
sollten sich innerhalb der drei Management-Ebenen verantwortungsvoll platzieren<br />
und ihre Dienstleistungen dementsprechend ausrichten.<br />
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3. Aufl. Berlin.<br />
21
2. Strategien und vernetzte<br />
Geschäftsprozesse<br />
Ludwig Theuvsen<br />
Zukunftsorientierte Unternehmensgestaltung ist nicht nur in der deutschen Viehhandelsbranche,<br />
sondern in allen wettbewerbsintensiven Branchen das Gebot der Stunde. Im<br />
folgenden Kapitel des Sammelbandes „<strong>Vom</strong> <strong>Viehvermarkter</strong> <strong>zum</strong> <strong>Dienstleistungsprofi</strong>“<br />
sind daher Studien vertreten, in denen sich die Universität Göttingen überwiegend aus<br />
einer strategisch-organisatorischen Perspektive mit dem genossenschaftlichen Viehhandel<br />
befasst hat. Die Untersuchungen verfolgten den Zweck Bedrohungen, als auch Chancen<br />
zu analysieren. Bedrohungen entstehen aufgrund struktureller Veränderungen in den<br />
Wertschöpfungsketten, aber auch durch steigende Anforderungen u.a. an Tierschutz und<br />
Tierhygiene. Chancen bieten sich bspw. durch die Bündelung von mehr Schlachttieren.<br />
Insgesamt, so der Grundtenor der Analysen, muss sich der Viehhandel kritisch mit der<br />
eigenen Rolle innerhalb der Wertschöpfungsketten der Fleischwirtschaft sowie seinen<br />
Strategien, Organisationsstrukturen und Marketingkonzepten auseinandersetzen, um seine<br />
Zukunftsfähigkeit zu bewahren und zu verbessern.<br />
Wenn Unternehmen langfristig erfolgreich sein wollen, müssen sie über Wettbewerbsvorteile<br />
und damit eine dauerhaft tragfähige Position im Wettbewerb verfügen. Die Basis<br />
dafür schafft eine umfassende Analyse des Unternehmensumfelds. Im Beitrag „Umfeldanalyse<br />
und Stärken-Schwächen-Profil des genossenschaftlichen Viehhandels“ werden daher<br />
eine globale Umfeld- sowie eine Branchenanalyse durchgeführt. Auf dieser Grundlage<br />
werden die Stärken und Schwächen des genossenschaftlichen Viehhandels im Vergleich zu<br />
Organisationen des privaten Viehhandels herausgearbeitet. Die wichtigste Erkenntnis ist,<br />
dass genossenschaftlich organisierte Unternehmen über Wettbewerbsvorteile gegenüber<br />
privaten Viehhändlern verfügen und diese ausbauen können, bspw. durch Initiierung von<br />
Markenfleischprogrammen.<br />
Bei der Analyse des Unternehmensumfeldes wurde deutlich, unter welchem erheblichen<br />
Wettbewerbsdruck Viehhandelsorganisationen stehen. In dieser Situation ist eine<br />
konsistente und dem Marktumfeld angepasste Strategie unverzichtbar. Die Strategieformulierung<br />
vollzog sich im Viehhandel bislang eher als emergenter Prozess und weniger<br />
als langfristiger, systematischer Planungsprozess. Daher wurden Optionen für „Geschäftsmodelle<br />
im Viehhandel“ analysiert, die verschiedene Strategiealternativen einschließen.<br />
Als zentrales Ergebnis kann festgehalten werden, dass innerhalb des Viehhandels ein<br />
Strategiepluralismus vorherrscht, der durch die problemangepasste Kombination verschiedener<br />
Strategiebausteine gekennzeichnet ist. Darüber hinaus wurde deutlich, dass sich die<br />
Geschäftsmodelle der Viehhandelsunternehmen aufgrund begrenzter strategischer Handlungsspielräume<br />
stark ähneln.<br />
Die Geschäftsmodelle und Strategien einerseits sowie die Aufbau- und Geschäftsprozessorganisation<br />
von Unternehmen andererseits stehen immer in einem engen Zusammenhang.<br />
Auch die Organisationsstrukturen von Viehhandelsunternehmen müssen deshalb<br />
daraufhin überprüft werden, inwieweit sie den sich wandelnden Anforderungen gerecht<br />
werden. Deshalb werden im Beitrag „Organisation von Geschäftsprozessen im genossenschaftlichen<br />
Viehhandel“ die Kern- und Unterstützungsprozesse von Organisationen der<br />
betrachteten Unternehmen identifiziert. Hierbei steht eine Analyse der Kernaktivitäten<br />
der betrachteten Organisationen im Kunden-Lieferanten-Management, namentlich der<br />
23
24<br />
Prozess der Schlachtviehvermarktung, im Mittelpunkt. Die Betrachtung lässt weitreichende<br />
Gemeinsamkeiten der untersuchten Unternehmen hinsichtlich der Organisation der<br />
Geschäftsprozesse erkennen. Dies ist Ausdruck effizienter Organisationsstrukturen in den<br />
Unternehmen, deutet aber auch auf sehr begrenzte organisatorische Innovations- und<br />
Verbesserungspotentiale hin, durch die sich Unternehmen Wettbewerbsvorteile erarbeiten<br />
könnten.<br />
Neben der richtigen Positionierung im Markt darf die operative Seite des Geschäfts<br />
nicht vernachlässigt werden. Im Viehhandel sind vor allem die Beziehungen zu den Landwirten,<br />
die teils als Lieferanten von Schlacht- und Nutzvieh, teils aber auch als Kunden fungieren,<br />
von besonderer Relevanz. Deshalb wurde eine Studie zu „Lieferantenmarketing im<br />
Viehhandel: Gestaltungsalternativen und Potentiale einer überbetrieblichen Zusammenarbeit“<br />
durchgeführt. Im Tagesgeschäft ist das Erfassen, Kaufen und Bündeln von Schlachttieren<br />
und ggf. auch Nutzvieh mit guter und gleichbleibender Qualität essentiell für das<br />
Überleben eines Viehhandelsunternehmens. Zudem verfügen die Landwirte in aller Regel<br />
über verschiedene Optionen für die Vermarktung ihrer Tiere. Aus Sicht der Viehhandelsunternehmen<br />
ist es daher wichtig, eine enge, langfristige und stabile Bindung der landwirtschaftlichen<br />
Betriebe an das eigene Unternehmen aufzubauen. Daher wurde unter Orientierung<br />
an den Elementen des Marketing-Mix die Beziehung zwischen genossenschaftlichen<br />
Viehhandelsunternehmen und Landwirten untersucht. Verbesserungspotenziale wurden vor<br />
allem im Bereich der Lieferantenkommunikation deutlich. Da die für Kommunikationszwecke<br />
verfügbaren Ressourcen im Viehhandel sehr begrenzt sind, wurden die Möglichkeiten<br />
eines kooperativen, kostengünstigen und doch effektiven Lieferantenmarketings unter Nutzung<br />
des Internets ausgelotet.
2.1 Umfeldanalyse und Stärken-Schwächen-Profil des<br />
genossenschaftlichen Viehhandels<br />
Anja Voss, Ludwig Theuvsen und Mechthild Frentrup<br />
In dynamischen Wettbewerbsumgebungen, die von einem starken Wandel in allen Bereichen<br />
geprägt werden, sind eine adäquate Positionierung im Markt sowie der Ausbau der<br />
eigenen Wettbewerbsvorteile die Grundvoraussetzungen für den langfristigen Erfolg eines<br />
Unternehmens. Dies gilt insbesondere in stark konzentrierten Wertschöpfungsketten in<br />
denen selbst kleinste Innovationen oder Vorreiterpositionen den ausschlaggebenden Impuls<br />
für einen Mehrwert geben können. Diese Situation ist auch im deutschen Agribusiness<br />
gegeben. Das Agribusiness umfasst alle Wertschöpfungsstufen von den der Landwirtschaft<br />
vorgelagerten Bereichen (bspw. der Agrochemie) bis hin <strong>zum</strong> Lebensmitteleinzelhandel.<br />
Die Fleischwirtschaft ist hierbei mit 31,8 Mrd. Euro Umsatz und 108.500 Beschäftigten<br />
die wichtigste <strong>Teil</strong>branche (BMELV 2008). Traditionell dominiert in der deutschen Fleischwirtschaft<br />
eine zweistufige Vermarktung, bei der die landwirtschaftlichen Erzeuger das<br />
Schlachtvieh über den Zwischenhandel an die fleischverarbeitenden Unternehmen liefern.<br />
Momentan vollzieht sich in der Fleischwirtschaft ein tiefgreifender Strukturwandel, der sowohl<br />
die vorgeschaltete Stufe der landwirtschaftlichen Erzeugung als auch die nachgelagerte<br />
Stufe der Verarbeitungsindustrie betrifft. Dieser Prozess erhöht den Wettbewerbsdruck<br />
auf den mittelständisch geprägten Viehhandel und zwingt die Unternehmen, sich strategisch<br />
neu aufzustellen. Für die Formulierung einer erfolgreichen und konsistenten Strategie<br />
ist ein wesentlicher Schritt, einen fundierten Überblick über die innerbetriebliche Situation<br />
und die Positionierung des Unternehmens in der Branche zu gewinnen.<br />
Im folgenden Beitrag wird eine SWOT-Analyse des deutschen Viehhandels durchgeführt.<br />
Zu diesem Zweck werden zunächst eine globale Umfeldanalyse und eine Branchenanalyse<br />
vorgenommen. Sodann werden im Rahmen einer Stärken-Schwächen-Analyse die Viehvermarktungsgenossenschaften<br />
(VVG) und Erzeugergemeinschaften (EZG) einerseits sowie<br />
die Organisationen des privaten Viehhandels (priv. VH) andererseits einander gegenübergestellt.<br />
Auf der Grundlage dieser Analyse können Aussagen dazu gemacht werden, welche<br />
Strategien für die einzelnen Organisationsformen am besten geeignet sind.<br />
Methodischer Hintergrund<br />
Grundlage jeder Planung, ob operativ oder strategisch, ist die Analyse der Ausgangssituation,<br />
in der sich das zu untersuchende Objekt befindet. Dabei wird der Blick nicht nur<br />
auf die unternehmensinterne Situation gerichtet, sondern auch auf die Rolle, die eine Organisation<br />
im Markt spielt. Ein verbreitetes Werkzeug zur Situationsanalyse einer gesamten<br />
Organisation, aber auch einzelner Prozesse, Produkte oder anderer Betrachtungsobjekte<br />
ist die SWOT-Analyse (Analysis of Strengths, Weaknesses, Opportunities and Threats): Sie<br />
dient dazu, die Stärken und Schwächen einer Organisation (interne Sicht) und die Chancen<br />
und Risiken des Umfeldes (externe Sicht) in einem ganzheitlichen Ansatz zusammenzuführen<br />
und geeignete strategische Lösungsalternativen für die Erreichung der Ziele der<br />
Organisation abzuleiten. Sie ist ebenfalls dazu geeignet, geplante Projekte einer Organisation<br />
zu evaluieren sowie Empfehlungen zur Ausrichtung der Unternehmensstrukturen<br />
und der weiteren Entwicklung der Geschäftsprozesse zu geben. Als Ergebnis der Analyse<br />
sollen Strategien und Lösungswege entwickelt werden, die dabei helfen, die Stärken der<br />
Organisation weiter auszubauen, die Schwächen zu beseitigen und auf diesem Weg die<br />
25
Zukunftschancen, die sich bieten, zu nutzen. So kann die Entscheidung des Managements<br />
lauten, Stärken mit Chancen zu kombinieren (Matchingstrategie), Risiken oder Schwächen<br />
in Stärken und Chancen umzuwandeln (Umwandlungsstrategie) oder die Schwächen und<br />
Risiken zu eliminieren (Neutralisationsstrategie) (Homburg 2000).<br />
Als erster Schritt einer SWOT-Analyse wird in der Literatur (vgl. König und Volmer 2008;<br />
Simon und von Gathen 2002; Spiller 2010) die Analyse des Unternehmensumfelds vorgeschlagen.<br />
Da sowohl die betrachtete Organisation als auch die Prozesse oder die Produkte<br />
von den Marktbeziehungen und den Umfeldbedingungen abhängig sind, verspricht diese<br />
Vorgehensweise eine strukturierte Problemerkennung. Umfeldbedingungen im Sinne der<br />
SWOT-Analyse sind externe Faktoren, auf die das Unternehmen selbst keinen Einfluss hat,<br />
bspw. politisch-rechtliche Rahmenbedingungen, soziokulturelle Aspekte oder technologische,<br />
ökologische und ökonomische Faktoren (Abb. 2.1/1).<br />
Abb. 2.1/1: Klassifizierung von Umfeldbedingungen<br />
Quelle: Spiller 2010, S. 71.<br />
Im Zuge des weiteren Vorgehens bietet sich eine Aufteilung der Umfeldanalyse in eine<br />
globale Umfeldanalyse und eine spezielle Branchenanalyse an.<br />
Besondere Beachtung müssen im Rahmen der globalen Umfeldanalyse alle für das Unternehmen<br />
relevanten Trends und deren Auswirkungen auf die Unternehmensziele finden.<br />
Aus den genannten Einflussfaktoren müssen diejenigen ausgewählt und ihrer Relevanz<br />
entsprechend strukturiert werden, die für die Strategieformulierung, auch im Hinblick auf<br />
die Weiterentwicklung des Unternehmens, besonders wichtig erscheinen. Die globalen Gegebenheiten<br />
spielen bspw. bei Entscheidungen über den internationalen Markteintritt oder<br />
bei der Standortwahl eine große Rolle.<br />
An die globale Umfeldanalyse schließt sich die Branchenanalyse an, die zwei unterschiedliche<br />
Zielrichtungen verfolgen kann: Zum Einen kann sie zur Analyse der Ausprägung<br />
der Wettbewerbskräfte genutzt werden (Maaß und Scherm 2005; Melzer 2006), <strong>zum</strong><br />
anderen bietet sie auch die Möglichkeit, Implikationen veränderter Wettbewerbsbedingungen<br />
abzuleiten (Schiede 2003). Die Branchenanalyse ist grundsätzlich auf unterschiedliche<br />
Branchen anwendbar und unabhängig von der spezifischen Unternehmensausrichtung<br />
(Produktions- oder Dienstleistungsorientierung).<br />
26
Der bekannteste Ansatz zur Analyse der Branchenstruktur ist das Modell der Five Forces<br />
nach Porter (1999), das auf dem Grundgedanken basiert, dass die Wettbewerbsintensität<br />
und damit die Profitabilität und Attraktivität einer Branche nicht nur von den bestehenden<br />
Wettbewerbern, sondern von insgesamt fünf Wettbewerbskräften bestimmt werden. Diese<br />
sind:<br />
• die Rivalität unter den bestehenden Unternehmen,<br />
• die Bedrohung durch neue Konkurrenten,<br />
• die Gefahr durch Ersatzprodukte und -dienste,<br />
• die Verhandlungsmacht der Abnehmer und<br />
• die Verhandlungsstärke der Lieferanten.<br />
Porter (1999) geht davon aus, dass ein Zusammenhang zwischen der Branchenstruktur<br />
und dem Verhalten der Akteure im Wettbewerb besteht und sich die Strategie eines<br />
Unternehmens daher an seinem Umfeld orientieren muss. Das Ziel der Formulierung einer<br />
(Wettbewerbs-)Strategie besteht daher u.a. in der Suche nach Möglichkeiten, mit den Wettbewerbskräften<br />
in einer Weise umzugehen, die dem Unternehmen bei gegebener Wettbewerbsintensität<br />
eine über dem Branchendurchschnitt liegende Profitabilität ermöglicht.<br />
Dieser Ansatz, der ursprünglich im Bereich der Industrieökonomie entstanden ist,<br />
bietet ein strukturiertes Instrument zur Gewinnung eines Branchenüberblicks (Einschätzung<br />
des Gewinnpotentials der Branche, Prognose der Branchenentwicklung) und zur<br />
Positionierung des Unternehmens innerhalb der Branche (insb. Bestimmung der Wettbewerbsstrategie).<br />
Der Ansatz wird allerdings hinsichtlich der Vernachlässigung von unternehmensinternen<br />
und interorganisationalen Faktoren und der ausschließlich unternehmensexternen<br />
Perspektive stark kritisiert (Barney 1991; Hill und Westbrook 1997). Darüber hinaus<br />
werden in der Literatur sowohl der benötigte Zeitaufwand zur Durchführung der Analyse<br />
als auch der statische Charakter der Methode als Schwachstellen angemerkt. Weitere<br />
Stimmen vermissen am Modell der Five Forces die Berücksichtigung des Einflusses der<br />
Branchenstruktur auf die Rentabilität: So belegen empirische Studien von Schmalensee<br />
(1985) sowie McGahan und Porter (1997), dass die Varianz der Gesamtkapitalrendite zu<br />
gut 20% durch Brancheneffekte erklärt werden kann, wenn die Branchen- und damit die<br />
Unternehmensdefinition sinnvoll und nicht zu breit festgelegt wird. Gerade die Abgrenzung<br />
der Branche erfolgt bei Porter jedoch eher nach subjektiven Kriterien. Trotz dieser Kritik<br />
stellt die Wettbewerbsanalyse nach Porter (1999) ein geeignetes Mittel zur strukturierten<br />
Analyse von Branchen und damit zur Beantwortung der Frage nach der Attraktivität einer<br />
Branche und der Wettbewerbsposition eines Unternehmens innerhalb der Branche dar.<br />
Im zweiten Schritt der SWOT-Analyse schließt sich die Unternehmensanalyse (Stärken-<br />
Schwächen-Analyse) an, bei der die internen Faktoren eines Unternehmens betrachtet werden.<br />
Darunter werden die Fähigkeiten und Ressourcen verstanden, die das Unternehmen<br />
selbst besitzt und auf die es direkten Einfluss hat. Diese Faktoren ergeben sich aus den<br />
spezifischen Gegebenheiten des einzelnen Unternehmens. Die Stärken-Schwächen-Analyse<br />
kann in Bezug auf verschiedene Ebenen des Unternehmens erfolgen und bspw. das Gesamtunternehmen,<br />
ein Unternehmenssegment oder auch die Produktebene in den Mittelpunkt<br />
rücken. Neben der Definition relevanter Einflussgrößen auf den Unternehmenserfolg<br />
(König und Volmer 2008; Simon und von Gathen 2002) und der Beschaffung aussagekräftiger<br />
Informationen besteht die größte Schwierigkeit bei der Unternehmensanalyse in der<br />
exakten, objektiv nachvollziehbaren Abgrenzung der Faktoren als Stärke oder Schwäche.<br />
Denn oft weisen die Faktoren einen qualitativen Charakter auf und die Zuordnung bzw.<br />
Klassifizierung ist das Ergebnis einer subjektiven oder auch intuitiven Meinung einzelner<br />
27
Entscheidungsträger, da eine Variable u.U. gleichzeitig als Stärke, aber auch als Schwäche<br />
interpretiert werden kann (Pepels 2006). Und genau an diesem Problemfeld setzt die Kritik<br />
an der SWOT-Analyse bspw. bei Grant und Nippa (2006) an, die sich in Anbetracht der<br />
meist oberflächlichen und subjektiven Einteilung der Variablen gegen eine Aufteilung der<br />
internen Faktoren in Stärken und Schwächen und der externen Faktoren in Chancen und Risiken<br />
aussprechen. Ungeachtet dieser Kritik hat sich die SWOT-Analyse als Instrument der<br />
strategischen Unternehmensplanung bewährt (McGahan und Porter 1997; Schmalensee<br />
1985; Spiller et al. 2006), und wird daher in den folgenden Abschnitten auf die deutsche<br />
Viehhandelsbranche angewendet.<br />
Umfeldanalyse<br />
Die Umfeldanalyse erfolgt in zwei Schritten: Als erstes wird das globale Umfeld analysiert<br />
und anschließend die Branchenstrukturanalyse nach Porter (1999) durchgeführt.<br />
Globale Umfeldanalyse<br />
Die Umfeldanalyse dient zur Ermittlung der strategischen Ausgangslage der Viehhandelsbranche.<br />
Diese Analyse beschäftigt sich nicht direkt mit einzelnen Unternehmen der<br />
Branche, sondern zeigt, mit welchen Umfeldfaktoren und Stakeholdern die Unternehmen<br />
insgesamt konfrontiert sind. Bei der globalen Umfeldanalyse des Viehhandels wird die<br />
PEST(EL)-Analyse angewandt. Hierbei werden die politischen (political), ökonomischen<br />
(economical), gesellschaftlichen (social), technologischen (technology), ökologischen (ecological)<br />
und rechtlichen (legal) Faktoren analysiert (Michel 2009 sowie Abb. 2.1./1). In der<br />
folgenden Analyse werden die politischen und rechtlichen Faktoren zusammengefasst und<br />
die ökologischen Faktoren weggelassen, da die ökologischen Umfeldfaktoren nur eine sehr<br />
begrenzte Wirkung auf die Unternehmen des Viehhandels entfalten.<br />
Politisch-rechtliches Umfeld<br />
Die wichtigste rechtliche Grundlage für die Viehhandelsunternehmen ist die „Verordnung<br />
<strong>zum</strong> Schutz gegen die Verschleppung von Tierseuchen im Viehverkehr“ (Viehverkehrsverordnung<br />
– ViehVerkV) vom 03.03.2010. Darin ist festgehalten, wie ein Viehhandelsunternehmen<br />
definiert ist und wie bzw. womit es handelt. Für den gewerblichen Transport<br />
von Tieren ist darüber hinaus ein „Befähigungsnachweis für Tiertransporteure“ (EU-Verordnung<br />
2005) erforderlich. Weitere rechtliche Grundlagen, die auch für die Viehhandelsbranche<br />
gelten, sind das Handelsgesetzbuch (HGB) sowie das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB).<br />
Darüber hinaus finden sich im Genossenschaftsgesetz (GenG) sowie im Marktstrukturgesetz<br />
(MStrG) maßgebliche Regelungen zur Ausgestaltung der konkreten Organisationsform<br />
von Viehhandelsunternehmen.<br />
Weitere Auflagen für Handelsunternehmen können sich durch internationale Handelsabkommen<br />
ergeben. Für den deutschen Viehhandel ist dabei der Vertrag von Maastricht 1<br />
von Bedeutung, der seit 1992 jegliche Handelseinschränkungen innerhalb des innereuropäischen<br />
Auslands aufgehoben hat. In Bezug auf das außereuropäische Ausland existieren<br />
zwar Handelsrestriktionen für den Nutzviehbereich. Diese sind aber für die Branche des<br />
deutschen Viehhandels nicht von Bedeutung, da aufgrund von tierschutzrechtlichen und<br />
28<br />
1<br />
Mit dem Vertrag von Maastricht wurde aus dem EWG-Vertrag (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) die<br />
Europäische Gemeinschaft. Die EWG, die 1957 von den Mitgliedsstaaten in Rom unterzeichnet wurde,<br />
verfolgt das Ziel, durch die Förderung des Handelns und die Integration eine Ausweitung der Wirtschaft zu<br />
erreichen (EWG-Vertrag 2010).
hygienischen Bestimmungen ein internationaler Handel mit lebenden Tieren kaum möglich<br />
ist.<br />
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Viehhandelsbranche mit relativ wenigen spezifischen<br />
Gesetzen konfrontiert ist. Allerdings üben vermehrt auch die Verordnungen einen<br />
Einfluss auf die Branche aus, die sich im Kern auf die dem Viehhandel vor- und nachgelagerten<br />
Stufen der Wertschöpfungskette beziehen. Insbesondere aus Gründen des Verbraucherschutzes<br />
werden vom Gesetzgeber zunehmend neue Anforderungen formuliert, die<br />
sowohl Aspekte der Tiergesundheit als auch der Qualität des Schlachttieres einbeziehen.<br />
Hinzu kommen Regelungen <strong>zum</strong> Tierschutz und spezifische Standards des Handels (bspw.<br />
Qualitätsprogramme, Markenprogramme), die teilweise über die gesetzlichen Mindestanforderungen<br />
hinausgehen. Beide, die gesetzlichen und die handelsspezifischen Anforderungen,<br />
betreffen zwar überwiegend die Stufen der Erzeugung und Schlachtung der Tiere,<br />
beziehen sich aber auch auf den Transport lebender Tiere. Sie üben daher auf den Viehhandel<br />
in seiner Mittlerposition zwischen Landwirtschaft und Verarbeitungsindustrie einen<br />
Einfluss aus, da Schlachttiere, die den Standards entsprechen, erfolgreicher vermarktet<br />
werden können und höhere Gewinnspannen entlang der Kette generieren. Insbesondere in<br />
der Einführungsphase neuer Regelungen können sich durch die frühzeitige Erfüllung der<br />
Anforderungen Wettbewerbsvorteile ergeben.<br />
Ökonomisches Umfeld<br />
In der Branche des Viehhandels als Zwischenhandel wird das ökonomische Umfeld<br />
in erster Linie von den ökonomischen Faktoren des vor- und nachgelagerten Bereiches<br />
bestimmt. Einfluss auf die Erlöse bzw. Gewinnspannen und damit auf die ökonomische<br />
Situation der Fleischwirtschaft hat außerdem auch die Nachfrage der Endkonsumenten. So<br />
schwanken die Preise für Schweinefleisch an der Ladentheke im Jahresverlauf: Im Vergleich<br />
<strong>zum</strong> Jahresmittel steigen sie in den Sommermonaten, in denen u.a. viel gegrillt wird,<br />
und fallen in den Wintermonaten, bspw. am Jahresanfang (Destatis 2008a). Die gleichen<br />
Schwankungen sind auch bei den Erlösen der Landwirte zu beobachten (LEL 2010).<br />
Hinzu kommen periodische Schwankungen auf der Angebotsseite, die ebenfalls die<br />
Erlössituation des Viehhandels beeinflussen. Der Schweinezyklus verdeutlicht die Auswirkungen<br />
exemplarisch: Bei hohen Marktpreisen investieren die landwirtschaftlichen<br />
Erzeuger verstärkt in die Schweineproduktion. Aufgrund der Zeit, die für die Aufzucht der<br />
Tiere benötigt wird, wirkt sich die Ausdehnung der Erzeugung aber erst verzögert auf das<br />
Angebot an Schweinefleisch aus und kann zu einem Überangebot und Preisverfall der<br />
Schlachttiere führen. Diese Situation löst, wiederum zeitversetzt, eine Drosselung der Produktion<br />
und eine Verknappung des Angebots aus. Ein Zyklus dauert ca. vier bis fünf Jahre,<br />
in denen jeweils ca. zwei Jahre die Preise auf hohem bzw. niedrigem Niveau liegen (Hanau<br />
1928). Durch die verzögerte Anpassung von Angebot, Nachfrage und Preisen entsteht eine<br />
instabile Marktsituation, die in der Planung der Wettbewerbsaktivitäten berücksichtigt werden<br />
muss. Erschwert wird die strategische Planung in der Realität dadurch, dass saisonale<br />
Preisschwankungen, Veränderungen auf den internationalen Märkten und außerordentliche<br />
Krisen (bspw. Tierseuchen wie MKS oder Schweinepest) den Verlauf des Zyklus verzerren<br />
bzw. verschleiern (Spiller et al. 2005). In dieser Situation hilft eine längere Beobachtung<br />
des Marktes, den zyklischen Verlauf zu erkennen (ZMP 2008), und stellt damit für das<br />
Management eine wichtige Entscheidungshilfe dar.<br />
Die ökonomische Situation des Viehhandels wird aber nicht nur von schwankenden<br />
bzw. sinkenden Preisen beeinflusst, sondern die Unternehmen geraten auch durch den<br />
verschärften Strukturwandel auf der Erzeuger- und Abnehmerseite unter Druck: So ist nach<br />
29
Angaben des Statistischen Bundesamtes die Zahl der Schweineerzeuger in Deutschland allein<br />
zwischen November 2007 und November 2008 um 16,7% von knapp 80.000 auf rund<br />
67.000 Betriebe zurückgegangen (Destatis 2008b). Damit einher ging eine Erhöhung der<br />
durchschnittlichen Bestandszahlen in der Schweinerzeugung um fast 20%. Die Ausmaße<br />
des Strukturwandels werden durch die Tatsache unterstrichen, dass der durchschnittliche<br />
Neubauantrag für Schweineställe im Landkreis Vechta im Jahr 2008 3.000 Plätze umfasste<br />
(LWK 2010). Und auf der Abnehmerseite schlachten die drei größten Schlachtunternehmen<br />
mittlerweile 51% der in Deutschland aufkommenden Schlachttiere (ISN 2009a), so dass<br />
die Viehhandelsunternehmen einer sinkenden Anzahl zunehmend größerer Partner gegenüberstehen.<br />
Kennzeichnend für die ökonomischen Rahmenbedingungen ist ferner eine zunehmende<br />
Internationalisierung des Viehhandels. So wurden im Jahr 2009 4.122.547 Schlachtschweine<br />
aus der EU-27 importiert (BMELV 2010a) und 946.397 Schlachtschweine in die EU-27<br />
exportiert (BMELV 2010b). Bei den Rindern wurden 92.522 Schlachtrinder aus der EU-27<br />
importiert (BMELV 2010a) und 28.147 Schlachtrinder in die EU-27 exportiert (BMELV<br />
2010b). Neben dem Im- und Export von Schlachtvieh gewinnt die Ein- und Ausfuhr von<br />
Nutzvieh an Bedeutung. So wurden 2008 aus Dänemark 4,44 Mio. Ferkel und aus den<br />
Niederlanden 2,42 Mio. Ferkel importiert (ISN 2009b). Deutsche Ferkelexporte gehen überwiegend<br />
nach Rumänien (335.000 Ferkel), Kroatien (300.000 Ferkel) und Ungarn (170.000<br />
Ferkel) (ISN 2010). Ein Einfluss auf die Preisentwicklung in Deutschland geht bei Schweinen<br />
wie Rindern vor allem von Dänemark und den Niederlanden aus; ansonsten hat der<br />
internationale Handel, vor allem der außereuropäische Handel, keinen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit<br />
des deutschen Viehhandels. Angesichts steigender Exportanteile gewinnen<br />
allerdings Währungsschwankungen zunehmend an Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit<br />
auf Märkten außerhalb der EU.<br />
Soziales Umfeld<br />
Bei der Analyse des sozialen bzw. gesellschaftlichen Umfelds geht es vor allem um die<br />
Identifikation der Einstellungen, Denkweisen und Erwartungen sowie der Wertvorstellungen<br />
und Lebensstile einzelner Menschen, von Gruppen und der Öffentlichkeit (Brauchle und<br />
Clarisse 2010). In Deutschland wird traditionell Schweine- und Rindfleisch verzehrt. Der<br />
Pro-Kopf-Verbrauch von Schweinefleisch lag im Jahr 2009 bei 39 kg; damit macht Schweinefleisch<br />
rund 60% des gesamten Fleischverbrauches aus. Im Vergleich dazu essen die<br />
Deutschen nur 8,5 kg Rindfleisch pro Kopf und Jahr (AMI 2010). Nicht nur in Deutschland,<br />
auch in Europa und Ostasien ist Schweinefleisch die am häufigsten gegessene Fleischsorte.<br />
Der Fleischkonsum der Verbraucher wird zwar zunehmend von Trends, wie bspw. Gesundheit,<br />
Schlankheit, Wellness, Fairtrade, Bio, Tierschutz usw. (Spiller und Schulze 2008),<br />
bestimmt. Diese haben aber nur eine mittelbare Wirkung auf die Dienstleistungsfunktionen<br />
des Viehhandels, die den Business-to-Business-Bereich betreffen, so dass das Verhalten<br />
der Endkunden hier nicht vertiefend betrachtet werden muss. Unmittelbar von gesellschaftlichen<br />
Entwicklungen ist der Viehhandel nur dort betroffen, wo er Gegenstand von<br />
Forderungen nach höheren Tierschutzstandards wird, etwa in Form einer Begrenzung der<br />
Transportentfernungen.<br />
30<br />
Technologisches Umfeld<br />
Technologische Faktoren, die den Wettbewerb innerhalb der Branche beeinflussen können,<br />
sind u.a. Prozessinnovationen im Bereich der Logistik und des Transportes, die den<br />
Unternehmen dank effizienterer Verfahrensweisen Wettbewerbsvorteile sichern können.
Auch kann innerhalb der Unternehmen eine Verbesserung der Organisations- und Prozessabläufe,<br />
bspw. durch Einsatz innovativer Warenwirtschaftssysteme, Wettbewerbsvorteile<br />
generieren. Allerdings ist es im Viehhandel aufgrund der begrenzten Komplexität der<br />
Dienstleistungen, der Marktenge und der langjährigen Erfahrungen vieler Marktteilnehmer<br />
(rund 25% der Unternehmen sind länger als 60 Jahre am Markt tätig) schwierig, technologische<br />
Innovationen hervorzubringen bzw. den Vorteil über einen längeren Zeitraum zu<br />
wahren. Da der Kontakt zwischen vielen Unternehmen u.a. aufgrund der räumlichen Nähe,<br />
gemeinsamer Mitgliedschaften in Branchenorganisationen (bspw. DRV) und gemeinsamer<br />
Projekte und Veranstaltungen eng ist, sind die Imitationsbarrieren niedrig.<br />
In Tabelle 2.1/1 sind alle Faktoren der Umfeldanalyse des deutschen Viehhandels in der<br />
Übersicht zusammengefasst.<br />
Tabelle 2.1./1: Faktoren der Umfeldanalyse des deutschen Viehhandels<br />
Rechtliche<br />
Regelungen<br />
Ökonomisches<br />
Umfeld<br />
Soziales<br />
Umfeld<br />
Technologisches<br />
Umfeld<br />
•„BGB, HGB<br />
• Viehverkehrs-<br />
• Strukturwandel im vorund<br />
nachgelagerten<br />
• Pro-Kopf-Verbrauch<br />
• Ernährungstrends<br />
• Prozessinnovationen<br />
Verordnung<br />
Bereich<br />
•„Befähigungsnachweis für<br />
• Preisniveau<br />
Tiertransporteure“<br />
• Zyklische Preisentwick-<br />
• Genossenschaftsgesetz,<br />
lung innerhalb des Jahres<br />
Marktstrukturgesetz<br />
und unter den Jahren<br />
• Tierschutzgesetz<br />
(Schweinezyklus)<br />
• Qualitätsanforderungen<br />
• Internationalisierung des<br />
des nachgelagerten<br />
Viehhandels<br />
Bereichs<br />
• Abhängigkeit von<br />
• Tiergesundheits-<br />
Weltmarktpreisen und<br />
verordnungen<br />
Währungsschwankungen<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Die Branchenanalyse<br />
Die Wettbewerbsstrategie eines Unternehmens besteht darin, ein Unternehmen in Bezug<br />
zu seinem Umfeld zu setzen und eine langfristig tragfähige Wettbewerbsposition zu finden.<br />
Das ökonomische sowie das soziale Umfeld eines Unternehmens sind sehr weit gefasst;<br />
trotzdem werden die Spielregeln des Wettbewerbs sowie die Strategie der Unternehmen in<br />
erheblichem Maße durch die Bedingungen innerhalb der Branche beeinflusst. Der Begriff<br />
der Branche wurde von vielen Autoren definiert und z.T. auch kritisiert (Geroski 1998;<br />
Grant und Nippa 2006; Schwarz 2004). Porter (1999) definiert eine Branche als „eine<br />
Gruppe von Unternehmen, die Produkte herstellen, die sich gegenseitig nahezu ersetzen<br />
können.“ Dies wirft die Frage auf, wie eng die Ersetzbarkeit bzw. die Substituierbarkeit von<br />
Produkten sein muss, um noch von einer Branche zu sprechen (Schaefer 2006). Nach Römer<br />
(1988) wird eine Branche unter Orientierung an vorhandenen, adäquaten statistischen<br />
Daten definiert. Die Branchenabgrenzung soll demnach anhand der Wirtschaftszweigsys-<br />
31
32<br />
tematik des Statistischen Bundesamtes durchgeführt werden. Der Viehhandel wird in die<br />
Klassen 46.11.0 „Handelsvermittlung von landwirtschaftlichen Grundstoffen, lebenden<br />
Tieren, Textilen, Rohstoffen und Halbwaren“ und 46.23 „Großhandel mit lebendem Vieh“<br />
eingeteilt (Statistisches Bundesamt 2008).<br />
Ergänzend zur Abgrenzung der Branche gegenüber anderen Wirtschaftszweigen lassen<br />
sich die Unternehmen des Viehhandels nach ihrer Organisationsform auch innerhalb der<br />
Branche kategorisieren: Differenziert werden kann in diesem Zusammenhang zwischen<br />
Viehvermarktungsgenossenschaften (VVG), Erzeugergemeinschaften (EZG) und dem privaten<br />
Viehhandel (priv. VH). Innerhalb der Wertschöpfungskette der Fleischwirtschaft nimmt<br />
der Viehhandel eine zentrale Position zwischen den landwirtschaftlichen Erzeugern und der<br />
Schlachtindustrie ein. Aus dieser Zwischenposition ergibt sich die Abgrenzung des Viehhandels<br />
gegenüber den Abnehmern und den Lieferanten: Auf der Beschaffungsseite setzt<br />
er sich direkt mit den Landwirten oder anderen Unternehmen des Viehhandels auseinander.<br />
Dies gilt für Schlachtvieh und Nutzvieh gleichermaßen. Auf der Abnehmerseite fungiert<br />
der Viehhandel im Schlachtviehbereich als Zulieferer zur Schlachtindustrie und steht damit<br />
den am Markt tätigen Schlachtunternehmen, auch solchen, die in vertikal integrierten<br />
Ketten des Lebensmitteleinzelhandels eingegliedert sind, gegenüber. In Einzelfällen ist den<br />
Viehhandelsorganisationen ein eigener Schlachtbetrieb angegliedert. Im Nutzviehbereich<br />
wiederum sind die landwirtschaftlichen Erzeuger die Abnehmer der Ware. Da die Schlachtund<br />
Verarbeitungsfunktion für die Viehhandelsorganisationen nur eine geringe Bedeutung<br />
hat, konzentriert sich dieser Beitrag ausschließlich auf die Betrachtung der VVG/EZG und<br />
des priv. VH in ihrer Kernfunktion als Händler mit Nutz- und/oder Schlachtvieh.<br />
Die Struktur einer Branche beeinflusst in erheblichem Maße die Intensität des Wettbewerbes<br />
innerhalb sowie die Möglichkeiten der wettbewerbsstrategischen Positionierung.<br />
Die Intensität des Wettbewerbes wird dabei durch die von Porter (1999) definierten Five<br />
Forces bestimmt.<br />
Die Gefahr des Markteintritts zeigt auf, wie wahrscheinlich der Eintritt neuer Marktteilnehmer<br />
in den Markt ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass neue Wettbewerber die existierenden<br />
Viehhändler bedrohen, ist groß, da für den Markteintritt in erster Linie nur ein Viehtransporter,<br />
ein Handy sowie eine Tiertransporterlaubnis gemäß EU-Verordnung (2005) benötigt<br />
werden. Diese niedrigen Hürden für einen Markteintritt werden auch nicht durch andere<br />
Eintrittsbarrieren wie Auflagen von Seiten des Staates erhöht, so dass im Grunde jeder, der<br />
die oben genannten Voraussetzungen erfüllt, ein Viehhandelsunternehmen eröffnen kann.<br />
Trotzdem wurden in den letzten zehn Jahren nur durchschnittlich fünf Viehhandelsunternehmen<br />
pro Jahr neu gegründet. Als mögliche Ursache hierfür kann angeführt werden,<br />
dass der Viehhandel in einem gesättigten, wenig profitablem Markt agiert und die etablierten<br />
Unternehmen Wettbewerbsvorteile gegenüber neuen Unternehmen besitzen.<br />
Der Grad der Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern, auch als brancheninterner<br />
Wettbewerb bezeichnet, ist in der Viehhandelsbranche extrem hoch. Dies lässt sich u.a.<br />
auf die hohe Anzahl von ähnlich ausgestatteten Wettbewerbern sowie die wenig eindeutige<br />
strategische Positionierung der Viehhandelsunternehmen im Markt zurückführen. Auch<br />
der Trend zu vermehrter Konzentration im vor- und nachgelagerten Bereich verstärkt die<br />
Rivalität zwischen den Wettbewerbern. Insgesamt agiert der Viehhandel in einem reifen<br />
Markt, der trotz des intensiven Wettbewerbs nur noch langsam wächst. Einzelne Viehhändler<br />
versuchen der hohen Wettbewerbsintensität durch vermehrte Kooperationen oder auch<br />
Fusionen mit anderen Viehhändlern entgegenzuwirken.<br />
Eine weitere Wettbewerbskraft ist die Bedrohung durch Ersatzprodukte. In der deutschen<br />
Fleischwirtschaft dominiert bislang die sogenannte zweistufige Vermarktung, bei der die
große Mehrzahl der Schlachttiere von den Landwirten nicht direkt an Schlachtunternehmen,<br />
sondern unter Einschaltung von Viehhandelsorganisationen vermarktet wird. Nach<br />
Traupe (2002) liefern bspw. in Niedersachsen, einer veredlungsstarken Region, 7,4% der<br />
Landwirte ihre Tiere direkt an Schlachthöfe und 92,6% an den Viehhandel. Diese Vermarktungsstrukturen<br />
werden durch die strukturellen Veränderungen der vor- und nachgelagerten<br />
Bereiche unter erheblichen Anpassungsdruck gesetzt. In jeder sich konzentrierenden<br />
Wertschöpfungskette ist der Zwischenhandel durch die Gefahr der Ausschaltung (Disintermediation)<br />
bedroht, so bspw. auch der Großhandel an der Schnittstelle zwischen Lebensmittelverarbeitern<br />
und Lebensmitteleinzelhandel (Zentes und Morschett, 2007). Dass diese<br />
Gefahr im Viehhandel vergleichsweise gering ist, liegt daran, dass sowohl die Landwirte als<br />
auch die Schlachtunternehmen die Anbindung an den Viehhandel wünschen. Beide streben<br />
eine Zusammenarbeit mit einem verlässlichen Partner an, der die Kundenwünsche seitens<br />
der Landwirte (bspw. Generierung guter Erlöse) und der Schlachtunternehmen (bspw. Lieferung<br />
von großen Mengen in gleichbleibender Qualität) erfüllen kann.<br />
Als Abnehmer sind insbesondere die Schlachthöfe zu betrachten, da über sie der größte<br />
<strong>Teil</strong> der Schlachttiere abgesetzt wird. Die starke Verhandlungsmacht der Abnehmer ist im<br />
Viehhandel deutlich am hohen Konzentrationsgrad der Schlachtindustrie abzulesen: Die<br />
drei größten Schlachtunternehmen bspw. schlachten knapp 51% der jährlich aufkommenden<br />
Schlachtschweine (ISN 2009a). Daraus ergibt sich eine dominante Position einzelner<br />
Unternehmen, die in Verhandlungen genutzt wird, um die Schlachtpreise zu drücken.<br />
In Zeiten der Überproduktion an Schlachttieren gelingt dies auch, da die Landwirte und<br />
Viehhändler die Tiere zu einem bestimmten Zeitpunkt verkaufen müssen. Die erhebliche<br />
Verhandlungsmacht der Abnehmer verschlechtert damit die Verhandlungsposition der<br />
Viehhändler sowie deren Ertragssituation. Zusätzlich stärkt die geringe Differenzierung der<br />
Produkte die Marktposition der Anbieter, denn die Schlachthöfe können einzelne Viehhandelsunternehmen<br />
leicht durch andere substituieren. In Zeiten der Produktionsverknappung<br />
auf der Erzeugerseite stellt die Konzentration der Schlachtunternehmen jedoch durchaus<br />
einen Vorteil für die Lieferanten dar und schwächt die Verhandlungsmacht der Abnehmer:<br />
Denn bei Kapazitäten von bis zu 12 Mio. Schlachttieren im Jahr einzelner Schlachthöfe<br />
(ISN 2009a) benötigen die Schlachtunternehmen verlässliche Partner, die ihnen auch<br />
große Volumina an Schlachttieren liefern können. Dies gilt insbesondere dann, wenn der<br />
Auslastungsgrad der Schlachthöfe gering ist.<br />
Eine starke Verhandlungsmacht der Lieferanten entsteht, wenn die Lieferanten stärker<br />
konzentriert sind, als die Abnehmer. Dies ist im deutschen Markt nicht der Fall, da die<br />
Lieferanten eine Vielzahl von Mastbetrieben umfassen. Dennoch liegt der Grad der Verhandlungsmacht<br />
der Lieferanten durchaus im mittleren Bereich. Zwar sind die Produkte<br />
der Lieferanten standardisiert und dadurch für den Viehhandel leicht austauschbar; auf<br />
der anderen Seite ist der Lieferant bei anderen Dienstleistungen, bspw. produktions- und<br />
betriebswirtschaftlicher Beratung, aber auch ein wichtiger Marktpartner des Viehhandels.<br />
Außerdem benötigt der Viehhandel die Schlachttiere verlässlicher Lieferanten, um seine eigenen<br />
Abnehmer, die Schlachtunternehmen, mit ausreichend Tieren versorgen zu können.<br />
Diese Bündelung der Schlachttiere über den Viehhandel ist eine seiner wichtigsten Aufgaben<br />
und von den Lieferanten gewünscht, um eine bessere Verhandlungsposition gegenüber<br />
den Schlachtunternehmen zu erreichen. Damit stellen die gelieferten Produkte einen<br />
wesentlichen Beitrag für das Überleben des Viehhandels dar.<br />
33
Analyse der Organisationsformen im Viehhandel<br />
Wie zuvor erörtert, erfolgt die Analyse der Stärken und Schwächen des Viehhandels in<br />
diesem Beitrag nicht auf der Ebene der einzelnen Unternehmen, sondern in Bezug auf die<br />
Organisationstypen, die in der Viehhandelsbranche dominieren. Hierzu zählen die VVG/<br />
EZG und der private Viehhandel. Die genossenschaftlichen Unternehmen und die Erzeugergemeinschaften<br />
agieren auf der Grundlage des Genossenschaftsgesetzes und des Marktstrukturgesetzes.<br />
In den meisten Fällen verlangen diese Unternehmen die Andienung der<br />
erzeugten Produkte durch die Landwirte (Andienungspflicht), geben aber andererseits den<br />
Mitgliedern auch eine Garantie dafür, dass die Tiere über das Viehhandelsunternehmen<br />
vermarktet werden können (Abnahmegarantie). Die Landwirte, die sich einer solchen Organisation<br />
anschließen, müssen für die <strong>Teil</strong>nahme einen finanziellen Beitrag leisten, haben<br />
dank ihres rechtlich festgelegten Mitspracherechts aber auch die Möglichkeit, Einfluss auf<br />
die Ausrichtung sowie die strategische Positionierung der VVG/EZG zu nehmen. Das Hauptziel<br />
der EZG/VVG ist es, die Vermarktungsinteressen ihrer Mitglieder zu fördern und ihnen<br />
so Vorteile gegenüber Wettbewerbern zu verschaffen.<br />
Dem privaten Viehhandel werden all die Unternehmen zugeordnet, die der Definition<br />
der VVG/EZG nicht entsprechen. So sind laut einer Untersuchung der Universität Göttingen<br />
rund 86% der Viehhandelsunternehmen dem privaten Viehhandel zuzurechnen und knapp<br />
14% den VVG/EZG (Voss und Theuvsen 2010). Der Fokus liegt bei privaten Viehhandelsunternehmen<br />
stärker als im genossenschaftlichen Viehhandel auf dem Ziel der Gewinnmaximierung.<br />
Der Literatur zufolge (u.a. Simon und von Gathen 2002) liegen jeder SWOT-Analyse<br />
Kriterien zugrunde, anhand derer die Unternehmen verglichen werden können. Die für den<br />
Vergleich der beiden Organisationsformen des deutschen Viehhandels herangezogenen<br />
Kriterien wurden im Rahmen von Expertengesprächen und aus den Untersuchungen von<br />
Voss et al. (2010) generiert. Hierbei wurden die wichtigsten Eigenschaften herausgearbeitet<br />
die, unabhängig von der Organisationsform und den Unternehmenszielen, essentiell für ein<br />
langfristig erfolgreiches Viehhandelsunternehmen sind. Die zwölf Kriterien zur Bewertung<br />
von Stärken und Schwächen des deutschen Viehhandels lauten:<br />
• ein gesicherter Bezug,<br />
• die Flexibilität der Anpassung an Nachfrageschwankungen,<br />
• ein gesicherter Absatz,<br />
• die Realisierung von Marken und Qualitätsfleischprogrammen,<br />
• die Fähigkeit zur Bündelung von Schlachttieren,<br />
• die Finanzierung,<br />
• die Breite des Dienstleistungsangebotes,<br />
• der Bekanntheitsgrad,<br />
• die Preisflexibilität,<br />
• die Belastungen der Landwirte,<br />
• die Autonomie der Geschäftsführung und<br />
• die Abstimmung mit landwirtschaftlichen Interessen.<br />
Im nächsten Schritt der Analyse werden die anhand dieser Kriterien festgestellten<br />
Stärken und Schwächen in Bezug zu den Umfeldbedingungen gesetzt, um die existierenden<br />
Chancen und Risiken der Organisationsformen zu veranschaulichen und gleichzeitig<br />
eventuelle Verbesserungsmaßnahmen ableiten zu können.<br />
34
Ein gesicherter Bezug ist für jedes Viehhandelsunternehmen von essentieller Bedeutung,<br />
da viele Viehhändler, vor allem die größeren Unternehmen, fest ausgehandelte Kontrakte<br />
mit ihren Abnehmern vereinbart haben, in denen hauptsächlich die Anzahl der Tiere sowie<br />
der Lieferzeitpunkt festgelegt werden. Vor allem gegenüber den Landwirten als Lieferanten<br />
werden allerdings die Bedingungen <strong>zum</strong> Ankauf der Tiere oft nur mündlich vereinbart, so<br />
dass eine stabile und gesicherte Geschäftsbeziehung zu den Lieferanten der Viehhandelsunternehmen<br />
erforderlich ist, um die Erfüllung der Verträge gegenüber den Abnehmern zu<br />
gewährleisten. Die beiden Organisationsformen gehen dabei unterschiedlich vor: Die VVG/<br />
EZG legen in ihrer Satzung oftmals vertraglich die Andienungspflicht aller oder eines <strong>Teil</strong>s<br />
der erzeugten Tiere fest. Im Gegenzug erhalten die Lieferanten eine Abnahmegarantie. Dies<br />
bedeutet eine Stärke der VVG/EZG, da dadurch – anders als im privaten Viehhandel – ein<br />
gesicherter Bezug von Schlachttieren realisiert werden kann und die Organisationen den<br />
Verkauf sowie die Logistik besser planen können. Ein Risiko besteht aber darin, dass die<br />
Organisationen kaum kontrollieren können, ob der Lieferant alle vereinbarten Produkte<br />
andient, denn in guten Zeiten, in denen der Preis hoch ist, versuchen die Lieferanten teilweise,<br />
ihre Produkte anderweitig zu verkaufen. Eine Kontrollmöglichkeit ergibt sich für die<br />
VVG/EZG dann, wenn bspw. der Verkauf von Ferkeln über die Organisation abläuft, so dass<br />
die Anzahl der Tiere im jeweiligen Betrieb erfasst ist und Rückschlüsse auf die potentielle<br />
Anzahl vermarktungsfähiger Schweine zulässt. Der private Viehhandel fordert dagegen<br />
keine Bindungen an das Unternehmen, so dass der Lieferant selbst entscheiden kann, an<br />
welchen Viehhändler er seine Produkte verkauft. Um aber über eine einigermaßen gesicherte<br />
Erfassung zu verfügen, versuchen auch die privaten Viehhändler, ihren Lieferanten<br />
eine Abnahmegarantie zu geben. Diese Zusage dient der Aufrechterhaltung und Stärkung<br />
von langfristig gewachsenen Handelsbeziehungen. Der Vorteil dieser Form der Geschäftsbeziehungen<br />
besteht im Vergleich zu vertraglichen Bindungen darin, dass der Viehhändler<br />
in schlechten Zeiten, wenn die Produktpreise niedrig sind, die Tiere nicht zwingend abnehmen<br />
muss, so flexibler in seinen Entscheidungen ist und seine Aktivitäten besser an die<br />
aktuelle Marktsituation anpassen kann. Das Risiko hierbei besteht allerdings darin, dass in<br />
Zeiten hoher Preise die Landwirte ihre Produkte ebenfalls nicht zwingend einem bestimmten<br />
Unternehmen andienen müssen, sondern im Zuge der eigenen Gewinnmaximierung an<br />
den Marktpartner verkaufen, der ihnen die besten Preise bietet. Damit ist der gesicherte<br />
Bezug einer ausreichend großen Menge an Schlachttieren bei den privaten Viehhändlern<br />
im Vergleich zu den genossenschaftlich organisierten Unternehmen eher gefährdet.<br />
In Bezug auf die Flexibilität der Anpassung an Nachfrageschwankungen liegt der Vorteil<br />
bei den privaten Viehhändlern, die durch ihre lockeren Handelsbeziehungen zu den Landwirten<br />
nur die Anzahl der Tiere kaufen müssen, die sie selber auch verkaufen können. Bei<br />
der VVG/EZG ist die Flexibilität diesbezüglich geringer, da sie aufgrund der Abnahmegarantie<br />
immer eine Mindestmenge an Tieren in der Erfassung haben und diese auch zu einem<br />
festgelegten Zeitpunkt verkaufen müssen. Hinzu kommt, dass in Zeiten geringer Nachfrage<br />
auch die Lieferanten, die keine Andienungspflicht haben, versuchen, ihre Tiere über die<br />
VVG/EZG zu verkaufen. Die Organisationen müssen dann einen Weg finden, auch diese<br />
Produkte zu vermarkten.<br />
Beim Beurteilungskriterium gesicherter Absatz stehen die Geschäftsbeziehungen zwischen<br />
dem Viehhandel und den Abnehmern im Vordergrund. Die VVG/EZG pflegen eher<br />
enge Geschäftsbeziehungen zu ihren Abnehmern. So haben 41,1% der VVG/EZG eine feste<br />
Anbindung an ihre Abnehmer, wodurch der Absatz der Tiere auch in nachfrageschwachen<br />
Zeiten gesichert ist. Für eine VVG/EZG ist eine feste Bindung auch deshalb wichtig, da sie<br />
die Vermarktung aller angedienten Produkte zu jeder Zeit sicherstellen muss. Der private<br />
35
36<br />
Viehhandel hingegen handelt zu 95% ohne eine feste Anbindung an die Abnehmer (Voss<br />
et al. 2010). Dadurch ist er in der Wahl der Abnehmer zwar frei und kann allein unter dem<br />
Gesichtspunkt des ausgezahlten Preises entscheiden, an wen er seine Produkte verkauft.<br />
Er geht aber gleichzeitig das Risiko ein, dass ein Überangebot an Schlachttieren, das kurzfristig<br />
vermarktet werden muss, zu sehr schlechten Preisen und ggf. Verlusten führt. Im<br />
Vergleich zu den VVG/EZG ergibt sich hier ein Defizit der privaten Viehhändler, das diese<br />
nur durch eine langjährige, verlässliche und gute Zusammenarbeit mit den Abnehmern<br />
ausgleichen können.<br />
36% der VVG/EZG vermarkten ihre Tiere über ein geschlossenes System, ein Handelsprogramm<br />
oder unter einer eigenen Marke. Dies zeigt eine Reaktion auf veränderte<br />
Umfeldbedingungen, wie bspw. Forderungen der Endkunden, der Verarbeiter oder weiterer<br />
Stakeholder nach höheren Tierschutzstandards in der Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere.<br />
Außerdem können die VVG/EZG durch eine verbesserte Qualität u.U. einen höheren<br />
Endpreis für die Lieferanten realisieren. Bei den privaten Viehhändlern ist die Realisierung<br />
von Marken und Qualitätsfleischprogrammen dagegen kaum durchsetzbar, da derartige<br />
Programme vielfach mit spezifischen Investitionen einhergehen und ein gewisses Maß an<br />
Integration zwischen den einzelnen Wertschöpfungspartnern und -stufen verlangen. Ohne<br />
feste Bindungen zu ihren Lieferanten und Abnehmern besitzen die privaten Viehhändler<br />
keine Grundlage, um derartige Programme aufbauen zu können.<br />
VVG/EZG bündeln mit durchschnittlich rund 200.000 Schlachtschweinen und mehr<br />
als 11.800 Schlachtrindern fast viermal so viele Tiere wie ihre Kollegen des privaten<br />
Viehhandels, die im Jahresdurchschnitt gut 28.000 Schlachtschweine und knapp 3.000<br />
Schlachtrinder handeln. Die Fähigkeit zur Bündelung von Schlachttieren lässt sich neben<br />
den Verkaufszahlen auch unter Orientierung am Grad der Kooperation mit anderen Händlern<br />
bewerten: 42% der VVG/EZG kooperieren mit anderen Viehhandelsorganisationen,<br />
meist im Bereich der Erfassung und des Transportes der Tiere. Bei den privaten Viehhändlern<br />
sind es lediglich 36% der Unternehmen, die in dieser Form mit ihren Berufskollegen<br />
zusammenarbeiten (Voss et al. 2010). Aufgrund der Fähigkeit zur Bündelung von<br />
Schlachttieren, die bei den VVG/EZG deutlich ausgeprägter als im privaten Viehhandel ist,<br />
erwächst genossenschaftlich organisierten Unternehmen in zweifacher Weise ein Vorteil<br />
im Wettbewerb: Erstens können sie gegenüber Abnehmern mehr Marktmacht ausüben und<br />
in der Folge bessere Preise erzielen. Zweitens ist es den Unternehmen bei einer besseren<br />
Bündelung der Tiere leichter möglich, sich den wandelnden Gegebenheiten im Zuge des<br />
Strukturwandels im vor- und nachgelagerten Bereich anzupassen und so am Markt bestehen<br />
zu können.<br />
Ein weiterer Vorteil der VVG/EZG ist die größere Breite des Dienstleistungsangebotes;<br />
so bieten die VVG/EZG häufiger auch Dienstleistungen an, die über die Leistungen der<br />
Schlachtung und Logistik hinausgehen (Abb. 2.1/2). Vor allem bei Wachstumsbetrieben<br />
erhöht dies die Attraktivität der VVG/EZG als Handelspartner, da sich die Landwirte auf das<br />
eigentliche Kerngeschäft, bspw. die Produktion von Schlachttieren oder Ferkeln, konzentrieren<br />
können. Oftmals werden zusätzliche Dienstleistungen von den VVG/EZG unentgeltlich<br />
erbracht, so bspw. die Schlachtüberwachung und die Meldungen an die HIT-Datenbank.<br />
Dies geschieht einerseits, da sich viele Landwirte weigern, für bestimmte Dienstleistungen<br />
zu bezahlen. Andererseits entspricht es dem genossenschaftlichen Fördergedanken, einen<br />
Vorteil für jeden einzelnen Landwirt zu generieren. Zudem besteht die Hoffnung, durch<br />
ergänzende Dienstleistungen, bspw. durch eine Beratung der Landwirte in Fragen der Produktionstechnik,<br />
die Qualität der Produkte zu erhöhen und einen höheren Verkaufspreis zu<br />
erzielen. Der private Viehhandel bietet dagegen nur in den seltensten Fällen ein erweitertes
Dienstleistungsangebot an. Überwiegend sind dies nur die Betriebe, die eine den VVG/EZG<br />
vergleichbare Unternehmensgröße besitzen. Alle anderen privaten Viehhändler konzentrieren<br />
sich auf ihr Kerngeschäft, nämlich den Handel mit Nutz- und Schlachtvieh.<br />
Abb. 2.1/2: Dienstleistungsspektrum der Organisationsformen<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Um den eigenen Bekanntheitsgrad zu steigern, wird von 82% der VVG/EZG, aber nur<br />
62% der privaten Viehhändler in unterschiedlicher Intensität Werbung betrieben. Ein<br />
höherer Bekanntheitsgrad unterstützt die Bemühungen der Unternehmen, Handelspartner<br />
und – im Falle von VVG/EZG – auch Organisationsmitglieder zu gewinnen und auf diese<br />
Weise den Bezug und Absatz der Tiere zu sichern. Für die VVG/EZG bietet eine größere<br />
Bekanntheit des Unternehmens insofern einen Wettbewerbsvorteil, als sie im Durchschnitt<br />
der Organisationen in einem größeren Einzugsgebiet tätig sind als die privaten Viehhändler<br />
(VVG/EZG: 3 Bundesländer, 28 Landkreise; priv. VH: 2 Bundesländer, 17 Landkreise).<br />
Auf diese Weise können die VVG/EZG sich in ihrer Unternehmenstätigkeit auf eine größere<br />
Lieferanten- und Abnehmerbasis stützen und damit einen höheren Marktanteil generieren.<br />
Die Preisflexibilität, also die Freiheit der Unternehmen, den Lieferanten unterschiedliche<br />
Preise zu zahlen, ist je nach Zielsetzung des Unternehmens als Stärke oder Schwäche<br />
zu interpretieren: Bei der VVG/EZG, deren primäres Unternehmensziel lautet, die Vermarktung<br />
der Produkte der Landwirte zu fördern und ihnen einen Wettbewerbsvorteil zu<br />
verschaffen, ist keine Preisflexibilität gegeben, da alle Mitglieder die gleichen Konditionen<br />
erhalten. Unter dem Aspekt der Schaffung des gleichen Nutzens für jedes Mitglied im<br />
Sinne des Genossenschaftsgedankens ist dies als Stärke zu werten. Der private Viehhandel<br />
hingegen verfügt über die Möglichkeit, mit jedem einzelnen Landwirt Auszahlungspreis und<br />
Vorkosten flexibel zu verhandeln. Auch dies kann vorteilhaft sein. Daher wird die Preisflexibilität<br />
in dieser Analyse bei beiden Organisationsformen als Stärke bewertet.<br />
Die Finanzierung erfolgt in den beiden Organisationsformen unterschiedlich. Während<br />
bei den VVG/EZG in der Satzung festgelegt ist, dass eine Grundfinanzierung durch eine<br />
finanzielle Beteiligung der Mitglieder durch Mitgliedsbeiträge oder einen Anteilserwerb<br />
37
38<br />
erfolgt, müssen die Kunden des privaten Viehhandels keinerlei finanzielle Beiträge an die<br />
Organisation zahlen, um eine Vermarktung der Tiere realisieren zu können. Für die VVG/<br />
EZG ergibt sich durch diese Form der Finanzierung eine breitere Kapitalbasis und damit gegenüber<br />
den privaten Viehhändlern, die ihr Geschäft aus eigener Kraft finanzieren müssen,<br />
ein Vorteil im Wettbewerb. Allerdings ergibt sich durch die verpflichtende finanzielle Beteiligung<br />
an der Organisationsform der VVG/EZG eine höhere Belastung der Landwirte, die von<br />
diesen als Eintrittshürde betrachtet wird und damit in der Analyse als Schwäche identifiziert<br />
werden kann. Der einzige Vorteil, der sich aus der Beteiligung für den Landwirt ergibt,<br />
ist die Auszahlung einer jährlichen Rückvergütung in Abhängigkeit vom Unternehmensgewinn.<br />
Diese kann als indirekte Erhöhung der Schlachtpreise interpretiert werden. Bei der<br />
Vermarktung der Tiere über den privaten Viehhandel werden die Landwirte nicht monetär<br />
belastet, woraus sich ein Vorteil bei der Akquisition neuer Lieferanten ergeben kann.<br />
Direkt verbunden mit dem obligatorischen Anteilserwerb bzw. der Zahlung eines Mitgliedsbeitrags<br />
bei den VVG/EZG ist für die Mitglieder ein im Gesetz verankertes Mitspracherecht,<br />
das es ihnen ermöglicht, direkten Einfluss auf die langfristigen, strategischen<br />
Entscheidungen des Unternehmens zu nehmen. Dies führt oftmals zu Konflikten zwischen<br />
den Interessen des Viehhandels als Wirtschaftsunternehmen und denen der Mitglieder<br />
als Lieferanten. Vor allem in wettbewerbsintensiven Branchen wie dem Viehhandel kann<br />
ein Mitspracherecht der Mitglieder daher, insbesondere im Vergleich mit dem privaten<br />
Viehhandel, ein erhöhtes Risiko für die Unternehmen darstellen. Denn die Gefahr, dass die<br />
Autonomie der Geschäftsführung vermindert wird, tritt bei den privaten Viehhändlern nicht<br />
auf, da dort keinerlei Mitspracherechte der Landwirte bezüglich der Unternehmensführung<br />
existieren.<br />
Genau umgekehrt sieht die Bewertung bei der Betrachtung der Abstimmung mit landwirtschaftlichen<br />
Interessen aus: Da das Ziel einer VVG/EZG die Generierung von Vorteilen<br />
für alle Mitglieder ist, muss sich diese Organisationform schon gemäß der eigenen Satzung<br />
– und nicht nur im Interesse der Kundenbindung – an den Interessen der Landwirte orientieren.<br />
Hierin liegt eine Stärke der VVG/EZG, die durch die Beteiligung und das Mitspracherecht<br />
der Landwirte stärker landwirtschaftliche Interessen vertreten. Die Tatsache, dass<br />
der Vorstand einer VVG/EZG einmal im Jahr von den Landwirten entlastet werden muss,<br />
unterstreicht nochmals die Motivation der Geschäftsführung, im Interesse der Landwirte zu<br />
agieren. Der private Viehhandel hat zwar aufgrund der hohen Bedeutung langfristiger Geschäftsbeziehungen<br />
ein Interesse daran, die Belange der Landwirte zu berücksichtigen, um<br />
diese als Kunden zufriedenzustellen und seinen Bezug zu sichern; eine bindende Verpflichtung<br />
zur Berücksichtigung landwirtschaftlicher Interessen besteht gleichwohl nicht.<br />
Abbildung 2.1/3 fasst die diskutierten Kriterien zusammen und vergleicht die VVG/EZG<br />
mit dem privaten Viehhandel in einem Stärken-Schwächen-Profil.
