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The Red Bulletin August 2014 - DE

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ead bull<br />

Einmal wachte ich neben ihm auf und erkannte, dass wir<br />

im falschen Hotel waren. Als ich ihn darauf hinwies, lallte<br />

er nur lachend: „Same same but …“ – und kippte wieder<br />

zur Seite.<br />

I<br />

ch verstand, dass ich ein ernsthaftes Problem hatte.<br />

Das heißt, mein Vater hatte eines, und das machte es<br />

zu meinem Problem. Aber ich fand die Lösung nicht.<br />

Meinen Vorschlag, sofort abzureisen, nach Europa zurückzukehren,<br />

schmetterte er ab. Ich erwog, allein zu fliegen,<br />

aber genauso gut hätte ich ihm eine geladene Waffe auf<br />

den Schoß legen können.<br />

Einige Tage herrschte trügerische Ruhe. Er ließ sich<br />

von mir umherschieben, redete stundenlang mit diesen<br />

undurchsichtigen Typen, es schien um Geschäfte zu gehen,<br />

aber ich wollte nicht mehr wissen. Hauptsache, er blieb<br />

einigermaßen bei Verstand. Und er blieb es fast eine<br />

Woche. Ich dachte schon, er hätte sich gefangen und die<br />

Geburtstagsfeierlichkeiten näherten sich einem Ende.<br />

„Jetzt zu Zakai.“<br />

Er wies in Richtung einer Bar auf der anderen Straßenseite.<br />

Es war die zehnte Bar des Tages, obwohl es noch nicht<br />

einmal Mittag war. Ich rollte ihn hinüber, wobei ich mich<br />

am Rollstuhl festhalten musste, ich vertrage keinen Schnaps<br />

bei Temperaturen jenseits der 35 Grad. Mein Vater merkte<br />

es und lachte mich aus.<br />

Auch im „Drunken Ship“, wie die neue Bar hieß,<br />

kannte er den Besitzer. Sie unterhielten sich eine Weile auf<br />

Thai, dann stellte die Kellnerin zwei Cocktails vor uns auf<br />

den Tisch.<br />

„Was ist das?“, fragte ich.<br />

„Funny drinks“, sagte mein Vater und lachte.<br />

Er prostete mir zu. Wir tranken. Mein Drink schmeckte<br />

abscheulich.<br />

„Was ist denn das Widerliches?“, fragte ich und stellte<br />

das Glas weg.<br />

„Bist du verrückt?“, rief mein Vater. „Erstens schmeckt<br />

das sehr gut, zweitens beleidigst du Zakai, wenn du nicht<br />

trinkst. Los, runter damit.“<br />

„Das schmeckt nach totem Hund! Ich trinke das ganz<br />

bestimmt nicht.“<br />

„Das trinkst du! Außerdem habe ich Geburtstag.“<br />

„Du hattest Geburtstag.“<br />

„Ich habe so lange Geburtstag, wie ich will.“<br />

Ich nahm wieder einen Schluck, noch einen, noch<br />

einen, dann wurde mir komisch zumute.<br />

„Ich muss zum Arzt“, sagte ich.<br />

„Wieso?“<br />

„Weil der Himmel zittert und Krokodile herausfallen.“<br />

„Das sind nur die Pilze.“<br />

„Welche Pilze?“<br />

„Die in den Drinks. Funny drinks nennt man die hier.<br />

Das sind passierte Magic Mushrooms.“<br />

Der Trip dauerte sechs oder acht Stunden. Sechs oder<br />

Es sind noch andere<br />

Dinge vorgefallen, ich<br />

erinnere mich wie gesagt<br />

nicht an alles.<br />

acht Stunden mit grauenhaften Halluzinationen. Hinterher<br />

erklärte mir einer der Barkeeper, die hiesigen Drogen<br />

machten allesamt nur „good vibes“, „very positive“, aber<br />

davon merkte ich wenig. Ich hasse psychedelische Drogen,<br />

ich habe mich immer geweigert, diesen hirnzerfressenden<br />

Dreck zu nehmen.<br />

Zwei Tage redete ich mit meinem Vater kein Wort.<br />

Ich werde nicht gern vergiftet. Dann sah ich, wie er am Pier<br />

mit seinem Rollstuhl Vollgas gab, eine Flasche Champagner<br />

schwingend, und unter fröhlichem Gejodel ins Meer stürzte.<br />

Ich fischte ihn raus, wobei mir einige Thais halfen, die<br />

danach den Rollstuhl bargen. Ich brachte meinen Vater<br />

zurück in sein Hotelzimmer, wo ich zu meiner Überraschung<br />

eine schöne Frau antraf, die mir half, ihn ins Bett<br />

zu stecken. Während ich mich um eine Flasche Wasser für<br />

ihn kümmerte, ging sie unter die Dusche, und als sie nackt<br />

zurückkam, stellte ich fest, dass es sich um einen Ladyboy<br />

handelte. Auch für meinen Vater, der kurz aus seinem<br />

Koma erwachte, schien dieser Anblick neu zu sein, denn er<br />

lachte und murmelte: „Same same …“<br />

Es sind noch andere Dinge vorgefallen, ich erinnere<br />

mich wie gesagt nicht an alles. Ich habe seit zwei<br />

Wochen Fieber, und der Schnaps hilft ebenso wenig<br />

wie die Antibiotika. Ich denke über meinen Vater nach und<br />

über mich. Wir haben nie viel miteinander geredet. Im<br />

Grunde kennen wir uns nicht. Ich kenne ihn überhaupt<br />

nicht, merke ich. Aber ich kenne mich ja auch nicht.<br />

Ich sollte zurück nach Europa fliegen. Ich habe viel zu<br />

tun. Mir fehlt die Energie. Es ist zu heiß. Ich verliere mich<br />

in dieser Hitze.<br />

Ich schreibe dies auf der guten Insel. Mein Vater ist<br />

noch auf der anderen. Ich fahre morgen wieder hinüber.<br />

Ich versuche, ein guter Sohn zu sein.<br />

Read Bull<br />

Lesevergnügen im <strong>Red</strong> <strong>Bulletin</strong>: Jeden Monat<br />

widmet ein namhafter Autor unseren Lesern<br />

eine Kurzgeschichte. Diesmal Thomas Glavinic –<br />

aktuelles Buch „Meine Schreibmaschine und ich“,<br />

Hanser Verlag –, der uns nach Thailand entführt.<br />

96 the red bulletin

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