62 Prof. Dr. Jürgen Mlynek ist von 2005 bis 2015 Präsident der <strong>Helmholtz</strong>-Gemein schaft. Der Physiker lehrte und forschte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und der Uni versität Konstanz. Von 1996 bis 2001 war er Vizepräsident der Deutschen Forschungs gemeinschaft, von 2000 bis 2005 Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preisträger und wurde 2010 mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienst ordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
GESPRÄCH MIT JÜRGEN MLYNEK ÜBER SEINE ZEIT ALS PRÄSIDENT DER HELMHOLTZ-GEMEINSCHAFT DEUTSCHER FORSCHUNGSZENTREN VON 2005 BIS 2015 Herr Mlynek, als Sie 2005 Präsident der <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong> wurden, kamen Sie von der Humboldt-Universität. Worin unterschieden sich Universität und Forschungs organisation? Jürgen Mlynek ln der <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong> herrschte mehr Strategie- und Entscheidungsfähigkeit, mehr Umsetzungsstärke. Man konnte stärker darauf vertrauen, dass wirklich das beste Sachargument zählt, was in einer Gruppenuniversität mit sehr unterschiedlichen Partikularinteressen nicht immer der Fall war und ist. Sicher kam hinzu, dass das Themenspektrum der <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong> dichter an dem dran war, was mich als Naturwissenschaftler fachlich interessiert. Schließlich war es auch die Größe der Aufgabe, die mich reizte, da ich schon immer ein Freund von „groß denken, groß handeln“ war. Damals verfügten wir über einen Haushalt von rund 2,5 Milliarden Euro, was schon zu dieser Zeit eine große Summe war. Jetzt haben wir einen 3,9 Milliarden-Euro-Jahreshaushalt. Ich hatte das Gefühl – <strong>Helmholtz</strong> war ja noch nicht so bekannt, auch nicht als Marke –, dass diese Forschungsorganisation großes Potenzial besitzt, einen besonderen Beitrag zum Forschungsstandort und auch zum Wirtschaftsstandort Deutschland zu leisten. Von daher gab es wirkliche Gestaltungsspielräume, nicht nur finanzieller Art, die ich an der Universität so nicht kannte. Dort gab es Spardiktate der Landespolitik mit der Notwendigkeit, damit verbundene einschneidende Strukturmaßnahmen zu realisieren. Da gegen stand bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu der Zeit bereits der erste Pakt für Forschung und Innovation an mit für fünf Jahre gesicherten Jahresbudgets und einem dreiprozentigen Mittelaufwuchs pro Jahr, eine im Vergleich zu den Universitäten geradezu paradiesische Situation. Ernüchternd war, als ich feststellen musste, dass ich bei <strong>Helmholtz</strong> endgültig in der Welt der Erwachsenen angekommen war. Das heißt, der unmittelbare Kontakt mit Studierenden und jungen Leuten fehlte mir nun. Das war etwas, woran ich mich gewöhnen musste. Und wie würden Sie die Atmosphäre damals, die Stimmung in der <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong> beschreiben? Jürgen Mlynek Neugierig, abwartend, teilweise auch skeptisch, aber … erwartungsvoll wohlwollend. Schließlich hatten mich die Mitglieder ja einstimmig gewählt. Wohlwollend? Jürgen Mlynek Ja, erwartungsvoll wohlwollend. Die Frage stand im Raum, in welche Richtung <strong>Helmholtz</strong> sich als <strong>Gemeinschaft</strong> weiterentwickeln sollte. Die auf Empfehlung des Wissenschaftsrats 2001 von der Bundespolitik beschlossene <strong>Helmholtz</strong>-Reform lag noch nicht lange zurück. Die erste Runde der Programmorientierten Förderung war zwar gelaufen, wurde aber in der <strong>Gemeinschaft</strong> nach wie vor skeptisch beurteilt. Von daher gab es Offenheit für einen Präsidenten, der als ausgewiesener Wissen schaftler von außen kam und einen frischen Blick auf die <strong>Gemeinschaft</strong> werfen konnte. Zudem erkannte die <strong>Gemeinschaft</strong>, dass die Kooperationen mit den Universitäten gestärkt werden mussten, was ja auch eine Absicht der <strong>Helmholtz</strong>-Reform war. Die Wahl eines auch im Kampf mit der Politik erprobten Universitätspräsidenten war daher aus meiner damaligen Sicht fest mit der Erwartung der <strong>Helmholtz</strong>-Zentren verbunden, dass das der Organisation am Ende vielleicht ganz guttun würde. Welche Herausforderungen standen vor der <strong>Gemeinschaft</strong>? Jürgen Mlynek Die Mission der <strong>Helmholtz</strong>-<strong>Gemeinschaft</strong> hat mich von Anfang an überzeugt: Das ist heute übrigens mehr denn je so. Mir war aber relativ schnell klar, dass wir die wissenschaftlichen Inhalte unserer Arbeit noch stärker in den Vordergrund stellen mussten. Also die Frage: Haben wir eigentlich die richtigen Themen, nicht zuletzt unter strategischen Gesichtspunkten? Und dann die Qualitätsfrage: Wie stehen wir mit unserer Forschung da, und zwar nicht nur im nationalen, sondern auch im internationalen Vergleich. Verfügen wir über die entspre ch en - den Forschungsinfrastrukturen, um unsere ambitionierten Forschungsziele erreichen zu können? Und schließlich: Haben wir die richtigen Leute dafür? Rekrutieren wir adäquat, auf allen Ebenen – von den Nachwuchswissenschaftlern bis hin zu den Spitzenforschern und Spitzenforscherinnen? Wie gehen wir über haupt mit dem Thema „Talentmanagement“ um, eine Frage, die später unter anderem zur Gründung der <strong>Helmholtz</strong>-Akademie führte im Sinne der Professionalisierung von Führungsaufgaben. Sie legten also ein starkes Gewicht auf die inhaltlichen Fragen? Jürgen Mlynek Ich wollte das liefern, was die Mission verspricht – und die Mission von <strong>Helmholtz</strong> galt schon damals so wie heute und das ist nach wie vor eine Herausforderung: nämlich, Beiträge zu leisten zur Lösung großer gesellschaftlicher Fragen durch strategisch ausgerichtete Forschung im nationalen Auftrag. Das hieß 2005 schon Spitzenforschung. Hinzu kam die Strukturfrage: Damit meine ich einerseits die <strong>Gemeinschaft</strong>sebene, andererseits die Ebene der rechtlich selbstständigen Zentren. Mit diesem Spannungsfeld teilweise unterschiedlicher Interessen musste man umgehen, was übrigens bis heute gilt. In jedem Fall galt es, das vorhandene Synergiepotenzial in den Forschungszentren zusammenzuspannen, um hier einen Mehrwert im nationalen Interesse auch unter strategischen 63