Abb. 2.1./3: Stärken-Schwächen-Profil des genossenschaftlichen und des privaten Viehhandels<br />
Quelle: Eigene Darstellung.<br />
Fazit und Ausblick<br />
Zu den Marktbedingungen sowie zur Branchensituation des Viehhandels gibt es bis heute<br />
kaum wissenschaftliche Arbeiten. Lediglich Grünberg (1932) und Müller (1959) führten in<br />
der Vergangenheit entsprechende Untersuchungen durch. Daneben existieren vereinzelt<br />
Studien zu ausgewählten betriebswirtschaftlichen Fragen des deutschen Viehhandels, etwa<br />
Erfolgsfaktoren (Theuvsen und Franz 2007) oder Kooperationen (Theuvsen und Recke<br />
2008). Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Organisationsformen des Viehhandels<br />
hatten bislang fast gar keine Berücksichtigung gefunden.<br />
Die SWOT-Analyse, die in dieser Untersuchung wie schon im Konzept der strategischen<br />
Planung nach Mintzberg (1999) als zentrales Konzept der Strategiefindung diente, erlaubt<br />
es, ein Gesamtbild des deutschen Viehhandels zu zeichnen, das das gesamte Umfeld wie<br />
auch Unterschiede zwischen verschiedenen Organisationsformen einbezieht. Dadurch können<br />
die Vor- und Nachteile der alternativen Organisationsformen sowie Herausforderungen<br />
für die gesamte Branche identifiziert werden. Auf dieser Grundlage lassen sich Aussagen<br />
im Hinblick auf die strategische Positionierung der Unternehmen im Markt entwickeln.<br />
Aus der Umfeldanalyse wird deutlich, dass durch den Viehhandel nur wenige rechtliche<br />
Auflagen zu beachten sind. Am ehesten von Bedeutung sind die indirekten Wirkungen,<br />
die von Vorschriften ausgehen, die den vor- und nachgelagerten Bereich betreffen, bspw.<br />
Tierhygienevorschriften, Tierschutzgesetze usw. Neben den rechtlichen Rahmenbedingun-<br />
39
40<br />
gen hat das ökonomische Umfeld einen großen Einfluss auf die Branche. Relevante Aspekte<br />
sind u.a. der Schweinezyklus, die Preisschwankungen innerhalb der einzelnen Jahre, Veränderungen<br />
und Krisen im vor- und nachgelagerten Bereich sowie Trends im Verbraucherverhalten,<br />
etwa die Hinwendung zu Geflügelfleisch. Auch das soziale und das technologische<br />
Umfeld üben nur einen vergleichsweise geringen Einfluss auf die Viehhandelsunternehmen<br />
aus, u.a., weil echte Innovationen, also für den Markt neue Produkte oder Dienstleistungen,<br />
kaum zu realisieren sind. Dies deutet darauf hin, dass sich der Viehhandel in einem relativ<br />
stabilen Markt bewegt, der nicht durch neue Trends oder Produktsubstitute grundlegend<br />
bedroht wird.<br />
Aus der Branchenanalyse geht hervor, dass trotz geringer Markteintrittsbarrieren<br />
kaum neue Wettbewerber in den Markt eindringen, da die etablierten Unternehmen die<br />
errungenen Wettbewerbsvorteile im Vergleich zu neuen Unternehmen nutzen, um sich<br />
im Wettbewerb zu behaupten. Zudem ist die Branche von einer ausgeprägten Rivalität<br />
gekennzeichnet, da die Unternehmen in ihrer Funktion als Zwischenhändler in hohem Maße<br />
austauschbar sind. Der Druck auf den einzelnen Viehhändler erhöht sich außerdem durch<br />
die starke Verhandlungsmacht der Abnehmer und den anhaltenden Strukturwandel, der<br />
auch auf Seiten der Lieferanten zu Konzentrationsprozessen führt. Angesichts der Enge<br />
des Marktes, der ausgesprochen starken Rivalität der bestehenden Wettbewerber sowie<br />
der Tatsache, dass der bestehende Markt unter den Wettbewerbern weitgehend aufgeteilt<br />
ist, gibt es kaum lukrative Möglichkeiten, neu in den Markt einzusteigen.<br />
Aus der detaillierten Analyse der Stärken und Schwächen der beiden dominierenden<br />
Organisationsformen, des privaten Viehhandels und der VVG/EZG, geht hervor, dass die<br />
VVG/EZG insgesamt mehr Vorteile auf ihrer Seite haben. So können sie im Gegensatz zu<br />
privaten Viehhändlern aufgrund der vertraglichen Bindungen Marken- und Qualitätsfleischprogramme<br />
aufbauen und sich auf diese Weise in einem hart umkämpften Markt mit einem<br />
ausgesprochen hohen Grad an Substituierbarkeit der Unternehmen differenzieren. Vor<br />
diesem Hintergrund ist die Anbindung der Landwirte an die Organisation als Wettbewerbsvorteil<br />
zu interpretieren, da sie außerdem die Bezugs- und Kapitalbasis der Organisation<br />
absichert. Im Vergleich dazu besitzt der private Viehhandel Wettbewerbsvorteile aufgrund<br />
flexiblerer Anpassungsmöglichkeiten an Nachfrageschwankungen und einer größeren Autonomie<br />
in der Geschäftsführung.<br />
Insgesamt ist zu beobachten, dass die Viehhandelsbranche zukünftig durch einen<br />
starken Strukturwandel nicht nur im vor- und nachgelagerten Bereich, sondern auch innerhalb<br />
der eigenen Branche gekennzeichnet sein und der Wettbewerbsdruck dadurch weiter<br />
zunehmen wird. Es wird deutlich, dass sich die Unternehmen der Branche auf den Ausbau<br />
der vorhandenen Produkte und Dienstleistungen konzentrieren müssen; die Entwicklung innovativer<br />
Dienstleistungen oder Produkte ist dagegen kaum möglich und dementsprechend<br />
nur von randständiger Bedeutung. Kleinere Innovationen in Form erweiterter Dienstleistungen<br />
sind am ehesten im Hinblick auf den vorgelagerten Bereich der landwirtschaftlichen<br />
Erzeugung möglich, lassen sich allerdings nur noch mit einem erheblichen finanziellen<br />
und personellen Aufwand erreichen. Zudem ist es unklar, wie lange ein derartiger Wettbewerbsvorteil<br />
bestehen bleibt, da abgesehen vom gewerblichen Schutzrecht der Marke für<br />
Eigenmarken kaum Schutz vor Nachahmern existiert.<br />
Eine Möglichkeit, mit dem Wandel umzugehen, könnte die Verfolgung einer Präferenzstrategie<br />
sein, die versucht, mit Hilfe einer eindeutigen Positionierung im Markt und der<br />
Schaffung innovativer Wettbewerbsvorteile die Kunden aktiv zu binden (Becker 1998).<br />
Mit Blick auf die strategische Positionierung der Viehhandelsorganisationen im Markt<br />
wird deutlich, dass durchaus Potenziale für eine deutlicher erkennbare Positionierung der
einzelnen Viehhandelsunternehmen vorhanden sind. Die Viehhändler bevorzugen nach vorliegenden<br />
Studien jedoch eher einen Strategiepluralismus (Voss et al. 2010), der durch die<br />
Kombination der Elemente verschiedener Strategien gekennzeichnet ist (Rudolph 2006).<br />
Sie folgen damit Überlegungen, wie sie u.a. von Porter (2001) geäußert worden sind, der<br />
betont, dass Unternehmen sich nicht nur durch eine Strategie der Kostenführerschaft oder<br />
der Differenzierung einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten können, sondern auch durch eine<br />
Kombination der beiden generischen Strategietypen. Um sich aber gegenüber Wettbewerbern<br />
dauerhaft durchsetzen zu können, ist u.U. eine konsistentere Strategieformulierung<br />
notwendig.<br />
Das Stärken-Schwächen-Profil legt nahe, dass sich den Viehhandelsunternehmen in<br />
Abhängigkeit von der jeweils gewählten Organisationsform Möglichkeiten zur Generierung<br />
von Wettbewerbsvorteilen bieten: So erscheint es für die privaten Viehhändler sinnvoll, sich<br />
als flexible Partner der Landwirte und der nachgelagerten Stufen zu positionieren. Das<br />
bedeutet in Anbetracht ihrer spezifischen Stärken und Schwächen, dass sie sich verstärkt<br />
um den Ausbau der Aktivitäten im Bereich der Kundenbindung bemühen sollten (Abbau<br />
der Schwächen im Bereich Bezug- und Absatzsicherung). Damit wäre gleichzeitig ein<br />
Ausbau ihrer Stärken, der Flexibilität bei Anpassungen an Nachfrageschwankungen und der<br />
Autonomie der Geschäftsführung, verbunden. Im Gegensatz dazu sollten die VVG/EZG die<br />
bestehenden Ansätze zur Integration der Wertschöpfungsstufen dazu nutzen, sich über<br />
Marken- und Qualitätsfleischprogramme zu differenzieren, um unabhängiger von Nachfrageschwankungen<br />
am Markt agieren zu können. In diesem Zusammenhang wäre es für<br />
eine erfolgreiche Positionierung überlegenswert, nicht nur die Landwirte, sondern auch<br />
die nachgelagerten Wertschöpfungsstufen enger an sich zu binden. Bei dieser Überlegung<br />
müssen aber auch die Nachteile betrachtet werden, die eine solche Differenzierung nach<br />
sich ziehen. Der Aufbau einer Marke bzw. eines Qualitätsfleischprogrammes ist sehr teuer,<br />
da alle Wertschöpfungspartner überzeugt und das Programm an den Endverbraucher kommuniziert<br />
werden muss. Auch ist ein solches Programm für Skandale sehr anfällig. Es kann<br />
sich allerdings im Zuge von Krisen (bspw. Dioxin) auch als Vorteil erweisen, wenn solche<br />
Fehler durch die Qualitätsvorschriften ausgeschlossen werden können.<br />
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41
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2.2 Geschäftsmodelle im Viehhandel:<br />
Eine Bestandsaufnahme<br />
Ludwig Theuvsen, Anja Voss und Mechthild Frentrup<br />
Geschäftsmodelle<br />
Mit einem Umsatz von 31,8 Mrd. Euro und 108.500 Beschäftigten (2008) gehört die<br />
Fleischwirtschaft zu den wichtigsten Branchen des deutschen Agribusiness. Angesichts<br />
starker struktureller Veränderungen auf allen Wertschöpfungsstufen wächst der Druck auf<br />
die Unternehmen, ihre strategische Positionierung am Markt zu überprüfen und tragfähige<br />
Geschäftsmodelle zu implementieren. Geschäftsmodelle beschreiben die Art und Weise,<br />
wie Unternehmen unter Rückgriff auf geeignete Strategien grundsätzlich ihr Geschäft<br />
betreiben und wie sie Wettbewerbsvorteile als Basis eines nachhaltigen Unternehmenserfolgs<br />
erringen wollen (Timmers 1998; Wirtz 2001). Das Ziel der vorliegenden Studie ist es<br />
daher, gestützt auf eine empirische Untersuchung die im deutschen Viehhandel realisierten<br />
Geschäftsmodelle zu erfassen und hinsichtlich ihrer Ausprägungen zu beschreiben.<br />
Obwohl ursprünglich aus der IT-Literatur stammend, findet der Begriff des Geschäftsmodells<br />
inzwischen breite Verwendung in betriebswirtschaftlichen Veröffentlichungen<br />
(Stähler 2001); innovative Geschäftsmodelle gelten allgemein als Basis von Wettbewerbsvorteilen<br />
(Hamel 2000). In der Literatur gibt es verschiedene Ansätze zur Definition und<br />
Typologisierung von Geschäftsmodellen. Timmers (1998, S. 4) definiert ein Geschäftsmodell<br />
als „an architecture for the product, service and information flows, including a<br />
description of the various business actors and their roles; and a description of the potential<br />
benefits for the various business actors; and a description of the sources of revenues.“. Bei<br />
Wirtz (2001) wiederum beschreibt ein Geschäftsmodell die Geschäftsstrategie, indem es<br />
Aussagen darüber trifft, welche Kombination von Produktionsfaktoren umgesetzt wird und<br />
welche Rollen und Funktionen die verschiedenen Akteure dabei übernehmen. Die Formulierung<br />
eines Geschäftsmodells erfolgt mit dem Ziel, „zu einem einfachen komprimierten<br />
Überblick der Geschäftsaktivitäten in Modellform zu gelangen“ (Wirtz 2001, S. 82).<br />
Als zweckmäßig hat es sich erwiesen, verschiedene Unter- bzw. <strong>Teil</strong>modelle zu unterscheiden,<br />
die die Ressourcen, die in ein Unternehmen fließen, sowie ihre Umwandlung in<br />
vermarktungsfähige Informationen, Produkte oder Dienstleistungen im Rahmen des innerbetrieblichen<br />
Leistungserstellungsprozesses beschreiben (Wirtz und Kleineicken 2000).<br />
Die für die Erfassung von Geschäftsmodellen im Viehhandel relevanten <strong>Teil</strong>modelle können<br />
wie folgt skizziert werden (Abb. 2.2/1):<br />
• Marktmodell: Mit welchen Produkt-/Marktkombinationen ist ein Unternehmen am<br />
Markt präsent (Unternehmensstrategie; Frese 1987) und führt es den Wettbewerb<br />
den einzelnen strategischen Geschäftsfeldern (Wettbewerbsstrategien; Porter<br />
1980)?<br />
• Organisationsmodell: Wie werden die verfolgten Strategien organisatorisch umgesetzt,<br />
z.B. in Form von Kooperationen mit Wertschöpfungspartnern?<br />
• Informationsmodell: In welchem Umfang und auf welche Weise werden Informationen<br />
wertschöpfungsstufenübergreifend ausgetauscht?<br />
• Kapitalmodell: Wie wird das Unternehmen finanziert?<br />
• Beschaffungsmodell: Auf welche Art und Weise werden Inputfaktoren beschafft?<br />
• Leistungserstellungsmodell: Wie wird die Kernleistung erbracht wird und wie stark<br />
ist das Unternehmen vertikal integriert?<br />
45
• Absatzmodell: Wie werden die Kernleistungen des Unternehmens abgesetzt? Wie<br />
eng bindet sich ein Unternehmen bspw. an bestimmte Vermarktungspartner?<br />
Das Beschaffungs-, das Leistungserstellungs- sowie das Absatzmodell bilden die zentralen<br />
Geschäftsprozesse der betrachteten Unternehmen ab. Das Markt-, das Organisations-,<br />
das Informations- sowie das Kapitalmodell sind Querschnittsmodelle, die die notwendige<br />
Steuerung bzw. Unterstützung der zentralen Geschäftsprozesse erfassen.<br />
Abb. 2.2/1: Elemente der Geschäftsmodelle von KMU<br />
Marktmodell<br />
Organisationsmodell<br />
Informationsmodell<br />
Kapitalmodell<br />
Beschaffungsmodell<br />
Leistungserstellungsmodell<br />
Absatzmodell<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Strategien und Geschäftsmodelle im deutschen Viehhandel<br />
Design und Methodik der Erhebung<br />
Die empirische Untersuchung der Geschäftsmodelle im Viehhandel erfolgte in Form von Telefoninterviews<br />
unter Verwendung eines standardisierten Fragebogens. Insgesamt nahmen<br />
656 Unternehmen an der Erhebung teil (vgl. zu Einzelheiten der Erhebung und zur Charakterisierung<br />
der Stichprobe Kapitel 1.2 dieses Bandes). Als Grundlage der Untersuchung<br />
diente das zuvor skizzierte Konzept zur Erfassung von Geschäftsmodellen; darüber hinaus<br />
wurden allgemeine Informationen über die befragten Unternehmen erhoben. Auf der<br />
Grundlage von Experteninterviews wurde der konzeptionelle Rahmen weiter spezifiziert:<br />
• Das Marktmodell wurde in die Bestimmung des Produktspektrums, des Markt- bzw.<br />
Abnehmerspektrums sowie die jeweils verfolgte Wettbewerbsstrategie aufgeteilt.<br />
• Unter dem Gesichtspunkt des Organisationsmodells wurden horizontale Kooperationen<br />
sowie der Zusammenschluss mit bzw. der Kauf von anderen Viehhandelsorganisationen<br />
betrachtet.<br />
• Das Informationsmodell erfasste den Umfang der Informationsweitergabe an Wertschöpfungspartner.<br />
• Mit Bezug auf das Kapitalmodell wurde betrachtet, inwieweit die Landwirte durch<br />
Anteilserwerb oder Mitgliedsbeiträge zur Finanzierung der Viehhandelsorganisationen<br />
beitragen.<br />
46
• Unter dem Gesichtspunkt des Beschaffungsmodells wurde erfasst, inwieweit eine<br />
Andienungspflicht der Landwirte gegenüber den Viehhandelsunternehmen besteht,<br />
ob die Unternehmen gegenüber den Landwirten Abnahmegarantien aussprechen,<br />
wie das Kundenbindungsmanagement ausgeprägt ist und von wie vielen verschiedenen<br />
Organisationen (z.B. private Viehhandelsorganisationen, Landwirten) Schlachttiere<br />
bezogen werden.<br />
• Die Betrachtung des Leistungserstellungsmodells beschränkte sich auf den Grad<br />
der vertikalen Integration.<br />
• Im Rahmen des Absatzmodells wurde die Intensität der Bindung der Unternehmen<br />
an bestimmte Abnehmer, in der Regel Schlachtunternehmen, erfasst.<br />
Tabelle 2.2/1 stellt die verschiedenen <strong>Teil</strong>modelle und Gestaltungsparameter von Geschäftsmodellen<br />
im Viehhandel dar sowie deren im Rahmen der empirischen Studie<br />
betrachteten Ausprägungen dar.<br />
Tabelle 2.2/1: Ausprägungen der Gestaltungsparameter von Geschäftsmodellen im Viehhandel<br />
Marktmodell<br />
Organisationsmodell<br />
Produktspektrum<br />
Markt-/<br />
Abnehmerspektrum<br />
Wettbewerbsstrategie<br />
Horizontale<br />
Kooperation<br />
Zusammenschluss/<br />
Kauf einer anderen<br />
Organisation<br />
eng:<br />
Handel mit<br />
Schlacht- oder<br />
Nutzvieh<br />
1 2 3<br />
mittel:<br />
Zusätzlich Aktivitäten<br />
in verwandten<br />
Geschäftsfeldern<br />
(z.B. Logistik)<br />
eng:<br />
Lieferung an einen<br />
Abnehmer in der<br />
eigenen Region<br />
Kostenführerschaft:<br />
Enges, maximal<br />
zwei Dienstleistungen<br />
umfassendes<br />
Serviceangebot<br />
keine:<br />
Keine horizontale<br />
Kooperation<br />
keine:<br />
Weder Zusammenschluss<br />
noch Kauf<br />
durchgeführt<br />
mittel:<br />
Lieferung an zwei<br />
Abnehmer auf<br />
regionaler oder<br />
nationaler Ebene<br />
Differenzierung:<br />
Breiteres, mehr als<br />
zwei Dienstleistungen<br />
umfassendes<br />
Serviceangebot<br />
wenige:<br />
Eine horizontale<br />
Kooperation<br />
teilweise:<br />
Zusammenschluss<br />
oder Kauf durchgeführt<br />
breit:<br />
Ergänzung um<br />
weitere Geschäftsfelder<br />
(z.B. andere<br />
Dienstleistungen/Produkte)<br />
breit:<br />
Lieferung an mehr<br />
als zwei Abnehmer<br />
auf nationaler oder<br />
internationaler Ebene<br />
Schwerpunkt/<br />
Nische:<br />
Konzentration auf<br />
Schwerpunkte, z.B.<br />
Vermarktung ökologisch<br />
gehaltener<br />
Tiere<br />
viele:<br />
Mehr als eine<br />
horizontale Kooperation<br />
beides:<br />
Zusammenschluss<br />
und Kauf durchgeführt<br />
47
Fortsetzung Tabelle 2.2/1<br />
Informationsmodell<br />
Kapital-<br />
Modell<br />
Umfang der Informationsweitergabe<br />
Finanzierungsbeiträge<br />
der Landwirte<br />
gering:<br />
Nur Weitergabe<br />
von Basisinformationen<br />
(z.B.<br />
Schlachtdaten und<br />
-preise)<br />
keine:<br />
Verzicht auf finanzielle<br />
Beteiligung<br />
der Landwirte<br />
mittel:<br />
Weitergabe zusätzlicher<br />
Informationen,<br />
z.B. Marktentwicklungen,<br />
Unternehmensvergleiche<br />
Beteiligung:<br />
Landwirte erwerben<br />
Unternehmensanteile<br />
oder zahlen<br />
Mitgliedsbeiträge<br />
umfangreich:<br />
Weitergabe von<br />
Basis- und zusätzlichen<br />
Informationen<br />
auch über eigene<br />
Homepage und<br />
E-Mail<br />
Beschaffungsmodell<br />
Leistungserstellungsmodell<br />
Andienungspflicht/<br />
Abnahmegarantie<br />
Kundenbindungsmanagement<br />
Lieferantenspektrum<br />
vertikaler Integrationsgrad<br />
keine:<br />
Keine Andienungspflicht<br />
und Abnahmegarantie<br />
gar nicht:<br />
Vollständiger<br />
Verzicht auf Kundenbindungsmanagement<br />
gering:<br />
Belieferung von<br />
nur einer Lieferantengruppe<br />
gering:<br />
Verzicht auf eigenen<br />
Fuhrpark und<br />
Schlachthof<br />
teilweise:<br />
Andienungspflicht<br />
und Abnahmegarantie<br />
für <strong>Teil</strong>e der<br />
Produktion (z.B.<br />
nur für Schweine)<br />
mittel:<br />
Werbung neuer<br />
Kunden/Lieferanten;<br />
Weitergabe<br />
bestimmter Informationen;<br />
Angebot<br />
ergänzender<br />
Dienstleistungen<br />
(z.B. Unterstützung<br />
bei der QS-<br />
Zertifizierung)<br />
mittel:<br />
Belieferung von<br />
zwei Lieferantengruppen<br />
mittel:<br />
Betrieb eines eigenen<br />
Fuhrparks oder<br />
Schlachthofs<br />
komplett:<br />
Andienungspflicht<br />
und Abnahmegarantie<br />
für alle erzeugten<br />
Produkte<br />
hoch:<br />
Angebot ergänzender<br />
Dienstleistungen,<br />
die über die<br />
normale Kernleistung<br />
hinausgehen<br />
(z.B. Handelskredite,<br />
Beratung).<br />
hoch:<br />
Belieferung von<br />
mehr als zwei<br />
Lieferantengruppen<br />
hoch:<br />
Betrieb eines eigenen<br />
Fuhrparks und<br />
eines Schlachthofs<br />
Absatzmodell<br />
Vermarktungspartner<br />
gar nicht:<br />
Keine Bindung an<br />
einen Abnehmer<br />
Bindung:<br />
Vertragliche Bindung<br />
an mindestens<br />
einen festen Abnehmer<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
48
Ausprägungen der Geschäftsmodelle im Viehhandel<br />
Das Marktmodell wird durch die gewählte Produkt-/Marktkombination sowie die Wettbewerbsstrategie<br />
beschrieben. Im Hinblick auf das Produktspektrum handeln Viehhandelsunternehmen<br />
definitionsgemäß mit Schlacht- oder Nutzvieh. 8,7% der befragten Unternehmen<br />
handeln ausschließlich mit Schlachtvieh, knapp 7,8% nur mit Nutzvieh; Schlacht- und<br />
Nutzviehhandel werden von 77,3% der befragten Unternehmen betrieben (keine Angabe:<br />
6,3%).<br />
Bei näherer Betrachtung offenbaren die befragten Unternehmen ein relativ breites<br />
Dienstleistungsspektrum (Abb. 2.2/2). So nehmen viele Viehhändler neben der Schlachtund/oder<br />
Nutzviehlogistik (76,3%) weitere Funktionen wahr. Dienstleistungen rund um<br />
die Schlachtung, namentlich Schlachtüberwachung, Schlachtabrechnungskontrolle und<br />
Schlachtdatenübermittlung, bieten 55,4% der Unternehmen an. Verwaltungstätigkeiten wie<br />
Rechnungslegung und Meldungen an die zentrale Tierdatenbank werden von der Hälfte der<br />
Viehhändler übernommen. Weniger verbreitet sind die Vermarktung von Betriebsmitteln,<br />
Genetik und Sperma sowie die Vermittlung diverser Finanzdienstleistungen.<br />
Das Kundenspektrum ist dadurch charakterisiert, dass 93% der befragten Viehhändler<br />
die Schlachttiere direkt an Schlachthöfe verkaufen; 29,1% der Unternehmen beliefern auch<br />
andere VVG und EZG, 34,6% Organisationen des privaten Viehhandels. 21,5% der Befragten<br />
vermarkten Schlachttiere über ein Handelsprogramm oder im Rahmen eines geschlossenen<br />
Systems. Den Schlachthof als einzigen Abnehmer nennen 65,7% der befragten<br />
Unternehmer.<br />
Abb. 2.2/2: Dienstleistungsangebot der Viehhändler<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Die meisten der befragten Unternehmen haben ihren Unternehmensstandort in denjenigen<br />
Bundesländern, in denen auch die meisten Schlachttiere produziert werden.<br />
Dementsprechend sind 25% der befragten Händler in Niedersachsen, 13,4% in Nordrhein-<br />
49
Westfalen und 27,5% in Bayern beheimatet. Das Einzugsgebiet der befragten Viehhandelsunternehmen<br />
erstreckt sich vornehmlich ebenfalls auf diese Bundesländer sowie<br />
Baden-Württemberg; teilweise werden vor allem Ferkel und Zuchtrinder auch aus dem angrenzenden<br />
Ausland aufgekauft. Im Schnitt handelt ein Unternehmen in 2 Bundesländern<br />
und 18 Landkreisen. Der Viehhandel ist damit durch die Dominanz regionaler Märkte geprägt.<br />
Abbildung 2.2/3 stellt die Befragungsergebnisse zu den im Viehhandel realisierten<br />
Marktmodellen im Überblick dar.<br />
Eine Betrachtung der verwirklichten Organisationsmodelle lässt erkennen, dass die Organisationen<br />
des deutschen Viehhandels dem zunehmenden Wettbewerbsdruck vermehrt<br />
mit Unternehmenszusammenschlüssen und Kooperationen begegnen. So haben 6,6% der<br />
Befragten bereits mit einem anderen Viehhandelsunternehmen fusioniert; 6,9% haben<br />
einen Wettbewerber übernommen. 36,3% der befragten Unternehmen kooperieren mit<br />
einem anderen Unternehmen, in mehr als der Hälfte der Fälle (58,4%) in den Bereichen<br />
Bündelung und Transport.<br />
Viehhändler sind aber nicht nur Dienstleistungsanbieter, sondern im Rahmen des Informationsmodells<br />
auch Informationsdrehscheibe an der Schnittstelle zwischen Erzeugung<br />
und Verarbeitung. In diesem Sinne übermitteln 81,1% der befragten Viehhändler regelmäßig<br />
Informationen an ihre landwirtschaftlichen Lieferanten, insbesondere Schlachtdaten<br />
(73,4% der Unternehmen), Informationen zur Marktentwicklung (58,8%) sowie den<br />
Schlachtpreis (51,5%).<br />
Abb. 2.2/3: Merkmale der realisierten Marktmodelle<br />
Schlacht- und Nutzvieh<br />
Nutzvieh<br />
Portfolio<br />
77,3 7,8 8,7 6,2<br />
Verkauf<br />
Schlachthof (SH)<br />
65,7<br />
priv. SH, SH,<br />
SH, priv VH,<br />
VVG/<br />
VH VVG/ priv.<br />
VVG/EZG keine<br />
EZG EZG VH sonst. Angaben<br />
0,6 1,4<br />
1,7 7,6 2,9 18,6<br />
1,5<br />
Regional<br />
National<br />
Schlachtvieh<br />
keine<br />
Angaben<br />
Inter-<br />
keine<br />
natio-<br />
nal<br />
Angaben<br />
Einzugsgebiet<br />
56,3 33,2 3,0 7,5<br />
10 DL keine<br />
1 DL 2 DL 3 DL 4 DL 5 DL 6 DL 7 Dl 8 DL 9 DL 11 DL Angaben<br />
Anzahl an<br />
Dienstleistungen 10,4 7,8 7,3 9,8 13,6 13,9 11,4 5,0<br />
(DL)<br />
4,7 0,8 0,3<br />
15,1<br />
Handelsprogramm<br />
Eigenmarke<br />
QS Bio sonst.<br />
Kein geschlossenes System<br />
Geschlossenes<br />
2,0<br />
System/Handels- 5,2 7,3 2,1 4,9<br />
Programm<br />
78,5<br />
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
50
Das Kapitalmodell beschreibt die Beiträge von Landwirten zur Finanzierung der Viehhandelsorganisationen.<br />
Den Rahmen dafür bildet die jeweilige Rechtsform der Unternehmen.<br />
In der Stichprobe überwiegt aufgrund der Dominanz kleiner Unternehmen die Rechtsform<br />
des eingetragenen Kaufmanns (e.K.; 56,3%), gefolgt von GmbHs (20,7%) und Genossenschaften<br />
(7,9%). Eine geringere Bedeutung haben Gesellschaften bürgerlichen Rechts<br />
(GbR; 4,0%) und wirtschaftliche Vereine (w.V.; 2,3%). 81,1% der befragten Organisationen<br />
sind dem privaten Viehhandel zuzurechnen, während Viehvermarktungsgenossenschaften<br />
(VVG) (7,5%) und Erzeugergemeinschaften (EZG) (5,3%) nicht immer der Rechtsform, aber<br />
durchweg der unternehmerischen Zielsetzung nach einen genossenschaftlichen Charakter<br />
haben. In VVG tragen die Lieferanten durch den Erwerb von Unternehmensanteilen (7,5%),<br />
in EZG durch die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen (5,3%) zur Finanzierung der Viehhandelsunternehmen<br />
bei.<br />
Abbildung 2.2/4 fasst die Ergebnisse zu den im Viehhandel realisierten Organisations-,<br />
Informations- und Kapitalmodellen zusammen.<br />
Abb. 2.2/4 : Organisations-, Informations- und Kapitalmodelle im Viehhandel<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Die zentralen Geschäftsprozesse werden durch das Beschaffungs-, das Leistungserstellungs-<br />
und das Absatzmodell dargestellt (Abb. 2.2/5). Im Rahmen der Ausgestaltung des<br />
Beschaffungsmodells stellen Maßnahmen des Kundenbindungsmanagements die stetige<br />
Belieferung mit Tieren durch die Landwirte sicher. Zu diesem Zweck setzen immerhin<br />
23% der Unternehmen intensiv Werbemaßnahmen ein. Weitere bedeutsame Kundenbindungsmechanismen<br />
sind Andienungspflichten der Landwirte sowie Abnahmegarantien<br />
des Viehhandelsunternehmens, die für die gesamte Erzeugung oder <strong>Teil</strong>e der Produktion,<br />
z.B. aller im Betrieb produzierten Schweine, bestehen können. Eine Pflicht zur Andienung<br />
der kompletten Produktion kennen nur 4,9% der befragten Viehhändler, während 7,9%<br />
51
der Unternehmen ihren Landwirten eine vollständige Abnahmegarantie geben. Eine Pflicht<br />
zur Andienung eines <strong>Teil</strong>s der Produktion haben 7,5% der Unternehmen etabliert; knapp<br />
12,3% garantieren die Abnahme eines bestimmten <strong>Teil</strong>s der Erzeugung. Vollständig auf<br />
Andienungspflichten verzichten 77,7%, auf Abnahmegarantien 70% der befragten Viehhandelsunternehmen<br />
(keine Angabe: ca. 10%). Besteht keine Andienungspflicht, können<br />
Landwirte flexibler auf Preisunterschiede reagieren; umgekehrt sind Viehhändler, die keine<br />
Abnahmegarantie aussprechen, einem geringeren Vermarktungsdruck ausgesetzt. Allerdings<br />
müssen beide Seiten bei Verzicht auf die Nutzung dieser Instrumente unter erheblich<br />
größerer Unsicherheit agieren und ggf. auftretende Probleme bei der Vermarktung von<br />
oder Versorgung mit Schlachttieren kurzfristig lösen.<br />
Schlachttiere werden größtenteils von Landwirten (93,6%) gekauft; ein <strong>Teil</strong> der Unternehmen<br />
bezieht seine Tiere auch über VVG und EZG (33,3%) oder den privaten Viehhandel<br />
(23,2%). Die meisten der befragten Viehhändler konzentrieren sich auf einen bestimmten<br />
Lieferantentyp (62,3%); in fast allen diesen Fällen (58,6%) handelt es sich um Landwirte.<br />
Im Rahmen des Leistungserstellungsmodells haben viele Viehhändler den Transport der<br />
Schlachttiere übernommen (84,6%). Demgegenüber verfügen nur knapp 9% der Unternehmen<br />
über eigene Schlachtkapazitäten; dafür dürften nicht zuletzt der hohe Finanzbedarf<br />
und die erhebliche Fixkostenbelastung maßgeblich sein (Theuvsen und Franz 2007).<br />
Das Absatzmodell sieht bei 10,5% der befragten Viehhändler eine vertragliche Bindung<br />
an einen bestimmten Abnehmer vor. Alle übrigen Viehhändler vermarkten die <strong>zum</strong> Verkauf<br />
stehenden Tiere frei am Markt (Abb. 2.2/5).<br />
Abb. 2.2/5: Beschaffungs-, Leistungserstellungs- und Absatzmodelle im Viehhandel<br />
Beschaffungsmodell<br />
Werbung<br />
komplett<br />
Andienungspflicht<br />
teilweise<br />
komplett<br />
teilweise<br />
keine<br />
keine<br />
intensiv gelegentlich gar nicht<br />
1 Lieferant<br />
2 Lieferanten<br />
3 Lieferanten<br />
keine<br />
Angaben<br />
keine<br />
Angaben<br />
4,9 7,5 77,7 9,9<br />
keine<br />
Angaben<br />
7,9 12,3 70,0 9,8<br />
23,0 38,0 39,0<br />
Lieferanten<br />
62,3 14,6 4,7 18,3<br />
Abnahmegarantie<br />
Leistungserstellungsmodell<br />
Schlachthof<br />
Fuhrpark<br />
besitzt<br />
Schlachthof<br />
übernimmt Transport<br />
besitzt keinen Schlachthof<br />
9,0 91,0<br />
keinen<br />
Transport<br />
84,6 15,4<br />
Absatzmodell<br />
Andienung an<br />
den Abnehmer<br />
Anbindung<br />
Grundabsprachen<br />
10,5 89,5<br />
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />
52<br />
Quelle: Eigene Darstellung
Realisierte Geschäftsmodelle im Viehhandel<br />
Unter Rückgriff auf die oben eingeführten Elemente eines Geschäftsmodells konnten die<br />
befragten Unternehmen in drei Gruppen mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen – die<br />
serviceorientierten Full-Liner, die fokussierten Kooperierenden und die schlanken Kostenführer<br />
– unterteilt werden. Die Einteilung basiert auf quantitativen Auswertungen mit Hilfe<br />
von SPSS sowie ergänzenden qualitativen Analysen der Befragungsergebnisse.<br />
Serviceorientierte Full-Liner: Diese Gruppe umfasst 151 Viehhandelsunternehmen<br />
(23%). Sie weisen ein sehr breites Produktspektrum (96% der Unternehmen) und ein<br />
Markt-/Abnehmerspektrum von eher mittlerer Breite auf (65,3%) und verfolgen eine<br />
Differenzierungsstrategie. Horizontale Kooperationen sind bei diesem Typ sehr verbreitet;<br />
zudem hat knapp die Hälfte der Unternehmen schon einmal mit einem anderen Viehhandelsunternehmen<br />
fusioniert oder einen Wettbewerber übernommen. Informationen werden<br />
im mittleren Umfang weitergegeben. Eine Andienungspflicht der Landwirte gegenüber den<br />
Unternehmen ist kaum vorhanden und nur in seltenen Fällen sprechen diese Unternehmen<br />
eine Abnahmegarantie gegenüber ihren Landwirten aus. Dementsprechend ist die Intensität<br />
des Kundenbindungsmanagements nur im mittleren Bereich anzusiedeln; das Lieferantenspektrum<br />
ist eher eng, so dass nur knapp 22% der Unternehmen mehr als zwei Lieferantentypen<br />
(z.B. Landwirte, genossenschaftliche und private Viehhändler) haben. 82,1%<br />
der Unternehmen betreiben einen eigenen Fuhrpark oder Schlachthof und 15,2% sind eine<br />
feste Bindung an einen oder mehrere Abnehmer eingegangen. In 18,5% der Fälle sind die<br />
Landwirte finanziell am Unternehmen beteiligt.<br />
Fokussierte Kooperierende: Diese Gruppe umfasst 36% der befragten Viehhändler<br />
(236 Unternehmen). Grundsätzlich verfolgen die fokussierten Kooperierenden die Wettbewerbsstrategie<br />
der Differenzierung, doch werden z.T. auch Nischenstrategien realisiert<br />
(15,7%). Charakteristisch für diese Unternehmen sind ein breites Produktspektrum und<br />
eine auf das regionale Umfeld begrenzte Geschäftstätigkeit. <strong>Teil</strong>weise werden horizontale<br />
Kooperationen eingegangen; gut 18,6% der Unternehmen haben schon einmal ein anderes<br />
Viehhandelsunternehmen aufgekauft oder mit einem Wettbewerber fusioniert. Die Informationsweitergabe<br />
an Wertschöpfungspartner ist umfangreich; charakteristisch sind ferner<br />
in vielen Fällen eine Andienungspflicht und Abnahmegarantie und ein vergleichsweise<br />
intensives Kundenbindungsmanagement. 82,2% der in dieser Gruppe zusammengefassten<br />
Viehhändler beziehen nur von einem Lieferantentyp, meistens Landwirten, und haben<br />
insgesamt maximal zwei Abnehmer. Die Unternehmen dieser Gruppe haben fast durchgängig<br />
einen eigenen Fuhrpark. 14,4% der Unternehmen bauen auf die enge Bindung an einen<br />
bestimmten Abnehmer. Die Finanzierung erfolgt bei knapp einem Fünftel der Unternehmen<br />
durch eine finanzielle Beteiligung der Landwirte.<br />
Schlanke Kostenführer: Die größte Gruppe der Unternehmen – 269 Viehhändler (41%) –<br />
sind als schlanke Kostenführer zu kennzeichnen. Mit der Strategie der Kostenführerschaft<br />
geht ein eher enges Produktspektrum einher. 98,4% der Unternehmen handeln im regionalen,<br />
aber auch nationalen Kontext mit maximal zwei Abnehmertypen. Sie gehen keine<br />
horizontalen Kooperationen ein und schließen sich nicht mit anderen Viehhandelsorganisationen<br />
zusammen. Der Informationsfluss zu Wertschöpfungspartnern ist nur schwach<br />
ausgeprägt; eine Andienungspflicht oder Abnahmegarantie besteht nicht und Kundenbindungsmanagement<br />
wird nur in einem begrenzten Umfang (25,7%) betrieben. Auf der<br />
53
anderen Seite haben über ein Viertel der Unternehmen mehrere Lieferanten. Der vertikale<br />
Integrationsgrad ist in dieser Gruppe eher niedrig; 18,6% der Unternehmen besitzen weder<br />
einen eigenen Fuhrpark noch einen eigenen Schlachthof. Engere Bindungen an Abnehmer<br />
werden in aller Regel nicht eingegangen; die Finanzierung erfolgt nur in 3,1% der Fälle<br />
durch eine Beteiligung der Landwirte am Unternehmen.<br />
54<br />
Diskussion<br />
Der Viehhandel ist bislang kaum Gegenstand wissenschaftlicher Analysen gewesen; vorliegende<br />
Untersuchungen konzentrieren sich lediglich auf <strong>Teil</strong>aspekte wie z.B. Erfolgsfaktoren<br />
(Theuvsen und Franz 2007) oder die Organisation von Geschäftsprozessen (Voss und<br />
Theuvsen 2009). Die durchgeführte umfassendere Erhebung zeigt, dass der Viehhandel<br />
eine strukturell sehr heterogene Branche mit langer Tradition ist. Neben den dominierenden<br />
genossenschaftlichen Organisationen sind zahlreiche kleinere, meist private Viehhandelsunternehmen<br />
im Markt vertreten. Ein starker Strukturwandel innerhalb der Branche<br />
ist sowohl an den zahlreichen Betriebsaufgaben als auch starken Konzentrationstendenzen<br />
abzulesen. So haben 10,4% der Befragten schon einmal mit einem anderen Viehhandelsunternehmen<br />
fusioniert und 10,7% bereits ein anderes Viehhandelsunternehmen übernommen.<br />
Auch der Trend zu vermehrten Kooperationen in verschiedenen betrieblichen<br />
Funktionsbereichen weist darauf hin, dass die Unternehmen um eine Verbesserung ihrer<br />
Wettbewerbsfähigkeit bemüht sind. Die quantitative und qualitative Analyse der Geschäftsmodelle<br />
führte zu einer Einteilung der befragten Unternehmen in drei Gruppen, die unterschiedliche<br />
Geschäftsmodelle realisiert haben.<br />
Eine eingehendere Betrachtung der verschiedenen Typen zeigt, dass im Viehhandel ein<br />
Strategiepluralismus, der durch die Kombination der Elemente verschiedener Strategien<br />
gekennzeichnet ist (Rudolph 2006), verbreitet ist. So verfolgen beispielsweise die schlanken<br />
Kostenführer zwar eine Strategie der Kostenführerschaft, haben aber in einem <strong>zum</strong>indest<br />
mittleren Umfang auch ein auf werblichen Maßnahmen basierendes Kundenbindungsmanagement<br />
aufgebaut. Sie folgen damit Überlegungen Michael Porters (2001), der betont<br />
hat, dass Unternehmen sich nicht nur durch eine Strategie der Kostenführerschaft oder der<br />
Differenzierung, sondern auch durch eine Kombination der Elemente beider Strategietypen<br />
Wettbewerbsvorteile erarbeiten können.<br />
Auffällig ist des Weiteren, dass sich die Strategien aller Organisationen in einzelnen<br />
Merkmalen relativ stark ähneln. Dafür lassen sich verschiedene denkbare Gründe anführen.<br />
So kann etwa im Sinne des kontingenztheoretischen Ansatzes argumentiert werden, dass<br />
unter dem Einfluss derselben Branchenumwelt die Implementierung ähnlicher Strategien<br />
nicht überraschend ist (Kieser 2006; Lenz 1981). Vor allem dann, wenn die Zahl der verschiedenen<br />
Umweltwahrnehmungen („enacted environments“; Weick 1985) innerhalb einer<br />
Branche begrenzt ist, können recht ähnliche strategische Positionierungen der Unternehmen<br />
die Folge sein. Auch imitierendes Verhalten und die Herausbildung institutionalisierter<br />
Verhaltenserwartungen können diesen Angleichungsprozess unterstützen (DiMaggio und<br />
Powell 1983; Walgenbach und Meyer 2007), <strong>zum</strong>al der Kontakt zwischen vielen Unternehmen<br />
u.a. aufgrund der räumlichen Nähe, Mitgliedschaft in Branchenorganisationen sowie<br />
gemeinsamer Projekte und Veranstaltungen eng ist.<br />
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sind für das Management von Viehhandelsorganisationen<br />
in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. So ist die Branchenstruktur erstmals<br />
empirisch untersucht worden, so dass Analysen der Branchenumwelt im Rahmen der<br />
strategischen Planung auf eine tragfähigere Basis gestellt werden können. Das Denken in<br />
Geschäftsmodellen fördert zudem die Formulierung konsistenter Strategien, die das Über-
leben der Organisationen trotz des sich vollziehenden Strukturwandels auf Zuliefer- und<br />
Abnehmerseite sichern können.<br />
In weiteren Untersuchungen sollte analysiert werden, welchen genauen Beitrag das<br />
jeweilige Geschäftsmodell <strong>zum</strong> Unternehmenserfolg leistet und wie sich die identifizierten<br />
Gruppen hinsichtlich ihres Erfolgs voneinander unterscheiden. Vorliegende Untersuchungen<br />
deuten darauf hin, dass im Agribusiness Strategien tatsächlich eine erhebliche Erfolgsrelevanz<br />
besitzen (Theuvsen und Franz 2007; Theuvsen et al. 2010). Auch die Frage des<br />
Zusammenspiels der externen Branchenumwelt und interner Ressourcen und Fähigkeiten<br />
verdient eine vertiefende Betrachtung (vgl. Kapitel 2.1 dieses Buches).<br />
Literatur<br />
DiMaggio, P. J.und Powell, W. (1983): The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and<br />
Collective Rationality in Organizational Fields. In: American Sociological Review, 48. Jg.,<br />
S. 147-160.<br />
Frese, E. (1987): Unternehmungsführung. Landsberg a. Lech.<br />
Hamel, G. (2000): Leading the Revolution. Boston.<br />
Kieser, A. (2006): Der Situative Ansatz. In: Kieser, A. und M. Ebers (Hrsg.): Organisationstheorien.<br />
6. Aufl., Stuttgart, S. 215-245.<br />
Lenz, R. T. (1981): Determinants of Organizational Performance: An Interdisciplinary Review. In:<br />
Strategic Management Journal, 2. Jg., S. 131-154.<br />
Porter, M.E. (1980): Competitive Strategy: Creating and Sustaining Superior Performance. New<br />
York.<br />
Porter, M.E. (2001): Strategy and the Internet. In: Harvard Business Review, 79. Jg., März,<br />
S. 63-78.<br />
Rudolph, T. (2006): Erfolgreiche Geschäftsmodelle im Detailhandel. In: Die Volkswirtschaft,<br />
H. 6, S. 20-23.<br />
Stähler, P. (2001): Geschäftsmodelle in der digitalen Ökonomie: Merkmale, Strategien und Auswirkungen.<br />
Köln, Lohmar.<br />
Theuvsen, L. und Franz, A. (2007): The Role and Success Factors of Livestock Trading Cooperatives:<br />
Empirical Evidence from German Pork Production. In: International Food and Agribusiness<br />
Management Review, 10. Jg., H. 3, S. 90-112.<br />
Theuvsen, L., Heyder, M. und Niederhut-Bollmann, C. (2010): Does Strategic Group Membership<br />
Affect Firm Performance? An Analysis of the German Brewing Industry. In: German Journal of<br />
Agricultural Economics, 59. Jg., S. 61-76.<br />
Timmers, P. (1998): Business Models for Electronic Markets. In: Gadient, Y., Schmid, B. F. und<br />
Selz, D., (Hrsg.): EM - Electronic Commerce in Europe. EM - Electronic Markets, 8. Jg., H. 2,<br />
07/98.<br />
Voss, A. und Theuvsen, L. (2009): Geschäftsprozessanalyse mit Visio: Eine Anwendung im genossenschaftlichen<br />
Viehhandel. In: Bill, R., Korduan, P., Theuvsen, L. und Morgenstern, M.<br />
(Hrsg.): Anforderungen an die Agrarinformatik durch Globalisierung und Klimaveränderung.<br />
Bonn, S. 177-180.<br />
Walgenbach, P. und Meyer, R. (2007): Neoinstitutionalistische Organisationstheorie. Stuttgart.<br />
Weick, K.E. (1985): Der Prozess des Organisierens. Frankfurt a. Main.<br />
Wirtz, B.W. (2001): Electronic Business. 2. Aufl., Wiesbaden.<br />
Wirtz, B.W. und Kleineicken, A. (2000): Geschäftsmodelltypologien im Internet. In: Wirtschaftswissenschaftliches<br />
Studium, 29. Jg., S. 628-635.<br />
55
2.3 Organisation von Geschäftsprozessen im<br />
genossenschaftlichen Viehhandel<br />
Anja Voss und Ludwig Theuvsen<br />
Schon seit einigen Jahren findet ein tiefgreifender Wandlungsprozess in der stark genossenschaftlich<br />
geprägten deutschen Fleischwirtschaft statt (Spiller et al. 2005). Auf der<br />
einen Seite ist eine fortschreitende Konzentration der Schlachtunternehmen zu beobachten;<br />
die zehn führenden Unternehmen z.B. schlachten inzwischen in Deutschland rund<br />
70% aller Schweine (o.V. 2009, S. 8). Gleichzeitig hat sich auch der Strukturwandel auf der<br />
Erzeugerseite erheblich beschleunigt. So haben zwischen November 2007 und November<br />
2008 15,8% aller Schweineerzeuger die Produktion aufgegeben; die Zahl der Betriebe sank<br />
dadurch innerhalb nur eines Jahres von knapp 80.000 auf rund 67.000 (Destatis 2008). Im<br />
November 2009 zählte das Statistische Bundesamt sogar nur noch 62.800 Schweinehalter<br />
(Destatis 2010). Bereits 2006 wurden mehr als 50% aller Schlachtschweine von weniger<br />
als 10% der schweinehaltenden Betriebe (7.300 von insgesamt 88.700 Betrieben) erzeugt<br />
(Destatis 2006). Entsprechend deutlich nehmen weiterhin die durchschnittlichen Bestandsgrößen<br />
zu. 2009 standen fast ein Drittel aller Mastschweine in nur 1.900 Betrieben, die<br />
über jeweils 1.000 oder mehr Mastplätze verfügen (Destatis 2009).<br />
In der deutschen Fleischwirtschaft dominiert bislang die sogenannte zweistufige Vermarktung,<br />
bei der die große Mehrzahl der Schlachttiere von den Landwirten nicht unmittelbar<br />
an Schlachtunternehmen, sondern unter Einschaltung von Organisationen des privaten<br />
oder genossenschaftlichen Viehhandels vermarktet wird (vgl. Kapitel 1.2 dieses Bandes).<br />
Die etablierten Vermarktungsstrukturen werden durch die strukturellen Veränderungen in<br />
der Fleischwirtschaft unter erheblichen Anpassungsdruck gesetzt, da in jeder sich konzentrierenden<br />
Wertschöpfungskette der Zwischenhandel durch die Gefahr der Ausschaltung<br />
(Disintermediation) bedroht ist, wie dies z.B. auch dem Lebensmittelgroßhandel widerfahren<br />
ist (Zentes und Morschett 2007).<br />
Angesichts dieser Bedrohung muss sich der genossenschaftliche Viehhandel kritisch<br />
mit der eigenen Rolle in den Wertschöpfungsketten der Fleischwirtschaft befassen. Diese<br />
Auseinandersetzung muss sich sowohl auf die verfolgten Geschäftsmodelle und Strategien<br />
(Theuvsen und Voss 2009; Voss et al. 2010) als auch die implementierten Formen<br />
der Geschäftsprozessorganisation erstrecken um zu überprüfen, inwieweit diese den sich<br />
wandelnden Anforderungen gerecht werden (Schmelzer und Sesselmann 2003). Vor diesem<br />
Hintergrund ist es das Ziel des Beitrags, die Kern- und Unterstützungsprozesse von<br />
Organisationen des genossenschaftlichen Viehhandels zu identifizieren und einer kritischen<br />
Analyse zu unterziehen. Hierbei steht eine Analyse der Kernaktivitäten der betrachteten<br />
Organisationen im Kunden-Lieferanten-Management, namentlich der Prozess der Schlachtviehvermarktung,<br />
im Mittelpunkt. Im Folgenden werden zunächst die Grundlagen der<br />
Geschäftsprozessorganisation erörtert. Daran schließen sich die Darstellung der Untersuchungsmethodik<br />
sowie der Untersuchungsergebnisse an. Eine Diskussion der Ergebnisse<br />
und einige Schlussfolgerungen <strong>zum</strong> weiteren Forschungsbedarf beschließen den Beitrag.<br />
57
Grundlagen der Geschäftsprozessorganisation<br />
58<br />
Geschäftsprozessanalysen haben das Ziel, Geschäftsprozesse in und zwischen Organisationen<br />
zu identifizieren sowie Verbesserungspotentiale aufzuzeigen. Obwohl die Beschäftigung<br />
mit der Organisation von Geschäftsprozessen unter dem Begriff der Ablauforganisation<br />
bereits durch Erich Kosiol (1962) in die deutschsprachige Organisationslehre<br />
eingeführt wurde, hat erst die unter der Bezeichnung Business (Process) Reengineering<br />
bekanntgewordene Managementbewegung Mitte der 1990er Jahre zu einer intensiveren<br />
Beschäftigung mit der Organisation von Geschäftsprozessen geführt (Theuvsen 1996). Die<br />
Betrachtung der Geschäftsprozessorganisation erhielt weiteren Aufwind, weil sie auch von<br />
der Qualitätsmanagementbewegung aufgegriffen wurde, etwa in Form der prozessorientierten<br />
ISO 9001:2000. Da die ISO 9001 ihrerseits Vorbild für bedeutende Zertifizierungssysteme<br />
in der Agrar- und Ernährungswirtschaft war, so bspw. den BRC Global Standard,<br />
den International Food Standard sowie die ISO 22000, und entsprechende Zertifikate heute<br />
vom Lebensmitteleinzelhandel fast durchgängig verlangt werden (Schulze et al. 2008), hat<br />
die Prozessorientierung auch auf diesem Wege das Agribusiness erreicht (Theuvsen und<br />
Peupert 2006).<br />
Hammer und Champy (1994, S. 52), die das Konzept der Prozessorganisation in den<br />
1990er Jahren popularisiert haben, definieren einen Geschäftsprozess als ein „Bündel von<br />
Aktivitäten, für das ein oder mehrere Inputs benötigt werden und das für den Kunden ein<br />
Ergebnis von Wert erzeugt“; es handelt sich somit um eine „Gesamtheit von in Wechselbeziehungen<br />
stehenden Abläufen, Vorgängen und Tätigkeiten, durch welche Werkstoffe, Energien<br />
oder Informationen transportiert oder umgeformt werden“ (Buschmann 1998, S. 14).<br />
In Anlehnung an die in der Literatur seit langem verbreitete Unterscheidung von primären<br />
und sekundären Aktivitäten (Dale 1965; Porter 1985) hat sich in der Prozessmanagementliteratur<br />
die Abgrenzung von Kern- und Unterstützungsprozessen durchgesetzt<br />
(Käfer und Wagner 2003). Kernprozesse sind unmittelbar auf die Erstellung von Produkten<br />
oder die Erbringung von Dienstleistungen ausgerichtet; sie erzeugen für die Kunden eines<br />
Unternehmens einen messbaren Nutzen und leisten damit einen unmittelbaren Beitrag zur<br />
Erreichung der Unternehmensziele. Zu den Kernprozessen werden neben den eigentlichen<br />
Leistungserstellungsprozessen oft auch die Managementprozesse gerechnet, die der strategischen<br />
Ausrichtung einer Organisation dienen und dadurch den strukturellen Rahmen<br />
schaffen, in dem sich die Leistungserstellungsprozesse vollziehen können (Pfeifer 2001).<br />
Als Unterstützungsprozesse werden dagegen Prozesse bezeichnet, die zur Sicherstellung<br />
des reibungslosen Ablaufs der Kernprozesse erforderlich sind, z.B. das Personalmanagement<br />
und das Rechnungswesen (Käfer und Wagner 2003). Sie werden gelegentlich etwas<br />
abschätzig auch als „necessary …, but … secondary“ (White 1955, S. 195) charakterisiert.<br />
Hammer und Champy (1994) gehen davon aus, dass ein Unternehmen in aller Regel<br />
aus nicht mehr als zehn übergeordneten Kern- und Unterstützungsprozessen besteht, die<br />
jeweils in maximal sechs Unterprozesse untergliedert werden können. Kaplan und Murdock<br />
(1991) postulieren sogar, dass ein Unternehmen nicht mehr als drei bis vier Kernprozesse<br />
umfasst. Letzteres dürfte auch auf den Viehhandel zutreffen, der einen ganz zentralen Geschäftsprozess,<br />
die Schlachtviehvermarktung, sowie ggf. einige wenige weitere Kernprozesse<br />
wie z.B. die Nutzviehvermarktung, die Schlacht- und Nutzviehlogistik oder die Vermarktung<br />
von Betriebsmitteln umfasst.<br />
Hammer und Champy (1994, S. 48) sind angetreten mit dem Ziel, „fundamentales<br />
Überdenken und radikales Redesign von Unternehmen oder wesentlichen Unternehmensprozessen“<br />
zu ermöglichen. Tatsächlich konnten gerade in Bezug auf die Durchlaufzeiten
von Geschäftsprozessen z.T. spektakuläre Erfolge durch Anwendung der Prinzipien der<br />
Prozessorganisation erreicht werden (Gaitanides et al. 1994; Osterloh und Frost 2006;<br />
Picot und Franck 1995), allerdings oft zulasten anderer organisatorischer <strong>Teil</strong>ziele wie z.B.<br />
der Nutzung von Spezialisierungsvorteilen (Theuvsen 1996). Tatsächlich stehen aber häufig<br />
nicht die großen Würfe, sondern die leicht erkenn- und mit vergleichsweise geringem<br />
Aufwand realisierbaren „low hanging fruits“, d.h. schrittweise, eher kleinere Verbesserungen,<br />
im Vordergrund von Maßnahmen zur Verbesserung der Geschäftsprozessorganisation<br />
(Wagner 2003).<br />
Die Analyse von Geschäftsprozessen umfasst drei Phasen. In der ersten Phase wird die<br />
Aufbauorganisation des jeweiligen Unternehmens umfassend aufgenommen; dies erlaubt<br />
häufig bereits die Aufdeckung erster Schwachstellen. Im zweiten Schritt erfolgt die Ist-<br />
Aufnahme der Geschäftsprozesse, die in die Beschreibung der „Prozesslandschaft“ einer<br />
Organisation mündet (Käfer und Wagner 2003). Dabei liegt das Hauptaugenmerk in erster<br />
Linie auf denjenigen Kernprozessen, die ein offensichtliches Verbesserungspotential erkennen<br />
lassen. Die dritte Phase bildet die vertiefte Analyse und Bewertung der Geschäftsprozessorganisation;<br />
der ermittelte Ist-Zustand wird dabei u.a. im Wege des Benchmarking,<br />
