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„Seth! Seth!“ Zwei hübsche<br />
Frauen fallen ihm zur Begrüßung<br />
um den Hals. Der US-DJ<br />
sieht erschöpft aus, obwohl<br />
sein Set erst in einer Stunde<br />
beginnt. Wie plant man einen<br />
Gig um 10.30 Uhr? Schläft<br />
man vor oder gleich gar nicht?<br />
„Letzteres. Ich komme direkt<br />
vom Flughafen. Vor ein paar<br />
Stunden hab ich noch bei<br />
einem Festival in Amsterdam<br />
aufgelegt.“<br />
11:45<br />
Laut Plan hätten Marcel Dettmann<br />
und Ben Klock schon vor<br />
zwei Stunden abdrehen sollen.<br />
Die beiden Stamm-DJs aus<br />
Berlins legendärem Club Berghain<br />
schwitzen seit elf Stunden<br />
hinter den Plattenspielern<br />
in Raum 2. Als Abschlussnummer<br />
spielen sie „Idioteque“<br />
von Radiohead. Als Dettmann<br />
von der Kanzel steigt, wirkt er<br />
erstaunlich frisch. „Die ersten<br />
drei Stunden haben sich etwas<br />
gezogen, aber dann ist die Zeit<br />
verflogen“, sagt er. War das<br />
heute das längste Set seiner<br />
80 <br />
Karriere? „Nein. Im Berghain<br />
hab ich einmal 16 Stunden am<br />
Stück gespielt.“ Die Dienstwoche<br />
ist für ihn noch nicht<br />
zu Ende. In drei Stunden geht<br />
sein Flieger nach Amsterdam,<br />
weiter zur nächsten Party.<br />
14:00<br />
Halbzeit. 15 Stunden Party<br />
sind geschafft, Zeit zu verschnaufen:<br />
Drei junge Frauen<br />
machen auf den Lederfutons<br />
in Raum 2 Yoga-Übungen. In<br />
Raum 1 hockt eine Gruppe<br />
junger Männer an der Wand,<br />
wie Embryos, Beine angewinkelt,<br />
Kopf zwischen den Knien.<br />
Einer von ihnen ist Oliver<br />
Bourke. Seine Augen sind<br />
klein und rot. Er muss nicht<br />
erwähnen, dass er vergessen<br />
hat, Deo-Spray in seine Tasche<br />
zu packen. Er ist entschlossen<br />
durchzuhalten. „200.000<br />
Bass-Drum-Schläge“, murmelt<br />
er. „Ich hab’s mir ausgerechnet.<br />
30 Stunden Techno. Das<br />
bedeutet zirka 200.000 Bass-<br />
Drum-Schläge. Ich will keinen<br />
einzigen verpassen.“<br />
16:05<br />
Wie stärkt man sich beim<br />
Party-Marathon, wenn man<br />
den Club nicht verlassen will?<br />
Im Raucherhof gibt’s einen<br />
Pizza-Truck. An die 100 Pizzas<br />
hat der Koch mit gezwirbeltem<br />
Schnurrbart in den letzten<br />
drei Stunden gebacken. Der<br />
Bestseller bislang: „Smokey<br />
Seth“ mit würzigen Schweinefleischstreifen<br />
und scharfer<br />
Jalapeño-Salsa-Sauce, nach<br />
einem Rezept Seth Troxlers.<br />
„Deftige Kost“, sagt der Koch<br />
beim Anblick von Bourke.<br />
„Vielleicht nimmst du besser<br />
ein Stück Margherita, das verträgt<br />
der Magen leichter.“<br />
19:00<br />
Ein Pharao mit Dreadlocks<br />
und Sonnenbrille schleppt<br />
Pappkartons auf die Tanzfläche.<br />
Der Inhalt: Perücken in<br />
allen Farben der Geschmacksverweigerung,<br />
Bauarbeiterhelme,<br />
Pferdemasken, Zwergmützen,<br />
Priesterkutten,<br />
Riesenschnuller. Eine Geburtstagstradition<br />
im Fabric:<br />
Es ist die einzige Nacht des<br />
Jahres, in der Kostüme im<br />
Club erwünscht sind. Die kleine<br />
Geste hat großen Effekt:<br />
Binnen weniger Minuten<br />
drängen sich die Gäste wie<br />
kleine Kinder um die Kisten<br />
und kramen darin. Die Müdigkeit<br />
des Nachmittags ist wie<br />
verflogen. Normski steckt in<br />
einem engen roten Cocktailkleid,<br />
sein Oberkörper glänzt<br />
vor Schweiß. Er schreit mit<br />
heiserer Stimme: „Ich brauch<br />
noch eine Perücke, gebt mir<br />
eine Perücke!“<br />
„30 STUN<strong>DE</strong>N TECHNO. DAS BE<strong>DE</strong>UTET<br />
200.000 BASS-DRUM-SCHLÄGE. UND<br />
ICH WILL KEINEN VERPASSEN.“