09.06.2015 Aufrufe

The Red Bulletin Januar 2015 - DE

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„Seth! Seth!“ Zwei hübsche<br />

Frauen fallen ihm zur Begrüßung<br />

um den Hals. Der US-DJ<br />

sieht erschöpft aus, obwohl<br />

sein Set erst in einer Stunde<br />

beginnt. Wie plant man einen<br />

Gig um 10.30 Uhr? Schläft<br />

man vor oder gleich gar nicht?<br />

„Letzteres. Ich komme direkt<br />

vom Flughafen. Vor ein paar<br />

Stunden hab ich noch bei<br />

einem Festival in Amsterdam<br />

aufgelegt.“<br />

11:45<br />

Laut Plan hätten Marcel Dettmann<br />

und Ben Klock schon vor<br />

zwei Stunden abdrehen sollen.<br />

Die beiden Stamm-DJs aus<br />

Berlins legendärem Club Berghain<br />

schwitzen seit elf Stunden<br />

hinter den Plattenspielern<br />

in Raum 2. Als Abschlussnummer<br />

spielen sie „Idioteque“<br />

von Radiohead. Als Dettmann<br />

von der Kanzel steigt, wirkt er<br />

erstaunlich frisch. „Die ersten<br />

drei Stunden haben sich etwas<br />

gezogen, aber dann ist die Zeit<br />

verflogen“, sagt er. War das<br />

heute das längste Set seiner<br />

80 <br />

Karriere? „Nein. Im Berghain<br />

hab ich einmal 16 Stunden am<br />

Stück gespielt.“ Die Dienstwoche<br />

ist für ihn noch nicht<br />

zu Ende. In drei Stunden geht<br />

sein Flieger nach Amsterdam,<br />

weiter zur nächsten Party.<br />

14:00<br />

Halbzeit. 15 Stunden Party<br />

sind geschafft, Zeit zu verschnaufen:<br />

Drei junge Frauen<br />

machen auf den Lederfutons<br />

in Raum 2 Yoga-Übungen. In<br />

Raum 1 hockt eine Gruppe<br />

junger Männer an der Wand,<br />

wie Embryos, Beine angewinkelt,<br />

Kopf zwischen den Knien.<br />

Einer von ihnen ist Oliver<br />

Bourke. Seine Augen sind<br />

klein und rot. Er muss nicht<br />

erwähnen, dass er vergessen<br />

hat, Deo-Spray in seine Tasche<br />

zu packen. Er ist entschlossen<br />

durchzuhalten. „200.000<br />

Bass-Drum-Schläge“, murmelt<br />

er. „Ich hab’s mir ausgerechnet.<br />

30 Stunden Techno. Das<br />

bedeutet zirka 200.000 Bass-<br />

Drum-Schläge. Ich will keinen<br />

einzigen verpassen.“<br />

16:05<br />

Wie stärkt man sich beim<br />

Party-Marathon, wenn man<br />

den Club nicht verlassen will?<br />

Im Raucherhof gibt’s einen<br />

Pizza-Truck. An die 100 Pizzas<br />

hat der Koch mit gezwirbeltem<br />

Schnurrbart in den letzten<br />

drei Stunden gebacken. Der<br />

Bestseller bislang: „Smokey<br />

Seth“ mit würzigen Schweinefleischstreifen<br />

und scharfer<br />

Jalapeño-Salsa-Sauce, nach<br />

einem Rezept Seth Troxlers.<br />

„Deftige Kost“, sagt der Koch<br />

beim Anblick von Bourke.<br />

„Vielleicht nimmst du besser<br />

ein Stück Margherita, das verträgt<br />

der Magen leichter.“<br />

19:00<br />

Ein Pharao mit Dreadlocks<br />

und Sonnenbrille schleppt<br />

Pappkartons auf die Tanzfläche.<br />

Der Inhalt: Perücken in<br />

allen Farben der Geschmacksverweigerung,<br />

Bauarbeiterhelme,<br />

Pferdemasken, Zwergmützen,<br />

Priesterkutten,<br />

Riesenschnuller. Eine Geburtstagstradition<br />

im Fabric:<br />

Es ist die einzige Nacht des<br />

Jahres, in der Kostüme im<br />

Club erwünscht sind. Die kleine<br />

Geste hat großen Effekt:<br />

Binnen weniger Minuten<br />

drängen sich die Gäste wie<br />

kleine Kinder um die Kisten<br />

und kramen darin. Die Müdigkeit<br />

des Nachmittags ist wie<br />

verflogen. Normski steckt in<br />

einem engen roten Cocktailkleid,<br />

sein Oberkörper glänzt<br />

vor Schweiß. Er schreit mit<br />

heiserer Stimme: „Ich brauch<br />

noch eine Perücke, gebt mir<br />

eine Perücke!“<br />

„30 STUN<strong>DE</strong>N TECHNO. DAS BE<strong>DE</strong>UTET<br />

200.000 BASS-DRUM-SCHLÄGE. UND<br />

ICH WILL KEINEN VERPASSEN.“

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