der Schwachstellenanalyse oder der Prozesskostenrechnung auf Verbesserungspotentiale<br />
untersucht.<br />
Geschäftsprozesse, insbesondere Kernprozesse, werden häufig als betriebliche Abläufe<br />
aufgefasst, die alle oder wesentliche auf einen Abnehmer bzw. den externen Markt gerichteten<br />
Aktivitäten umfassen; Beispiele sind etwa die Angebotserstellung oder die Auftragsabwicklung<br />
(Hammer und Champy 1994). Bei der Beschäftigung mit den Geschäftsprozessen<br />
des genossenschaftlichen Viehhandels kann dies gelegentlich zu Verwirrung führen, da<br />
Landwirte z.B. im Prozess der Schlachtviehvermarktung als Lieferanten, in anderen Prozessen,<br />
bspw. der Nutzviehvermarktung, dagegen auch als Abnehmer (oder sogar gleichzeitig<br />
als Abnehmer und Lieferanten) fungieren können. Es ist daher jeweils im Einzelfall zu<br />
klären, wer die Viehvermarktungsorganisation mit Waren bzw. Dienstleistungen versorgt<br />
und daher als Lieferant zu charakterisieren ist und Anspruch auf Zahlungen für geleistete<br />
Lieferungen hat (Wagner 2002) und wer Empfänger eines Produktes ist und daher im Sinne<br />
der – inzwischen zurückgezogenen – DIN EN ISO 8402 als Abnehmer bzw. Kunde einzustufen<br />
ist und Zahlungen für die jeweilige Lieferung leisten muss.<br />
Schlachtviehvermarktung als Geschäftsprozess<br />
Methodische Grundlagen<br />
Die Analyse der Geschäftsprozessorganisation im genossenschaftlichen Viehhandel basiert<br />
in der vorliegenden Studie auf qualitativen und quantitativen Datenerhebungen bei führenden<br />
deutschen Viehvermarktungsgenossenschaften und genossenschaftlich organisierten<br />
EZG. Zu Beginn der Untersuchung wurde den Geschäftsführern von insgesamt zwölf Organisationen<br />
ein Vorabfragebogen zugesandt, der der Klärung wichtiger Rahmenbedingungen<br />
wie der Unternehmensstruktur, der Geschäftsfelder, der Kernprozesse, der Vertragssituation<br />
sowie der Mitgliederstruktur als Grundlage der weiteren Prozessbeschreibung und<br />
-analyse diente.<br />
Gestützt auf einen Interviewleitfaden wurden sodann im Zeitraum von Januar 2008 bis<br />
April 2008 semi-strukturierte Interviews mit den Geschäftsführern sowie einzelnen Mitarbeitern<br />
von fünf VVO zur Organisation ihrer Kernprozesse geführt. Dabei wurde die Prozessorganisation<br />
bei den verschiedenen vermarkteten Tierarten – durchweg Schweine, z.T.<br />
59
aber auch Rinder – getrennt aufgenommen und ausgewertet. Die Interviews wurden digital<br />
aufgezeichnet und später transkribiert.<br />
Im Anschluss an die Auswertung des Fragebogens und der Expertengespräche wurden<br />
die Kernprozesse in Form von Flussdiagrammen mit Hilfe der Visualisierungssoftware Visio<br />
abgebildet. Tabelle 2.3/1 stellt die nach DIN 66001 sowie ISO 5807 für Datenflussdiagramme<br />
verwendeten Symbole dar. Schließlich wurde in einer ergänzend durchgeführten Befragung<br />
die Zufriedenheit der landwirtschaftlichen Lieferanten mit den genossenschaftlichen<br />
VVO erhoben.<br />
Tabelle 2.3/1: Symbole in Datenflussdiagrammen<br />
Verwendete Symbole<br />
Erklärung<br />
Informationsträger/ Dokument<br />
Physisch vorhandenes Dokument bzw. Formular, das in<br />
Form von Papier, elektronisch oder beidem übermittelt<br />
wird<br />
Prozess<br />
Schnittstelle zu einem anderen, eigenständigen Prozess<br />
Abfrage bzw. Verzweigung<br />
Ja-Nein-Abfrage während eines Prozesses, deren<br />
Beantwortung entscheidend für den weiteren Verlauf<br />
des Prozesses ist<br />
Funktion bzw. Prozessschritt<br />
Quelle: DIN 66001-1966; ISO 5807:1985-02<br />
Fachliche Aufgabe bzw. Tätigkeit an einem Objekt zur<br />
Unterstützung eines oder mehrerer Unternehmensziele<br />
Aufbauorganisation und Kernprozesse im<br />
genossenschaftlichen Viehhandel<br />
60<br />
In den betrachteten VVO ist durchweg eine flache, nach dem klassischen (Fayol 1916) Einlinienprinzip<br />
gestaltete Organisationsstruktur implementiert worden. Sie ist durch eine teils<br />
verrichtungsorientierte (Schlacht- und Nutzviehvermarktung – Fuhrpark – Verwaltung), teils<br />
objektorientierte (Schweine – Rinder) Arbeitsteilung gekennzeichnet; teilweise finden sich<br />
– wie in Abbildung 2.3/1 wiedergegeben – auch mehrdimensionale Lösungen, die Elemente<br />
der verrichtungs- und der objektorientierten Arbeitsteilung (Frese 2005) miteinander<br />
kombinieren.<br />
Die Leitungsstrukturen folgen den Vorgaben des Genossenschaftsgesetzes (GenG<br />
2007). Danach obliegt die Geschäftsführung dem Vorstand, der gemäß § 38 GenG die Genossenschaft<br />
nach innen sowie außen vertritt und von der Generalversammlung oder dem
Aufsichtsrat gewählt wird. Er besteht aus mindestens zwei Mitgliedern der Genossenschaft.<br />
Im genossenschaftlichen Viehhandel gehören dem Vorstand meist praktizierende Landwirte<br />
an, die über die Genossenschaft ihre Tiere vermarkten. Der Aufsichtsrat hat die Aufgabe,<br />
die Tätigkeiten des Vorstandes und der Geschäftsführung zu überwachen (§ 9 GenG).<br />
An den oder die (hauptamtlichen) Geschäftsführer delegiert der Vorstand regelmäßig die<br />
Führung des Tagesgeschäfts sowie die strategische Ausrichtung der Genossenschaft (§ 25<br />
GenG). Abbildung 2.3/1 zeigt die für die untersuchten Organisationen des genossenschaftlichen<br />
Viehhandels typische Aufbauorganisation.<br />
Abb. 2.3/1: Organisationsstrukturen im genossenschaftlichen Viehhandel<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Abbildung 2.3/2 ist zu entnehmen, dass im genossenschaftlichen Viehhandel insgesamt<br />
vier Kernprozesse identifiziert werden konnten. Hierzu gehören die Schlachtviehvermarktung,<br />
die Nutzviehvermarktung, die Schlacht- und Nutzviehlogistik sowie die Vermarktung<br />
von Betriebsmitteln. Diese Geschäftsprozesse sind allerdings mit Ausnahme der<br />
Nutzviehvermarktung nicht durchgängig in allen befragten Organisationen anzutreffen.<br />
61
Abb. 2.3/2: Kernprozesse im genossenschaftlichen Viehhandel (n = 12)<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Zu den wichtigsten Unterstützungsprozessen gehören die Begleitung der Qualitätssicherung<br />
auf den landwirtschaftlichen Mitgliedsbetrieben, die allgemeine Marktbeobachtung,<br />
die Öffentlichkeitsarbeit, die Kontrolle der Schlachtabrechnung, die Übermittlung<br />
der Schlachtdaten an die Landwirte, die Abrechnung mit den Landwirten sowie die eigenen<br />
Verwaltungsprozesse (Abb. 2.3/3).<br />
Abb. 2.3/3 : Unterstützungsprozesse im genossenschaftlichen Viehhandel (n = 12)<br />
62<br />
Quelle: Eigene Darstellung
Abb. 2.3/4: Schlachtviehvermarktungsprozess Schwein<br />
E<br />
D<br />
M<br />
I<br />
Input<br />
Prozessablauf<br />
Output<br />
Verm.<br />
SN<br />
Bedarfsmeldung<br />
Landwirt<br />
meldet Partie<br />
telefonisch bei<br />
der VVO an<br />
Mitarbeiter der<br />
VVO fragt bei<br />
Landwirt zwecks<br />
Tieren an<br />
Angebot<br />
Kaufvertrag<br />
Verm.<br />
SN<br />
Anmeldung der Partie<br />
beim Schlachthof<br />
Menge, Landwirt<br />
Verm.<br />
SN<br />
zu<br />
wenig<br />
Zukauf vom<br />
Handel, anderen<br />
VVO´s oder<br />
Landwirten<br />
Schlachtvieh<br />
vorhanden<br />
ausreich<br />
end<br />
zu<br />
viel<br />
Überschüsse<br />
zusätzlich an<br />
(andere)<br />
Schlachthöfe/<br />
VVO´s verkaufen<br />
Verm.<br />
SN<br />
FP<br />
Schlachtviehlogistik<br />
organisieren<br />
Verm.<br />
SN<br />
Schlachtung<br />
Empfangsbestätigung<br />
des Schlachthofes<br />
Verm.<br />
SN<br />
Kontrolle am<br />
Schlachtband<br />
Verm.<br />
SN<br />
Übermittlung der<br />
Schlachtdaten an<br />
Landwirt<br />
Schlachtdaten<br />
Schlachtabrechnung<br />
Landwirt prüft auf<br />
Richtigkeit der Daten<br />
Ja<br />
Landwirt mit<br />
Schlachtdaten<br />
einverstanden?<br />
Nein<br />
GF<br />
VVO schaltet sich<br />
ein und klärt den<br />
Sachverhalt<br />
Verw.<br />
Bezahlung der<br />
Rechnung an den<br />
Landwirt<br />
Rechnung<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
63
Organisation der Schlachtviehvermarktung<br />
64<br />
Der zentrale Kernprozess in den Unternehmen des genossenschaftlichen Viehhandels ist<br />
die Schlachtviehvermarktung. Abbildung 2.3/4 stellt diesen Geschäftsprozess am Beispiel<br />
der Vermarktung von Schlachtschweinen in Form eines Flussdiagramms dar; er ist in den<br />
vertiefend untersuchten fünf VVO in weitgehend identischer Form organisiert. Neben dem<br />
Prozessablauf sowie dem In- und Output der einzelnen Prozessschritte sind in Abbildung<br />
2.3/4 auch die Verantwortlichkeiten für die einzelnen Prozessschritte wiedergegeben. Die<br />
Verantwortlichkeiten werden in E – Entscheidung, D – Durchführung, M – Mitarbeit und<br />
I – Information differenziert; sie sind der Geschäftsführung (GF), der Vermarktung Schwein<br />
(Verm. SN), der Verwaltung der VVO (Verw.) sowie dem Fuhrpark (FP) zugewiesen. An<br />
definierten Schnittstellen werden Inputs von außen in den Prozess eingebracht, während<br />
Outputs den Prozess ebenfalls an bestimmten Schnittstellen verlassen (Wagner 2003). Im<br />
Folgenden wird der erhobene Prozessablauf am Beispiel der Vermarktung von Schlachtschweinen<br />
skizziert.<br />
Jeder Schlachtviehvermarktungsprozess beginnt mit der Bedarfsmeldung als Input. Sie<br />
kann auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen. Entweder meldet der Landwirt seine Tiere<br />
telefonisch bei der VVO an, oder der zuständige Mitarbeiter der VVO fragt bei den Landwirten<br />
nach, ob Tiere für die Vermarktung zur Verfügung stehen. Da die VVO-Mitarbeiter<br />
oftmals auch Ferkel an die Landwirte verkaufen, wissen sie in diesen Fällen in etwa, zu<br />
welchem Zeitpunkt die Tiere ihr Schlachtgewicht erreichen und wann sie verkauft werden.<br />
Dementsprechend planen die Mitarbeiter die Tiere schon vor deren Anmeldung in den Verkauf<br />
ein. Diese auf Prognosedaten und Erfahrungswissen basierende Planung muss nur in<br />
Ausnahmefällen revidiert werden, etwa, wenn die Tiere aufgrund eines Krankheitseinbruchs<br />
im Bestand, z.B. Influenza, oder der Verfütterung qualitativ minderwertigen Futters in ihrer<br />
Entwicklung zurückfallen.<br />
Durch die telefonische Anmeldung der Schlachtschweine erfolgen gleichzeitig die Angebotserstellung<br />
sowie die Besiegelung des Kaufvertrages, der in diesem Fall nicht schriftlich,<br />
sondern mündlich geschlossen wird. Im nächsten Schritt melden die Mitarbeiter im Bereich<br />
Vermarktung Schwein die Schlachtschweinepartien beim Schlachthof an. Dabei werden die<br />
Menge der Schlachttiere, Angaben <strong>zum</strong> liefernden Landwirt sowie der Gesundheitsstatus<br />
der Tiere an den Schlachthof kommuniziert (Plumeyer et al. 2009). Bei der Vermarktung<br />
nimmt die Genossenschaft nach Möglichkeit Rücksicht auf den Wunschschlachthof der<br />
Landwirte, der wesentlich durch die vom einzelnen Schlachthof verwendete Preismaske<br />
bestimmt wird.<br />
Aufgrund von Verträgen, über die die genossenschaftlichen Viehhändler mit den<br />
Schlachthöfen sowie – beispielsweise im Rahmen der Produktion von Handelsmarken – mit<br />
weiteren Abnehmern verbunden sind, ist anschließend die Abfrage erforderlich, inwieweit<br />
das Angebot an Schlachttieren den Lieferverpflichtungen entspricht. Die zugrunde liegenden<br />
Rahmenverträge werden meist jährlich ausgehandelt; sie sehen die Lieferung einer<br />
bestimmten Anzahl an Schlachttieren pro Woche vor. Unerwartete Angebots- wie auch<br />
Nachfrageschwankungen bewirken jedoch, dass es zu Unter- oder Überdeckungen kommen<br />
kann. Für diesen Fall müssen Lösungen für die bestehenden Liefer- bzw. Absatzschwierigkeiten<br />
gefunden werden. So können Schlachttiere bei anderen VVO zugekauft oder auch an<br />
diese vermarktet werden oder die Liefervereinbarung mit dem Schlachthof wird kurzfristig<br />
nach oben oder unten angepasst. Schließlich können Tiere bei Bedarf auch „geschoben“<br />
werden. In diesem Fall werden entweder Tiere verkauft, obwohl das optimale Schlachtgewicht<br />
noch nicht erreicht ist, oder Tiere noch einige Tage gemästet, obwohl sie schon das
optimale Gewicht aufweisen. Bei strenger Auslegung des Genossenschaftsgedankens ist<br />
Letzteres nicht unproblematisch, da nicht nur eine Andienungspflicht auf Seiten der Landwirte,<br />
sondern auch eine Abnahmepflicht auf Seiten der VVO besteht. Einige Organisationen<br />
garantieren sogar eine Vermarktung der Schlachttiere in einem bestimmten Zeitraum,<br />
meist innerhalb einer Kalenderwoche, sofern die Landwirte ihre Tiere bis zu einem bestimmten<br />
Tag der Vorwoche angemeldet haben. In diesem Fall wird der Dispositionsspielraum<br />
der VVO und ihrer Mitarbeiter erheblich eingeschränkt.<br />
Die Anmeldung der Partie beim Schlachthof sowie die Feststellung einer Über- oder<br />
Unterversorgung mit Schlachtvieh verlaufen fast zeitgleich, da die Mitarbeiter der Vermarktung<br />
Schlachtvieh erst durch den Anruf beim Schlachthof dessen genauen Schlachtviehbedarf<br />
erfahren.<br />
An den Abgleich von Tierangebot und -bedarf schließt sich die Schlachtviehlogistik als<br />
eigenständiger (Unter-)Prozess an, der durch die Vermarktung Schwein geplant und den<br />
Fuhrpark ausgeführt wird. Auch wenn dieser Prozess hier nicht im Detail betrachtet werden<br />
soll, so ist für die Schlachtviehvermarktung gleichwohl von Bedeutung, dass die Schlachtschweine<br />
immer in Transportzügen, bestehend aus Zugfahrzeug und Anhänger, verkauft<br />
werden. Ein Landwirt kann daher jeweils die Anzahl an Schlachttieren an die VVO verkaufen,<br />
die den gesamten Zug, nur das Zugfahrzeug oder nur den Anhänger füllt. Die Fahrzeuge<br />
und die Anhänger können jeweils bis zu drei Lagen mit je 33 Schlachtschweinen laden,<br />
die wiederum in drei Abteilungen pro Lage getrennt sind. So ergeben sich pro Fahrzeug<br />
bzw. Anhänger maximal je 99 Tiere bzw. pro Zug 198 Tiere. Um das zulässige Gesamtgewicht<br />
von 40 Tonnen nicht zu überschreiten, wird bei der Planung der Schlachtviehlogistik<br />
jedoch nur mit 180 Schlachttieren pro Transportzug gerechnet. Diese Zahl müssen die<br />
Schlachtviehverkäufer bei der Wahrnehmung ihrer Vermarktungsaufgabe berücksichtigen.<br />
Nachdem die Schlachttiere bei den Landwirten abgeholt worden sind, werden sie <strong>zum</strong><br />
Schlachthof transportiert. Dort wird dem Fahrer eine Empfangsbestätigung überreicht,<br />
in der die Anzahl der Tiere, mögliche Transportschäden sowie das Gesamtgewicht des<br />
Fahrzeugs einschließlich der Schlachttiere vermerkt sind. Diese Empfangsbestätigung<br />
wird dann dem von der VVO beauftragten Kontrolleur übergeben. Dies ist ein eigens für<br />
die Kontrolle am Schlachtband geschulter Mitarbeiter der VVO, der in Schlachthöfen, die die<br />
Schlachttiere nach FOM 1 klassifizieren, bei jeder Lieferung für die Überprüfung der ermittelten<br />
Schlachtgewichte, der korrekten Ausführung der Schnitte im Rahmen der Zerlegung<br />
der Schlachtkörper sowie der Klassifizierung der Schlachttiere zuständig ist. Aus Kostengründen<br />
werden nach Möglichkeit möglichst viele Schlachttiere zu einem bestimmten<br />
Zeitpunkt angeliefert oder dieselben Kontrolleure durch kooperierende Genossenschaften<br />
beauftragt.<br />
Haben die Kontrollen am Schlachthof keine Auffälligkeiten ergeben, werden die<br />
Schlachtdaten überwiegend per Fax an die Landwirte übermittelt. Mit den Schlachtdaten<br />
werden alle relevanten Informationen wie Klasse, Stückgewicht, Muskelfleischanteil sowie<br />
Bemerkungen über Krankheiten, verworfene <strong>Teil</strong>stücke sowie vorläufig beanstandete Tiere<br />
versandt. Den Schlachtdaten liegt meist auch die Abrechnung der Schlachttiere bei. Der<br />
Landwirt überprüft alle Daten auf Richtigkeit. Ist er mit den Schlachtdaten einverstanden, erfolgt<br />
die Bezahlung. Ergeben sich Unstimmigkeiten, wendet sich der Landwirt an die VVO,<br />
da diese sein Vertragspartner beim Verkauf der Schlachttiere ist. Die VVO klärt dann in<br />
1 FOM ist ein manuelles Einstichverfahren das mittels einer Sonde (Fat-o-Meter) den Muskelfleischanteil des<br />
Schlachttieres bestimmt. Seit 1997 sind auch vollautomatische Verfahren (AutoFOM) zugelassen, deren Ergebnis<br />
nicht mehr von der Genauigkeit des Schlachters in Bezug auf Einstichwinkel und Einstichort abhängt.<br />
65
Abstimmung mit dem Landwirt und ggf. dem Schlachthof den Sachverhalt; bei Bedarf werden<br />
externe Experten hinzugezogen, um eine schnelle und beiden Seiten gerecht werdende<br />
Einigung herbeizuführen. Die VVO kann in solchen Fällen aufgrund ihrer vergleichsweise<br />
neutralen Position als Moderator zwischen Landwirt und Schlachthof fungieren. Mit der<br />
Bezahlung der Rechnung durch die Verwaltung der VVO ist der Schlachtviehvermarktungsprozess<br />
beendet.<br />
Zufriedenheit der Landwirte mit der Organisation<br />
der Schlachtviehvermarktung<br />
66<br />
Um zu einer ersten Einschätzung der Qualität der Geschäftsprozessorganisation in genossenschaftlichen<br />
VVO zu gelangen, wurde eine Analyse der Landwirtezufriedenheit durchgeführt.<br />
In diesem Zusammenhang wurden im Januar und Februar 2008 Landwirte, die an<br />
die 12 VVG, deren Geschäftsprozesse im Rahmen des Projektes betrachtet wurden, liefern,<br />
schriftlich befragt. Insgesamt wurden 781 Landwirte zu ihrer Unternehmensstruktur, ihrem<br />
Vermarktungsverhalten, ihrer Zufriedenheit mit den Aktivitäten ihrer angeschlossenen<br />
Genossenschaft sowie der Zufriedenheit im Hinblick auf die Realisierung der Kern- und<br />
Unterstützungsprozesse befragt.<br />
Wie bei der Beschreibung der Organisation der Kernprozesse bezieht sich die Auswertung<br />
der Kundenzufriedenheit auf den zentralen Kernprozess des genossenschaftlichen<br />
Viehhandels, die Schlachtviehvermarktung. Abbildung 2.3/5 zeigt die Gesamtzufriedenheit<br />
der Landwirte sowie die Zufriedenheit mit einzelnen Zwischenschritten des Schlachtviehvermarktungsprozesses<br />
(Skala von -3: „ganz und gar unzufrieden“ bis +3: „ganz und gar<br />
zufrieden“).<br />
Bei der Betrachtung der Ergebnisse ist zu erkennen, dass die Landwirte fast durchgängig<br />
mit der gesamten Erfüllung des Prozesses „zufrieden“ sind (Ø 1,96). Am zufriedensten<br />
sind die Landwirte mit den Prozessschritten der Interaktion mit dem Schlachthof (Ø 2,16),<br />
dem Viehtransport (Ø 2,13) und der allgemeinen Interaktion der Genossenschaft mit den<br />
Landwirten (Ø 2,05). Hieraus ist zu erkennen, dass die Prozessschritte, die die Viehhandelsorganisationen<br />
selbstständig beeinflussen können, gut auf die Bedürfnisse der einzelnen<br />
Landwirte ausgerichtet sind. Die Landwirte sind im Schnitt „zufrieden“; bei den meisten<br />
Kriterien sind gut 30% der Landwirte sogar „ganz und gar zufrieden“.<br />
Die Prozessschritte, die nicht nur von der Genossenschaft, sondern auch von Dritten,<br />
z.B. Schlachthöfen, abhängig sind, werden durchschnittlich schlechter bewertet. Exemplarisch<br />
sind die Leistungen des Prozessschrittes der Schlachtung (Ø 1,85) zu erwähnen. Mit<br />
dieser Leistung sind nur 23% der Landwirte „ganz und gar zufrieden“.<br />
Am schlechtesten schnitten mit jeweils durchschnittlich 1,54 die sonstigen Prozessschritte<br />
sowie die finanziellen Aspekte ab. Die Landwirte sind im Mittel zwar immer noch<br />
„eher zufrieden“; dennoch sollte die Durchführung der sonstigen Prozessschritte von den<br />
Genossenschaften modifiziert werden. Im Bereich des Beschwerdemanagements sowie der<br />
Auswertung der Betriebsdaten sind nur 15,3% der Landwirte mit ihrem Viehhändler „ganz<br />
und gar zufrieden“.<br />
Ein weiteres, immer wieder schwieriges Thema sind die finanziellen Aspekte. Bei diesem<br />
Kriterium gibt es zwischen den einzelnen Variablen erhebliche Unterschiede. Mit der<br />
Länge des Geldeingangs sind 24,3% der Landwirte „ganz und gar zufrieden“, mit dem<br />
Basispreis und der Abrechnungsmaske dagegen nur 10,3%. Auf beide Aspekte können
Landwirte und Genossenschaften kaum Einfluss ausüben; der Preis und die Maske werden<br />
größtenteils von außen bestimmt. Mit der Höhe der Vorkosten (Ø 1,22) sind die Landwirte<br />
am unzufriedensten; 15,5% der Befragten sind in diesem Bereich nicht mit ihrer Genossenschaft<br />
zufrieden. Die Höhe der Vorkosten wird zwar von den Genossenschaften selbst<br />
bestimmt und mit den einzelnen Landwirten verhandelt, ist aber u.a. auch von der Größe<br />
der Schlachtpartien der einzelnen Landwirte abhängig.<br />
Abb. 2.3./5: Kundenzufriedenheit des Schlachtviehvermarktungsprozesses<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
67
Diskussion und Schlussfolgerungen<br />
68<br />
Die Datenerhebung hat gezeigt, dass die Organisation des Schlachtviehvermarktungsprozesses<br />
bei den betrachteten VVO bemerkenswerte Gemeinsamkeiten aufweist. So unterscheiden<br />
sich die wesentlichen Schritte des Geschäftsprozesses weder hinsichtlich ihres<br />
zeitlichen Ablaufs noch der innerbetrieblichen Zuständigkeiten grundsätzlich zwischen den<br />
VVO. Auch Einzelheiten, so die Dominanz mündlicher Kaufverträge, sind in allen betrachteten<br />
Organisationen in sehr ähnlicher Form vorzufinden.<br />
Ein Grund für diesen Befund könnte sein, dass die betrachteten VVO vergleichbare<br />
Geschäftsmodelle verfolgen (Theuvsen und Voss 2009) und eine weitgehend identische<br />
Aufbauorganisation aufweisen. Die zu organisierenden Aufgaben unterscheiden sich daher<br />
im Kern nicht; zudem legt die jeweilige Form der Aufbauorganisation bereits wichtige Rahmenbedingungen<br />
der Prozessorganisation fest und engt dadurch den organisatorischen<br />
Gestaltungsspielraum auf der Prozessebene erheblich ein (Theuvsen 1996). Darüber hinaus<br />
finden in den verschiedenen VVO sehr ähnliche Organisationsphilosophien, die u.a.<br />
eine flache, unbürokratische Organisationsstruktur sowie eine stark im Tagesgeschäft<br />
involvierte Geschäftsführung vorsehen, Anwendung. Auch dies trägt zur Homogenität der<br />
Geschäftsprozessorganisation bei. Schließlich ist der Schlachtviehvermarktungsprozess<br />
ein vergleichsweise wenig komplexer Geschäftsprozess, der nur begrenzt Ansatzpunkte für<br />
Organisationsinnovationen (Frese 2004) bietet. Dies zeigt auch die Befragung der Landwirte,<br />
die durchweg mit dem Prozess der Schlachtviehvermarktung zufrieden sind.<br />
Die festgestellten Gemeinsamkeiten können aber auch lerntheoretisch begründet werden.<br />
Schon Bandura hat darauf hingewiesen, dass Menschen vor allem durch Beobachtung<br />
des Verhaltens anderer, nicht jedoch im Wege eigener Versuchs-Irrtums-Prozesse lernen<br />
(sog. Beobachtungs-, Modell- oder stellvertretendes Lernen) (Bandura 1977). Speziell in<br />
vergleichsweise überschaubaren und durch räumliche Nähe (Deimel et al. 2009) charakterisierten<br />
Branchen wie dem Viehhandel, in denen sich viele Organisationen und Geschäftsführer<br />
untereinander gut kennen und in denen gemeinsame Projekte sowie regelmäßig<br />
organisierte Treffen auf einzelbetrieblicher sowie Branchenebene den Informationsaustausch<br />
fördern, bestehen sehr gute Voraussetzungen für die Initiierung von Lernprozessen<br />
durch die Beobachtung anderer Organisationen. Zudem gibt es im genossenschaftlichen<br />
Viehhandel einige horizontale Kooperationen, die durch einen nochmals intensiveren organisationsübergreifenden<br />
Erfahrungs- und Informationsaustausch gekennzeichnet sind.<br />
Begünstigt wird diese enge Zusammenarbeit durch die sich trotz räumlicher Nähe der VVO<br />
häufig nicht (wesentlich) überlappenden Tätigkeitsgebiete. Zudem wird in dieser Situation<br />
auf die aktive Gewinnung von Kunden im Tätigkeitsbereich anderer VVO oftmals bewusst<br />
verzichtet. Auch insoweit sind gute Voraussetzungen für die Initiierung von Prozessen des<br />
Modelllernens gegeben, um die partnerschaftlichen Geschäftsbeziehungen nicht zu gefährden.<br />
Eine offene Kommunikation, wie sie zwischen vielen genossenschaftlichen VVO gepflegt<br />
wird, ist eine wichtige Voraussetzung, um anspruchsvollere Formen des Lernens in Organisationen<br />
zu realisieren. Während beim sog. Single-loop-Learning lediglich Abweichungen<br />
von einem festgelegten Ziel registriert und korrigiert werden, ermöglicht es Double-loop-<br />
Learning, tieferliegende Problemursachen, die sich nicht durch bloße Soll-Ist-Vergleiche<br />
identifizieren lassen, aufzudecken. Die Notwendigkeit tiefgreifender, im Wege des Double-<br />
Loop-Learning umgesetzter Lernprozesse ergibt sich bspw. im Falle substantieller Veränderungen<br />
in der Beziehung zwischen Organisation und Umwelt, die die Entwicklung neuer<br />
Grundwerte und -überzeugungen erfordern (Argyris und Schön 2006). Die zwischen vielen
VVO gepflegten umfassenden Kommunikations- und Benchmarking-Prozesse schaffen gute<br />
Voraussetzungen für vertieftes Lernen im Sinne des Double-loop-Learning und begünstigen<br />
auf diese Weise ebenfalls die Angleichung der eigenen Lösungen an die Vorgehensweise<br />
erfolgreicherer Unternehmen und damit die Durchsetzung von Best Practice-Standards im<br />
Bereich der Geschäftsprozessorganisation. Die neue Bürokratietheorie sieht in der damit<br />
faktisch verbundenen Durchsetzung von Prozessstandards einen wichtigen Beitrag <strong>zum</strong><br />
Lernen von Organisationen (Adler und Borys 1996) und zur Qualitätssicherung (Theuvsen<br />
2005). Organisationales Lernen geht über die Wissensakquisition durch einzelne Mitarbeiter<br />
hinaus und ermöglicht nachhaltige Verhaltensveränderungen durch die Organisationen<br />
(Probst 1994).<br />
Neben der Lerntheorie begründet auch der neoinstitutionalistische Ansatz in der Organisationstheorie<br />
die Angleichung von Organisationsstrukturen zwischen verschiedenen<br />
Unternehmen. Nach dieser Lesart sind formale Organisationsstrukturen nicht ausschließlich<br />
das Ergebnis von Effizienzüberlegungen, sondern auch von Anpassungen an institutionalisierte<br />
soziale Erwartungen in der Unternehmensumwelt (Walgenbach und Meyer 2008).<br />
Bestimmte organisatorische Praktiken und Formen erlangen dann regelgleichen Charakter<br />
und werden mehr oder minder unhinterfragt in vielen Organisationen angewandt (Meyer<br />
und Rowan 1977). DiMaggio und Powell (1983) haben für sog. „organisationale Felder“,<br />
etwa bestimmte Branchen wie den Viehhandel, Prozesse des institutionellen Isomorphismus<br />
ausgemacht, im Zuge derer die Organisationen sich immer ähnlicher werden, weil<br />
sie sich im Sinne der im jeweiligen Feld geltenden Spielregeln verhalten müssen. Ähnliche<br />
Formen der Geschäftsprozessorganisation sind nach neoinstitutionalistischer Auffassung<br />
demnach weniger das Ergebnis gegenseitigen Lernens, sondern der Beachtung derselben<br />
sozialen Normen, etwa Erwartungen von Lieferanten und Abnehmern, durch alle Organisationen<br />
einer Branche.<br />
Wollte man demgegenüber übereinstimmende Formen der Geschäftsprozessorganisation<br />
stärker als das Ergebnis von Effizienzüberlegungen interpretieren, so liegt eine kontingenztheoretische<br />
Sichtweise nahe. Die Kontingenztheorie erwartet, dass Organisationen<br />
Effizienz- und damit Wettbewerbsvorteile haben, wenn es ihnen gelingt, eine ihre jeweiligen<br />
externen (z.B. Wettbewerbsumfeld) und internen (z.B. Größe) Situation angemessene Organisationsstruktur<br />
zu implementieren, d.h. eine guten „Fit“ zwischen Situation und formaler<br />
Organisationsstruktur herzustellen (Kieser 2006). Angesichts der für die verschiedenen<br />
Viehhandelsorganisationen weitgehend vergleichbaren externen und internen situativen<br />
Bedingungen ist es auch aus dieser Perspektive nicht sonderlich überraschend, dass die<br />
genossenschaftlichen VVO alle in sehr ähnlicher Weise organisiert sind.<br />
Welche der exemplarisch ins Spiel gebrachten theoretischen Ansätze letztlich die beste<br />
Erklärung für die beobachteten Parallelen in Bezug auf die Organisation von Geschäftsprozessen<br />
liefert, muss augenblicklich als offen gelten; es ergeben sich jedoch vielfältige<br />
Anknüpfungspunkte für weitere empirische Untersuchungen.<br />
Neben den Gemeinsamkeiten kristallisieren sich allerdings im Detail auch einige bemerkenswerte<br />
Unterschiede zwischen den betrachteten Organisationen heraus. So wird z.B.<br />
die Andienungspflicht der Landwirte wie auch die Abnahmegarantie durch die VVO unterschiedlich<br />
gehandhabt. Auch Nichtmitgliedergeschäfte werden in sehr verschiedenem Umfang<br />
betrieben. Zudem lassen sich Differenzen dahingehend beobachten, welche Vermarktungsoptionen<br />
im Falle von Über- oder Unterdeckungen bei Schlachttieren gewählt werden.<br />
Die diesem Beitrag zugrundeliegenden Fallstudien legen die Vermutung nahe, dass<br />
diese Unterschiede Spiegel des jeweiligen Selbstverständnisses der Genossenschaften<br />
und ihres Managements sind. Einem traditionellen Genossenschaftsverständnis verpflich-<br />
69
tete Organisationen sehen eher eine vollständige Andienungspflicht und Abnahmegarantie<br />
vor, betreiben Nichtmitgliedergeschäfte allenfalls in geringem Umfang <strong>zum</strong> Zwecke der<br />
Werbung neuer Mitglieder und vermarkten Schlachttiere ansonsten ausschließlich an<br />
Schlachthöfe oder im Rahmen von Markenfleischprogrammen. Für alle Mitglieder gelten<br />
die gleichen Preise und Vorkosten sowie dieselbe Preismaske; zudem beliefern diese VVO<br />
nur Schlachthöfe mit der traditionellen FOM-Klassifizierung der Schlachtkörper.<br />
Den genossenschaftlichen Charakter ihrer Organisationen – nach eigener Einschätzung<br />
– moderner interpretierende VVO verzichten dagegen auf Andienungspflichten und Abnahmegarantien,<br />
betreiben in beträchtlichem Maße Geschäfte mit Nichtmitgliedern, scheuen<br />
auch vor Zukäufen von Schlachttieren bei privaten Viehhändlern nicht zurück und vermarkten<br />
bspw. im Falle eines Überangebots an Schlachttieren dieses sehr aktiv an Schlachthöfe<br />
oder andere Abnehmer. Sie verhalten sich weniger im Sinne des tradierten Prinzips der<br />
Hilfe zur Selbsthilfe (Beuthien 1990), sondern sehen sich eher als frei am Markt agierende<br />
Unternehmer, die Marktchancen auch im Nichtmitgliederbereich beherzt nutzen. Die Preisfindung<br />
erfolgt deutlich flexibler als in den traditioneller agierenden Organisationen und<br />
kann z.B. auch mit den einzelnen Landwirten individuell verhandelte Boni einschließen. Der<br />
Preisfindung liegt darüber hinaus jeweils die Maske desjenigen Schlachthofes zugrunde,<br />
an den die Schlachttiere im Einzelfall geliefert werden. Bevorzugt werden Schlachthöfe mit<br />
AutoFOM-Klassifizierung, um nach Möglichkeit die im Falle der FOM-Klassifizierung erforderlichen<br />
Kontrollen am Schlachtband einzusparen.<br />
Die zwischen verschiedenen genossenschaftlichen Viehhändlern offenbar werdenden<br />
Unterschiede reflektieren die tiefgreifenden Veränderungen, denen der genossenschaftliche<br />
Sektor ausgesetzt ist und die sich in der Herausbildung verschiedener neuer Genossenschaftsformen<br />
niederschlagen, die eine losere Bindung zwischen Landwirten und Organisationen<br />
und mehr unternehmerische Freiheiten für das hauptamtliche Management vorsehen<br />
(Chaddad und Cook 2004). Zudem deuten die beobachteten Unterschiede auf den<br />
erheblichen Einfluss veränderter äußerer Rahmenbedingungen, etwa des Strukturwandels<br />
und der Internationalisierung in der Fleischwirtschaft (Schramm et al. 2004; Theuvsen und<br />
Ebneth 2005), wie auch bewusster Managemententscheidungen (Child 1972) hin. Organisations-<br />
bzw. Managementphilosophien überformen deutlich den Situation-Struktur-Zusammenhang<br />
und helfen Führungskräften, Wissensdefizite angesichts komplexer Strategie- und<br />
Organisationsentscheidungen zu überspielen (Egelhoff und Frese 2009; Frese 2004). Insoweit<br />
können die Unterschiede zwischen „traditionellen“ und „modernen“ Genossenschaften<br />
auch als Ausdruck eines kulturellen Wandels des Managements in den untersuchten Organisationen<br />
interpretiert werden.<br />
Die Organisation von Geschäftsprozessen im genossenschaftlichen Viehhandel erweist<br />
sich bei näherem Hinsehen als ein facettenreiches Problem mit vielfältigen theoretischen<br />
Anknüpfungspunkten. Weitere Untersuchungen sollten darauf ausgerichtet sein, die Effiund<br />
die Triebkräfte des strategischen und organisatorischen Wandels näher zu<br />
zienz der vorgefundenen Form der Geschäftsprozessorganisation vertieft zu untersuchen<br />
beleuchten.<br />
70
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73
2.4 Lieferantenmarketing im Viehhandel: Gestaltungsalternati ven<br />
und Potentiale einer überbetrieblichen Zusammenarbeit<br />
Janina Müller, Anja Voss und Ludwig Theuvsen<br />
Die Auffassung, dass das Lieferantenmanagement immer mehr an Bedeutung gewinnt und<br />
verstärkt strategisch ausgerichtet werden muss, ist weit verbreitet (Hartmann et al. 2004;<br />
Wagner 2002). Gründe sind u.a. die zunehmenden internationalen Verflechtungen der Beschaffungsmärkte<br />
(Gruschwitz 1993), kürzere Innovationszyklen, die Verringerung der Fertigungstiefe<br />
und der Wunsch nach Just-in-Time-Belieferungen. Funktionierende Geschäftsbeziehungen<br />
können in dieser Situation nicht mehr allein durch soziale Bindungskräfte<br />
sichergestellt werden (Staack 2005). Vielmehr kommt einem professionellen Management<br />
der Lieferantenbeziehungen eine wachsende Bedeutung zu.<br />
Diese Sichtweise wird auch mit Bezug auf die Ernährungswirtschaft (Gerlach 2006;<br />
Heyder et al. 2009) und speziell die Fleischwirtschaft vertreten (Arens et al. 2010; Spiller<br />
et al. 2005). Begründet wird dies u.a. mit der Notwendigkeit der Verbesserung der Transparenz<br />
der Wertschöpfungsketten (Deimel et al. 2008a) und der Produktqualität (Deimel et<br />
al. 2008b). Auch im Viehhandel ist die Lieferung guter und gleichbleibender Qualitäten von<br />
essentieller Bedeutung für den Geschäftserfolg, da nicht nur die Ansprüche der Konsumenten<br />
steigen, sondern der gesamte Markt einem starken Wettbewerb ausgesetzt ist. Zudem<br />
werden die Viehhandelsunternehmen in ihrer Funktion durch den starken Strukturwandel<br />
auf den vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen bedroht (Voss et al. 2010a). Den<br />
Landwirten stehen verschiedene Wege offen, ihr Schlacht- und Nutzvieh zu vermarkten.<br />
Die wesentlichen Optionen sind neben der selbständigen Vermarktung an Schlachthöfe<br />
die Bildung von Vermarktungskooperationen, Viehverwertungs- bzw. Viehvermarktungsgenossenschaften<br />
(VVG), Erzeugergemeinschaften (EZG) sowie Organisationen des privaten<br />
Viehhandels.<br />
Die genannten Herausforderungen zeigen, wie wichtig es im Viehhandel ist, langfristige,<br />
stabile Kunden- bzw. Lieferantenbeziehungen zu Landwirten aufzubauen, um dem Wettbewerb<br />
innerhalb der Branche wie auch mit alternativen Formen der Vermarktung standzuhalten.<br />
Diese Beziehungen können nur durch ein hohes Maß an Zufriedenheit und eine<br />
enge sowie langfristige Bindung der Landwirte an die Viehhandelsunternehmen erreicht<br />
werden. Durch die Stärkung des operativen Lieferantenmanagements können die Viehhandelsunternehmen<br />
sicherstellen, dass die Lieferung einer ausreichend großen Menge an<br />
Schlachttieren mit hoher Qualität seitens der Landwirte erfolgt. Deshalb wird im Folgenden<br />
ein Konzept für die Umsetzung des Lieferantenmanagements durch die Stärkung des operativen<br />
Marketings in Viehvermarktungsgenossenschaften vorgestellt.<br />
Einführung in das Marketingmanagement<br />
Das Marketing ist ein bedeutender Ansatzpunkt, um Unternehmen im zunehmenden<br />
Wettbewerb besser zu positionieren. Die primäre Aufgabe des Marketings ist es dabei, die<br />
Bedürfnisse und Wünsche der Kunden zu befriedigen und zu diesem Zweck die zentralen<br />
Wachstums- und Erfolgsgeneratoren zu identifizieren (Meffert et al. 2008). Diese Generatoren<br />
werden in dem in Abbildung 2.4/1 dargestellten rückgekoppelten Prozess in den<br />
Mittelpunkt unternehmerischen Handelns gerückt; dieser Vorgang wird als Marketingmanagement<br />
bezeichnet.<br />
75
Abb. 2.4/1: Marketingmanagement<br />
Analyse<br />
Kontrolle<br />
Ziele<br />
Marketing-<br />
Mix<br />
Strategie<br />
Quelle: Eigene Darstellung nach Meffert et al. 2008.<br />
Der Marketingmanagementprozess beginnt mit einer Analyse, um Informationen zu<br />
sammeln, auf deren Grundlage Maßnahmen des Marketings ausgewählt bzw. optimiert<br />
werden können. Einige der zentralen Fragen sind dabei: Wie ist der Markt strukturiert, welche<br />
Anspruchsgruppen sind zu beachten, wie wird sich der Markt entwickeln, und was leistet<br />
das eigene Unternehmen bisher? Es folgen die Definition strategischer und operativer<br />
Ziele sowie die Formulierung von Visionen. Um die definierten Ziele erreichen zu können,<br />
müssen Strategien verfasst werden, bspw. Positionierungs-, Wettbewerbs-, Portfolio- und<br />
Innovationsstrategien. Diese ersten drei Schritte des Marketingmanagementprozesses<br />
– Analyse, Definition von Zielen und Entwicklung von Strategien – sind dem strategischen<br />
Marketing zuzuordnen. Sie setzen den Rahmen für das operative Marketing und die Ausrichtung<br />
des Marketing-Mixes. Der Marketingmanagementprozess schließt, wie es für das<br />
unternehmerische Handeln üblich ist, mit der Kontrolle der realisierten Maßnahmen ab, um<br />
zu überprüfen, wie erfolgreich diese waren.<br />
Im Gegensatz <strong>zum</strong> strategischen Marketing, bei dem es um ein längerfristig angelegtes<br />
Konzept geht, beschäftigt sich das operative Marketing mit kurzfristigen taktischen Entscheidungen.<br />
Auf der Grundlage der langfristig aufgestellten Unternehmensziele werden<br />
konkrete Handlungsvorschläge formuliert und umgesetzt. Zur Gliederung und erfolgreichen<br />
Kombination dieser Handlungsvorschläge hat sich in der Marketingliteratur der Marketing-<br />
Mix durchgesetzt (Abb. 2.4/2).<br />
76
Abb. 2.4/2: Marketing-Mix<br />
Kommunikation<br />
Produkt<br />
Preis<br />
Distribution/<br />
Bezug<br />
Quelle: Eigene Darstellung nach Meffert et al. 2008.<br />
Der Marketing-Mix umfasst die vier Marketinginstrumente Produktpolitik, Preispolitik,<br />
Distributionspolitik und Kommunikationspolitik. Marketinginstrumente sind diejenigen<br />
Maßnahmen und Mittel, die ein Unternehmen ergreift, um Marktteilnehmer zu beeinflussen<br />
und die eigenen Unternehmensziele zu erreichen. Vorrangige Ziele hierbei sind der<br />
vermehrte Austausch von Produkten und Dienstleistungen sowie die Förderung dauerhafter<br />
Geschäftsbeziehungen (Steffenhagen 2008). Jedes der vier Marketinginstrumente umfasst<br />
verschiedene Handlungsfelder, die allerdings nicht klar voneinander zu trennen sind. Vielmehr<br />
müssen die Maßnahmen im Marketing-Mix sinnvoll kombiniert werden, um eine verbesserte<br />
Positionierung des Unternehmens im Wettbewerb zu erreichen. Obwohl meist auf<br />
den Absatzbereich angewandt, werden die verschiedene Instrumente sinngemäß auch im<br />
Sinne eines Beschaffungsmarketing-Mix diskutiert, der die Kombination beschaffungspolitischer<br />
Instrumente beschreibt (Gawlik 2004).<br />
Übertragung des Marketing-Mix auf die Viehhandelsbranche<br />
Das zu erstellende Marketingkonzept ist – gleichgültig, ob auf der Absatz- oder der Beschaffungsseite<br />
– auf die Zielgruppe abzustimmen, mit der ein Unternehmen langfristig<br />
interagieren will. Die Schwerpunkte des hier entwickelten Konzeptes liegen in der Ausgestaltung<br />
der Beziehungen zwischen den Viehhandelsunternehmen in der Organisationsform<br />
der VVG/EZG und ihren Landwirten. Durch das Marketingkonzept sollen sowohl neue<br />
Landwirte gewonnen als auch die bestehenden Geschäftsbeziehungen stabilisiert werden.<br />
Schwierig wird dieses Unterfangen dadurch, dass die Viehhandelsunternehmen nur ein<br />
Handelspartner in einer Wertschöpfungskette sind, in der viele verschiedene Akteure<br />
operieren, so dass zunehmend von Wertschöpfungsnetzwerken in der Fleischwirtschaft<br />
gesprochen wird (Plumeyer et al. 2009; Spiller et al. 2005). Die Folge dieser Netzwerkbeziehungen<br />
ist, dass es bspw. bei der Anwendung des Instruments Preispolitik nicht ausreicht,<br />
nur die Beziehung zwischen VVG/EZG und Landwirt zu betrachten, sondern auch<br />
77
die Schlachtunternehmen in die Betrachtung einzubeziehen sind. Abbildung 2.4/3 zeigt ein<br />
vereinfachtes Beziehungsnetz der Viehhandelsbranche.<br />
Abb 2.4/3: Beziehungsnetz der Viehhandelsbranche<br />
Landwirt<br />
Privater<br />
Viehhandel<br />
Erzeugergemeinschaft<br />
Genossenschaftlicher<br />
Viehhandel<br />
Schlachtunternehmen<br />
Quelle: Eigene Darstellung nach Spiller et al. 2005.<br />
Eine Viehhandelsorganisation nimmt verschiedene Positionen im Austausch mit ihrem<br />
Marktpartner ‚Landwirt‘ ein. So fungiert die Organisation <strong>zum</strong> einen als Nachfrager nach<br />
Nutz- und Schlachtvieh, d.h. es besteht eine Beschaffungsaufgabe auf Seiten der Viehhandelsunternehmen,<br />
um den Bedarf der Schlachtunternehmen bzw. anderer Landwirte zu decken.<br />
Zum anderen treten die Unternehmen gegenüber den Landwirten auch als Anbieter,<br />
z.B. von Nutzvieh oder Betriebsmitteln, auf; in diesem Fall sind die Landwirte Kunden der<br />
VVG/EZG. Die Folge dieser Konstellation ist, dass eine VVG/EZG mit vielen ihrer Landwirte<br />
sowohl auf dem Absatz- als auch auf dem Beschaffungsmarkt in Interaktion tritt. Um dieser<br />
Besonderheit gerecht zu werden, muss der Marketing-Mix sowohl unter dem Gesichtspunkt<br />
der Absatz- als auch der Beschaffungspolitik betrachtet werden.<br />
Im Folgenden werden für Viehhandelsunternehmen verschiedene Gestaltungsparameter<br />
im Marketing aufgezeigt. Es handelt sich dabei um Handlungsoptionen im kurzfristigen,<br />
operativen Geschäft, welche die strukturellen, langfristig bestimmten Gegebenheiten der<br />
Viehhandelsbranche hinnehmen und nicht zu ändern trachten (Theisen 1970). Zu den strategischen<br />
Vorüberlegungen der VVG/EZG, die vor dem Einsatz der im Folgenden betrachteten<br />
Instrumente anzustellen sind, zählen u.a. die Auswahl der strategischen Geschäftsfelder,<br />
die Formulierung von Unternehmenszielen sowie die Auswahl der Zielgruppen des<br />
Unternehmens. Unter operativen Gesichtspunkten betrachtet werden im Folgenden die<br />
Marktforschung sowie – im Sinne des oben vorgestellten Marketing-Mixes – die Produkt-,<br />
die Preis-, die Bezugs- und die Kommunikationspolitik.<br />
78<br />
Marktforschung<br />
Grundlage jeder Disposition sind eine Analyse der Ausgangssituation sowie die Abschätzung<br />
von Trends. Die Marktforschung dient der Entscheidungsfindung in der strategischen<br />
wie auch der operativen Marketingplanung; sie ist ein Instrument zur Vorbereitung marketingpolitischer<br />
Entscheidungen. Die im operativen Marketing eingesetzten Instrumente
ichten sich nach Marktbedürfnissen, die zunächst erschlossen werden müssen. Nur,<br />
wenn ein Unternehmen ein Verständnis für seinen Markt und dessen Anbieter-Nachfrager-<br />
Beziehungen entwickelt hat, kann ein zugerichteter Maßnahmeneinsatz erfolgen (Meffert<br />
et al. 2008). Um dieses Verständnis zu schaffen, bedarf es einer Standortbestimmung<br />
des Unternehmens in seiner Umwelt und der Analyse des Verhaltens der Marktpartner. Die<br />
dazu nötigen Informationen werden mit Hilfe geeigneter Methoden der Marktforschung<br />
gewonnen.<br />
Die Standortbestimmung erfolgt im Hinblick auf drei Betrachtungsebenen; es kann daher<br />
unterschieden werden zwischen der Unternehmens-, der Markt- und der Umfeldanalyse<br />
(Spiller 2010). Tabelle 2.4/1 zeigt die drei Ebenen der Marktforschung sowie beispielhaft<br />
einige im Viehhandel einsetzbare Instrumente.<br />
Tabelle 2.4/1: Ebenen und Methoden der Marktforschung<br />
Unternehmensanalyse<br />
Marktanalyse<br />
Umfeldanalyse<br />
Geschäftsprozessanalyse<br />
SWOT-Analyse<br />
Wertschöpfungskettenanalyse<br />
Benchmarking<br />
Kunden-/Lieferantenforschung<br />
Wettbewerbsforschung<br />
Verbraucherstudien<br />
Beobachtung der Agrarpolitik<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Die Unternehmensanalyse deckt Stärken und Schwächen des Unternehmens im Ganzen<br />
oder auch einzelner Geschäftsfelder auf. Dies kann u.a. im Wege des Vergleichs einer VVG/<br />
EZG mit anderen Viehhandelsorganisationen anhand betriebswirtschaftlicher Kennzahlen<br />
geschehen. Ein derartiger Vergleich ist dank der im Genossenschaftsgesetz verankerten<br />
Veröffentlichungspflicht in Ansätzen oder auf der Grundlage einer vertrauensvollen Zusammenarbeit<br />
mehrerer Organisation auch in vertiefter Form möglich. Zu diesem Zweck<br />
wurde im Rahmen des AIDA-Projekts ein überbetriebliches Performance Measurement- und<br />
Benchmarking-Konzept entwickelt, das sich die Implementierung eines einheitlichen Warenwirtschaftssystem<br />
in den beteiligten genossenschaftlichen Viehhandelsorganisationen<br />
zunutze macht (Frentrup et al. 2010). Darüber hinaus wurde im Rahmen des AIDA-Projektes<br />
eine Analyse von Geschäftsprozessen durchgeführt, in deren Rahmen die wichtigsten<br />
Kern- und Unterstützungsprozesse im Viehhandel identifiziert und auf Verbesserungspotenziale<br />
analysiert wurden (Theuvsen und Voss 2009).<br />
Gegenstand der Marktanalyse sind die Leistungsbeziehungen eines Unternehmens mit<br />
seinen Lieferanten, Abnehmern und Konkurrenten; das Ziel ist es, die Anbieter-Nachfrager-<br />
Beziehungen zu analysieren (Spiller 2010). Um die Stabilität und Qualität der Beziehungen<br />
zwischen Landwirten und VVG/EZG besser zu verstehen, wurde u.a. eine großzahlige Befragung<br />
landwirtschaftlicher Lieferanten durchgeführt (Schlecht und Spiller 2009).<br />
Die Umfeldanalyse betrachtet auch Akteure, die nicht im direkten Leistungsaustausch<br />
mit einem Unternehmen stehen, aber dennoch einen Einfluss auf dessen Marktsituation<br />
79
haben. Während die Unternehmens- und die Marktanalyse häufig auf Primärdaten, also Informationen,<br />
die gezielt erhoben wurden, basieren, ist für Umfeldanalysen die Nutzung von<br />
Sekundärdaten üblich. Durch die Nutzung von bereits vorhandenen, extern zur Verfügung<br />
stehenden Verbraucherstudien bspw. lässt sich abschätzen, welches Fleisch mit welchen<br />
Qualitätsanforderungen zukünftig vom Schlachthof gefordert wird. Auch die Analyse politischer<br />
und gesetzlicher Rahmenbedingungen für Landwirte ist ein wichtiges Element der<br />
Umfeldanalyse. Die Zusammenführung von Markt- und Umfeldanalyse zeigt den Viehhandelsunternehmen<br />
Chancen und Risiken ihrer Tätigkeiten auf (Voss et al. 2010b).<br />
Produktpolitik<br />
Die Produktpolitik ist das wichtigste Instrument des Marketings, da das Produkt im<br />
Mittelpunkt der Austauschbeziehungen zwischen Anbietern und Nachfragern steht (Meffert<br />
et al. 2008). Produkte können Sachgüter, Dienstleistungen, Informationen oder auch<br />
Rechte sein (Steffenhagen 2008). Die zentrale Zielsetzung der Produktpolitik ist die Gestaltung<br />
des Angebotsprogramms in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der Kunden<br />
(Meffert et al. 2008). Dazu muss ein Unternehmen erwartete Basisleistungen und die im<br />
Wettbewerbsumfeld üblichen Leistungen bieten, kann aber durch das Angebot von außergewöhnlichen<br />
Zusatzleistungen über den Grundnutzen hinaus einen Zusatznutzen für den<br />
Kunden schaffen (Kano 1984). Die bedeutendsten Maßnahmen im Rahmen der klassischen<br />
absatzgerichteten Produktpolitik sind die (Leistungs-)Programm- und die Produkt- bzw.<br />
Leistungsgestaltung (Meffert et al. 2008). Sie sind speziell im Handel eng mit der Nachfrage<br />
durch die Unternehmen verknüpft.<br />
Die Leistungsprogrammgestaltung beinhaltet die Entscheidung darüber, welche und in<br />
welcher Tiefe verschiedene Produktlinien bzw. Leistungen geführt werden. Diese Entscheidung<br />
wird unter Orientierung an den Kernkompetenzen der Unternehmen getroffen, da<br />
diese für einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil essentiell sind (Prahalad und Hamel 1990);<br />
dies sind im Viehhandel vornehmlich die Bündelungs- und die Logistikfunktion (Schlecht<br />
und Spiller 2009).<br />
Die Basisleistung von Viehhandelsunternehmen ist der Handel mit Schlacht- und Nutzvieh.<br />
Diese Basisleistung kann um ergänzende Dienstleistungen, bspw. die Schlacht- und<br />
Nutzviehlogistik, bereichert werden. Weitere, die Kernleistungen ergänzende oder auch<br />
unabhängig von ihnen angebotene Dienstleistungen können sein:<br />
• Tiergesundheitsmanagement,<br />
• Übernahme der Funktion als QS-Bündler,<br />
• Produktions- und/oder betriebswirtschaftliche Beratung,<br />
• Vermarktung von Betriebsmitteln,<br />
• Kontrolle der Schlachtabrechnungen,<br />
• HIT-Meldung,<br />
• Übermittlung von Schlachtdaten,<br />
• Kreditausfallversicherung,<br />
• Fortbildungsangebote für Mitglieder.<br />
80<br />
Hinsichtlich der Leistungsprogrammgestaltung zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen<br />
den Viehhandelsunternehmen. Während sich einige Unternehmen auf den Schlachtoder<br />
den Nutzviehhandel und dort z.T. sogar auf einzelne Tierarten konzentrieren, haben<br />
sich andere für ein wesentlich breiteres Leistungsprogramm entschieden. Auch hinsichtlich<br />
des Umfangs der ergänzend angebotenen Dienstleistungen bestehen erhebliche Unterschiede.
