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ead bull<br />
Einmal wachte ich neben ihm auf und erkannte, dass wir<br />
im falschen Hotel waren. Als ich ihn darauf hinwies, lallte<br />
er nur lachend: „Same same but …“ – und kippte wieder<br />
zur Seite.<br />
I<br />
ch verstand, dass ich ein ernsthaftes Problem hatte.<br />
Das heißt, mein Vater hatte eines, und das machte es<br />
zu meinem Problem. Aber ich fand die Lösung nicht.<br />
Meinen Vorschlag, sofort abzureisen, nach Europa zurückzukehren,<br />
schmetterte er ab. Ich erwog, allein zu fliegen,<br />
aber genauso gut hätte ich ihm eine geladene Waffe auf<br />
den Schoß legen können.<br />
Einige Tage herrschte trügerische Ruhe. Er ließ sich<br />
von mir umherschieben, redete stundenlang mit diesen<br />
undurchsichtigen Typen, es schien um Geschäfte zu gehen,<br />
aber ich wollte nicht mehr wissen. Hauptsache, er blieb<br />
einigermaßen bei Verstand. Und er blieb es fast eine<br />
Woche. Ich dachte schon, er hätte sich gefangen und die<br />
Geburtstagsfeierlichkeiten näherten sich einem Ende.<br />
„Jetzt zu Zakai.“<br />
Er wies in Richtung einer Bar auf der anderen Straßenseite.<br />
Es war die zehnte Bar des Tages, obwohl es noch nicht<br />
einmal Mittag war. Ich rollte ihn hinüber, wobei ich mich<br />
am Rollstuhl festhalten musste, ich vertrage keinen Schnaps<br />
bei Temperaturen jenseits der 35 Grad. Mein Vater merkte<br />
es und lachte mich aus.<br />
Auch im „Drunken Ship“, wie die neue Bar hieß,<br />
kannte er den Besitzer. Sie unterhielten sich eine Weile auf<br />
Thai, dann stellte die Kellnerin zwei Cocktails vor uns auf<br />
den Tisch.<br />
„Was ist das?“, fragte ich.<br />
„Funny drinks“, sagte mein Vater und lachte.<br />
Er prostete mir zu. Wir tranken. Mein Drink schmeckte<br />
abscheulich.<br />
„Was ist denn das Widerliches?“, fragte ich und stellte<br />
das Glas weg.<br />
„Bist du verrückt?“, rief mein Vater. „Erstens schmeckt<br />
das sehr gut, zweitens beleidigst du Zakai, wenn du nicht<br />
trinkst. Los, runter damit.“<br />
„Das schmeckt nach totem Hund! Ich trinke das ganz<br />
bestimmt nicht.“<br />
„Das trinkst du! Außerdem habe ich Geburtstag.“<br />
„Du hattest Geburtstag.“<br />
„Ich habe so lange Geburtstag, wie ich will.“<br />
Ich nahm wieder einen Schluck, noch einen, noch<br />
einen, dann wurde mir komisch zumute.<br />
„Ich muss zum Arzt“, sagte ich.<br />
„Wieso?“<br />
„Weil der Himmel zittert und Krokodile herausfallen.“<br />
„Das sind nur die Pilze.“<br />
„Welche Pilze?“<br />
„Die in den Drinks. Funny drinks nennt man die hier.<br />
Das sind passierte Magic Mushrooms.“<br />
Der Trip dauerte sechs oder acht Stunden. Sechs oder<br />
Es sind noch andere<br />
Dinge vorgefallen, ich<br />
erinnere mich wie gesagt<br />
nicht an alles.<br />
acht Stunden mit grauenhaften Halluzinationen. Hinterher<br />
erklärte mir einer der Barkeeper, die hiesigen Drogen<br />
machten allesamt nur „good vibes“, „very positive“, aber<br />
davon merkte ich wenig. Ich hasse psychedelische Drogen,<br />
ich habe mich immer geweigert, diesen hirnzerfressenden<br />
Dreck zu nehmen.<br />
Zwei Tage redete ich mit meinem Vater kein Wort.<br />
Ich werde nicht gern vergiftet. Dann sah ich, wie er am Pier<br />
mit seinem Rollstuhl Vollgas gab, eine Flasche Champagner<br />
schwingend, und unter fröhlichem Gejodel ins Meer stürzte.<br />
Ich fischte ihn raus, wobei mir einige Thais halfen, die<br />
danach den Rollstuhl bargen. Ich brachte meinen Vater<br />
zurück in sein Hotelzimmer, wo ich zu meiner Überraschung<br />
eine schöne Frau antraf, die mir half, ihn ins Bett<br />
zu stecken. Während ich mich um eine Flasche Wasser für<br />
ihn kümmerte, ging sie unter die Dusche, und als sie nackt<br />
zurückkam, stellte ich fest, dass es sich um einen Ladyboy<br />
handelte. Auch für meinen Vater, der kurz aus seinem<br />
Koma erwachte, schien dieser Anblick neu zu sein, denn er<br />
lachte und murmelte: „Same same …“<br />
Es sind noch andere Dinge vorgefallen, ich erinnere<br />
mich wie gesagt nicht an alles. Ich habe seit zwei<br />
Wochen Fieber, und der Schnaps hilft ebenso wenig<br />
wie die Antibiotika. Ich denke über meinen Vater nach und<br />
über mich. Wir haben nie viel miteinander geredet. Im<br />
Grunde kennen wir uns nicht. Ich kenne ihn überhaupt<br />
nicht, merke ich. Aber ich kenne mich ja auch nicht.<br />
Ich sollte zurück nach Europa fliegen. Ich habe viel zu<br />
tun. Mir fehlt die Energie. Es ist zu heiß. Ich verliere mich<br />
in dieser Hitze.<br />
Ich schreibe dies auf der guten Insel. Mein Vater ist<br />
noch auf der anderen. Ich fahre morgen wieder hinüber.<br />
Ich versuche, ein guter Sohn zu sein.<br />
Read Bull<br />
Lesevergnügen im <strong>Red</strong> <strong>Bulletin</strong>: Jeden Monat<br />
widmet ein namhafter Autor unseren Lesern<br />
eine Kurzgeschichte. Diesmal Thomas Glavinic –<br />
aktuelles Buch „Meine Schreibmaschine und ich“,<br />
Hanser Verlag –, der uns nach Thailand entführt.<br />
96 the red bulletin