Festschrift-Helmholtz-Gemeinschaft-web
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Die <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong> in historischer Perspektive<br />
16<br />
Das ursprüngliche Hauptgebäude des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung<br />
in Bremerhaven. Foto: Alfred-Wegener-Institut/M. Buchholz<br />
Gesellschaft für Biotechnologische Forschung, Braunschweig, 1965. Foto: GBF/HZI<br />
der Forschungsergebnisse auf Messen und die Spitzengespräche<br />
zwischen Industrie und Großforschung zur Abstimmung der<br />
jeweiligen Aktivitäten sind in diesem Kontext zu sehen. 22<br />
Nicht nur die Industrie, auch der Staat monierte immer wieder<br />
die mangelnde Flexibilität der Großforschung. Allerdings war das<br />
Tempo der Veränderungen der politisch-programmatischen Konzepte<br />
hoch. In der Ära Brandt (1969–1974) waren Forschungen<br />
zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Verhinderung sozialer<br />
und ökologischer Konsequenzen des industriellen Wachstums<br />
gefragt. Es folgte eine Phase, in der Forschung als wirtschaftliche<br />
Strukturpolitik definiert wurde. Die Großforschung<br />
wurde für allgemeinpolitische Ziele instrumentalisiert, was sich<br />
unter anderem in der Übernahme einer Vielzahl von Projektträgerschaften<br />
niederschlug. Nach der politischen „Wende“ in den<br />
frühen 1980er Jahren sollte sich die Forschung wieder vermehrt<br />
an den unmittelbaren Bedürfnissen der Wirtschaft orientieren.<br />
Dabei wurden aus Kreisen der Wirtschaft zuweilen sogar Forderungen<br />
laut, die Großforschung zur verlängerten Werkbank der<br />
Industrie zu machen, was indes in trauter Eintracht sowohl<br />
von der Wissenschaft als auch von politischer Seite als ein allzu<br />
dreistes Ansinnen zurückgewiesen wurde.<br />
Der Aufstieg neuer Forschungsfelder in den 1970er und 1980er<br />
Jahren schlug sich kaum in der Gründung weiterer Groß forschungszentren<br />
nieder: die Gesellschaft für Biotechnologische<br />
Forschung (GBF, 1976) in Braunschweig und das Alfred- Wegener-<br />
I nstitut für Polar- und Meeresforschung (AWI, 1980) in Bremerhaven<br />
sind die Ausnahme. Vielmehr sticht die Diversifizierung<br />
der etablierten Einrichtungen ins Auge. Mit Ausnahme der<br />
grundlagenorientierten, in ihrem Aufgabenbereich fest umrissenen<br />
Zentren DESY, HMI und IPP übernahm die Großforschung<br />
in Anpassung an den gesellschaftlichen Wandel weitere Forschungsaufgaben:<br />
neue Materialien, Gesundheit, Klima<br />
und Umwelt, alternative Energien, Sicherheit und Verkehr, Biound<br />
Gentechnologie sowie Lebenswissenschaften, Informationsund<br />
Kommunikationstechnik sind die Felder, in die sich die<br />
Zentren – nicht selten in völliger Ablösung von ihrer noch im<br />
Gesellschaftsnamen verankerten Gründungsidee – hineinbegaben.<br />
Nicht wenige Großforschungszentren drohten als<br />
„Gemischt warenläden“ jedes Profil zu verlieren, eine Tendenz,<br />
der sie zum Ende der 1980er Jahre durch die Bildung von<br />
Arbeitsschwerpunkten wieder entgegenzusteuern versuchten. 23<br />
Auf einigen Feldern der Großforschung sah sich nicht einmal<br />
mehr der Bund in der Lage, die riesigen Kosten der Forschung<br />
zu schultern; hier war Europa gefragt. Der Beschluss der führenden<br />
westeuropäischen Staaten, 1954 in der Nähe von Genf<br />
mit dem Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire (CERN)<br />
in Meyrin bei Genf ein gemeinsames Zentrum für Kern- und<br />
Elementarteilchenforschung aufzubauen, markiert den Beginn<br />
des Europas der Forschung. Aus der Retrospektive des Historikers<br />
lässt sich festhalten, dass gerade die staatenübergreifende<br />
Kooperation von Wissenschaftlern und Ingenieuren in wissenschaftlich-technischen<br />
Großprojekten das Zusammenwachsen<br />
Europas gleichsam aus der europäischen Gesellschaft heraus<br />
maßgeblich befördert hat. Diese „verdeckte Integration“ fußte<br />
freilich auf einer Kultur europäischer Wissenschaftskooperation,<br />
die bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhundert zurückreicht. 24<br />
Seit seiner Gründung gilt das CERN als Referenz für so gut wie<br />
alle Bestrebungen, transnational organisierte Großforschungseinrichtungen<br />
in Europa zu gründen. Als über den nationalen<br />
Interessen stehendes, allein den Zielen der Wissenschaft dienendes<br />
Zentrum wird es stets von neuem als Modell interessenungebundener<br />
Forschung stilisiert. Für Wolfgang Gentner etwa,