Die Leistungsgestaltung schließt sich an die Leistungsprogrammgestaltung an. Sie beinhaltet<br />
u.a. die Entscheidung über die Leistungsqualität, die in engem Zusammenhang mit<br />
der Kundenorientierung steht (Steffenhagen 2008). Die Entscheidung hinsichtlich der Qualität<br />
bezieht sich sowohl auf die Basisleistung als auch auf ergänzend angebotene Dienstleistungen.<br />
So sind etwa bei Fortbildungsangeboten Entscheidungen über die Inhalte, die<br />
Durchführenden oder auch den Zeitpunkt zu treffen. Dies sind für die Landwirte wichtige<br />
Qualitätsmerkmale, nach denen diese sich für oder gegen eine <strong>Teil</strong>nahme entscheiden.<br />
Eine weitere Gestaltungsoption im Rahmen der Leistungsgestaltung ist die Markierung,<br />
bspw. in Form der <strong>Teil</strong>nahme an Marken- oder Qualitätsfleischprogrammen. Sie kann zu<br />
einem Mehrerlös und einer höheren Wertschöpfung für die Unternehmen führen (vgl. zu<br />
derartigen Programmen umfassend Balling 1990).<br />
Preispolitik<br />
Die Preispolitik beinhaltet die Festlegung der Preise und Konditionen, zu denen Leistungen<br />
am Markt angeboten bzw. erworben werden. Der Einsatz preispolitischer Instrumente<br />
steht in einem engen Zusammenhang mit der Produktpolitik (Bodenstein und Spiller<br />
1998). Wichtige Entscheidungstatbestände im Rahmen der Preispolitik sind die Preisfindung,<br />
die Preisdifferenzierung und die Konditionenpolitik.<br />
Die Preisfindung wird wesentlich durch die Gegebenheiten des Marktes und des Produktes<br />
bestimmt. Im deutschen Viehhandel wird die Preisfindung nicht primär durch die<br />
Viehhandelsunternehmen selbst bestimmt, sondern ist den Einflüssen des vor- und nachgelagerten<br />
Bereiches und damit den Angebots- und Nachfrageschwankungen ausgesetzt. Ursächlich<br />
dafür ist, dass es sich im Fleischbereich um wenig differenzierbare Standardware<br />
handelt. Hierbei orientiert sich die Preisfindung an Marktpreisen, so dass die Unternehmen<br />
des Viehhandels kaum Einfluss auf die Ausgestaltung und Höhe der Auszahlungspreise<br />
haben. Auch verleiht die Konzentration der Schlachtunternehmen (ISN 2009) den Verarbeitern<br />
eine erhebliche Marktmacht. Diese Eigenschaften der deutschen Fleischproduktion<br />
führen zu einem niedrigen Auszahlungspreisniveau für die Landwirte (Spiller et al. 2005).<br />
Dem versuchen die VVG/EZG durch die Bündelung von Schlachttieren, die zu größeren<br />
Umsatzmengen und damit zu einer verbesserten Verhandlungsposition gegenüber den<br />
Schlachtunternehmen führt, entgegenzuwirken. Eine wichtige Rolle bei der Preisfindung<br />
übernehmen ferner die verschiedenen in der Praxis gebräuchlichen Preismasken, durch die<br />
Abzüge bspw. für Über- oder Untergewichte oder zu geringe Magerfleischanteile festgelegt<br />
werden.<br />
Die Preisdifferenzierung beinhaltet eine Entscheidung darüber, inwieweit ähnliche Produkte<br />
zu unterschiedlichen Preisen an- bzw. verkauft werden sollen. Erscheinungsformen<br />
der Preisdifferenzierung sind die personenbezogene, die räumliche, die zeitliche, die leistungsbezogene<br />
und die mengenbezogene Preisdifferenzierung sowie die Preisbündelung,<br />
d.h. das Anbieten mehrerer separater Produkte zu einem Preis (Homburg und Krohmer<br />
2009).<br />
Eine Preisdifferenzierung ist den VVG/EZG aufgrund des genossenschaftlichen Förderauftrags<br />
nur begrenzt möglich. Am ehesten kommen im Viehhandel noch eine personenund<br />
eine mengenbezogene Preisdifferenzierung sowie die Preisbündelung in Betracht. Das<br />
preisliche Entgegenkommen bei Landwirten, zu denen besonders langjährige Geschäftsbeziehungen<br />
bestehen, ist eine Form der personenbezogenen Preisdifferenzierung. Die mengenbezogene<br />
Differenzierung ist vor allem im Nutzviehhandel zu finden. Bezieht ein Landwirt<br />
bspw. eine bestimmte Anzahl an Ferkeln auf einmal, so gewähren einige Viehhändler<br />
einen Mengenrabatt. Die Preisbündelung bietet sich im Viehhandel besonders im Bereich<br />
81
der ergänzenden Dienstleistungen an. Hierbei könnte bspw. darüber nachgedacht werden,<br />
alle Dienstleistungen, die über Handel und Transport hinausgehen, zu einem monatlichen<br />
Pauschbetrag anzubieten.<br />
Das dritte Entscheidungsfeld im Rahmen der Preispolitik ist die Konditionenpolitik. Im<br />
Rahmen dieser Politik wird festgelegt, welche Rabatt- und Bonussysteme bei Rechnungsstellung<br />
zur Anwendung gelangen und welche Lieferungs- und Zahlungsbedingungen für die<br />
Kunden gelten. Rabatte sind Preisnachlässe, die vor dem Kauf ausgehandelt werden. Boni<br />
und Skonto sind Nachlässe, die nach Rechnungsstellung gewährt werden. Die Lieferungsund<br />
Zahlungsbedingungen stellen einen Katalog von Bestimmungen und Regelungen bezüglich<br />
des Inhalts und des Ausmaßes der Leistungen dar (Meffert et al. 2008). Auch die<br />
Konditionenpolitik kann der genossenschaftliche Viehhandel nur begrenzt als Instrument<br />
des Lieferantenmarketings nutzen, da aufgrund des Genossenschafts- und des Marktstrukturgesetzes<br />
sichergestellt werden muss, dass alle Kunden bzw. Mitglieder den gleichen<br />
Nutzen aus der Mitgliedschaft in diesen Organisationen ziehen können.<br />
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im Viehhandel grundsätzlich nur ein sehr<br />
begrenzter Spielraum bei der Gestaltung der Preispolitik existiert. In dieser schwierigen<br />
Situation die versuchen VVG/EZG, als Mittler zwischen den mit sehr ungleicher Marktmacht<br />
ausgestatteten Schlachtunternehmen und Landwirten aufzutreten. Dies beinhaltet<br />
z.T. auch das Bemühen um die Schaffung von Markttransparenz und die Verbesserung der<br />
Kontrollen von Schlachtabrechnungen. In Tabelle 2.4/2 werden einige Gestaltungsoptionen<br />
im Bereich der Preispolitik exemplarisch am Beispiel der Schlachtschweinevermarktung<br />
dargestellt.<br />
Tabelle 2.4/2: Preispolitische Optionen im Rahmen der Vermarktung von Schlachtschweinen<br />
Gestaltungsoptionen<br />
Gestaltungsoptionen<br />
Preisfindung Orientierung am Marktpreis; niedriges<br />
Auszahlungspreisniveau<br />
Preisdifferenzierung<br />
Personelle Preisdifferenzierung<br />
Mengenbezogene<br />
Preisdifferenzierung<br />
Preisbündelung<br />
Basispreis (Schlachtgewicht,<br />
definierte Standardqualität)<br />
Individuelle Preismasken der<br />
Schlachthöfe (Klassifizierung,<br />
Abzüge/Zuschläge)<br />
Honorierung langjähriger<br />
Geschäftsbeziehungen<br />
Mengenstaffel beim Ferkelbezug<br />
Ergänzende Dienstleistungen gegen<br />
Pauschbetrag<br />
Konditionenpolitik Rabatte, Boni/Skonto Individuelle Aushandlung von Boni und<br />
Skonti; Abzüge für bestimmte Qualitäten<br />
Liefer- und<br />
Zahlungsbedingungen<br />
Vertraglich fixiert; Staffelung bei<br />
Vorkosten nach Menge<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
82
Bezugspolitik<br />
Die Bezugspolitik ist das Pendant zur absatzpolitischen Distribution. Im Handel hat sie<br />
die Funktion der „Sicherstellung einer adäquaten Verfügbarkeit des Angebots für den Letztabnehmer“<br />
(Bodenstein und Spiller 1998, S. 190). Der Letztabnehmer ist im Viehhandel<br />
der Schlachthof. Gestaltungsoptionen sind der Einsatz der Beschaffungsorgane, die Lieferantenauswahl<br />
und das Beschaffungskonzept.<br />
Die Beschaffungsorgane der Viehhandelsunternehmen sind die im Bereich der Vermarktung<br />
tätigen Mitarbeiter, die gleichgültig, ob im Ein- oder Verkauf, direkt über das Telefon<br />
mit den Landwirten handeln. Ausnahmen gibt es im Rinderbereich, in dem es auch üblich<br />
ist, im persönlichen Gespräch Tiere anzubieten oder zu verkaufen.<br />
Die Lieferantenauswahl erfolgt in vielen Branchen häufig mit Unterstützung eines DVbasierten<br />
Lieferantenmanagementsystems. Im Agribusiness und insbesondere im Fleischsektor<br />
haben eine systematische Lieferantenauswahl sowie entsprechende DV-Systeme<br />
bislang nur wenig Beachtung gefunden (Bahlmann und Spiller 2008; Heyder et al. 2009).<br />
Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass sich im genossenschaftlichen Viehhandel die Frage<br />
nach dem favorisierten Lieferanten nicht stellt, da aufgrund des Marktstruktur- bzw. Genossenschaftsgesetzes<br />
die Mitglieder ihre gesamte Erzeugung oder <strong>Teil</strong>e ihrer Produktion<br />
dem Unternehmen andienen müssen (Andienungspflicht); im Gegenzug garantierten die<br />
Viehhandelsunternehmen die Abnahme der Tiere (Abnahmegarantie). Auch Tiere, die darüber<br />
hinaus von anderen, nicht der Genossenschaft zugehörigen Landwirten angeboten<br />
werden, werden meistens von der VVG/EZG aufgekauft, um einerseits eine größere Menge<br />
an Tieren zu bündeln und andererseits die Landwirte als Kunden oder auch als Mitglieder<br />
zu gewinnen.<br />
Das Beschaffungskonzept beinhaltet Festlegungen zur Ausrichtung und <strong>zum</strong> Zusammenspiel<br />
der operativen Beschaffungstätigkeiten (Arnolds et al. 2010). Beispiele sind<br />
Festlegungen der Zahl der Lieferanten, der Fristigkeit der Geschäftsbeziehungen und zu<br />
relevanten Kriterien für die Bewertung der Lieferantenleistung. Das Beschaffungskonzept<br />
umfasst bei genossenschaftlichen Viehhandelsunternehmen neben der langfristigen Anbindung<br />
der Lieferanten an das Unternehmen meist keine weiteren Festlegungen. Ausnahmen<br />
von dieser Regel gelten vor allem bei der Produktion im Rahmen geschlossener Systemen,<br />
Markenfleischprogrammen oder der ökologischen Produktion, die regelmäßig besondere<br />
Anforderungen bspw. im Bereich der Haltungsbedingungen vorsehen.<br />
Kommunikationspolitik<br />
Kommunikation beinhaltet das Senden von Informationen an einen Empfänger. Kommunikationspolitische<br />
Maßnahmen umfassen die gezielte Gestaltung und Koordination des Informationsflusses<br />
zu den Marktteilnehmern. Die Kommunikationspolitik ist gewissermaßen<br />
die Voraussetzung für das Wirksamwerden der übrigen marketingpolitischen Instrumente<br />
(Grochla und Schönbohm 1980). Die gesendeten Informationen beeinflussen das Wissen,<br />
die Einstellungen, die Erwartungen und die Verhaltensweisen der Empfänger im Sinne der<br />
Unternehmensziele. Dadurch sollen leistungsfähige Lieferanten gewonnen, gebunden und<br />
gefördert werden (Berendson 2005). Die Lieferantenkommunikation bietet im Viehhandel<br />
große Gestaltungspotentiale. Es existieren erhebliche Differenzierungsmöglichkeiten, da<br />
die Vorteile der jeweiligen Organisation ganz gezielt hervorgehoben werden. Im Folgenden<br />
werden die drei zentralen Bereiche Werbung, Lieferantenförderung und -entwicklung sowie<br />
Öffentlichkeitsarbeit betrachtet.<br />
Werbung ist die geplante massenmediale Kommunikation, um Informationen zu streuen<br />
und Entscheidungen zu steuern (Bodenstein und Spiller 1998). Die wichtigsten Gestal-<br />
83
tungsparameter für VVG/EZG sind die Formulierung der Werbebotschaft, die Gestaltung<br />
des Erscheinungsbildes und die Auswahl der Werbeträger. Tabelle 2.4/3 stellt im Überblick<br />
einige VVG/EZG zur Verfügung stehende Werbemaßnahmen dar.<br />
Tabelle 2.4/3: Werbemaßnahmen im Viehhandel<br />
Werbebotschaft Corporate Identity (Unternehmensleitbild)<br />
Erscheinungsbild Motto/Slogan<br />
Layout/Bild/Logo<br />
Werbeträger<br />
Brief<br />
Email<br />
Messestand/Ausstellung<br />
Event<br />
Zeitung/Zeitschrift<br />
Eigene Website<br />
Beschriftung von Bekleidung und Fahrzeugen<br />
Telefon/SMS<br />
Give-aways (Kugelschreiber, Tassen, Schreibblöcke, Mützen, etc.)<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Aufgrund der technologischen Entwicklung beinhaltet die massenmediale Kommunikation<br />
heutzutage fast immer das Vorhandensein einer eigenen Internetseite; dementsprechend<br />
verfügen inzwischen fast alle Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft<br />
über einen eigenen, wenn auch z.T. einfach gehaltenen Internet-Auftritt (Theuvsen 2005;<br />
Theuvsen und Gärtner 2010). Eine Studie von Bahlmann et al. (2009) ergab, dass 70%<br />
der deutschen Schweinehalter das Internet für berufliche Zwecke nutzen. Hieran ist abzulesen,<br />
dass auch für die Ansprache von Landwirten eine eigene Website immer mehr<br />
an Bedeutung gewinnt. Die am AIDA-Projekt beteiligten VVG/EZG verfügen dagegen nicht<br />
ausnahmslos über eigene Websites. Die Seiten sind zudem nicht immer in jeder Hinsicht<br />
professionell gestaltet, obwohl das Internet eine große Unterstützung in der Gestaltung der<br />
Zusammenarbeit mit den Landwirten sein kann. Die Qualität der Geschäftsbeziehungen<br />
mit landwirtschaftlichen Lieferanten kann durch eine eigene Website der Viehhandelsunternehmen<br />
gestärkt werden, bspw. durch einen schnelleren Informationsaustausch zwischen<br />
den Landwirten und den Unternehmen oder auch durch die Darstellung der unternehmenseigenen<br />
Stärken und Dienstleistungen, die auf einer solchen Plattform mehr potenzielle<br />
Kunden erreichen kann.<br />
Die Lieferantenförderung und -entwicklung mit Blick auf die Landwirte entspricht der<br />
Verkaufsförderung im Absatzmarketing. Die Verkaufsförderung am point of sale, bspw. bei<br />
Verkostungsproben im Lebensmitteleinzelhandel, soll die Kunden <strong>zum</strong> Kauf motivieren. Im<br />
Zwischenhandel dagegen sollen durch die Lieferantenförderung und -entwicklung die Lieferanten<br />
bei der Lösung betrieblicher Probleme unterstützt und potentielle Kunden von einer<br />
langfristigen Geschäftsbeziehung überzeugt werden (Helm 2009). Einige Gestaltungsoptionen<br />
der Kontaktpflege zu den Landwirten sind:<br />
• Probelieferungen,<br />
• Muster-/Vorzeigebetriebe,<br />
• Bildungsfahrten/Lehrveranstaltungen,<br />
• Lieferantenorientiertes Personalmanagement,<br />
84
• Direkte Beziehungspflege (bspw. Versammlungen, „runde Tische“),<br />
• Sonstiges, wie Überlassung von Eintrittskarten, Gutscheinen etc.<br />
Probelieferungen sind in vielen VVG/EZG bereits ein festes Element der Lieferantenentwicklung.<br />
Landwirte, die bislang noch keine Erfahrungen mit einer speziellen VVG/EZG gesammelt<br />
haben, lernen den Ablauf und die Bedingungen des Unternehmens bezüglich der<br />
Vermarktung und des Transports der Tiere sowie die Persönlichkeit des Geschäftsführers<br />
und der Mitarbeiter kennen. Weniger etablierte Maßnahmen sind Fortbildungsmaßnahmen,<br />
z.B. Bildungsfahrten. Während derartiger Veranstaltungen haben die Mitarbeiter der VVG/<br />
EZG die Möglichkeit, die gesamte Aufmerksamkeit der Landwirte auf sich zu ziehen und so<br />
deren emotionale Bindung an das Unternehmen und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.<br />
Auch können in einer ungezwungenen Atmosphäre Informationen, bspw. über die Produktion,<br />
ausgetauscht und Verbesserungsmaßnahmen besprochen werden.<br />
Eine alternative Möglichkeit zur Lieferantenförderung ist ein lieferantenorientiertes Personalmanagement,<br />
vor allem durch Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter im Bereich der<br />
Vermarktung. Ein lieferantenorientiertes Personalmanagement dient neben der Steigerung<br />
der Umsätze mit einzelnen Lieferanten auch der Verbesserung der Beziehungsqualität zu<br />
den Lieferanten und der Förderung der Mitarbeitermotivation.<br />
Ein weiteres wichtiges Element der Kommunikationspolitik ist die Öffentlichkeitsarbeit.<br />
Hierbei sollen die Ziele und Handlungen von Unternehmen der unmittelbaren Umwelt bzw.<br />
<strong>Teil</strong>umwelten nähergebracht werden. Dabei besteht auch die Möglichkeit, negativen Stimmungen<br />
entgegenzuwirken oder Verständnis und Sympathie für die Arbeit der Viehhandelsunternehmen<br />
zu fördern. Zu den für VVG/EZG relevanten Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit<br />
gehören bspw.:<br />
• Schul-/Hochschulmarketing,<br />
• Forschungskooperationen, z.B. mit Hochschulen,<br />
• Sponsoring (Sport, Wohlfahrt, Umwelt usw.),<br />
• Pressearbeit (Bilanzberichte, Podiumsdiskussionen, Zeitungsartikel etc.),<br />
• Internetkommunikation.<br />
Nicht nur für die Reputation eines Unternehmens und eine Stellung in der Öffentlichkeit<br />
sind das Schaffen von Sympathie und ein positives Image wichtig, sondern auch für das<br />
Zugehörigkeitsgefühl der Landwirte <strong>zum</strong> Viehhandelsunternehmen. Gut geeignet sind hierzu<br />
das Internet und die Pressearbeit als Kommunikationsmedien. In der Internetkommunikation<br />
ist es besonders leicht, die Bedürfnisse der Zielgruppen direkt anzusprechen, aber<br />
auch darüber hinaus interessante Informationen bereitzustellen. Dies kann z.B. durch eine<br />
Individualisierung des Marketing (One-to-One-Marketing) geschehen, die die einzelne Kundenbeziehung<br />
in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt und im Internet als deutlich einfacher<br />
zu realisieren ist als mit Hilfe klassischer Medien (Garczorz und Krafft 2000). Eine<br />
einfache Möglichkeit der Individualisierung wäre bspw. die Einteilung der eigenen Website<br />
in gesonderte Bereiche für die jeweiligen Zielgruppen.<br />
Potentiale einer überbetrieblichen Zusammenarbeit<br />
Das Lieferantenmarketing hat im Wesentlichen zwei Ziele: Erstens soll langfristig die<br />
Positionierung des Unternehmens im Markt gestärkt werden, um die Konkurrenzfähigkeit<br />
im zunehmenden Wettbewerb zu verbessern. Zweitens soll das Lieferantenmarketing die<br />
Kundenbeziehungen im laufenden Geschäft festigen. Die wichtigsten Gestaltungsoptionen<br />
85
für die genossenschaftlichen Viehhandelsunternehmen sind in Abbildung 2.4/4 nochmals<br />
zusammenfassend dargestellt.<br />
Abb.2.4/4: Entscheidungstatbestände im Marketing<br />
Produkt<br />
• Leistungsprogramm<br />
• Leistungsgestaltung<br />
• Marketing<br />
Preis<br />
• Preisfindung<br />
• Preisdifferenzierung<br />
• Konditionenpolitik<br />
Bezug<br />
• Beschaffungsorgane<br />
• Lieferantenauswahl<br />
• Beschaffungskonzept<br />
Kommunikation<br />
• Werbung<br />
• Lieferantenförderung und -entwicklung<br />
• Öffentlichkeitsarbeit<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
86<br />
Bei näherer Betrachtung zeigt sich ein unterschiedlicher Entwicklungsstand hinsichtlich<br />
des Einsatzes des Marketinginstrumentariums. Die Instrumente Produkt-, Preis- und Bezugspolitik<br />
ergeben sich in ihrer Ausgestaltung größtenteils aus dem täglichen operativen<br />
Geschäft der Viehhandelsunternehmen, die damit z.T. unbewusst ein aktives Marketing<br />
betreiben. Die Kommunikationspolitik wird dagegen bislang nur sehr zurückhaltend eingesetzt.<br />
Gründe für den geringen Umfang des Einsatzes kommunikationspolitischer Maßnahmen<br />
könnten die begrenzte Verfügbarkeit der notwendigen finanziellen Mittel sowie<br />
eine geringe Professionalisierung des Marketings in den Viehhandelsunternehmen sein. Im<br />
Folgenden wird daher geprüft, inwieweit durch eine überbetriebliche Kooperation Verbesserungspotenziale<br />
in dem bislang weitgehend vernachlässigten Bereich der Kommunikationspolitik<br />
realisiert werden können.<br />
Als Kriterien der Auswahl von Marketinginstrumenten, die für einen überbetrieblichen<br />
Einsatz in Frage kommen, bieten sich die Merkmale Kosten und Effektivität bzw. Wirkung<br />
der eingesetzten Mittel an. Demnach sind Marketingkooperationen innerhalb des genossenschaftlichen<br />
Viehhandels dann sinnvoll, wenn dank einer überbetrieblichen Zusammenarbeit<br />
entweder derselbe Zweck mit einem sparsameren Mitteleinsatz oder bei gleichem<br />
Mitteleinsatz ein besseres Ergebnis erreicht werden kann. Als Randbedingung bei der<br />
Ausgestaltung der überbetrieblichen Zusammenarbeit ist zu beachten, dass die Eigenständigkeit<br />
der im Verbund tätigen Unternehmen erhalten bleibt. Abbildung 2.4/5 zeigt exemplarisch<br />
Maßnahmen der Kommunikationspolitik, bei denen Kosteneinsparungen durch<br />
überbetriebliche Zusammenarbeit realisiert werden können, sowie mögliche Verbesserungen<br />
der Effektivität des Mitteleinsatzes.
Abb. 2.4/5: Verbesserungen im Bereich der Kommunikationspolitik durch überbetriebliche<br />
Zusammenarbeit<br />
Kostenersparnis<br />
Einkauf von Werbemitteln<br />
Messeauftritte/Ausstellungen<br />
Events<br />
Bildungsveranstaltungen<br />
Websitepflege<br />
Newsletter<br />
etc.<br />
Wirkung/Effektivität<br />
Imagestärkung<br />
Qualitätsführer/differenzierter<br />
Markenartikler im Viehhandel<br />
Internetauftritt<br />
Dachmarke: „Für Bauern, die mehr<br />
wollen …“<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Kosteneinsparungen durch ein kooperatives Vorgehen können <strong>zum</strong> einen aus klassischen<br />
Einkaufsvorteilen dank größerer Mengen resultieren, so etwa bei der Beschaffung<br />
von Werbemitteln. Ferner können anfallende Kosten auf mehrere Unternehmen aufgeteilt<br />
werden, bspw. Standgebühren bei Messen oder Ausstellungen. Schließlich sind Kostenvorteile<br />
möglich, wenn Kosten vor allem durch die erstmalige Konzipierung eines Produktes<br />
entstehen, während dessen wiederholte Nutzung sehr niedrige Grenzkosten aufweist. Dies<br />
ist etwa bei der Entwicklung von Bildungsveranstaltungen, der Aufarbeitung von Brancheninformationen<br />
für einen Newsletter. Schließlich steigt die Wirtschaftlichkeit, wenn spezialisiertes<br />
Personal durch überbetrieblichen Einsatz besser ausgelastet wird und Leerkosten<br />
vermieden werden können; dies ist z.B. bei der überbetrieblich organisierten Pflege mehrerer<br />
Websites der Fall.<br />
Das Ziel einer Kooperation kann es aber auch sein, bessere Ergebnisse zu erhalten<br />
und damit die Effektivität des Mitteleinsatz zu verbessern. Dies kann <strong>zum</strong> einen dadurch<br />
erreicht werden, dass eine Zusammenarbeit mit entsprechender Zusammenführung der<br />
finanziellen Mittel eine professionellere Aufgabenwahrnehmung gestattet. Ein überzeugender<br />
Internetauftritt mit nachhaltiger Wirkung auf potentielle Kunden und Lieferanten<br />
anstelle mehrerer halbherziger, in der Summe aber nicht preiswerterer Präsenzen im Web,<br />
ist dafür ein Beispiel. Ein zweiter Grund für Effektivitätsgewinne kann sein, dass kooperierende<br />
Unternehmen sich erfolgreicher nach außen zu präsentieren vermögen und dadurch<br />
Imagegewinne realisieren.<br />
Im Zuge des landwirtschaftlichen Strukturwandels sind größere Betriebe und zunehmend<br />
besser ausgebildete, unternehmerisch orientierte Betriebsleiter die Zukunft der<br />
Landwirtschaft (Schaper 2010). Diese Zielgruppe muss neben den aktuellen Mitgliedern<br />
im Fokus des operativen wie auch des strategischen Marketings der VVG/EZG stehen. Um<br />
junge aufstrebende Landwirte für sich begeistern zu können, ist das Image der Genossenschaften<br />
von zentraler Bedeutung. Die VVG/EZG sollten für erfolgreiche, zukunftsfähige<br />
Unternehmen stehen, die im Hinblick auf die von ihnen angebotenen Dienstleistungen<br />
Qualitätsführer sind und als verlässliche Partner mit kompetenten Mitarbeitern gelten. Vor<br />
diesem Hintergrund kann es für kooperierende VVG/EZG wichtig sein, sich als schlagkräftiger<br />
Verbund zu präsentieren und auf diese Weise dazu beizutragen, eine starke (Unternehmens-)Marke<br />
mit entsprechendem Bekanntheitsgrad und Prestige zu schaffen. Dazu<br />
kann ein professioneller Internetauftritt, durch den die Unternehmensphilosophie und das<br />
Dienstleistungsangebot kommuniziert werden, einen erheblichen Beitrag leisten. Da jedem<br />
einzelnen Unternehmen dieser Weg nicht offen stünde, wird die Effektivität des Mittelein-<br />
87
satzes durch den Imagegewinn der nach außen dokumentierten Zusammenarbeit verbessert.<br />
Auch wenn die Eigenständigkeit der kooperierenden Unternehmen gewahrt bleiben<br />
soll, bietet sich zur Steigerung des Wiedererkennungswertes doch der Auftritt auf der<br />
Homepage unter einer gemeinsamen „Marke“ an. Auf diese Weise können die Stärken und<br />
die Ziele der Gemeinschaft klar kommuniziert werden, bspw. durch einen Slogan wie „Ihre<br />
Viehhandelsprofis der Region“. Auch sollten das Layout der gemeinsamen Homepage der<br />
Kooperationspartner und die Gestaltung der Internetauftritte der kooperierenden Unternehmen<br />
formal, etwa hinsichtlich des Aufbaus der Seite, der Farbwahl, der Schriftart usw.,<br />
aufeinander abgestimmt sein. Auch dies trägt zu einem hohen Wiedererkennungswert und<br />
der klaren Differenzierung von anderen Unternehmen der Branche bei. Über die gemeinsame<br />
Homepage können dann – nun wieder im Sinne der Kostenersparnis – Branchennews<br />
oder Ankündigungen gemeinsamer Aktivitäten veröffentlicht werden. Zudem können Links<br />
zu den individuellen Homepages der einzelnen Unternehmen vorgesehen werden.<br />
Fazit<br />
In sich strukturell wandelnden Wertschöpfungsketten der Fleischwirtschaft gewinnen aus<br />
Sicht des genossenschaftlichen Viehhandels die Bindung der landwirtschaftlichen Lieferanten<br />
und die Qualität der Geschäftsbeziehungen zunehmend an Bedeutung. In diesem<br />
Beitrag wurden die Gestaltungsparameter eines Lieferantenmarketings im Viehhandel<br />
aufgezeigt. Zudem wurden die Vorteile einer überbetrieblichen Zusammenarbeit bei gleichzeitiger<br />
Wahrung der Eigenständigkeit und Identität der Einzelunternehmen verdeutlicht.<br />
Gelingt den VVG/EZG die Realisierung des notwendigen Grades an Professionalität sowie<br />
die Abstimmung dieses Auftritts auf die Bedürfnisse der Zielgruppe, auf die das operative<br />
Marketing gerichtet ist, sowie die eigenen Kernkompetenzen, so bietet das Lieferantenmarketing<br />
vielversprechende, bislang wenig genutzte Möglichkeiten für die Verbesserung der<br />
Geschäftsbeziehungen in der Fleischwirtschaft.<br />
Literatur<br />
88<br />
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90
3. Gebündeltes Kundenbeziehungsmanagement<br />
und Logistik 1<br />
Achim Spiller<br />
Zentrales Ziel des AIDA 1 -Verbundprojekts ist die langfristige Sicherung der zweistufigen<br />
Viehvermarktung in Deutschland. Ansatzpunkte, um die Wettbewerbsfähigkeit der genossenschaftlichen<br />
Unternehmen 2 der Vieh- und Fleischwirtschaft zu stärken, sind neben der<br />
Optimierung von Geschäftsprozessen und der Entwicklung neuer Dienstleistungen auch<br />
eine Schärfung des strategischen Profils sowie eine Verbesserung der Zusammenarbeit in<br />
der Kette. Hierbei kommt dem Marketing eine wichtige Bedeutung zu, da die Vermarktung<br />
im Viehhandel bisher einen eher geringen Grad an Professionalisierung aufweist. Aufgrund<br />
der vorwiegend klein- und mittelständisch geprägten Struktur der Branche können<br />
Marketing-Maßnahmen von den einzelnen Unternehmen – bedingt durch einen Mangel an<br />
Know-how und ein geringes Budget – vielfach nicht umgesetzt werden.<br />
Das strategische Marketing ist ein wichtiges Instrument zur Erreichung der angestrebten<br />
Projektziele. Insbesondere die Profilschärfung sowie die erhöhte Kundenbindung<br />
durch eine verbesserte Zusammenarbeit in der Kette berühren originäre Fragestellungen<br />
der Forschungsdisziplin. An diesem Ausgangspunkt begann die Arbeit des Lehrstuhls<br />
„Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte“ der Universität Göttingen. Grundlage der<br />
durchgeführten Analysen bilden zwei Befragungen von landwirtschaftlichen Lieferanten der<br />
am Projekt teilnehmenden genossenschaftlichen <strong>Viehvermarkter</strong> in den Jahren 2008 und<br />
2010. Dabei wurden zentrale Kenngrößen der Geschäftsbeziehungsqualität ebenso erfasst<br />
wie die Zufriedenheit der Landwirte mit Dienstleistungen, Prozessen und Mitarbeitern. Die<br />
zentralen Forschungsergebnisse der empirischen Untersuchungen werden in den folgenden<br />
Beiträgen dargestellt:<br />
Im Mittelpunkt des ersten <strong>Teil</strong>kapitels, Zukunftsperspektiven der zweistufigen Viehvermarktung,<br />
steht die Auswahl und Ausgestaltung des Vermarktungskanals. Auf Basis der<br />
ersten Landwirte-Befragung von 2008 wird die sogenannte Disintermediationsgefahr für<br />
die genossenschaftliche Viehvermarktung untersucht, d.h. ob den Händlern eine Ausschaltung<br />
durch Direktbezug der Schlachtunternehmen droht. Der Darstellung von Strukturentwicklungen<br />
der deutschen Fleischwirtschaft folgt ein Forschungsüberblick zur Ausschaltungsgefahr,<br />
bevor im Anschluss die Ergebnisse einer Lieferantenbefragung (Landwirte) im<br />
Rahmen des AIDA-Projekts beschrieben werden. Der Beitrag schließt mit Handlungsempfehlungen<br />
für genossenschaftliche Vermarktungsunternehmen.<br />
Strategische Unternehmenstypen im Viehhandel - Der Weg zu einer klaren Positionierung<br />
analysiert die Marketing-Positionierung der Unternehmen und zeigt auf, wie eine Profilschärfung<br />
erfolgreich gelingen kann. Neben der Beschreibung des methodischen Vorgehens<br />
werden Alleinstellungsmerkmale zusammengefasst, die zur Positionierung gegenüber<br />
Landwirten und Schlachtunternehmen genutzt werden können. Mittels einer Fallstudienanalyse<br />
werden sieben idealtypische Profile erarbeitet, die illustrieren, wie identifizierte<br />
1<br />
Allianzen für Informations- und Dienstleistungs-Agenturen zur horizontalen Bündelung von Koordinationsaufgaben<br />
im Qualitäts-, Gesundheits- und Risikomanagement der Fleischwirtschaft.<br />
2<br />
Die Bezeichnung fasst Viehverwertungsgenossenschaften (VVG) und Erzeugergemeinschaften (EZG) zusammen,<br />
da sie ein ähnliches Angebot aufweisen, auch wenn juristisch betrachtet Unterschiede bestehen.<br />
91
92<br />
Unique Selling Propositions (USPs) des genossenschaftlichen Viehhandels kommuniziert<br />
werden können.<br />
Der dritte Beitrag, Kundensegmente im genossenschaftlichen Viehhandel, befasst sich<br />
detailliert mit den landwirtschaftlichen Lieferanten. Sie werden hierfür hinsichtlich ihrer<br />
Preisorientierung und ihres Flexibilitätsbedürfnisses in unterschiedliche Segmente eingeteilt.<br />
Daraus wird abgeleitet, ob es Gruppen von Landwirten gibt, die als Zielgruppe für<br />
das Angebot innovativer Dienstleistungen infrage kommen und folglich einen Ausweg aus<br />
dem – in der Branche vorherrschenden – Preiswettbewerb bieten. Der aktuelle Stand der<br />
Forschung wird ebenso präsentiert wie daraus abgeleitete Hypothesen und das Design der<br />
Befragung. Im Anschluss werden die Stichprobe und die Ergebnisse einer Clusteranalyse<br />
beschrieben. Der Beitrag endet mit Handlungsempfehlungen für genossenschaftliche Vermarktungsunternehmen<br />
und Hinweisen <strong>zum</strong> weiteren Forschungsbedarf.<br />
Das vierte <strong>Teil</strong>kapitel, Customer Relationship Management im genossenschaftlichen Viehhandel<br />
stellt die Möglichkeiten des Customer Relationship Managements (CRM) als Instrument<br />
zur Umsetzung einer erhöhten Kundenorientierung vor. Dabei wird insbesondere auf<br />
die Herausforderungen bei der Implementierung von CRM-Systemen eingegangen. In der<br />
Praxis zeigt sich, dass inzwischen leistungsfähige CRM-Software verfügbar ist. Ohne ein<br />
organisatorisches Implementierungskonzept drohen CRM-Projekte jedoch am Beharrungsvermögen<br />
des Außendienstes zu scheitern. Hier werden neue Lösungswege vorgestellt.<br />
Dienstleistungsqualität im genossenschaftlichen Viehhandel stellt mit dem Dienstleistungs-Management<br />
ein weiteres Handlungsfeld für die genossenschaftliche Viehvermarktung<br />
dar. Zunächst werden der Begriff Dienstleistungsqualität definiert sowie deren<br />
Einflussgrößen abgeleitet. Anschließend werden die Ergebnisse der Landwirte-Befragung<br />
aus dem Jahr 2010 präsentiert. Die Charakterisierung von Studiendesign und Stichprobe<br />
wird um die Bewertung der Dienstleistungsqualität insgesamt sowie die Einflussgrößen<br />
dieser Beurteilung ergänzt. Die Diskussion der Ergebnisse zeigt auf, dass bereits eine hohe<br />
Dienstleistungsqualität erreicht wird, die vor allem durch das Verhalten der Mitarbeiter<br />
zusätzlich positiv geprägt werden kann.<br />
Die vorliegenden Beiträge greifen zentrale Marketing-Fragestellungen für die genossenschaftliche<br />
Viehvermarktung auf. Diese stehen in einem engen Zusammenhang: Während<br />
<strong>Teil</strong>kapitel 3.1 herausstellt, dass dem genossenschaftlichen Viehhandel keine unmittelbare<br />
Ausschaltungsgefahr droht, illustrieren die Kapitel 3.2 bis 3.5 Handlungsfelder, deren<br />
Bearbeitung zu einem langfristigen Bestehen in einem zunehmend wettbewerbsintensiven<br />
Umfeld beitragen kann.
3.1 Zukunftsperspektiven der zweistufigen Viehvermarktung 1<br />
Stephanie Schlecht, Achim Spiller und Birgit Schulze<br />
Handelsunternehmen sind als Intermediäre immer von der sogenannten Ausschaltung<br />
bedroht, wenn Abnehmer oder Lieferanten versuchen, direkt miteinander Geschäfte zu<br />
tätigen. Die Etablierung des E-Commerce liefert zahlreiche Beispiele für das Umgehen von<br />
zwischengeschalteten Handelsstufen – sei es der Computervertrieb vom Hersteller direkt<br />
an den Endkunden oder die Möglichkeit, Flüge und Hotels ohne den Umweg über das Reisebüro<br />
auf Online-Portalen zu buchen (Tietz 2007). Doch nicht nur technische und organisatorische<br />
Innovationen, sondern auch Veränderungen von Branchenstrukturen können<br />
für Händler die Gefahr einer Ausschaltung (Disintermediation) mit sich bringen. So führte<br />
der Konzentrationsprozess im Lebensmitteleinzelhandel zu Direktbeziehungen zwischen<br />
Nahrungsmittelherstellern und Einzelhändlern. Konsequenz dieser Entwicklung ist ein<br />
immer stärkerer Bedeutungsverlust des klassischen Lebensmittelgroßhandels (Gerlach et<br />
al. 2005), der heute nur noch in wenigen Warengruppen wie Obst und Gemüse wichtig ist,<br />
sonst aber in die Unternehmen des Einzelhandels integriert wurde.<br />
In der Wertschöpfungskette Fleisch unterliegt nicht nur die Schlachtstufe einer zunehmenden<br />
Konzentration. Dieser Beitrag widmet sich daher der Fragestellung, ob die für den<br />
Lebensmittelgroßhandel beschriebene Ausschaltung auch die (genossenschaftlichen) Viehvermarktungsunternehmen<br />
gefährdet, oder ob diese, beispielsweise aufgrund zusätzlicher<br />
Dienstleistungen, gegebenenfalls sogar an Relevanz für die Kette gewinnen können. Damit<br />
greift er zentrale Fragestellungen des AIDA-Projekts auf. Ein Blick auf Dänemark zeigt,<br />
dass die dortigen Strukturen durch einen hohen Anteil vertraglicher Bindungen zwischen<br />
Landwirten und Schlachtunternehmen gekennzeichnet sind, während eine separate Viehhandelsstufe<br />
lediglich rudimentär existiert. Auch andere Beispiele aus dem Ausland zeigen,<br />
dass eine Vermarktung von Schlachttieren ohne Intermediäre möglich ist. Das bisher in<br />
Deutschland vorherrschende zweistufige System mit derzeit noch rund 1.700 Viehhandelsunternehmen<br />
als Bindeglied zwischen „grüner“ und „roter“ Seite unterliegt grundsätzlich<br />
ebenfalls der – in anderen Branchen beobachteten – Ausschaltungsgefahr.<br />
Im nächsten Abschnitt wird zunächst ein Überblick über Strukturentwicklungen der deutschen<br />
Fleischwirtschaft gegeben. Das folgende Kapitel präsentiert einen Forschungsüberblick<br />
zur Disintermediation, bevor im Anschluss die Ergebnisse einer Lieferantenbefragung<br />
(Landwirte) im Rahmen des AIDA-Projekts beschrieben werden. Der Beitrag schließt mit<br />
Handlungsempfehlungen für genossenschaftliche Vermarktungsunternehmen.<br />
Strukturentwicklungen in der deutschen Fleischwirtschaft<br />
Die Fleischwirtschaft ist mit einem Umsatz von 31,7 Mrd. Euro (2007) die wichtigste<br />
Branche der deutschen Lebensmittelindustrie (DBV 2008). Sie unterliegt auf allen Wertschöpfungsstufen<br />
einem enormen strukturellen Wandel. Abbildung 3.1/1 bietet einen<br />
Überblick über die Anzahl der Akteure auf den verschiedenen Stufen. Die Entwicklung der<br />
Schweine- und Rinderproduktion auf Ebene der Landwirtschaft ist gegensätzlich: Während<br />
die Anzahl der Schweine zwischen 1995 und 2007 um durchschnittlich 3,4% angestiegen<br />
ist, nahm die Anzahl an gehaltenen Rindern im selben Zeitraum um durchschnittlich 5,4%<br />
1<br />
Der vorliegende Beitrag wurde unter dem Titel „Konzentration auf die Kernkompetenzen. Welche Zukunft hat<br />
der genossenschaftliche Viehhandel in Deutschland?“ in veränderter Form veröffentlicht in: Fleischwirtschaft,<br />
Nr. 3/2009, S. 14-18.<br />
93
Fleischgroßhandel<br />
1.214<br />
ab (BMELV 2009; Destatis 2008a). Trotzdem gibt es einen gemeinsamen Trend: Die Anzahl<br />
der landwirtschaftlichen Betriebe nimmt konstant ab, während die verbleibenden Betriebe<br />
kontinuierlich wachsen. Es werden also mehr Tiere pro Betrieb gehalten (BMELV 2009).<br />
Weiterhin können große Unterschiede im regionalen Vergleich beobachtet werden: Das<br />
Zentrum der deutschen Schweineproduktion liegt in Nordwestdeutschland, wo ca. 60%<br />
aller deutschen Schlachtschweine von 36% der Betriebe produziert werden (durchschnittlicher<br />
Tierbestand: 550 Stück) (Destatis 2008b). Über 64% aller Schweine werden in dieser<br />
Region, die sich im nationalen Vergleich auch durch die höchste Dichte an Schlachthöfen<br />
auszeichnet, geschlachtet (Destatis 2008c; ISN 2008). Die Rinderproduktion ist hingegen<br />
weitaus gleichmäßiger verteilt. Jeweils 44,4% bzw. 39,5% der Tiere werden in Südost- und<br />
Nordwestdeutschland gehalten. Allerdings werden 49% der Rinder im Südosten Deutschlands<br />
geschlachtet, während nur 28% im Nordwesten weiterverarbeitet werden (Destatis<br />
2008c).<br />
Abb. 3.1/1: Struktur der Wertschöpfungskette Fleisch, Schlachtunternehmen ab 20 Beschäftigte;<br />
Zeitpunkte der Datenerfassung: Viehvermarktung 2009; Fleischgroßhandel 2005; Lebensmitteleinzelhandel<br />
2008; Metzgereien/Fleischereien 2008; Rest 2007<br />
Verarbeiter<br />
461<br />
Privater<br />
Viehhandel<br />
Rinderhalter<br />
170.500<br />
Schweinehalter<br />
67.100<br />
Viehvermarktungsgenossenschaften<br />
Erzeugergemeinschaften<br />
~ 1.700<br />
Lebensmitteleinzelhandel<br />
52.943<br />
Metzgereien/Fleischereien<br />
27.557<br />
Gastronomie<br />
131.028<br />
Verbraucher<br />
82.314.900<br />
Schlachtunternehmen<br />
207<br />
Quellen: BVL (2005); Destatis (2008a); DFV (2009); Metro (2008); Voss et al. (2010); ZMP (2008)<br />
94<br />
Die Zahl der Schlachtunternehmen ist nach wie vor hoch, wobei kleine und mittlere<br />
Unternehmen den Markt zahlenmäßig dominieren (VDF 2009). Dennoch ist die Konzentration<br />
der Branche bereits deutlich vorangeschritten: Die drei größten Schlachtbetriebe nehmen<br />
einen Marktanteil von über 50% ein (ISN 2009). Des Weiteren gehören zwei von ihnen<br />
– Tönnies und die Vion Food Group – weltweit zu den Top-10 der Schlachtunternehmen (ISN<br />
2007). Entsprechend dem weltweiten Trend (Konefal et al. 2005) findet man die höchsten<br />
Konzentrationsraten jedoch nach wie vor im deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Die Top-5<br />
des deutschen LEH hatten im Jahr 2008 einen Marktanteil von 60% (Metro 2009). Durch<br />
die Etablierung von Handelsmarken und die rückwärtige Integration in die Wertschöpfungskette<br />
(u.a. durch eigene Schlachthöfe) nehmen Handelsunternehmen wie Edeka und Tegut<br />
in besonderem Maße Einfluss auf den Fleischmarkt (PIC Germany 2005). Dieses Engagement<br />
bietet auch Möglichkeiten für die genossenschaftliche Viehvermarktung, die an der<br />
Rohstoffbeschaffung für diese Handelsmarken beteiligt sind.<br />
Neben den Konzentrationstendenzen der Branche nimmt auch der globale Trend zur<br />
vertikalen Integration der Fleischindustrie (Lawrence et al. 1997; Windhorst 2004) Einfluss
auf die Lieferanten- und Abnehmerbeziehungen der <strong>Viehvermarkter</strong>. Bisher bevorzugen<br />
die meisten deutschen Schlachtunternehmen relativ ungebundene Beziehungen zu den<br />
landwirtschaftlichen Produzenten. Sie verfolgen Kooperationen mit dem Viehhandel, der in<br />
der Lage ist, große Mengen an gleichwertigen Schweinen von unterschiedlichen Landwirten<br />
zu liefern (Spiller et al. 2005). Zu diesem Zweck werden normalerweise einmal im Jahr<br />
Rahmenverträge verhandelt, die Strafen für die Unterlieferung vereinbarter Liefermengen<br />
(Tiere/Woche) beinhalten. Hin und wieder werden auch Bonuszahlungen garantiert, wenn<br />
der Händler in bestimmten Wochen kurzfristig mehr Tiere liefern kann als zunächst vereinbart.<br />
2007 konkurrierten ca. 1.700 Viehhändler um 52,9 Millionen Schlachtschweine<br />
von 80.400 Landwirten sowie um 3,4 Millionen Rinder von 170.500 Landwirten (Destatis<br />
2008b, 2008c, Voss et al. 2010).<br />
Stand der Forschung: Disintermediation<br />
Disintermediation ist definiert als „[…] die Umwandlung einer Wertkette mit Intermediären<br />
hin zu einer Wertkette ohne Intermediäre […]“ (Rosenbloom 2007). Eine Ausschaltungsgefahr<br />
liegt demnach vor, wenn die Funktionen des Intermediärs (hier: Händlers)<br />
durch die vor- oder nachgelagerte Stufe übernommen (Beispiel Lebensmittelgroßhandel)<br />
oder die Leistungen des Intermediärs durch veränderte Rahmenbedingungen überflüssig<br />
(z.B. E-Commerce) werden. Der Ersatz durch Konkurrenten ist keine Disintermediation. Der<br />
Wettbewerb zwischen Viehvermarktungsorganisationen ist daher nicht gemeint.<br />
Generell gilt, dass Händler immer dann eingeschaltet werden, wenn sie die von ihnen<br />
übernommenen Funktionen effektiver und effizienter durchführen können als vor- oder<br />
nachgelagerte Stufen (Faßnacht 2003). Dies ist immer auch von der jeweiligen Struktur der<br />
Supply Chain abhängig. Es gilt, dass die Ausschaltungsgefahr generell umso größer ist, je<br />
• kleiner die Anzahl von Anbietern oder Nachfragern ist. Wächst die Konzentration im<br />
Markt, so schwächt dies die Position der Zwischenhändler, denn wenige Anbieter<br />
und Nachfrager sind leichter zu verknüpfen.<br />
• niedriger die Verhandlungsvorteile durch die Bündelung von Angebot bzw. Nachfrage<br />
ausfallen.<br />
• geringer die Notwendigkeit der mengenmäßigen Abstimmung ist.<br />
• besser die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Wertschöpfungsstufen sind.<br />
Marktintransparenz und geringes Vertrauen sind für Händler positiv.<br />
• leichter Leistungen durch die vor- bzw. nachgelagerte Stufe übernommen werden<br />
können.<br />
Betrachtet man die Situation des Viehhandels innerhalb der Wertschöpfungskette<br />
Fleisch, so lassen sich Entwicklungen identifizieren, die eine erhöhte Ausschaltungsgefahr<br />
mit sich bringen können. Dennoch sind auch Trends zu konstatieren, die die Bedeutung der<br />
Handelsunternehmen stärken: Durch anhaltende Konzentrationsprozesse in der Branche<br />
kommt es zu einer Reduzierung der Akteure sowie zu einer Vergrößerung und Bedeutungszunahme<br />
der am Markt verbleibenden Unternehmen. Die verminderte Anzahl an landwirtschaftlichen<br />
Betrieben und Schlachtunternehmen erhöht aus theoretischer Sicht die<br />
Vorteilhaftigkeit direkter Beziehungen zwischen Landwirten und Schlachtunternehmen. In<br />
der Praxis wächst die Abhängigkeitsposition der Landwirte allerdings durch die verhältnismäßig<br />
stärkere Konzentration der Schlachtstufe, so dass diese weiterhin auf die Mengenbündelung<br />
und die Bedeutung des Viehhandels für bessere Preise setzen.<br />
In Zusammenhang mit der Einführung des Qualitätssicherungssystems QS zeigt sich<br />
der Nutzen von Viehvermarktungsorganisationen jenseits der Mengenbündelung: Unab-<br />
95
hängig von den im Einzelnen belieferten Schlachtunternehmen stellen Viehhändler die<br />
Informationen über Gesundheitszustand des Bestands, QS- und Salmonellen-Status sowie<br />
betriebsspezifische Daten zusammen. Als Nahtstelle zwischen der „grünen“ und „roten“<br />
Seite können Viehvermarktungsorganisationen folglich im Rahmen des stufenübergreifenden<br />
Informationstransfers tätig werden.<br />
Hinzu kommen Einzelhandelsstrategien sowie logistische Fragen: Eine breitere Durchsetzung<br />
von Qualitätsstrategien, wie z.B. bei Edeka und Tegut, die detailliertere Qualitätsvorgaben<br />
für ihre Eigenmarken Gutfleisch bzw. Landprimus machen, könnte zu einem<br />
Bedeutungsverlust des Spotmarktes und damit auch der Viehhändler führen. Darüber hinaus<br />
sind die regionale Dichte von Schlachtunternehmen und die Transportwürdigkeit von<br />
Schlachtvieh mitentscheidend für die Zukunft der Viehhandelsunternehmen.<br />
Da das Leistungsspektrum vieler Vermarktungsorganisationen bereits heute eine reine<br />
Bündelungs- und Logistikfunktion übersteigt, wird ein schneller Ersatz dieser Dienstleistungen<br />
durch die Schlachtunternehmen erschwert. Tabelle 3.1/1 gibt einen Überblick, welche<br />
Leistungen die genossenschaftlichen Viehhandelsunternehmen (Erzeugergemeinschaften<br />
(EZG) und Viehverwertungsgenossenschaften (VVG)) aktuell für ihre landwirtschaftlichen<br />
Lieferanten sowie die abnehmenden Schlachtunternehmen erbringen.<br />
Tabelle 3.1/1: Funktionsbereiche des Viehhandels<br />
Für die vorgelagerte Stufe<br />
(Landwirtschaft)<br />
erbrachte Leistungen<br />
Für die nachgelagerte Stufe<br />
(Schlachtunternehmen)<br />
erbrachte Leistungen<br />
Für beide Stufen<br />
(Landwirtschaft, Schlachtunternehmen)<br />
erbrachte Leistungen<br />
Bündelung (Menge und einheitliche Partien)<br />
Transport der Tiere<br />
Preisaushandlung (Gegenmachtbildung für die<br />
Landwirtschaft)<br />
Abstimmung von Angebot und Nachfrage<br />
Beratung der Landwirte (z.B. Produktionstechnik,<br />
Tiergesundheit, Betriebswirtschaft)<br />
Marktbeobachtung und -information (Suche nach<br />
neuen Abnehmern, lukrative Märkte, Preis- und<br />
Marktentwicklung usf.)<br />
Absicherung von Finanztransfers (Zahlungssicherheit)<br />
Unterstützung bei der Qualitätssicherung<br />
(QS-Bündler, Zertifizierungs-Beratung)<br />
Auslagerung des Einkaufs (Sicherung der<br />
Rohstoffverfügbarkeit bei hoher Flexibilität)<br />
Sortimentsbildung (einheitliche Partien, Sortierung)<br />
Vertikaler Informationsaustausch (Schlachtdaten,<br />
Schlachtabrechnung, Erzeugererklärung, Seuchenfälle, usf.)<br />
Vermittlerfunktion: Vertrauensaufbau, Konfliktregelungen<br />
für beide Marktseiten<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Rosenbloom (1987); Kornblum (2008)<br />
96<br />
Als Zwischenfazit ist einerseits festzuhalten, dass die Viehhandelsstufe aufgrund des<br />
Strukturwandels auf der „roten“ Seite durchaus einer gewissen Ausschaltungsgefahr unterliegt,<br />
insbesondere genossenschaftliche <strong>Viehvermarkter</strong> jedoch eine Fülle zusätzlicher Leistungen<br />
erbringen, die nicht ohne hohe Kosten von Landwirten oder Schlachtunternehmen<br />
selbst übernommen werden können.<br />
Vor dem Hintergrund steigender Anforderungen an Rückverfolgbarkeit und Qualitätssicherung<br />
wurde im Rahmen des AIDA-Projekts untersucht, ob und wie die Zukunft der<br />
zweistufigen Viehvermarktung in Deutschland langfristig gesichert und insbesondere die<br />
Wettbewerbsposition von genossenschaftlichen Unternehmen der Vieh- und Fleischwirtschaft<br />
durch zusätzliche Dienstleistungen nachhaltig gestärkt werden kann. Hierfür spielt
auch die Wahrnehmung der Landwirte eine maßgebliche Rolle. Im Folgenden werden deshalb<br />
die Ergebnisse einer Befragung der Lieferanten der am Projekt teilnehmenden EZG<br />
und VVG vorgestellt.<br />
Studiendesign und Stichprobe<br />
Im Rahmen einer Status-Quo-Studie wurden von Anfang Februar bis Mitte März 2008<br />
insgesamt 781 Lieferanten der zwölf am Projekt teilnehmenden genossenschaftlichen <strong>Viehvermarkter</strong><br />
mit einem standardisierten, schriftlichen Fragebogen befragt.<br />
Tabelle 3.1/2: Stichprobe<br />
Stichprobe Deutschland<br />
Ø Fläche (ha) 112 30,5<br />
Ø Mastschweine (Stück) 1.117 160<br />
Ø Sauen (Stück) 373 76<br />
Ø Milchkühe (Stück) 72 38<br />
Ø Rinder (Stück) 104 71<br />
Anteil Haupterwerb/Nebenerwerb (%) 88,5/11,5 44,9/55,1<br />
Quelle: Eigene Berechnung; Veauthier und Windhorst (2007)<br />
Die Stichprobe setzt sich aus spezialisierten Veredlungs- und Futterbaubetrieben sowie<br />
Gemischtbetrieben zusammen. Von den teilnehmenden landwirtschaftlichen Betrieben<br />
werden 88,5% im Haupterwerb und 11,5% im Nebenerwerb geführt (vgl. Tabelle 3.1/2).<br />
Der Anteil an befragten Nebenerwerbslandwirten liegt folglich deutlich unter dem gesamtdeutschen<br />
Wert von 55,1% (BMELV 2007). Die Betriebe der Stichprobe überschreiten mit<br />
einer durchschnittlichen Flächenausstattung von 112 ha und einem Pachtanteil von 63%<br />
das Bundesmittel (30,5 ha) (Destatis 2006).<br />
Auch der mittlere Tierbestand aller Befragten übersteigt die nationalen Vergleichswerte<br />
(Veauthier und Windhorst 2007): die Befragungsteilnehmer haben durchschnittlich – je<br />
nach Betriebsform – 1.117 Mastschweine, 373 Sauen, 72 Milchkühe bzw. 104 Mastbullen<br />
aufgestallt. Neben den Betriebsstrukturen weisen der Altersdurchschnitt von 46 Jahren,<br />
ein hohes Ausbildungsniveau sowie eine positive Erfolgseinschätzung der Befragten darauf<br />
hin, dass sich die Stichprobe durch einen hohen Anteil an leistungsfähigen Betrieben<br />
auszeichnet, die auch in Zukunft wichtige Lieferanten für genossenschaftliche Viehvermarktungsorganisationen<br />
darstellen werden.<br />
Ergebnisse: Akute Ausschaltungsgefahr ist nicht gegeben<br />
Mastbetriebe sind in ihrem Lieferverhalten in der Vergangenheit sehr treu gewesen: im<br />
Mittel liefern die Befragten bereits seit 17 Jahren (!) an ihre jeweilige Vermarktungsorganisation.<br />
Sicherlich spielt auch die genossenschaftliche Rechtsform hier eine bedeutende<br />
Rolle. Allerdings zeigen schon die Analysen von Spiller et al. (2005) eine überraschend<br />
hohe Liefertreue von Schweinemästern gegenüber ihren Abnehmern, unabhängig von deren<br />
Rechtsform.<br />
Doch wie werden sich die Geschäftsbeziehungen zwischen Landwirten und ihren Vermarktungspartnern<br />
künftig entwickeln? Hier gibt die Befragung wichtige Hinweise. Wie<br />
Abbildung 3.5/2 verdeutlicht, beabsichtigen über 76% der Befragten nicht, ihren Vermarktungspartner<br />
in den nächsten Jahren dauerhaft zu wechseln. Allerdings unterscheiden sich<br />
die Zahlen für die zwölf Unternehmen sehr deutlich. Die beste Erzeugergemeinschaft hat<br />
97
Anteil in %<br />
einen Anteil von 90% treuen Lieferanten, die schlechteste von 60%. Über alle Befragten<br />
hinweg sind 4% akut wechselgefährdet.<br />
Abb. 3.1/2: Wechselpläne der landwirtschaftlichen Lieferanten<br />
Haben Sie vor, Ihren Vermarktungspartner dauerhaft zu wechseln?<br />
41,6<br />
34,7<br />
12,8<br />
6,9<br />
3,2<br />
0,8<br />
Bleibe auf<br />
jeden Fall<br />
treu.<br />
Eher kein<br />
Wechsel.<br />
Noch<br />
nicht<br />
darüber<br />
nachgedacht.<br />
Vielleicht<br />
wechsle<br />
ich.<br />
Könnte<br />
mir<br />
einen<br />
Wechsel<br />
gut vorstellen.<br />
Lasse<br />
den<br />
Vertrag<br />
mit XY<br />
auslaufen.<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
98<br />
Immerhin 26,8% der Befragten können sich vorstellen, ihre Tiere direkt zu vermarkten<br />
(vgl. Tabelle 3.1/2), knapp 50% aller <strong>Teil</strong>nehmer haben sich bisher allerdings noch nicht<br />
mit anderen Vermarktungsalternativen beschäftigt. Dies ist weniger ein Hinweis auf ein<br />
geringes Interesse an der Vermarktung, sondern – wie die Analyse zeigt – das Resultat größenbedingter<br />
Barrieren. Damit wird ein weiteres Argument für eine Beibehaltung der aktuellen<br />
Funktionsverteilung innerhalb der Wertschöpfungskette geliefert: Trotz zunehmender<br />
Betriebsgröße beurteilen über 50% der Mäster ihre Partien als zu klein, um direkt mit den<br />
Abnehmern zu verhandeln. Folglich setzt sich die Mehrheit gar nicht mit der Erschließung<br />
alternativer Absatzwege auseinander. Darüber hinaus fehlt den Tierhaltern häufig die Zeit,<br />
um sich intensiv selbst darum zu kümmern – hier bietet die Einschaltung der genossenschaftlichen<br />
Viehvermarktungsorganisationen die gewünschte Entlastung im Alltagsgeschäft.<br />
Dennoch können EZG und VVG sich nicht auf diesen Ergebnissen „ausruhen“, denn die<br />
Betriebe und ihre Betriebsleiter verändern sich stetig: Zum einen werden die Partien im<br />
Zeitverlauf größer, <strong>zum</strong> anderen ist zu erkennen, dass sich die Vermarktungseinstellungen<br />
der Landwirte – besonders im Zuge des Generationenwechsels – verändern. Die zunehmende<br />
unternehmerische Orientierung auf den Betrieben führt auch zu einem höheren Interesse<br />
an Absatzfragen. Dabei können auch neue Technologien wie das Internet an Bedeutung<br />
gewinnen. Obwohl über 65% aller befragten Landwirte das Internet nach wie vor für zu<br />
unsicher für den Ein- und Verkauf von Tieren halten, bedeutet diese Zahl auch, dass über<br />
ein Drittel der Landwirte diesem Vermarktungsweg offen gegenübersteht. Hier kann sich<br />
im Zeitverlauf Handlungsbedarf für die genossenschaftlichen Vermarktungsunternehmen<br />
auftun, wenn Kunden langfristig an die einzelnen Unternehmen, aber auch den Absatzkanal<br />
der zweistufigen Viehvermarktung gebunden werden sollen.
Tabelle 3.1/3: Einstellungen der befragten Landwirte zur Selbstvermarktung<br />
Statement<br />
Ich kann mir vorstellen, meine Tiere selbst zu<br />
vermarkten.<br />
Mit anderen Vermarktungsalternativen habe ich mich<br />
noch nicht beschäftigt.<br />
Meine Partien sind zu klein, um selbst mit den<br />
Abnehmern zu verhandeln.<br />
Das Internet ist mir zu unsicher für den Ein- oder<br />
Verkauf von Tieren.<br />
Ich bin bereit, mich vertraglich mit<br />
Schlachtunternehmen zu binden.<br />
Mittelwert<br />
(-3 bis +3)*<br />
0,70 26,8<br />
0,27 47,4<br />
0,37 51,5<br />
1,07 67,0<br />
-0,83 23,0<br />
Zustimmung<br />
in %<br />
Legende: *=7-stufige Skala von trifft voll und ganz zu (+3) bis trifft überhaupt nicht zu (-3).<br />
Zustimmung in % = Anteil derjenigen, die mit stimme voll und ganz zu, stimme zu oder stimme<br />
eher zu geantwortet haben.<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Vorteilhaft für EZG und VVG ist das schwierige Verhältnis zwischen Erzeugern und<br />
Schlachtunternehmen, das zu einer geringen Bereitschaft der „grünen“ Seite beiträgt, sich<br />
vertraglich an die „rote“ Seite zu binden. Unabhängig von ihrem Vermarktungsinvolvement,<br />
d.h. ihrer Bereitschaft, sich selbst um ihre Vermarktung zu kümmern, lehnt die Mehrheit<br />
der befragten Landwirte eine Direktbeziehung zu den Schlachtunternehmen ab. Zudem<br />
weisen weder die Befürworter noch die Gegner der Direktbeziehung <strong>zum</strong> Abnehmer eine<br />
besondere Affinität zur Selbstvermarktung auf. Folglich sichert dies den Viehvermarktungsorganisationen<br />
– <strong>zum</strong>indest kurz- und mittelfristig – ihre Position innerhalb der<br />
Wertschöpfungskette (vgl. Tabelle 3.1/3). Dennoch zeigen sich auch bei diesen Fragen<br />
große Unterschiede zwischen den verschiedenen Organisationen. Es gibt <strong>zum</strong> Beispiel eine<br />
Erzeugergemeinschaft, bei der sich über ein Drittel der Landwirte vorstellen könnte, ihre<br />
Tiere selbst zu vermarkten. Bei einem anderen Händler mit kleineren Landwirten als Lieferanten<br />
sind dies nur knapp 20%. Erzeugerorganisationen, die sehr große Landwirte als<br />
Mitglieder haben, müssen ihre Daseinsberechtigung über erfolgreiche Preisverhandlungen<br />
immer wieder beweisen. Sie sollten ihren Landwirten in der Mitgliederkommunikation verdeutlichen,<br />
in welcher Form die Gemeinschaft bessere Preise erzielen kann als der Einzelne.<br />
Basierend auf den dargestellten Befragungsergebnissen ist nicht von einer akuten Ausschaltungsgefahr<br />
für EZG und VVG auszugehen. Dennoch stellt sich die Frage, wie die genossenschaftlichen<br />
Unternehmen der Vieh- und Fleischwirtschaft ihre Wettbewerbsposition<br />
langfristig sichern können. Zu diesem Zweck wurde eine Faktorenanalyse durchgeführt, um<br />
die Vielzahl an unabhängigen Variablen zu potentiellen Einflussfaktoren zu verdichten. Im<br />
Anschluss daran wurden mittels einer Regressionsanalyse die Größen identifiziert, die eine<br />
Einschaltung von Vermarktungsunternehmen bewirken (vgl. Tabelle 3.1/4). Dabei wurde<br />
als abhängige Variable die Aussage „Ich kann mir nicht vorstellen, meine Tiere selbst zu<br />
vermarkten“ gewählt. Dieses Statement repräsentiert die Bereitschaft zur Zusammenarbeit<br />
mit einem <strong>Viehvermarkter</strong>. An der positiven Ausprägung des standardisierten Beta-Wertes<br />
(ß) ist zu erkennen, dass die in Tabelle 3.1/4 aufgeführten Faktoren die Kooperationsbereitschaft<br />
erhöhen.<br />
99
Tabelle 3.1/4: Ergebnisse der Regressionsanalyse<br />
t<br />
ß<br />
Betriebsgrößenbedingte Barrieren von Direktgeschäften 5,420 0,329***<br />
Gegenmachtbildung zur stärker konzentrierten „roten“ Seite 3,096 0,169*<br />
Strukturelle Bindung (wenige Vermarktungsalternativen) 3,194 0,174*<br />
Einschaltungsvorteile: Entlastung der Landwirte 2,027 0,190*<br />
Korrigiertes R 2 = 0,247 F = 9,016***<br />
***p ≤ 0,001; **p ≤ 0,01; * p ≤ 0,05; Abhängige Variable: „Ich kann mir nicht vorstellen meine<br />
Tiere selbst zu vermarkten“<br />
Quelle: Eigene Berechnung<br />
Die Motivation zur Selbstvermarktung wird wesentlich durch die individuelle Wahrnehmung<br />
der Verhandlungsmacht der Landwirte bestimmt. Dabei ist die absolute Partiegröße<br />
der jeweiligen Erzeuger von Relevanz. Wenn diese als zu klein bewertet wird, wirkt das als<br />
Barriere für Direktgeschäfte, was die Einschaltung von Zwischenhändlern positiv beeinflusst.<br />
Außerdem steht den wachsenden Bestandsgrößen auf landwirtschaftlicher Seite<br />
eine zunehmende Verhandlungsmacht der Schlachtunternehmen gegenüber. Diese erhöht<br />
die Kooperationsbereitschaft, da eine verstärkte Gegenmachtbildung auch für größere<br />
Landwirtschaftsbetriebe erforderlich wird. Darüber hinaus erhöht eine strukturelle Bindung,<br />
d.h. ein Mangel an Vermarktungsalternativen, die Loyalität gegenüber dem Viehhandel.<br />
Allerdings ist bei dieser passiven Form der Bindung Vorsicht geboten, da unzufriedene<br />
Landwirte bei Entstehung von Alternativen schnell wechseln können.<br />
Ein weiterer Grund, mit Viehvermarktungsorganisationen zu kooperieren, ist für die<br />
Landwirte eine Entlastung im Tagesgeschäft. EZG und VVG bieten ihren Mitgliedern eine<br />
erhöhte Absatzsicherheit, Zeitersparnis sowie einen verbesserten Zugang zu Marktinformationen.<br />
Obgleich auch die Direktbeziehung <strong>zum</strong> Verarbeiter diese Vorteile bieten kann,<br />
scheuen Landwirte die Gefahr der Abhängigkeit bei langfristigen vertraglichen Bindungen<br />
an Schlachtunternehmen (Key 2005). Des Weiteren schätzen die Landwirte den Erfahrungsvorsprung<br />
von EZG/VVG bei Verhandlungen, die größere Verhandlungsmacht und<br />
die Aushandlung von besseren Preisen. Es mag trivial erscheinen, dennoch müssen diese<br />
Leistungen den Lieferanten regelmäßig kommuniziert werden, um nicht unterzugehen.<br />
Insgesamt ist die Summe der Einschaltungsvorteile bei einer – im Vergleich zu Vermarktungsverträgen<br />
– weniger strikten Bindung ein wichtiges Argument für die Zusammenarbeit<br />
mit Viehvermarktungsorganisationen.<br />
Diskussion: EZG und VVG müssen sich für künftige<br />
Herausforderungen wappnen<br />
100<br />
Die eingangs aufgeworfene Frage, welche Zukunft der genossenschaftliche Viehhandel in<br />
Deutschland hat, lässt sich nicht abschließend beantworten. Eine latente Ausschaltungsgefahr<br />
ist vorhanden. Längerfristigen Trends wie dem landwirtschaftlichen Strukturwandel<br />
und den Konzentrationsprozessen der Schlachtindustrie, die eine Erhöhung der Disintermediationsgefahr<br />
nachsichziehen, stehen Entwicklungen wie ein erhöhter Bedarf an der<br />
überbetrieblichen Koordinierung von Qualitätssicherung, Rückverfolgbarkeit und Gesundheitsmanagement<br />
entgegen. Diese stärken die Rolle der EZG und VVG in der Wertschöpfungskette.
Verschiedene Faktoren beeinflussen die Ausschaltungsgefahr in Wertschöpfungsketten.<br />
Die Anzahl der Anbieter und Nachfrager nimmt Einfluss auf die Ausschaltungsgefahr:<br />
Wächst die Konzentration im Markt, so schwächt dies die Position der Zwischenhändler,<br />
denn wenige Anbieter und Nachfrager sind leichter zu verknüpfen. Zudem fallen die Verhandlungsvorteile<br />
durch die Bündelung von Angebot bzw. Nachfrage niedriger aus, je höher<br />
die Konzentration in einer Branche ist. Allerdings ist die Zahl der zu koordinierenden Transaktionspartner<br />
im Fleischmarkt insbesondere auf landwirtschaftlicher Ebene immer noch<br />
hoch: Rund 170.000 Rinder- und rund 80.000 Schweinehalter stehen einer Gesamtheit von<br />
207 Schlachtunternehmen gegenüber. Daher geht von dieser Perspektive wohl noch keine<br />
Gefahr für die Zwischenstufe aus. Zudem sind die Landwirte trotz des Strukturwandels<br />
nach wie vor auf die Verhandlungsvorteile angewiesen, die der Viehhandel durch seine Bündelungsfunktion<br />
erzielt.<br />
Vorteilhaft für den Viehhandel ist auch die noch immer gegebene Notwendigkeit der<br />
mengenmäßigen Abstimmung: Solange das Marktrisiko aus Sicht der Schlachtunternehmen<br />
hoch ist, es also viele Nachfrageschwankungen und starke Preisveränderungen<br />
gibt, werden sie im Standardmarkt Vorteile in der Zusammenarbeit mit lose verbundenen<br />
Händlern sehen. Eine Bindung an einzelne Landwirte erscheint vorerst nicht notwendig.<br />
Dies spiegelt die strategische Ausrichtung der Rohstoffbeschaffung der Abnehmer wider:<br />
Schlachtunternehmen wie Tönnies organisieren den Rohstoffbezug in Zusammenarbeit<br />
mit den Viehvermarktungsunternehmen über den „freien Markt“. Andere Unternehmen wie<br />
Westfleisch, die einen Großteil ihres Rohstoffbedarfs über direkte Lieferverträge mit den<br />
Erzeugern absichern, bilden im Markt bisher eine Ausnahme (Bahlmann et al. 2006). Die<br />
Sicherung der Wettbewerbsposition von EZG und VVG hängt demnach auch davon ab, welches<br />
der Beschaffungsmodelle sich mittel- und langfristig durchsetzen wird.<br />
Ein weiterer wichtiger Faktor für die Disintermediation ist, ob die Leistungen des Viehhandels<br />
leicht von den vor- oder nachgelagerten Stufen zu übernehmen sind. Dies ist nicht<br />
der Fall, denn neben klassischen Funktionen (Bündelung, Preisverhandlungen und Logistik)<br />
übernehmen EZG und VVG immer mehr zusätzliche Aufgaben. Solange Lebensmitteleinzelhändler<br />
und/oder Schlachtunternehmen also keine Notwendigkeit sehen, direkten Einfluss<br />
auf die Produktion der Schlachttiere zu nehmen, ist die Ausschaltungsgefahr der Vermarktungsorganisationen<br />
sehr gering. Beispiele wie das Gutfleisch-Programm von Edeka zeigen<br />
aber auch, dass der Zwischenstufe, selbst im Falle der Einflussnahme auf die landwirtschaftliche<br />
Produktion, noch große Bedeutung bei der Bündelung entsprechender Mengen<br />
sowie der Beratung und Kontrolle der Landwirte zukommt. Insbesondere genossenschaftliche<br />
<strong>Viehvermarkter</strong>, die häufig als Erzeugergemeinschaften gemäß Marktstrukturgesetz<br />
organisiert sind, erfüllen hier eine Fülle von Zusatzleistungen (vgl. Tabelle 3.1/1), da die<br />
Einzelhändler selbst häufig relativ weit von der Landwirtschaft weg sind und in einer Detailsteuerung<br />
der Vorproduktion nicht ihre Kernkompetenz sehen.<br />
Nicht zuletzt bringen steigende Anforderungen in den Bereichen Rückverfolgbarkeit,<br />
Qualitätssicherung und Gesundheitsmanagement ebenfalls eine Verbesserung der Position<br />
von Viehvermarktungsorganisationen mit sich. Bei diesen komplexen Fragestellungen sind<br />
Landwirte auf Unterstützung durch ihre Vermarktungsorganisation angewiesen, um die<br />
geforderten Leistungen neben dem Alltagsgeschäft erbringen zu können. Zumindest derzeit<br />
ist bei den Schlachtunternehmen eher keine Bereitschaft zu erkennen, sich auf diesem<br />
zusätzlichen Aufgabenfeld zu betätigen. EZG und VVG können Kompetenzen in diesen Bereichen<br />
als Differenzierungsmerkmale gegenüber dem Wettbewerb nutzen.<br />
Eine vollständige Ausschaltung der Viehvermarktungsorganisationen ist auch langfristig<br />
nur in Ausnahmefällen zu erwarten. Wahrscheinlicher ist jedoch eine „Re-Intermediation“,<br />
101
d.h. das Dienstleistungsspektrum der genossenschaftlichen Handelsunternehmen, das<br />
bereits heute über eine Bündelungs- und Logistikfunktion hinausgeht, wird sich weiter<br />
verändern. Obgleich die klassischen Viehhandelsfunktionen für Landwirte nicht an Bedeutung<br />
verloren haben, ist eine Weiterentwicklung der angebotenen Dienstleistungen eine<br />
erfolgversprechende strategische Option. Unter Berücksichtigung der dargestellten Entwicklungen<br />
innerhalb der Branche erscheint die Übernahme einer stufenübergreifenden<br />
Koordinationsfunktion bei gleichzeitiger Stärkung der Kernkompetenzen als eine tragfähige<br />
Strategie zur langfristigen Stärkung der Position der (genossenschaftlichen) Viehvermarktung<br />
innerhalb der Wertschöpfungskette.<br />
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103
104
3.2 Positionierungsmodelle in der genossenschaftlichen<br />
Viehvermarktung<br />
Stephanie Schlecht, Daniel Gieseke und Achim Spiller<br />
In der Fleischwirtschaft unterliegen alle Stufen der Wertschöpfung einem starken Strukturwandel.<br />
Auf Seiten der Landwirtschaft verbleiben weniger, dafür größere Betriebe (BMELV<br />
2009). Deren Marktmacht ist im Vergleich zur stark konzentrierten Schlachtbranche<br />
jedoch nach wie vor deutlich geringer, denn obwohl die Top-3 der Schlachtunternehmen<br />
bereits einen Marktanteil von über 50% aufweisen, scheint deren Konsolidierungsprozess<br />
noch nicht beendet (Windhorst 2008; ISN 2009). Für die Viehhandelsstufe resultiert daraus<br />
einerseits ein verschärfter Wettbewerb um immer weniger Landwirte, deren Bedeutung<br />
betriebsgrößenbedingt zunimmt. Ein hohes Ausbildungsniveau sowie zunehmende Professionalisierung<br />
erhöhen außerdem die Ansprüche der landwirtschaftlichen Lieferanten<br />
an die gebotenen Leistungen. Andererseits steht der Viehhandel einem deutlich konzentrierteren<br />
Schlachtsektor gegenüber, der sich aussucht, welcher Vermarkter Schlachttiere<br />
liefern darf. Unternehmen, die sich nicht an dieses wettbewerbsintensive Umfeld anpassen<br />
(können), sind vom Ausscheiden bedroht, was sich in zahlreichen Betriebsaufgaben und<br />
Fusionen auf der Viehhandels stufe widerspiegelt (Voss et al. 2010).<br />
Die Kernaufgaben des Viehhandels, Bündelung und Transport, sind als weitgehend<br />
standardisierte Prozesse nur bedingt geeignet, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen.<br />
Lieferanten und Abnehmer können Leistungsunterschiede folglich kaum noch wahrnehmen,<br />
wodurch die exzellente Beherrschung der eigenen Tätigkeit zur notwendigen Voraussetzung<br />
wird, aber noch kein Garant für das Bestehen am Markt ist (Recke und Theuvsen 2008).<br />
Vielmehr gewinnt die Entwicklung eines klaren, dauer haften Identifikationsprofils an Bedeutung<br />
(Spiller 2010). Doch über welche Unique Selling Proposition (USP) können <strong>Viehvermarkter</strong><br />
einen Wettbewerbsvorteil generieren? Und wie können die Alleinstellungsmerkmale<br />
erfolgreich im Markt kommuniziert werden?<br />
Der folgende Beitrag stellt zuerst die theoretischen Grundlagen der Positionierung heraus<br />
und zeigt auf, wie diese zu einer Profilschärfung von Unternehmen beitragen kann.<br />
Im nächsten Kapitel wird das methodische Vorgehen erörtert, um anschließend im AIDA-<br />
Projekt gewonnene Ergebnisse zu präsentieren. Mögliche Alleinstellungsmerkmale, die zur<br />
Positionierung gegenüber Landwirten und Schlachtunternehmen genutzt werden können,<br />
werden zusammengefasst. Mittels einer Fallstudienana lyse werden sieben idealtypische<br />
Profile erarbeitet, die illustrieren, wie sich eine stimmige Kombi nation verschiedener Kernkompetenzen<br />
zur Unique Selling Proposition verdichten lässt.<br />
Theoretische Grundlagen der Positionierung<br />
Die Positionierung ist ein wichtiges Verfahren, um Marketingmaßnahmen mit den Anforderungen<br />
unterschiedlicher Kundengruppen zu verknüpfen. Ausgangspunkt ist die Ermittlung<br />
der zentralen Positionierungseigenschaften eines Unternehmens. Dabei kann es<br />
sich um Vorteile der angebotenen Produkte bzw. Dienstleistungen (Langlebigkeit, Design,<br />
Effizienz usf.), spezielle Absatzwege, den Preis oder emotionale Erlebniswerte (Dynamik,<br />
Fairness usf.) handeln. Wichtig ist, dass die Positionierung nicht auf die reale, objektiv<br />
messbare Seite des Angebots oder die Selbstwahrnehmung durch die Geschäftsführung<br />
zielt, sondern allein von der Bewertung durch die Lieferanten bzw. Abnehmer abhängt. Für<br />
den Markterfolg ist letztlich nur deren Einschätzung relevant (Spiller 2010).<br />
105
Die Definition eines klaren Unternehmensprofils erfordert die Identifikation möglicher<br />
Kernkompetenzen. Diese hängen eng mit den im Unternehmen vorhandenen Ressourcen<br />
zusammen. Angenommen wird dabei, dass Unternehmen grundsätzlich verschieden<br />
sind und aufgrund dieser Einzigartigkeit Wettbewerbsvorteile generieren können (Bohn<br />
1993; zu Knyphausen-Aufsess 1995). Generell wird zwischen tangiblen, intangiblen und<br />
Humanressourcen unterschieden. Tangible bzw. physische Ressourcen sind z.B. relativ<br />
leicht imitierbare technische Aggregate oder Finanzmittel. Ein Beispiel ist der Fuhrpark.<br />
Leistungsfähige LKW sind für Viehhändler wichtig, aber am Markt für jeden Konkurrenten<br />
jederzeit verfügbar. Intangible und Humanressourcen sind nicht direkt messbar (Schröck<br />
1993) und können häufig nur im Unternehmen selbst entwickelt werden (zu Knyphausen-<br />
Aufsess 1995). Beispiele dafür sind die Außendienststärke, Kundendaten, Unternehmensreputation<br />
etc. Auf Basis dieser Ressourcen können Firmen Kernkompetenzen entwickeln<br />
(Thomas und Pollock 1999). Idealerweise sind diese Kernkompetenzen von hohem strategischen<br />
Wert, d.h. nicht oder nur sehr schwer von Wettbewerbern imitierbar (Dresch 2009).<br />
Entscheidend ist darüber hinaus, dass die Fähigkeiten im Branchenumfeld gefragt und für<br />
die Kunden relevant sind (Spiller 2010). Erfüllen Kernkompetenzen diese Voraussetzungen,<br />
können sie zu Alleinstellungsmerkmalen ausgebaut werden und damit zu einer klaren Positionierung<br />
beitragen.<br />
Um zu ermitteln, wie ein Unternehmen von seinen Kunden wahrgenommen wird, stehen<br />
unterschiedliche Instrumente der qualitativen (z.B. Fokusgruppen-Interviews, Fallstudien)<br />
und quantitativen Marktforschung (z.B. Kundenbefragungen) zur Verfügung. Die empirischen<br />
Ergebnisse können in eine Positionierungsanalyse einfließen, die die profilbildenden<br />
Faktoren in einer Matrix darstellt. So können die relevanten Unternehmenseigenschaften<br />
visualisiert werden. Kombiniert mit einer SWOT 1 -Analyse liefert das Positionierungsmodell<br />
wichtige Informationen über Nachfrager, den Wettbewerb und das eigene Leistungsangebot.<br />
Bei der SWOT-Analyse werden zuerst die Stärken und Schwächen des betrachteten<br />
Unternehmens verdeutlicht und anschließend mit den Chancen und Bedrohungen des externen<br />
Umfelds abgeglichen (vgl. Voss und Theuvsen in diesem Band). Zeigen die Ergebnisse<br />
einer Positionierungsanalyse beispielsweise, dass die Wahrnehmung durch die Kunden<br />
nicht mit der angestrebten eigenen Positionierung übereinstimmt oder dass die Nachfrager<br />
kein eindeutiges Profil erkennen, das Unternehmen für sie also leicht austauschbar ist,<br />
kann das Management entsprechende Maßnahmen einleiten, um diese Probleme auszuräumen.<br />
Einschränkend ist zu bemerken, dass eine Positionierungsanalyse vergangenheitsorientiert<br />
ist, d.h. Merkmale erfasst werden, die <strong>zum</strong> Erhebungszeitpunkt den Markt dominierten.<br />
Möglicherweise gibt es jedoch latente Kundenbedürfnisse und damit Positionierungseigenschaften,<br />
die am Markt bisher gar nicht angeboten werden. Trotz dieses methodischen<br />
Problems ist die Positionierung ein Kernelement der marktorientierten Unternehmensführung,<br />
aus der sich weitreichende Vorgaben für den Einsatz der Marketing-Instrumente<br />
ableiten (Spiller 2010).<br />
Methodisches Vorgehen<br />
Durch die Kooperation der Universitäten Bonn und Göttingen mit zwölf genossenschaftlichen<br />
Viehvermarktungsorganisationen aus ganz Deutschland ermöglicht das AIDA-Projekt<br />
eine enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis. Um das übergeordnete Ziel des<br />
106<br />
1<br />
Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats (SWOT).
Forschungsvorhabens, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der zweistufigen Viehvermarktung,<br />
zu erreichen, wird unter anderem eine Schärfung des strategischen Profils der<br />
einzelnen Unternehmen angestrebt. Zu diesem Zweck werden in diesem Beitrag Ergebnisse<br />
einer Fallstudien-Analyse präsentiert, die den Status quo der Positionierung der Firmen<br />
und Optionen zu einer Profilschärfung aufzeigt. Damit komplettiert er quantitative Untersuchungen<br />
zur Wahrnehmung der Stärken und Schwächen des Vermarktungskanals aus<br />
Perspektive der landwirtschaftlichen Lieferanten (vgl. Kapitel 3.1 und 3.3 in diesem Band)<br />
sowie eine umfassende SWOT-Analyse des genossenschaftlichen Viehhandels (vgl. Voss und<br />
Theuvsen in diesem Band).<br />
Die Arbeit mit Fallstudien ist eine in vielen Disziplinen (z.B. Psychologie, Politikwissenschaft,<br />
Volkswirtschaftslehre, Pädagogik etc.) verbreitete, qualitative Forschungsmethode<br />
(Yin 1994). Trotz Kritik an der Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse dieses Forschungsansatzes<br />
liegt seine Stärke in der Möglichkeit, die Wechselwirkung der Umweltbedingungen<br />
mit dem Forschungsgegenstand detailliert zu beschreiben (Dubois und Gadde 2002).<br />
Als theoretischer Rahmen für die vorliegenden Fallstudien wird das Konzept der Marketing-Positionierung<br />
gewählt. Mittels schriftlicher Vorab-Interviews zur Organisationsstruktur<br />
der Unternehmen werden Parameter wie die Beschaffungs- und Absatzstruktur (Art und<br />
Anzahl Lieferanten, Abnehmer) erfasst. Des Weiteren liegen Informationen <strong>zum</strong> Umfang<br />
des Leistungsangebots, den Mitarbeitern (Art und Anzahl) und Geschäftsführern vor. Dieses<br />
Wissen wird durch qualitative Interviews mit Vertretern des Managements der Organisationen,<br />
die hinsichtlich ihrer Bewertung der Marktentwicklung, aber auch ihrer verfolgten<br />
Unternehmensstrategien befragt wurden, komplettiert. Basierend darauf werden anhand<br />
der Leistungen und Funktionen genossenschaftlicher <strong>Viehvermarkter</strong> zuerst Kernkompetenzen<br />
der Organisationen systematisch zusammengefasst, die hinsichtlich ihrer Eignung als<br />
(potentielle) Alleinstellungsmerkmale bewertet werden. Im Ergebnis werden danach sieben<br />
idealtypische Positionierungsstrategien abgeleitet.<br />
Diese wurden in Workshops zur strategischen Ausrichtung der genossenschaftlichen<br />
Viehvermarktung im Frühjahr und Herbst 2009 mit den Geschäftsführern der AIDA-Organisationen<br />
diskutiert und angepasst. Damit wurde einerseits die Plausibilität und „Praxistauglichkeit“<br />
der Typenbildung überprüft, andererseits dem Management (noch) nicht<br />
genutzte Potentiale zur Profilschärfung ihrer Unternehmen aufgezeigt.<br />
Alleinstellungsmerkmale der genossenschaftlichen Viehvermarktung<br />
Die teilnehmenden zwölf Unternehmen sind räumlich über Deutschland verteilt. Die<br />
Gruppe West besteht aus fünf Vermarktungsgesellschaften, die in Nordrhein-Westfalen und<br />
dem westlichen Niedersachsen ansässig sind. Ihr Absatzgebiet ist das Zentrum der deutschen<br />
Schweineproduktion in Nordwestdeutschland. Die Gruppe Nord setzt sich aus vier<br />
Unternehmen aus dem nordöstlichen <strong>Teil</strong> Deutschlands (Niedersachen, Schleswig-Holstein)<br />
zusammen. Die Gruppe Süd wird von drei Viehhändlern aus dem Süden (Bayern, Baden-<br />
Württemberg) und dem Osten (Thüringen) Deutschlands gebildet. Obgleich es Größenunterschiede<br />
zwischen den Organisationen gibt, weisen die Unternehmen deutliche Gemeinsamkeiten<br />
hinsichtlich ihrer Dienstleistungsangebote, ihrer Vermarktungswege und ihrer<br />
Mitglieder- bzw. Lieferantenkommunikation (Informationsversorgung, Kommunikationskanäle)<br />
auf. Dies bestätigt die eingangs aufgeworfene These, dass die Organisationen in den<br />
Augen der Lieferanten und Abnehmer austauschbar sind, da wenige Unterschiede zwischen<br />
den Organisationen wahrgenommen werden können.<br />
Doch welche Eigenschaften ermöglichen den Unternehmen des genossenschaftlichen<br />
Viehhandels eine deutlichere Positionierung im Wettbewerb um Landwirte und Schlacht-<br />
107
unternehmen? Tabelle 3.2/1 fasst zunächst Leistungsbereiche zusammen, die als Alleinstellungsmerkmale<br />
bzw. Kernkompetenzen der genossenschaftlichen Viehvermarktung zur<br />
Positionierung gegenüber den landwirtschaftlichen Lieferanten dienen können. Funktionsbereiche<br />
wie Bündelung, Preisverhandlungen, Abstimmung von Angebot und Nachfrage oder<br />
Informationstransfer sind prinzipiell imitierbar. Ein echtes Alleinstellungsmerkmal lässt sich<br />
in diesen Bereichen nur durch außergewöhnliche Leistungen erzielen. Der Auszahlungspreis<br />
ist für genossenschaftliche Händler beispielsweise als USP nur eingeschränkt geeignet, da<br />
die realisierten Preise anderen Vermarktungswegen (z.B. privater Viehhandel) nicht grundsätzlich<br />
überlegen sind (Traupe 2002). Viele genossenschaftliche Vermarktungsunternehmen<br />
realisieren jedoch weitere ökonomische Vorteile für ihre Lieferanten (z.B. gemeinsamer<br />
Einkauf von Betriebsmitteln), die den Mitgliedern kommuniziert werden müssen.<br />
Langfristige Wettbewerbsvorteile können die Funktionsbereiche Transport und Beratung<br />
bieten. Ein schlagkräftiger, zuverlässiger Fuhrpark ist für die Landwirte ein wichtiges Kriterium<br />
für eine Zusammenarbeit. Ein weiterer Vorzug kann ein außergewöhnliches Beratungsangebot<br />
sein, das den Lieferanten zur Verfügung steht. Insbesondere im Qualitätsmanagement<br />
ist eine regelmäßige Unterstützung der Produktion hilfreich. Obgleich Unterstützung<br />
bei der Qualitätssicherung prinzipiell von allen Bündlern angeboten werden kann, eröffnen<br />
Qualitätsstandards und -programme wie ein Tiergesundheitsmonitoring Vorteile für die<br />
genossenschaftliche Vermarktung. Erzeugergemeinschaften und Viehverwertungsgenossenschaften<br />
(EZG/VVG) arbeiten eng mit den Landwirten zusammen, ohne ihre Entscheidungsfreiheiten<br />
zu sehr einzuschränken (Windhorst 2008).<br />
Tabelle 3.2/1: Funktionsbereiche des Viehhandels für Landwirte<br />
Funktionsbereich Alleinstellungsmerkmal Bewertung<br />
Bündelung Große Mengen Leicht imitierbar, allerdings:<br />
finanzielle Eintrittsbarrieren<br />
Preise/Preisaushandlung Gute Preise, Verhandlungsgeschick Imitierbar, allerdings:<br />
finanzielle Eintrittsbarrieren,<br />
Personalknappheit<br />
Transport<br />
Geschwindigkeit, Schlagkraft des Fuhrparks,<br />
Geringe Transportkosten durch Auslastung<br />
Imitierbar, allerdings:<br />
finanzielle Eintrittsbarrieren<br />
Abstimmung von Angebot Frühzeitige Prognose der Nachfragesituation Schwer imitierbar<br />
und Nachfrage<br />
durch gute Beziehungen zu Abnehmern<br />
Beratung<br />
Herausragendes Beratungspersonal,<br />
Schwer imitierbar<br />
Know-how<br />
Informationstransfer Persönliche Beziehungen,<br />
Schwer imitierbar (Internet)<br />
Marktbeobachtung und<br />
-information<br />
Abwicklung des<br />
Finanztransfers<br />
Unterstützung<br />
Qualitätssicherung<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Schnittstelle der Wertschöpfungsstufen<br />
Exklusive Informationen,<br />
frühzeitige Information<br />
Hohe Zahlungssicherheit<br />
(Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit)<br />
Unterstützung in Fragen der<br />
Qualitätssicherung<br />
(QS, Markenfleischprogramme etc.)<br />
Imitierbar, evtl. mehr<br />
Kompetenz bei AMI,<br />
Landwirtschaftskammern<br />
bzw. -ämtern<br />
Imitierbar, allerdings:<br />
finanzielle Eintrittsbarrieren<br />
Imitierbar (z.B. von anderen<br />
Bündlern), allerdings:<br />
Know-how-Barrieren<br />
108
Die Schlachtindustrie ist eine Branche, in der die Rohstoffkosten aufgrund ihres hohen<br />
Anteils an den Gesamtkosten die entscheidende Rolle spielen. Derzeit ist in der globalen<br />
Fleischwirtschaft kein eindeutiger Trend bezüglich der Beschaffungsstrategie zu erkennen.<br />
Vielmehr gibt es aus Sicht der Schlachtunternehmen mehrere mögliche Wege, z.B. Einkauf<br />
über einen starken genossenschaftlichen Viehhandel oder über private Viehhändler, direkter<br />
Einkauf ohne oder mit Vertrag, Produktion auf Lohnmast-Basis bzw. eigene Mastbetriebe.<br />
Hier bietet sich für genossenschaftliche Viehhändler die Möglichkeit, ihre Vorzüge (z.B.<br />
höhere Flexibilität, niedrigere Kosten) durch eine eindeutige Profilierung an die Schlachtunternehmen<br />
zu vermitteln.<br />
Tabelle 3.2/2 fasst Funktionsbereiche der genossenschaftlichen Vermarkter, die die<br />
Schlachtunternehmen betreffen, zusammen und zeigt auf, welche Alleinstellungspotentiale<br />
diese gegenüber den Abnehmern bieten. Durch die Bündelung sehen sich die Schlachtunternehmen<br />
nur einer begrenzten Anzahl von Verhandlungspartnern gegenüber. Dies gilt für<br />
alle Organisationen, entscheidend sind jedoch Qualität und Leistungsfähigkeit der gebündelten<br />
Landwirte (Lieferantenstamm), die einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz<br />
darstellen können.<br />
Genossenschaftliche Viehhändler besitzen oftmals einen eigenen Fuhrpark oder arbeiten<br />
eng mit spezialisierten Transportunternehmen zusammen. Dieses Outsourcing der<br />
Beschaffungslogistik reduziert den Aufwand der Schlachtunternehmen erheblich, insbesondere<br />
dann, wenn die bestellte Ware stets pünktlich und in der richtigen Menge geliefert<br />
wird (Gerlach 2006). Hierbei kann der Aspekt der Zuverlässigkeit zur Differenzierung vom<br />
Wettbewerb herangezogen werden.<br />
Tabelle 3.2/2: Funktionsbereiche des Viehhandels für Schlachtunternehmen<br />
Funktionsbereich Alleinstellungsmerkmal Bewertung<br />
Angebotsbündelung Guter Lieferantenstamm Schwer imitierbar<br />
Transport<br />
Niedrige Kosten: Spezialisierter Fuhrpark, Schwer imitierbar<br />
optimale Auslastung<br />
Versorgungssicherheit Abpufferung von Mengenschwankungen Imitierbar<br />
Qualitätssicherung Guter Lieferantenstamm,<br />
Schwer imitierbar<br />
Beratungsfunktion<br />
Sortimentsbildung Einheitliche Partien, Sortierung (männlich/ Imitierbar<br />
weiblich, Salmonellenstatus, …)<br />
Informationstransfer Offenheit, Vertrauen Schwer imitierbar<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Die Beschaffung über eine EZG/VVG trägt zur Versorgungssicherheit der Schlachtunternehmen<br />
bei, da diese Mengenschwankungen abpuffern können. Gleichzeitig ist die gegenseitige<br />
Bindung geringer, die Abhängigkeit sinkt. Des Weiteren können genossenschaftliche<br />
Handelsunternehmen eine wichtige Rolle bei der Qualitätssicherung der Schlachtunternehmen<br />
spielen, was beispielsweise durch die Kooperation bei der Umsetzung von Markenfleischprogrammen<br />
illustriert wird.<br />
Die Geschäftsführung der EZG/VVG kann somit eine Vermittlerrolle zwischen der „grünen“<br />
und der „roten“ Seite einnehmen, da die Geschäftsbeziehung von Schlachtunternehmen<br />
und Landwirten von Misstrauen geprägt ist (Schulze et al. 2006). Das Vertrauen der<br />
Landwirte zu den genossenschaftlichen Viehhändlern ist deutlich höher. Aufgrund dieser<br />
Vermittlerrolle der Vermarkter können Schlachtunternehmen geringere Beschaffungskosten<br />
realisieren (z.B. geringere Koordinationskosten) (Traupe 2002). Diese Leistung ist vom<br />
109
Wettbewerb schwer imitierbar, da sie hohe Anforderungen an die persönlichen und fachlichen<br />
Kompetenzen der Mitarbeiter stellt.<br />
Positionierungsstrategien im genossenschaftlichen Viehhandel<br />
Das Vorhandensein von Kernkompetenzen bzw. Alleinstellungsmerkmalen bietet noch<br />
keinen Wettbewerbsvorteil, wenn diese nicht in einem stimmigen Gesamtprofil zusammengeführt<br />
werden. Die Fallstudien zeigen, dass die untersuchten EZG/VVG zwar über<br />
unterschiedliche mögliche Alleinstellungsmerkmale verfügen, ihr Profil aber noch nicht<br />
ausreichend geschärft ist, so dass es gegenüber Lieferanten und Abnehmern verschwimmt.<br />
Basierend auf den Fallstudien der AIDA-Projektpartner werden sieben idealtypische Positionierungen<br />
entwickelt, die sich durch die unterschiedliche Kombination von Kernkompetenzen<br />
auszeichnen. Hiermit soll unterstrichen werden, dass ein erfolgreicher Marktauftritt<br />
durch die unterschiedlichsten Positionierungsstrategien erreicht werden kann. Diese Beobachtung<br />
wird als Equifinality bezeichnet. Entgegen der Vermutung, dass nur eine einzige<br />
erfolgreiche Unternehmensstrategie existiert, zeigt die Forschung, dass es selbst unter<br />
identischen Wettbewerbsbedingungen immer mehrere Wege <strong>zum</strong> Ziel gibt. Wichtiger als<br />
die gewählte Strategie ist häufig die Konsequenz, eine Strategie klar, d.h. widerspruchsfrei,<br />
zu formulieren und zu verfolgen (Gresov und Drazin 1997). Letztlich erhöht eine eindeutige<br />
und <strong>zum</strong> Unternehmen passende Positionierung die Glaubwürdigkeit und vereinfacht so die<br />
Kommunikation.<br />
Zunächst können die Unternehmenstypen nach ihrer Orientierung innerhalb der Wertschöpfungskette<br />
gruppiert werden. Unterschieden wird zwischen Organisationen, die<br />
stärker auf die vorgelagerte Stufe (Landwirtschaft) oder unterschiedliche nachgelagerte<br />
Stufen (Schlachtunternehmen, LEH, Verbraucher) ausgerichtet sind (vgl. Tabelle 3.2/3). Die<br />
Modellprofile beschreiben nachfolgend beispielhaft, welche organisatorischen Voraussetzungen,<br />
Wettbewerbs- und Kommunikationsstrategien ihre Umsetzung erfordert.<br />
Tabelle 3.2/3: Unternehmenstypen im genossenschaftlichen Viehhandel<br />
Landwirtschaftsorientiert<br />
(Fokus auf Lieferantenbeziehungen)<br />
Verarbeiter-/Handelsorientiert<br />
(Fokus auf Abnehmerbeziehungen)<br />
Endkundenorientiert<br />
(Fokus auf Verbraucher)<br />
Typ 1: Traditioneller Händler<br />
Typ 2: Landwirtschaftliche Berater<br />
Typ 3: Logistiker<br />
Typ 4: Key Accounter<br />
Typ 5: Handelspartner<br />
Typ 6: Fleischspezialist/Komplettdienstleister<br />
(integrierte Produktion)<br />
Typ 7: Markenartikler<br />
(Verarbeitung und Vermarktung integriert)<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
110<br />
Typ 1, der „Traditionelle Händler“, verfolgt das klassische Geschäftsmodell des Viehhandels,<br />
ist häufig als Ein-Mann-Unternehmen organisiert und arbeitet vor Ort auf den<br />
Betrieben. Charakteristisch für diesen Strategietyp ist eine sehr gute Kenntnis der Landwirte<br />
im eigenen Einzugsbereich. Das ermöglicht ihnen, schneller als die Wettbewerber zu<br />
agieren und aktiv einzukaufen. Durch das Vertrauensverhältnis zu den landwirtschaftlichen<br />
Lieferanten wissen die Händler, wann Tiere zu bekommen sind. Sie spielen besonders im<br />
Rindergeschäft eine wichtige Rolle, da sie Schlachttiere häufig noch persönlich abholen<br />
und bei den Schlachtunternehmen abliefern. Gegenüber der Abnehmerseite können sich
die traditionellen Händler dadurch positionieren, dass sie benötigte Mengen flexibel beschaffen<br />
können.<br />
Bezeichnend für Typ 2, den „Landwirtschaftlichen Berater“, ist das ausgeprägte<br />
Fachwissen zur Produktionstechnik. Diese Organisationen können die Landwirte bei Fragestellungen<br />
vom Ferkeleinkauf, über Futtermittelbeschaffung bis hin zu Tiergesundheitsmanagement<br />
und Stallbau umfassend unterstützen. Der gemeinsame Einkauf von Futter,<br />
Ferkeln, Tiergesundheitsleistungen und sonstigen Betriebsmitteln ergänzt die Beratungsleistungen.<br />
Aufgrund ihrer Kenntnisse des Beschaffungsmarktes können die Handelsunternehmen<br />
Rahmenverträge abschließen, Leistungen bündeln und somit die Kostenstruktur<br />
der Landwirte verbessern.<br />
Der als „Logistiker“ benannte Typ 3 profiliert sich durch operative Exzellenz in den Bereichen<br />
Einkauf und Logistik. Das bedeutet ein detailliertes Wissen über die landwirtschaftlichen<br />
Strukturen in einem weiten Einzugsgebiet. Für die landwirtschaftlichen Lieferanten<br />
sind monetäre Aspekte, insbesondere die Zahlungssicherheit, wichtige Argumente für die<br />
Zusammenarbeit. Ein zentrales Merkmal dieses Typs ist eine hohe Flexibilität im Ein- und<br />
Verkauf, er geht auf die Wünsche der Schlachtunternehmen ein und beweist im Alltagsgeschäft,<br />
dass er Tiere schneller und flexibler beschafft als diese es selbst können. Wettbewerbsstrategisch<br />
wird das Ziel der Kostenführerschaft angestrebt, d.h. diese Unternehmen<br />
versuchen zu niedrigsten Vorkosten zu arbeiten. Dabei ist beispielsweise ein kostenoptimierter<br />
Fuhrpark entscheidend.<br />
Das Alleinstellungsmerkmal von Typ 4, dem „Key Accounter“, ist seine Verhandlungskompetenz.<br />
Die Landwirte vertrauen ihrem Vermarkter in dem Wissen, dass dieser in<br />
Preisgesprächen in der Lage ist, einen optimalen Preis für sie zu erzielen. Im Verhältnis<br />
zur Schlachtseite können diese Preisvorteile durch die Bündelung großer Mengen erzielt<br />
werden. Das erfordert stetiges Unternehmenswachstum, wobei die Organisation insgesamt<br />
jedoch möglichst schlank gehalten ist. Daraus resultiert auch, dass ein Abwerben von<br />
landwirtschaftlichen Lieferanten durch den Wettbewerb oder die nachgelagerte Stufe abgewehrt<br />
werden muss. Insgesamt erfordert diese Positionierung hohe fachliche Kompetenzen<br />
und persönliche Fähigkeiten von den Mitarbeitern, um die Gradwanderung aus Verhandlungsgeschick,<br />
Machtspielen und Vertrauen zu bewältigen.<br />
Wie die Bezeichnung „Handelspartner“ bereits andeutet, versteht sich Typ 5 als Partner<br />
des Lebensmitteleinzelhandels und beliefert deren Fleischwerke. Ein wichtiges Merkmal<br />
dieser Positionierung ist die Mittlerfunktion zwischen der Landwirtschaft und einzelnen<br />
größeren Handelsunternehmen. So können die Anforderungen des Handels direkt an die<br />
Primärproduktion weitergegeben und schnell umgesetzt werden. Kernkompetenzen dieser<br />
Vermarktungsunternehmen sind die Nähe <strong>zum</strong> Handel sowie eine ausgeprägte Qualitätsorientierung.<br />
Daher werden die Landwirte in Fragen der Qualitätssicherung, des Tiergesundheitsmanagements,<br />
der <strong>Teil</strong>nahme an Handelsmarkenprogrammen usf. unterstützt, um<br />
den Anforderungen von Handel und Verbrauchern gerecht zu werden.<br />
Ein besonderes Merkmal von Typ 6, den „Fleischspezialisten/Komplettdienstleistern“,<br />
ist die Vorwärtsintegration der Unternehmen. Das eigene Schlachtunternehmen ermöglicht<br />
die Sicherstellung einer überdurchschnittlich hohen Fleischqualität sowie die Herstellung<br />
spezifischer Produkte. Zudem gewährleistet die mittlere Größe des Schlachtbetriebs eine<br />
flexible Produktion und stellt eine Anpassung an die Nachfragewünsche der im Qualitätssegment<br />
agierenden Abnehmer sicher. Die Erzeugung von Qualitätsvorteilen wird durch die<br />
Abstimmung von landwirtschaftlicher Produktion und Schlachtung ermöglicht. Dies erfordert<br />
Expertise auf „grüner“ und „roter“ Seite. Daher benötigen Unternehmen dieser Positionierung<br />
Fachleute für landwirtschaftliche Themen, Schlachtung und Verarbeitung, aber<br />
111
auch für Marketing und Vertrieb. Die gelungene Verbindung dieser Breite der Kompetenzen<br />
ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor.<br />
Typ 7 agiert nicht auf dem Gesamtmarkt, sondern besetzt als „Markenartikler“ Nischen.<br />
Auch dieser Typ zeichnet sich durch eine Vorwärtsintegration in die Kette aus, schlachtet<br />
und verarbeitet also selbst. Der Absatz der Produkte erfolgt über spezialisierte Kanäle<br />
wie die (Top)-Gastronomie, Fleischerfachgeschäfte usf. Dabei ist die etablierte Marke ein<br />
wichtiger Erfolgsfaktor. Um diese zu pflegen, ist eine interne Marketing-Abteilung ebenso<br />
unerlässlich wie die enge Zusammenarbeit mit Werbeagenturen. Darüber hinaus dient die<br />
Kontaktpflege zu Journalisten (PR) und Verbrauchern dem Zweck, neue Marktnischen und<br />
-trends sehr früh zu erkennen und zu besetzen. Auch die landwirtschaftlichen Lieferanten<br />
arbeiten verbraucherorientiert. Primäres Ziel ist nicht die kostengünstigste Produktion,<br />
sondern die Schaffung eines differenzierten Angebotes.<br />
Abbildung 3.2/1 fasst die sieben Positionierungsmodelle zusammen. Sie stellt Gemeinsamkeiten<br />
und Unterschiede der Typen hinsichtlich ihrer Wettbewerbsstrategie und Supply<br />
Chain-Orientierung anschaulich dar.<br />
Abb. 3.2/1: Positionierungsmodelle im genossenschaftlichen Viehhandel<br />
Typ 7<br />
Typ 5<br />
Typ 2<br />
Typ 6<br />
Typ 4<br />
Typ 1 Typ 3<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
112<br />
Die skizzierten Unternehmensstrategien sind hier idealtypisch dargestellt. In den Fallstudienanalysen<br />
wurde deutlich, dass das Management in der Realität nicht in allen Fällen<br />
über eine klare Orientierung und das notwendige Wissen zu den eigenen Kernkompetenzen<br />
verfügt. Insbesondere die Einsicht in fehlende Kompetenzen oder die fehlende Passung<br />
bestimmter Funktionsfelder zur eigenen Strategie ist ein bekanntes Problemfeld des strategischen<br />
Managements (Müller-Stewens und Lechner 2003). Die Kontinuität der strategischen<br />
Positionierung ist eine der zentralen Herausforderungen, nicht zuletzt im Falle von
Personalwechseln im Management. Genossenschaftliche Unternehmen weisen in dieser<br />
Beziehung Stärken und Schwächen auf. Ein Vorteil kann die ehrenamtliche Leitungsebene<br />
sein, da sie Kontinuität sichern kann. Auf der anderen Seite zeigt die genossenschaftliche<br />
Forschung, dass sich landwirtschaftliche Gremien für Differenzierungsstrategien tendenziell<br />
schwerer öffnen.<br />
Fazit und Limitationen<br />
Die Frage der Positionierung ist unternehmensspezifisch, d.h. welche Alleinstellungsmerkmale<br />
in den Mittelpunkt der Unternehmensstrategie gerückt werden, hängt <strong>zum</strong> einen<br />
von der Gesamtausrichtung der EZG/VVG und <strong>zum</strong> anderen von den Bedürfnissen und der<br />
Wahrnehmung von Landwirten und Schlachtunternehmen ab. Damit wird auch das Equifinality-Konzept<br />
nochmals hervorgehoben, welches auf die Spezifität und Vielzahl erfolgreicher<br />
Strategien abhebt. Ein grundlegender Entscheidungsparameter für die individuelle<br />
Positionierung ist die Herausarbeitung von Unterschieden <strong>zum</strong> Wettbewerb, d.h. welche<br />
Kernkompetenzen zeichnen das Unternehmen in den Augen der Lieferanten und Abnehmer<br />
aus? Grundsätzlich gilt, dass die Positionierungsstrategie <strong>zum</strong> Unternehmen passen muss,<br />
um bei Geschäftspartnern, aber auch unternehmensintern die entsprechende Glaubwürdigkeit<br />
zu erlangen. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn sich alle Ebenen des Unternehmens,<br />
vom Fahrer bis zur Geschäftsführung, mit der gewählten Strategie identifizieren<br />
können und deren Sinn anerkennen (Ernst 2003; Ouchi und Wilkins 1985).<br />
Die Umsetzung einer Profilschärfung bedeutet insbesondere für die Kommunikationspolitik<br />
der Handelsunternehmen eine Herausforderung. Dazu müssen Veränderungen<br />
zunächst intern in alle Unternehmensebenen übermittelt werden, um einen einheitlichen<br />
Außenauftritt zu gewährleisten. Eine klare Definition der Positionierung durch die Geschäftsführung<br />
ist notwendig, um alle betroffenen Mitarbeiter auf Veränderungen einzustimmen<br />
und unnötige Streuverluste zu vermeiden. Zudem ist eine spezifische Ansprache<br />
von Lieferanten und Abnehmern erforderlich, um das gewünschte Image bzw. Profil in<br />
deren Wahrnehmung zu verankern. Entscheidend ist dabei, die strategische Rolle innerhalb<br />
der Wertschöpfungskette sowohl gegenüber Abnehmern als auch Lieferanten herauszuarbeiten<br />
(Birkigt und Stadler 2002).<br />
Einschränkend ist zu erwähnen, dass die aus der Fallstudien-Analyse ermittelten Profile<br />
nur auf Basis genossenschaftlicher Viehhandelsunternehmen abgeleitet wurden und damit<br />
kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden kann. Eine Berücksichtigung des privaten<br />
Viehhandels, der den Markt zahlenmäßig nach wie vor dominiert (Voss et al. 2010),<br />
könnte zu einer Erweiterung des Typenspektrums führen.<br />
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Zu Knyphausen-Aufsess, D. (1995): Theorie der strategischen Unternehmensführung: State of<br />
the art und neue Perspektiven. Neue betriebswirtschaftliche Forschung. Bd. 152. Wiesbaden.<br />
114
3.3 Kundensegmente im genossenschaftlichen Viehhandel<br />
Stephanie Schlecht und Birgit Schulze<br />
Die Ebene der Viehvermarktung ist ebenso vom Strukturwandel betroffen wie die vorund<br />
nachgelagerten Wertschöpfungsstufen (Voss et al. 2010). Der daraus resultierende<br />
Verdrängungswettbewerb und das damit verbundene Größenwachstum erfordern von den<br />
Viehhändlern ein Umdenken im Management ihrer Geschäftsbeziehungen: Persönliche und<br />
vertrauensvolle geschäftliche Partnerschaften, wie sie in der Vergangenheit charakteristisch<br />
waren, müssen aufgrund des Kostendrucks vielfach durch formellere Transaktionen<br />
ersetzt werden, die eine Entfremdung der Landwirte von ihren <strong>Viehvermarkter</strong>n mit sich<br />
bringen und die traditionell enge Bindung schwächen. Gleichzeitig wandeln sich auch auf<br />
den landwirtschaftlichen Betrieben die Strukturen, so dass sich <strong>Viehvermarkter</strong> größeren<br />
und anteilig gewichtigeren Lieferanten gegenübersehen. Zudem zeichnen sich die Betriebsleiter<br />
der „neuen“ Generation durch ein hohes Ausbildungsniveau und einen hohen Professionalisierungsgrad<br />
aus.<br />
Insgesamt gewinnt die Entwicklung neuer Strategien für eine langfristige Bindung der<br />
landwirtschaftlichen Lieferanten damit an Bedeutung. Investitionen in die Kundenbindung<br />
sind in vielen Fällen erfolgversprechend, da die Pflege bestehender Geschäftsverbindungen<br />
im Vergleich zur Neukundengewinnung kostensparend ist (Hennig-Thurau et al. 2002; Homburg<br />
und Stock 2001; Wallenburg 2009). Hierzu ist es jedoch notwendig, die Interessen,<br />
Anforderungen und Bedürfnisse der Landwirte zu verstehen, da diese bei aller Professionalisierung<br />
durchaus heterogen sein können (Schulze et al. 2007; Spiller et al. 2005; Wachenheim<br />
et al. 2001). Aus diesem Grund bietet sich eine Segmentierung der landwirtschaftlichen<br />
Kunden 1 an, d.h. sie werden in Gruppen mit ähnlichen Interessen und Anforderungen<br />
eingeteilt. Mit einem – jeweils auf diese Kundengruppen zugeschnittenen – spezifischen<br />
Leistungsangebot soll letztlich eine verbesserte Bindung an das Vermarktungsunternehmen<br />
bewirkt werden.<br />
Aus Sicht der Landwirte stehen der Bindung an ein bestimmtes Viehhandelsunternehmen<br />
möglicherweise zwei zentrale Motive entgegen: Die Chance, bei einem anderen<br />
Vermarkter bessere Preise zu erlösen und Flexibilitätsbedürfnisse. Aufgrund der – für die<br />
gesamte Fleischwirtschaft charakteristischen – knappen Margen liegt die Preisorientierung<br />
als wichtiges Bestimmungskriterium nahe, da diese wenig Raum für die Entwicklung<br />
innovativer, möglicherweise kostenintensiver Lieferantenbindungsstrategien lässt. Deshalb<br />
werden die Landwirte hinsichtlich der Preisorientierung und ihres Flexibilitätsbedürfnisses<br />
in unterschiedliche Segmente eingeteilt. Daraus soll abgeleitet werden, ob es Gruppen von<br />
landwirtschaftlichen Kunden gibt, die als Zielgruppe für das Angebot innovativer Dienstleistungen<br />
infrage kommen und für die genossenschaftlichen Viehvermarktungsorganisationen<br />
einen Ausweg aus dem in der Branche vorherrschenden Preiswettbewerb bieten.<br />
Im nächsten Abschnitt werden zunächst der aktuelle Stand der Forschung sowie daraus<br />
abgeleitete Hypothesen präsentiert. Die anschließenden Kapitel beschreiben das Design einer<br />
Befragung von Kunden genossenschaftlicher <strong>Viehvermarkter</strong> und die Stichprobe sowie<br />
die Ergebnisse einer Clusteranalyse. Der Beitrag schließt mit Handlungsempfehlungen für<br />
genossenschaftliche Vermarktungsunternehmen und Hinweisen <strong>zum</strong> weiteren Forschungsbedarf.<br />
1<br />
Landwirte sind einerseits Lieferanten, da sie Schlacht- und Nutzvieh an <strong>Viehvermarkter</strong> absetzen, andererseits<br />
aber auch Kunden, da sie deren Dienstleistungsangebot in Anspruch nehmen. Deshalb werden Landwirte<br />
im Folgenden je nach Zusammenhang als Kunden oder Lieferanten bezeichnet.<br />
115
Stand der Forschung<br />
116<br />
Bisher wurde die Rolle des Viehhandels in der Forschung weitgehend vernachlässigt.<br />
Obwohl es viele Untersuchungen zu den Geschäftsbeziehungen und Netzwerken des<br />
Agribusiness gibt, lassen Studien die die gesamte Wertschöpfungskette im Blick haben,<br />
Intermediäre in ihren weiterführenden Analysen außer Acht und fokussieren die Beziehung<br />
zwischen Landwirten und Verarbeitern (Hartmann et al. 2006; Schulze et al. 2006,<br />
2007). Mit Ausnahme einiger Studien zu Genossenschaften (Hansen et al. 2002; Lacey et<br />
al. 2003; James und Sykuta 2006; Österberg und Nilsson 2009) beschäftigen sich wenige<br />
Autoren konkret mit den Beziehungen zwischen Landwirten und dem Zwischenhandel (Batt<br />
2003; Clare et al. 2005; Catelo und Costales 2008; Spiller et al. 2005; Theuvsen und Franz<br />
2007; Traupe 2002). Viehvermarktungsgenossenschaften im Speziellen werden vereinzelt<br />
erwähnt (Cook 1995; Lang 1995), stehen aber nur in wenigen Beiträgen im Mittelpunkt<br />
des Interesses (Bailey et al. 1995; Hogeland 1987, 1995; Lacey et al. 2003; Rhodes 1995;<br />
Schrader und Boehlje 1996; Spiller et al. 2005; Theuvsen und Franz 2007; Wachenheim et<br />
al. 2001). Im Gegensatz zur geringen Relevanz in der Wissenschaft nehmen Zwischenhändler<br />
nach wie vor eine bedeutende Position in der Wertschöpfungskette Fleisch ein, z.B. bei<br />
der Abstimmung von Angebot und Nachfrage, dem Transfer von Informationen zwischen<br />
Geschäftspartnern sowie der Bündelung und Sortierung von Lieferungen nach den Wünschen<br />
der Kunden.<br />
<strong>Vom</strong> Einzelunternehmen über Personen- bis zu Kapitalgesellschaften – Viehhändler sind<br />
in unterschiedlichsten Rechtsformen organisiert (vgl. Theuvsen und Franz 2007). Genossenschaftliche<br />
Vermarkter – zu denen auch Erzeugergemeinschaften gezählt werden – stehen<br />
im Mittelpunkt dieser Studie. Sie hatten 2008 einen Marktanteil von rund 40% an allen<br />
geschlachteten Schweinen und von rund 30% an den geschlachteten Rindern in Deutschland<br />
(DRV 2009). Zum <strong>Teil</strong> werden die Liefer- bzw. Andienungsverpflichtungen der Landwirte<br />
vertraglich geregelt, ansonsten verpflichtet die Mitgliedschaft die Landwirte dazu, ihre<br />
Tiere über die Genossenschaft zu verkaufen (Srivastava et al. 1998). Allerdings wird diese<br />
grundsätzliche Verpflichtung zur Lieferung in der Praxis keineswegs immer konsequent<br />
gehandhabt, viele Genossenschaftsmitglieder arbeiten parallel auch mit privaten Viehhändlern<br />
zusammen. Über die reine Vermarktung (Bündelung, Verhandlung und Transport) hinaus<br />
bieten <strong>Viehvermarkter</strong> auch weitere Dienstleistungen an, die prinzipiell geeignet sein<br />
können, zu einer weitergehenden Kundenbindung beizutragen. Hierzu zählen die Beratung<br />
der Landwirte, Marktbeobachtung und -information, Absicherung von Finanztransfers, Unterstützung<br />
bei der Qualitätssicherung und dem Tiergesundheitsmanagement usf.<br />
Österberg und Nilsson (2009) konstatieren, dass Größenwachstum (durch Fusionen<br />
und Neukundenakquise) die wichtigste Wettbewerbsstrategie unter schwedischen Erzeugergemeinschaften<br />
darstellt. Vor diesem Hintergrund führt das Wachstum von vormals<br />
kleinen Firmen hin zu großen professionellen Organisationen oftmals zur Entfremdung von<br />
den Geschäftspartnern, was die Stabilität der Geschäftsbeziehungen zu den Landwirten<br />
in Frage stellt (Schulze et al. 2006). Gleichzeitig könnte die beschriebene Entfremdung im<br />
Interesse der Landwirte liegen, denn die Ausbildung der Betriebsleiter wird stetig besser<br />
und infolgedessen wächst auch die unternehmerische Orientierung kontinuierlich. In seinen<br />
Studien zur Unternehmensführung von niederländischen Milchproduzenten konstatiert Bergevoet<br />
(2005), dass es angesichts der Herausforderungen in der Landwirtschaft notwendig<br />
ist, neue Kompetenzen zu erwerben, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Dies schließt weiterführende<br />
Schulungen und ein stärkeres Bewusstsein für Themen wie die Vermarktung ein.<br />
Folglich bleibt weniger Spielraum für persönliche Bindungen und Präferenzen, während die
ökonomische Argumentation auch für Landwirte in den Vordergrund rückt. Daher stellt sich<br />
die Frage, ob und wie Händler ihre Landwirte dauerhaft an sich binden können, um Kosten<br />
für die Neukundengewinnung zu vermeiden und dem starken Preiswettbewerb zu entkommen.<br />
Wallenburg (2009) sieht im Angebot innovativer Logistikdienstleistungen Potentiale<br />
für eine Loyalitätssteigerung der Kunden. Dabei soll nicht nur eine positivere Einstellung<br />
<strong>zum</strong> Unternehmen erreicht, sondern auch eine Wirkung auf das Kaufverhalten erzielt<br />
werden (z.B. Erhöhung des Umsatzvolumens pro Lieferant) (Bandyopadhyay und Martell<br />
2007). Ob diese Strategie auch für den genossenschaftlichen Viehhandel zielführend sein<br />
kann, sollen die nachfolgend präsentierten Ergebnisse zeigen.<br />
Trotz der zu beobachtenden Entfremdung vom einzelnen Mitglied sind die klassischen<br />
Leistungen der genossenschaftlichen Vermarkter innerhalb der Wertschöpfungskette nach<br />
wie vor erforderlich, denn die Zahl der Landwirte ist noch immer sehr hoch, während die<br />
Zahl der Schlachtunternehmen weiter abnimmt. Daher ist die Notwendigkeit der Mengenbündelung<br />
bisher ebenso gegeben wie die Aushandlung besserer Preise für Landwirte.<br />
Doch auch darüber hinaus erfüllen genossenschaftliche <strong>Viehvermarkter</strong> eine Vielzahl von<br />
wichtigen Dienstleistungen sowohl für den Landwirt als auch für die Schlachtbetriebe. Verschiedene<br />
Studien zeigen, dass Landwirte durch die Kooperation mit genossenschaftlichen<br />
Vermarktungsunternehmen monetäre und nicht-monetäre Vorteile wahrnehmen (Gray und<br />
Kraenzle 1998; Spiller et al. 2005; Theuvsen und Franz 2007; Traupe 2002; Wachenheim<br />
et al. 2001). Landwirte sind sich aber auch der Nachteile von Vermarktungsgenossenschaften<br />
bewusst. Die fehlende Unabhängigkeit bei Managemententscheidungen bzw. die Einschränkung<br />
der Flexibilität zählen hier zu den wichtigsten Argumenten (Wachenheim et al.<br />
2001).<br />
Höhere Auszahlungspreise stellen hingegen in allen Studien den wichtigsten Nutzen für<br />
die Mitglieder dar. Gray und Kraenzle (1998) ermitteln, dass ein Großteil der Mitglieder<br />
von Milcherzeugergenossenschaften überzeugt sind, in Eigenregie keine besseren Vermarktungsresultate<br />
erzielen zu können. Interessanterweise vertreten aber immerhin 12,7%<br />
der Mitglieder die Meinung, dass sie durch eine unabhängige Vermarktung besser gestellt<br />
wären. An dieser Stelle zeigt sich, dass auch nicht-monetäre Gründe wie ein verbesserter<br />
Informationsfluss in der Wertschöpfungskette, der Austausch mit anderen Produzenten,<br />
die effizientere Produktion durch bessere Genetik und ein verbesserter Zugang zu neuen<br />
Technologien wichtige Argumente für die Zusammenarbeit sein können (Wachenheim et al.<br />
2001).<br />
Außerdem deuten die empirischen Ergebnisse darauf hin, dass die Motive für die Zusammenarbeit<br />
mit den genossenschaftlichen <strong>Viehvermarkter</strong>n sehr heterogen ausfallen. So<br />
gruppieren Clare et al. (2005) verschiedene Betriebsleitertypen nach ihrer Wahrnehmung<br />
von Geschäftsbeziehungen. Aus Studien zur Unternehmensführung (Bergevoet 2005), <strong>zum</strong><br />
Einkaufsverhalten von Landwirten (Zimmermann 2003) und zur Abnehmer-Lieferanten-<br />
Beziehung (Spiller et al. 2005) geht hervor, dass hinsichtlich der Einstellungen und Anforderungen<br />
der Landwirte große Unterschiede bestehen: Hierzu zählen Aspekte wie Markt-,<br />
Preis- und Dienstleistungsorientierung sowie Händlertreue.<br />
Die Ergebnisse von Wachenheim et al. (2001) verweisen auf die große Bedeutung der<br />
Preise, während die fehlende unternehmerische Freiheit bzw. Flexibilität den bedeutendsten<br />
Nachteil genossenschaftlicher Vermarktungsunternehmen darstellt. Die vorangestellten<br />
Überlegungen illustrieren aber auch die große Heterogenität deutscher Landwirte. Daher<br />
ist das Ziel der vorliegenden Studie, verschiedene Typen von Landwirten bezüglich ihrer<br />
Preisorientierung und ihrer Wahrnehmung von Preisvorteilen durch Vermarktungsgenos-<br />
117
senschaften einerseits und dem Streben nach unternehmerischer Flexibilität andererseits<br />
zu identifizieren.<br />
Diese Vorgehensweise begründet sich wie folgt: Zieht man das stark wettbewerbsbezogene<br />
Umfeld des Viehhandels in Betracht, ist anzunehmen, dass die Preisorientierung<br />
der Landwirte einen ausschlaggebenden Aspekt für die zukünftige Strategie der Händler<br />
darstellt. Um eine tatsächliche Bedrohung für die Lieferantenbasis zu bestimmen, muss<br />
auch die Preiszufriedenheit betrachtet werden, denn preisorientierte Landwirte werden erst<br />
dann zu kritischen Lieferanten, wenn sie mit den gezahlten Preisen nicht mehr zufrieden<br />
sind. Eine Ausrichtung auf zusätzliche Dienstleistungen ist hingegen nur zielführend, wenn<br />
auch weniger preisorientierte Landwirte am Markt agieren, die eine Mehrzahlungsbereitschaft<br />
für zusätzliche Dienstleistungen vorweisen. Schließlich spielt für die Viehvermarktungsunternehmen<br />
auch die Mitgliederbindung eine zentrale Rolle, weil der Wunsch der<br />
Lieferanten nach Flexibilität gleichzeitig eine Hürde für längerfristige Investitionen in die<br />
Verbesserung der Dienstleistungen darstellt. Folglich ist für die Entwicklung neuer Leistungen<br />
zentral, dass man sich an den Kundenanforderungen orientiert. Für die Clusteranalyse<br />
wurden daher auch wahrgenommene Vorteile durch die Vermarktungsgenossenschaften<br />
sowie der mögliche Nutzen von zusätzlichen Leistungen untersucht.<br />
Studiendesign und Stichprobe<br />
118<br />
Die empirische Untersuchung ist <strong>Teil</strong> des AIDA-Projekts. Zentrales Ziel dieses Forschungsvorhabens<br />
ist es, Strategien zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der genossenschaftlichen<br />
Viehvermarktung zu entwickeln. Die teilnehmenden zwölf Unternehmen sind<br />
räumlich über Deutschland verteilt. Die Gruppe West besteht aus fünf Vermarktungsgesellschaften,<br />
die in Nordrhein-Westfalen und dem westlichen Niedersachsen ansässig sind. Ihr<br />
Absatzgebiet ist das Zentrum der deutschen Schweineproduktion in Nordwestdeutschland.<br />
Die Gruppe Nord setzt sich aus vier Unternehmen aus dem nordöstlichen <strong>Teil</strong> Deutschlands<br />
(Niedersachen, Schleswig Holstein) zusammen. Die Gruppe Süd wird von drei Viehhändlern<br />
aus dem Süden (Bayern, Baden-Württemberg) und dem Osten (Thüringen) Deutschlands<br />
gebildet. Obgleich es Größenunterschiede zwischen den Organisationen gibt, weisen die<br />
Unternehmen deutliche Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer Dienstleistungsangebote, ihrer<br />
Vermarktungswege und ihrer Mitglieder- bzw. Lieferantenkommunikation (Informationsversorgung,<br />
Kommunikationswege) auf.<br />
Im Winter 2007/2008 wurde eine schriftliche Befragung der landwirtschaftlichen Kunden/Lieferanten<br />
der zwölf Projektpartner durchgeführt. Die standardisierten Fragebögen<br />
wurden von der Universität Göttingen entwickelt, getestet und anschließend den Organisationen<br />
zur Verfügung gestellt, die diese an ihre Landwirte verschickt haben. Auf diese<br />
Weise war es für die Unternehmen nicht erforderlich, ihre Kundendaten an Dritte weiterzugeben.<br />
Um gleichzeitig die Anonymität der <strong>Teil</strong>nehmer zu gewährleisten, sendeten diese<br />
die Fragebögen auf direktem Weg und ohne Angabe persönlicher Daten an die Universität<br />
Göttingen zurück.<br />
Ziel der Befragung war es, erste Erkenntnisse über die Einstellungen der Landwirte hinsichtlich<br />
der Viehvermarktung im Allgemeinen und ihrer Beziehung <strong>zum</strong> entsprechenden<br />
Handelsunternehmen (Leistungsanforderungen) im Speziellen zu gewinnen. Um die Einstellungen<br />
der Landwirte zu erfassen, kamen siebenstufige Likert-Skalen <strong>zum</strong> Einsatz, die von<br />
„+3 = stimme volle und ganz zu“ bis „-3 = lehne voll und ganz ab“ kodiert waren. Des Weiteren<br />
wurden in einer offenen Abfrage die Gründe der Zusammenarbeit mit dem betreffen-
den Unternehmen ermittelt. Verhältnisskalen kamen <strong>zum</strong> Einsatz, um die Liefertreue der<br />
Landwirte zu erfassen. Obwohl die Fragestellungen für alle Befragten über alle Organisationen<br />
identisch waren, wurde die Formulierung der Statements spezifisch auf die einzelnen<br />
teilnehmenden Viehvermarktungsunternehmen angepasst. Aufgrund der Organisation des<br />
Versandes durch die Unternehmen kann die Rücklaufquote nicht exakt beziffert werden.<br />
Bei denjenigen Unternehmen, die ihren Versand dokumentiert haben, liegt der Rücklauf bei<br />
ca. 20%. Insgesamt gingen 800 ausgefüllte Fragebögen bei der Universität Göttingen ein.<br />
Zielgruppe der Befragung waren die Mitarbeiter, die für die Vermarktungsstrategie der<br />
landwirtschaftlichen Betriebe verantwortlich zeichnen. Von daher ist wenig überraschend,<br />
dass vorwiegend die Betriebsleiter (95,1% aller Befragten) bzw. die Leiter der Tierproduktion<br />
(4,9%) interviewt wurden. Die Mehrheit der <strong>Teil</strong>nehmer (n=410) sind Kunden der Gruppe<br />
West. Dies überrascht nicht, da es sich mit fünf zugehörigen Handelsunternehmen um die<br />
größte regionale Gruppe handelt. 26,9% (n=215) der interviewten Landwirte beliefern die<br />
Gruppe Nord, während 175 Befragte (21,6%) den drei Unternehmen der Gruppe „Süd“<br />
zuzuordnen sind. Folglich spiegelt die regionale Verteilung dieser Erhebung auch das räumliche<br />
Muster der deutschen Tierproduktion wider.<br />
Tabelle 3.3/1 beschreibt die wesentlichen Eckdaten der Stichprobe. Da sich die Betriebsstrukturen<br />
im Süden und Osten Deutschlands sehr stark unterscheiden, wird die<br />
Gruppe Süd zu Zwecken der besseren Vergleichbarkeit in die Untereinheiten Süd und Ost<br />
unterteilt. Für alle Gruppen offenbart sich, dass Betriebs- und Bestandsgrößen deutlich<br />
über dem entsprechenden Durchschnittswert liegen. Mit einem durchschnittlichen Alter<br />
von 45 bis 51 Jahren in den vier Gruppen sind die Landwirte älter als im nationalen Vergleich<br />
(42 Jahre) (Destatis 2006). Sie zeichnen sich durch ein überdurchschnittlich hohes<br />
Bildungsniveau aus. Die Landwirte bewerten die Zukunftschancen für ihre Betriebe tendenziell<br />
positiv. Dennoch gibt es auch hier regionale Unterschiede. So liegt die positive Selbsteinschätzung<br />
der Landwirte im Süden Deutschlands bei nur 57,1%, während in Ostdeutschland<br />
82,1% ihre Zukunftsperspektiven optimistisch einschätzen.<br />
Tabelle 3.3/1: Stichprobenbeschreibung<br />
Süd Ø Ost Ø<br />
West Nord Ø<br />
Region a Region a Region a<br />
<strong>Teil</strong>stichprobe 410 215 -- 143 -- 32 --<br />
Ø Fläche (ha) 72.3 125.3 44.6 103.4 26.1 1,304.8 160.5<br />
Ø Mastschweine* 1.035 1.413 549 696 170 2.720 614<br />
Ø Mastrinder* 98 89 95 138 52 215 135<br />
Ø Alter 47 45 -- 47 -- 51 --<br />
% Landwirte mit 82,6 91,6 45,6 78,7 45,6 100,0 45,6<br />
weiterführender<br />
landwirtschaftlicher<br />
Ausbildung<br />
% positive<br />
Bewertung der<br />
Zukunftsperspektiven<br />
66,6 72,4 -- 57,1 -- 82,1 --<br />
*Zahl der Mastplätze<br />
a Regionaler Durchschnitt, eigene Berechnung basierend auf Destatis (2008)<br />
Quelle: Eigene Berechnung<br />
119
Die Datenanalyse wurde mit SPSS 17.0 durchgeführt. Zunächst fand eine umfangreiche<br />
deskriptive Auswertung statt: Mittels uni- und bivariater Methoden wurde die Wahrnehmung<br />
der Geschäftsbeziehungen zwischen deutschen Landwirten und ihren genossenschaftlichen<br />
<strong>Viehvermarkter</strong>n beschrieben. Die Ergebnisse wurden in einem Benchmark<br />
zusammengeführt, der die Stärken und Schwächen der einzelnen Unternehmen, aber auch<br />
des Vermarktungsweges als solches erfasst. Um die Kunden bezüglich ihrer Preisorientierung,<br />
Preiszufriedenheit und ihres Flexibilitätswunsches zu gruppieren, wurde in einem<br />
nächsten Schritt eine Clusteranalyse durchgeführt.<br />
Ergebnisse: Kundensegmente im genossenschaftlichen Viehhandel<br />
120<br />
Experteninterviews mit den Geschäftsführern der an AIDA beteiligten Unternehmen im<br />
Herbst 2007 verdeutlichen, dass Unternehmenswachstum (z.B. durch Fusionen) auch als<br />
die „Normstrategie“ deutscher Viehvermarktungsorganisationen bewertet werden kann.<br />
Folglich sind die Unternehmen von der beschriebenen Entfremdung von den Landwirten,<br />
d.h. einer geschwächten Kundenbindung, betroffen. Gleichzeitig findet eine Professionalisierung<br />
der Betriebsleiter statt, so dass weniger Raum für persönliche Bindungen bleibt,<br />
während die ökonomische Argumentation auch für Landwirte in den Vordergrund rückt.<br />
Diese Ergebnisse der qualitativen Untersuchung wurden bei der Konzeption der quantitativen<br />
Studie berücksichtigt: Die Ausprägung der Preisorientierung wird durch das Statement<br />
„Wenn der Preis stimmt, ist es egal, mit wem ich zusammenarbeite“ gemessen<br />
(μ= 0,43| σ=1,77), während der Flexibilitätswunsch durch das Item „Ich möchte flexibel<br />
bleiben, was die Wahl meiner Vermarktungspartner angeht“ (μ= -0,20| σ=1,76) operationalisiert<br />
wird. „Durch die Vermarktung über XY [Anm. d. V.: den genossenschaftlichen<br />
<strong>Viehvermarkter</strong>] erziele ich höhere Preise“ erfasst schließlich die Preiszufriedenheit<br />
(μ=0,71|σ=1,39). Die Ergebnisse zeigen, dass Landwirte im Mittel durchaus preisorientiert<br />
agieren, allerdings sind die Landwirte im Durchschnitt auch davon überzeugt, dass sie<br />
durch die Zusammenarbeit mit genossenschaftlichen <strong>Viehvermarkter</strong>n bessere Preise erzielen.<br />
Der Flexibilitätswunsch der Landwirte ist nicht so stark ausgeprägt wie erwartet, die<br />
Landwirte lehnen das betreffende Statement sogar eher ab.<br />
Um die Loyalität zu messen, wird mit der Liefertreue ein Indikator gewählt, der das<br />
tatsächliche Verhalten abbildet. Liefertreue wird als der (durchschnittliche) Anteil der<br />
Produktion in Prozent definiert, der über den entsprechenden genossenschaftlichen <strong>Viehvermarkter</strong><br />
abgesetzt wird. So vermarkten die Befragten durchschnittlich 92,8% der geschlachteten<br />
Schweine bzw. durchschnittlich 87,4% der geschlachteten Rinder über den<br />
genossenschaftlichen Viehhandel. Dies zeigt, dass die genossenschaftliche Lieferverpflichtung<br />
de facto nur teilweise eingehalten wird. Ein Mittelwertvergleich von Preisorientierung<br />
und -zufriedenheit sowie dem Flexibilitätswunsch zeigt signifikante Unterschiede zwischen<br />
den einzelnen Unternehmen. Allerdings ist die Standardabweichung der Lieferanten der<br />
einzelnen Unternehmen hoch, was darauf hindeutet, dass sich auch die Landwirte innerhalb<br />
einer VVG bzw. EZG in allgemeinen Einstellungen und Haltungen deutlich unterscheiden.<br />
Dies legt die Vermutung nahe, dass die Ursache hierfür nicht in erster Linie durch die<br />
jeweiligen Firmen, mit denen die Landwirte zusammenarbeiten, bedingt ist.<br />
Wie von Schulze et al. (2008) vorgeschlagen, wurde eine mehrstufige Clusteranalyse<br />
durchgeführt: Im ersten Schritt führte die Ausreißerbestimmung durch das Single-Linkage-<br />
Verfahren <strong>zum</strong> Ausschluss eines Falles. Anschließend wurde anhand der Ward-Methode<br />
sowie auf Basis eines Scree-Tests, eines Dendrogramms und Plausibilitätsüberlegungen die
optimale Clusterzahl, eine Acht-Cluster-Lösung, bestimmt. Die Anwendung des K-Means-Algorithmus<br />
führte zur Umgruppierung von 15,4% der Fälle. Diese verfeinerte Segmentierung<br />
wurde als finale Lösung für alle weiteren Analysen verwendet. Verschiedene Gütekriterien<br />
unterstreichen die Eignung der ermittelten Lösung: Die F-Werte waren für alle clusterbildenden<br />
Variablen und alle Cluster kleiner als 1. Dies deutet auf eine homogene Gruppenzusammensetzung<br />
hin. Ein durchschnittlicher Eta-Koeffizient von 0,86 illustriert, dass sich<br />
die clusterbildenden Variablen signifikant unterscheiden, während die Varianz innerhalb<br />
der Cluster gering ist. Der Eta-Quadrat-Wert von 0,74 impliziert, dass 74% der Varianz der<br />
clusterbildenden Variablen auf die durchschnittlichen Unterschiede zwischen den Gruppen<br />
zurückzuführen sind. Der Kappa-Koeffizient (Übereinstimmungsquote) beträgt 0,82 und<br />
verdeutlicht eine hohe Zuordnungsgenauigkeit der Clusterlösung. Des Weiteren zeigt die<br />
Diskriminanzfunktion, dass 97,7% der Fälle korrekt klassifiziert werden. Die Cluster wurden<br />
durch Varianzanalysen (ANOVA) beschrieben. Um die Varianzanalyse zu vertiefen, wurden<br />
signifikante Mittelwerte der Clusterbeschreibung durch Post-Hoc-Tests ergänzt. Tabelle<br />
3.3/2 illustriert die Mittelwerte der clusterbildenden Variablen in der Acht-Cluster-Lösung.<br />
Weitere Vergleiche mit beschreibenden Variablen werden im Anhang dargestellt.<br />
Cluster eins („Unzufriedene Vermarktungsprofis“) und zwei („EZG/VVG-Zweifler“) verbindet<br />
ein deutliches Streben nach unternehmerischer Flexibilität. Diese beiden Gruppen<br />
sind außerdem nicht von den finanziellen (bessere Preise, geringere Vermarktungskosten)<br />
sowie den nicht-monetären Vorteilen (z.B. bessere Marktinformation) ihres aktuellen Absatzweges<br />
überzeugt. Somit stellt die Bearbeitung dieser beiden Kundensegmente eine Herausforderung<br />
für die genossenschaftliche Viehvermarktung dar. Allerdings unterscheiden<br />
sich beide Gruppen hinsichtlich ihrer Preisorientierung, welche bei ersterer stärker ausgeprägt<br />
ist. Das heißt, dass sich die Mitglieder von Cluster eins streng am Preis orientieren.<br />
Sie haben keine emotionalen Bindungen zu ihrem Vermarktungspartner und würden sofort<br />
wechseln, wenn ihnen konkurrierende Händler einen besseren Preis anbieten (siehe Tabelle<br />
3.3/2). Umgekehrt sind Auszahlungspreise für Cluster zwei zwar wichtig, aber zugleich<br />
nicht der einzige Faktor, der das Wechselverhalten beeinflusst. Beide Gruppen unterscheiden<br />
sich außerdem durch ihre Liefertreue: Die unzufriedenen Vermarktungsprofis gaben<br />
an, durchschnittlichen nur 79,8% der Schweine und 69,6% der Rinder an das jeweilige<br />
Unternehmen zu liefern, während die restlichen Schlachttiere über andere Vertriebswege<br />
veräußert werden. Die EZG/VVG-Zweifler zeigen eine mittlere Liefertreue, die bei Schweinen<br />
90,2% und bei Rindern 80,4% beträgt. Außerdem differieren die Gruppen hinsichtlich<br />
ihrer Vermarktungseinstellungen: EZG/VVG-Zweifler sind von genossenschaftlichen Prinzipien<br />
grundsätzlich überzeugter als die unzufriedenen Vermarktungsprofis (siehe Anhang).<br />
Beiden Gruppen gemein ist, dass sie ausreichend Alternativen für die Vermarktung ihrer<br />
Tiere sehen. Während Cluster eins allerdings davon ausgeht, dass die Betriebsgröße eine<br />
unabhängige Vermarktung zulässt, sind die Lieferanten aus Cluster zwei sich hierbei nicht<br />
sicher.<br />
121
Tabelle 3.3/2: Mittelwerte der clusterbildenden Variablen<br />
Unzufriedene<br />
Vermarktungsprofis<br />
(n=90; 12,1%)<br />
EZG/VVG-Zweifler<br />
Ich möchte flexibel<br />
bleiben, was die<br />
Wahl meiner Vermarktungspartner<br />
angeht***.<br />
Wenn der<br />
Preis stimmt,<br />
ist es egal, mit<br />
wem ich<br />
zusammenarbeite***.<br />
Durch die<br />
Vermarktung<br />
über XY<br />
erziele ich<br />
höhere<br />
Preise***.<br />
M 1,91 2,33 -0,59<br />
(SD) (0,474) (0,956) (0,873)<br />
M 1,64 0,19 -0,87<br />
(n=90; 12.1%) (SD) (0,559) (0,928) (0,962)<br />
Passiv-Loyale<br />
M 1,42 -2,15 -0,11<br />
(n=53; 7,2%) (SD) (0,632) (0,969) (0,913)<br />
Unbewegliche Mitte M -0,82 -0,09 0,61<br />
(n=134; 18,1%) (SD) (0,985) (0,812) (0,965)<br />
Zufriedene<br />
M 1,59 1,88 1,73<br />
Preisorientierte<br />
(n=101; 13,6%)<br />
(SD) (0,682) (1,069) (0,662)<br />
Dienstleistungsorientierte M -1,74 -2,14 -0,17<br />
(n=65; 8,8%) (SD) (0,579) (0,686) (0,986)<br />
Überzeugte Kunden M 1,35 -0,87 1,84<br />
(n=127; 17,1%) (SD) (0,836) (0,929) (0,635)<br />
Aktiv-Loyale<br />
M -2,22 -2,31 2,30<br />
(n=81; 10,9%) (SD) (0,769) (0,822) (0,580)<br />
Total<br />
M<br />
-0,20<br />
0,43<br />
0,71<br />
(SD) (1,761)<br />
(1,769) (1,393)<br />
Skala von +3 = stimme voll und ganz zu bis -3 = lehne voll und ganz ab; M = Mittelwert;<br />
SD = Standardabweichung; *** = p
Die „Unbewegliche Mitte“ ist die größte der ermittelten Gruppen. Die Mitglieder dieses<br />
Clusters haben eine mittlere Preisorientierung, d.h. ihr Wechselverhalten hängt nicht ausschließlich<br />
vom Preis ab. Außerdem ist ihr Flexibilitätswunsch negativ ausgeprägt, d.h. sie<br />
sind auch zu längerfristigen Bindungen an ihre Geschäftspartner bereit. Sie sehen die Vorteile<br />
der Vermarktung ihrer Schlachttiere durch genossenschaftliche Viehhändler nicht nur<br />
in besseren Auszahlungspreisen, sondern auch im geringeren Vermarktungsaufwand und<br />
der besseren Informationsversorgung. Daneben gibt es auch strukturelle Gründe für ihre<br />
Bindung, denn sie sehen weniger Vermarktungsalternativen in ihrer Region als die anderen<br />
Cluster. Außerdem weisen sie einen deutlicheren Produktionsfokus auf, die Vermarktung<br />
betrachten sie nicht als ihre Kernaufgabe und -kompetenz. Dies spiegelt sich ferner darin<br />
wider, dass sie sich noch nicht über Vermarktungsalternativen informiert haben. Dafür<br />
zeigen die Mitglieder dieser Gruppe eine hohe Liefertreue: 96,2% der Schweine und 89,7%<br />
der Rinder werden durch ihre Vermarktungsorganisationen verkauft. Daher überrascht wenig,<br />
dass die Landwirte hinter den genossenschaftlichen Prinzipien stehen und die Rechtsform<br />
als einen Wettbewerbsvorteil für sich wahrnehmen.<br />
Cluster fünf, die „Zufriedenen Preisorientierten“, vertraut auf finanzielle Vorteile wie<br />
bessere Auszahlungspreise und niedrigere Vermarktungskosten. Außerdem werden nichtmonetäre<br />
Vorteile (wie z.B. bessere Information) durch die Kooperation mit genossenschaftlichen<br />
Vermarktungsunternehmen wahrgenommen. Auch ihre Haltung zu Genossenschaften<br />
ist aufgrund eines wahrgenommenen Wettbewerbsvorteils eher positiv. Gleichwohl<br />
ist diese Gruppe sehr preisorientiert, strebt nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit und steht<br />
auch einer Selbstvermarktung positiv gegenüber. Ihr Verhandlungsgeschick bewertet sie<br />
hingegen eher zurückhaltend. Strukturelle Wechselbarrieren sind sowohl die Einschätzung,<br />
dass ihr Tierbestand für die unabhängige Vermarktung klein ist, wie auch die verhaltene<br />
Bewertung von Vermarktungsalternativen in der Region. Während die Loyalität der Schweinemäster<br />
mit 92% relativ hoch ist, ist die Liefertreue mit 79,6% der Rinder dieser Gruppe<br />
gering.<br />
Die Gruppen sechs, sieben und acht („Dienstleistungsorientierte“, „Überzeugte Kunden“<br />
und „Aktiv-Loyale“) sind von der Vermarktung ihrer Schlachttiere durch die genossenschaftlichen<br />
Viehhändler überzeugt. Diese Gruppen unterschieden sich im Wesentlichen<br />
durch ihre Motive. Die „Dienstleistungsorientierten“ glauben weder an bessere Preise noch<br />
an geringere Vermarktungskosten. Dafür sind sie allerdings von nicht-monetären Vorteilen<br />
wie besserer Information überzeugt. Sie benötigen keine Flexibilität und reagieren nicht<br />
preisorientiert. Im Unterschied zu Cluster sechs sind die Mitglieder von Cluster sieben<br />
(„Überzeugte Kunden“) von den finanziellen und nicht-monetären Vorteilen dieses Vertriebsweges<br />
eindeutig überzeugt. Wie die „Dienstleistungsorientierten“ reagieren sie nicht<br />
preisorientiert, haben jedoch umgekehrt ein deutliches Streben nach mehr Flexibilität.<br />
Cluster acht, die „Aktiv-Loyalen“, sind ebenso wie Cluster sieben deutlich von den finanziellen<br />
und nicht-monetären Vorteilen ihres Absatzkanals überzeugt. Wie aus Tabelle 3.3/2<br />
ersichtlich wird, erreichen sie die höchsten Werte aller Gruppen. Außerdem reagieren auch<br />
sie nicht preisbezogen, d.h. ihr Wechselverhalten wird nicht durch Preise beeinflusst. Der<br />
Unterschied zu Cluster sieben – und gleichzeitig die Gemeinsamkeit mit Cluster sechs – ist,<br />
dass sie nicht nach Flexibilität streben (siehe Tabelle 3.3/2). Eine gemeinsame Eigenschaft<br />
dieser drei Gruppen ist ihre stark ausgeprägte Liefertreue. 95-97% aller Schweine und 95-<br />
99% aller Rinder werden durch den entsprechenden genossenschaftlichen Vermarktungspartner<br />
abgesetzt. Diese Gruppen sind zudem weniger an der Vermarktung interessiert<br />
und zeigen einen deutlichen Produktionsfokus. Alle drei Segmente teilen ein positives Bild<br />
123
der Genossenschaften, wobei die “Dienstleistungsorientierten“ Genossenschaftsprinzipien<br />
am deutlichsten wertschätzen.<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass drei Lieferantengruppen (vier, sechs und<br />
acht) oder 41,6% ein geringes Flexibilitätsbedürfnis aufweisen, während die anderen fünf<br />
Gruppen aus unterschiedlichen Gründen nach Unabhängigkeit streben. Zwei der Gruppen<br />
reagieren vorwiegend auf Preise (eins und fünf bzw. 25,7%), vier Gruppen zeigen eine<br />
schwach ausgeprägte Preisorientierung (drei, sechs bis acht) und zwei Cluster haben eine<br />
neutrale Position (zwei und vier). Zwei Cluster (eins und zwei) sind nicht von den finanziellen<br />
Vorteilen der Vermarktung durch einen Zwischenhändler überzeugt. Weiterhin gibt es<br />
zwei Gruppen (drei und sechs), welche bezüglich der Preiszufriedenheit eine neutrale Position<br />
einnehmen. Ferner zeigen die Cluster keine signifikanten Unterschiede in ihrer Haltung<br />
zu einem vielseitigeren Leistungsangebot durch ihre <strong>Viehvermarkter</strong>, vielmehr bewerten sie<br />
deren Fähigkeiten und ihren Bedarf an zusätzlichen Leistungen neutral. Dennoch besteht<br />
Potential für die Etablierung neuer Dienstleistungen, insbesondere für die Lieferantensegmente<br />
mit geringerer Preisorientierung.<br />
Diskussion: Handlungsempfehlungen für genossenschaftliche<br />
Vermarktungsunternehmen<br />
124<br />
Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen vorhergehende Studien hinsichtlich der hohen<br />
Bedeutung, die Auszahlungspreise für Landwirte einnehmen (Wachenheim et al. 2001). Wie<br />
vorherige Studien (Österberg und Nilsson 2009), zeigen diese Resultate jedoch ebenfalls,<br />
dass die Interessen und Einstellungen von landwirtschaftlichen Lieferanten vielfältig sind,<br />
sich stark unterscheiden und nur schwer zu prognostizieren sind. Viehhändler stehen<br />
demnach vor der wichtigen Herausforderung, die richtige Strategie im Kampf um Lieferanten<br />
und eine verbesserte Wettbewerbssituation zu finden. Die Ergebnisse zeigen, dass die<br />
Lieferantenstruktur eine wichtige Determinante für die (unternehmensspezifische) strategische<br />
Grundsatzentscheidung ist, welche der drei Strategieoptionen (Porter 1998) – Differenzierung<br />
durch ein innovatives Dienstleistungsangebot, Fokussierung auf Nischenmärkte<br />
oder Kostenfokussierung (reine Bündelung und Logistik mit hoch effizienten Abläufen)<br />
– am besten geeignet ist. Konzentrieren sich die Landwirte eines Händlers wesentlich auf<br />
Auszahlungspreise und anfallende Transportkosten, ist eine strengere, regional verankerte<br />
Kostenoptimierung zukünftig die passende Strategie. Ist die Preisorientierung geringer<br />
ausgeprägt, bietet sich Potential für ein differenzierteres, möglicherweise aber teureres<br />
Leistungsangebot.<br />
Während die notwendigen Informationen für diese unternehmensstrategischen Entscheidungen<br />
in der Vergangenheit aufgrund enger persönlicher Kontakte in kleinen<br />
Vermarktungsfirmen vorhanden waren, ist die Kenntnis der Lieferantenbedürfnisse in<br />
wachsenden Unternehmen der Ernährungsindustrie und ihren assoziierten Dienstleistungsstufen<br />
keine Selbstverständlichkeit mehr, denn die Zahl der betreuten Kunden pro<br />
Mitarbeiter nimmt stetig zu. Genossenschaftliche Viehvermarktungsunternehmen müssen<br />
folglich Maßnahmen implementieren, die es ihnen erlauben, systematisch Informationen<br />
über ihre landwirtschaftlichen Geschäftspartner zu sammeln, auszuwerten und zu nutzen,<br />
um in dem wettbewerbsintensiven Umfeld bestehen zu können. Diese Vorgehensweise gewinnt<br />
langsam aber sicher auch in den B2B-Beziehungen des Agribusiness an Bedeutung<br />
(Torres et al. 2007). Dabei ist es wichtig, auf das implizite Wissen des Außendienstes, der
LKW-Fahrer oder des Einkaufs zurückzugreifen; deshalb darf auch die Aus- und Weiterbildung<br />
von Innen- und Außendienst nicht vernachlässigt werden. Der Einsatz professioneller<br />
Systeme <strong>zum</strong> Kundenbeziehungsmanagement (CRM) kann hier ein wichtiges Instrument<br />
sein, um das vorhandene Lieferantenwissen strategisch nutzen zu können und beispielsweise<br />
– an die Segmente angepasste – Dienstleistungsangebote zu etablieren.<br />
Keines der Cluster offenbart ein Bedürfnis nach zusätzlichen Leistungen. Trotzdem können<br />
innovative Ideen Händlern zu einem Wettbewerbsvorteil durch gesteigerte Kundenbindung<br />
verhelfen (Wallenburg 2009). Die schwach ausgeprägten Vorstellungen der Viehhandelskunden<br />
zu neuen Leistungen bieten ein hohes Überraschungspotential, mit denen die<br />
Genossenschaften überzeugen oder – im Idealfall – gar begeistern können. Die Ergebnisse<br />
zeigen darüber hinaus, dass es bei bestimmten Kundensegmenten („Dienstleistungsorientierte“,<br />
„Überzeugte Kunden“ und „Aktiv-Loyale“) durchaus Spielraum für die Etablierung<br />
dieser innovativen Leistungen gibt, wenn sich diese an den Bedürfnissen der Kunden orientieren.<br />
Pirttilä und Huiskonen (1996) liefern beispielsweise Handlungsempfehlungen zur<br />
Entwicklung und Implementierung innovativer Logistikdienstleistungen.<br />
Ein anderes Mittel, um die Loyalität der Landwirte zu gewinnen und den finanziellen<br />
Wettbewerbsdruck zu verringern, könnten außerdem Vergütungen auf Basis längerfristiger<br />
Bindungen sein. Es gibt nur ein Lieferantensegment, das kaum Potential für Bindungsstrategien<br />
(Dienstleistungsinnovationen, Treueprämien) bietet, da es deutlich preisorientiert<br />
und gleichzeitig sehr unzufrieden mit den Preisen der Viehvermarktung ist. Landwirte<br />
dieser Gruppe sind weitaus weniger liefertreu, was auch der durchschnittliche prozentuale<br />
Anteil der vermarkteten Tiere durch den jeweiligen Handelspartner widerspiegelt. 12%<br />
der befragten Landwirte werden diesem Cluster zugeordnet. Eine klare Beschreibung dieser<br />
Gruppe anhand betriebsstruktureller oder soziodemographischer Merkmale ist nicht<br />
möglich. Es kann angenommen werden, dass diese Landwirte nur durch großen Aufwand<br />
gebunden werden könnten. Daher ist insbesondere im Hinblick auf den Strukturwandel<br />
eine sorgfältige Analyse des Kundenwertes (Parasuraman 1997) anhand der gewonnenen<br />
Daten empfehlenswert. So können einerseits Lieferanten identifiziert werden, deren Umsatzvolumen<br />
so niedrig ist, dass der Aufwand für Kundenbindung nicht lohnend ist – vor<br />
allen Dingen dann, wenn sie darüber hinaus nicht zuverlässig liefern. Andererseits kann das<br />
Umsatzvolumen einzelner Landwirte im Zeitverlauf durch die Konzentrationsprozesse auf<br />
der landwirtschaftlichen Stufe zunehmen und demgemäß ihre Bedeutung als Lieferanten<br />
wachsen – bei diesen „Key Accounts“ können sich Investitionen in Kundenbindung lohnen,<br />
auch wenn sie zu den kritischeren Clustern gehören.<br />
Das Cluster der „Unbeweglichen Mitte“ stellt für die Viehhändler ein potentielles Risiko<br />
dar. Diese Landwirte („Gewohnheitsmenschen“) reagieren zunächst zurückhaltend auf verschlechterte<br />
Leistungen, was den Firmen die Chance gibt, Probleme aus<strong>zum</strong>erzen, ohne<br />
Marktanteile zu verlieren. Häufig wird Unmut jedoch nicht laut geäußert und staut sich an.<br />
Dies ist von den Geschäftspartnern kaum zu erkennen. Im Resultat können extreme „Ausstiegswellen“<br />
folgen. Genau diese Reaktion der Landwirte spiegelt der Milchstreik 2008<br />
oder auch die früheren Kündigungswellen von Milchlandwirten bei Nordmilch und Campina<br />
wider. Im Fleischmarkt sind die Geschäftsbeziehungen loser und derartige Phänomene<br />
daher kaum bekannt. Eine Studie von Viehhaltern in Nordwestdeutschland im Frühjahr<br />
2005 zeigte jedoch, dass 34,5% der Landwirte resignieren, da sie unzufrieden mit den<br />
Geschäftsbeziehungen sind, trotzdem aber nicht den Schlachthof wechseln. (Spiller et al.<br />
2005). Derartige Kundensegmente sollten Verarbeitungs- wie Handelsunternehmen stets<br />
im Blick behalten, denn wie der Milchstreik zeigt, kann die Stimmung in einem Unternehmen<br />
sonst schnell „kippen“.<br />
125
Fazit und Limitationen<br />
Konzentrationsprozesse innerhalb des Viehhandels steigern den Preiswettbewerb und<br />
bedrohen Vermarktungsgenossenschaften, die ihren Kunden neben Bündelung und Logistik<br />
auch weitere, <strong>zum</strong> <strong>Teil</strong> kostenintensive Leistungen anbieten. Mit immer größeren landwirtschaftlichen<br />
Betrieben gewinnen die einzelnen landwirtschaftlichen Partner an Bedeutung<br />
für die Vermarkter. Für die Viehhändler ist es daher von großer Bedeutung, sich künftig klar<br />
im Wettbewerb zu positionieren und die Kunden entsprechend zu binden. Die vorliegende<br />
Studie zeigt, dass die Ansprüche, die Landwirte an ihre Vermarktungspartner stellen, sehr<br />
unterschiedlich sind. Daraus ergeben sich unterschiedliche strategische Optionen, die von<br />
einer reinen Kostenfokussierung über eine spezialisierte Nischenstrategie bis zur Differenzierung<br />
durch besondere Dienstleistungen reicht. Um die Kundenwünsche als Basis<br />
der Strategiewahl künftig besser berücksichtigen zu können, muss das Personal besser<br />
geschult werden, um notwendige Kundendaten zu gewinnen und strategisch zu nutzen.<br />
Die Einteilung der Landwirte nach ihrer Preisorientierung, Preiszufriedenheit und dem<br />
Flexibilitätsbedürfnis zeigt, dass mindestens die Hälfte der Befragten von den Vorteilen<br />
eines Viehhändlers bei der Vermarktung der Schlachttiere überzeugt ist, während ein Drittel<br />
nur passiv treu oder nicht überzeugt und preisorientiert ist. 12% der Befragten sind<br />
durch Bindungsstrategien praktisch nicht erreichbar, da sie ihre Unabhängigkeit sehr hoch<br />
schätzen, sehr preisorientiert reagieren und mit den Auszahlungspreisen ihres Viehhandels<br />
unzufrieden sind.<br />
Mit den genossenschaftlichen Viehvermarktungsorganisationen untersucht die vorliegende<br />
Studie nur einen speziellen <strong>Teil</strong> der Viehvermarktung. Die Rolle und der Erfolg<br />
von privaten Viehhändlern wurden noch nicht berücksichtigt, obgleich sie das Gros der<br />
Unternehmen in diesem Markt darstellen (Voss et al. 2010). Hier ist ein Vergleich der Lieferantenstrukturen<br />
der beiden Rechtsformen (Genossenschaft vs. privat), beispielsweise hinsichtlich<br />
der Einstellungen (Preisorientierung und Preiszufriedenheit, Flexibilitätswunsch)<br />
und Bedürfnisse von besonderem Interesse.<br />
Literatur<br />
126<br />
Bailey, D.V., Bastian, C., Menkhaus, D.J. und Glover, T.F. (1995): The Role of Cooperative Extension<br />
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Dissertation, Göttingen.<br />
128
Anhang: Übersicht der clusterbeschreibenden Variablen<br />
Gesamt<br />
(n=741;<br />
100%)<br />
Aktiv-<br />
Loyale<br />
(n=81;<br />
10,9%)<br />
Überzeugte<br />
Kunden<br />
(n=127;<br />
17,1%)<br />
Dienstleistungsorientierte<br />
(n=65; 8,8%)<br />
Zufriedene<br />
Preisorientierte<br />
(n=101, 13,6%)<br />
Unbewegliche<br />
Mitte<br />
(n=134;<br />
18,1%)<br />
Passiv-<br />
Loyale<br />
(n=53;<br />
7,2%)<br />
EZG/VVG<br />
Zweifler<br />
(n=90;<br />
12,1%)<br />
Unzufriedene<br />
Vermarktungsprofis<br />
(n=90;<br />
12,1%)<br />
Ich verhandle gern mit<br />
M 0.34 0.63 0.08 -0.65 0.43 -0.63 -0.20 -1.43 -0.18<br />
Marktpartnern***. (SD) (1.428) (1.578) (1.674) (1.306) (1.601) (1.442) (1.433) (1.302) (1.580)<br />
Meine Partien sind zu klein, um M 0.06 -0.40 0.22 0.13 0.34 0.20 1.06 0.73 0.32<br />
selbst mit den Abnehmern zu<br />
verhandeln***.<br />
(SD) (1.853) (1.829) (1.973) (1.800) (2.180) (1.970) (1.763) (2.252) (1.979)<br />
Ich habe Wichtigeres zu tun, als M -0.07 -0.49 0.00 0.57 0.35 0.62 0.54 1.40 0.38<br />
mich um die Vermarktung meiner<br />
Tiere zu kümmern***.<br />
(SD) (1.654) (1.711) (2.019) (1.652) (1.744) (1.702) (1.747) (1.658) (1.787)<br />
Mit anderen Vermarktungs- M -0.26 -0.62 -0.08 0.46 0.25 0.49 0.40 1.04 0.23<br />
alternativen habe ich mich noch<br />
nicht beschäftigt***.<br />
(SD) (1.682) (1.660) (1.918) (1.540) (1.762) (1.641) (1.605) (1.887) (1.746)<br />
Der Genossenschaftsgedanke ist M 0.24 0.02 0.51 0.54 0.33 0.53 0.80 1.49 0.55<br />
und bleibt ein Vorteil im<br />
Wettbewerb***.<br />
(SD) (1.234) (1.594) (1.636) (1.218) (1.432) (1.551) (1.431) (1.389) (1.464)<br />
Das Genossenschaftsprinzip ist M 0.30 -0.31 0.61 0.41 0.47 0.72 1.00 1.87 0.62<br />
mir wichtig***. (SD) (1.227) (1.581) (1.756) (1.411) (1.584) (1.561) (1.320) (1.024) (1.530)<br />
In meiner Region gibt es sehr M -0.64 -0.58 -0.85 -0.18 -0.12 -0.36 0.15 -0.27 -0.29<br />
wenige gute Vermarktungs-<br />
alternativen**.<br />
(SD) (1.624) (1.830) (1.719) (1.557) (1.618) (1.742) (1.852) (1.814) (1.734)<br />
Durch die Zusammenarbeit mit M 0.39 0.08 0.58 0.72 0.76 0.82 1.44 1.90 0.85<br />
EZG/VVG erziele ich höhere<br />
Preise***.<br />
(SD) (1.306) (1.502) (1.447) (1.380) (1.407) (1.467) (1.243) (1.180) (1.456)<br />
Durch die Zusammenarbeit mit M -0.03 -0.40 0.06 0.42 0.87 0.29 1.29 1.83 0.59<br />
EZG/VVG habe ich geringere<br />
Vermarktungskosten***.<br />
(SD) (1.490) (1.579) (1.526) (1.152) (1.275) (1.465) (1.262) (1.093) (1.495)<br />
Skala von +3 = stimme voll und ganz zu bis -3 = lehne voll und ganz ab; M = Mittelwert; SD = Standardabweichung; *** = p
130
3.4 Zwischen Technikbegeisterung und Widerständen der<br />
Außendienstmannschaft: Customer Relationship Mana gement<br />
in mittelständischen Viehhandelsorganisationen<br />
Achim Spiller, Stephanie Schlecht und Julian Voss<br />
Warum Customer Relationship Management im Viehhandel?<br />
Der Handel mit Lebend- und Schlachttieren ist eine traditionelle Branche des deutschen<br />
Agribusiness und eine Tätigkeit, die in hohem Maße auf persönlichen Geschäftsbeziehungen<br />
und Vertrauen beruht. Geschäfte werden immer noch häufig mit Handschlag<br />
abgeschlossen. Vertrauen und Reputation sind wichtige Voraussetzungen erfolgreichen<br />
Handelns. Das Wissen um die Erwartungen und Präferenzen des Geschäftspartners spielen<br />
eine große Rolle. Außendienstmitarbeiter des Viehhandels müssen die Landwirte ihrer<br />
Region gut kennen und ihre Einkaufs- bzw. Verkaufsanstrengungen darauf ausrichten.<br />
Erfolgreiche Außendienstmitarbeiter, die Landwirte zielgerichtet ansprechen und überzeugen<br />
können, sind das zentrale Kapital einer Viehhandelsorganisation. Die Relevanz der<br />
Vertriebsmannschaft ist in der Praxis unbestritten.<br />
Allerdings ist die wichtige Stellung des Außendienstes für die Viehhandelsorganisationen<br />
aus mehreren Gründen immer auch problematisch:<br />
1. Das Wissen der Vertriebsmitarbeiter ist in aller Regel implizites Wissen, d.h. es ist<br />
nicht für das Gesamtunternehmen verfügbar, sondern im Kopf des Mitarbeiters<br />
gespeichert und nur <strong>zum</strong> kleineren <strong>Teil</strong> in Berichten, Datenbanken oder ähnlichem<br />
abgelegt. Verlässt ein Außendienstler das Unternehmen, so geht dieses Wissen zu<br />
einem beachtlichen <strong>Teil</strong> verloren oder noch problematischer, es wandert zur Konkurrenz<br />
ab.<br />
2. Der Strukturwandel in der deutschen Landwirtschaft führt zu immer weniger Betrieben<br />
mit stark zunehmenden Betriebsgrößen. Diese A-Kunden des Viehhandels<br />
werden anspruchsvoller, Fehler einzelner Mitarbeiter können hier weitreichende<br />
Wirkungen haben. Die Zentrale des Unternehmens hat aber mangels entsprechenden<br />
Kundenwissens wenige Eingriffsmöglichkeiten. Ein Key-Account-Management,<br />
bei dem wichtige A-Kunden direkt durch die Geschäftsführung betreut werden, ist<br />
schwierig einzuführen.<br />
3. Auch ist eine zentrale Steuerung des Außendienstes schwierig. Der Vertrieb ist der<br />
klassische Bereich für das, was die ökonomische Theorie als Prinzipal-Agenten-<br />
Problem bezeichnet, da der Angestellte über einen beachtlichen Wissensvorsprung<br />
verfügt und in seiner Leistung kaum beobachtet werden kann. Dann verbleiben nur<br />
umsatzabhängige Entlohnungssysteme mit einem hohen variablen Gehaltsbestandteil.<br />
Diese motivieren zwar entsprechend, aber der Unternehmensführung bleiben<br />
kaum Steuerungsmöglichkeiten, wenn der Erfolg ausbleibt.<br />
4. Schließlich wird es mit dem Größenwachstum der Viehhandelsunternehmen wichtig,<br />
nicht nur den Vertrieb, sondern alle relevanten Unternehmensprozesse kundenorientiert<br />
zu gestalten und an den Kundenwünschen auszurichten. Ein systematisches<br />
Kundenbeziehungsmanagement ist aber schwierig, wenn das Kundenwissen nicht<br />
auch in den unterstützenden Wertschöpfungsprozessen (z.B. Rechnungswesen,<br />
Qualitätssicherung) verfügbar ist.<br />
131
Der vorliegende Beitrag greift diese Problemstellungen auf und untersucht, ob die Möglichkeiten<br />
des computergestützten Kundenbeziehungsmanagements im Viehhandel genutzt<br />
werden können, um kundenorientierte Marketing- und Vertriebsprozesse zu realisieren. Hierzu<br />
liegen für Deutschland bisher keine Erkenntnisse vor. Als Datengrundlage dienen neben<br />
einer ausführlichen Literaturrecherche eine Fallstudie aus dem AIDA-Projekt und die Diskussionen<br />
mit den beteiligten Unternehmen.<br />
Zur Grundidee des Customer Relationship Management<br />
In den vergangenen Dekaden hat sich das Marktumfeld für Unternehmen stark geändert.<br />
Die fortschreitende Globalisierung von Märkten und damit verbunden eine verstärkte<br />
Wettbewerbsintensität, die zunehmende Austauschbarkeit von Produkten, verkürzte Produktlebenszyklen<br />
sowie die ansteigende Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien<br />
unterstreichen den Handlungsdruck für Unternehmen. Daneben hat sich<br />
das Einkaufsverhalten sowohl der Konsumenten als auch der industriellen Kunden stark<br />
verändert.<br />
Durch den anhaltenden Strukturwandel in der Landwirtschaft verschärfen sich für Unternehmen<br />
im Agribusiness diese Herausforderungen. In Deutschland nimmt die Anzahl<br />
der landwirtschaftlichen Betriebe pro Jahr um rund 3% ab (BMELV 2007). In <strong>Teil</strong>bereichen<br />
der Tierhaltung erfolgt dieser Prozess besonders rasant. Während die Aufgaberate der<br />
Milchviehbetriebe dem Gesamtdurchschnitt von 3% entspricht, ging die Zahl der Schweinehalter<br />
seit 2004 sogar um durchschnittlich 8% zurück. Besonders betroffen ist dabei die<br />
Anzahl der Ferkelproduzenten (Destatis 2004-2010). Trotz rückläufiger Betriebszahlen ist<br />
bei den verbleibenden Unternehmen ein steigender Produktionsumfang (Beispiel Schweinemast)<br />
zu größer strukturierten Einheiten mit steigender Verkaufs- bzw. Einkaufsmacht<br />
zu konstatieren. Dieser Konzentrationsprozess wird in Zukunft aller Voraussicht nach<br />
nicht an Geschwindigkeit verlieren. In den Kernregionen der Fleischwirtschaft werden<br />
neue Mastställe heute regelmäßig mit mehr als 2.000 Plätzen gebaut. Tabelle 3.4/1 zeigt<br />
die Betriebsgrößenzahlen der im AIDA-Projekt beteiligten Viehvermarktungsorganisationen<br />
(VVO), wobei sich in diesem Fall deutliche Größenunterschiede zwischen Rinder- und<br />
Schweinebereich sowie zwischen den einzelnen Handelsunternehmen zeigen.<br />
Tabelle 3.4/1: Betriebsgröße (Anzahl Stallplätze) bei den Lieferanten der Viehhandelsorganisationen<br />
im AIDA-Projekt<br />
Mittelwert Lieferanten<br />
AIDA gesamt Kleinste VVO Größte VVO<br />
Jungsauen 118,2 6,0 1013,6<br />
Sauen 373,4 81,0 2990,9<br />
Ferkel 884,2 508,3 1327,5<br />
Mastschweine 1117,2 300,0 1644,2<br />
Mastbullen 103,1 26,7 238,9<br />
Milchkühe 64,7 28,0 131,4<br />
Färsen 36,7 21,7 90,0<br />
Kälber 38,0 6,0 60,0<br />
Fresser 43,6 5,3 80,0<br />
Mutterkühe 42,8 5,0 72,9<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
132
Unternehmen im gesamten Agribusiness müssen Strategien entwickeln, um den beschriebenen<br />
Wandel erfolgreich bestehen zu können. Dabei steht insbesondere der Viehhandel,<br />
der mit den Landwirten sowohl auf der Lieferantenseite (Schlachttiere) wie auf der<br />
Absatzseite (Nutzviehverkauf) zu tun hat, vor der Herausforderung, sich den ändernden<br />
Marktgegebenheiten anzupassen. Ein systematisches Kundenbeziehungsmanagement<br />
kann deshalb eine wichtige Option sein, die Landwirte enger an sich zu binden.<br />
In hoch entwickelten Märkten mit zunehmend steigenden Kundenakquisitionskosten<br />
sind langfristige Kundenbeziehungen eine grundlegende Voraussetzung für nachhaltige<br />
Wettbewerbsvorteile (Joshi 1995). Studien belegen, dass in den meisten Fällen die Bindung<br />
profitabler Kunden einen weitaus höheren Einfluss auf den Unternehmenswert hat als die<br />
Neukundengewinnung (Meyer und Blümelhuber 2000; Stojek 2000). Diese Erkenntnis<br />
hat zu dem häufig proklamierten Paradigmenwechsel vom Transaktionsmarketing <strong>zum</strong><br />
beziehungsorientieren Marketingansatz geführt. Dabei werden nicht länger einzelne Transaktionen<br />
zwischen Anbieter und Nachfrager in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt,<br />
sondern es wird die gesamte Kundenbeziehung betrachtet. Das Management der Kundenbeziehungen<br />
hat sich in der Praxis wie auch in der wissenschaftlichen Diskussion als das<br />
sogenannte Customer Relationship Management etabliert (Müller 2004).<br />
Customer Relationship Management (CRM) ist eine unternehmensweite, kundenorientierte<br />
Managementstrategie. Diese umfasst Maßnahmen der Analyse, Planung und Kontrolle,<br />
die der Initiierung, Stabilisierung, Intensivierung und Wiederaufnahme von Kundenbeziehungen<br />
dienen (Bruhn 2001). Ein wesentliches Merkmal des Managementkonzepts<br />
besteht in der systematischen Identifizierung von profitablen Kundensegmenten und der<br />
Entwicklung von differenzierten Marketing-, Vertriebs- und Servicekonzepten (Fritz und<br />
Oelsnitz 2001). Dabei erfolgt im Rahmen einer Kundenwertbetrachtung eine Trennung bzw.<br />
Priorisierung von profitablen und nicht profitablen Kundensegmenten. Somit beinhaltet das<br />
CRM neben der Segmentierung ein Kundenportfoliomanagement (Riemer 2008). Zur Unterstützung<br />
aller relevanten CRM-Prozesse stehen der unternehmerischen Praxis moderne<br />
Informations- und Kommunikationstechnologien zur Verfügung. Die Entwicklung von CRM-<br />
Software sowie die Marketingbemühungen der entsprechenden Anbieter haben <strong>zum</strong> Boom<br />
des Themas in den letzten Jahren beigetragen.<br />
Allerdings konzentrieren sich die wissenschaftlichen wie praktischen Diskussionen um<br />
CRM bisher vorwiegend auf Großunternehmen. Viehhandelsorganisationen sind jedoch<br />
klein- bis mittelbetrieblich strukturiert. Eine weitere Besonderheit ist das regelmäßig sehr<br />
schlanke Management aufgrund des harten Preiswettbewerbs in der Branche. Organisationstheoretisch<br />
ausgedrückt gibt es wenig ‚organizational slack‘, d.h. freie Managementkapazitäten,<br />
die sich einer innovativen Aufgabe wie der Einführung von CRM-Systemen<br />
annehmen könnten. Schon bei Großunternehmen ist aber bekannt, dass die Einführung von<br />
CRM-Software keinesfalls unproblematisch ist. In Praxis wie Theorie wird häufig über Fehlschläge<br />
berichtet (Speier und Venkatesh 2002).<br />
Der vorliegende Beitrag greift diese Fragestellung auf und untersucht den Nutzen von<br />
CRM-Systemen für Viehhandelsunternehmen. Zuvor wird jedoch ein kurzer Überblick über<br />
die Grundlagen des CRM sowie über die Anwendung von CRM im Agribusiness insgesamt<br />
gegeben.<br />
133
Grundlagen des Customer Relationship Managements<br />
In Praxis und Wissenschaft hat sich der Begriff des Customer Relationship Managements<br />
fest etabliert (Hippner 2005). Das Konzept des Customer Relationship Managements<br />
findet seinen Ursprung im Relationship Marketing. In den 1980er Jahren erkannten<br />
viele Unternehmen, dass die klassische Marketingperspektive durch das Konzept des Relationship<br />
Marketings (Beziehungsmarketing, Berry 1983) ergänzt werden sollte. Bei diesem<br />
Marketingansatz stehen der Aufbau, der Erhalt und der Ausbau von (Kunden-)Beziehungen<br />
im Fokus aller Marketingaktivitäten (Payne und Rapp 1999). Wenngleich beim Relationship<br />
Marketing die Beziehungen <strong>zum</strong> Kunden im Vordergrund stehen, umfasst das Konzept<br />
auch die Beziehungen zu Lieferanten (Supplier Relationship Management), also den vorgelagerten<br />
Märkten von Unternehmungen, wie dies auch für Viehhandelsorganisationen gilt<br />
(Hippner 2005).<br />
Nach Bruhn (2001) umfasst das Customer Relationship Management vier wesentliche<br />
Merkmale:<br />
• Kundenorientierung (Gegenstand des CRM sind die Geschäftsbeziehungen eines<br />
Unternehmens zu seinen Kunden, gemeint sind Abnehmer wie Lieferanten),<br />
• Entscheidungsorientierung (CRM umfasst einen Managementansatz, auf dessen<br />
Grundlagen unternehmensweit Maßnahmen zur Stärkung des Kundenbeziehungsmanagements<br />
identifiziert und umgesetzt werden),<br />
• Zeitraumorientierung (CRM beinhaltet den dynamischen Charakter von Kundenbeziehungen,<br />
also deren Initiierung, den Aufbau, die Intensivierung und ggf. die<br />
Wiederaufnahme),<br />
• Nutzenorientierung (CRM soll einen Nutzen für die Beziehungspartner generieren).<br />
134<br />
Ein wesentlicher Faktor von CRM ist die Computerunterstützung des Außendienstes.<br />
Mit der zunehmenden Entwicklung und Verfügbarkeit von Informations- und Kommunikationstechnologien<br />
hat sich ab Mitte der 1980er Jahre eine IT-gesteuerte Unterstützung<br />
von Vertriebsprozessen entwickelt. Diese Computer Aided-Selling (CAS)-Systeme dienten<br />
dem Vertriebsmanagement, der Außendienststeuerung und dem Vertriebscontrolling und<br />
wurden in erster Linie unter Rationalisierungsaspekten entwickelt (Schwetz 2001). Die vornehmlich<br />
als Individualprogramme eingesetzten CAS-Lösungen waren auf den Verkaufsprozess<br />
ausgerichtet und hatten die Aufgabe, die umständliche, papierorientierte Organisation<br />
durch Datentechnik zu ersetzen und Zeit durch die automatische Übertragung von Daten<br />
zu gewinnen (Schulze 2000; Schwetz 2001).<br />
Aus technischer Sicht sind CRM-Systeme eine Weiterentwicklung der Computer-Aided-<br />
Selling-Anwendungen und unterlegen neben dem Verkaufs- auch Marketing- und Serviceprozesse<br />
zur ganzheitlichen Unterstützung von Kundenbeziehungen (Schulze 2000). Damit<br />
wird für Unternehmen die Voraussetzung geschaffen, ein effizientes Management der Kundenbeziehung<br />
datentechnisch zu unterstützen und über eine IT-Gesamtlösung abzuwickeln.<br />
Solche Systeme werden heute von Softwareanbietern – im Vergleich zu den individuellen<br />
CAS-Lösungen – als kostengünstige Standardprogramme angeboten und haben sich in der<br />
unternehmerischen Praxis durchgesetzt (Hippner 2005; Schwetz 2001). CRM ist aber ein<br />
interdisziplinärer Managementansatz und entgegen der oftmals vorherrschenden Meinung<br />
keineswegs eine reine IT-Fragestellung.<br />
CRM-Systeme umfassen drei zentrale Aufgabenbereiche bzw. Subsysteme: analytisches,<br />
operatives und kommunikatives CRM. Wesentlicher Erfolgsfaktor für CRM-Strategien<br />
ist die Identifizierung von attraktiven Kundengruppen und deren individuelle Betreuung<br />
mittels kundengruppenspezifischer Leistungs- und Kommunikationsangebote (Grabner-
Kräuter und Schwarz-Musch 2006). Insofern kommt der Sammlung und Auswertung von<br />
Wissen über Kunden eine zentrale Bedeutung zu. Dieser Aufgabenbereich wird in integrierten<br />
CRM-Systemen durch das analytische CRM abgedeckt und ist das Fundament für alle<br />
nachgelagerten Aktionsfelder des Kundenbindungsmanagements. Beim analytischen CRM<br />
werden in einer zentralen Unternehmensdatenbank (Customer Data Warehouse) relevante<br />
Kundeninformationen (Stammdaten, Kundenhistorien, Aktionsdaten, Marktforschungsergebnisse)<br />
gesammelt und systematisch ausgewertet (Grabner-Kräuter und Schwarz-Musch<br />
2006). Die wesentlichen Ergebnisse des analytischen CRM sind die Identifizierung und<br />
Priorisierung von Kundengruppen als auch die Entwicklung von segmentspezifischen Leistungsbündeln.<br />
Das operative CRM dient der unmittelbaren Unterstützung aller kundenbezogenen<br />
Geschäftsprozesse im Front-Office-Bereich. Es wird also dort eingesetzt, wo direkte Kundenkontakte<br />
bestehen (Marketing, Vertrieb, Service) und soll Mitarbeiter bei Transaktionen<br />
mit Kunden (bspw. Vertriebsmitarbeiter bei der Besuchsvorbereitung oder Call-Center im<br />
direkten Gespräch mit Kunden) unterstützen (Alt et al. 2005). Das operative CRM greift auf<br />
die Erkenntnisse des analytischen CRM zurück (z.B. Informationen über die Wirtschaftlichkeit<br />
eines Kunden) und stellt gleichsam in direkten Kundenkontakten gesammelte Daten für<br />
das analytische CRM zur Verfügung (Günther und Deckl 2006). Es operationalisiert also die<br />
Erkenntnisse des analytischen CRM und ist darüber hinaus für die Sammlung von Kundenwissen<br />
verantwortlich.<br />
Das kommunikative CRM beinhaltet das Management aller Kommunikationskanäle,<br />
mit denen Kunden erreicht werden können (Grabner-Kräuter und Schwarz-Musch 2006).<br />
Die systematische Steuerung aller Kommunikationskanäle soll ein möglichst einheitliches<br />
Erscheinungsbild des Unternehmens gegenüber seinen Kunden gewährleisten. Dieser Idee<br />
liegt das CRM-Ziel „One-Face-to-the-Customer“ zu Grunde (Günther und Deckl 2006). Das<br />
kommunikative CRM berücksichtigt daneben die kommunikationspolitischen Präferenzen<br />
einzelner Kunden(-gruppen).<br />
Überblick über den Anwendungsstand im Agribusiness<br />
Zur Umsetzung des CRM in der Agrar- und Ernährungswirtschaft liegen bisher nur wenige<br />
Erkenntnisse vor. Allerdings hat Voss (2008) in einer breit angelegten Studie den Status<br />
quo und die Umsetzung in den Vorleistungsindustrien der Landwirtschaft erhoben. Es<br />
wurden 143 Unternehmen befragt, davon 61,2% Produktionsunternehmen sowie Großhandels-<br />
(21,6%) und Dienstleistungsunternehmen (13,8%; Sonstige: 3,4%). Der überwiegende<br />
Anteil der Unternehmen ist dabei der Landtechnik zuzuordnen. In der Stichprobe finden<br />
sich alle Unternehmensgrößen. Befragt wurden hauptsächlich Geschäftsinhaber bzw. Geschäftsführer<br />
(28,0%) und Marketing- (29,7%) oder Vertriebsleiter (30,5%).<br />
Die Ergebnisse in Tabelle 3.4/2 verdeutlichen, dass die Unternehmen des deutschen<br />
Agribusiness den Stellenwert eines systematischen Kundenbeziehungsmanagements<br />
erkannt haben und diesem eine hohe Relevanz beimessen. Dem Statement „Kundenbeziehungsmanagement<br />
ist ein zentraler Bestand unserer Unternehmensstrategie“ wird von<br />
75,0% der Befragungsteilnehmer zugestimmt. Daneben lehnen 88,5% der Probanden die<br />
Aussage „Kundenbeziehungsmanagement bietet unserem Unternehmen nur wenige Vorteile“<br />
ab. In 60,9% der Unternehmen ist die Umsetzung einer CRM-Strategie ein Top-Management-Thema.<br />
Weiterhin wollen 75,5% der Unternehmen dem Kundenbeziehungsmanagement<br />
zukünftig eine höhere Bedeutung beimessen als in der Vergangenheit. Weniger<br />
eindeutig ist das Ergebnis bei der Aussage „Unser bisheriges Kundenbeziehungsmanagement<br />
kann als erfolgreich eingestuft werden“. Hier zeigen sich 42,9% der Probanden zu-<br />
135
ückhaltend, 15,7% der Befragungsteilnehmer lehnen das Statement ab. Dementsprechend<br />
hat ein erheblicher <strong>Teil</strong> der Unternehmen keine erfolgreiche CRM-Strategie gefunden.<br />
Ein Grund für Misserfolge sind möglicherweise fehlende Ressourcen: 28,5% der Probanden<br />
stimmen dem Statement „Uns fehlen die Ressourcen, um uns mit dem Thema<br />
Kundenbeziehungsmanagement zu beschäftigen“ zu, weitere 30,7% antworten unentschlossen.<br />
Statistisch lässt sich nachweisen, dass erfolgreiche CRM-Strategien und die<br />
Bereitstellung ausreichender Ressourcen relativ stark zusammenhängen.<br />
Tabelle 3.4/2: Statements zur strategischen Relevanz des CRM<br />
Trifft<br />
Trifft<br />
gar<br />
nicht<br />
zu<br />
Trifft<br />
nicht<br />
zu<br />
<strong>Teil</strong>s,<br />
teils<br />
Trifft<br />
zu<br />
voll<br />
und<br />
ganz<br />
zu μ 1 σ 2<br />
CRM ist ein zentraler Bestandteil 0,7% 5,7% 18,6% 38,6% 36,4% 1,04 0,92<br />
unserer Unternehmensstrategie.<br />
CRM bietet unserem Unternehmen nur 45,3% 43,2% 9,4% 2,2% 0,0% -1,32 0,73<br />
wenige Vorteile.<br />
CRM ist bei uns ein Top-Management- 2,2% 10,1% 26,8% 37,0% 23,9% 0,70 1,01<br />
Thema.<br />
In der Vergangenheit haben wir bereits 1,4% 13,0% 29,7% 34,8% 21,0% 0,61 1,01<br />
vielfältige Maßnahmen ergriffen, um<br />
unser CRM aufzubauen.<br />
Unser bisheriges CRM kann als 1,4% 14,3% 42,9% 30,7% 10,7% 0,35 0,91<br />
erfolgreich eingestuft werden.<br />
Zukünftig werden wir dem Thema CRM 0,7% 10,9% 13,0% 58,7% 16,7% 0,80 0,87<br />
eine höhere Bedeutung beimessen als in<br />
der Vergangenheit.<br />
Uns fehlen die Ressourcen, um uns mit 15,3% 25,5% 30,7% 21,9% 6,6% -0,21 1,15<br />
dem Thema CRM zu beschäftigen.<br />
Ein strategisches CRM ist für unser<br />
Unternehmen zu teuer.<br />
18,8% 35,5% 29,7% 12,3% 3,6% -0,54 1,05<br />
Skala von 2 = trifft voll und ganz zu bis -2 = trifft gar nicht zu;<br />
CRM = Kundenbeziehungsmanagement; 1 Mittelwert; 2 Standardabweichung<br />
Quelle: Voss 2008<br />
Für die Realisierung von erfolgreichen CRM-Strategien ist ein breites Wissen über Kunden<br />
notwendig. Die Statements in Tabelle 3.4/3 zeigen, dass die befragten Unternehmen<br />
mehrheitlich den Ausbau ihrer Kundenkenntnisse als ein vordringliches Ziel angeben. Allerdings<br />
erfolgt die Datenerhebung in vielen Fällen nicht systematisch.<br />
136
Tabelle 3.4/3: Statements <strong>zum</strong> Kundenwissen<br />
Trifft<br />
Trifft<br />
gar<br />
nicht<br />
zu<br />
Trifft<br />
nicht<br />
zu<br />
<strong>Teil</strong>s,<br />
teils<br />
Trifft<br />
zu<br />
voll<br />
und<br />
ganz<br />
zu μ 1 σ 2<br />
Gute Kenntnisse über Kunden sind ein 0,0% 1,4% 3,5% 41,1% 53,9% 1,48 0,64<br />
wichtiges Ziel für uns.<br />
Wir haben eine<br />
9,4% 25,4% 31,9% 26,1% 7,2% -0,04 1,09<br />
Datenerhebungsstrategie, um relevante<br />
Informationen über unsere Kunden zu<br />
sammeln.<br />
In der Vergangenheit haben wir große 0,7% 18,6% 32,9% 34,3% 13,6% 0,41 0,97<br />
Anstrengungen unternommen, um unser<br />
Wissen über Kunden zu verbessern.<br />
In unserem Unternehmen werden 0,7% 7,0% 27,5% 52,8% 12,0% 0,68 0,80<br />
Kundendaten ständig aktualisiert.<br />
Unseren Außendienst leiten wir an, 7,9% 12,2% 21,6% 41,0% 17,3% 0,47 1,15<br />
Kundeninformationen systematisch zu<br />
erfassen.<br />
Wir wissen genügend über unsere 6,4% 17,1% 36,4% 37,9% 2,1% 0,12 0,94<br />
Kunden, um einen strategischen<br />
Vertrieb zu realisieren.<br />
Zur Durchführung von<br />
Marktsegmentierungen verfügen wir<br />
über ausreichende<br />
Kundeninformationen.<br />
3,6% 20,0% 42,1% 30,0% 4,3% 0,11 0,90<br />
Skala von 2 = trifft voll und ganz zu bis -2 = trifft gar nicht zu; 1 Mittelwert; 2 Standardabweichung;<br />
Quelle: Voss 2008<br />
Nur ein Drittel der Unternehmen stimmt dem Statement „Wir haben eine Datenerhebungsstrategie,<br />
um relevante Informationen über unsere Kunden zu sammeln“ zu. Das Fehlen<br />
von systematischen Vorgehensweisen bei der Erfassung erklärt möglicherweise, warum<br />
bei einem Großteil der Befragungsteilnehmer die Qualität der Kundendaten nicht ausreicht,<br />
um einen strategischen Vertrieb bzw. Marktsegmentierungen zu realisieren.<br />
Interessant ist eine Gegenüberstellung der Wichtigkeit mit der Vollständigkeit der Erfassung<br />
von Kundendaten. Zwar sind die relevanten Grundinformationen (Adresse, Kontaktdetails)<br />
in den Unternehmen weitestgehend vollständig erfasst. Bedingt gilt dies auch für<br />
historische Verkaufsdaten. Die für ein weitergehendes CRM notwendigen Daten (bspw. individuelle<br />
Kundenzufriedenheit, betriebsstrukturelle Daten, Informationen <strong>zum</strong> Kaufverhalten)<br />
werden von den Unternehmen im Agribusiness zwar als wichtig eingestuft, sind aber<br />
keineswegs vollständig erfasst. Dementsprechend fehlt die Grundlage für das analytische<br />
CRM, dem Fundament jeder CRM-Strategie (Tabelle 3.4/4).<br />
137
Tabelle 3.4/4: Wichtigkeit und Vollständigkeit von Kundendaten<br />
Wichtigkeit<br />
Vollständigkeit<br />
der Erfassung<br />
μ 1 σ 2 μ 1 σ 2<br />
Name und Adresse 1,83 0,41 1,78 0,46<br />
Telefon- und Faxnummer 1,72 0,55 1,61 0,64<br />
E-Mail-Adresse 1,34 0,87 0,85 1,07<br />
Individuelle Kundenzufriedenheit 1,20 0,86 -0,20 1,02<br />
Verkaufsdaten (z. B. Produkt, Menge, Preis, Absatzkanal) 1,18 0,82 1,06 1,01<br />
Betriebsstrukturelle Daten (z. B. Betriebsgröße, Herdengröße) 0,93 0,96 -0,20 1,09<br />
Informationen <strong>zum</strong> Kaufverhalten (z. B. Preisorientierung, Markenbewusstsein) 0,76 0,99 -0,40 1,00<br />
Kundenhistorie (z. B. Datum, Uhrzeit und Art von Kundenkontakten) 0,71 1,01 0,10 1,15<br />
Skala von 2 = trifft voll und ganz zu bis -2 = trifft gar nicht zu; 1 Mittelwert; 2 Standardabweichung;<br />
Quelle: Voss 2008<br />
Auf die Identifizierung von Kundengruppen bzw. -segmenten folgen im Sinne eines strategischen<br />
Kundenbeziehungsmanagements ein Portfoliomanagement und Bemühungen,<br />
Kundenbeziehungen zu individualisieren. Die folgende Tabelle zeigt, dass A-Kunden von<br />
54,6% der Unternehmen bevorzugt werden (vgl. Tab. 3.4/5). Sehr viel seltener werden<br />
Geschäftsbeziehungen zu unprofitablen Kunden bewusst beendet. 53,9% der Unternehmen<br />
entwickeln differenzierte Leistungsangebote für unterschiedliche Kundensegmente.<br />
Weitergehende segmentspezifische Marketing- und Vertriebsstrategien haben eine etwas<br />
geringere Bedeutung.<br />
Tabelle 3.4/5: Priorisierung und Leistungsindividualisierung von Geschäftsbeziehungen<br />
In unseren Marketing- und Vertriebsaktivitäten<br />
werden besonders interessante Kundensegmente<br />
bevorzugt.<br />
Wir versuchen gezielt, unseren Lieferantenanteil<br />
bei ertragsstarken Kunden zu erhöhen.<br />
Wir intensivieren die Beziehung zu Kunden mit<br />
einem niedrigen (erwarteten) Ertragswert nicht.<br />
Für unterschiedliche Kundensegmente<br />
entwickeln wir im Sinne eines differenzierten<br />
Marketings unterschiedliche Leistungsangebote.<br />
Für identifizierte Kundensegmente entwickeln<br />
wir segmentspezifische Marketing- und<br />
Vertriebsstrategien.<br />
Trifft<br />
Trifft<br />
gar<br />
nicht<br />
zu<br />
Trifft<br />
nicht<br />
zu<br />
<strong>Teil</strong>s,<br />
teils<br />
Trifft<br />
zu<br />
voll<br />
und<br />
ganz<br />
zu μ 1 σ 2<br />
0,7% 13,5% 31,2% 41,1% 13,5% 0,53 0,91<br />
5,0% 11,4% 31,4% 40,0% 12,1% 0,43 1,01<br />
8,6% 33,8% 35,3% 18,7% 3,6% -0,25 0,98<br />
2,8% 21,3% 22,0% 40,4% 13,5% 0,40 1,06<br />
5,1% 25,4% 26,1% 30,4% 13,0% 0,21 1,12<br />
Skala von 2 = trifft voll und ganz zu bis -2 = trifft gar nicht zu; 1 Mittelwert; 2 Standardabweichung;<br />
Quelle: Voss 2008<br />
138
Bei konkreten Fragen zur Umsetzung der Kundensegmentierung wird deutlich, dass der<br />
überwiegende <strong>Teil</strong> der Befragungsteilnehmer keine Kriterien bzw. Verfahren anwendet, die<br />
eine Identifizierung von Kundensegmenten oder ein Kundenportfoliomanagement erlauben<br />
(Tabelle 3.4/6). Selbiges gilt für Methoden, die eine Individualisierung von Geschäftsbeziehungen<br />
ermöglichen. Die Mehrheit der teilnehmenden Unternehmen (67,6%) gibt an, ihren<br />
Kundenstamm intensiv nach geographischen Kriterien zu segmentieren. Diese Vorgehensweise<br />
ist jedoch keine Grundlage für ein systematisches Kundenbeziehungsmanagement.<br />
Geeignet hierfür sind beispielsweise betriebsstrukturelle Merkmale oder historische bzw.<br />
erwartete Umsätze. Da diese Kundendaten – wie bereits vorgehend diskutiert – in den befragten<br />
Unternehmen nicht vollständig vorliegen, kann auf diese bei der Segmentierung<br />
nicht zurückgegriffen werden.<br />
Tabelle 3.4/6: Vorgehensweisen zur Segmentierung und Priorisierung von Kunden<br />
Überhaupt<br />
nicht<br />
Weniger<br />
intensiv<br />
<strong>Teil</strong>s,<br />
teils<br />
Intensiv<br />
Sehr<br />
intensiv<br />
μ 1 σ 2<br />
2,8% 8,5% 21,1% 44,4% 23,2% 0,77 0,99<br />
Geographische Kriterien<br />
(z.B. regionale Verkaufsgebiete)<br />
Betriebsstrukturelle Merkmale 5,6% 30,3% 23,2% 33,8% 7,0% 0,06 1,07<br />
Historische Umsätze/Kaufhäufigkeit 10,6% 23,9% 36,6% 26,1% 2,8% -0,13 1,01<br />
Zukünftig erwartete Umsätze/Kaufhäufigkeiten 9,3% 25,0% 40,7% 23,6% 1,4% -0,17 0,94<br />
Psychographische Kriterien<br />
22,9% 28,6% 29,3% 17,1% 2,1% -0,53 1,09<br />
(z.B. Motive, Einstellungen)<br />
Beobachtbares Einkaufsverhalten 20,7% 35,0% 29,3% 14,3% 0,7% -0,61 0,99<br />
Informationsverhalten 21,4% 37,1% 30,0% 10,7% 0,7% -0,68 0,95<br />
Skala von 2 = sehr erfolgreich -2 = überhaupt nicht erfolgreich; 1 Mittelwert; 2 Standardabweichung<br />
Quelle: Voss 2008<br />
Die Ergebnisse in Tabelle 3.4/7 verdeutlichen, dass bei den Unternehmen überwiegend<br />
traditionelle Massenkommunikationsmittel angewandt werden, während eine kunden- bzw.<br />
kundengruppenindividuelle Kommunikation wenig Verbreitung hat. Zwar werden von den<br />
Befragungsteilnehmern regelmäßige Kundenbesuche durch Außendienstmitarbeiter als<br />
das meistgenutzte Instrument (78,3%) mit der gleichzeitig höchsten Erfolgseinschätzung<br />
benannt, aber es scheint dabei an der strategischen Orientierung zu fehlen. Instrumente,<br />
die eine Individualisierung von Geschäftsbeziehungen ermöglichen würden (bspw. digitale<br />
Newsletter mit kundenindividuellen Angeboten, Geburtstagsgrüße für prioritäre Kunden<br />
oder Kundenclubs), werden selten und weitestgehend nicht erfolgreich genutzt.<br />
139
Tabelle 3.4/7: Nutzung und Erfolg von Kommunikationswegen<br />
Nutzungsgrad<br />
Erfolg der Maßnahmen<br />
μ 1 σ 2<br />
Regelmäßiger Kundenbesuch durch Außendienstmitarbeiter 78,3% 1,21 0,68<br />
Besondere Kundenveranstaltungen (bspw. Produktvorführungen) 75,5% 1,09 0,74<br />
Regelmäßiger Versand von Produktkatalogen und -informationen 65,7% 0,71 0,71<br />
Kundenindividuelle Rabatte 63,6% 0,88 0,65<br />
Gedruckte Newsletter/Kundenmailings 52,4% 0,61 0,70<br />
Spezielle Kundenboni (z.B. Präsente) 49,0% 0,53 0,81<br />
Digitale Newsletter 34,3% 0,49 1,00<br />
Direkte, individuelle Kundenansprache (z.B. an Geburtstagen) 33,6% 0,63 0,94<br />
Breitangelegte Rabattaktionen (z. B. Lagerräumung) 30,1% 0,56 1,12<br />
Unternehmenseigene Kundenzeitschrift 17,5% 0,44 1,19<br />
Kundenclub/Frequent-Buyer-Programm 4,2% -1,00 1,26<br />
Skala von 2 = sehr erfolgreich -2 = überhaupt nicht erfolgreich; 1 Mittelwert; 2 Standardabweichung<br />
Quelle: Voss 2008<br />
Ebenso ausbaufähig ist die Unterstützung von CRM-Strategien durch Software. Zwar<br />
besteht in den befragten Unternehmen mehrheitlich die Möglichkeit, Kundendaten in einer<br />
zentralen Datenbank festzuhalten. Bei dem überwiegenden Anteil der Unternehmen fehlt<br />
jedoch ein übergreifendes Informationssystem, um relevante Kundendaten über unterschiedliche<br />
Funktionsbereiche zu erfassen (bspw. Vertrieb, Kundendienst, Rechungswesen).<br />
Ebenso mangelt es größtenteils an den technischen Voraussetzungen, um Kundendaten<br />
von unterschiedlichen Interaktionspunkten einzuholen.<br />
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Unternehmen des deutschen Agribusiness<br />
zwar die Relevanz des Kundenbeziehungsmanagements erkennen, es fehlt jedoch bei dem<br />
überwiegenden <strong>Teil</strong> der Befragungsteilnehmer an einer systematischen Strategieimplementierung.<br />
Relevante Kundeninformationen werden nicht erfasst und keineswegs durchgängig<br />
ausgewertet. Dementsprechend fehlt es den Unternehmen sowohl an Möglichkeiten,<br />
Kundensegmente zu identifizieren als auch an der Entwicklung spezifischer Bindungsprogramme.<br />
Ebenso bemerkenswert ist der geringe Einsatz von CRM-Softwarelösungen. Im<br />
Tagesgeschäft fehlt es dann an den wesentlichen Grundlagen (bspw. personelle und finanzielle<br />
Ressourcen, Kundendaten, IT-Unterstützung), um erfolgreich den Außendienst in ein<br />
CRM-System einzubinden.<br />
Tabelle 3.4/8: IT-Unterstützung der CRM-Strategie<br />
Unser Unternehmen verfügt über ein<br />
funktionsübergreifendes Informationssystem,<br />
um relevante Kundendaten zu erfassen.<br />
Wir haben die notwendige Infrastruktur, um<br />
Kundendaten von allen Interaktionspunkten<br />
einzuholen.<br />
Wir haben die Möglichkeit, alle gewünschten<br />
Kundendaten in einer zentralen Datenbank<br />
festzuhalten.<br />
Unser Unternehmen verfügt über eine<br />
leistungsstarke CRM-Software.<br />
Trifft<br />
Trifft<br />
voll<br />
gar Trifft<br />
und<br />
nicht nicht <strong>Teil</strong>s, Trifft ganz<br />
μ 1 σ 2<br />
zu zu teils zu zu<br />
7,9% 27,9% 28,6% 30,7% 5,0% -0,03 1,05<br />
10,1% 23,9% 41,3% 21,0% 3,6% -0,16 0,99<br />
3,6% 10,0% 19,3% 47,9% 19,3% 0,69 1,01<br />
23,5% 21,3% 16,2% 24,3% 14,7% -0,15 1,41<br />
Skala von 2 = trifft voll und ganz zu bis -2 = trifft gar nicht zu; 1 Mittelwert; 2 Standardabweichung;<br />
Quelle: Voss 2008<br />
140
Die Studie passt sich damit ein in eine Reihe von Studien aus unterschiedlichen Bereichen,<br />
die zeigen, dass die Einführung von CRM schwierig ist. In einem wichtigen Beitrag<br />
können Speier und Venkatesh (2002) sogar zeigen, dass die Einführung von CRM-Software<br />
zwar zunächst (nach einer ersten Einführung in die Software) vom Außendienst positiv eingeschätzt<br />
wird, schon nach einem halben Jahr jedoch sind die Mitarbeiter in vielen Fällen<br />
enttäuscht und Jobzufriedenheit sowie Leistungen sind gesunken.<br />
Einsatz von CRM-Systemen im Viehhandel<br />
CRM-Systeme sind offensichtlich keine „Selbstläufer“ im betrieblichen Alltag. Wenn<br />
schon bei Großunternehmen erhebliche Einführungsbarrieren zu überwinden sind, verwundert<br />
es nicht, dass entsprechende Software im Viehhandel noch keine große Verbreitung<br />
gefunden hat. Im Zuge des AIDA-Projektes wurde deshalb in einer der beteiligten Organisationen<br />
ein entsprechendes System (Update Seven, vgl. http://www.update.com/de)<br />
eingeführt. Auch hier sind die Erfahrungen allerdings nicht nur positiv. Speziell der in der<br />
Literatur beschriebene Effekt der Einbindung des Außendienstes stellte sich als Herausforderung<br />
heraus. Für Viehvermarktungsorganisationen mit sehr wenigen Mitarbeitern ist<br />
die Eignung des Ansatzes auch grundsätzlich in Frage zu stellen. Im folgenden Abschnitt<br />
werden vor diesem Hintergrund die Potenziale, aber auch die Grenzen von CRM-Systemen<br />
im Viehhandel analysiert.<br />
Kernbestandteil eines CRM-Systems ist eine Datenbank, in der die bisher verstreut im<br />
Unternehmen vorhandenen Kundendaten zusammengefügt werden. Im zweiten Schritt sind<br />
diese Ausgangsdaten dann um weitere, neu zu erhebende Informationen anzureichern.<br />
Der Viehhandel als Intermediär hat dabei spezifische Informationsanforderungen. Tabelle<br />
3.4/9 beschreibt wichtige Kundendaten am Beispiel der abnehmenden Funktion, d.h. des<br />
Einkaufs von Schlachtvieh. Unterschieden wird dabei zwischen allgemeinen Merkmalen der<br />
landwirtschaftlichen Lieferanten und lieferspezifischen Merkmalen, die sich aus der Geschäftsbeziehungshistorie<br />
ergeben.<br />
Ein <strong>Teil</strong> der Daten kann mehr oder weniger einfach direkt beobachtet werden. Adressdaten<br />
sind grundlegender Ausgangspunkt. Betriebsform und Betriebsgröße des landwirtschaftlichen<br />
Unternehmens oder Alter der Leitung sind offensichtlich relevant, aber in<br />
Viehhandelsunternehmen schon keineswegs durchgängig in standardisierter Form verfügbar.<br />
Zwar ist den meisten Außendienstmitarbeitern eine relativ genaue Abschätzung dieser<br />
Größen möglich, aber sie müssen zunächst einmal motiviert werden, diese Daten zusammenzutragen<br />
und in das System einzupflegen. Noch etwas komplizierter sind wichtige<br />
Informationen wie die <strong>zum</strong> ökonomischen Erfolg oder auch <strong>zum</strong> Meinungsführerpotenzial<br />
des Betriebs. Letzteres kann sich <strong>zum</strong> Beispiel in der Gremientätigkeit ausdrücken. Regional<br />
gut vernetzte Landwirte sind auch dann wichtige Kunden, wenn sie auf den ersten Blick<br />
ökonomisch nicht in die A-Kategorie fallen, da in der Landwirtschaft der Austausch zwischen<br />
den Berufskollegen von sehr hoher Relevanz ist (Voss 2008; Zimmermann 2003).<br />
141
Tabelle 3.4/9: Potenzielle Kundendaten der Viehhandelsorganisationen<br />
Direkt beobachtbar<br />
Indirekt beobachtbar<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Allgemeine Merkmale<br />
Adresse<br />
Betriebsform, Betriebsgröße<br />
Alter des Betriebsleiters<br />
Betriebswirtschaftlicher Erfolg,<br />
Gremienengagement<br />
Entscheidungsstruktur im Betrieb<br />
Verkaufsphilosophie des Betriebs<br />
Persönlichkeitsmerkmale des<br />
Landwirts (Know-how,<br />
Risikofreudigkeit, Stellung zur<br />
Genossenschaft usf.)<br />
Lieferspezifische Merkmale<br />
Liefermenge und -häufigkeit<br />
Liefertreue und andere Abnehmer<br />
Qualität der Tiere<br />
Gesundheitsstatus der Tiere<br />
Sortierungsfähigkeiten<br />
Anforderungsprofile an<br />
Lieferanten<br />
Preisbewusstsein<br />
Servicepräferenzen<br />
Einstellung gegenüber<br />
Schlachtunternehmen<br />
Direkt beobachtbare Lieferdaten erfassen Größen wie Liefermengen und -häufigkeit, die<br />
daraus abgeleitete Liefertreue, Qualitätsdaten der angelieferten Tiere oder Informationen<br />
<strong>zum</strong> generellen Gesundheitsstatus des Betriebs (z.B. Salmonellenstatus im QS-System).<br />
Aus den Schlachtabrechnungen für die jeweiligen Betriebe lassen sich ebenfalls interessante<br />
Informationen gewinnen, z.B. hinsichtlich der Fähigkeit der Landwirte, ihre Tiere richtig<br />
im Hinblick auf verschiedene Schlachtmasken zu sortieren. An dieser Stelle liegen auch<br />
wichtige Schnittstellen eines CRM-Systems im Viehhandel zu den Informationssystemen<br />
der Schlachtindustrie, aber auch zu überbetrieblichen computergestützten Informationssystemen<br />
wie Mais oder Farmer‘s Friend (Bahlmann und Spiller 2009).<br />
Die bisher skizzierten Daten können zwar alle grundsätzlich erfasst werden und sind<br />
auch von intuitiver Plausibilität und Handlungsrelevanz, gleichwohl gibt es nach unseren<br />
Erfahrungen wohl (wenn überhaupt) nur sehr wenige Viehhandelsunternehmen, in denen<br />
diese Informationen tatsächlich in einer Datenbank vorliegen. Als zentrale Schwierigkeit hat<br />
sich dabei die Einbindung des Außendienstes erwiesen.<br />
Der Außendienst verfügt i.d.R. über relativ viele dieser Informationen, diese sind aber<br />
als implizites Wissen im Kopf des Mitarbeiters, aber fast nichts davon ist allgemein im<br />
Unternehmen verfügbar, d.h. auch nicht in Papierform. Die Motivation von Vertriebsmitarbeitern,<br />
nach Abschluss der Kundenbesuche im Büro diese Daten zusammenzutragen, ist<br />
vor dem Hintergrund des drängenden Tagesgeschäftes begrenzt. Hinzu kommen „triviale“<br />
technische Probleme des Umgangs mit dem PC, denn ein <strong>Teil</strong> der Außendienstmitarbeiter<br />
benötigt diesen bisher nicht für die Arbeit und wenn dann auch keine privaten Kenntnisse<br />
vorhanden sind, sind die Barrieren erheblich.<br />
Das Know-how des Außendienstes ist sein „Betriebskapital“. Aus diesem Grund sind<br />
Außendienstmitarbeiter auch in den Fällen, in denen eine Affinität zur Computerarbeit vorliegt,<br />
keineswegs immer gewillt, ihr implizites Wissen dem eigenen Management zu offenbaren.<br />
Sie werden dadurch leichter austauschbar, die Machtbalance könnte sich zugunsten<br />
der Zentrale verschieben.<br />
Schließlich liegt ein Vorzug der Außendiensttätigkeit für viele Vertriebsmitarbeiter in<br />
der hohen Freiheit der Arbeitsausführung. Widerstände gegen die Einführung von CRM-<br />
Systemen können daher als Abwehr gegen Kontrollmöglichkeiten der Zentrale interpretiert<br />
werden.<br />
142
Der Kauf einer CRM-Software wie z.B. Update Seven ist daher auch dann nur ein erster<br />
Schritt zur Umsetzung, wenn diese Software auf die Bedürfnisse des Viehhandels zugeschnitten<br />
ist. Vielmehr ist CRM als klassisches Change Management-Projekt anzusehen<br />
und entsprechend zu steuern. Zunächst muss die Geschäftsführung des Viehhandelsunternehmens<br />
abwägen, ob strategische Ausrichtung (vgl. Kapitel 3.2, 3.3 in diesem Band)<br />
und Betriebsgröße den Einstieg in die computergestützte Außendienststeuerung sinnvoll<br />
erscheinen lassen. Fällt diese Entscheidung positiv aus, so ist ein klares Commitment der<br />
Führungskräfte nötig, um den Mitarbeitern zu verdeutlichen, dass diese Entscheidung unumstößlich<br />
ist. Dies schließt die Einrichtung einer Projektgruppe ein, in der neben Fachpromotoren<br />
(EDV-Mitarbeiter, ausgewählte Vertriebsmitarbeiter) auch ein Machtpromotor aus<br />
der Geschäftsleitung vertreten ist.<br />
Die eigentliche Realisation sollte dann schrittweise erfolgen und die Mitarbeiter mitnehmen.<br />
Bewährt hat sich dabei die konsequente Realisierung von „quick hits“, d.h. die Umsetzung<br />
sollte zunächst auf diejenigen Funktionalitäten konzentriert sein, die den Vertriebsmitarbeitern<br />
einen unmittelbaren Nutzen erbringen. Ängste können genommen werden,<br />
wenn erfolgreiche Beispielunternehmen („Benchmarks“) besucht werden. Zudem sollte<br />
die Mehrarbeit der Außendienstmitarbeiter entlohnt werden und entsprechende Anreize<br />
gesetzt werden. Schließlich tragen klare, messbare und realistisch terminierte Ziele <strong>zum</strong><br />
Erfolg des Implementierungsprojektes bei.<br />
CRM-Systeme sind also komplex und schwierig einzuführen. Ihr grundsätzlicher Nutzen<br />
ist aber ab einer gewissen Außendienststärke unstrittig: Mit automatischen Erinnerungsfunktionen,<br />
Planungs-Tools und Auswertungsfunktionen wird nicht nur die Steuerung des<br />
Außendienstes erleichtert, sondern auch die tägliche Arbeit unterstützt und systematisiert.<br />
Der Nutzen könnte noch weiter gesteigert werden, wenn auch qualitative, nicht direkt<br />
beobachtbare Daten einbezogen würden. Tabelle 3.4/9 nennt eine Reihe von Beispielen<br />
für „weiche“ Einschätzungen <strong>zum</strong> Entscheidungsverhalten der Landwirte, die ein guter<br />
Vertriebsmitarbeiter wahrscheinlich implizit seinem Verhalten zugrunde legt, die aber noch<br />
viel weniger systematisch vorliegen. Das Wissen z.B. um die Zufriedenheit des Kunden, potenzielle<br />
Abwanderungsgefahren oder sein Preisbewusstsein können für Preisverhandlungen<br />
entscheidend sein, werden aber in Viehhandelsorganisationen bis heute nicht explizit<br />
erfasst. Solche Informationen sind daher der „zweiten Generation“ des CRM vorbehalten.<br />
Langfristig geht es darum, die Fähigkeit der Mitarbeiter zur Kundenbewertung zu verbessern.<br />
Fazit<br />
Die Arbeit mit CRM-Systemen bietet Unternehmen vielfältige Vorteile (bspw. Zeitersparnis,<br />
verbesserte Kundeninformation), aber dennoch stellt die Implementierung selbst<br />
Großunternehmen vor Herausforderungen. Aus wissenschaftlichen Studien ist bekannt,<br />
dass insbesondere die interne Akzeptanz ein nicht zu unterschätzender Faktor für die<br />
Umsetzung ist, weshalb der Erfolg von CRM-Projekten entscheidend vom Commitment der<br />
Geschäftsführung und der Motivation der Mitarbeiter abhängt. In der vorgestellten Untersuchung<br />
der Universität Göttingen bestätigen Praktiker aus verschiedenen Bereichen des<br />
Agribusiness diese Erfahrungen.<br />
In der genossenschaftlichen Viehvermarktung gibt es erst wenige Ansätze zur Umsetzung<br />
eines professionellen CRM. Da die Branche vorwiegend klein- und mittelständisch<br />
strukturiert ist, gilt es für Unternehmen zunächst die Grundsatzentscheidung zu fällen, ob<br />
eine CRM-Strategie sinnvoll ist oder nicht. Zielgrößen dafür sind z.B. die Anzahl und Heterogenität<br />
der landwirtschaftlichen Lieferanten, die Größe des Außendienst-Teams usf. Be-<br />
143
vor die Entscheidung für ein entsprechendes System fällt, sollten die Unternehmen jedoch<br />
eine Implementierungs- und Umsetzungsstrategie entwickeln, um die Potentiale des CRM<br />
zu nutzen, z.B. indem Daten nicht nur systematisch erhoben, sondern auch ausgewertet<br />
und eingesetzt werden. Hierbei kann die Nutzung von Instrumenten des Change Managements,<br />
wie die Unterstützung durch Macht- und Prozesspromotoren, die Wahrscheinlichkeit<br />
eines Umsetzungserfolgs erhöhen.<br />
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Dissertation, Göttingen.<br />
145
146
3.5 Dienstleistungsqualität in genossenschaftlichen<br />
Vermarktungsunternehmen<br />
Stephanie Schlecht, Teresa Gockeln, Achim Spiller<br />
Das Leistungsspektrum genossenschaftlicher <strong>Viehvermarkter</strong> übersteigt in vielen Fällen bereits<br />
die klassischen Funktionsbereiche Bündelung und Logistik (vgl. Kapitel 3.1 in diesem<br />
Band). <strong>Teil</strong>weise entwickeln sie sich zu „Netzwerkintegratoren“, die in der Wertschöpfungskette<br />
vermehrt koordinierende Aufgaben im Rahmen von Rückverfolgbarkeit, Qualitätssicherung<br />
und Gesundheitsmanagement einnehmen (Schütz et al. 2008). Dies hat zur Folge,<br />
dass eine Beschränkung auf das Kernleistungsangebot für ein erfolgreiches Bestehen am<br />
Markt nicht mehr ausreichend ist (Spiller et al. 2005). Wie der Titel dieses Sammelbandes<br />
verdeutlicht, wird sich <strong>zum</strong>indest ein <strong>Teil</strong> der größeren Handelsorganisationen zu „<strong>Dienstleistungsprofi</strong>s“<br />
weiterentwickeln müssen.<br />
Hierbei ist jedoch problematisch, dass das Viehhandelsgeschäft – auch auf innovativen<br />
Betätigungsfeldern – durch einen hohen Anteil an branchenweit standardisierten Prozessen<br />
charakterisiert ist (Voss et al. 2010). Um dennoch ein möglichst geringes Maß an Austauschbarkeit<br />
zu erreichen und zu behaupten, ist für genossenschaftliche <strong>Viehvermarkter</strong><br />
nicht nur der Umfang, sondern auch die Qualität der angebotenen Kern- und Nebenleistungen<br />
ein bedeutender Einflussfaktor.<br />
Die Dienstleistungsqualität gilt insgesamt in der Managementforschung als zentraler<br />
Wettbewerbsfaktor (Bruhn 2008). Sie beeinflusst die Kundenzufriedenheit (Olorunniwo et<br />
al. 2006) ebenso positiv wie die finanzielle Performance von Unternehmen (Raju und Lonial<br />
2002). Genossenschaftliche <strong>Viehvermarkter</strong> können sich also durch die Kombination von<br />
Servicequalität mit einem umfangreichen Leistungsangebot einen Vorsprung vor dem Wettbewerb<br />
erarbeiten. Der vorliegende Beitrag verfolgt somit zwei Ziele: Zuerst wird das aktuelle<br />
Niveau der Servicequalität im genossenschaftlichen Viehhandel erhoben. Anhand eines<br />
Strukturgleichungsmodells werden in einem weiteren Schritt diejenigen Faktoren ermittelt,<br />
die die wahrgenommene Qualität besonders stark beeinflussen.<br />
Im Folgenden werden in einem Forschungsüberblick zunächst Möglichkeiten der Messung<br />
von Dienstleistungsqualität vorgestellt. Die Modellentwicklung dient der Ableitung<br />
relevanter Einflussgrößen. Anschließend erfolgt eine Charakterisierung des Studiendesigns<br />
und der Stichprobe. Der Ergebnisteil zeigt auf, wie Landwirte die Qualität der angebotenen<br />
Dienstleistungen insgesamt bewerten und welche Faktoren auf diese Qualität einwirken. Mit<br />
der Diskussion der Ergebnisse werden Ansatzpunkte dargelegt, die eine aktive Verbesserung<br />
der Servicequalität in den Viehvermarktungsorganisationen ermöglichen. Der Beitrag<br />
schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse.<br />
Messung von Dienstleistungsqualität<br />
Bruhn (2008; S. 38) definiert Dienstleistungsqualität insgesamt als „die Fähigkeit eines<br />
Anbieters, die Beschaffenheit einer primär intangiblen und der Kundenbeteiligung bedürfenden<br />
Leistung gemäß den Kundenerwartungen auf einem bestimmten Anforderungsniveau<br />
zu erstellen. Sie bestimmt sich aus der Summe der Eigenschaften bzw. Merkmale<br />
der Dienstleistung, bestimmten Anforderungen gerecht zu werden“. Folglich spiegelt die<br />
Dienstleistungsqualität den Wert der Leistung wider, wobei der Kunde das erwartete Leistungsniveau<br />
festlegt.<br />
147
Im Gegensatz zu Sachgütern zeichnen sich Dienstleistungen durch die Eigenschaften<br />
Immaterialität, Integration des externen Faktors, Schwankungen in der Dienstleistungsqualität,<br />
Nichtlagerfähigkeit und Individualität aus (Corsten 1997). Immaterialität bedeutet,<br />
dass das Ergebnis der Dienstleistung (z.B. bessere Preise, Zeitersparnis, bessere Information<br />
durch Viehvermarktung) nicht so unmittelbar wie eine Sachleistung zu erkennen ist.<br />
Die Integration des externen Faktors umfasst die Beteiligung der Kunden an vielen Prozessschritten<br />
(z.B. Anmeldung, Abholung, Lieferung von Tieren). Schwankungen in der Qualität<br />
resultieren u.a. daraus, dass Mitarbeiter und Kunden nicht in jedem Fall gleichermaßen<br />
gut zusammenarbeiten. Die Eigenschaft der Nichtlagerfähigkeit impliziert, dass Leistungen<br />
erst erbracht werden können, wenn der Kunde einen Auftrag erteilt. Es kann nicht auf<br />
Vorrat produziert werden. Individualität weist schließlich darauf hin, dass die Leistungen<br />
kundenspezifisch sind (Homburg und Krohmer 2009).<br />
Die Servicequalität und insbesondere deren Messung sind in der allgemeinen Marketing-Literatur<br />
seit Anfang der 80er Jahre häufig diskutierte Konzepte (Andaleeb und<br />
Conway 2006; Bell et al. 1997; Cronin Jr. und Taylor 1992; Fornell et al. 1996; Johnson et<br />
al. 1995; Kalamas et al. 2002; Keaveney 1995; Martínez Caro und Martínez García 2007;<br />
2008; Ostrom und Lacobucci 1995; Parasuraman et al. 1993; 1994). In der agrarökonomischen<br />
Forschung existieren nur vereinzelte Studien zur Messung von Dienstleistungsqualität<br />
beispielsweise im Obst- und Gemüsehandel (Eastwood et al. 2005) sowie in der Vorleistungsindustrie<br />
(Gunderson et al. 2009).<br />
Die Vielzahl an Veröffentlichungen illustriert, dass zahlreiche Ansätze zur Messung der<br />
Dienstleistungsqualität existieren. Eine Übersicht hierzu bieten Seth et al. 2005 sowie Martínez<br />
und Martínez 2010. Bereits in den 80er Jahren bildeten sich allerdings zwei zentrale<br />
Richtungen des Servicemarketings heraus, die seitdem vielfach ergänzt und verändert<br />
wurden. Kennzeichnend für die amerikanische Schule ist das GAP-Modell (Parasuraman<br />
et al. 1985), während das Modell bestehend aus technischer und funktionaler Dimension<br />
stellvertretend für die nordische Schule steht (Grönroos 1985).<br />
Die amerikanische Schule der Messung von Dienstleistungsqualität (Parasuraman et al.<br />
1985) basiert auf dem GAP-Modell. Fünf „GAPs“ beschreiben Diskrepanzen zwischen den<br />
Leistungserwartungen der Kunden und der Umsetzung seitens der Unternehmen (Bruhn<br />
2008). Diese Abweichungen (GAPs) entstehen:<br />
• Zwischen den Erwartungen der Kunden und deren Wahrnehmung durch das<br />
Management.<br />
• Zwischen Kundenerwartungen und deren Umsetzung in Spezifikationen der<br />
Dienstleistungsqualität.<br />
• Zwischen Spezifikationen der Servicegüte und der tatsächlichen<br />
Leistungserstellung.<br />
• Zwischen der Leistungserstellung und der Kundenkommunikation.<br />
• Zwischen den Erwartungen und der Erfahrung der Kunden hinsichtlich der<br />
Leistungserstellung.<br />
Die letztgenannte Abweichung kann als die wahrgenommene Dienstleistungsqualität definiert<br />
und anhand des „SERVQUAL“-Ansatzes gemessen werden. SERVQUAL ist ein Kunstwort,<br />
das sich aus den Begriffen Service und Quality zusammensetzt. In diesem Konzept<br />
bildet sich die Servicegüte aus fünf Dimensionen: der Annehmlichkeit des Umfelds (Räumlichkeiten,<br />
Einrichtung und Erscheinung des Personals) sowie der Zuverlässigkeit, der Reaktionsfähigkeit,<br />
der Leistungskompetenz und dem Einfühlungsvermögen der Mitarbeiter.<br />
148
Im nordischen Dienstleistungsmodell nach Grönroos (1985) setzt sich die wahrgenommene<br />
Qualität aus zwei Dimensionen, der technischen und der funktionalen Qualität,<br />
zusammen. Unter der technischen Qualität (was?) wird das Leistungsergebnis verstanden,<br />
welches anhand objektiver Merkmale gemessen werden kann. Der funktionalen Qualität<br />
(wie?), z.B. der Freundlichkeit der Mitarbeiter, wird hingegen eine subjektive Messbarkeit<br />
unterstellt. Beide Dimensionen können sich gegenseitig beeinflussen. Allerdings misst<br />
Grönroos (1985) der Art und Weise der Dienstleistungserstellung (funktionale Qualität) eine<br />
höhere Bedeutung bei als dem eigentlichen Ergebnis (technische Qualität), da die Kunden<br />
vorübergehende Probleme bei der technischen Qualität entschuldigen können, wenn die<br />
funktionale Qualität zufriedenstellend ist.<br />
Eine Weiterentwicklung zur Messung der Servicequalität ist die Verbindung beider<br />
Ansätze in einem einzigen Modell, dem sog. hierarchischen Ansatz von Brady und Cronin<br />
(2001). Dabei werden die funkionale und technische Dimension von Grönroos sowie die<br />
fünf Elemente des SERVQUAL-Ansatzes zusammengeführt. Das hierarchische Modell wurde<br />
empirisch in der Fotoentwicklung, der Fast Food-Industrie, in Vergnügungsparks und der<br />
Reinigungsindustrie überprüft (Brady und Cronin 2001). Für die Anbieter landwirtschaftlicher<br />
Inputs liefert es ebenfalls geeignete Ergebnisse zur Messung der Dienstleistungsqualität<br />
(Gunderson et al. 2009). Auch für das Privatkundengeschäft von Banken weist das<br />
Modell nach Brady und Cronin (2001) die höchste Erklärungskraft auf, d.h. es erzielt präzisere<br />
Ergebnisse als das Modell nach Grönroos (Horn 2009). Aufgrund dieser hohen Erklärungskraft<br />
sowie der Eignung für Fragestellungen des Agribusiness wird das hierarchische<br />
Modell als Grundlage für die Messung der Dienstleistungsqualität im genossenschaftlichen<br />
Viehhandel ausgewählt und im Folgenden kurz erläutert.<br />
Die Dienstleistungsgüte wird in diesem Modell als mehrdimensionales, zweistufiges<br />
Konstrukt konzeptualisiert. Der hierarchische Aufbau bietet sich an, da Kunden die Dienstleistungsqualität<br />
auf verschiedenen Ebenen wahrnehmen und diese in einer umfassenden<br />
Beurteilung kombinieren (Brady und Cronin 2001). Ein mehrstufiges Modell testeten<br />
Dabholkar et al. (1996) mit einem fünfdimensionalen Konstrukt. Abweichend davon wird<br />
die wahrgenommene Servicequalität von den drei Hauptdimensionen Interaktions-, Umfeld-<br />
und Ergebnisqualität bestimmt, die sich wiederum aus jeweils drei Subdimensionen<br />
zusammensetzen. Einstellung, Vertrauen, Kompetenz bilden das Konstrukt Interaktionsqualität,<br />
Ambiente, Design, soziale Faktoren die Umfeldqualität und Wartezeit, tangible<br />
Elemente 1 sowie Wertigkeit 2 die Ergebnisqualität (Brady und Cronin 2001; Martínez-Caro<br />
und Martínez-García 2008). Die Dimensionen Interaktions- und Ergebnisqualität sind aus<br />
dem Modell von Grönroos abgeleitet (was? wie?). Die Umfeldqualität liegt dem Drei-Komponenten-Konzept<br />
von Rust und Oliver (1994) zugrunde und zeigt, dass die Qualitätswahrnehmung<br />
von der Umgebung beeinflusst wird.<br />
Entwicklung eines Modells zur Messung der Dienstleistungsqualität in der<br />
genossenschaftlichen Viehvermarktung<br />
Um die Dienstleistungsqualität im genossenschaftlichen Viehhandel zu messen, erfolgt<br />
eine Anpassung des hierarchischen Modells nach Brady und Cronin an die Besonderheiten<br />
der Branche. Der mehrstufige Aufbau wird unter der Annahme beibehalten, dass Kunden<br />
1<br />
Tangible Elemente beschreiben materielle Güter, die in Verbindung mit Dienstleistungen stehen. Sie dienen<br />
bei deren Beurteilung als Ersatz für die eigentliche Leistung, da diese häufig nicht mess- bzw. bewertbar ist.<br />
2<br />
D ie Wertigkeit des Ergebnisses für den Kunden (positiv/negativ) formt die Beurteilung der Dienstleistungsqualität,<br />
obwohl diese außerhalb des eigentlichen Erstellungsprozesses liegt (Brady und Cronin 2001).<br />
149
ihre Gesamtwahrnehmung formen, indem sie die Leistung der einzelnen Dimensionen<br />
bewerten und diese kombinieren (Brady und Cronin 2001). Abbildung 3.5/1 illustriert das<br />
Forschungsmodell sowie die Zusammenhänge zwischen den Konstrukten, Tabelle 3.5/1<br />
fasst die zugrundeliegenden Hypothesen zusammen.<br />
Abb. 3.5/1: Hierarchisches Modell der Dienstleistungsqualität im Viehhandel<br />
Dienstleistungsqualität<br />
H4<br />
H1<br />
H2<br />
H3<br />
Qualität des<br />
Umfelds<br />
Preiszufriedenheit<br />
Betreuungsqualität<br />
Ergebnisqualität<br />
H1a<br />
H1b<br />
H1c<br />
H2a H2b H3a H3b<br />
Einstellung Mitarbeiter<br />
Verhalten Mitarbeiter<br />
Fachwissen Mitarbeiter<br />
Technische Ausstattung<br />
Soziale Faktoren<br />
Wartezeit<br />
Sichtbares Ergebnis<br />
Quelle: Eigene Darstellung nach Brady und Cronin 2001<br />
150<br />
Die Betreuungsqualität spielt vor dem Hintergrund des Merkmals der Nichtgreifbarkeit<br />
(Intangibilität) von Dienstleistungen eine elementare Rolle. Da die angebotene Leistung<br />
häufig nicht unmittelbar bewertet werden kann, wird die Interaktion mit den Mitarbeitern<br />
unabhängig von der Qualität der eigentlichen Leistung stellvertretend beurteilt (H1) (Homburg<br />
und Krohmer 2009). Das Konstrukt Betreuungsqualität entspricht der Interaktionsqualität<br />
im hierarchischen Modell und wird von den Subdimensionen Einstellung, Verhalten<br />
und Fachwissen der Mitarbeiter positiv beeinflusst (H1a, H1b, H1c). Dabei beschreibt die<br />
Einstellung Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Mitarbeiter. Das Verhalten spiegelt<br />
Verlässlichkeit und Professionalität wider, während das Fachwissen die Kompetenz und<br />
Fertigkeiten der Mitarbeiter - auch in schwierigen Situationen – reflektiert (Gunderson et al.<br />
2009).<br />
Die Umfeldqualität ist eine wichtige Einflussgröße der Servicegüte, da Kunden zur Bewertung<br />
der Qualität von Dienstleistungen auch Äußerlichkeiten bzw. greifbare Dienstleistungskomponenten<br />
heranziehen (H2) (Bruhn 2008). In dem angepassten Modell wirken die<br />
Subdimensionen technische Ausstattung und soziale Faktoren auf die Umfeldqualität (H2a,<br />
H2b). Tangible Elemente im Dienstleistungsunternehmen Viehvermarktung sind weniger<br />
die Gebäude, vielmehr beschreibt technische Ausstattung beispielsweise den Fuhrpark und<br />
die IT-Ausstattung. Soziale Faktoren beschreiben die Interaktionen zwischen den Kunden<br />
eines Unternehmens und deren Einfluss auf die Dienstleistungsqualität. So sind hohe Kundenzahlen<br />
für Landwirte ein Indiz für Qualität und Zufriedenheit, was positiv auf ihre eigene<br />
Beurteilung wirkt (Gunderson et al. 2009). Gleichzeitig muss trotz der Vielzahl an Kunden<br />
die Wertschätzung für den einzelnen Landwirt erhalten werden, um eine positive Bewertung<br />
zu erzielen.
Ergebnisqualität beschreibt das Resultat der Dienstleistung in den Augen der Kunden<br />
und nimmt folglich direkt Einfluss auf die Bewertung der Servicegüte (H3). Die Subdimensionen<br />
Wartezeit und sichtbares Ergebnis wirken auf die Ergebnisqualität ein (H3a, H3b).<br />
Pünktlichkeit spielt als Qualitätsmerkmal von Dienstleistungen eine bedeutende Rolle (Geiger<br />
und Kotte 2005). Die Wartezeit hat auch im Viehhandel eine nicht zu unterschätzende<br />
Bedeutung. Vereinbarte Liefer- und Abholzeiten sollten beispielsweise eingehalten werden,<br />
weil Landwirte ihre Tagesplanung daran ausrichten. Das sichtbare Ergebnis beschreibt Resultate,<br />
die Landwirte aus der Kooperation mit <strong>Viehvermarkter</strong>n erzielen können. Beispielhaft<br />
seien hier die wahrgenommene Arbeitserleichterung, nützliche Informationen und gute<br />
telefonische Erreichbarkeit der Service-Mitarbeiter genannt.<br />
Tabelle 3.5/1: Zusammenfassung der Hypothesen<br />
H1<br />
H1a<br />
H1b<br />
H1c<br />
H2<br />
H2a<br />
H2b<br />
H3<br />
H3a<br />
H3b<br />
H4<br />
Je besser die Betreuungsqualität, desto positiver wird die Dienstleistungsqualität von den Landwirten<br />
beurteilt.<br />
Je positiver die Einstellung der Mitarbeiter, desto besser erfolgt die Bewertung der Betreuungsqualität.<br />
Je positiver das Verhalten der Mitarbeiter, desto besser wird die Betreuungsqualität bewertet.<br />
Je positiver das Fachwissen der Mitarbeiter, desto besser wird die Betreuungsqualität bewertet.<br />
Je besser die Qualität des Umfelds, desto positiver wird die Dienstleistungsqualität bewertet.<br />
Je besser die technische Ausstattung, desto höher wird Qualität des Umfeldes bewertet.<br />
Je besser die sozialen Faktoren von den Landwirten bewertet werden, desto höher wird die Qualität des<br />
Umfeldes beurteilt.<br />
Je besser die Qualität des Ergebnisses, desto positiver wird die Dienstleistungsqualität bewertet.<br />
Je kürzer die Wartezeit, desto besser fällt die Bewertung der Ergebnisqualität aus.<br />
Je besser die sichtbaren Ergebnisse der Zusammenarbeit ausfallen, desto positiver wird die Ergebnisqualität<br />
bewertet.<br />
Je stärker die Preiszufriedenheit ausgeprägt ist, desto positiver wird die Dienstleistungsqualität<br />
wahrgenommen.<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Die Preiszufriedenheit wurde in Modellen zur Messung der Dienstleistungsqualität bisher<br />
nicht herangezogen. Preise und die Preiszufriedenheit gelten in den Geschäftsbeziehungen<br />
zwischen Landwirten und dem Viehhandel allerdings als zentrales Kriterium (Spiller et al.<br />
2005). Ausgehend davon, dass die Preiszufriedenheit im Entscheidungsprozess für oder<br />
gegen eine Dienstleistung eine bedeutende Rolle spielt, überprüft das vorliegende Modell,<br />
welchen Einfluss die Preiszufriedenheit auf die Bewertung der Servicequalität ausübt (H4,<br />
vgl. Tabelle 3.5/1).<br />
Studiendesign und Stichprobe<br />
Im Rahmen des AIDA-Projekts wurde von Mitte Februar bis Mitte April 2010 eine Befragung<br />
landwirtschaftlicher Lieferanten des genossenschaftlichen Viehhandels durchgeführt.<br />
Ziel der empirischen Untersuchung war eine umfassende Bewertung der Dienstleistungsqualität<br />
durch die Landwirte. Die standardisierten Fragebögen wurden von der Universität<br />
Göttingen in enger Abstimmung mit den beteiligten Unternehmen entwickelt, getestet<br />
und anschließend den Organisationen zur Verfügung gestellt, die diese an ihre Landwirte<br />
verschickt haben. So wurde die Weitergabe der Kundendaten an Dritte vermieden. Um die<br />
Anonymität der <strong>Teil</strong>nehmer zu wahren, sendeten diese die ausgefüllten Bögen direkt und<br />
ohne Angabe persönlicher Daten an die Universität Göttingen. Die Befragungsregion erstreckt<br />
sich auf die Einzugsgebiete der zwölf am Projekt beteiligten Unternehmen. Schwerpunkte<br />
bilden die Zentren der deutschen Tierproduktion in Nordwestdeutschland sowie der<br />
Südosten.<br />
151
Der standardisierte Fragebogen besteht aus geschlossenen Fragen mit 7-stufigen Likert-<br />
Skalen. Diese sind von -3 (trifft ganz und gar nicht zu) über 0 (teils/teils) bis +3 (trifft voll<br />
und ganz zu) kodiert. Desweiteren kamen Verhältnisskalen von 0 bis 100 <strong>zum</strong> Einsatz. Der<br />
Fragebogen schließt mit soziodemografischen (Alter, Berufsbildung, etc.) und betriebsstrukturellen<br />
(Betriebsgröße, Anzahl der vermarkteten Tiere, etc.) Merkmalen ab. Die Auswertung<br />
der Daten erfolgt mit dem Statistikprogramm PASW Statistics 18. Zur Analyse komplexer<br />
verhaltenswissenschaftlicher Fragestellungen finden häufig Kausalmodelle Anwendung. Das<br />
vorliegende Strukturgleichungsmodell wird anhand der Partial-Least-Squares (PLS)-Methode<br />
mit der Software SmartPLS 2.0 geschätzt (Ringle et al. 2005).<br />
Tabelle 3.5/2: Charakterisierung der befragten Landwirte<br />
Ø Alter (Jahre) 47<br />
Haupterwerb/Nebenerwerb 89,5/10,5<br />
Ø-Fläche (ha) 127<br />
Ø Mastschweine 1 3.395<br />
Ø Mastbullen 1 102<br />
1<br />
Anzahl vermarkteter Tiere pro Jahr<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Aufgrund der Organisation des Versandes durch die Unternehmen kann die Rücklaufquote<br />
nicht exakt beziffert werden. Bei denjenigen Unternehmen, die ihren Versand dokumentiert<br />
haben, liegt der Rücklauf bei ca. 20%. Insgesamt umfasst die Stichprobe 647 <strong>Teil</strong>nehmer<br />
und <strong>Teil</strong>nehmerinnen. Tabelle 3.5/2 fasst wesentliche Charakteristika der Stichprobe zusammen.<br />
Das durchschnittliche Alter liegt mit 47 Jahren über dem gesamtdeutschen Durchschnitt<br />
von 43 Jahren (Destatis 2009). Befragt wurden die Entscheidungsträger der Betriebe,<br />
dabei handelt es sich zu 94,2% um die Betriebsleiter bzw. Geschäftsführer, zu 3,7% um<br />
Hofnachfolger sowie zu 1,5% um die Leiter der Tierproduktion. Nebenerwerbslandwirte sind<br />
im Vergleich <strong>zum</strong> bundesweiten Durchschnitt von 55,1% deutlich unterrepräsentiert (BMELV<br />
2007). Knapp 90% aller <strong>Teil</strong>nehmer haben eine weiterführende landwirtschaftliche Ausbildung<br />
absolviert (Studium, Landwirtschaftsmeister, Agrar-Betriebswirt). Der durchschnittliche<br />
Flächen- und Tierbesatz übersteigt die nationalen Mittelwerte deutlich (Destatis 2008).<br />
Gesamtzufriedenheit mit den Dienstleistungen der genossenschaftlichen<br />
Viehvermarktung<br />
Im Fokus der Betrachtung steht einleitend die Frage, wie zufrieden die Landwirte insgesamt<br />
mit ihrem Viehvermarktungsunternehmen und insbesondere deren Dienstleistungsqualität<br />
sind. Die Ergebnisse in Tabelle 3.5/3 verdeutlichen, dass insgesamt eine positive<br />
Bewertung der Dienstleistungen, der Betreuung durch die Mitarbeiter und der allgemeinen<br />
Zusammenarbeit vorliegt. Gespeist wird diese Zufriedenheit sicherlich auch durch positive<br />
Erfahrungen im Verlauf der Geschäftsbeziehung. Etwas kritischer, jedoch immer noch<br />
positiv, sehen die Landwirte die langfristig ausgezahlten Preise. Allerdings illustrieren die<br />
hohen Standardabweichungen der betrachteten Statements, dass die Bewertungen der<br />
Kunden deutlich divergieren, d.h. es auch einen nicht zu vernachlässigenden Anteil kritischer<br />
Landwirte gibt.<br />
152
Tabelle 3.5/3: Zufriedenheit mit Leistungen des genossenschaftlichen Viehhandels<br />
μ 1 σ 2<br />
Die Dienstleistungen der XY sind ausgezeichnet. 4 1,19 1,31<br />
Alles in allem ist die Betreuung durch die Mitarbeiter der XY hervorragend. 4 1,38 1,47<br />
Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit der Zusammenarbeit mit XY? 3 1,28 1,53<br />
Meine Erfahrungen mit der XY sind durchweg positiv. 4 1,24 1,49<br />
In der Vergangenheit war ich mit den Preisen, die XY für mich ausgehandelt<br />
hat immer… 3 0,81 1,17<br />
1<br />
Mittelwert; 2 Standardabweichung; 3 Skala von +3 „sehr zufrieden“ bis -3 „sehr unzufrieden“;<br />
4<br />
Skala von +3 „trifft voll und ganz zu“ bis -3 „trifft ganz und gar nicht zu“<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Ergebnisse des Strukturgleichungsmodells zur Dienstleistungsqualität in der<br />
genossenschaftlichen Viehvermarktung<br />
Das Modell zur Messung der Dienstleistungsqualität wird anhand des Partial-Least-<br />
Squares(PLS)-Verfahrens geschätzt. Dieses nicht-parametrische Testverfahren dient dazu,<br />
Zusammenhänge zwischen den Konstrukten und den zugeordneten Items zu messen.<br />
Überprüfung des Messmodells<br />
Das Messmodell besteht aus den Beziehungen zwischen den Konstrukten (Qualitätsdimensionen)<br />
und den beobachtbaren Indikatoren (Statements), die diese messen. Zur Beurteilung<br />
der Eignung werden die Reliabilität der einzelnen Indikatoren und ihrer Konstrukte<br />
sowie die Diskriminanzvalidität anhand verschiedener Gütemaße überprüft (Götz und Liehr-<br />
Gobbers 2004). Für die Inhaltsvalidität existieren keine konkreten Prüfkriterien. Es wird<br />
jedoch eine zufriedenstellende Inhaltsvalidität der verwendeten Statements unterstellt, da<br />
diese bereits in verschiedenen empirischen Untersuchungen überprüft (Brady und Cronin<br />
2001; Gunderson et al. 2009) und hinsichtlich der Besonderheiten von Viehhandelsdienstleistungen<br />
modifiziert wurden.<br />
Tabelle 3.5/4 fasst die Gütemaße des Messmodells zusammen. Die Indikatorreliabilität<br />
(IR) erfasst den Anteil der Varianz eines Indikators, der durch die zugrunde liegende latente<br />
Variable erklärt werden kann (Götz und Liehr-Gobbers 2004). Indikatoren mit einer Ladung<br />
größer als 0,5 werden als signifikant betrachtet (Hair et al. 1998). Items, die ein Konstrukt<br />
abbilden, müssen untereinander stark korrelieren. Diese Konstruktreliabilität wird anhand<br />
der internen Konsistenz (KR) und Cronbach‘s Alpha (CRA) gemessen. Fornell und Larcker<br />
(1981) erachten eine KR ab 0,7 als reliabel, während CRA die Verlässlichkeit des Konstrukts<br />
ab einem Wert von 0,6 und höher aufweist (Nunnally 1978). Die Diskriminanzvalidität wird<br />
anhand der durchschnittlich erfassten Varianz (AVE) und des Fornell-Larcker-Kriteriums<br />
(FLK) überprüft. Die AVE beschreibt die gemeinsam erfasste Varianz zwischen dem Konstrukt<br />
und seinen jeweiligen Indikatoren. Sie sollte größer als 0,5 sein (Chin 1998). Das FLK<br />
ist erfüllt, wenn die Quadratwurzel der AVE eines Konstrukts größer ist als die Korrelation<br />
zwischen allen anderen Konstrukten (Fornell und Larcker 1981). Es wird von einem hinreichend<br />
verlässlichen und validen Messmodell ausgegangen, da die vorliegenden Daten alle<br />
Gütekriterien erfüllen.<br />
153
Tabelle 3.5/4: Gütemaße des Messmodells<br />
Konstrukt Statement/Item IR 1 KR 2 CRA 3 AVE 4<br />
Servicequalität Meine Erfahrungen mit der XY sind durchweg<br />
(SQ)<br />
positiv.<br />
0,835<br />
Das Dienstleistungsangebot der XY entspricht<br />
0,865<br />
meinen Anforderungen.<br />
0,923 0,888 0,749<br />
Der Umfang des Dienstleistungsangebotes der XY ist<br />
hervorragend.<br />
0,864<br />
Die Dienstleistungen der XY sind ausgezeichnet. 0,897<br />
Betreuungsualität<br />
(BQ) hervorragend.<br />
Alles in allem ist die Betreuung durch die Mitarbeiter<br />
1,000 1,000 1,000 1,000<br />
Einstellung und Die Mitarbeiter sind stets freundlich. 0,846<br />
Verhalten der Die Mitarbeiter der XY sind jederzeit hilfsbereit. 0,891<br />
Mitarbeiter Ich fühle mich von den Mitarbeitern jederzeit mit<br />
(EV)<br />
0,838<br />
meinen Anliegen ernst genommen.<br />
0,933 0,911 0,737<br />
Die Mitarbeiter der XY treten sehr professionell auf. 0,850<br />
Ich kann mich darauf verlassen, dass die Mitarbeiter<br />
0,866<br />
Fachwissen der<br />
Mitarbeiter<br />
(FW)<br />
Qualität des<br />
Umfeldes (QU)<br />
Wartezeit (WZ)<br />
Sichtbares<br />
Ergebnis (SE)<br />
Preiszufriedenheit<br />
(PZ)<br />
der XY schnell auf meine Anfragen reagieren.<br />
Meine Ansprechpartner bei der XY sind in der Lage,<br />
auch komplizierte Anfragen gut zu beantworten.<br />
Die Mitarbeiter der XY können bestmöglich für mich<br />
vermarkten, weil sie gut über meine Tiere Bescheid<br />
wissen.<br />
1<br />
Indikatorreliabilität (Indikatorladung); 2 Konstruktreliabilität (interne Konsistenz); 3 Konstruktreliabilität<br />
(Cronbach‘s Alpha); 4 Diskriminanzvalidität (AVE)<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
0,911<br />
0,888<br />
0,894 0,764 0,809<br />
Trotz der Vielzahl an anderen Kunden fühle ich mich<br />
von der XY wertgeschätzt.<br />
1,000 1,000 1,000 1,000<br />
Vereinbarte Liefer- und Abholzeiten werden<br />
eingehalten, so dass ich entsprechend planen kann.<br />
1,000 1,000 1,000 1,000<br />
Durch die Vermarktung über die XY bleibt mir mehr<br />
Zeit für den Betrieb.<br />
0,790<br />
Die Mitarbeiter sind sehr gut telefonisch erreichbar. 0,719 0,823 0,680 0,609<br />
Über die XY bekomme ich genau die<br />
Marktinformationen, die ich benötige.<br />
0,829<br />
Mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis bin ich… 0,953<br />
In der Vergangenheit war ich mit den Preisen, die die 0,946 0,886 0,898<br />
0,942<br />
XY für mich ausgehandelt hat, immer…<br />
154<br />
Ergebnisse des Strukturmodells<br />
Das Strukturmodell stellt die zu überprüfenden Beziehungen im Forschungsmodell dar.<br />
Das Bestimmtheitsmaß R 2 (erklärte Varianz) sowie das Vorzeichen und die Signifikanz der<br />
Pfadkoeffizienten dienen der Beurteilung des Strukturmodells. Der Pfadkoeffizient zeigt<br />
durch Richtung (Vorzeichen) und Stärke (absoluter Wert) den Zusammenhang zwischen zwei<br />
latenten Variablen an. Jede Hypothese des Modells wird durch einen Pfad beschrieben, wobei<br />
die Pfadkoeffizienten wie die standardisierten beta-Werte der Regressionsanalyse interpretiert<br />
werden können. Ihre Signifikanz wird mit Hilfe des Bootstrapping-Verfahrens ermittelt.<br />
Die Varianz der Dienstleistungsqualität kann zu 81% (R 2 =0,811) durch die im Modell<br />
berücksichtigten Konstrukte erklärt werden, wobei die Betreuungsqualität, die Qualität des<br />
Umfeldes, das sichtbare Ergebnis und die Preiszufriedenheit einen signifikanten Einfluss<br />
ausüben (Abb. 3.5/2).<br />
Die Betreuungsqualität hat den höchsten direkten Einfluss auf die Dienstleistungsqualität,<br />
was H1 bestätigt. Die zugeordneten Subdimensionen erklären das Konstrukt Betreuungsqualität<br />
zu 63% (R 2 =0,634). Die zunächst getrennt betrachteten Konstrukte Einstellung
und Verhalten der Mitarbeiter werden im Modell zusammengefasst, da die Indikatoren hoch<br />
korrelieren und demzufolge als ein Konstrukt betrachtet werden. Daher ist eine Bestätigung<br />
der Hypothesen H1a und H1b streng genommen nicht möglich. Allerdings zeigt auch das<br />
fusionierte Konstrukt Einstellung und Verhalten der Mitarbeiter einen signifikanten, positiven<br />
Einfluss auf die Betreuungsqualität. Der signifikante Einfluss des Fachwissens der Mitarbeiter<br />
bestätigt Hypothese H1c.<br />
Abb. 3.5/2: Ergebnis des Strukturmodells zur Dienstleistungsqualität<br />
0,146**<br />
Diensteistungsqualität<br />
2<br />
R = 0,811<br />
0,308*** 0,290***<br />
0,074 n.s. 0,255***<br />
Preiszufriedenheit<br />
Betreuungsqualität<br />
2<br />
R = 0,634<br />
0,494***<br />
0,336***<br />
n.s. nicht signifikant;<br />
*Signifikanzniveau 5%;<br />
**Signifikanzniveau 1%;<br />
***Signifikanzniveau 0,1%<br />
Einstellung und Verhalten<br />
Mitarbeiter<br />
Fachwissen Mitarbeiter<br />
Soziale Faktoren<br />
R² = 0,292<br />
0,540***<br />
Wartezeit<br />
Sichtbares Ergebnis<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Die Qualität des Umfeldes ist nicht in das Modell eingegangen, da die technische Ausstattung<br />
aus Sicht der Landwirte nicht so relevant für die Leistungserbringung ist, während<br />
soziale Faktoren einen signifikanten und positiven Einfluss auf die Dienstleistungsgüte ausüben.<br />
Widerlegt werden müssen daher die Hypothesen H2, H2a und H2b. Soziale Faktoren<br />
wirken jedoch, anders als im Forschungsmodell angenommen, direkt.<br />
Auch die Ergebnisqualität ist nicht im Modell berücksichtigt, da die betreffenden Indikatoren<br />
direkt der Dienstleistungsqualität zugeordnet werden. Die Prüfung direkter Pfade<br />
zwischen Wartezeit und sichtbarem Ergebnis auf die Servicegüte ergibt, dass nur das sichtbare<br />
Ergebnis einen signifikanten Zusammenhang aufweist. Folglich müssen alle Hypothesen<br />
(H3, H3a, H3b) abgelehnt werden. Allerdings wurde ein im ursprünglichen Modell nicht<br />
berücksichtigter Pfad eingeführt, der einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Wartezeit<br />
und dem Umfeld illustriert. Dieser erklärt die Varianz der sozialen Faktoren zu 29%<br />
(R 2 =0,292).<br />
Die Preiszufriedenheit hat einen signifikant positiven Einfluss auf die Dienstleistungsqualität.<br />
Daher ist eine Bestätigung von Hypothese (H4), dass die Dienstleistungsqualität im genossenschaftlichen<br />
Viehhandel umso besser bewertet wird, je höher die Preiszufriedenheit<br />
ausgeprägt ist, möglich.<br />
155
156<br />
Diskussion und Handlungsempfehlungen<br />
Der vorliegende Beitrag erfasst den Status Quo der Dienstleistungsqualität im genossenschaftlichen<br />
Viehhandel und illustriert wichtige Einflussgrößen, die auf die Servicegüte<br />
wirken. Diese können von den Unternehmen als Ansatzpunkte verstanden werden, um das<br />
bereits erreichte gute Ergebnis noch weiter zu verbessern.<br />
Als eine Stärke der EZGs und VVGs hat sich die Betreuungsqualität erwiesen. Dies ist<br />
vor dem Hintergrund, dass die Betreuungsqualität den höchsten Einfluss auf die Dienstleistungsqualität<br />
hat, sehr bedeutsam. Die Mitarbeiter sind von den Landwirten als freundlich<br />
und hilfsbereit bewertet worden, ihr Verhalten wirkt professionell und ist durch zügige Reaktionen<br />
auf Anfragen gekennzeichnet. Das ist im Hinblick auf die wahrgenommene Dienstleistungsqualität<br />
der EZGs und VVGs positiv zu bewerten, da die Qualität der eigentlichen<br />
Dienstleistung aufgrund der mangelnden sinnlichen Wahrnehmung nicht am Produkt selbst,<br />
sondern an der Beziehung Kunde-Mitarbeiter manifestiert wird (Peters 1991).<br />
Einen besonderen Einfluss auf die Bewertung der Betreuungsqualität und damit indirekt<br />
die Servicegüte haben die Einstellung und das Verhalten der Mitarbeiter. Diese wirken sogar<br />
stärker als das Fachwissen. Die Mitarbeiter können durch Weiterbildungsmaßnahmen einen<br />
aktiven Beitrag zur Erhöhung der Dienstleistungsqualität leisten. Dabei ist zu berücksichtigen,<br />
dass sie nicht nur in fachlicher, sondern insbesondere hinsichtlich der sog. Soft Skills<br />
geschult werden sollten, um den Landwirten Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft zu vermitteln.<br />
Dieses Ergebnis untermauert zudem Erkenntnisse von Grönroos (1985), der der funktionalen<br />
Qualität (wie?) eine höhere Bedeutung <strong>zum</strong>isst als der technischen Qualität (was?).<br />
Soziale Faktoren üben den zweithöchsten Einfluss auf die Beurteilung der Dienstleistungsgüte<br />
aus. Insbesondere die Wertschätzung der einzelnen Lieferanten spielt hierbei eine<br />
Rolle. Auch an dieser Stelle ist die soziale Kompetenz von Mitarbeitern und der Geschäftsführung<br />
gefordert, um den Landwirten diese Wertschätzung entgegen zu bringen. Dabei<br />
ist auch der Zusammenhang zwischen der Wartezeit und sozialen Faktoren hilfreich, denn<br />
obgleich die Pünktlichkeit keinen direkten Einfluss auf die Dienstleistungsqualität ausübt,<br />
wirkt sie sich signifikant positiv auf die sozialen Faktoren aus. Auch in anderen Branchen<br />
wurde die Wechselwirkung von Wartezeiten und Zufriedenheit bereits analysiert (Tom und<br />
Lucey 1995). Kunden, die lange warten müssen, fühlen sich offensichtlich nicht ernst genommen.<br />
Das bedeutet, dass eine Optimierung von Prozessen (z.B. Tourenplanung) eine<br />
weitere Stellschraube für die Erhöhung der Servicegüte darstellt. Zudem ist es vorteilhaft,<br />
dass ein eher „weicher“ Faktor wie Wertschätzung durch eine konkrete Prozessverbesserung<br />
beeinflussbar ist.<br />
Ein weiterer Aspekt ist das sichtbare Ergebnis. Es beschreibt die Zeitersparnis und die<br />
Marktinformationen, die für den Landwirt aus der Zusammenarbeit resultieren. Landwirte<br />
schätzen die Arbeitsentlastung durch die Kooperation ebenso wie auf sie zugeschnittene<br />
Marktinformationen. Daher existieren hier Handlungsmöglichkeiten für die genossenschaftliche<br />
Viehvermarktung (z.B. schnelle, exklusive Informationen für die Kunden), allerdings ist<br />
der Faktor sichtbares Ergebnis (mehr Zeit, „gefühlter“ Informationsvorsprung der Landwirte)<br />
im Gegensatz zu den Mitarbeitern und den Unternehmensprozessen nur mittelbar zu beeinflussen.<br />
Gleiches gilt für die Preiszufriedenheit, denn EZG/VVG können nur begrenzt auf die Auszahlungspreise<br />
einwirken. Preiszufriedenheit wirkt im Vergleich zu den übrigen Dimensionen<br />
schwächer auf die Dienstleistungsqualität. Da die Preiszufriedenheit jedoch nicht nur durch<br />
den gezahlten Preis, sondern auch durch Preisnebenleistungen, wie z.B. Transparenz und<br />
Fairness beeinflusst wird, können sich Verbesserung auf diesem Gebiet indirekt auch auf die<br />
Bewertung der Servicegüte niederschlagen (Diller 2000).
Mit der vorliegenden Studie wurde die Dienstleistungsqualität im Viehhandel erstmals<br />
erfasst. Das identifizierte Modell illustriert, dass branchenspezifische Anpassungen der Modelle<br />
erforderlich sind und kein übergreifendes Konzept existiert (vgl. Gunderson et al. 2009;<br />
Martínez und Martínez 2010). Einschränkend ist zu erwähnen, dass ausschließlich Kunden<br />
des genossenschaftlichen Viehhandels untersucht wurden und sich die Berücksichtigung der<br />
Landwirte, die mit privaten Händlern arbeiten, auf die Ergebnisse auswirkt. Allerdings ist<br />
nicht davon auszugehen, dass sich die Wirkungsrichtungen der Einflussgrößen verändern.<br />
Zudem bedarf es weiterer Studien, um zu ermitteln, welche Bedeutung die Landwirte der<br />
Dienstleistungsqualität beimessen und welche Erwartungen sie zukünftig an die Unternehmen<br />
stellen.<br />
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